3 Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-Pandemie
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Swen Hutter, Simon Teune, Priska Daphi, Ana-Maria Nikolas, Charlotte Rößler-Prokhorenko, Moritz Sommer, Elias Steinhilper, Sabrina Zajak Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-Pandemie Eine Befragung von Vereinen und Initiativen # Roten Kasten an Titel und Untertitelgröße anpassen, Titelbild über grauen Kasten einfügen # 2021 3 ipb working paper ISSN 2747-5700
Autor:innen ipb working papers | Berlin, Juli 2021 Swen Hutter* Freie Universität Berlin & Wissenschaftszentrum ISSN (Print) 2699-2019 Berlin für Sozialforschung ISSN (Online) 2747-5700 swen.hutter@wzb.eu Simon Teune* Die ipb working papers werden vom Verein für Institute for Advanced Sustainability Studies Protest- und Bewegungsforschung e.V. heraus- Potsdam gegeben. Sie erscheinen in loser Folge. Der Ver- simon.teune@iass-potsdam.de ein ist Träger des gleichnamigen Instituts. Des- sen Aktivitäten sind unter http://protestinsti- Priska Daphi* tut.eu dokumentiert. Für die Redaktion der ipb- Universität Bielefeld working papers sind Jannis Grimm, Dieter Rucht priska.daphi@uni-bielefeld.de und Verena Stern verantwortlich. Ana-Maria Nikolas Deutsches Zentrum für Integrations- und Alle bisher erschienenen Texte aus der Reihe Migrationsforschung (DeZIM) sind online abrufbar unter: nikolas@dezim-institut.de https://protestinstitut.eu/ipb-working-papers/ Charlotte Rößler-Prokhorenko Freie Universität Berlin c.roessler-prokhorenko@fu-berlin.de Moritz Sommer* Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona- sommer@dezim-institut.de Pandemie von Swen Hutter, Simon Teune, Elias Steinhilper* Priska Daphi, Ana-Maria Nikolas, Charlotte Deutsches Zentrum für Integrations- und Rößler-Prokhorenko, Moritz Sommer, Elias Migrationsforschung (DeZIM) Steinhilper und Sabrina Zajak ist lizenziert unter steinhilper@dezim-institut.de einer Creative Commons Namensnennung In- ternational Lizenz (CC-BY 4.0). Sabrina Zajak* Deutsches Zentrum für Integrations- und Die Titelseite wurde unter Verwendung des Migrationsforschung (DeZIM) Fotos „Hieroglyphs of social distancing“ er- zajak@dezim-institut.de stellt., Das Foto von Visavis ist mit einer Creative Commons CC BY-NC-ND 2.0 Lizenz lizensiert und wurde bei Flickr bereitgestellt unter *Mitglieder des Instituts für Protest- und https://www.flickr.com/photos/visa- Bewegungsforschung (ipb) vis/51255791345/. Hutter, Swen; Teune, Simon; Daphi, Priska; Nikolas, Ana-Maria; Rößler-Prokhorenko, Charlotte; Som- mer, Moritz; Steinhilper, Elias; Zajak, Sabrina. 2021. Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-Pan- demie. Eine Befragung von Vereinen und Initiativen, ipb working paper series, 3/2021. Berlin: ipb.
Zusammenfassung Inhaltsverzeichnis Das Working Paper präsentiert Ergebnisse einer Überblick 2 Organisationsbefragung zur Auswirkung der COVID-19 Pandemie auf Vereine und Initiati- Einleitung 3 ven in Deutschland. Die Studie zeigt, dass die Zi- Studiendesign und Methodik 4 vilgesellschaft mit großer Wucht getroffen wurde. Viele Organisationen mussten ihre Akti- Zivilgesellschaft in der Krise 6 vitäten einschränken oder ganz einstellen. Den- Ein Schlag für die Zivilgesellschaft 6 noch zeigen die Ergebnisse ebenfalls, dass sich Wie stark wurde die Zivilgesellschaft bestimmte Organisationsformen besser anpas- ausgebremst? 8 sen und ihre Handlungsfähigkeit aufrechterhal- a) Deaktivierung 8 ten konnten. Dies könnte nachhaltige Auswir- b) Resilienz und Aktivierung 10 kungen auf die Struktur der post-pandemischen Kooperation und Netzwerke 12 Zivilgesellschaft in Deutschland haben. Digitalisierung 14 Wirtschaftliche Auswirkungen 16 Zusammenfassung und Ausblick 18 Entwicklungen im Überblick 19 Ausblick 21 Abstract Literaturverzeichnis 22 The working paper presents findings of an or- ganizational survey on the repercussions of the COVID-19 pandemic on associations and initia- taives in Germany. The study documents wide- spread and profound negative consequences for civil society organizations. Yet, the data also shows that certain organizational forms have been more likely to adapt and continue their ac- tivities. This could have lasting consequences for the structure of post-pandemic civil society in Germany.
Überblick Die Wucht der Krise hängt auch davon ab, wie Um die Lage zivilgesellschaftlicher Organisati- zivilgesellschaftliche Akteure organisiert sind. onen in der COVID-19 Pandemie zu erfassen, Rein ehrenamtlich organisierte Vereine sind führte das Forschungsprojekt „Solidarisches die am stärksten betroffene Organisations- Verhalten bei der Krisenbewältigung“ (SoZiv) form. Sie berichten eher von negativen Aus- zusammen mit dem Institut für Protest- und wirkungen, sie werden stärker ausgebremst Bewegungsforschung eine Online-Befragung und häufige mit den wirtschaftlichen Folgen von 1.066 eingetragenen Vereinen und infor- der Krise zu kämpfen als Vereine, die über mellen Initiativen in 55 Orten Deutschlands hauptamtliche Mitarbeiter:innen verfügen. durch. Damit liegt erstmals eine systematische Auch informelle Initiativen kommen besser Untersuchung der Situation der Zivilgesell- durch die Krise als die Gruppe der ehrenamt- schaft in der Corona-Krise vor, die auch infor- lich organisierten Vereine. Im Vergleich der melle Initiativen einbezieht. drei Gruppen gelingt es diesen losen Zusam- Die Corona-Krise hat die gesamte Zivilgesell- menschlüssen am besten, sich mit der digita- schaft schwer getroffen: es lassen sich nur we- len Neuausrichtung in der Pandemie zurecht- nige Unterschiede zwischen informellen und zufinden. formellen Organisationen, zwischen den ver- Der zentrale Einflussfaktor für die Krisenaus- schiedenen Themen- und Tätigkeitsfeldern, wirkungen ist das Tätigkeitsfeld. Die Kontakt- Stadt und Land, Ost und West finden. beschränkungen haben sich vor allem auf jene Fast drei Viertel der Organisationen berichten Organisationen ausgewirkt, die auf das Zu- von negativen Auswirkungen der Pandemie sammenkommen Vieler angewiesen sind, auf ihre Arbeit. Ebenso viele mussten ihre etwa in den Bereichen Sport und Freizeit, oder Haupttätigkeit im ersten Lockdown im Früh- deren Handlungsfeld sich nicht ohne Weiteres jahr 2020 einschränken oder ganz einstellen. in den digitalen Raum verlagern lässt. Das trifft Jede achte Organisation hatte ihre Haupttätig- auf verschiedene Tätigkeiten überwiegend in keit bis zum Zeitpunkt der Befragung im Win- den Bereichen Kultur und Freizeit aber auch ter 2020 noch nicht wieder aufgenommen. Protest sowie Bildung und Beratung zu. Knapp die Hälfte der Organisationen berichtet Kooperationen stärken die Resilienz zivilge- von negativen wirtschaftlichen Folgen. sellschaftlicher Organisationen. Für die Zu- Neben der starken Bremswirkung der Pande- sammenschlüsse, die vielfältige Netzwerke mie kam es wie in vielen Krisen zuvor auch in mit Partner:innen in unterschiedlichen Sekto- der Corona-Krise zu einer zivilgesellschaftli- ren haben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass chen Aktivierung. 40 Prozent der Organisatio- sie selbst in der Krise Unterstützung bekom- nen haben Krisenhilfe für Betroffene angebo- men. Anders herum fehlt gerade kleinen Initi- ten und fast jede fünfte Organisation im Be- ativen ohne Budget der Zugriff auf Unterstüt- reich der sozialen Unterstützung war im Som- zungsleistungen. Resilienz erweist sich also mer 2020 sogar aktiver als im Jahr 2019. auch als Ressourcenfrage. Die Betroffenheit durch die Krise hängt von Möglichkeiten der Digitalisierung ab. Organi- sationen, die in der Lage waren, ihre Arbeit schnell in digitale Formate zu überführen, schätzen die mit der Krise einhergehenden Einschränkungen als deutlich weniger stark ein.
