Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg - Misserfolge, Erfolge, neue Wege
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Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg Misserfolge, Erfolge, neue Wege im Auftrag der Michael Otto Stiftung für Umweltschutz, April 2014 Dr. Hermann Hötker Prof. Dr. Christoph Leuschner von Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen Universität Göttingen
Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Glossar Inhalt Ackervögel Vögel, die in Mitteleuropa überwiegend auf Ackerstandorten brüten Vorwort 05 AUM Agrarumweltmaßnahme Zusammenfassung 06 BfN Bundesamt für Naturschutz BMELV Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- 1. Einleitung 07 cherschutz Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland 2. 09 BNatSchG Bundesnaturschutzgesetz 2.1 Allgemeine Trends 09 CORINE Coordination of Information on the Environment; CORINE Land Cover ist ein Projekt zur einheitlichen Klassifikation der wichtigsten 2.2 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen 11 Formen der Landnutzung durch Satellitenbilder, das von der EU- im Ackerland Kommission angestoßen wurde (Quelle: Wikipedia) 2.3 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen 19 im Grünland FFH-RL Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU, Richtlinie 92/43/EWG des Rats vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (http://eur-lex.europa. 3. Veränderungen in der Vegetation der nord- und 21 eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1992L0043:200701 mitteldeutschen Agrarlandschaft 01:DE:PDF) 3.1 Diversitätsveränderungen 21 GIS Geografisches Informationssystem, in diesem Fall überwiegend ArcView 10 (ESRI) 3.2 Geschätzte Populationsverluste von Pflanzen der Kulturlandschaft seit den 22 1950er-/1960er-Jahren InVeKoS Integriertes Verwaltungs- und Kontrollsystem; ein durch die Euro- päische Kommission eingeführtes System von Verordnungen zur 3.3 Bisherige Schutzmaßnahmen – Bewertung aus b otanischer Sicht 22 Durchsetzung einer einheitlichen Agrarpolitik in den EU-Mitglied- staaten, das auch ein GIS-gestütztes System zur Identifizierung Veränderungen in der Vogelwelt der Agrarlandschaft 4. 27 landwirtschaftlich genutzter Parzellen beinhaltet 4.1 Bestandstrends und Bedrohungen der Vögel 27 MOIN Michael-Otto-Institut im NABU der Agrarlandschaft Segetalflora Flora des Ackerlands 4.2 Schutzkonzepte in Deutschland und ihre W irksamkeit für Ackervögel 31 VSG Vogelschutzgebiet nach der EU-Vogelschutzrichtlinie (siehe unten) 4.3 Wiesenvögel 43 VSRL EU-Vogelschutzrichtlinie, Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 30. November 2009 über die Neue Ansätze 5. 58 Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (gültig seit 1979) (http:// 5.1 Die Hope Farm der Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) 58 eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:020: 0007:0025:de:PDF) 5.2 Der Schweizer Weg 60 Feldvögel Arten, die in Mitteleuropa überwiegend auf landwirtschaftlich genutz- ten Flächen brüten oder dort überwiegend nach Nahrung suchen 6. Ausblick 61 Wiesenvögel Watvögel, die in Deutschland auf Feuchtwiesen brüten; Arten: 6.1 Zukünftige Entwicklungen in der Landwirtschaft 61 Austernfischer, Kiebitz, Alpenstrandläufer, Kampfläufer, Bekassine, 6.2 Zukünftige Perspektiven für den Biodiversitätsschutz in 62 Uferschnepfe, Großer Brachvogel, Rotschenkel der Agrarlandschaft 7. Nächste Schritte 65 8. Danksagungen 66 9. Literatur 67 02 Glossar Inhalt 03
© Hermann Hötker Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Vorwort Sehr geehrte Damen und Herren, die Vielfalt der natürlichen Lebensformen ist das Erbe von vielen Millionen Jahren Evolutionsgeschichte, für das wir in besonderer Weise verantwortlich sind. Anders als frühere Generationen verfügt der moderne Mensch heute über die Fähigkeit, durch seine Art zu leben und zu wirtschaften die Natur so umzuformen, dass Lebensräume verloren gehen und die Artenvielfalt schwindet. Dieser Prozess hat bereits mit dem Beginn der Industrialisierung eingesetzt und sich in den letzten sechs Jahrzehnten dramatisch beschleunigt. Der Schutz der Natur ist aber nicht nur eine moralische Pflicht, sondern auch eine ökonomische Notwendigkeit. Mit anderen Worten: Wenn wir dem Artensterben weiter tatenlos zuschauen, schneiden wir uns ins eigene Fleisch. Die Politik hat die Notwendigkeit zu handeln erkannt und im Jahre 2007 die Natio nale Strategie zur biologischen Vielfalt verabschiedet. Heute müssen wir allerdings einsehen, dass die dort gesteckten Ziele zum Schutz der Biodiversität bei weitem nicht erreicht werden. Der Rückgang der Artenvielfalt sowie der Verlust an natürli- chen Lebensräumen gehen in Deutschland stetig weiter und eine Umkehrung dieses Trends ist nicht abzusehen. Die Ursachen hierfür zu erfassen und für den Erhalt der Biodiversität zu werben, ist deshalb ein wichtiges Anliegen meiner Stiftung. Dabei hat sich die Michael Otto Stiftung für Umweltschutz in diesem Zusammenhang besonders der Agrarbiodiversität verschrieben, die in ganz besonderer Weise gefährdet ist. Denn landwirtschaftliche Betriebe stehen heute unter einem sehr hohen ökonomischen Druck, dem sie versuchen müssen durch ständige Produk- tionssteigerung gerecht zu werden. Die Ziele einer Intensivierung der Landwirtschaft auf der einen und die Bewahrung der Biodiversität auf der anderen Seite, stehen sich häufig diametral gegenüber. Gerade wegen dieser Konflikte ist eine Zusammen- arbeit von Naturschutz und Landwirtschaft heute dringend erforderlich. Begleitet von Politik und Wissenschaft können auf diesem Wege gemeinsame Ansätze erörtert und wirksame Maßnahmen für den Schutz der Biodiversität in der Land- wirtschaft entwickelt werden. Um einen solchen Dialog zu befruchten, hat die Michael Otto Stiftung die vorlie- gende Studie in Auftrag gegeben, die sich nicht auf eine Bestandsaufnahme der Wirksamkeit von Naturschutzmaßnahmen beschränkt, sondern daraus Forderun- gen ableitet, die den fälligen Dialog bereichern sollen. Die Lektüre sei damit jedem Beteiligten empfohlen, der zur B ewahrung der Artenvielfalt in ländlichen Räumen offen für die Vereinbarkeit von Naturschutz und Landwirtschaft ist. 04 Vorwort 05
