3 Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-Pandemie

 
WEITER LESEN
3 Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-Pandemie
Swen Hutter, Simon Teune, Priska Daphi, Ana-Maria Nikolas,
           Charlotte Rößler-Prokhorenko, Moritz Sommer, Elias Steinhilper,
           Sabrina Zajak

           Deutschlands Zivilgesellschaft
           in der Corona-Pandemie
           Eine Befragung von Vereinen und Initiativen

# Roten Kasten an Titel und Untertitelgröße anpassen, Titelbild über grauen Kasten einfügen #

                                                                                         2021
                                                                               3         ipb working paper
                                                                                         ISSN 2747-5700
3 Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-Pandemie
Autor:innen

ipb working papers | Berlin, Juli 2021                 Swen Hutter*
                                                       Freie Universität Berlin & Wissenschaftszentrum
ISSN (Print) 2699-2019                                 Berlin für Sozialforschung
ISSN (Online) 2747-5700                                swen.hutter@wzb.eu
                                                       Simon Teune*
Die ipb working papers werden vom Verein für           Institute for Advanced Sustainability Studies
Protest- und Bewegungsforschung e.V. heraus-           Potsdam
gegeben. Sie erscheinen in loser Folge. Der Ver-       simon.teune@iass-potsdam.de
ein ist Träger des gleichnamigen Instituts. Des-
sen Aktivitäten sind unter http://protestinsti-        Priska Daphi*
tut.eu dokumentiert. Für die Redaktion der ipb-        Universität Bielefeld
working papers sind Jannis Grimm, Dieter Rucht         priska.daphi@uni-bielefeld.de
und Verena Stern verantwortlich.                       Ana-Maria Nikolas
                                                       Deutsches Zentrum für Integrations- und
Alle bisher erschienenen Texte aus der Reihe           Migrationsforschung (DeZIM)
sind online abrufbar unter:                            nikolas@dezim-institut.de

https://protestinstitut.eu/ipb-working-papers/         Charlotte Rößler-Prokhorenko
                                                       Freie Universität Berlin
                                                       c.roessler-prokhorenko@fu-berlin.de
                                                       Moritz Sommer*
                                                       Deutsches Zentrum für Integrations- und
                                                       Migrationsforschung (DeZIM)
Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-          sommer@dezim-institut.de
Pandemie von Swen Hutter, Simon Teune,
                                                       Elias Steinhilper*
Priska Daphi, Ana-Maria Nikolas, Charlotte
                                                       Deutsches Zentrum für Integrations- und
Rößler-Prokhorenko, Moritz Sommer, Elias
                                                       Migrationsforschung (DeZIM)
Steinhilper und Sabrina Zajak ist lizenziert unter
                                                       steinhilper@dezim-institut.de
einer Creative Commons Namensnennung In-
ternational Lizenz (CC-BY 4.0).                        Sabrina Zajak*
                                                       Deutsches Zentrum für Integrations- und
Die Titelseite wurde unter Verwendung des              Migrationsforschung (DeZIM)
Fotos „Hieroglyphs of social distancing“ er-           zajak@dezim-institut.de
stellt., Das Foto von Visavis ist mit einer Creative
Commons CC BY-NC-ND 2.0 Lizenz lizensiert und
wurde bei Flickr bereitgestellt unter                  *Mitglieder des Instituts für Protest- und
https://www.flickr.com/photos/visa-                    Bewegungsforschung (ipb)
vis/51255791345/.

Hutter, Swen; Teune, Simon; Daphi, Priska; Nikolas, Ana-Maria; Rößler-Prokhorenko, Charlotte; Som-
mer, Moritz; Steinhilper, Elias; Zajak, Sabrina. 2021. Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-Pan-
demie. Eine Befragung von Vereinen und Initiativen, ipb working paper series, 3/2021. Berlin: ipb.
3 Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-Pandemie
Zusammenfassung                                       Inhaltsverzeichnis

Das Working Paper präsentiert Ergebnisse einer        Überblick                                2
Organisationsbefragung zur Auswirkung der
COVID-19 Pandemie auf Vereine und Initiati-           Einleitung                               3
ven in Deutschland. Die Studie zeigt, dass die Zi-    Studiendesign und Methodik               4
vilgesellschaft mit großer Wucht getroffen
wurde. Viele Organisationen mussten ihre Akti-        Zivilgesellschaft in der Krise           6
vitäten einschränken oder ganz einstellen. Den-       Ein Schlag für die Zivilgesellschaft     6
noch zeigen die Ergebnisse ebenfalls, dass sich       Wie stark wurde die Zivilgesellschaft
bestimmte Organisationsformen besser anpas-           ausgebremst?                             8
sen und ihre Handlungsfähigkeit aufrechterhal-        a) Deaktivierung                         8
ten konnten. Dies könnte nachhaltige Auswir-          b) Resilienz und Aktivierung            10
kungen auf die Struktur der post-pandemischen         Kooperation und Netzwerke               12
Zivilgesellschaft in Deutschland haben.               Digitalisierung                         14
                                                      Wirtschaftliche Auswirkungen            16
                                                      Zusammenfassung und Ausblick            18
                                                      Entwicklungen im Überblick              19
                                                      Ausblick                                21
Abstract
                                                      Literaturverzeichnis                    22

The working paper presents findings of an or-
ganizational survey on the repercussions of the
COVID-19 pandemic on associations and initia-
taives in Germany. The study documents wide-
spread and profound negative consequences
for civil society organizations. Yet, the data also
shows that certain organizational forms have
been more likely to adapt and continue their ac-
tivities. This could have lasting consequences
for the structure of post-pandemic civil society
in Germany.
3 Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-Pandemie
Überblick
                                                         Die Wucht der Krise hängt auch davon ab, wie
   Um die Lage zivilgesellschaftlicher Organisati-       zivilgesellschaftliche Akteure organisiert sind.
    onen in der COVID-19 Pandemie zu erfassen,            Rein ehrenamtlich organisierte Vereine sind
    führte das Forschungsprojekt „Solidarisches           die am stärksten betroffene Organisations-
    Verhalten bei der Krisenbewältigung“ (SoZiv)          form. Sie berichten eher von negativen Aus-
    zusammen mit dem Institut für Protest- und            wirkungen, sie werden stärker ausgebremst
    Bewegungsforschung eine Online-Befragung              und häufige mit den wirtschaftlichen Folgen
    von 1.066 eingetragenen Vereinen und infor-           der Krise zu kämpfen als Vereine, die über
    mellen Initiativen in 55 Orten Deutschlands           hauptamtliche Mitarbeiter:innen verfügen.
    durch. Damit liegt erstmals eine systematische        Auch informelle Initiativen kommen besser
    Untersuchung der Situation der Zivilgesell-           durch die Krise als die Gruppe der ehrenamt-
    schaft in der Corona-Krise vor, die auch infor-       lich organisierten Vereine. Im Vergleich der
    melle Initiativen einbezieht.                         drei Gruppen gelingt es diesen losen Zusam-
   Die Corona-Krise hat die gesamte Zivilgesell-         menschlüssen am besten, sich mit der digita-
    schaft schwer getroffen: es lassen sich nur we-       len Neuausrichtung in der Pandemie zurecht-
    nige Unterschiede zwischen informellen und            zufinden.
    formellen Organisationen, zwischen den ver-          Der zentrale Einflussfaktor für die Krisenaus-
    schiedenen Themen- und Tätigkeitsfeldern,             wirkungen ist das Tätigkeitsfeld. Die Kontakt-
    Stadt und Land, Ost und West finden.                  beschränkungen haben sich vor allem auf jene
   Fast drei Viertel der Organisationen berichten        Organisationen ausgewirkt, die auf das Zu-
    von negativen Auswirkungen der Pandemie               sammenkommen Vieler angewiesen sind,
    auf ihre Arbeit. Ebenso viele mussten ihre            etwa in den Bereichen Sport und Freizeit, oder
    Haupttätigkeit im ersten Lockdown im Früh-            deren Handlungsfeld sich nicht ohne Weiteres
    jahr 2020 einschränken oder ganz einstellen.          in den digitalen Raum verlagern lässt. Das trifft
    Jede achte Organisation hatte ihre Haupttätig-        auf verschiedene Tätigkeiten überwiegend in
    keit bis zum Zeitpunkt der Befragung im Win-          den Bereichen Kultur und Freizeit aber auch
    ter 2020 noch nicht wieder aufgenommen.               Protest sowie Bildung und Beratung zu.
    Knapp die Hälfte der Organisationen berichtet        Kooperationen stärken die Resilienz zivilge-
    von negativen wirtschaftlichen Folgen.                sellschaftlicher Organisationen. Für die Zu-
   Neben der starken Bremswirkung der Pande-             sammenschlüsse, die vielfältige Netzwerke
    mie kam es wie in vielen Krisen zuvor auch in         mit Partner:innen in unterschiedlichen Sekto-
    der Corona-Krise zu einer zivilgesellschaftli-        ren haben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass
    chen Aktivierung. 40 Prozent der Organisatio-         sie selbst in der Krise Unterstützung bekom-
    nen haben Krisenhilfe für Betroffene angebo-          men. Anders herum fehlt gerade kleinen Initi-
    ten und fast jede fünfte Organisation im Be-          ativen ohne Budget der Zugriff auf Unterstüt-
    reich der sozialen Unterstützung war im Som-          zungsleistungen. Resilienz erweist sich also
    mer 2020 sogar aktiver als im Jahr 2019.              auch als Ressourcenfrage.