Einleitung Begegnung und des persönlichen Austauschs wa- ren durch die Schutzmaßnahmen zur Eindäm- In gesellschaftlichen Krisen spielt die Zivilgesell- mung der Pandemie eingeschränkt. Räume, die schaft immer wieder eine zentrale Rolle. Sie fängt bis dahin Mittelpunkt gemeinsamer Aktivitäten Betroffene auf und leistet schnelle Hilfe, sie waren, konnten häufig nicht länger genutzt wer- schafft neue Perspektiven und Rückhalt in der Ge- den. Für viele Vereine kam der Betrieb zum Still- meinschaft, und sie gibt der Kritik an gesellschaft- stand und damit verbundene Einnahmequellen lichen Problemlagen Raum. In der europäischen fielen weg. Die Corona-Krise trifft die Zivilgesell- Finanzkrise organisierten zivilgesellschaftliche Zu- schaft im Mark, weil selbstorganisiertes Engage- sammenschlüsse angesichts einer zusammenbre- ment, das Nähe schafft und Zusammenhalt stif- chenden Daseinsversorgung in den besonders be- tet, vom direkten Kontakt lebt. Wir erwarten troffenen Ländern Europas medizinische Unter- aber, dass es innerhalb des Feldes der Zivilgesell- stützung und andere Nothilfen (Roose et al. 2018; schaft Unterschiede in der Betroffenheit gibt. Malamidis 2020). Im Sommer der Migration 2015, Denn in anderen Bereichen wurde deutlich, dass als Hunderttausende nach Deutschland flüchte- das Virus nicht alle Menschen gleich trifft, son- ten, hießen Vereine und spontane Initiativen die dern die verfügbaren Ressourcen und Unterstüt- neu Angekommenen willkommen und versorgten zungsnetzwerke eine wichtigen Einfluss haben. sie – teilweise als Lückenfüller für überforderte Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig Institutionen des Staates – mit dem Nötigsten zu verstehen, wie sich die COVID-19 Pandemie (Daphi 2017; Fleischmann/Steinhilper 2017; Le- und die politischen Maßnahmen zu deren Be- wicki et al. 2017; Schiffauer et al. 2017; kämpfung auf die Zivilgesellschaft in Deutschland Zajak/Gottschalk 2018). Gleichzeitig artikulierten auswirken. Um dieser Frage systematisch nachzu- zivilgesellschaftliche Organisationen während gehen, wurde von Forschenden aus dem Institut dieser Krisen auch Kritik und beeinflussten mit für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) im Mobilisierungen auf der Straße die politische Rahmen des von der Berlin University Alliance Agenda (della Porta 2015; Bremer et al. 2020). (BUA) geförderten Projekts „Potenziale der Zivil- Gesellschaftliche Krisen sind daher zugleich Be- gesellschaft: Solidarisches Verhalten in der Kri- währungsproben und Sternstunden der Zivilge- senbewältigung” eine Organisationsbefragung sellschaft. Dort wo sich Menschen zusammen- durchgeführt. Das Ziel war es, einen umfassenden schließen, können sie sich und anderen helfen mit Einblick in die Auswirkungen der Corona-Krise auf Herausforderungen umzugehen. Dies wurde auch die Zivilgesellschaft zu bekommen und zu klären, zu Beginn der COVID-19 Pandemie sichtbar. Als welche Bereiche besonders betroffen sind und sich abzeichnete, dass die Corona-Krise bereits wie trotz aller Einschränkungen Hilfe und Solida- existierende Ungleichheiten verstärken und viele rität, aber auch Protest und Widerspruch organi- Menschen in Existenznöte bringen würde, rea- siert werden konnten. gierten bestehende Organisationen unmittelbar und neue Initiativen wurden gegründet. Sie orga- Die Befragung zielte auf Organisationen, in de- nisierten Einkaufs- und Hausaufgabenhilfe, Ga- nen Engagement gebündelt und ermöglicht wird. benzäune für Wohnungslose oder Masken für Ge- Als das organisatorische Rückgrat der Zivilgesell- flüchtete in Sammelunterkünften (Fiedlschus- schaft schaffen die freiwilligen Zusammen- ter/Reichle 2020). schlüsse von Menschen Stabilität; sie sammeln Ressourcen – finanzielle Mittel, aber auch Wis- Im Gegensatz zur Finanzkrise und der Ankunft sen, Kontakte oder emotionalen Rückhalt. Unsere hunderttausender Schutzbedürftiger 2015 traf Befragung umfasste die organisierte Zivilgesell- die COVID-19 Pandemie aber auch die Zivilgesell- schaft in großer Breite. Vertreter:innen eingetra- schaft selbst. Zwar war seit dem Ausbruch der gener Vereine mit formalisierten Strukturen wur- Pandemie ein Anstieg des individuellen Engage- den dabei genauso befragt wie informell organi- ments zu beobachten (Borbath et al. 2021, sierte Initiativen. Koos/Bertogg 2020) und auch das Spendenauf- kommen stieg in der Krise (Deutscher Spendenrat In den Analysen nehmen wir vier Unterschei- 2021; ZiviZ 2021). Aber Möglichkeiten der dungsmerkmale zivilgesellschaftlicher Organisa-
tionen genauer in den Blick, um die Auswirkungen gebotenen Abstandsregeln noch einmal stärker der COVID-19 Pandemie zu differenzieren: herausgefordert als andere. Erstens betrachten wir den Einfluss der Orga- Viertens untersuchen wir, wie sich der räumli- nisationsform. Dafür unterscheiden wir zwischen che Kontext in denen Organisationen tätig sind, drei Gruppen: Vereine mit hauptamtlichen Mitar- darauf auswirkt, wie stark sie von der Krise be- beiter:innen, Vereine ohne hauptamtliche Mitar- troffen sind. Dafür vergleichen wir Organisatio- beiter:innen und informelle Initiativen und Bünd- nen in Ost- und Westdeutschland, die von den nisse, die nicht als Verein verfasst sind. Gerade ersten beiden Wellen der Pandemie unterschied- bei Letzteren sind unterschiedliche Auswirkun- lich stark betroffen waren und sich generell in der gen der Krise denkbar. Einerseits ließe sich ver- Struktur der Zivilgesellschaft unterscheiden. Dar- muten, dass informelle Initiativen und lose Zu- über hinaus vergleichen wir die Situation von in sammenschlüsse ohne festes Budget flexibler auf Großstädten aktiven Organisationen mit der von die Krise reagieren können und es ihnen schneller Organisationen, die in Kleinstädten oder im länd- gelingt, sich neuen Aufgaben und Arbeitsbedin- lichen Raum agieren. gungen anzupassen als formal organisierten Ver- Im Folgenden werden das Studiendesign und einen mit eingefahrenen Arbeitsroutinen. Ande- die methodische Herangehensweise der Organi- rerseits sind die Strukturen derartiger Initiativen sationsbefragung vorgestellt. Im Analyseteil neh- weniger gefestigt und somit möglicherweise an- men wir zunächst die allgemeine Krisenwahrneh- fälliger für ein krisenbedingtes Auseinanderbre- mung in den Blick, bevor wir Muster der Deakti- chen. Darüber hinaus dürfte auch der Grad der vierung und der Aktivierung in der Pandemie skiz- Professionalisierung eine Rolle spielen. Die indivi- zieren. Im Abschnitt zu Kooperationen zeigen wir, duellen Möglichkeiten sich zu engagieren wurden welchen Einfluss Netzwerke in der Krise haben. in der Pandemie stark eingeschränkt: durch Kon- Darauffolgend präsentieren wir Ergebnisse zur taktbeschränkungen, Schließungen