Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes: Geotopschutz und Geotourismus im Spannungsfeld ...

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Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes: Geotopschutz und Geotourismus im Spannungsfeld ...
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Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022
https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022
© Author(s) 2022. This work is distributed under
the Creative Commons Attribution 4.0 License.

                  Chancen, Herausforderungen und Risiken der
                   Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes:
                      Geotopschutz und Geotourismus im
                  Spannungsfeld unterschiedlichster Interessen
                                  Heidi Megerle1 , Simon Martin2 , and Géraldine Regolini2
                   1 Hochschule   für Forstwirtschaft Rottenburg, 72108 Rottenburg am Neckar, Deutschland
                                          2 Bureau d’étude Relief, 1860 Aigle, Schweiz

                               Correspondence: Heidi Megerle (megerle@hs-rottenburg.de)

           Received: 1 March 2021 – Revised: 3 November 2021 – Accepted: 9 November 2021 – Published: 19 January 2022

       Kurzfassung. Although the geodiversity of the Earth is hardly less remarkable than its biodiversity, to this
       day there is a clear discrepancy between the protection of biotic and abiotic elements both in Switzerland and
       internationally. In response to the increasing threat facing our geoheritage, a dynamic geopark and geotourism
       movement emerged in the late 1990s. As Geoparks enjoy no statuary protection, they have to combine su-
       stainable geotourism with geo-education, in order to raise awareness for the importance and vulnerability of our
       geoheritage. The valorization of geoheritage offers opportunities for regional development and tourism diversi-
       fication, provided that possible risks are taken into account. Based on an extensive literature review as well as
       own research and geotourism projects, the main opportunities, risks and challenges of sustainable geotourism
       are highlighted using national and international case studies.

1   Einleitung                                                     und angewandter Beschäftigung mit dieser Thematik wurde
                                                                   die These entwickelt, dass die Inwertsetzung des Geo-Erbes
Im September 2019 fand in Bellinzona die Jahresta-                 mittels geotouristischer Angebote eine Chance für die Re-
gung der Schweizerischen Geomorphologischen Gesell-                gionalentwicklung, aber auch zur Diversifizierung des tou-
schaft (SGmG) zu „Geomorphologie und Gesellschaft“ statt.          ristischen Angebots darstellen kann, sofern spezifische Her-
Der damalige Key-Note-Vortrag zu „Chancen, Herausforde-            ausforderungen gemeistert werden können. Die von uns er-
rungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-           kannten Hauptchancen und Hauptherausforderungen werden
Erbes: Geotopschutz und Geotourismus im Spannungsfeld              in einen Gesamtkontext eingeordnet und durch nationale und
unterschiedlichster Interessen“ bildet die Basis des einfüh-       internationale Best- und Worst-Case-Beispiele aus der Pla-
renden Überblicksartikels zum Sonderheft „Geomorpholo-             nungspraxis illustriert. Mit einer Ausnahme stammen diese
gie und Gesellschaft“ der Geographica Helvetica. Aufgezeigt        Beispiele aus den Jahren vor 2020, da die Corona-Pandemie
werden sollen die wachsende Bedeutung des Geotourismus             auch bei geotouristischen Angeboten erhebliche Auswirkun-
(Newsome und Dowling, 2010; Megerle, 2008; Chen et al.,            gen entwickelte. Zuvor wird der aktuelle Forschungsstand
2015; Reynard und Brilha, 2018; etc.) und die damit ver-           zu Geotourismus und Geotopschutz aufgezeigt. Der Artikel
bundenen Chancen, v.a. für Regionen mit einem herausra-            erhebt daher nicht den Anspruch, spezifische Forschungs-
genden Geo-Erbe (Brilha, 2018), aber auch die Herausfor-           aspekte anhand einzelner Fallstudien zu vermitteln, sondern
derungen und Risiken der Inwertsetzung dieses Geo-Erbes,           einen Überblick über die Chancen, Herausforderungen und
v.a. in Anbetracht eines nach wie vor häufig unzureichenden        Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes zu bie-
Geotopschutzes (Reynard et al., 2021; Gray, 2013; Megerle          ten. Er basiert hierbei auf einer umfassenden Kenntnis der
und Pietsch, 2019; etc.). Aus langjähriger wissenschaftlicher

Published by Copernicus Publications for the Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich & Association Suisse de Géographie.
Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes: Geotopschutz und Geotourismus im Spannungsfeld ...
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relevanten Literatur sowie Beispielen aus den Forschungs-           in Inventare von nationaler Bedeutung aufnehmen. „Durch
sowie Umsetzungsprojekten der Autor*innen.                          die Aufnahme eines Objektes von nationaler Bedeutung in
   Einleitend wird der Stand der Forschung in Bezug auf             ein Inventar des Bundes wird dargetan, dass es in beson-
Geo-Erbe, Geotopschutz und Geotourismus überblicksartig             derem Maße die ungeschmälerte Erhaltung, jedenfalls aber
dargelegt, um dies anschließend anhand ausgewählter Bei-            unter Einbezug von Wiederherstellungs- oder angemessenen
spiele zu konkretisieren.                                           Ersatzmassnahmen die grösstmögliche Schonung verdient“
                                                                    (NHG 451, Art. 6). Geotope gehören wie Biotope impli-
                                                                    zit zum im Gesetz verwendeten allgemeinen Begriff „Na-
2    Geo-Erbe, Geodiversität und Geotopschutz                       turdenkmäler“ (Reynard, 2021). Obwohl die Projektgruppe
                                                                    Geotope und Geoparks Schweiz 1999 ein Inventar der Geo-
Im Gegensatz zur Biodiversität, einer inzwischen auch in der        tope von nationaler Bedeutung erarbeitete und publizierte
Alltagssprache weithin verwendeten Begrifflichkeit, wurde           (Arbeitsgruppe Geotopschutz Schweiz, 1999) sowie dieses
der Begriff der Geodiversität erstmalig in den 1990er Jahren        Inventar zwischen 2006 und 2012 grundlegend und mit fi-
zur Beschreibung der Vielfalt der abiotischen Naturerschei-         nanzieller Unterstützung des Bundesamtes für Umwelt über-
nungen genutzt (Gray, 2013:8). Unter Geodiversität versteht         arbeitete (Reynard et al., 2012), wurde es bis heute nicht
Gray (2013:11) „the natural range (diversity) of geological         offiziell anerkannt. National bedeutende Geotope haben so-
(rocks, minerals, fossils), geomorphological (landform, phy-        mit keinen Schutzstatus gemäß NHG, es sei denn, sie über-
sical processes) and soil features. It includes their assembla-     schneiden sich ganz oder teilweise mit Objekten von ande-
ges, relationships, properties, interpretations and systems“.       ren Bundesinventaren. In diesem Fall sind sie indirekt mitge-
Bestandteile der Geodiversität, die als besonders wertvoll          schützt. Verschiedene dieser national bedeutsamen Geotope
eingestuft werden, klassifiziert Brilha (2018) als Geoherita-       wurden ebenfalls in kantonalen Geotopinventaren erfasst. Ei-
ge (Geo-Erbe). Aufgrund seiner hohen Bedeutung muss das             ne rezente Studie über den Stand der kantonalen Geotopin-
Geo-Erbe geschützt werden, v .a. wenn es durch unterschied-         ventare (Regolini und Martin, 2019) hat jedoch aufgezeigt,
liche Faktoren gefährdet ist.                                       wie unterschiedlich die Handhabung von Kanton zu Kanton
   „There is an urgent need to accentuate the principle that        ist: 2019 gab es in mehreren Kantonen nach wie vor keine
natural diversity is composed of both geodiversity and biodi-       eigenständigen Geotopinventare, die vorhandenen Geotopin-
versity, and that proficient conservation requires a holistic ap-   ventare wurden nicht nach einer einheitlichen Methode erho-
proach that views nature as a complex interaction of biodi-         ben, und die Umsetzung des Geotopschutzes fällt sehr unter-
versity and geodiversity pattern and process“ (Matthews,            schiedlich aus (siehe auch Reynard et al., 2021).