Rapsfeld – kein Durchkommen für Bodenbrüter Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Zusammenfassung 1. Die Biodiversität in Deutschland ist bedroht. Der Grund Ackerland zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass dafür ist vor allem die Flächenkonkurrenz mit der agrar- und eine intensive Betreuung vorhanden ist. Als Faustregel sollten forstwirtschaftlichen Nutzung. Die vorliegende Studie analysiert mindestens 0,1 Personalstellen pro 100 ha Schutzgebiets- die Verluste biologischer Vielfalt in der Agrarlandschaft am fläche beziehungsweise ein Viertel der Projektgesamtkosten Beispiel der Pflanzen und Vögel. Darüber hinaus untersucht für Beratung, Betreuung und Monitoring von Agrarumwelt- sie, inwieweit die bisher verfügbaren Instrumente des Natur- maßnahmen verfügbar sein. schutzes wirksam waren und ob sie für zukünftige Anforde- rungen ausreichen werden. Anschließend stellt sie alternative 4. Für die nächste Zukunft ist mit keiner Verbesserung der Ansätze des Biodiversitätsschutzes in der Agrarlandschaft Situation der Argarbiodiversität zu rechnen. Das „Greening“ aus anderen Ländern vor und prüft deren Übertragbarkeit auf im Zuge der neuen EU-Agrarförderung wird nicht ausreichen. © Hermann Hötker Deutschland. Neue Produktionsanforderungen – insbesondere der Anbau von Energiepflanzen und die Erzeugung von pflanzlichen Roh- 2. Seit 1950 gab es in der Agrarlandschaft Deutschlands stoffen – erhöhen den Flächenbedarf der Landwirtschaft. erhebliche strukturelle Veränderungen mit Auswirkung auf die Damit steigt der Druck auf die letzten Refugien der Agrar Biodiversität. So ging in Norddeutschland die Fläche des biodiversität. Diese Situation erfordert innovative Ansätze des artenreichen mesophilen (mittelfeuchten) Grünlands und des Agrarbiodiversitätsschutzes. Vielversprechend erscheinen Feuchtgrünlands um rund 85 Prozent zurück. Die Ursache Demonstrationsbetriebe, die die Agrarbiodiversität durch hierfür war in erster Linie eine Umwandlung in Intensivgrünland. gezielt umgesetzte Biotopmanagement-Maßnahmen deutlich Im Ackerland verringerte sich die potenziell für Ackerwild erhöhen – und das trotz konventioneller Wirtschaftsweise und kräuter (Segetalflora) besiedelbare Fläche um etwa 95 Prozent. Dies lag sowohl an einer Nutzungsintensivierung als auch an der Vergrößerung der Schläge. Dies führte dazu, dass heute ohne Minderung der Wirtschaftlichkeit des Hofes. Das gut dokumentierte Beispiel der Hope Farm in England demonstriert, wie sich Ökonomie und Naturschutz im konventionellen Acker- 1. Einleitung nur noch kleine Restpopulationen vorhanden sind. Dass die bau vereinbaren lassen. Diese Studie kommt zu dem Schluss, Flächenerträge für Wintergetreide seit 1950 verdoppelt und dass in Deutschland dringender Bedarf an geeigneten land- die Maiserträge in dieser Zeit sogar verdreifacht werden wirtschaftlichen Demonstrationsprojekten zur Vereinbarkeit Der Schutz der lebendigen Umwelt, insbesondere der Tier- Die vorliegende Studie soll vor diesem Hintergrund analysieren, konnten, wurde durch eine Vervielfachung der Mineralstick- von Wirtschaftlichkeit und Agrarbiodiversitätsschutz besteht, und Pflanzenarten, hat längst sein Nischendasein als Thema inwieweit die bisher verfügbaren Instrumente des Natur stoff-Düngung und einen heute flächendeckenden Pestizid in denen neue Schutzkonzepte erprobt und in öffentlicher für kleine, exklusive Expertenzirkel verloren. Der Begriff „Bio- schutzes wirksam waren und ob sie für die zukünftigen einsatz erreicht. Transparenz umgesetzt werden. diversität“ ist in der Gesellschaft angekommen und findet Anforderungen ausreichen werden. Dazu werden Faktoren zunehmend als Wirtschaftsfaktor Anerkennung.1 Doch obwohl des Erfolgs und des Misserfolgs herausgearbeitet, alternative 3. Vegetationskundliche Wiederholungsaufnahmen in Nord- das Thema an Popularität g ewinnt, werden die politisch gesetz- Ansätze des Naturschutzes in anderen Ländern vorgestellt und Mitteldeutschland zeigen im mesophilen und feuchten ten Ziele des Biodiversitätsschutzes deutlich verfehlt, so wie und ihre Übertragbarkeit auf Deutschland geprüft. Die Studie Grünland für viele charakteristische, ehemals häufige Pflanzen- jüngst das sogenannte 2010-Ziel der EU. verfolgt nicht die Absicht, eine Entscheidung für den „richtigen“ arten Häufigkeitsverluste von 95 bis über 99 Prozent. Im Weg im Naturschutz in Deutschland aufzuzeigen. Sie will Ackerland sind die Verluste ähnlich hoch. Die Rückgänge der Bedroht wird die Biodiversität in Deutschland und den meisten vielmehr die wichtigsten Fakten für einen Diskurs unter Exper- Vögel des Acker- und Grünlands sind ebenfalls alarmierend. anderen europäischen Ländern vor allem durch die Konkur- ten zusammenstellen. Perspektivisch soll die Studie einen Sowohl die Agrarvögel als auch die Segetalflora sind gegen- renz mit der wirtschaftlichen Landnutzung. Dies gilt sowohl Beitrag zu einer Diskussion in einem größeren gesellschaftlichen wärtig von weiterer Verarmung aufgrund fortschreitender für den Wald (Wirtschaftswald versus Naturwald) als insbe- Kontext leisten. landwirtschaftlicher Intensivierung betroffen. sondere auch für den Agrarbereich (Intensivwirtschaft versus extensive, naturnahe Bewirtschaftung). Da landwirtschaftlich Vergleicht man verschiedene Wege des Naturschutzes, stellt Um die Restbestände der Segetalflora dauerhaft zu schützen, genutzte Flächen etwa die Hälfte Deutschlands einnehmen, sich die zentrale Frage, wie weit man im Arten- und Lebens- sind temporäre Maßnahmen wie die Anlage von extensiv haben Entwicklungen in diesem Bereich eine hohe Bedeutung. raumschutz hinsichtlich des Managements gehen möchte. genutzten Ackerrandstreifen nicht ausreichend. Auch der Seit einigen Jahren werden in Deutschland zusätzlich zur Eine Extremposition ist dabei der reine Schutz ohne jegliche Ökolandbau kann nur begrenzte Beiträge zum Artenschutz Produktion von Nahrungsmitteln vermehrt Energiepflanzen Eingriffe (Zulassen einer freien Sukzession, Prozessschutz, leisten. Der Umfang von Agrarumweltmaßnahmen (AUM) ist angebaut. Nicht nur im Energiesektor wird es also eine Wildnis), eine andere der selektive Schutz einzelner Arten mit in Deutschland derzeit viel zu gering, als dass messbare Aus- Umstellung von fossilen auf regenerative Ressourcen geben erheblichen Eingriffen (Bereitstellung von Niststätten, Elimi- wirkungen auf die Bestandsentwicklung der Ackervögel zu („Peak oil“), sondern auch in anderen Wirtschaftsbereichen nierung oder Auszäunung von Feinden, Fütterungen).3 In den erwarten wären. Zudem ist die Qualität der Maßnahmen oft werden nachwachsende Stoffe an Bedeutung gewinnen. So von Menschen genutzten Lebensräumen kommt noch die nicht ausreichend und zu wenig regionenspezifisch. Grün- beschloss die Bundesregierung am 17. Juli 2013 ihre Bio- Entscheidung hinzu, ob ein integrativer oder ein segregativer landschutzgebiete können zur Bestandsstützung einiger ökonomie-Strategie2. Sie wird die Nachfrage nach landwirt- Ansatz verfolgt werden soll. Der integrative Ansatz bezieht die hochbedrohter Arten beitragen, jedoch den flächendeckenden schaftlichen Produktionsflächen weiter erhöhen. Dies wird gesamte Nutzfläche ein und zielt auf eine großflächig extensive, Negativtrend nicht aufhalten, zumal in vielen Fällen die Schutz- dazu führen, dass noch mehr Flächen benötigt und intensiver naturschonende Nutzung (Naturschutz auf der gesamten ziele verfehlt werden. Erfolgreiche Schutzprojekte im Grün- und als bisher genutzt werden. Fläche) ab. Der segregative Ansatz teilt die Nutzflächen auf 06 Zusammenfassung 1. Einleitung 07