der Schulen Rolle der Digitalisierung für die Wahrnehmung und Kitas und dem damit gestiegenen Betreu- und Bewältigung der Krise. Abschließend blicken ungsbedarf und auch dadurch, dass viele freiwillig wir auf die wirtschaftlichen Folgen für die Zivilge- Engagierte selbst zu Risikogruppen gehören. Da- sellschaft. Inwiefern sich einzelne Eigenschaften her ist zu erwarten, dass es den von hauptamtli- von zivilgesellschaftlichen Organisationen über chen Mitarbeitenden getragenen Vereinen bes- die verschiedenen Bereiche hinweg als für das ser gelingt durch die Krise zu kommen, als den Or- Ausmaß der Krise in der Pandemie bestimmend ganisationen, die ganz auf Ehrenamtliche ange- erweisen, klären wir im Schlussteil. wiesen sind. Zweitens untersuchen wir den Einfluss des Tä- tigkeitsfelds der befragten Organisationen. Die Studiendesign und Methodik pandemiebedingten Beschränkungen wirken sich ungleich auf die Arbeitsbereiche zivilgesellschaft- Befragungen zivilgesellschaftlicher Organisatio- licher Akteur:innen aus. Deshalb gehen wir davon nen sind mit zwei Problemen konfrontiert: einer aus, dass bestimmte Tätigkeiten, wie Interessen- nicht in allen Bereichen aktuellen und vollständi- vermittlung oder Öffentlichkeitsarbeit, auch im gen Information über die Grundgesamtheit for- digitalen Raum vergleichsweise gut organisiert malisierter Organisationen (Vereine, Genossen- werden können, während Freizeitaktivitäten, die schaften, Stiftungen und gemeinnützige Unter- Organisation von Veranstaltungen oder Ange- nehmen) und Schwierigkeiten bei der Erfassung bote für gesellige Aktivitäten von den Kontaktbe- von informellen Initiativen, die der Definition schränkungen deutlich stärker betroffen sind. nach nicht registriert und damit kaum flächende- Drittens vermuten wir, dass die Zielgruppe der ckend ansprechbar sind. Diese Probleme sind ein zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Rolle Grund dafür, dass Organisationen in der Zivilge- spielt. Organisationen, die mit Menschen aus Ri- sellschaft in Deutschland über lange Zeit hinweg sikogruppen und älteren Menschen zusammen- wenig erforscht blieben (Müller-Jentsch 2008). Es arbeiten, werden, so unsere Annahme, durch die liegen mittlerweile allerdings umfangreiche Be- funde aus schriftlichen Befragungen stärker
formalisierter Organisationen vor, die einen Aus der automatisierten Stichwortsuche resul- Überblick zur Lage der Zivilgesellschaft über un- tierte für alle ausgewählten Landeshauptstädte, terschiedliche Bereiche hinweg bieten (u.a. Zim- Großstädte und mittelgroße Städte eine Liste mit mer und Priller 2004, Krimmer et al. 2012, Priller 79.400 eingetragenen Vereinen, aus der eine Zu- et al. 2012, Priemer et al. 2017). fallsstichprobe von 15.000 Einträgen gezogen wurde. Für diese Stichprobe sowie alle 423 Verei- Die hier vorgestellte Onlinebefragung haben nen, die für die ausgewählten ländlichen Orte aus im November und Dezember 2020 1.066 zivilge- dem Handelsregister ermittelt werden konnten, sellschaftliche Organisationen vollständig beant- wurden im nächsten Schritt Kontaktdaten online wortet. Um ein bundesweites Bild zu erhalten, recherchiert. Hierbei musste zum einen überprüft wurden Zusammenschlüsse aus 55 Orten in allen werden, ob die Vereine noch existierten und in Bundesländern zur Beteiligung an der Befragung den Jahren 2019 und 2020 aktiv waren. Zum an- eingeladen. Neben den Stadtstaaten Berlin, Ham- deren wurden alle Vereine manuell nach Aktivi- burg und Bremen und den 13 Landeshauptstäd- tätsfeldern sortiert. Organisationen, die keinem ten, wurden für jedes Flächenland jeweils eine der oben aufgeführten Tätigkeitsfelder angehör- Großstadt, eine Mittelstadt und ein Ort im ländli- ten, jedoch trotz der automatisierten Vorauswahl chen Raum berücksichtigt, um verschiedene Sied- in die Trefferliste erschienen, wurden manuell lungstypen und stadt- oder landspezifische Un- entfernt. Schließlich wurden Vereine aussortiert, terschiede systematisch erfassen zu können. für die keine Emailadresse zur Kontaktaufnahme Die Befragung nimmt zwei Organisationstypen auffindbar war. Im Anschluss an diesen Selekti- besonders in den Fokus: Zum einen eingetragene ons- und Rechercheprozess verblieben 3.521 ak- Vereine mit formalisierten Strukturen (z.B. eine tive Vereine mit recherchierbarer Email-Adresse Satzung und gewählte Vertreter:innen) und zum in unserer Stichprobe. anderen informelle zivilgesellschaftliche Initiati- Für die Recherche der informellen Initiativen ven ohne Rechtsform. Insbesondere der Blick auf wurden in einer systematischen Onlinesuche für informelle Zusammenschlüsse erlaubt es, in der die 55 Orte insgesamt 852 Initiativen ermittelt. Corona-Krise spontan entstandene Initiativen zu Hierfür wurden mit den Begriffen „Bürgerinitia- berücksichtigen und mögliche Unterschiede in tive“, „Nachbarschaftshilfe“, „Coronahilfe“, „Pro- der Krisenbewältigung zwischen informellen und test“ und „Bündnis“ in Kombination mit dem formellen Organisationsstrukturen zu erkennen. Ortsnamen nach informellen Initiativen gesucht. Für die Stichprobenziehung wurde für jeden Or- Alle Organisationen, die 1) nicht als eingetragener ganisationstyp eine eigene Methode angewandt. Verein (e.V.) deklariert waren, 2) in den ausge- Die Stichprobe der Vereine baute auf einer Su- wählten 55 Orten angesiedelt, 3) in den Jahren che im Handelsregister auf, deren Ergebnisse mit 2019 oder 2020 aktiv waren und 4) einen E-Mail- Hilfe einer Liste von Suchbegriffen automatisiert Kontakt aufwiesen, wurden in die Liste aufge- durchsucht und gefiltert wurde. Die Einordnung nommen. Organisationen mit Rechtsform der zivilgesellschaftlichen Organisationen nach (gGmbHs, Stiftungen, Parteien bzw. oder Partei- Tätigkeitsfeldern folgte den Kategorien der Stu- jugendorganisationen) sowie Ortsgruppen oder die „Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ)“ (Priemer et Projekte größerer Vereine wurden ausgeschlos- al. 2017). Um die Breite der Zivilgesellschaft abzu- sen. So konnten insgesamt 641 informelle Initiati- bilden und gleichzeitig besonders jene Felder in ven für die weitere Kontaktaufnahme identifiziert den Fokus zu nehmen, bei denen die aktive Ein- werden. beziehung von Engagierten von zentraler Bedeu- Aus der finalen – 4.162 Vereine und Initiativen tung ist, wurden unter den Vereinen folgende Tä- umfassenden – Stichprobe konnten 3.850 Organi- tigkeitsfelder ausgewählt: Kultur/Medien, Sport, sationen per E-Mail kontaktiert werden. Vertre- Soziale Dienste, Bevölkerungs-/Katastrophen- ter:innen von insgesamt 1.066 Organisationen schutz, Umwelt-/Naturschutz, Internationale So- füllten den Online-Fragebogen vollständig aus. lidarität/Menschenrechte und Bürger-/Verbrau- cherinteressen.
