3.13 Wie reagieren die Benthosgemeinschaften
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3. Auswirkung des Klimawandels auf die Meere 3.13 Wie reagieren die Benthosgemeinschaften der offenen Nordsee auf die globale Erwärmung? Ingrid Kröncke, Hermann Neumann, Henning Reiss & Ulrike Schückel Response of open North Sea benthic communities to climate change: Long-term studies reveal climate driven changes in the benthic communities of the sublitoral North Sea since the late 1980s. In the shallow mixed water column of the southern North Sea increasing SST (Sea Surface Temperature) correlates with increasing abundance, species number and biomass as well as reproduction success of in- and epifauna species. Changes in the feeding modes of species are mainly related to increasing food supply (= primary production). The dominance of native species has changed in the in- and epifauna communities since the late 1980s, southern species have increased, while northern species have decreased. We expect an increase in invasive macrofauna species with further increase in SST as we see already for epifauna species such as the angular crab. The crab has spread already over large areas in the southern North Sea and will compete with native species for space and food. The future will show how an increasing number of benthic invadors will change the structural and functional diversity of the North Sea. A ls Benthos werden die Lebensgemeinschaften im und auf dem Meeresboden bezeichnet, zu denen hauptsächlich wirbellose Tiere gehören. Die Arten, mit einem positiven NAOI korrelierte, der mit mil- den Wintern seit 1988 einherging. Die höhere SST im Winter bewirkte, dass seit 1988 ein hoher Prozentsatz die eingegraben im Meeresboden leben, werden als an heimischen Arten mit südlicher Verbreitung in der Endo- oder Makrofauna (>0,5 mm) bezeichnet, und Nordsee gefunden wurde, wohingegen in den 1980er die, die auf dem Meeresboden leben, als Epifauna (>1 Jahren mit negativem NAOI und vielen kalten Win- cm). Das Benthos ist eine wichtige Nahrungsquelle für tern vermehrt arktisch-boreale und heimische nörd- viele Fischarten und spielt eine entscheidende Rolle bei liche Arten auftraten (Kröncke et al. 2001). Auch der der Remineralisation von sedimentiertem organischen Anstieg der Artenzahl wurde nicht durch Zuwanderer Material. Da die im Meeresboden lebenden Arten re- verursacht, sondern durch heimische südliche Arten, lativ standorttreu sind und Störungen nur schwer aus- die über das ganze Jahr auf Grund der fehlenden kalten weichen können, werden sie als gute Indikatoren für Winter konstant im Untersuchungsgebiet auftraten. Da- Veränderungen in einem Ökosystem angesehen. Lang- ten bis 2005 (Kröncke et al. eingereicht) zeigen, dass zeituntersuchungen sind essentiell, um Trends trotz der sich die Gemeinschaften von den Auswirkungen des natürlicherweise sehr starken saisonalen und Jahr-zu- kalten Winters 1995/96 schnell erholten. Um das Jahr Jahr Schwankungen deutlich machen zu können. 2001 hat jedoch eine gravierende Veränderung ähnlich Während in den 1970er und 1980er Jahren primär der Ende der 1980er Jahre in der Gemeinschaftsstruk- sehr kalte Winter Veränderungen in den Benthosge- tur stattgefunden. Die Artenzahl geht seit 2002 zurück, meinschaften der südlichen Nordsee (
3.13 I. Kröncke et al. Abundanzen des opportunistischen Schlangensterns Ground, dem derzeitigen Verbreitungsschwerpunkt der Ophiura albida in Verbindung mit einer geringen mitt- Trapezkrabbe, wurden im Jahr 2008 bis zu 136 Tiere leren Diversität in den ersten Jahren der Untersuchung in einem Fang gefunden. Insgesamt sind bislang über zu sehen waren. In den folgenden Jahren stieg die Bo- 1.500 Exemplare gefunden worden, darunter Männ- denwassertemperatur um 2–3°C an, simultan sank die chen, eiertragende Weibchen sowie ausgewachsene Abundanz von O. albida, während die anderer Arten Tiere