   Die Betroffenheit durch die Krise hängt von
    Möglichkeiten der Digitalisierung ab. Organi-
    sationen, die in der Lage waren, ihre Arbeit
    schnell in digitale Formate zu überführen,
    schätzen die mit der Krise einhergehenden
    Einschränkungen als deutlich weniger stark
    ein.
3 Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-Pandemie
Einleitung                                             Begegnung und des persönlichen Austauschs wa-
                                                       ren durch die Schutzmaßnahmen zur Eindäm-
In gesellschaftlichen Krisen spielt die Zivilgesell-   mung der Pandemie eingeschränkt. Räume, die
schaft immer wieder eine zentrale Rolle. Sie fängt     bis dahin Mittelpunkt gemeinsamer Aktivitäten
Betroffene auf und leistet schnelle Hilfe, sie         waren, konnten häufig nicht länger genutzt wer-
schafft neue Perspektiven und Rückhalt in der Ge-      den. Für viele Vereine kam der Betrieb zum Still-
meinschaft, und sie gibt der Kritik an gesellschaft-   stand und damit verbundene Einnahmequellen
lichen Problemlagen Raum. In der europäischen          fielen weg. Die Corona-Krise trifft die Zivilgesell-
Finanzkrise organisierten zivilgesellschaftliche Zu-   schaft im Mark, weil selbstorganisiertes Engage-
sammenschlüsse angesichts einer zusammenbre-           ment, das Nähe schafft und Zusammenhalt stif-
chenden Daseinsversorgung in den besonders be-         tet, vom direkten Kontakt lebt. Wir erwarten
troffenen Ländern Europas medizinische Unter-          aber, dass es innerhalb des Feldes der Zivilgesell-
stützung und andere Nothilfen (Roose et al. 2018;      schaft Unterschiede in der Betroffenheit gibt.
Malamidis 2020). Im Sommer der Migration 2015,         Denn in anderen Bereichen wurde deutlich, dass
als Hunderttausende nach Deutschland flüchte-          das Virus nicht alle Menschen gleich trifft, son-
ten, hießen Vereine und spontane Initiativen die       dern die verfügbaren Ressourcen und Unterstüt-
neu Angekommenen willkommen und versorgten             zungsnetzwerke eine wichtigen Einfluss haben.
sie – teilweise als Lückenfüller für überforderte          Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig
Institutionen des Staates – mit dem Nötigsten          zu verstehen, wie sich die COVID-19 Pandemie
(Daphi 2017; Fleischmann/Steinhilper 2017; Le-         und die politischen Maßnahmen zu deren Be-
wicki et al. 2017; Schiffauer et al. 2017;             kämpfung auf die Zivilgesellschaft in Deutschland
Zajak/Gottschalk 2018). Gleichzeitig artikulierten     auswirken. Um dieser Frage systematisch nachzu-
zivilgesellschaftliche Organisationen während          gehen, wurde von Forschenden aus dem Institut
dieser Krisen auch Kritik und beeinflussten mit        für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) im
Mobilisierungen auf der Straße die politische          Rahmen des von der Berlin University Alliance
Agenda (della Porta 2015; Bremer et al. 2020).         (BUA) geförderten Projekts „Potenziale der Zivil-
Gesellschaftliche Krisen sind daher zugleich Be-       gesellschaft: Solidarisches Verhalten in der Kri-
währungsproben und Sternstunden der Zivilge-           senbewältigung” eine Organisationsbefragung
sellschaft. Dort wo sich Menschen zusammen-            durchgeführt. Das Ziel war es, einen umfassenden
schließen, können sie sich und anderen helfen mit      Einblick in die Auswirkungen der Corona-Krise auf
Herausforderungen umzugehen. Dies wurde auch           die Zivilgesellschaft zu bekommen und zu klären,
zu Beginn der COVID-19 Pandemie sichtbar. Als          welche Bereiche besonders betroffen sind und
sich abzeichnete, dass die Corona-Krise bereits        wie trotz aller Einschränkungen Hilfe und Solida-
existierende Ungleichheiten verstärken und viele       rität, aber auch Protest und Widerspruch organi-
Menschen in Existenznöte bringen würde, rea-           siert werden konnten.
gierten bestehende Organisationen unmittelbar
und neue Initiativen wurden gegründet. Sie orga-           Die Befragung zielte auf Organisationen, in de-
nisierten Einkaufs- und Hausaufgabenhilfe, Ga-         nen Engagement gebündelt und ermöglicht wird.
benzäune für Wohnungslose oder Masken für Ge-          Als das organisatorische Rückgrat der Zivilgesell-
flüchtete in Sammelunterkünften (Fiedlschus-           schaft schaffen die freiwilligen Zusammen-
ter/Reichle 2020).                                     schlüsse von Menschen Stabilität; sie sammeln
                                                       Ressourcen – finanzielle Mittel, aber auch Wis-
   Im Gegensatz zur Finanzkrise und der Ankunft        sen, Kontakte oder emotionalen Rückhalt. Unsere
hunderttausender Schutzbedürftiger 2015 traf           Befragung umfasste die organisierte Zivilgesell-
die COVID-19 Pandemie aber auch die Zivilgesell-       schaft in großer Breite. Vertreter:innen eingetra-
schaft selbst. Zwar war seit dem Ausbruch der          gener Vereine mit formalisierten Strukturen wur-
Pandemie ein Anstieg des individuellen Engage-         den dabei genauso befragt wie informell organi-
ments zu beobachten (Borbath et al. 2021,              sierte Initiativen.
Koos/Bertogg 2020) und auch das Spendenauf-
kommen stieg in der Krise (Deutscher Spendenrat          In den Analysen nehmen wir vier Unterschei-
2021; ZiviZ 2021). Aber Möglichkeiten der              dungsmerkmale zivilgesellschaftlicher Organisa-
3 Deutschlands Zivilgesellschaft in der Corona-Pandemie
tionen genauer in den Blick, um die Auswirkungen       gebotenen Abstandsregeln noch einmal stärker
der COVID-19 Pandemie zu differenzieren:               herausgefordert als andere.
    Erstens betrachten wir den Einfluss der Orga-          Viertens untersuchen wir, wie sich der räumli-
nisationsform. Dafür unterscheiden wir zwischen        che Kontext in denen Organisationen tätig sind,
drei Gruppen: Vereine mit hauptamtlichen Mitar-        darauf auswirkt, wie stark sie von der Krise be-
beiter:innen, Vereine ohne hauptamtliche Mitar-        troffen sind. Dafür vergleichen wir Organisatio-
beiter:innen und informelle Initiativen und Bünd-      nen in Ost- und Westdeutschland, die von den
nisse, die nicht als Verein verfasst sind. Gerade      ersten beiden Wellen der Pandemie unterschied-
bei Letzteren sind unterschiedliche Auswirkun-         lich stark betroffen waren und sich generell in der
gen der Krise denkbar. Einerseits ließe sich ver-      Struktur der Zivilgesellschaft unterscheiden. Dar-
muten, dass informelle Initiativen und lose Zu-        über hinaus vergleichen wir die Situation von in
sammenschlüsse ohne festes Budget flexibler auf        Großstädten aktiven Organisationen mit der von
die Krise reagieren können und es ihnen schneller      Organisationen, die in Kleinstädten oder im länd-
gelingt, sich neuen Aufgaben und Arbeitsbedin-         lichen Raum agieren.
gungen anzupassen als formal organisierten Ver-
                                                           Im Folgenden werden das Studiendesign und
einen mit eingefahrenen Arbeitsroutinen. Ande-
                                                       die methodische Herangehensweise der Organi-
rerseits sind die Strukturen derartiger Initiativen
                                                       sationsbefragung vorgestellt. Im Analyseteil neh-
weniger gefestigt und somit möglicherweise an-
                                                       men wir zunächst die allgemeine Krisenwahrneh-
fälliger für ein krisenbedingtes Auseinanderbre-
                                                       mung in den Blick, bevor wir Muster der Deakti-
chen. Darüber hinaus dürfte auch der Grad der
                                                       vierung und der Aktivierung in der Pandemie skiz-
Professionalisierung eine Rolle spielen. Die indivi-
                                                       zieren. Im Abschnitt zu Kooperationen zeigen wir,
duellen Möglichkeiten sich zu engagieren wurden
                                                       welchen Einfluss Netzwerke in der Krise haben.
in der Pandemie stark eingeschränkt: durch Kon-
                                                       Darauffolgend präsentieren wir Ergebnisse zur
taktbeschränkungen, Schließungen der Schulen
                                                       Rolle der Digitalisierung für die Wahrnehmung
und Kitas und dem damit gestiegenen Betreu-
                                                       und Bewältigung der Krise. Abschließend blicken
ungsbedarf und auch dadurch, dass viele freiwillig
                                                       wir auf die wirtschaftlichen Folgen für die Zivilge-
Engagierte selbst zu Risikogruppen gehören. Da-
                                                       sellschaft. Inwiefern sich einzelne Eigenschaften
her ist zu erwarten, dass es den von hauptamtli-
                                                       von zivilgesellschaftlichen Organisationen über
chen Mitarbeitenden getragenen Vereinen bes-
                                                       die verschiedenen Bereiche hinweg als für das
ser gelingt durch die Krise zu kommen, als den Or-
                                                       Ausmaß der Krise in der Pandemie bestimmend
ganisationen, die ganz auf Ehrenamtliche ange-
                                                       erweisen, klären wir im Schlussteil.
wiesen sind.
    Zweitens untersuchen wir den Einfluss des Tä-
tigkeitsfelds der befragten Organisationen. Die        Studiendesign und Methodik
pandemiebedingten Beschränkungen wirken sich
ungleich auf die Arbeitsbereiche zivilgesellschaft-    Befragungen zivilgesellschaftlicher Organisatio-
licher Akteur:innen aus. Deshalb gehen wir davon       nen sind mit zwei Problemen konfrontiert: einer
aus, dass bestimmte Tätigkeiten, wie Interessen-       nicht in allen Bereichen aktuellen und vollständi-
vermittlung oder Öffentlichkeitsarbeit, auch im        gen Information über die Grundgesamtheit for-
digitalen Raum vergleichsweise gut organisiert         malisierter Organisationen (Vereine, Genossen-
werden können, während Freizeitaktivitäten, die        schaften, Stiftungen und gemeinnützige Unter-
Organisation von Veranstaltungen oder Ange-            nehmen) und Schwierigkeiten bei der Erfassung