Dies führte zu einer vergleichbar hohen Rücklauf- schule Köln 2021; Hoff et al. 2021). Diesen Befund quote von 27,7 Prozent.1 unterstreichen die Daten unserer Befragung ein- drücklich: Fast drei Viertel (72%) der Befragten Der Online-Fragebogen ist in fünf Abschnitte berichten von negativen oder sehr negativen Aus- gegliedert, mit Blöcken zur wirtschaftlichen Situ- wirkungen für ihre Organisation. Stichworte zu ation, zu den Tätigkeitsfeldern, zur Digitalisie- den prägenden Erfahrungen in der Krise, die zu rung, zur Kooperation und Unterstützung sowie Beginn des Fragebogens offen abgefragt wurden, abschließend zu Eigenschaften der Organisation. veranschaulichen diese Belastungen. Organisati- Für einen Teil der Fragen wurden die Organisati- onen fühlten sich „ausgebremst“ im Engagement, onsvertreter:innen zunächst zur Situation vor der das „von der Gemeinschaft lebt und für viele im COVID-19 Pandemie befragt. Anschließend wur- digitalen Bereich nicht erfahrbar war“. Andere den die Veränderungen in der ersten Phase der berichten vom „Vermissen des liebgewonnen und Einschränkungen von März bis Ende April 2020 bewährten sozialen Umgangs ohne Distanzen“, und in der zweiten Phase der Lockerung ab Mai von „Spannungen im Team aus Widerstand gegen 2020 bis zum Befragungszeitpunkt im November Veränderung“ oder „Rückgang von Spendengel- bzw. Anfang Dezember 2020 befragt. dern“. Sportvereine schreiben, dass ihr Vereinsle- ben infolge des Trainingsverbots „zum Erliegen“ gekommen sei. Eine Organisation aus dem Kultur- Zivilgesellschaft in der Krise bereich fragt sich „wie lange“ sie „eine Theater- gruppe ohne Theater“ sein könne. Ein Schlag für die Zivilgesellschaft Die quantitativen Daten bestätigen diese Ein- Mehrere empirische Studien dokumentieren die drücke und zeigen, dass die Pandemie breite Teile immensen Herausforderungen, die die COVID-19 der Zivilgesellschaft vor große Herausforderun- Pandemie für die Zivilgesellschaft in Deutschland gen stellte. Abbildung 1 zeigt den Anteil der be- darstellt (u.a. Krimmer et al. 2020; Schrader 2021; fragten Organisationen, die auf die Frage nach Van den Berg et al. 2020; Deutsche Sporthoch- der „Einschätzung der Auswirkungen auf ihre Abbildung 1: Negativ oder stark negativ betroffene Organisationen nach Themenfeld _____ 1 Zu der hohen Rücklaufquote haben vermutlich auch Melina Bonerz, Sarah Dröge, Giulia Gortanutti, Anna- bis zu vier Erinnerungen per E-Mail und teilweise per Christine Görg, Tim Henrichsen, Johanna Lauber, Ma- Telefon beigetragen.Wir bedanken uns herzlich bei rieluise Mühe, Charlotte Rößler-Prokhorenko, Ania unserem Recherche- und Kommunikationsteam: Spatzier und Noémi Unkel.
Organisation insgesamt” von negativen oder sehr negativen Eindrücken auch Begriffe wie „Kreativi- negativen Auswirkungen berichten, aufgefächert tät“, „Digitalisierung“, „Zusammenhalt“ oder nach Themenfeldern, in denen die Organisatio- „Umstellung“ sichtbar, die auf eine Anpassung an nen tätig sind. In allen Wirkungsfeldern geben die schwierigen Umstände hindeuten. über 60 Prozent der Vereine und Initiativen an, negativ oder sehr negativ betroffen zu sein. Dabei Abbildung 2: Wortwolke zu prägenden Erfahrungen während stellen Organisationen im Bereich „Soziales/Reli- der Corona-Krise, stark betroffene Organisationen gion“ (63%) deutlich seltener negative Auswir- kungen fest als Vereine und Initiativen im Bereich „Sport/ Freizeit“ (80%). Eine Erklärung für diese Unterschiede ist, dass Organisationen im Bereich Sport und Freizeit ihre Aktivitäten auf Grund der geltenden Kontaktbeschränkungen nahezu voll- ständig einstellen mussten, während Organisatio- nen im Bereich Soziales teilweise eine aktivere Rolle in der Bewältigung der Krise einnehmen konnten. Ein ähnliches Muster zeigt sich, wenn die be- fragten Organisationen nach ihrer Organisations- struktur unterschieden werden. Auch hier wird deutlich, dass alle drei von uns unterschiedenen Organisationstypen (Vereine mit und ohne Hauptmatliche sowie informelle Initiativen) die Wucht der Krise zu spüren bekamen. Am stärks- Abbildung 3: Wortwolke zu prägenden Erfahrungen während ten betroffen sind jedoch die rein ehrenamtlich der Corona-Krise, weniger stark betroffene Organisationen geführten Vereine. Von ihnen berichten 77 Pro- zent von negativen oder sehr negativen Auswir- kungen und damit deutlich mehr, als Vereine mit Hauptamtlichen (61%). Auch ein Blick auf die räumliche Umgebung, in denen die Vereine und Initiativen tätig sind, be- stätigt den zentralen Befund, dass die Zivilgesell- schaft in ihrer ganzen Breite von der Pandemie und der sie begleitenden Kontaktbeschränkun- gen getroffen wurde. So waren in kleineren Städ- ten (76%) ebenso wie in den großen Metropolen (71%) über zwei Drittel der Organisationen nega- tiv oder sehr negativ betroffen. Die COVID-19 Pandemie ist also eindeutig eine Krise für die organisierte Zivilgesellschaft in Ein Verein berichtet: „zuerst haben wir gedacht: Deutschland. Dass es jedoch durchaus qualitative wir können einpacken. Aber dann wurden auf- Unterschiede gibt, zeigt sich, wenn die Stichworte grund der veränderten Lebensbedingungen neue zu den prägenden Erfahrungen danach getrennt Ansätze entwickelt“; ein anderer beobachtet werden, ob die Organisationen sich als stark oder „eine Beschleunigung der Digitalisierung in der weniger stark betroffen beschrieben haben (ver- gesamten Organisation“. Abbildung 3 deutet da- gleiche Abbildungen 2 und 3). In Abbildung 2 ste- her daraufhin, dass in Teilen der Zivilgesellschaft chen Begriffe wie „Ausfall“, „Absage“, „Verlust“, eine Anpassung an die neue Situation stattfand oder „Angst“ ins Auge, die eine Deaktivierung des und einige Vereine berichten auch von positiven Engagements und kollektive Verunsicherung ver- Erlebnissen wie „großem Engagement in der deutlichen. In Abbildung 3 werden neben den