und Jungtiere. Es ist deshalb davon auszugehen, zunahm wie der Garnelen Crangon crangon und C. dass sich die Trapezkrabbe in der Nordsee etabliert hat. allmanni (Abb. 3.13-2a), der Maskenkrabbe Corystes Auf Grund ihrer grabenden Lebensweise kann die Art cassivelaunus, der Schwimmkrabbe Liocarcinus hol- zu einem Konkurrenten der heimischen Maskenkrabbe satus (Abb. 3.13-2b), des Kammseesterns Astropecten (Corystes cassivelaunus), aber auch des Kaisergranats irregularis, der Zwergzunge Buglossidium luteum, der (Nephrops norvegicus) werden. Klimatisch bedingte Lammzunge Arnoglossus laterna und der Sandgrundel Veränderungen in der funktionellen Diversität der Epi- Pomatoschistus minutus. Die Veränderungen korre- faunagemeinschaften in der Deutschen Bucht zeigen lierten primär mit dem Anstieg der Wassertemperatur, einen Abundanzanstieg von Makrofaunaarten, deren besonders im Winter, die eine geringere Wintermor- Reproduktionserfolg signifikant mit den erhöhten SST talität, höhere Nahrungsverfügbarkeit, verändertes Mi und Bodenwassertemperaturen seit 2002 im Herbst grationsverhalten und veränderte Reproduktionszyklen korrelierten (Neumann & Kröncke 2010). Auch Verän- bedingt. Ab 2001 tritt eine Veränderung in der Gemein- derungen in den Ernährungstypen der Epifauna korre- schaftsstruktur auf, die ähnlich wie im Inselvorfeld lierten signifikant mit den erhöhten Temperaturen und von Norderney an die seitdem extrem warmen Winter der parallel dazu gestiegenen Primärproduktion in der gekoppelt ist (Neumann et al. 2008). Außerdem treten Deutschen Bucht. in der südlichen Nordsee vermehrt epibenthische Zu- wanderer auf, wie die Trapezkrabbe Goneplax rhom- Doggerbank boides (Neumann et al. 2010) (Abb. 3.13-3). Sie ist Die Veränderungen in den Makrofaunagemeinschaften normalerweise in wärmeren Gefilden des östlichen auf der Doggerbank im 20. Jahrhundert zeigten die Atlantiks und des Mittelmeeres zu Hause. Im Oyster gravierendsten Veränderungen zwischen 1920 und Abb. 3.13-1: Die zeitliche Varia- bilität der Abundanz und Biomas- se pro m² der Polychaeten Mage- lona spp. und Owenia fusiformis im Inselvorfeld von Norderney. Schwarze Säule: Biomasse. Rote Linien: Häufigkeit (aus Kröncke et al. eingereicht). 184
3. Auswirkung des Klimawandels auf die Meere 1950 (Kröncke 2011). Durch die Industrialisierung temperaturbedingten Erhöhung der Primärproduktion der Fischereiflotten in diesem Zeitraum wurde der (McQuatters-Gollop et al. 2007) profitieren. Die Mu- Fischereidruck auf der Doggerbank intensiviert, was schelarten kamen in früheren Jahrzehnten primär in der die Eliminierung der in den 1920er Jahren gefundenen inneren Deutschen Bucht vor, dehnen sich seit Ende der ausgedehnten Muschelbänke der Arten Spisula und 1980er Jahre aber vermehrt in Richtung offene Nordsee Mactra zur Folge hatte. Die Muscheln wurden als Ziel- aus (Kröncke et al. 2011). Der von der ICES Benthos arten oder Beifang gefischt. Die Muschelbänke haben Working Group durchgeführte Vergleich der Makro- sich aufgrund der anhaltenden Fischerei bis heute nicht faunagemeinschaften der gesamten Nordsee zwischen erholt. Seit 1950 war die räumliche Ausdehnung der 1986 und 2000 zeigt, dass neben dem Rückgang von fünf Makrofaunagemeinschaften auf der Doggerbank nördlichen und dem Anstieg von heimischen südlichen jedoch relativ stabil, klimatisch bedingte Verände- Arten sowie der Ausbreitung der oben genannten Mu- rungen treten ähnlich wie in den küstennahen Gebieten schelarten kaum Veränderungen in der räumlichen seit den 1980er Jahren auf, die sich in einer Zunahme Verteilung der Makrofaunagemeinschaften in 2000 heimischer südlicher Arten und einer Abnahme von gegenüber 1986 gefunden wurden. Die auffälligsten nördlichen Arten äußern. Außerdem nehmen Ernäh- Veränderungen wurden im Bereich der verschiedenen rungstypen wie Interface-feeder im zentralen Bereich Frontensysteme in der südlichen Nordsee festgestellt, der Bank und kleine schnellwüchsige Muschelarten die wahrscheinlich auch auf klimatisch bedingte Verän- wie Nucula nitidosa (Abb. 3.13-4), Abra alba und Cor- derungen im Strömungsregime und Nahrungsangebot bula gibba im südlichen Teil der Bank zu, die von der zurück zu führen sind. Abb. 3.13-2: Die zeitliche Variabi- lität der Abundanz und Biomasse der Schwimmkrabbe Liocarcinus holsatus (a) und der Furchenkrab- be Crangon allmanni (b) pro 500 m² in der südöstlichen Nordsee. Blaue Säule: Häufigkeit. Rote Linien: Biomasse (aus Neumann et al. 2008). 185