Uferschnepfe – ein Wiesenvogel auf der Vorwarnliste global gefährdeter Arten Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege 2. E ntwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland 2.1 Allgemeine Trends Die Entwicklung der deutschen Landwirtschaft seit 1950 und Jahrzehnten waren die Intensivierung des Ackerbaus und besonders in neuerer Zeit gehört zu den wichtigsten Ursachen der Grünlandwirtschaft, der Rückgang des Grünlandanteils für die beobachteten Veränderungen der Vogel- und Pflanzen und die Flächenveränderungen der Ackerstilllegungen. Bis bestände. Deshalb soll sie zunächst skizziert werden, bevor Anfang der 1990er-Jahre sank der Anteil des Dauergrünlands © Dieter Damschen auf die Veränderungen in der Agrobiodiversität am Beispiel an der landwirtschaftlichen Produktionsfläche nur mäßig oder der Vögel und Pflanzen eingegangen wird. Schwerpunktmäßig gar nicht. Danach setzte allerdings ein stetiger, noch immer werden dabei die Länder Niedersachsen, Sachsen-Anhalt anhaltender Schwund in den meisten Bundesländern ein und Schleswig-Holstein betrachtet, da hier die Daten zur (Abb. 1). Der Bracheanteil nahm nach der Einführung der Entwicklung der Pflanzenbestände erhoben wurden. obligatorischen Flächenstilllegung als Marktregulierungs element durch die EU-Kommission 1993 sprunghaft zu. Nach- Die ökologisch bedeutsamsten Veränderungen in der deut- dem die Verordnung 2007 wegfiel, ging er jedoch schnell schen Landwirtschaft in den vergangenen fünf bis sechs wieder zurück (Abb. 1). in solche, die intensiv bewirtschaftet werden, und solche, die Kapitel behandelt, in dem bestimmte Fragestellungen detail- vorrangig dem Naturschutz dienen. Diese Naturschutzvorrang- lierter als bei den Ackervögeln erörtert werden können. flächen können sowohl räumlich konzentriert in Reservaten als auch in der Region verstreut sein, wie zum Beispiel Natur Bezüglich der Pflanzen der landwirtschaftlichen Nutzflächen waldparzellen oder Blühstreifen an Ackerrändern. Bei den (Acker- und Grünland) greift diese Studie im Wesentlichen auf Organismen der Agrarlebensräume besteht die Besonderheit, die Ergebnisse des Forschungsprojekts BioChange-Germany 6.000 dass die Nullnutzungsoption entfällt, da ohne Pflege nach zurück. Dieses Projekt wurde mit Finanzierung des Nieder- wenigen Jahren Lebensräume entstehen, die durch Arten der sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur am Agrarlebensräume nicht mehr besiedelt werden können. Lehrstuhl für Pflanzenökologie der Universität Göttingen im 5.000 Zeitraum von 2008 bis 2013 durchgeführt. Kern der Analysen In dieser Studie wird beispielhaft der landwirtschaftlich genutzte sind zahlreiche Wiederholungsaufnahmen der Vegetation von Raum in Deutschland betrachtet, weil er etwa die Hälfte der Acker- und Grünlandflächen in Mittel- und Norddeutschland. 4.000 Fläche [x1.000 ha] Landoberfläche Deutschlands einnimmt und hier die Konflikte Sie erlauben einen qualitativen und quantitativen Vegetations- zwischen Nutzung und Schutz besonders klar hervortreten, vergleich der 1950er-/1960er-Jahre mit der heutigen Situa aber auch besonders schwer zu lösen sind. Als Organismen- tion. Erstmals liegen damit überregional gültige Zahlen zu 3.000 gruppen wurden die Vögel der Agrarlandschaft und die Populationsveränderungen charakteristischer Acker- und Gefäßpflanzen gewählt. Grünlandpflanzen seit Beginn der landwirtschaftlichen Inten- sivierung vor. 2.000 Die Vögel sind die am besten bekannten und untersuchten Tiere des Agrarraums. Durch ihre Position in den oberen Berei- chen des Nahrungsnetzes sind sie zudem gute Indikatoren 1.000 für den ökologischen Zustand des Agrarökosystems. Die Vögel der Agrarlandschaft – im Text auch „Feldvögel“ genannt – lassen sich grob unterscheiden in die „Ackervögel“ und die 0 „Wiesenvögel“. Die Übergänge zwischen ihnen sind allerdings 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 fließend, und nicht jede Art lässt sich eindeutig zuordnen. In 19 19 19 19 19 19 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 dieser Studie werden als Wiesenvögel nur die auf Grünland brütenden Watvögel (Austernfischer, Kiebitz, Alpenstrand Dauergrünland Brache läufer, Kampfläufer, Bekassine, Uferschnepfe, Großer Brach- vogel, Rotschenkel) bezeichnet. Diese Arten stehen schon 1 TEEB-Studie, TEEB 2010 seit Längerem im Fokus des Naturschutzes, sodass für sie 2 http://www.bmelv.de/SharedDocs/Downloads/Broschueren/BioOekono- Abb. 1 Veränderung in der Fläche des Dauergrünlands und der Flächenstilllegungen in Deutschland seit 1993 erheblich aussagekräftigere Daten vorliegen als für die Acker- miestrategie.pdf?__blob=publicationFile (Quelle: BMELV Statistische Jahrbücher) vögel. Die Wiesenvögel werden deshalb in einem eigenen 3 Berthold & Mohr 2006, Gibbons et al. 2007 08 1. Einleitung 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.1 Allgemeine Trends 09
Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein 11.750 km2, die sich wie oben dargestellt auf die drei Der Anteil des Ökolandbaus nahm seit den 1980er-Jahren besaßen 2010 noch 6.930, 3.140 und 1.680 km2 Dauergrün- Bundesländer verteilen.4 Die relativ und absolut größten Rück- stetig zu und lag 2012 bei 6,2 Prozent der Anbaufläche land, das entsprach 27, 32 und 14 Prozent der landwirtschaft- gänge in den vergangenen 50 Jahren gab es in Niedersach- Deutschlands (Abb. 3). lichen Nutzfläche beziehungsweise 14, 20 und 8 Prozent der sen. In den letzten 20 Jahren war allerdings die Verlustrate in Landesfläche (Tab. 1). In den 1960er-Jahren waren in den Schleswig-Holstein am höchsten (Abb. 2). drei Ländern insgesamt noch rund 20.500 km2 Grünland vorhanden. Davon gingen bis 2010 circa 9.120 km2 – das sind ungefähr 45 Prozent – durch Umbruch oder andere 4 Statistische Landesämter von Niedersachsen, Schleswig-Holstein 7 Nutzungsumwidmung verloren. Verblieben sind etwa und Sachsen-Anhalt 6 Landwirtschaft- Verhältnis Ackerland (%) Grünland (%) Grünlandverlust liche Fläche (%) Acker- : Grünland Anteil an der Agrarfläche (%) 5 1950er / 1950er / 1950er / 1950er / 2010 2010 2010 in % km2 2010 1960er 1960er 1960er 1960er 4 Niedersachsen 62 54 32 39 28 14 48 6.320 1.2 : 1 2.7 : 1 Sachsen-Anhalt 66 57 52 49 11 8 25 550 4.7 : 1 6.0 : 1 3 Schleswig-Holstein 76 63 43 43 32 20 34 1.640 1.4 : 1 2.2 : 1 Tab. 1 Anteile der gesamten landwirtschaftlichen Fläche sowie des Acker- und Grünlands an der Landesfläche von Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und 2 Schleswig-Holstein in den 1950er-/1960er-Jahren (jeweils zum Zeitpunkt der maximalen Grünlandausdehnung) und 2010 sowie prozentualer und absoluter Verlust (in km2) an Grünlandfläche relativ zum früheren Höchststand (gerundete Zahlen) (Datengrundlage: Statistische Landesämter der drei Länder) 1 0 Niedersachsen Schleswig-Holstein Landwirtschaftliche Nutzfläche [in Mio. ha] Landwirtschaftliche Nutzfläche [in Mio. ha] 1995 2000 2005 2010 3,0 1,2 2,5 1,0 Abb. 3 Entwicklung des Ökologischen Landbaus in Deutschland seit 1996 (Quelle: BMELV) 2,0 0,8 1,5 0,6 1,0 0,4 2.2 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Ackerland 0,5 0,2 0 0 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Die drei intensiv untersuchten nordwest- und mitteldeutschen ckerfläche kräftig zu (Abb. 4). In Sachsen-Anhalt hatte der A Jahr Jahr Bundesländer Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig- Maisanbau mit 5 bis 10 Prozent von jeher nur recht geringe Holstein gehören zu den Regionen Deutschlands mit dem Anteile an der Ackerfläche und veränderte sich in den letzten Sachsen-Anhalt höchsten Anteil landwirtschaftlicher Nutzfläche: Niedersachsen 50 Jahren nur wenig. Seit 2010 stieg er jedoch auch hier Landwirtschaftliche Nutzfläche [in Mio. ha] 1,4 und Schleswig-Holstein besaßen in den 1950er-/1960er- deutlich an. In allen drei Bundesländern stark zugenommen Grünland Jahren vergleichsweise hohe Grünlandanteile an der Landes- hat seit den 1970er-/1980er-Jahren der Anbau von Raps, 1,2 Ackerland fläche, Sachsen-Anhalt niedrige (Tab. 1). Die Fläche des vor allem von Winterraps. Er ist heute in Niedersachsen auf 1,0 sonstige Nutzfläche Ackerlands ist im waldreichen Niedersachsen relativ am 7 Prozent, in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein auf geringsten, in Sachsen-Anhalt am höchsten. In Niedersachsen 17 Prozent der Ackerfläche zu finden (Abb. 4). 0,8 nahm der Anteil des Ackerlands auf Kosten des Grünlands 0,6 zu, in Schleswig-Holstein blieb er nahezu unverändert, und 0,4 in Sachsen-Anhalt sank er geringfügig (Abb. 2). Ökologisch bedeutsamer als diese Veränderungen sind die Entwicklungen 0,2 der Anteile der Feldfrüchte: Der Kartoffelanbau ging in Abb. 2 0 Veränderung in der landwirtschaftlichen Nutzfläche (Acker- Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt auf heute weniger land: hellgrün, Grünland: dunkelgrün, sonstige Nutzfläche: als 10 Prozent der einstigen Anbaufläche zurück, in Nieder- 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 blau) in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Sachsen-An- sachsen auf rund 40 Prozent. Gleichzeitig nahm der Silo- und halt seit 1950 (nach D aten der Statistischen Landesämter von Jahr Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt) Grünmais-Anbau in Niedersachsen und Schleswig-Holstein von geringen Anteilen auf heute 23 und 26 Prozent der 010 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.1 Allgemeine Trends 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.1 Allgemeine Trends / 2.2 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Ackerland 011
Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Die Entwicklungen in den drei untersuchten Bundesländern Winterweizen. Sommergetreide spielen kaum noch eine Niedersachsen Schleswig-Holstein fanden in ähnlicher Weise auch in den anderen Regionen Rolle (Abb. 7). Die Ackerlandschaft wird in den meisten 2,00 0,7 Deutschlands statt. Der Anbau von Kartoffeln und Rüben Regionen Deutschlands durch die drei Feldfrüchte Winter 1,75 0,6 nahm fortlaufend ab, während der Flächenanteil von Mais getreide (je nach Boden Weizen oder Roggen), Mais und und Raps stieg (Abb. 6). Innerhalb des Getreideanbaus (außer Raps geprägt. Zusammen nehmen diese etwa 85 Prozent Ackerfläche [in Mio. ha] Ackerfläche [in Mio. ha] 1,50 0,5 Mais) setzten sich Wintersaaten durch, insbesondere der der Produktionsfläche ein. 1,25 0,4 1,00 0,3 0,75 0,50 0,2 0,25 0,1 0 0 9.000.000 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 8.000.000 Jahr Jahr 7.000.000 Getreide gesamt (ohne Mais) Körnermais Grün-/Silomais Raps/Rübsen Kartoffeln Zuckerrüben Sonstiges 6.000.000 Anbaufläche [ha] Abb. 4 Veränderung in der absoluten Größe des Ackerlands und in den Anteilen der wichtigsten Feldfrüchte in Niedersachsen und Schleswig-Holstein 5.000.000 seit 1950 (nach Daten der Statistischen Landesämter von Niedersachsen und Schleswig-Holstein) 4.000.000 3.000.000 Seit den 1980er-Jahren nahm vor allem in Niedersachsen und Winterraps und Mais wurden 2010 auf 53, 63 und 73 Prozent Schleswig-Holstein die Getreideanbaufläche (ohne Mais) des Ackerlands von Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und 2.000.000 zugunsten von Mais und Raps deutlich ab. Der Winterweizen ist Schleswig-Holstein angebaut. 1980 lagen ihre Anteile in den heute in allen drei Ländern das am meisten angebaute Ge- drei Ländern noch bei 24, 30 und 44 Prozent. Diese Zahlen treide. Gleichzeitig verloren Gerste, Hafer und generell Som- verdeutlichen die Monotonisierung der Ackerlandschaft in den 1.000.000 mergetreide ebenso wie Hackfrüchte stark an Fläche (Abb. 5). vergangenen 30 Jahren sehr gut. Die drei heute dominierenden Feldfrüchte Winterweizen, 0 1 4 7 0 3 6 9 2 5 8 1 4 7 0 3 6 02 99 05 4 08 7 1 95 -5 -5 -6 -6 -6 -6 -7 -7 -7 -8 -8 -8 -9 -9 -9 20 200 20 200 01 20 7- 52 55 58 61 64 67 70 73 76 79 82 85 88 91 94 -1 -2 9 - - 49 19 Hackfrüchte Mais Raps und Rübsen Niedersachsen Schleswig-Holstein Klee und Kleegras Leguminosen Getreide 1,4 0,45 Getreideanbaufläche [in Mio. ha] Getreideanbaufläche [in Mio. ha] 0,40 1,2 0,35 1,0 Abb. 6 Veränderung der Anbauflächen der wichtigsten Feldfrüchte in Deutschland seit 1950 (BMELV, Statistische Jahrbücher) 0,30 0,8 0,25 0,6 0,20 0,15 0,4 0,10 0,2 0,05 0 0 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Jahr Jahr Winterweizen Sommergetreide Gerste Hafer Sonstiges Abb. 5 Veränderung in der absoluten Größe der Getreideanbaufläche und in den Anteilen der wichtigsten Getreidearten in Niedersachsen und Schleswig-Holstein seit 1950 (nach Daten der Statistischen Landesämter von Niedersachsen und Schleswig-Holstein) 12 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.2 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Ackerland 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.2 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Ackerland 13
Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege 3036 Wittenberge 2722 Elsdorf 3726 Hohenhameln 3.500.000 Log10 (Häufigkeit) Log10 (Häufigkeit) Log10 (Häufigkeit) 2,0 2,0 2,0 3.000.000 1,0 1,0 1,0 2.500.000 0,0 0,0 0,0 0 bis 2 2 bis 5 10 bis 15 15 bis 20 20 bis 25 > 25 0 bis 2 2 bis 5 10 bis 15 15 bis 20 20 bis 25 > 25 0 bis 2 2 bis 5 10 bis 15 15 bis 20 20 bis 25 > 25 5 bis 10 5 bis 10 5 bis 10 Anbaufläche [ha] 2.000.000 Schlaggröße [ha] Schlaggröße [ha] Schlaggröße [ha] 1.500.000 3333 Költze Ost 3623 Gehrden 3211 Holte Log10 (Häufigkeit) Log10 (Häufigkeit) Log10 (Häufigkeit) 2,0 2,0 2,0 1.000.000 1,0 1,0 1,0 500.000 0,0 0,0 0,0 0 bis 2 2 bis 5 10 bis 15 15 bis 20 20 bis 25 > 25 0 bis 2 2 bis 5 10 bis 15 15 bis 20 20 bis 25 > 25 0 bis 2 2 bis 5 10 bis 15 15 bis 20 20 bis 25 > 25 5 bis 10 5 bis 10 5 bis 10 0 1949-1951 61-63 73-75 85-87 97-99 2008-2011 Schlaggröße [ha] Schlaggröße [ha] Schlaggröße [ha] Winterweizen Sommerweizen Sommergerste Wintergerste 3033 Woltersdorf 2929 Bad Bevensen 2813 Edewecht Log10 (Häufigkeit) Log10 (Häufigkeit) Log10 (Häufigkeit) 2,0 2,0 2,0 Abb. 7 Veränderung der Anbauflächen der wichtigsten Getreidearten (außer Mais) in Deutschland seit 1950 (BMELV, Statistische Jahrbücher) 1,0 1,0 1,0 0,0 0,0 0,0 Nach der vergleichenden Auswertung historischer Luftbilder damals weniger dichten Feldinneren, also auf der ganzen 0 bis 2 2 bis 5 10 bis 15 15 bis 20 20 bis 25 > 25 0 bis 2 2 bis 5 10 bis 15 15 bis 20 20 bis 25 > 25 0 bis 2 2 bis 5 10 bis 15 15 bis 20 20 bis 25 > 25 5 bis 10 5 bis 10 5 bis 10 aus den 1950er-/1960er-Jahren und heutiger Aufnahmen in Ackerfläche, vorkamen. Bezieht man dies in die Berechnung zehn Regionen Norddeutschlands stieg die mittlere Ackerschlag- ein, beträgt der Verlust an potenziell besiedelbarer Ackerfläche Schlaggröße [ha] Schlaggröße [ha] Schlaggröße [ha] größe von 1,24 (± 0,03) auf 4,83 (± 0,24) ha. Sie nahm also nicht nur 50 Prozent, sondern rund 95 Prozent – das entspricht um den Faktor 3,9 zu (Abb. 8 und 9). Die Schlaggröße variiert einem Rückgang von 100 auf 4 Prozent (Abb. 10). dabei regional in den drei Bundesländern erheblich (Abb. 9). 3024 Dorfmark Log10 (Häufigkeit) In den 1950er-/1960er-Jahren lagen die mittleren Feldgrößen 2,0 in den zehn Testregionen zwischen 0,91 und 2,25 ha. Heute Alle 10 Luftbilder schwanken die Mittelwerte zwischen 2,92 und 13,10 ha. 3,0 1,0 Log10 (Häufigkeit) Die Zusammenlegung von Flächen erlaubt heutzutage einen intensiveren Maschineneinsatz. Sie reduziert aber auch den 0,0 2,0 Anteil der Ackerfläche, die in einem Landschaftsausschnitt 0 bis 2 2 bis 5 10 bis 15 15 bis 20 20 bis 25 > 25 5 bis 10 auf Ackerränder entfällt. Letztere sind für die Segetalflora und einige Ackervögel als Resthabitat von besonderer Bedeutung. 1,0 Schlaggröße [ha] Die Auswertungen in den zehn Testregionen ergaben, dass in den 1950er-/1960er-Jahren aufgrund der geringeren Schlag- größe im Mittel 8,5 Prozent der Ackerfläche auf Ackerränder 0,0 entfielen, wobei die Spanne zwischen 5,8 und 11,7 Prozent 0 bis 2 2 bis 5 10 bis 15 15 bis 20 20 bis 25 > 25 5 bis 10 lag. Nach floristischen Untersuchungen kann man annehmen, dass eine reichere Segetalflora aufgrund von Lichtmangel und Pestizideinsatz heute nur in einem etwa 2 m breiten feld früher heute Schlaggröße [ha] umlaufenden Randstreifen existieren kann.5 2013 hat sich dieser Anteil an Vorzugshabitaten im Schnitt auf 4 Prozent verringert – das entspricht der Hälfte der Fläche in den 1950er-/1960er-Jahren. Die Spanne reichte hierbei von 2,7 Abb. 8 Häufigkeitsverteilung der Schlaggröße (Log-Skala) in zehn ausgewählten Ackerbauregionen Niedersachsens und Sachsen-Anhalts nach Luftbildauswertungen für die 1950er-/1960er-Jahre (dunkelgrüne Balken) und heute (2013; hellgrüne Balken) (Messtischblattnummern an bis 5 Prozent (Abb. 10). Hinzu kommt, dass in den 1950er-/ der Abbildungsbasis; mittlere Verteilung für alle Flächen: rechts unten) 1960er-Jahren artenreiche Ackerwildkrautbestände auch im 5 van Elsen 1994 14 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.2 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Ackerland 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.2 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Ackerland 15
Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Seit den 1950er-/1960er-Jahren wächst der Einsatz von Verteilung des Einsatzes fehlen. Vor allem Kartoffeln, Raps Pestiziden deutlich. Das hat dazu geführt, dass heute die und Winterweizen werden intensiv gespritzt. 18 Ackerfläche Deutschlands flächendeckend vor allem mit früher 16 Herbiziden und Fungiziden in einer Dosis von etwa 5 bis 14 heute 10 kg ha-1 behandelt wird (Abb. 11).6 Allein im Zeitraum 1994 bis 2011 nahm der Verkauf von Pestiziden in Deutschland 6 Nentwig 2005 Schlaggröße [ha] 12 um rund 50 Prozent zu7, wobei präzise Zahlen zur regionalen 7 BVL 2012, BMELV 2012 10 8 6 4 2 50.000 0 Mittel alle 10 Flächen 45.000 3726 Hohenhameln 2929 Bad Bevensen 3036 Wittenberge 3033 Woltersdorf 3333 Költze Ost 2813 Edewecht 3024 Dorfmark 3623 Gehrden 40.000 2722 Elsdorf 3211 Holte 35.000 30.000 Verkauf in t 25.000 Abb. 9 Mittlere Schlaggröße der Felder in zehn ausgewählten Ackerbauregionen Niedersachsens und Sachsen-Anhalts in den 1950er-/1960er-Jahren (dunkelgrüne Balken) und heute (2013; hellgrüne Balken) nach Luftbildauswertungen (Messtischblattnummern an der Abbildungsbasis; Mittel aller 20.000 Flächen: rechte Balken) 15.000 10.000 5.000 Zunahme der Schlaggröße 0 2009 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2010 2011 12 100 Anteil potenzielle Ackerwildkrauthabitate[%] 10 Anteil Randfläche [%] 80 Herbizide Fungizide Insektizide und Acarizide 8 60 Inerte Gase Andere Gesamt 6 40 4 Abb. 11 Entwicklung der Menge der in Deutschland verkauften Pestizide seit 1994 (aus Jahn et al. 2013, BVL 2012 und BMELV 2012) 2 20 0 0 Mittel alle 10 Flächen Mittel alle 10 Flächen 3726 Hohenhameln 3726 Hohenhameln 2929 Bad Bevensen 2929 Bad Bevensen Der Einsatz von mineralischen P- und K-Düngern ist seit 1980 Kennzahlen bemessen: Im bundesweiten Mittel stieg der 3036 Wittenberge 3036 Wittenberge 3033 Woltersdorf 3033 Woltersdorf 3333 Költze Ost 3333 Költze Ost 2813 Edewecht 2813 Edewecht 3024 Dorfmark 3024 Dorfmark stark rückläufig und hat fast das Nachkriegsniveau erreicht. Winterweizenertrag seit den 1950er-/1960er-Jahren um fast 3623 Gehrden 3623 Gehrden 2722 Elsdorf 2722 Elsdorf Dagegen ist im Zuge der agrarischen Intensivierung der Ver- das 2,5-Fache an (von weniger als 30 auf ungefähr 71 dt ha-1). 