Nachbarschaftshilfe“ und „gemeinschaftsbilden- a) Deaktivierung den“ Erfahrungen. Um das Ausmaß von Deaktivierung und Stillstand In den folgeden Abschnitten gehen wir verieft zu erfassen wurden die Organisationen zunächst auf solche Unterschiede ein und klären, wie stark gefragt, in welchen Arbeitsfeldern sie vor der zivilgesellschaftliche Organisationen in ihren Tä- Corona-Krise2 hauptsächlich aktiv waren. An- tigkeiten ausgebremst wurden, wie sie mit den schließend interessierte uns, wie sehr sich ihre neuen Erfordernissen an digitales Arbeiten zu- Aktivität in der Phase der ersten starken Kontakt- rechtkamen und ob sie sich trotz aller Widrigkei- beschränkungen (etwa Ende März bis Ende April ten an der Bewältigung der Krise durch Nachbar- 2020) und danach im Zeitraum bis zur Befragung schaftshilfen und Ähnliches beteiligen konnten. im Winter 2020 verändert hat. Auf diese Weise konnten wir die Auswirkungen der Pandemie auf Wie stark wurde die Zivilgesellschaft das Haupttätigkeitsfeld rekonstruieren. ausgebremst? Abbildung 4 zeigt, wie erheblich die Zivilgesell- Die Auswirkungen der Corona-Krise lassen sich schaft ausgebremst wurde. Im Vergleich zum Jahr besonders gut an den Aktivitäten ablesen, die zi- vor der Krise waren 73 Prozent der Organisatio- vilgesellschaftliche Akteur:innen organisieren. Ei- nen in ihrem Haupttätigkeitsfeld während des nige Vereine und Initiativen waren nicht in der ersten Lockdowns weniger aktiv, 40 Prozent Lage ihre Aktivitäten fortzusetzen, während an- mussten ihre Aktivität zu diesem Zeitpunkt sogar dere sich anpassen und ihre Arbeit – meist in an- ganz einstellen. Nur neun Prozent der befragten derer Form – weiterführen konnten. In diesem Organisationen berichten, dass sie in diesem Zeit- Unterkapitel beschreiben wir zunächst die Brems- raum etwas aktiver waren als vor der Krise. Nach- wirkungen der Pandemie und beleuchten im An- haltig deaktiviert, also auch über den ersten Lock- schluss, welche Organisationen resilient waren down hinaus weniger aktiv als zuvor, waren im- und trotz der Widrigkeiten ihre Aktivitäten auf- mer noch rund 50 Prozent der Organisationen. rechterhalten oder sogar ausbauen konnten. Wie der untere graue Balken in Abbildung 4 zeigt, Abbildung 4: Einschränkungen des Aktivitätsniveaus im Haupttätigkeitsfeld nach Krisenphase _____ 2 Als Referenz dienten die Aktivitäten im Jahr 2019.
hatte jede zehnte Organisation ihre Hauptaktivi- Feld der sozialen Hilfe dennoch bemerkenswert. tät auch in den von der Pandemie vergleichsweise Abbildung 5 zeigt, dass auch im Zeitraum der Lo- weniger betroffenen Monaten Mai bis Oktober ckerungen zwischen Mai und Oktober 2020 mehr 2020 noch nicht wieder aufgenommen. als ein Drittel der Organisationen im Bereich „so- ziale Hilfe“ nur eingeschränkt agieren konnte. Wenig überraschend zeigen sich die stärksten Unterschiede der Deaktivierung, wenn die Fälle Dagegen lassen sich nur wenige Unterschiede nach dem Tätigkeitsfeld der Organisationen diffe- in der Bremswirkung der Krise nach räumlichem renziert werden (Abbildung 5). Kontakt- und Ver- Umfeld oder Organisationstyp feststellen. Die Zi- anstaltungsverbote haben sich am stärksten auf vilgesellschaft wurde überall in Deutschland – Ost jene Organisationen ausgewirkt, die auf den Aus- wie West, Stadt wie Land – gleich stark getroffen. tausch und das Zusammenkommen Vieler ange- Mit Blick auf die Organisationsform zeigt sich je- wiesen sind. Fast 90 Prozent der Organisationen doch, dass Vereine, die nicht auf Hauptamtliche die im Bereich Freizeit tätig sind, Veranstaltungen bauen konnten, im ersten Lockdown um etwa oder Proteste organisieren, mussten ihre Aktivi- zehn Prozent stärker betroffen waren und ihre täten zu Beginn der Krise einschränken, mehr als Aktivitäten einstellen mussten, als Vereine mit jede zweite musste sie ganz einstellen. Während Hauptamtlichen oder lose organisierte Initiati- ich alle Organisationen im Sommer 2020 relativ ven. Auch längerfristig, bis in den Zeitraum der erholen und ihrer Hauptaktivität – wenn auch ein- ersten Lockerungen im Sommer 2020, zeigt sich, geschränkt – nachgehen konnten, blieb zu diesem dass rein ehrenamtlich organisierte Vereine die Zeitpunkt fast jede vierte Organisation aus dem größten Probleme hatten ihre Hauptaktivitäten Feld der Veranstaltungsorganisation inaktiv. beizubehalten oder wieder aufzunehmen. Ähn- Durchweg am wenigsten eingeschränkt und de- lich stark wie Vereine ohne Hauptamtliche muss- aktiviert sind in beiden Zeiträumen Organisatio- ten Initiativen ihre Haupttätigkeit in beiden Zeit- nen mit den Haupttätigkeitsfeldern Öffentlich- räumen reduzieren, aber wesentlich seltener keitsarbeit (an erster Stelle) und sozialer Hilfe (an komplett einstellen. Zudem zeigt sich, dass Orga- zweiter Stelle). Angesichts des in der Corona- nisationen mit der Zielgruppe „Unterstützungs- Krise gestiegenen Bedarfs an Pflege, Betreuung und Pflegebedürftige“ in der ersten Phase der und ähnlichen Diensten, ist die Einschränkung im Krise ihre Aktivitäten seltener reduzierten. Abbildung 5: Einschränkungen des Aktivitätsniveaus nach Tätigkeitsfeld und Krisenphase
Gerade diese Organisationen haben in der ersten die Organisation von Demonstrationen und Kund- Phase der Krise ihre Tätigkeit trotz aller Widrig- gebungen sowie andere Veranstaltungen mit po- keiten aufrechterhalten, um die Herausforderun- litischem Hintergrund betrifft. gen der Pandemie zu stemmen. b) Resilienz und Aktivierung Eine Deaktivierung hat nicht nur im Haupttä- tigkeitsfeld der Organisationen stattgefunden, Obwohl die organisierte Zivilgesellschaft durch sondern auch mit Blick auf ihre politische Mobili- die COVID-19 Pandemie schwer getroffen wurde, sierung. Über 60 Prozent der befragten Organisa- kam es wie in früheren Krisen auch während der tionsvertreter:innen gaben an, sich im Vorkrisen- Corona-Krise zu einer Aktivierung. Trotz der jahr 2019 in mindestens einer der abgefragten schwierigen Rahmenbedingungen gaben rund 40 Beteiligungsformen – politische Informationsver- Prozent der befragten Organisationsvertreter:in- anstaltungen, Demonstrationen, Petitionen, Kon- nen an, von der Corona-Krise betroffenen Men- takt von Politiker:innen oder Offene Briefe – öf- schen Unterstützung angeboten zu haben. Wir fentlich eingemischt zu haben. Dabei wurde nicht nehmen im Folgenden exemplarisch zwei Berei- zwischen on- und offline-Formen unterschieden. che genauer in den Blick, um die Muster der Resi- Auch im Kontext ihrer politischen Aktivitäten lienz und Aktivierung zu untersuchen: den eher wurden die Befragten gebeten anzugeben, wie dienstleistungsorientierten Bereich der sozialen sich ihre politische Beteiligung in der Pandemie Unterstützung sowie den öffentlichkeitsorientier- im Vergleich zum Vorjahr entwickelt hat.3 Fast 70 ten Bereich der politischen Beteiligung. Prozent der im Jahr 2019 politisch aktiven Orga- Für die Analyse des Bereichs der sozialen Un- nisationen waren in der Pandemie in mindestens terstützung wurden die Antworten aller Organisa- einer Form der Beteiligung weniger oder gar nicht tionen zugrunde gelegt, die im Jahr vor der Krise mehr aktiv. Abbildung 6 zeigt, dass dies vor allem in den Tätigkeitsfeldern „Beratung und Abbildung 6: Einschränkung der politischen Mobilisierung _____ 3 Im Gegensatz zu anderen Aktivitäten wurden für die politischen Aktivitäten nicht zwei Phasen (erster Lock- down und Öffnungsphase) unterschieden.