2014:57). Bereits 2001 hatte Jedicke (2001:59) angeregt,               Auch in Deutschland besteht keine gesetzliche Grundla-
Geodiversität gleichberechtigt der Biodiversität gegenüber-         ge für den Geotopschutz. Während schutzwürdige Bioto-
zustellen und beides unter dem Oberbegriff der Ökodiversität        pe nach §30 BNatSchG einen automatischen Schutz erhal-
als umfassendes naturschutzfachliches Schutzgut zu berück-          ten und die Ausweisung von Naturschutzgebieten, National-
sichtigen.                                                          parks und Biosphärenreservaten überwiegend auf den bio-
   Obwohl die ältesten Naturschutzausweisungen Geotope              tischen Potentialen beruht, findet sich selbst in der aktu-
betrafen (u.a. der Findling Pierre à Bot in Neuchâtel, der          ellsten Fassung des Bundesnaturschutzgesetzes weder der
bereits 1838 unter Schutz gestellt wurde (Reynard et al.,           Begriff „Geotopschutz“ noch „Geotop“. Höhlen, Fels- und
2021:1) oder der Drachenfels als ältestes Naturschutzgebiet         Steilküsten und weitere Geotope, die eine wichtige Lebens-
Deutschlands) ist Geotopschutz bis heute das „Stiefkind des         raumfunktion wahrnehmen, können nach §30 BNatSchG als
Naturschutzes“ (Gray, 2013:8; Megerle und Pietsch, 2019).           schutzwürdige Biotope eingestuft werden oder ggf. nach
Während der Schutz der Biodiversität spätestens seit Inkraft-       §23 aufgrund ihrer „Seltenheit, besonderen Eigenart oder
treten des entsprechenden Abkommens 1992 weitgehend un-             hervorragenden Schönheit“ als Naturdenkmal ausgewiesen
strittig war, wurde der Schutz der Geodiversität als weni-          werden. Auch können Geotope quasi „automatisch“ mitge-
ger relevant angesehen, da u.a. Gefährdungen nicht ähnlich          schützt sein, wenn sie sich innerhalb von Schutzgebieten be-
offensichtlich waren wie bei der Biodiversität (Crofts und          finden. Da sich die Mehrzahl der deutschen Geoparks mit
Gordon, 2020:583ff). Dies begann sich mit dem Beginn der            Großschutzgebieten überlagert, ist hierdurch ein nicht un-
Geopark-Bewegung zu ändern, da Geotopschutz hier ein im-            wesentlicher Teil des geologischen und geomorphologischen
plizites Ziel ist. Die IUCN änderte mittlerweile ihre Defi-         Erbes mitgeschützt (Megerle und Pietsch, 2017), denn Geo-
nition von Schutzgebieten, um abiotische Faktoren zu inte-          parks selbst sind lediglich eine Prädikatisierung, aber keine
grieren und legte 2020 umfassende Richtlinien für den Geo-          Schutzkategorie. Daher haben sie keine eigenen Rechtsmit-
topschutz vor (Crofts et al., 2020). In der Schweiz sowie           tel, um den Schutz der Geopotentiale sicherzustellen (Brilha,
Deutschland hinkt dieser Umdenkprozess jedoch noch nach             2018:329), sondern müssen diesen mit anderen Mitteln ge-
(Megerle und Pietsch, 2019).                                        währleisten.