3211 Holte 3211 Holte brauch von mineralischem N-Dünger im Acker- und Grünland Jener des Körnermaises nahm sogar um etwa das 3,5-Fache Schleswig-Holsteins um das Achtfache und in Niedersachsen (von unter 30 auf circa 100 dt ha-1) zu (Abb. 13).8 um das Vierfache angestiegen. Seit den 1980er-Jahren ist der N-Düngerverbrauch in Niedersachsen leicht rückläufig und früher früher (gesamte Fläche besiedelbar) beträgt heute circa 110 bis 120 kg N ha-1 a-1. In Schleswig- heute früher (2 m Randstreifen) Holstein nahm er hingegen noch bis in jüngste Zeit zu und erreichte hohe Werte um 200 kg N ha-1 a-1 (Abb. 12). Zu heute (2 m Randstreifen) berücksichtigen ist dabei, dass Festmist- und Gülledüngung in diesen Zahlen nicht enthalten sind. Deren Eintrag war auch Abb. 10 Für die Segetalflora wertvolle Habitate in der Ackerlandschaft Norddeutschlands in den 1950er-/1960er-Jahren (dunkelgrüne Balken) und heute schon vor 1980 relativ hoch. Er vergrößert die Nährstoffüber- (2013) (hellgrüne Balken; in Prozent der Fläche des Ackerlands); Ergebnis von Luftbildauswertungen in den zwei Zeitabschnitten in zehn aus schüsse der landwirtschaftlichen Nutzfläche zusätzlich. gewählten Ackerbauregionen Niedersachsens und Sachsen-Anhalts (Messtischblattnummern an der Abbildungsbasis; Mittel aller Flächen); berechnet wurde die Fläche eines 2 m breiten umlaufenden Feldrandes; für die 1950er-/1960er-Jahre wurde zusätzlich angenommen, dass auch das Feldinnere von der Ackerflora besiedelt war (blaue Balken) Die Intensivierung des Ackerbaus in Deutschland in den ver- gangenen 50 bis 60 Jahren lässt sich auch durch folgende 8 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 16 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.2 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Ackerland 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.2 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Ackerland 17
Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege 2.3 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Grünland Niedersachsen Schleswig-Holstein 300 300 Düngerlieferung (kg ha-1 a-1) Düngerlieferung (kg ha-1 a-1) 250 250 N Der Flächenverlust war für die Bestände der charakteristischen weniger intensiv genutzten, bis zu dreischürigen Wiesen. Ab 200 200 Grünlandpflanzen und Vögel folgenreich. Noch gravierender etwa 1970 wurden diese Nutzungsformen jedoch zunehmend 150 150 war allerdings, dass die Habitate des mittleren und feuchten in intensiv gedüngte Mähumtriebsweiden umgewandelt. N Grünlands durch Nutzungsintensivierung schleichend ent- Damit einher ging eine häufige und frühzeitige Mahd vor allem 100 100 wertet wurden. Vor allem die Erhöhung der Mahdfrequenz, für die Silagegewinnung, meist in Kombination mit intensiver K die Vorverlegung des ersten Mahdtermins und die Steigerung Beweidung. Auf Mähweiden entfielen 2010 rund 71, 63 und 50 K 50 P der mineralischen Düngung spielten dabei eine große Rolle 38 Prozent der Grünlandfläche in Niedersachsen, Sachsen- P 0 0 (Abb. 12). Noch in den 1950er-/1960er-Jahren bestand das Anhalt und Schleswig-Holstein (Abb. 14). Grünland fast ausschließlich aus Dauerweiden und mehr oder 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Jahr Jahr Sachsen-Anhalt 300 Niedersachsen Schleswig-Holstein Düngerlieferung (kg ha-1 a-1) 1,4 0,5 250 Gelieferte Reindüngermengen pro landwirtschaftliche Nutzfläche 1,2 Mähweiden Grünlandfläche [in Mio. ha] Grünlandfläche [in Mio. ha] 200 0,4 1,0 150 K Mähweiden N 0,3 0,8 Viehweiden 100 Viehweiden P 0,6 Abb. 12 0,2 50 Entwicklung des Mineraldüngerverbrauchs in der Landwirtschaft 0,4 Streuwiesen der drei Bundesländer seit 1950; aufgetragen sind die gelieferten Streuwiesen Reindüngermengen an N, P und K pro landwirtschaftliche Nutzfläche; 0,1 0 0,2 Wiesen Wiesen nicht enthalten sind die Ausbringung von organischem Dünger (Gülle 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 und Festmist), die zusätzliche Düngereinträge darstellen (nach Daten 0 0 der Statistischen Landesämter von Niedersachsen, Schleswig-Holstein Jahr und Sachsen-Anhalt) 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 Jahr Jahr Sachsen-Anhalt 0,25 120 Grünlandfläche [in Mio. ha] 0,20 Viehweiden 100 0,15 Mähweiden 0,10 80 0,05 Ertrag [dt/ha] Wiesen Abb. 14 60 0 Veränderung in der Gesamtfläche des Dauergrünlands (oberste Linie) 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 und Anteile verschiedener Grünland-Nutzungsformen seit 1950 in den drei Bundesländern (nach Daten der Statistischen Landesämter von Jahr Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt) 40 20 Historische und rezente Luftbilder sowie Vegetationskarten 38 Prozent durch Umwandlung in Intensivgrünland und von sechs Grünlandregionen in den Flussauen Norddeutsch- 19 Prozent durch Ackerumbruch verloren. 0 lands – von der Ems im Westen bis zur Havel im Osten – wurden flächenscharf ausgewertet. Daraus ergab sich ein 1 4 7 0 3 6 9 2 5 8 1 4 7 0 3 6 02 9 05 4 08 7 1 95 -5 -5 -6 -6 -6 -6 -7 -7 -7 -8 -8 -8 -9 -9 -9 9 20 200 20 200 01 Rückgang des ehemals verbreiteten artenreichen mesophilen 20 7- 52 55 58 61 64 67 70 73 76 79 82 85 88 91 94 -1 -2 9 - - 49 (mittelfeuchten) Grünlands um im Durchschnitt 84 Prozent 19 seit den 1950er-/1960er-Jahren. Im Feuchtgrünland reduzier- Winterweizen Sommerweizen Roggen Wintergerste ten sich die artenreichen Habitate um 85 Prozent.9 40 Prozent Sommergerste Hafer Körnermais Raps und Rübsamen der einstigen Fläche des mesophilen Grünlands wurden in Intensivgrünland überführt und 36 Prozent in Ackerland Abb. 13 Entwicklung der Erträge verschiedener Feldfrüchte in Deutschland seit 1950 (Statistisches Bundesamt) umgebrochen (Abb. 15). Von der vormaligen Feuchtgrünland- fläche gingen in den vergangenen fünf bis sechs Jahrzehnten 9 Krause et al. 2011 18 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.2 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Ackerland 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.3 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Grünland 19