Vermittlung“ und „soziale und finanzielle Hilfen“ Organisationen in dieser Gruppe aktiver waren, aktiv waren. Diese 555 Vereine und Initiativen liegt der Anteil bei den informellen Initiativen und wurden auf ihr Aktivitätsniveau in der Phase des bei den rein ehrenamtlich organisierten Vereinen ersten Lockdowns im März und April 2020 sowie mit jeweils rund 12 Prozent deutlich darunter. Zu während der ersten Lockerungen ab Mai 2020 un- diesem Eindruck zivilgesellschaftlicher Aktivie- tersucht. Wir nennen die gleichbleibend aktiven rung gehört auch, dass einige Organisationen, die Organisationen „resilient“ und jene, die im Ver- zuvor nicht im Bereich der sozialen Unterstützung gleich zu 2019 sogar aktiver wurden, „aktiviert“. aktiv waren, in der Krise eine entsprechende Tä- Abbildung 7 zeigt, dass während des Lockdowns tigkeit aufgenommen haben. Allerdings trifft das rund 12 Prozent der Organisationen im Bereich nur auf wenige Fälle zu (unter 40). soziale Unterstützung aktiver waren als im Vorkri- Um die zivilgesellschaftliche Aktivierung in der senjahr 2019; immerhin ein Viertel war gleich ak- Corona-Pandemie zu erfassen, haben wir zusätz- tiv. Dies unterstreicht erneut, dass die Zivilgesell- lich untersucht, wie viele Organisationen spezifi- schaft besonders in diesem Feld eine tragende sche Hilfe für von der Krise besonders betroffene Rolle einnahm und zumindest teilweise den Wid- Menschen angeboten haben. Insgesamt trifft das rigkeiten der Pandemie trotzen konnte. Im Zeit- auf knapp 40 Prozent der 1066 befragten Organi- raum der Lockerungen der Kontaktbeschränkun- sationen zu. Davon haben fast 25 Prozent ihre Tä- gen ist eine weitere Erholung und Aktivierung tigkeit angepasst oder erweitert, um Betroffene deutlich sichtbar. Fast jede fünfte Organisation im während der Pandemie zu unterstützen. Dies Bereich der sozialen Hilfe war im Sommer 2020 reichte von Angeboten wie „Beratung zu spezifi- sogar aktiver als im Jahr davor und weitere 42 schen Problemen in der Pandemiesituation Prozent der Organisationen konnten ihre Aktivi- (Homeschooling, Home-office, Freizeitgestal- tät wieder auf das Vorkrisenniveau heben. Insbe- tung)“, der „Erarbeitung von Hygienekonzepten“ sondere im Zeitraum der Lockerungen wird deut- oder „Beratungs- und Betreuungsangebote für lich, dass Vereine mit Hauptamtlichen am stärks- psychisch kranke Menschen, die unter der Isola- ten auf den gestiegenen Bedarf in der Krise rea- tion und Vereinsamung durch die Kontaktbe- gieren konnten: Während 26 Prozent der schränkungen in Krisen geraten sind“ über Abbildung 7: Aktivität im Bereich Soziale Unterstützung nach Krisenphase
digitale „VorLesaktionen“ bis hin zur „Finanzie- gewählt wurde, waren die meisten Organisatio- rung von Lernförderprojekten für Schulen, Gut- nen (55-65%) gleich aktiv oder aktiver in Forma- scheine für einsame Senioren [oder] Clown-Dok- ten, die auch online organisiert werden können: toren-Besuche im Seniorenheim“. Um den sozia- Petitionen, offene Briefe oder der direkte Kontakt len Kontakt mit den Zielgruppen nicht abbrechen zu Politiker:innen. zu lassen, ließen sich etliche Organisationen kre- Die politische Aktivierung zeigt sich aber nicht ative Lösungen einfallen, wie beispielsweise eine allein in der Intensivierung von bereits zuvor ge- Initiative im Bereich der Kinder- und Familien- nutzten Formen der politischen Beteiligung. Sie hilfe, die mit einem „Campingtisch vor die Woh- drückt sich auch in der Ausübung neuer Formen nung der Familie“ zog, um so durch das Fenster aus. Knapp einhundert der politisch aktiven Orga- die Hausaufgaben der Kinder betreuen zu kön- nisationen gaben an, ihr Repertoire politischer nen. Beteiligung während der Krise erweitert zu ha- Weitere 14 Prozent der befragten Organisati- ben, und zum Beispiel zum ersten Mal überhaupt onen haben pandemiebezogene Nachbarschafts- eine/n Politiker:in kontaktiert oder eine Petition hilfe organisiert, wie Einkaufshilfen für Ältere initiiert zu haben. Darunter sind auch 19 Organi- oder für Menschen in Quarantäne, Gassi gehen, sationen, die angaben 2019 noch in keiner der ab- Gabenzäune oder das zu Beginn der Pandemie gefragten Formen politisch aktiv gewesen zu sein. noch verbreitete Nähen von Mund-Nasen-Bede- In den offenen Angaben zu neuen Formen der po- ckungen („im 1. Lockdown haben wir zum Mas- litischen Beteiligung ist deutlich erkennbar, dass ken nähen aufgerufen und über 1.000 Commu- vor allem digitale Formen der politischen Einfluss- nity-Masken an Bedürftige verteilt.“). Zu den in nahme, der Information und des Protests gewählt der Nachbarschaftshilfe aktiven Akteur:innen ge- wurden, wie „Visueller Protest über Social Me- hören besonders Organisationen aus den The- dia“, „Beteiligung an Hinweisen auf Hashtags wie menbereichen Soziales und Gesundheit, aber #alarmstuferot“, „Live-Streaming“ von Protest- auch 18 Prozent der Sport- und Freizeitorganisa- veranstsaltungen und „Onlinekampagnen“. 4 tionen haben Dienste in der Nachbarschaft ange- boten. Kooperation und Netzwerke Ebenso wie im Bereich der sozialen Unterstüt- Zivilgesellschaftliche Organisationen sind selten zung zeigen sich neben der weit verbreiteten De- nur allein aktiv. Sie entfalten ihre Wirkung in Zu- aktivierung auch im Bereich der politischen Betei- sammenarbeit mit anderen, seien es andere zivil- ligung Aktivierungsprozesse in der Krise. Teile der gesellschaftliche Gruppen, oder Akteur:innen aus organisierten Zivilgesellschaft in Deutschland ha- einem anderen Sektor, aus der Wirtschaft (z.B. als ben Möglichkeiten gefunden und genutzt, ihr En- Sponsoren oder als Partner:innenbetriebe) oder gagement trotz der pandemiebedingten Ein- staatliche Akteur:innen (z.B. Schulen, Jugendäm- schränkungen aufrechtzuerhalten oder teilweise ter oder Ministerien). Unter zehn Prozent der be- sogar zu verstärken. Um die Aktivierung in diesem fragten Organisationen gaben an, vor der Corona- Bereich zu erfassen, haben wir für jede der fünf in Krise mit gar keinen anderen Akteur:innen enger Abbildung 5 dargestellten Aktionsformen unter- zusammengearbeitet zu haben. Etwa ein Viertel sucht, ob die Organisationen aktiver, gleich aktiv berichtete von Kooperationsbeziehungen mit Ak- oder weniger aktiv waren. Knapp 12 Prozent der teur:innen innerhalb der Zivilgesellschaft, mehr Organisationen, engagierten sich während der als ein Drittel von Zusammenarbeit mit Staat und Krise stärker politisch als noch im Vorkrisenjahr Zivilgesellschaft. Andere zivilgesellschaftliche Ak- 2019. Jede vierte Organisation war im Schnitt ge- teur:innen sind insgesamt für mehr als drei Vier- nauso aktiv wie im Vorjahr. Vergleicht man, wel- tel der Befragten (78%) ein wichtiger Teil ihres che Art der politischen Einmischung verstärkt Netzwerks. Der Staat spielt für 62 Prozent und _____ 4 Die Themen der politischen Einmischung wurden Corona-Maßnahmen hin, allerdings nicht auf die Or- nicht systematisch erfasst. Die Antworten auf offene ganisation von Protesten, die die Corona-Maßnah- Fragen deuten jedoch auf ein breites Spektrum an men der Bundesregierung insgesamt in Frage stellen. Themen und Kritik an spezifischen Auswirkungen der