bote für gesellige Aktivitäten von den Kontaktbe-      von informellen Initiativen, die der Definition
schränkungen deutlich stärker betroffen sind.          nach nicht registriert und damit kaum flächende-
    Drittens vermuten wir, dass die Zielgruppe der     ckend ansprechbar sind. Diese Probleme sind ein
zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Rolle      Grund dafür, dass Organisationen in der Zivilge-
spielt. Organisationen, die mit Menschen aus Ri-       sellschaft in Deutschland über lange Zeit hinweg
sikogruppen und älteren Menschen zusammen-             wenig erforscht blieben (Müller-Jentsch 2008). Es
arbeiten, werden, so unsere Annahme, durch die         liegen mittlerweile allerdings umfangreiche Be-
                                                       funde aus schriftlichen Befragungen stärker
formalisierter Organisationen vor, die einen                Aus der automatisierten Stichwortsuche resul-
Überblick zur Lage der Zivilgesellschaft über un-       tierte für alle ausgewählten Landeshauptstädte,
terschiedliche Bereiche hinweg bieten (u.a. Zim-        Großstädte und mittelgroße Städte eine Liste mit
mer und Priller 2004, Krimmer et al. 2012, Priller      79.400 eingetragenen Vereinen, aus der eine Zu-
et al. 2012, Priemer et al. 2017).                      fallsstichprobe von 15.000 Einträgen gezogen
                                                        wurde. Für diese Stichprobe sowie alle 423 Verei-
    Die hier vorgestellte Onlinebefragung haben
                                                        nen, die für die ausgewählten ländlichen Orte aus
im November und Dezember 2020 1.066 zivilge-
                                                        dem Handelsregister ermittelt werden konnten,
sellschaftliche Organisationen vollständig beant-
                                                        wurden im nächsten Schritt Kontaktdaten online
wortet. Um ein bundesweites Bild zu erhalten,
                                                        recherchiert. Hierbei musste zum einen überprüft
wurden Zusammenschlüsse aus 55 Orten in allen
                                                        werden, ob die Vereine noch existierten und in
Bundesländern zur Beteiligung an der Befragung
                                                        den Jahren 2019 und 2020 aktiv waren. Zum an-
eingeladen. Neben den Stadtstaaten Berlin, Ham-
                                                        deren wurden alle Vereine manuell nach Aktivi-
burg und Bremen und den 13 Landeshauptstäd-
                                                        tätsfeldern sortiert. Organisationen, die keinem
ten, wurden für jedes Flächenland jeweils eine
                                                        der oben aufgeführten Tätigkeitsfelder angehör-
Großstadt, eine Mittelstadt und ein Ort im ländli-
                                                        ten, jedoch trotz der automatisierten Vorauswahl
chen Raum berücksichtigt, um verschiedene Sied-
                                                        in die Trefferliste erschienen, wurden manuell
lungstypen und stadt- oder landspezifische Un-
                                                        entfernt. Schließlich wurden Vereine aussortiert,
terschiede systematisch erfassen zu können.
                                                        für die keine Emailadresse zur Kontaktaufnahme
   Die Befragung nimmt zwei Organisationstypen          auffindbar war. Im Anschluss an diesen Selekti-
besonders in den Fokus: Zum einen eingetragene          ons- und Rechercheprozess verblieben 3.521 ak-
Vereine mit formalisierten Strukturen (z.B. eine        tive Vereine mit recherchierbarer Email-Adresse
Satzung und gewählte Vertreter:innen) und zum           in unserer Stichprobe.
anderen informelle zivilgesellschaftliche Initiati-
                                                            Für die Recherche der informellen Initiativen
ven ohne Rechtsform. Insbesondere der Blick auf
                                                        wurden in einer systematischen Onlinesuche für
informelle Zusammenschlüsse erlaubt es, in der
                                                        die 55 Orte insgesamt 852 Initiativen ermittelt.
Corona-Krise spontan entstandene Initiativen zu
                                                        Hierfür wurden mit den Begriffen „Bürgerinitia-
berücksichtigen und mögliche Unterschiede in
                                                        tive“, „Nachbarschaftshilfe“, „Coronahilfe“, „Pro-
der Krisenbewältigung zwischen informellen und
                                                        test“ und „Bündnis“ in Kombination mit dem
formellen Organisationsstrukturen zu erkennen.
                                                        Ortsnamen nach informellen Initiativen gesucht.
Für die Stichprobenziehung wurde für jeden Or-
                                                        Alle Organisationen, die 1) nicht als eingetragener
ganisationstyp eine eigene Methode angewandt.
                                                        Verein (e.V.) deklariert waren, 2) in den ausge-
    Die Stichprobe der Vereine baute auf einer Su-      wählten 55 Orten angesiedelt, 3) in den Jahren
che im Handelsregister auf, deren Ergebnisse mit        2019 oder 2020 aktiv waren und 4) einen E-Mail-
Hilfe einer Liste von Suchbegriffen automatisiert       Kontakt aufwiesen, wurden in die Liste aufge-
durchsucht und gefiltert wurde. Die Einordnung          nommen. Organisationen mit Rechtsform
der zivilgesellschaftlichen Organisationen nach         (gGmbHs, Stiftungen, Parteien bzw. oder Partei-
Tätigkeitsfeldern folgte den Kategorien der Stu-        jugendorganisationen) sowie Ortsgruppen oder
die „Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ)“ (Priemer et   Projekte größerer Vereine wurden ausgeschlos-
al. 2017). Um die Breite der Zivilgesellschaft abzu-    sen. So konnten insgesamt 641 informelle Initiati-
bilden und gleichzeitig besonders jene Felder in        ven für die weitere Kontaktaufnahme identifiziert
den Fokus zu nehmen, bei denen die aktive Ein-          werden.
beziehung von Engagierten von zentraler Bedeu-
                                                            Aus der finalen – 4.162 Vereine und Initiativen
tung ist, wurden unter den Vereinen folgende Tä-
                                                        umfassenden – Stichprobe konnten 3.850 Organi-
tigkeitsfelder ausgewählt: Kultur/Medien, Sport,
                                                        sationen per E-Mail kontaktiert werden. Vertre-
Soziale Dienste, Bevölkerungs-/Katastrophen-
                                                        ter:innen von insgesamt 1.066 Organisationen
schutz, Umwelt-/Naturschutz, Internationale So-
                                                        füllten den Online-Fragebogen vollständig aus.
lidarität/Menschenrechte und Bürger-/Verbrau-
cherinteressen.
Dies führte zu einer vergleichbar hohen Rücklauf-          schule Köln 2021; Hoff et al. 2021). Diesen Befund
quote von 27,7 Prozent.1                                   unterstreichen die Daten unserer Befragung ein-
                                                           drücklich: Fast drei Viertel (72%) der Befragten
   Der Online-Fragebogen ist in fünf Abschnitte
                                                           berichten von negativen oder sehr negativen Aus-
gegliedert, mit Blöcken zur wirtschaftlichen Situ-
                                                           wirkungen für ihre Organisation. Stichworte zu
ation, zu den Tätigkeitsfeldern, zur Digitalisie-
                                                           den prägenden Erfahrungen in der Krise, die zu
rung, zur Kooperation und Unterstützung sowie
                                                           Beginn des Fragebogens offen abgefragt wurden,
abschließend zu Eigenschaften der Organisation.
                                                           veranschaulichen diese Belastungen. Organisati-
Für einen Teil der Fragen wurden die Organisati-
                                                           onen fühlten sich „ausgebremst“ im Engagement,
onsvertreter:innen zunächst zur Situation vor der
                                                           das „von der Gemeinschaft lebt und für viele im
COVID-19 Pandemie befragt. Anschließend wur-
                                                           digitalen Bereich nicht erfahrbar war“. Andere
den die Veränderungen in der ersten Phase der
                                                           berichten vom „Vermissen des liebgewonnen und
Einschränkungen von März bis Ende April 2020
                                                           bewährten sozialen Umgangs ohne Distanzen“,
und in der zweiten Phase der Lockerung ab Mai
                                                           von „Spannungen im Team aus Widerstand gegen
2020 bis zum Befragungszeitpunkt im November
                                                           Veränderung“ oder „Rückgang von Spendengel-
bzw. Anfang Dezember 2020 befragt.
                                                           dern“. Sportvereine schreiben, dass ihr Vereinsle-
                                                           ben infolge des Trainingsverbots „zum Erliegen“
                                                           gekommen sei. Eine Organisation aus dem Kultur-
Zivilgesellschaft in der Krise                             bereich fragt sich „wie lange“ sie „eine Theater-
                                                           gruppe ohne Theater“ sein könne.
Ein Schlag für die Zivilgesellschaft                          Die quantitativen Daten bestätigen diese Ein-
Mehrere empirische Studien dokumentieren die               drücke und zeigen, dass die Pandemie breite Teile
immensen Herausforderungen, die die COVID-19               der Zivilgesellschaft vor große Herausforderun-
Pandemie für die Zivilgesellschaft in Deutschland          gen stellte. Abbildung 1 zeigt den Anteil der be-
darstellt (u.a. Krimmer et al. 2020; Schrader 2021;        fragten Organisationen, die auf die Frage nach
Van den Berg et al. 2020; Deutsche Sporthoch-              der „Einschätzung der Auswirkungen auf ihre