Maisanbau und Biogasanlage – vielerorts das typische Bild der heutigen Agrarlandschaft Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege 3. V eränderungen in der Vegetation der nord- und mitteldeutschen Agrarlandschaft 3.1 Diversitätsveränderungen © Hermann Hötker 3.1.1 Diversitätsveränderungen im Ackerland Um die Veränderungen der Diversität der Gefäßpflanzen im Vergleiche der Stetigkeit der Arten in den Aufnahmen zeigen Ackerland zu untersuchen, wurden 392 Wiederholungs zudem, dass viele ehemals verbreitete Arten der Äcker heute aufnahmen in zehn Ackerbauregionen Nord- und Mittel- nur noch selten vorkommen. Einige Arten sind regional oder deutschlands herangezogen. Bei den Flächen handelte überregional sogar bereits ausgestorben. Viele von ihnen es sich um Sand-, Lehm- und Kalkäcker. Die Aufnahmen werden dennoch nicht einmal auf den Roten Listen der stammen aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen Bundesländer oder Deutschlands geführt. Insgesamt nahmen 100 % 100 % und Brandenburg. Ihre Auswertung ergab, dass der regio- in den zehn untersuchten Ackerbauregionen 42 charakteris- 90 % 90 % nale Artenpool (kumulative Gesamtzahl an Gefäßpflanzen tische Arten der Ackerwildkrautflora signifikant und meist stark 80 % 80 % auf den Untersuchungsflächen) von den 1950er-/1960er- ab. Heute sind sie sowohl im Feldinneren als auch an den 70 % 70 % Jahren bis 2009 von insgesamt 301 auf 233 Arten abnahm. Ackerrändern selten und zum Teil sogar ganz verschwunden. 60 % 60 % Das entspricht im Mittel einem Rückgang um 23 Prozent.10 Weitere neun Arten nahmen deutlich ab, sind allerdings an 50 % 50 % Gleichzeitig sank die mittlere Diversität (Artenzahl pro den Rändern noch relativ verbreitet. Weitere acht Arten sind 40 % 40 % Vegetationsaufnahme) im Feldinneren von 24 auf 7 Arten pro durch einen generellen Rückgang in der Stetigkeit gekenn- 30 % 30 % Fläche und damit im Schnitt um 71 Prozent. Besonders groß zeichnet, wenngleich sie noch relativ häufig (hohe Stetigkeit 20 % 20 % waren die Artenverluste in den artenreichen Kalkäckern und im Aufnahmematerial) vorkommen. Und 16 Arten zeigten im 10 % 10 % am geringsten in den Sandäckern.11 Auch in den Sandäckern Feldinneren starke Stetigkeitsverluste, sind jedoch heute an 0% 0% verschwanden jedoch viele charakteristische Arten und wur- den Rändern noch ähnlich verbreitet. Historisch 2008 Historisch 2008 den teilweise durch Generalisten ersetzt. An den weniger intensiv bewirtschafteten Ackerrändern waren die Verluste Grünland-feucht Grünland-meso. Grünland-intens. Stauden etc. weniger drastisch als im Feldinneren, aber immer noch 10 Meyer et al. 2013 schwerwiegend. 11 Meyer et al. 2013 Wald / Gebüsch Acker Gewässer Siedlung/Gärten Abb. 15 Landnutzungsänderungen im artenreichen mesophilen Grünland (links) bzw. Feuchtgrünland (rechts) in sechs Untersuchungsgebieten in Flussauen Norddeutschlands im Zeitraum 1950er-/1960er-Jahre (historisch) bis heute (2008) (Angaben in Prozent; Mittel aller Gebiete); von 100 ha artenreichem mesophilen Grünland verblieben im Mittel rund 5 Prozent, von 100 ha Feuchtgrünland etwa 13 Prozent; die anderen 3.1.2 Diversitätsveränderungen im Grünland Flächen w urden vor allem in Äcker und Intensivgrünland umgewandelt (nach Krause et al. 2011 und unveröff.) Zur Untersuchung der Diversitätsveränderungen der Gefäß- darunter Elymus repens, Lolium perenne, Phleum pratense, pflanzen im Grünland wurden Wiederholungsaufnahmen nach Rumex obtusifolius und Urtica dioica. Die Größe der Aufnahme 50 bis 60 Jahren in sechs Grünlandregionen in den norddeut- flächen variierte zwischen 16 und mehr als 40 m2. Pro Fläche schen Flussauen betrachtet. Sie lassen erkennen, dass 23 ging die Artenzahl im Mittel von 27 Arten in den 1950er-/ charakteristische Pflanzenarten des feuchten und mesophilen 1960er-Jahren auf 19 Arten im Jahr 2008 zurück. Das ent- Fazit Grünlands in ihrer Stetigkeit im Aufnahmematerial signifikant spricht einem Minus von 30 Prozent. Der regionale Artenpool um 16 bis 100 Prozent abnahmen. Als Kriterium wurde die im mesophilen und feuchten Grünland blieb mit jeweils rund signifikante Stetigkeitsreduktion in drei der fünf Gebiete heran 260 Arten früher und heute praktisch gleich. Allerdings fand Seit 1950 haben in der Agrarlandschaft Deutschlands Flächenanteil ein, verschwanden aber seither fast voll- gezogen. Bei den meisten Taxa handelte es sich um ehemals ein erheblicher Arten-Turnover statt: Eine Reihe von Arten – erhebliche strukturelle Veränderungen mit Auswirkungen ständig. Der Verbrauch von Pestiziden und Mineraldünger häufige Arten des mesophilen und feuchten Grünlands, die meist charakteristische Taxa des Grünlands – verschwand auf die Biodiversität stattgefunden. Der Grünlandanteil sowie der Ernteertrag pro ha stiegen deutlich an, während in der Regel nicht auf den Roten Listen der Länder oder aus den Untersuchungsgebieten und wurde durch andere ist vor allem in den vergangenen Jahren stark gesunken. die Vielfalt angebauter Kulturfrüchte sank. Der Ackerbau Deutschlands gelistet sind. Hierzu zählen zum Beispiel Silene Arten ersetzt. Diese stammen oft aus anderen Lebensräumen. Die Flächen artenreichen mesophilen Grünlands gingen in Deutschland wird derzeit durch Wintergetreide, Mais flos-cuculi, Angelica sylvestris, Anthoxanthum odoratum, in Norddeutschland um rund 84 Prozent, die des Feucht- und Raps dominiert. Aufgrund steigender Flurstückgrößen Centaurea jacea, Ranunculus acris und Cardamine pratensis grünlands um 85 Prozent zurück. Brachen nahmen vor halbierte sich die Ackerrandfläche seit 1950. Die von der (Tab. 2).12 Besonders starke Verluste traten bei insekten allem während der Phase der obligatorischen Flächen- Segetalflora besiedelbare Fläche reduzierte sich seit bestäubten Pflanzen auf. Sieben konkurrenzstarke, durch N stilllegung zwischen 1993 und 2007 einen beträchtlichen 1950/1960 um rund 95 Prozent. stark geförderte Graslandpflanzen nahmen signifikant zu, 12 Wesche et al. 2012 20 2. Entwicklungen in der Landwirtschaft in Deutschland I 2.3 Ökologisch relevante strukturelle Veränderungen im Grünland / Fazit 3. Veränderungen in der Vegetation der nord- und mitteldeutschen Agrarlandschaft I 3.1 Diversitätsveränderungen 21
Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege Naturschutz in der Agrarlandschaft am Scheideweg – Misserfolge, Erfolge, neue Wege 3.2 Geschätzte Populationsverluste von Pflanzen der Kulturlandschaft 3.3.2 Grünland seit den 1950er-/1960er-Jahren Artenreiches Grünland zu schützen ist nur möglich, wenn eine Im Feuchtgrünland und in den Trockenrasen gibt es in Im nächsten Schritt wurden die Daten zu den Flächenverlusten die Verluste aus Rückgängen in der Stetigkeit in den verblie- extensive späte Mahd oder extensive Beweidung mit geringer Deutschland eine Reihe von kleineren und größeren Schutz- der Zielhabitate (artenreiches mesophiles und feuchtes Grün- benen Habitaten.13 Für das Ackerland lassen sich ähnlich oder gar keiner Düngung beibehalten wird. Dabei ist neben- gebieten mit hohem Wert für den botanischen Naturschutz. land, extensiv genutzte Ackerfläche) in den letzten 50 bis 60 große Verluste erkennen, wenn man annimmt, dass die sächlich, ob es sich um feuchtes, mittleres oder trockenes Ihre Gesamtfläche und Vernetzung ist jedoch in vielen Regi- Jahren mit den Befunden zu den Häufigkeitsabnahmen Segetalgesellschaften vor 50 bis 60 Jahren auch große Teile Grünland handelt. Zahlreiche Beispiele aus der deutschen onen ungenügend. Noch ungünstiger ist die Schutzsituation (Stetigkeitsverlusten) im Aufnahmematerial der zehn bezie- des Feldinneren besiedelt hatten. Heute kommen sie in meist Naturschutzpraxis belegen, dass der Schutz von Flächen des beim mittleren (mesophilen) Grünland. Das liegt daran, dass hungsweise sechs Untersuchungsgebiete kombiniert. Auf verarmter Ausprägung – wenn überhaupt – nur noch an den Feuchtgrünlands und von Halb- und Volltrockenrasen in diese mittelfeuchten, meist fruchtbaren Böden in der Regel diese Weise lässt sich die Abnahme der Populationsgröße Ackerrändern vor. Diese nehmen im Mittel 4 Prozent der nord- floristischer Hinsicht erfolgreich sein kann. Wiederholungs- beackert werden. Hier gibt es in Norddeutschland nur noch charakteristischer Arten auf Landschaftsebene grob abschätzen. deutschen Ackerlandschaft ein. aufnahmen der Vegetation konnten belegen, dass die Diversität wenige Prozent des vor 50 Jahren vorhandenen artenreichen Für das mesophile und feuchte Grünland ergeben sich daraus erhalten und Populationen bedrohter charakteristischer Grün- Grünlands. Am ehesten gelang es, das mesophile Grünland wahrscheinliche Häufigkeitsverluste von 95 bis mehr als landarten ausdauern konnten. Ein eindrucksvolles Beispiel in ertragsschwachen Mittelgebirgsgegenden durch gut 99 Prozent. Hauptursache hierfür ist, dass die geeignete des erfolgreichen Feuchtwiesenschutzes in botanischer Hin- geplante und betreute Programme des Vertragsnaturschutzes Habitatfläche kleiner wurde. Zu einem kleineren Teil resultieren 13 Wesche et al. 2009 sicht ist die Untere Havelaue in Brandenburg. Sie steht seit wie in der Eifel zu erhalten.20 den 1960er-Jahren unter Naturschutz. Hier konnten die Bestände der meisten Zielarten erhalten werden (Tab. 2).18 Als zweites Beispiel aus Norddeutschland sei die erfolgreiche 3.3 Bisherige Schutzmaßnahmen – Bewertung aus botanischer Sicht Renaturierung großer Feuchtwiesenflächen im Ochsenmoor am Dümmer (Niedersachsen) genannt. Dort konnten sich dank 18 Burkart 1998, Wesche et al. 2012 3.3.1 Ackerland gut geplanter Wiedervernässung verbunden mit Aushagerung 19 Blüml et al. 2012; zur Praxis der Grünland-Renaturierung, die Populationen vieler stark gefährdeter Feuchtwiesenpflanzen s. Rosenthal & Hölzel 2009 erholen. Andere Arten wanderten zudem wieder ein (Tab. 3).19 20 Schumacher et al. 2013 In vielen mitteleuropäischen Regionen wurde in den vergan- Aufbau eines Netzes von dauerhaften Schutzäckern (Feld genen Jahrzehnten versucht, herbizidfreie Ackerrandstreifen flora-Reservate). Auf ihnen darf keine Mineraldüngung und zu schaffen. Dies glückte nur zum Teil. In diesen Randstreifen Pestizidbehandlung stattfinden, es muss flache Pflugfurchen, konnte eine beachtliche Vielfalt an Ackerwildkräutern erhalten winterliche Stoppel und eine angepasste Fruchtfolge geben. werden, indem die Düngung reduziert oder ganz unterlassen Wichtig ist dabei, die Schutzziele höher als die Ertragsziele wurde. Manchmal wurde auch die Saatdichte verringert.14 zu bewerten.17 Ein ermutigendes überregionales Schutz Diese durch Ausgleichszahlungen finanzierten Programme programm für die hochbedrohte Segetalflora ist das von der © S. Meyer haben vor allem in ertragsschwachen Regionen wie der Eifel Universität Göttingen in Zusammenarbeit mit regionalen auf Grenzertragsböden starke Populationen seltener Segetal Akteuren eingerichtete bundesweite Programm „100 Äcker pflanzen hervorgebracht. Auf ertragreichen Böden mit hohem für die Vielfalt“. Es konnte bis Herbst 2013 rund 110 floristisch Intensivierungsgrad ist der Erfolg dagegen unsicher, und der wertvolle Äcker mit einer Gesamtfläche von etwa 400 ha in notwendige wirtschaftliche Ausgleich zeigt sich schwierig. 13 Bundesländern langfristig vertraglich für den Biodiversitäts Hier fördern ungespritzte Randstreifen aufgrund vorhandener schutz sichern. Um vitale Populationen zu erhalten und ein Nährstoffüberschüsse oft die Massenentwicklung von Problem Mindestmaß an Genfluss zu gewährleisten, muss dieses pflanzen wie Galium aparine, Stellaria media, Cirsium arvense Schutzackersystem zu einem möglichst flächendeckenden und anderen Acker-Nitrophyten. Netzwerk in der Ackerlandschaft ausgebaut werden. Dauerhaften Erfolg hatten Ackerrandstreifen-Programme nur in wenigen Regionen. Das liegt daran, dass schnell wech- selnde politische Vorgaben oder gar der Wegfall der Förderung nicht die notwendige Kontinuität schaffen konnten, um die Segetalflora dauerhaft zu erhalten. Zu große Bürokratie und oft nicht ausreichende Kompensationszahlungen haben zudem mancherorts zu einem Desinteresse der Landwirte geführt.15 Der ökologische Landbau erhöht die Anzahl der Pflanzenarten auf Äckern meist deutlich im Vergleich zu konventionellen Äckern.16 Dennoch wird der Beitrag des Öko- landbaus für den Schutz seltener Segetalpflanzen meist als recht gering eingeschätzt. Ein Grund dafür ist, dass auch hier intensiv mit hoher Saatdichte gewirtschaftet werden muss. Somit finden die stark spezialisierten Zielarten des Natur 14 Schumacher 1984 schutzes keine geeigneten Lebensräume mehr. 15 Meyer et al. 2008 Um die Segetalflora und die sie besiedelnden Invertebraten 16 van Elsen 2000 (Wirbellose) dauerhaft zu schützen, empfiehlt sich daher der 17 Meyer et al. 2010 22 3. Veränderungen in der Vegetation der nord- und mitteldeutschen Agrarlandschaft I 3.2 Geschätzte Populationsverluste von Pflanzen der 3. Veränderungen in der Vegetation der nord- und mitteldeutschen Agrarlandschaft I 3.3 Bisherige Schutzmaßnahmen – Bewertung aus botanischer Sicht 23 Kulturlandschaft seit den 1950er-/1960er-Jahren / 3.3 Bisherige Schutzmaßnahmen – Bewertung aus botanischer Sicht Acker-Rittersporn, früher in unseren Äckern weit verbreitet
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