wirtschaftliche Akteur:innen spielen für jede sich erneut, dass Vereine mit hauptamtlichen fünfte Organisation eine Rolle als Kooperations- Mitarbeiter:innen größere Kapazitäten haben partner:innen (20%). ihre Kooperationsbeziehungen auch in der Krise aufrecht zu erhalten oder sogar zu intensivieren. Dass diese Kooperationsbeziehungen in der Wenn man für die Frage, wie sich die Kooperati- Corona-Krise relevant wurden, zeigt sich beim Zu- onsbeziehungen seit der Krise verändert haben, gang zu Unterstützung von außen. Auf die Frage, die Antwortkategorien „gleich” und „stärker” zu- ob sie in der Krise Unterstützung durch andere sammenzieht, sind sie es, die hier den größten Organisationen aus Staat, Wirtschaft oder Zivilge- Anteil haben (s. Tabelle 1). sellschaft erhalten haben, antwortet etwas über ein Drittel mit ja (37%). Unter den Organisationen Anders herum zeigt sich für kleine Organisati- ohne Kooperationsbeziehungen lag der Anteil nur onen ohne Budget, dass sie in der Krise ungleich bei 12 Prozent, unter den Organisationen mit Ver- stärker herausgefordert sind, weil ihnen der Zu- bindungen in alle drei Sektoren – Zivilgesellschaft, gang zu Unterstützung fehlt. Resilienz erweist Staat und Wirtschaft – bei über 50 Prozent. Je sich in der Corona-Krise also auch als eine Res- stärker zivilgesellschaftliche Organisationen über sourcenfrage. verschiedene Bereiche hinweg vernetzt sind, Auf die offene Frage, welche Art der Unter- desto eher werden sie in der Notsituation der stützung in der Krise hilfreich gewesen wäre und Corona-Krise unterstützt. von wem diese Unterstützung hätte kommen Kooperationspartner:innen sind also potenzi- können, formulieren viele Organisationen sehr ell auch Unterstützer in der Not. Allerdings konkrete Anliegen. Dabei geht es um technische scheint die An- oder Abwesenheit von Kooperati- und finanzielle Unterstützung (z.B. einmalige onspartner:innen nicht die Wahrnehmung der ei- niedrigschwellige Zuschüsse) für digitale Formate genen Situation in der Krise zu bestimmen. Zwi- oder rechtssichere Wahlen, die entweder von schen den Gruppen zeigen sich keine signifikan- staatlichen Stellen oder von versierten jüngeren ten Unterschiede in der wahrgenommenen Be- Ehrenamtlichen kommen könnten. Kultur- und troffenheit durch die Krise. Allerdings fühlen sich Sportvereine benennen häufiger ein Ende der Be- die Organisationen, die Hilfe in Anspruch genom- schränkungen als die einzige hilfreiche Maß- men haben, auch eher von Corona betroffen. In- nahme. Daneben wären für sie von Kirchen oder sofern kann das Fehlen von Kooperationsbezie- Unternehmen bereitgestellte Ersatzräume hilf- hungen auch darauf verweisen, dass diese Orga- reich gewesen, in denen auch unter (gelockerten) nisationen ihre Tätigkeit auch ohne die Vernet- Hygienebedingungen Aktivitäten hätten stattfin- zung mit anderen durchführen können. den können. Von diesen Organisationen wird auch Planungssicherheit eingefordert, um ein an- Wie in den vorangegangenen Abschnitte ist gepasstes Angebot bei reduzierten Maßnahmen auch bei der Frage nach Netzwerken und Unter- vorbereiten zu können. Klare Richtlinien, unter stützung die zentrale Erkenntnis, dass die Erfah- welchen Bedingungen Aktivitäten möglich sind, rungen über die verschiedenen Organisationen werden ebenfalls häufiger als Bedarf genannt. In hinweg relativ gleich verteilt sind. Allerdings zeigt Tabelle 1: Anteil der Organisationen mit stärkeren oder gleichbleibenden Kooperationsbeziehungen in der Corona-Krise; in Prozent Verein ohne Verein mit Initiativen Hauptamtliche Hauptamtlichen mit kommunalen Akteuren 52,8 46,8 62,5 mit staatlichen Akteuren 53,8 47,0 74,2 mit Unternehmen 50,0 39,1 50,5 mit anderen Organisationen 53,8 50,0 72,2
verschiedenen Bereichen werden finanzielle Hil- finanzielle Ressourcen für den Ausbau digitaler fen als zentral eingeschätzt: flexible Förderung, Arbeitsformate dar (40% Zustimmung). Darüber Ausgleichszahlungen nach dem Ausfall von Ver- hinaus berichten fast 40 Prozent der Befragten, anstaltungen oder Mietminderungen nach dem dass durch die Verlagerung von Aktivitäten ins Di- Wegfall der wichtigsten Einnahmequellen. Es gibt gitale bestimmte Zielgruppen nicht länger er- aber auch den Bedarf für externe Angebote zur reichbar sind. Insgesamt melden nur rund 17 Pro- Revitalisierung des Ehrenamtes nach dem Knick zent der Befragten keinerlei oder sehr große der Coronakurve. Für einige Vereine zeigt die Problemen in einem der genannten Bereiche. Corona-Krise jedoch auch deutlich auf, dass es Plastischer werden die Herausforderungen leichter gewesen wäre, Leistungen aufrecht zu er- des Digitalisierungsschubs in den Antworten auf halten, wenn staatliche Unterstützung um die sie eine zusätzliche, offene Frage. Neben den er- schon lange kämpfen (z.B. Regelfinanzierung von wähnten Problemen nennen die Befragten die Stellen oder beantragte Mittel für Materialien) fehlende Möglichkeit bestimmte Tätigkeiten – gewährt worden wäre oder die Zusammenarbeit wie zum Beispiel musische Aktivitäten – in den di- mit staatlichen Akteur:innen in der Krise besser gitalen Raum zu verlegen, den hohen Organisati- gelaufen wäre. onsaufwand und das Überangebot digitaler For- mate („Man macht so viel digital, dass man dann Digitalisierung im Ehrenamt müde davon ist und ein weiteres Im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung der Online-Meeting scheut bzw. als zu anstrengend Corona-Pandemie hat sich der Alltag vieler Men- empfindet“). Dazu kommen Unsicherheiten im schen in Deutschland grundlegend gewandelt Umgang mit dem Datenschutz, ein Mangel an und in den digitalen Raum verschoben. Erwerbs- Verbindlichkeit und ein geringes Angebot an Wei- tätige arbeiten im Homeoffice, Schüler:innen ler- terbildungsangeboten zu digitalen Themen. Ins- nen im Homeschooling und Familien und besondere Organisationen im sozialen Bereich Freunde:innenkreise treffen sich in Videokonfe- sehen das Fehlen persönlicher Kontakte als zent- renzen. Dieser Digitalisierungsschub hat auch die rales Problem für die gemeinsame Arbeit und den Zivilgesellschaft verändert. Wie in den Bereichen Zusammenhalt von Mitgliedern und Engagierten: Arbeit und Bildung sind Herausforderungen, „Durch die Digitalisierung rückt ein entscheiden- Probleme und positive Auswirkungen der digita- der Aspekt unserer Arbeit, nämlich die Vernet- len Transformation ungleich verteilt. zung unseres Umfeldes in den Hintergrund. Digi- tal kann man die persönlichen Kontakte nicht an- Insgesamt berichten 45 Prozent der befragten nähernd ersetzen.