                    Abbildung 1: Negativ oder stark negativ betroffene Organisationen nach Themenfeld

_____
1
 Zu der hohen Rücklaufquote haben vermutlich auch          Melina Bonerz, Sarah Dröge, Giulia Gortanutti, Anna-
bis zu vier Erinnerungen per E-Mail und teilweise per      Christine Görg, Tim Henrichsen, Johanna Lauber, Ma-
Telefon beigetragen.Wir bedanken uns herzlich bei          rieluise Mühe, Charlotte Rößler-Prokhorenko, Ania
unserem Recherche- und Kommunikationsteam:                 Spatzier und Noémi Unkel.
Organisation insgesamt” von negativen oder sehr       negativen Eindrücken auch Begriffe wie „Kreativi-
negativen Auswirkungen berichten, aufgefächert        tät“, „Digitalisierung“, „Zusammenhalt“ oder
nach Themenfeldern, in denen die Organisatio-         „Umstellung“ sichtbar, die auf eine Anpassung an
nen tätig sind. In allen Wirkungsfeldern geben        die schwierigen Umstände hindeuten.
über 60 Prozent der Vereine und Initiativen an,
negativ oder sehr negativ betroffen zu sein. Dabei    Abbildung 2: Wortwolke zu prägenden Erfahrungen während
stellen Organisationen im Bereich „Soziales/Reli-     der Corona-Krise, stark betroffene Organisationen
gion“ (63%) deutlich seltener negative Auswir-
kungen fest als Vereine und Initiativen im Bereich
„Sport/ Freizeit“ (80%). Eine Erklärung für diese
Unterschiede ist, dass Organisationen im Bereich
Sport und Freizeit ihre Aktivitäten auf Grund der
geltenden Kontaktbeschränkungen nahezu voll-
ständig einstellen mussten, während Organisatio-
nen im Bereich Soziales teilweise eine aktivere
Rolle in der Bewältigung der Krise einnehmen
konnten.
   Ein ähnliches Muster zeigt sich, wenn die be-
fragten Organisationen nach ihrer Organisations-
struktur unterschieden werden. Auch hier wird
deutlich, dass alle drei von uns unterschiedenen
Organisationstypen (Vereine mit und ohne
Hauptmatliche sowie informelle Initiativen) die
Wucht der Krise zu spüren bekamen. Am stärks-         Abbildung 3: Wortwolke zu prägenden Erfahrungen während
ten betroffen sind jedoch die rein ehrenamtlich       der Corona-Krise, weniger stark betroffene Organisationen
geführten Vereine. Von ihnen berichten 77 Pro-
zent von negativen oder sehr negativen Auswir-
kungen und damit deutlich mehr, als Vereine mit
Hauptamtlichen (61%).
    Auch ein Blick auf die räumliche Umgebung, in
denen die Vereine und Initiativen tätig sind, be-
stätigt den zentralen Befund, dass die Zivilgesell-
schaft in ihrer ganzen Breite von der Pandemie
und der sie begleitenden Kontaktbeschränkun-
gen getroffen wurde. So waren in kleineren Städ-
ten (76%) ebenso wie in den großen Metropolen
(71%) über zwei Drittel der Organisationen nega-
tiv oder sehr negativ betroffen.
    Die COVID-19 Pandemie ist also eindeutig eine
Krise für die organisierte Zivilgesellschaft in       Ein Verein berichtet: „zuerst haben wir gedacht:
Deutschland. Dass es jedoch durchaus qualitative      wir können einpacken. Aber dann wurden auf-
Unterschiede gibt, zeigt sich, wenn die Stichworte    grund der veränderten Lebensbedingungen neue
zu den prägenden Erfahrungen danach getrennt          Ansätze entwickelt“; ein anderer beobachtet
werden, ob die Organisationen sich als stark oder     „eine Beschleunigung der Digitalisierung in der
weniger stark betroffen beschrieben haben (ver-       gesamten Organisation“. Abbildung 3 deutet da-
gleiche Abbildungen 2 und 3). In Abbildung 2 ste-     her daraufhin, dass in Teilen der Zivilgesellschaft
chen Begriffe wie „Ausfall“, „Absage“, „Verlust“,     eine Anpassung an die neue Situation stattfand
oder „Angst“ ins Auge, die eine Deaktivierung des     und einige Vereine berichten auch von positiven
Engagements und kollektive Verunsicherung ver-        Erlebnissen wie „großem Engagement in der
deutlichen. In Abbildung 3 werden neben den
Nachbarschaftshilfe“ und „gemeinschaftsbilden-                 a) Deaktivierung
den“ Erfahrungen.
                                                               Um das Ausmaß von Deaktivierung und Stillstand
    In den folgeden Abschnitten gehen wir verieft              zu erfassen wurden die Organisationen zunächst
auf solche Unterschiede ein und klären, wie stark              gefragt, in welchen Arbeitsfeldern sie vor der
zivilgesellschaftliche Organisationen in ihren Tä-             Corona-Krise2 hauptsächlich aktiv waren. An-
tigkeiten ausgebremst wurden, wie sie mit den                  schließend interessierte uns, wie sehr sich ihre
neuen Erfordernissen an digitales Arbeiten zu-                 Aktivität in der Phase der ersten starken Kontakt-
rechtkamen und ob sie sich trotz aller Widrigkei-              beschränkungen (etwa Ende März bis Ende April
ten an der Bewältigung der Krise durch Nachbar-                2020) und danach im Zeitraum bis zur Befragung
schaftshilfen und Ähnliches beteiligen konnten.                im Winter 2020 verändert hat. Auf diese Weise
                                                               konnten wir die Auswirkungen der Pandemie auf
Wie stark wurde die Zivilgesellschaft                          das Haupttätigkeitsfeld rekonstruieren.
ausgebremst?                                                      Abbildung 4 zeigt, wie erheblich die Zivilgesell-
Die Auswirkungen der Corona-Krise lassen sich                  schaft ausgebremst wurde. Im Vergleich zum Jahr
besonders gut an den Aktivitäten ablesen, die zi-              vor der Krise waren 73 Prozent der Organisatio-
vilgesellschaftliche Akteur:innen organisieren. Ei-            nen in ihrem Haupttätigkeitsfeld während des
nige Vereine und Initiativen waren nicht in der                ersten Lockdowns weniger aktiv, 40 Prozent
Lage ihre Aktivitäten fortzusetzen, während an-                mussten ihre Aktivität zu diesem Zeitpunkt sogar
dere sich anpassen und ihre Arbeit – meist in an-              ganz einstellen. Nur neun Prozent der befragten
derer Form – weiterführen konnten. In diesem                   Organisationen berichten, dass sie in diesem Zeit-
Unterkapitel beschreiben wir zunächst die Brems-               raum etwas aktiver waren als vor der Krise. Nach-
wirkungen der Pandemie und beleuchten im An-                   haltig deaktiviert, also auch über den ersten Lock-
schluss, welche Organisationen resilient waren                 down hinaus weniger aktiv als zuvor, waren im-
und trotz der Widrigkeiten ihre Aktivitäten auf-               mer noch rund 50 Prozent der Organisationen.
rechterhalten oder sogar ausbauen konnten.                     Wie der untere graue Balken in Abbildung 4 zeigt,