3.13 I. Kröncke et al. Abb. 3.13-3: Die zeitliche Va- riabilität im Auftreten der neu eingewanderten Trapezkrabbe Goneplax rhomboides in der Nordsee (aus Neumann et al. 2010). Abb. 3.13-4: Die zeitliche Variabilität der Abundanz pro 0,1 m² der Nuss- muschel Nucula nitidosa zwischen 1986 (weiss) und 2000 (schwarz) in der Nordsee (aus Kröncke et al. 2011). 186
3. Auswirkung des Klimawandels auf die Meere Abb. 3.13-5: Die Korrelation zwi- schen (oben) Abundanz pro 500 m² der Atlantischen Zwergsepia (Sepiola atlantica) und den Ano- malien der SST und (unten) die zeitliche Variabilität der mittleren Abundanz pro 500 m² der Fur- chengarnele (Crangon allmanni) in der nördlichen Nordsee (aus Neumann et al. 2009a). Tiefe nördliche Nordsee la atlantica) und der Furchengarnele (Crangon allman- ni) (Abb. 3.13-5) seit 2003 gefunden, die ebenfalls mit Auch in der nördlichen Nordsee (>100 m Tiefe) wur- der SST korrelierten. Im östlichen Shetlandbecken be- den klimatisch bedingte Veränderungen in den Ben- wirkte die erhöhte SST jedoch eine stärkere Schichtung thosgemeinschaften gefunden. Senckenberg am Meer der Wassersäule und führte damit zu einem verringerten untersucht seit 1998 die Makro- und Epifaunagemein- Nahrungsangebot, das in einem Rückgang der Makro- schaften in drei Gebieten der nördlichen Nordsee. Sie faunaabundanzen resultierte (Schückel et al. 2010). liegen im Bereich des Fair Isle Stroms und im östlichen Shetlandbecken im direkten Einfluss atlantischer Was- Schlussbetrachtung sermassen (Neumann et al. 2009a). Im Gebiet des Fair Isle Stroms mit einer durchmischten Wassersäule wurde Die Ergebnisse der Benthos-Langzeituntersuchungen eine signifikante Korrelation zwischen SST seit 2002 zeigen deutliche klimatisch bedingte Veränderungen und einem Anstieg von Makrofaunaarten gefunden, die seit Ende der 1980er Jahre in den Makro- und Epi- von dem erhöhten Nahrungsangebot einer parallel ge- faunagemeinschaften von der Küste bis in die nörd- stiegenen Primärproduktion profitierten (Schückel et liche Nordsee. In flachen durchmischten Bereichen al. 2010). In diesem Gebiet wurde auch ein Anstieg von der südlichen Nordsee korreliert die erhöhte SST und Epifaunaarten wie der Atlantischen Zwergsepia (Sepio- Bodenwassertemperatur mit einem Anstieg der Arten- 187
3.13 I. Kröncke et al. zahlen, Abundanzen und Biomassen sowie der Repro- KRÖNCKE I. (2011): Dogger Bank macrofauna commu- duktion verschiedener Arten. Veränderungen in den nities in the 20th century caused by fishing and climate. Ernährungstypen der Benthosarten sind an ein erhöhtes Estuarine Coastal Shelf Science. in press. Nahrungsangebot (= Primärproduktion) gekoppelt, das KRÖNCKE I. ZEISS B. & RENSING C. (2001): Long- term variability in macrofauna species composition off seinerseits von der erhöhten SST beeinflusst wird. In the island of Norderney (East Frisia Germany) in rela- den Makrofaunagemeinschaften im Sublitoral finden tion to changes in climatic and environmental condi- bislang Dominanzverschiebungen innerhalb der hei- tions. Senckenbergiana marit. 