   In der Schweiz kann der Bund laut Art. 5 des Bundesgeset-           Im Gegenzug bedeutet dies jedoch, dass wertvolle Zeu-
zes über den Natur- und Heimatschutz (NHG 451) Objekte              gen der Erdgeschichte wie Drumlins, Dolinen und Toteis-

Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022                                                           https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022
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löcher, die meist keine entsprechenden Lebensraumfunktio-         Geotourismus, lange als eine Form des Nischentouris-
nen aufweisen, nicht automatisch geschützt sind. Dies kann     mus betrachtet (Hose, 2004), hat sich zu einer nachgefrag-
ein gravierender Nachteil sein, da diese Geotope aufgrund      ten Form des Thementourismus entwickelt (u.a. Newsome
ihrer Entstehungsgeschichte – im Gegensatz zu manchem          und Dowling, 2018; Reynard und Brilha, 2018; Chen et al.,
Biotop – prinzipiell nicht ausgleichbar sind und hierdurch     2015; Megerle, 2008). Im letzten Jahrzehnt erwies sich Geo-
relevante Informationen zur Erdgeschichte verloren gehen       tourismus sogar als das am schnellsten wachsende Touris-
können. Noch kritischer wird die Situation bei anthropoge-     mussegment (Ólafsdóttir, 2019). Während Hose (2012) Geo-
nen Geotopen, d.h. v.a. Rohstoffabbaustätten. Häufig wird      tourismus als „tourism focused on geological features“ und
schon bei der Genehmigung nach Bergrecht eine Verfüllung       damit sehr eng auslegt, umfasst die Definition von Natio-
nach Beendigung des Abbaus festgeschrieben. Als „Fens-         nal Geographic (2021) eine äußerst weit gefasste Auslegung,
ter in die Erdgeschichte“ können sie jedoch Einblicke in       bei der eine Abgrenzung zu anderen Tourismusformen wie
ansonsten verborgene Gesteinsschichten sowie Lebensräu-        z.B. Öko- oder Naturtourismus schwierig ist: „tourism that
me für bedrohte Arten bieten. Aufgrund der teilweise ho-       sustains or enhances the geographical character of a place –
hen Naturschutzwertigkeit der Steinbrüche und Kiesgruben       its environment, culture, aesthetics, heritage, and the well-
wird mittlerweile im Einzelfall auf die vollständige Erfül-    being of its residents.“ Inzwischen wird Geotourismus wei-
lung der Rekultivierungsverpflichtungen verzichtet (Landtag    ter gefasst als bei Hose und deutlich enger als bei National
Baden-Württemberg, 2013:4). Dies ist jedoch zumeist dem        Geographic. „Geotourism is a form of natural area tourism
Vorkommen geschützter Tier- und Pflanzenarten und nicht        that specifically focuses on geology and landscape. It promo-
den Geopotentialen geschuldet. Selbst eine international be-   tes tourism to geosites and the conservation of geo-diversity
deutsame Fossilfundstätte wie die Grube Messel war als Ab-     and an understanding of earth sciences through appreciation
falldeponie in der Diskussion (Wardenbach et al., 2009:497).   and learning. This is achieved through independent visits to
Heute ist sie glücklicherweise als UNESCO-Weltnaturerbe        geological features, use of geo-trails and viewpoints, guided
geschützt sowie als Nationales Geotop prädikatisiert. Wie in   tours, geo-activities and patronage of geosite visitor centres“
der Schweiz sind auch in Deutschland Abweichungen in den       (Newsome und Dowling, 2010). Angebotssegmente des Geo-
Bundesländern möglich.                                         tourismus sind hierbei nicht nur Geotope, sondern das brei-
   Analog zum Biotopschutz wird auch beim Geotopschutz         te Themenspektrum der Erd- und Landschaftsgeschichte, in-
kein umfassender Schutz angestrebt, sondern eine Auswahl       klusive der Wechselwirkungen zu Vegetation, Fauna, Kultur-
besonders wertvoller und repräsentativer Elemente. Hierzu      landschaft und anthropogenen Nutzungen wie Rohstoffab-
sind jedoch im Vorfeld fundierte Erhebungen unverzicht-        bau und Baukultur. Geotourismus dient als Instrument einer
bar (Prosser et al., 2018:193). In Deutschland erfolgte kei-   nachhaltigen Regionalentwicklung, muss den Geotopschutz
ne systematische und umfassende geowissenschaftliche Er-       sicherstellen und über geowissenschaftliche Umweltbildung
fassung und Bewertung von Geotopen. Geotopschutz beruh-        ein Bewusstsein für diesen vermitteln (Megerle, 2008:25f).