              Abbildung 4: Einschränkungen des Aktivitätsniveaus im Haupttätigkeitsfeld nach Krisenphase

_____
2
    Als Referenz dienten die Aktivitäten im Jahr 2019.
hatte jede zehnte Organisation ihre Hauptaktivi-            Feld der sozialen Hilfe dennoch bemerkenswert.
tät auch in den von der Pandemie vergleichsweise            Abbildung 5 zeigt, dass auch im Zeitraum der Lo-
weniger betroffenen Monaten Mai bis Oktober                 ckerungen zwischen Mai und Oktober 2020 mehr
2020 noch nicht wieder aufgenommen.                         als ein Drittel der Organisationen im Bereich „so-
                                                            ziale Hilfe“ nur eingeschränkt agieren konnte.
    Wenig überraschend zeigen sich die stärksten
Unterschiede der Deaktivierung, wenn die Fälle                  Dagegen lassen sich nur wenige Unterschiede
nach dem Tätigkeitsfeld der Organisationen diffe-           in der Bremswirkung der Krise nach räumlichem
renziert werden (Abbildung 5). Kontakt- und Ver-            Umfeld oder Organisationstyp feststellen. Die Zi-
anstaltungsverbote haben sich am stärksten auf              vilgesellschaft wurde überall in Deutschland – Ost
jene Organisationen ausgewirkt, die auf den Aus-            wie West, Stadt wie Land – gleich stark getroffen.
tausch und das Zusammenkommen Vieler ange-                  Mit Blick auf die Organisationsform zeigt sich je-
wiesen sind. Fast 90 Prozent der Organisationen             doch, dass Vereine, die nicht auf Hauptamtliche
die im Bereich Freizeit tätig sind, Veranstaltungen         bauen konnten, im ersten Lockdown um etwa
oder Proteste organisieren, mussten ihre Aktivi-            zehn Prozent stärker betroffen waren und ihre
täten zu Beginn der Krise einschränken, mehr als            Aktivitäten einstellen mussten, als Vereine mit
jede zweite musste sie ganz einstellen. Während             Hauptamtlichen oder lose organisierte Initiati-
ich alle Organisationen im Sommer 2020 relativ              ven. Auch längerfristig, bis in den Zeitraum der
erholen und ihrer Hauptaktivität – wenn auch ein-           ersten Lockerungen im Sommer 2020, zeigt sich,
geschränkt – nachgehen konnten, blieb zu diesem             dass rein ehrenamtlich organisierte Vereine die
Zeitpunkt fast jede vierte Organisation aus dem             größten Probleme hatten ihre Hauptaktivitäten
Feld der Veranstaltungsorganisation inaktiv.                beizubehalten oder wieder aufzunehmen. Ähn-
Durchweg am wenigsten eingeschränkt und de-                 lich stark wie Vereine ohne Hauptamtliche muss-
aktiviert sind in beiden Zeiträumen Organisatio-            ten Initiativen ihre Haupttätigkeit in beiden Zeit-
nen mit den Haupttätigkeitsfeldern Öffentlich-              räumen reduzieren, aber wesentlich seltener
keitsarbeit (an erster Stelle) und sozialer Hilfe (an       komplett einstellen. Zudem zeigt sich, dass Orga-
zweiter Stelle). Angesichts des in der Corona-              nisationen mit der Zielgruppe „Unterstützungs-
Krise gestiegenen Bedarfs an Pflege, Betreuung              und Pflegebedürftige“ in der ersten Phase der
und ähnlichen Diensten, ist die Einschränkung im            Krise ihre Aktivitäten seltener reduzierten.

           Abbildung 5: Einschränkungen des Aktivitätsniveaus nach Tätigkeitsfeld und Krisenphase
Gerade diese Organisationen haben in der ersten              die Organisation von Demonstrationen und Kund-
Phase der Krise ihre Tätigkeit trotz aller Widrig-           gebungen sowie andere Veranstaltungen mit po-
keiten aufrechterhalten, um die Herausforderun-              litischem Hintergrund betrifft.
gen der Pandemie zu stemmen.
                                                             b) Resilienz und Aktivierung
    Eine Deaktivierung hat nicht nur im Haupttä-
tigkeitsfeld der Organisationen stattgefunden,               Obwohl die organisierte Zivilgesellschaft durch
sondern auch mit Blick auf ihre politische Mobili-           die COVID-19 Pandemie schwer getroffen wurde,
sierung. Über 60 Prozent der befragten Organisa-             kam es wie in früheren Krisen auch während der
tionsvertreter:innen gaben an, sich im Vorkrisen-            Corona-Krise zu einer Aktivierung. Trotz der
jahr 2019 in mindestens einer der abgefragten                schwierigen Rahmenbedingungen gaben rund 40
Beteiligungsformen – politische Informationsver-             Prozent der befragten Organisationsvertreter:in-
anstaltungen, Demonstrationen, Petitionen, Kon-              nen an, von der Corona-Krise betroffenen Men-
takt von Politiker:innen oder Offene Briefe – öf-            schen Unterstützung angeboten zu haben. Wir
fentlich eingemischt zu haben. Dabei wurde nicht             nehmen im Folgenden exemplarisch zwei Berei-
zwischen on- und offline-Formen unterschieden.               che genauer in den Blick, um die Muster der Resi-
Auch im Kontext ihrer politischen Aktivitäten                lienz und Aktivierung zu untersuchen: den eher
wurden die Befragten gebeten anzugeben, wie                  dienstleistungsorientierten Bereich der sozialen
sich ihre politische Beteiligung in der Pandemie             Unterstützung sowie den öffentlichkeitsorientier-
im Vergleich zum Vorjahr entwickelt hat.3 Fast 70            ten Bereich der politischen Beteiligung.
Prozent der im Jahr 2019 politisch aktiven Orga-                Für die Analyse des Bereichs der sozialen Un-
nisationen waren in der Pandemie in mindestens               terstützung wurden die Antworten aller Organisa-
einer Form der Beteiligung weniger oder gar nicht            tionen zugrunde gelegt, die im Jahr vor der Krise
mehr aktiv. Abbildung 6 zeigt, dass dies vor allem           in den Tätigkeitsfeldern „Beratung und