31 65-82. mischen Arten statt, südliche Arten nehmen zu, kalt- KRÖNCKE I. DIPPNER J.P. HEYEN H. & ZEISS B. temperierte nehmen ab. Langfristig ist das Einwandern (1998): Long-term changes in macrofauna communities von Makrofaunaarten im Sublitoral der Nordsee zu er- off Norderney (East Frisia Germany) in relation to cli- warten, das bei der Epifauna schon eingesetzt hat. Die mate variability. Mar. Ecol. Prog. Ser. 167 25-36. Trapezkrabbe ist ein Beispiel für eine Art, die schon MCQUATTERS-GOLLOP A. RAITSOS D.E. ED- WARDS M. PRADHAN Y. MEE L.D. LAVENDER jetzt große Bereiche der südlichen Nordsee besiedelt S.J. & ATTRILL M.J. (2007): A long-term chlorophyll hat und damit zu einem Konkurrenten um Raum und data set reveals regime shift in North Sea phytoplank- Nahrung von heimischen Arten werden kann. Bei ton biomass unconnected to nutrient trends. Limnol. weiterem SST-Anstieg werden vermehrt benthische Oceanogr. 52 635-648. Zuwanderer in die offene Nordsee kommen. Die Zu- NEUMANN H. & KRÖNCKE I. (2010): Long-term ef- kunft wird zeigen, inwieweit sie die strukturelle und fects of sea surface temperature on the ecological func- funktionelle Diversität der Benthosgemeinschaften der tioning of epifauna in the German Bight. Mar. Eco. 32 offenen Nordsee und damit des gesamten Ökosystems (Suppl. 1) 1-9. Nordsee verändern werden. NEUMANN H. KRÖNCKE I. & EHRICH S. (2010): Es- tablishment of the angular crab Goneplax rhomboides (Linnaeus 1758) (Crustacea Decapoda Brachyura) in Literatur the southern North Sea. Aquatic Invasion 5 S27 - S30. BEARE D.J. BATTEN S. EDWARDS M. & REID D.G. NEUMANN H. EHRICH S. & KRÖNCKE I. (2009a): (2002): Prevalence of boreal Atlantic temperate Atlantic Variability of epifauna and temperature in the northern and neritic zooplankton in the North Sea between 1958 North Sea. Mar. Biol. 156 1817–1826. and 1998 in relation to temperature salinity stratifica- NEUMANN H. REISS H. RAKERS S. EHRICH S. & tion intensity and Atlantic inflow. J. Sea Res. 48 29-49. KRÖNCKE I. (2009b): Temporal variability of south- DIPPNER J.W. JUNKER K. & KRÖNCKE I. (2010): ern North Sea epifauna communities after the cold win- Biological regime shifts and changes in predictabil- ter 1995/1996. ICES J. Mar. Sci. 66 2233-2243. ity. Geophysical Research Letters 37: doi.org/10.1029/ NEUMANN H. EHRICH S. & KRÖNCKE I. (2008): 2010GL045696. Temporal variability of an epibenthic community in EHRICH S. ADLERSTEIN S. BROCKMANN U. FLO- the German Bight affected by cold winter and climate. ETER J. GARTHE S. HINZ H. KRÖNCKE I. NEU- Clim. Res. 37 241-251. MANN H. REISS H. SELL A.F. STEIN M. STELZEN- REISS H. MEYBOHM K. & KRÖNCKE I. (2006): Cold MÜLLER V. STRANSKY C. TEMMING A. WEGNER winter (1995/96) effects on macrofauna communities G. & ZAUKE G.-P. (2007): 20 years of the German in near- and offshore regions of the North Sea. Helgol. Small-Scale Bottom Trawl Survey (GSBTS): A review. Mar. Res. 60 224-238. Senckenbergiana marit. 37 13-82. SCHRÖDER A. (2005): Community dynamics and Kröncke I., Dippner, J.W. & Reiss H. (eingereicht). development of soft bottom macrozoobenthos in the Effects of cold winters and regime shifts on macrofauna German Bight (North Sea) in 1969-2000. Rep. Polar communities in the southern North Sea. J. Mar.Biol. Res. 494 1-181. Ass. UK. SCHÜCKEL U. EHRICH S. & KRÖNCKE I. (2010): KRÖNCKE I. REISS H. EGGLETON J.D. BERG- Temporal variability of three macrofauna communities MAN M.J.N. COCHRANE S. CRAEYMEERSCH in the northern North Sea. Estuar. Coast. Shelf Sci. 89 J. DEGRAER S. DESROY N. DEWARUMEZ J.-M. 1-11. DUINEVELD G. ESSINK K. HILLEWAERT H. LA- VALEYE M. MOLL A. NEHRING S. NEWELL J. POHLMANN T. RACHOR E. ROBERTSON M. RU- PD Dr. Ingrid Kröncke, Dr. Hermann Neumann, MOHR H. SCHRATZBERGER M. SMITH R. VAN- Dr. Henning Reiß & Ulrike Schückel DEN BERGHE E. VAN DALFSEN J. VAN HOEY G. VINCX M. & REES H.L. (2011): Changes in North Senckenberg am Meer, Abt. Meeresforschung Sea macrofauna communities and species distribution Südstrand 40 - 26382 Wilhelmshaven between 1986 and 2000. Estuarine Coastal Shelf Sci- ingrid.kroencke@senckenberg.de ence in press. 188
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