te zumeist auf behördlicher oder privater Initiative, sodass   2011 verabschiedeten die European Geoparks die Arouca-
ein gewisser Zufallsfaktor nicht auszuschließen ist (Staat-    Deklaration, die die Eckpunkte der gewünschten nachhal-
liche Geologische Dienste der Länder der Bundesrepublik        tigen Geotourismusaktivitäten festlegt (European Geoparks,
Deutschland, 2018:9).                                          2021). Analog zu einer wachsenden Anzahl an Veröffentli-
   Diese fehlende Erfassung schützenswerter geologischer       chungen zu Geodiversität und Geotopschutz in den letzten
Landschaftsbestandteile sowie einer wissenschaftlichen Aus-    beiden Jahrzehnten haben sich auch die Realisierung geotou-
einandersetzung mit Geotop-Schutzkriterien förderte indi-      ristischer Angebote und die wissenschaftliche Auseinander-
rekt die zunehmende biologische Ausrichtung des Natur-         setzung damit in diesem Zeitraum sehr dynamisch entwickelt
schutzes (Steinmetz, 2005:9). Schlüsselpositionen in Natur-    (vgl. Dowling und Newsome, 2006; Megerle, 2008; Reynard
schutzbehörden sind daher immer noch deutlich unterpropor-     et al., 2009; Gray, 2013; Reynard und Brilha, 2018; etc.).
tional mit Geowissenschaftler*innen besetzt.                      Einen fundierten Überblick über Formen des Geotouris-
                                                               mus, Anzahl der Tourist*innen und Höhe der regionalökono-
3   Geotourismus und Geoparks                                  mischen Wertschöpfung zu erstellen, erweist sich als schwie-
                                                               rig bis unmöglich, da eng gefasster Geotourismus (Hose,
Geotopschutz und die Inwertsetzung des geologischen und        2012) trotz allem noch vergleichsweise wenig entwickelt ist,
geomorphologischen Erbes stehen in engem Zusammenhang          gleichzeitig aber viele touristische Angebote teilweise oder
und gegenseitiger Abhängigkeit mit Geotourismus und der        indirekt als Geotourismus eingestuft werden können (Rey-
Geoparkbewegung. Geoparks und Geotourismus sind ohne           nard et al., 2021:12). Dies betrifft vielfach Öko- und Natur-
ein intaktes Geo-Erbe nicht vorstellbar; daher ist eine ad-    tourismus bis hin zu speziellen städtetouristischen Angebo-
äquate Inwertsetzung und ein umfassender Geotopschutz es-      ten (Megerle, 2018). Trotz dieser definitorischen Unschär-
sentiell (Newsome und Dowling, 2018; Brilha, 2018).            fen kann Geotourismus ein wichtiger ökonomischer Beitrag
                                                               v.a. für periphere strukturschwache Regionen sein (Gray,
                                                               2013:124), einen wesentlichen Beitrag zur Sensibilisierung

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für den Schutz des Geo-Erbes leisten (Newsome und Dow-            Aufgrund des zunehmenden Interesses an Geothemen und
ling, 2018:306) und mit einer entsprechenden Strategie trotz   der internationalen Bewegung rief der BLA-GEO (Bund-
zunehmender Besucherzahlen den Geotopschutz fördern.           Länder-Ausschuss Bodenforschung) das Gütesiegel „Natio-
   Eine frühere Form geologisch motivierter Reisen waren       naler Geopark“ für Deutschland ins Leben. 2002 wurde die-
die für ein spezielles Nachfragesegment angebotenen Fahr-      ses Prädikat von der Alfred-Wegener-Stiftung an die ers-
ten zu Mineral- und Fossilienfundstätten, die teilweise mit    ten vier deutschen Geoparks verliehen (Geo-Union Alfred-
der Plünderung der aufgesuchten Zielgebiete einhergingen       Wegener-Stiftung, 2020). Mittlerweile gibt es in der BRD 17
(Megerle, 2008:30). Basierend auf dieser Problematik, die      Nationale Geoparks, darunter sieben, die auch als European
u.a. die versteinerten Wälder von Lesbos und die Fossilien-    Geopark und UNESCO Global Geopark prädikatisiert sind.