          Abbildung 6: Einschränkung der politischen Mobilisierung

_____
3
 Im Gegensatz zu anderen Aktivitäten wurden für die
politischen Aktivitäten nicht zwei Phasen (erster Lock-
down und Öffnungsphase) unterschieden.
Vermittlung“ und „soziale und finanzielle Hilfen“            Organisationen in dieser Gruppe aktiver waren,
aktiv waren. Diese 555 Vereine und Initiativen               liegt der Anteil bei den informellen Initiativen und
wurden auf ihr Aktivitätsniveau in der Phase des             bei den rein ehrenamtlich organisierten Vereinen
ersten Lockdowns im März und April 2020 sowie                mit jeweils rund 12 Prozent deutlich darunter. Zu
während der ersten Lockerungen ab Mai 2020 un-               diesem Eindruck zivilgesellschaftlicher Aktivie-
tersucht. Wir nennen die gleichbleibend aktiven              rung gehört auch, dass einige Organisationen, die
Organisationen „resilient“ und jene, die im Ver-             zuvor nicht im Bereich der sozialen Unterstützung
gleich zu 2019 sogar aktiver wurden, „aktiviert“.            aktiv waren, in der Krise eine entsprechende Tä-
Abbildung 7 zeigt, dass während des Lockdowns                tigkeit aufgenommen haben. Allerdings trifft das
rund 12 Prozent der Organisationen im Bereich                nur auf wenige Fälle zu (unter 40).
soziale Unterstützung aktiver waren als im Vorkri-
                                                                 Um die zivilgesellschaftliche Aktivierung in der
senjahr 2019; immerhin ein Viertel war gleich ak-
                                                             Corona-Pandemie zu erfassen, haben wir zusätz-
tiv. Dies unterstreicht erneut, dass die Zivilgesell-
                                                             lich untersucht, wie viele Organisationen spezifi-
schaft besonders in diesem Feld eine tragende
                                                             sche Hilfe für von der Krise besonders betroffene
Rolle einnahm und zumindest teilweise den Wid-
                                                             Menschen angeboten haben. Insgesamt trifft das
rigkeiten der Pandemie trotzen konnte. Im Zeit-
                                                             auf knapp 40 Prozent der 1066 befragten Organi-
raum der Lockerungen der Kontaktbeschränkun-
                                                             sationen zu. Davon haben fast 25 Prozent ihre Tä-
gen ist eine weitere Erholung und Aktivierung
                                                             tigkeit angepasst oder erweitert, um Betroffene
deutlich sichtbar. Fast jede fünfte Organisation im
                                                             während der Pandemie zu unterstützen. Dies
Bereich der sozialen Hilfe war im Sommer 2020
                                                             reichte von Angeboten wie „Beratung zu spezifi-
sogar aktiver als im Jahr davor und weitere 42
                                                             schen Problemen in der Pandemiesituation
Prozent der Organisationen konnten ihre Aktivi-
                                                             (Homeschooling, Home-office, Freizeitgestal-
tät wieder auf das Vorkrisenniveau heben. Insbe-
                                                             tung)“, der „Erarbeitung von Hygienekonzepten“
sondere im Zeitraum der Lockerungen wird deut-
                                                             oder „Beratungs- und Betreuungsangebote für
lich, dass Vereine mit Hauptamtlichen am stärks-
                                                             psychisch kranke Menschen, die unter der Isola-
ten auf den gestiegenen Bedarf in der Krise rea-
                                                             tion und Vereinsamung durch die Kontaktbe-
gieren konnten: Während 26 Prozent der
                                                             schränkungen in Krisen geraten sind“ über