“ Eine Organisation im Bereich Organisationen von einem starken oder sehr star- Kultur und Freizeitgestaltung bringt es so auf den ken Digitalisierungsschub5 in ihrer Arbeit wäh- Punkt: „Uns fehlt die Fantasie, uns vorzustellen rend der Pandemie. Rund ein Drittel verzeichnet wie unser Angebot: z.B. Konzerte, Töpferkurse, keine oder nur wenig entsprechende Verände- Kindertheater sinnvoll ins Digitale übertragen rungen. Gleichzeitig sind mit der digitalen Neu- werden sollen. Unsere Arbeit lebt davon, Men- ausrichtung in der Pandemie erhebliche Heraus- schen zusammen zu bringen“. forderungen verbunden. Fast die Hälfte der be- fragten Vereine und Initiativen stimme der Aus- Die Relevanz von Digitalisierungsfragen in der sage ‚eher‘ oder ‚voll und ganz‘ zu, dass es ihrer Pandemie wird besonders deutlich, wenn diese Organisation an digitaler Infrastruktur fehle. Ein zusammen mit der Wahrnehmung der allgemei- größeres Problem als die unzureichende öffentli- nen Krisenbetroffenheit betrachtet werden. Or- che Infrastruktur für das digitale Arbeiten (22% ganisationen mit einem starken Digitalisierungs- Zustimmung) oder fehlendes Know-How der Mit- schub empfinden die mit der Krise einhergehen- arbeitenden (25% Zustimmung) stellen fehlende den Einschränkungen als deutlich weniger stark. _____ 5 Im Wortlaut: „Bitte geben Sie an, inwieweit Sie den folgenden Aussagen zustimmen... Die Corona-Krise hat zu einer starken Digitalisierung unserer Arbeit ge- führt.”
Tabelle 2: Probleme bei der Digitalisierung und wahrgenommene Krisenbetroffenheit; in Prozent Wahrgenommene Krisenbetroffenheit Gering Stark Sehr stark 20,2 79,8 Probleme bei der Digitalisierung Gering/Mittel 39,4 60,6 Rund 64 Prozent der Organisationen mit ausge- zurechtkommen. Hier ist der Abstand zwischen prägtem Digitalisierungsschub erklären sich als den Gruppen mit etwas weniger als 20 Prozent- stark von der Krise betroffen gegenüber knapp 78 punkten beträchtlich: Die Organisationen, denen Prozent der Organisationen mit weniger ausge- die Digitalisierung Probleme bereitet, nehmen prägter Digitalisierung, denen dieser Handlungs- die Krise insgesamt als bedrohlicher wahr. spielraum in der Krise fehlt. Die mit der pandemiebedingten Digitalisie- Spiegelbildlich dazu zeigt sich ein Zusammen- rung verbundenen Chancen und Probleme sind hang von Problemen bei der Digitalisierung und auch in der organisierten Zivilgesellschaft un- der wahrgenommenen Krisenbetroffenheit (Ta- gleich verteilt. So berichten Vereine mit haupt- belle 2). Die Organisationen der Zivilgesellschaft, amtlichen Mitarbeitenden häufiger von einem Di- die in mindestens einem der genannten Felder gitalisierungsschub und etwas seltener von Prob- „Know-How“, „digitale Infrastruktur“, „Zielgrup- lemen bei der Digitalisierung als Vereine ohne penerreichung“ oder „Ressourcen“ von sehr gro- Hauptamtliche. Am besten scheinen sich aber in- ßen Problemen berichten, sehen sich deutlich formelle Initiativen dem neuen digitalen Pande- stärker betroffen als Organisationen, die besser miealltag anzupassen (Abbildung 8). Diese haben mit der digitalen Neuausrichtung ihrer Arbeit ihre Arbeit in der Krise am stärksten digitalisiert Abbildung 8: Digitalisierungsschub / Digitalisierungsprobleme und Organisationsstruktur
Abbildung 9: Digitalisierungsschub / Digitalisierungsprobleme und Zielgruppen (53% Zustimmung) und sie treffen dabei gleich- Analysen, vor allem für das Haupttätigkeitsfeld. zeitig weniger häufig auf Probleme als die beiden Den größten Digitalisierungsschub erfahren dem- Referenzgruppen (49% Zustimmung). nach Organisationen im Bereich Beratung und Vermittlung (59%) und jene Akteur:innen der Zi- Darüber hinaus spielt die Zielgruppe der Orga- vilgesellschaft, die Protestveranstaltungen orga- nisationen insbesondere für die Probleme der Di- nisieren (64%). Hier zeigt sich das bereits oben gitalisierung eine wesentliche Rolle. Vereine und skizzierte Muster: Viele in diesem Bereich tätige Initiativen, die mit sozial benachteiligten Grup- Organisationen begegneten der Herausforderung pen, Menschen mit Migrationsgeschichte, Hilfe- eingeschränkter Möglichkeiten zur Versamm- und Pflegebedürftigen oder Älteren arbeiten, die lung, indem sie neue Formate des digitalen Pro- schwerer durch digitale Formate zu erreichen tests und der politischen Online-Beteiligung für sind, berichten häufiger von Digitalisierungsprob- sich entdeckten. Dem gegenüber stehen Organia- lemen als Organisationen mit anderen oder un- tionen mit den Haupttätigkeitsfeldern Freizeitge- spezifischen Zielgruppen (Abbildung 9). Die Un- staltung und Veranstaltungen, die ihre Arbeit terschiede für den Digitalisierungsschub sind ge- deutlich weniger stark digitalisieren konnten ringer. Aber das Beispiel der Organisationen, die (38% bzw. 41%) und gleichzeitig stärker als an- mit Menschen mit Migrationsgeschichte zusam- dere Organisationen von Digitalisierungsproble- menarbeiten, zeigt, dass sich ein starker Digitali- men berichten (63% bzw. 59%). sierungsschub und häufig auftretende Probleme bei der Digitalisierung keineswegs ausschließen. Wirtschaftliche Auswirkungen Das Alter der Organisationen – und, so die Ver- mutung, das damit tendenziell einhergehende Al- Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind ter der Mitarbeitenden – scheint ebenso Teil der massiv. Laut statistischem Bundesamt ging das Erklärung für Unterschiede bei Problemen mit der Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im Ver- Digitalisierung zu sein. Junge Organisationen, die gleich zum Vorjahr um knapp fünf Prozent zurück. nach 2010 gegründet wurden, berichten deutlich Die deutsche Wirtschaft geriet 2020 zum ersten seltener von Problemen (25%), als bereits vor die- Mal seit der Finanzkrise vor über zehn Jahren in sem Zeitpunkt existierende Organisationen eine Rezession (Statistisches Bundesamt 2021). (33%). Signifikante Zusammenhänge zeigen sich Aber nicht nur Bereiche wie die Veranstaltungs- darüber hinaus, wie in den vorangehenden branche, die Gastronomie oder der Reiseverkehr
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