      Abbildung 7: Aktivität im Bereich Soziale Unterstützung nach Krisenphase
digitale „VorLesaktionen“ bis hin zur „Finanzie-       gewählt wurde, waren die meisten Organisatio-
rung von Lernförderprojekten für Schulen, Gut-         nen (55-65%) gleich aktiv oder aktiver in Forma-
scheine für einsame Senioren [oder] Clown-Dok-         ten, die auch online organisiert werden können:
toren-Besuche im Seniorenheim“. Um den sozia-          Petitionen, offene Briefe oder der direkte Kontakt
len Kontakt mit den Zielgruppen nicht abbrechen        zu Politiker:innen.
zu lassen, ließen sich etliche Organisationen kre-
                                                            Die politische Aktivierung zeigt sich aber nicht
ative Lösungen einfallen, wie beispielsweise eine
                                                       allein in der Intensivierung von bereits zuvor ge-
Initiative im Bereich der Kinder- und Familien-
                                                       nutzten Formen der politischen Beteiligung. Sie
hilfe, die mit einem „Campingtisch vor die Woh-
                                                       drückt sich auch in der Ausübung neuer Formen
nung der Familie“ zog, um so durch das Fenster
                                                       aus. Knapp einhundert der politisch aktiven Orga-
die Hausaufgaben der Kinder betreuen zu kön-
                                                       nisationen gaben an, ihr Repertoire politischer
nen.
                                                       Beteiligung während der Krise erweitert zu ha-
    Weitere 14 Prozent der befragten Organisati-       ben, und zum Beispiel zum ersten Mal überhaupt
onen haben pandemiebezogene Nachbarschafts-            eine/n Politiker:in kontaktiert oder eine Petition
hilfe organisiert, wie Einkaufshilfen für Ältere       initiiert zu haben. Darunter sind auch 19 Organi-
oder für Menschen in Quarantäne, Gassi gehen,          sationen, die angaben 2019 noch in keiner der ab-
Gabenzäune oder das zu Beginn der Pandemie             gefragten Formen politisch aktiv gewesen zu sein.
noch verbreitete Nähen von Mund-Nasen-Bede-            In den offenen Angaben zu neuen Formen der po-
ckungen („im 1. Lockdown haben wir zum Mas-            litischen Beteiligung ist deutlich erkennbar, dass
ken nähen aufgerufen und über 1.000 Commu-             vor allem digitale Formen der politischen Einfluss-
nity-Masken an Bedürftige verteilt.“). Zu den in       nahme, der Information und des Protests gewählt
der Nachbarschaftshilfe aktiven Akteur:innen ge-       wurden, wie „Visueller Protest über Social Me-
hören besonders Organisationen aus den The-            dia“, „Beteiligung an Hinweisen auf Hashtags wie
menbereichen Soziales und Gesundheit, aber             #alarmstuferot“, „Live-Streaming“ von Protest-
auch 18 Prozent der Sport- und Freizeitorganisa-       veranstsaltungen und „Onlinekampagnen“. 4
tionen haben Dienste in der Nachbarschaft ange-
boten.                                                 Kooperation und Netzwerke
    Ebenso wie im Bereich der sozialen Unterstüt-      Zivilgesellschaftliche Organisationen sind selten
zung zeigen sich neben der weit verbreiteten De-       nur allein aktiv. Sie entfalten ihre Wirkung in Zu-
aktivierung auch im Bereich der politischen Betei-     sammenarbeit mit anderen, seien es andere zivil-
ligung Aktivierungsprozesse in der Krise. Teile der    gesellschaftliche Gruppen, oder Akteur:innen aus
organisierten Zivilgesellschaft in Deutschland ha-     einem anderen Sektor, aus der Wirtschaft (z.B. als
ben Möglichkeiten gefunden und genutzt, ihr En-        Sponsoren oder als Partner:innenbetriebe) oder
gagement trotz der pandemiebedingten Ein-              staatliche Akteur:innen (z.B. Schulen, Jugendäm-
schränkungen aufrechtzuerhalten oder teilweise         ter oder Ministerien). Unter zehn Prozent der be-
sogar zu verstärken. Um die Aktivierung in diesem      fragten Organisationen gaben an, vor der Corona-
Bereich zu erfassen, haben wir für jede der fünf in    Krise mit gar keinen anderen Akteur:innen enger
Abbildung 5 dargestellten Aktionsformen unter-         zusammengearbeitet zu haben. Etwa ein Viertel
sucht, ob die Organisationen aktiver, gleich aktiv     berichtete von Kooperationsbeziehungen mit Ak-
oder weniger aktiv waren. Knapp 12 Prozent der         teur:innen innerhalb der Zivilgesellschaft, mehr
Organisationen, engagierten sich während der           als ein Drittel von Zusammenarbeit mit Staat und
Krise stärker politisch als noch im Vorkrisenjahr      Zivilgesellschaft. Andere zivilgesellschaftliche Ak-
2019. Jede vierte Organisation war im Schnitt ge-      teur:innen sind insgesamt für mehr als drei Vier-
nauso aktiv wie im Vorjahr. Vergleicht man, wel-       tel der Befragten (78%) ein wichtiger Teil ihres
che Art der politischen Einmischung verstärkt          Netzwerks. Der Staat spielt für 62 Prozent und
_____
4
 Die Themen der politischen Einmischung wurden         Corona-Maßnahmen hin, allerdings nicht auf die Or-
nicht systematisch erfasst. Die Antworten auf offene   ganisation von Protesten, die die Corona-Maßnah-
Fragen deuten jedoch auf ein breites Spektrum an       men der Bundesregierung insgesamt in Frage stellen.
Themen und Kritik an spezifischen Auswirkungen der
wirtschaftliche Akteur:innen spielen für jede                 sich erneut, dass Vereine mit hauptamtlichen
fünfte Organisation eine Rolle als Kooperations-              Mitarbeiter:innen größere Kapazitäten haben
partner:innen (20%).                                          ihre Kooperationsbeziehungen auch in der Krise
                                                              aufrecht zu erhalten oder sogar zu intensivieren.
    Dass diese Kooperationsbeziehungen in der
                                                              Wenn man für die Frage, wie sich die Kooperati-
Corona-Krise relevant wurden, zeigt sich beim Zu-
                                                              onsbeziehungen seit der Krise verändert haben,
gang zu Unterstützung von außen. Auf die Frage,
                                                              die Antwortkategorien „gleich” und „stärker” zu-
ob sie in der Krise Unterstützung durch andere
                                                              sammenzieht, sind sie es, die hier den größten
Organisationen aus Staat, Wirtschaft oder Zivilge-
                                                              Anteil haben (s. Tabelle 1).
sellschaft erhalten haben, antwortet etwas über
ein Drittel mit ja (37%). Unter den Organisationen               Anders herum zeigt sich für kleine Organisati-
ohne Kooperationsbeziehungen lag der Anteil nur               onen ohne Budget, dass sie in der Krise ungleich
bei 12 Prozent, unter den Organisationen mit Ver-             stärker herausgefordert sind, weil ihnen der Zu-
bindungen in alle drei Sektoren – Zivilgesellschaft,          gang zu Unterstützung fehlt. Resilienz erweist
Staat und Wirtschaft – bei über 50 Prozent. Je                sich in der Corona-Krise also auch als eine Res-
stärker zivilgesellschaftliche Organisationen über            sourcenfrage.
verschiedene Bereiche hinweg vernetzt sind,
                                                                  Auf die offene Frage, welche Art der Unter-
desto eher werden sie in der Notsituation der
                                                              stützung in der Krise hilfreich gewesen wäre und
Corona-Krise unterstützt.
                                                              von wem diese Unterstützung hätte kommen
    Kooperationspartner:innen sind also potenzi-              können, formulieren viele Organisationen sehr
ell auch Unterstützer in der Not. Allerdings                  konkrete Anliegen. Dabei geht es um technische
scheint die An- oder Abwesenheit von Kooperati-               und finanzielle Unterstützung (z.B. einmalige
onspartner:innen nicht die Wahrnehmung der ei-                niedrigschwellige Zuschüsse) für digitale Formate
genen Situation in der Krise zu bestimmen. Zwi-               oder rechtssichere Wahlen, die entweder von
schen den Gruppen zeigen sich keine signifikan-               staatlichen Stellen oder von versierten jüngeren
ten Unterschiede in der wahrgenommenen Be-                    Ehrenamtlichen kommen könnten. Kultur- und
troffenheit durch die Krise. Allerdings fühlen sich           Sportvereine benennen häufiger ein Ende der Be-
die Organisationen, die Hilfe in Anspruch genom-              schränkungen als die einzige hilfreiche Maß-
men haben, auch eher von Corona betroffen. In-                nahme. Daneben wären für sie von Kirchen oder
sofern kann das Fehlen von Kooperationsbezie-                 Unternehmen bereitgestellte Ersatzräume hilf-
hungen auch darauf verweisen, dass diese Orga-                reich gewesen, in denen auch unter (gelockerten)
nisationen ihre Tätigkeit auch ohne die Vernet-               Hygienebedingungen Aktivitäten hätten stattfin-
zung mit anderen durchführen können.                          den können. Von diesen Organisationen wird
                                                              auch Planungssicherheit eingefordert, um ein an-
   Wie in den vorangegangenen Abschnitte ist
                                                              gepasstes Angebot bei reduzierten Maßnahmen
auch bei der Frage nach Netzwerken und Unter-
                                                              vorbereiten zu können. Klare Richtlinien, unter
stützung die zentrale Erkenntnis, dass die Erfah-
                                                              welchen Bedingungen Aktivitäten möglich sind,
rungen über die verschiedenen Organisationen
                                                              werden ebenfalls häufiger als Bedarf genannt. In
hinweg relativ gleich verteilt sind. Allerdings zeigt

  Tabelle 1: Anteil der Organisationen mit stärkeren oder gleichbleibenden Kooperationsbeziehungen in der Corona-Krise;
  in Prozent

                                                                      Verein ohne                 Verein mit
                                             Initiativen
                                                                     Hauptamtliche              Hauptamtlichen
   mit kommunalen Akteuren                      52,8                       46,8                       62,5

   mit staatlichen Akteuren                     53,8                       47,0                       74,2

   mit Unternehmen                              50,0                       39,1                       50,5

   mit anderen Organisationen                   53,8                       50,0                       72,2
verschiedenen Bereichen werden finanzielle Hil-           finanzielle Ressourcen für den Ausbau digitaler
fen als zentral eingeschätzt: flexible Förderung,         Arbeitsformate dar (40% Zustimmung). Darüber
Ausgleichszahlungen nach dem Ausfall von Ver-             hinaus berichten fast 40 Prozent der Befragten,
anstaltungen oder Mietminderungen nach dem                dass durch die Verlagerung von Aktivitäten ins Di-
Wegfall der wichtigsten Einnahmequellen. Es gibt          gitale bestimmte Zielgruppen nicht länger er-
aber auch den Bedarf für externe Angebote zur             reichbar sind. Insgesamt melden nur rund 17 Pro-
Revitalisierung des Ehrenamtes nach dem Knick             zent der Befragten keinerlei oder sehr große
der Coronakurve. Für einige Vereine zeigt die             Problemen in einem der genannten Bereiche.
Corona-Krise jedoch auch deutlich auf, dass es
                                                              Plastischer werden die Herausforderungen
leichter gewesen wäre, Leistungen aufrecht zu er-
                                                          des Digitalisierungsschubs in den Antworten auf
halten, wenn staatliche Unterstützung um die sie
                                                          eine zusätzliche, offene Frage. Neben den er-
schon lange kämpfen (z.B. Regelfinanzierung von
                                                          wähnten Problemen nennen die Befragten die
Stellen oder beantragte Mittel für Materialien)
                                                          fehlende Möglichkeit bestimmte Tätigkeiten –
gewährt worden wäre oder die Zusammenarbeit
                                                          wie zum Beispiel musische Aktivitäten – in den di-
mit staatlichen Akteur:innen in der Krise besser
                                                          gitalen Raum zu verlegen, den hohen Organisati-
gelaufen wäre.
                                                          onsaufwand und das Überangebot digitaler For-
                                                          mate („Man macht so viel digital, dass man dann
Digitalisierung                                           im Ehrenamt müde davon ist und ein weiteres
Im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung der                  Online-Meeting scheut bzw. als zu anstrengend
Corona-Pandemie hat sich der Alltag vieler Men-           empfindet“). Dazu kommen Unsicherheiten im
schen in Deutschland grundlegend gewandelt                Umgang mit dem Datenschutz, ein Mangel an
und in den digitalen Raum verschoben. Erwerbs-            Verbindlichkeit und ein geringes Angebot an Wei-
tätige arbeiten im Homeoffice, Schüler:innen ler-         terbildungsangeboten zu digitalen Themen. Ins-
nen im Homeschooling und Familien und                     besondere Organisationen im sozialen Bereich
Freunde:innenkreise treffen sich in Videokonfe-           sehen das Fehlen persönlicher Kontakte als zent-
renzen. Dieser Digitalisierungsschub hat auch die         rales Problem für die gemeinsame Arbeit und den
Zivilgesellschaft verändert. Wie in den Bereichen         Zusammenhalt von Mitgliedern und Engagierten:
Arbeit und Bildung sind Herausforderungen,                „Durch die Digitalisierung rückt ein entscheiden-
Probleme und positive Auswirkungen der digita-            der Aspekt unserer Arbeit, nämlich die Vernet-
len Transformation ungleich verteilt.                     zung unseres Umfeldes in den Hintergrund. Digi-
                                                          tal kann man die persönlichen Kontakte nicht an-
   Insgesamt berichten 45 Prozent der befragten           nähernd ersetzen.“ Eine Organisation im Bereich
Organisationen von einem starken oder sehr star-          Kultur und Freizeitgestaltung bringt es so auf den
ken Digitalisierungsschub5 in ihrer Arbeit wäh-           Punkt: „Uns fehlt die Fantasie, uns vorzustellen
rend der Pandemie. Rund ein Drittel verzeichnet           wie unser Angebot: z.B. Konzerte, Töpferkurse,
keine oder nur wenig entsprechende Verände-               Kindertheater sinnvoll ins Digitale übertragen
rungen. Gleichzeitig sind mit der digitalen Neu-          werden sollen. Unsere Arbeit lebt davon, Men-
ausrichtung in der Pandemie erhebliche Heraus-            schen zusammen zu bringen“.
forderungen verbunden. Fast die Hälfte der be-
fragten Vereine und Initiativen stimme der Aus-              Die Relevanz von Digitalisierungsfragen in der
sage ‚eher‘ oder ‚voll und ganz‘ zu, dass es ihrer        Pandemie wird besonders deutlich, wenn diese
Organisation an digitaler Infrastruktur fehle. Ein        zusammen mit der Wahrnehmung der allgemei-
größeres Problem als die unzureichende öffentli-          nen Krisenbetroffenheit betrachtet werden. Or-
che Infrastruktur für das digitale Arbeiten (22%          ganisationen mit einem starken Digitalisierungs-
Zustimmung) oder fehlendes Know-How der Mit-              schub empfinden die mit der Krise einhergehen-
arbeitenden (25% Zustimmung) stellen fehlende             den Einschränkungen als deutlich weniger stark.
_____
5
 Im Wortlaut: „Bitte geben Sie an, inwieweit Sie den
folgenden Aussagen zustimmen... Die Corona-Krise
hat zu einer starken Digitalisierung unserer Arbeit ge-
führt.”
Tabelle 2: Probleme bei der Digitalisierung und wahrgenommene Krisenbetroffenheit; in Prozent

                                                                         Wahrgenommene Krisenbetroffenheit

                                                                             Gering               Stark

                                            Sehr stark                        20,2                79,8
   Probleme bei der Digitalisierung
                                            Gering/Mittel                     39,4                60,6

Rund 64 Prozent der Organisationen mit ausge-               zurechtkommen. Hier ist der Abstand zwischen
prägtem Digitalisierungsschub erklären sich als             den Gruppen mit etwas weniger als 20 Prozent-
stark von der Krise betroffen gegenüber knapp 78            punkten beträchtlich: Die Organisationen, denen
Prozent der Organisationen mit weniger ausge-               die Digitalisierung Probleme bereitet, nehmen
prägter Digitalisierung, denen dieser Handlungs-            die Krise insgesamt als bedrohlicher wahr.
spielraum in der Krise fehlt.
                                                                Die mit der pandemiebedingten Digitalisie-
   Spiegelbildlich dazu zeigt sich ein Zusammen-            rung verbundenen Chancen und Probleme sind
hang von Problemen bei der Digitalisierung und              auch in der organisierten Zivilgesellschaft un-
der wahrgenommenen Krisenbetroffenheit (Ta-                 gleich verteilt. So berichten Vereine mit haupt-
belle 2). Die Organisationen der Zivilgesellschaft,         amtlichen Mitarbeitenden häufiger von einem Di-
die in mindestens einem der genannten Felder                gitalisierungsschub und etwas seltener von Prob-
„Know-How“, „digitale Infrastruktur“, „Zielgrup-            lemen bei der Digitalisierung als Vereine ohne
penerreichung“ oder „Ressourcen“ von sehr gro-              Hauptamtliche. Am besten scheinen sich aber in-
ßen Problemen berichten, sehen sich deutlich                formelle Initiativen dem neuen digitalen Pande-
stärker betroffen als Organisationen, die besser            miealltag anzupassen (Abbildung 8). Diese haben
mit der digitalen Neuausrichtung ihrer Arbeit               ihre Arbeit in der Krise am stärksten digitalisiert

        Abbildung 8: Digitalisierungsschub / Digitalisierungsprobleme und Organisationsstruktur
Abbildung 9: Digitalisierungsschub / Digitalisierungsprobleme und Zielgruppen

(53% Zustimmung) und sie treffen dabei gleich-              Analysen, vor allem für das Haupttätigkeitsfeld.
zeitig weniger häufig auf Probleme als die beiden           Den größten Digitalisierungsschub erfahren dem-
Referenzgruppen (49% Zustimmung).                           nach Organisationen im Bereich Beratung und
                                                            Vermittlung (59%) und jene Akteur:innen der Zi-
    Darüber hinaus spielt die Zielgruppe der Orga-
                                                            vilgesellschaft, die Protestveranstaltungen orga-
nisationen insbesondere für die Probleme der Di-
                                                            nisieren (64%). Hier zeigt sich das bereits oben
gitalisierung eine wesentliche Rolle. Vereine und
                                                            skizzierte Muster: Viele in diesem Bereich tätige
Initiativen, die mit sozial benachteiligten Grup-
                                                            Organisationen begegneten der Herausforderung
pen, Menschen mit Migrationsgeschichte, Hilfe-
                                                            eingeschränkter Möglichkeiten zur Versamm-
und Pflegebedürftigen oder Älteren arbeiten, die
                                                            lung, indem sie neue Formate des digitalen Pro-
schwerer durch digitale Formate zu erreichen
                                                            tests und der politischen Online-Beteiligung für
sind, berichten häufiger von Digitalisierungsprob-
                                                            sich entdeckten. Dem gegenüber stehen Organia-
lemen als Organisationen mit anderen oder un-
                                                            tionen mit den Haupttätigkeitsfeldern Freizeitge-
spezifischen Zielgruppen (Abbildung 9). Die Un-
                                                            staltung und Veranstaltungen, die ihre Arbeit
terschiede für den Digitalisierungsschub sind ge-
                                                            deutlich weniger stark digitalisieren konnten
ringer. Aber das Beispiel der Organisationen, die
                                                            (38% bzw. 41%) und gleichzeitig stärker als an-
mit Menschen mit Migrationsgeschichte zusam-
                                                            dere Organisationen von Digitalisierungsproble-
menarbeiten, zeigt, dass sich ein starker Digitali-
                                                            men berichten (63% bzw. 59%).
sierungsschub und häufig auftretende Probleme
bei der Digitalisierung keineswegs ausschließen.
                                                            Wirtschaftliche Auswirkungen
    Das Alter der Organisationen – und, so die Ver-
mutung, das damit tendenziell einhergehende Al-             Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind
ter der Mitarbeitenden – scheint ebenso Teil der            massiv. Laut statistischem Bundesamt ging das
Erklärung für Unterschiede bei Problemen mit der            Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im Ver-
Digitalisierung zu sein. Junge Organisationen, die          gleich zum Vorjahr um knapp fünf Prozent zurück.
nach 2010 gegründet wurden, berichten deutlich              Die deutsche Wirtschaft geriet 2020 zum ersten
seltener von Problemen (25%), als bereits vor die-          Mal seit der Finanzkrise vor über zehn Jahren in
sem Zeitpunkt existierende Organisationen                   eine Rezession (Statistisches Bundesamt 2021).
(33%). Signifikante Zusammenhänge zeigen sich               Aber nicht nur Bereiche wie die Veranstaltungs-
darüber hinaus, wie in den vorangehenden                    branche, die Gastronomie oder der Reiseverkehr
Sie können auch lesen