lagerstätten in der Haute Provence betraf, entwickelte sich       Die Projektgruppe Geotope & Geoparks Schweiz hat das
Ende der 1990er Jahre die Geopark-Bewegung, getragen von       Thema Geopark Anfang 2000 aufgegriffen und 2007 einen
den vier Initiatoren Lesvos Petrified Forest (Griechenland),   Strategiebericht mit Vorschlägen für ein Label „Geopark
Réserve géologique Haute Provence (Frankreich), Mae-           Schweiz“ und ein Vorgehen für die Prädikatisierung von
strazgo Cultural Park (Spanien) und Gerolstein/Vulkaneifel     Schweizer Geopärken als UNESCO European Geoparks vor-
(BRD), finanziert durch das EU-Förderprogramm LEADER           gelegt (Reynard et al., 2007). Aus den anfänglichen Projek-
und mit den Zielsetzungen, das geologische und geomorpho-      ten sind bis heute lediglich zwei regionale Geoparks entstan-
logische Erbe zu schützen und eine nachhaltige Regionalent-    den: Geopark Sardona (GL, GR, SG) und Parco delle Gole
wicklung ihrer Gebiete zu fördern (McKeever et al., 2010).     della Breggia (TI). Das UNESCO-Label konnten sie bis 2020
2000 wurde das European Geoparks Network (EGN) gegrün-         nicht beantragen (siehe hierzu Kap. 4.4).
det.
   Geoparks sind keine Naturschutzkategorie, sondern eine      4     Chancen und Herausforderungen der
Prädikatisierung für eine Region, die über ein besonderes            Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes
geologisches und geomorphologisches Erbe sowie eine Stra-
tegie zur nachhaltigen Regionalentwicklung, zur Umwelt-        Wie oben dargelegt, kann die Inwertsetzung des regionalen
bildung und zur wissenschaftlichen Forschung verfügt. Er-      Geo-Erbes vielfältige Chancen für die jeweiligen Regionen
forderlich sind klar definierte Grenzen und ein wirtschaft-    bewirken, aber auch mit beträchtlichen Herausforderungen
liches Entwicklungspotential. Ergänzend zu den Geopoten-       verbunden sein. In langjähriger wissenschaftlicher und ange-
tialen sollen auch archäologische, ökologische und kulturel-   wandter Beschäftigung mit dieser Thematik haben die Au-
le Sehenswürdigkeiten in einem Netzwerk verbunden wer-         tor*innen wiederholt verschiedene Herausforderungen be-
den. Da das Geo-Erbe die entscheidende Basis darstellt, müs-   obachtet, die sich unter den Aspekten Geotopschutz, Geo-
sen Geoparks dessen Erhalt gewährleisten (European Geo-        didaktik und adäquate Inwertsetzung sowie der Schaffung
parks, 2021). Geoparks fördern demnach sowohl den Geo-         von geeigneten Rahmenbedingungen gruppieren lassen. Die-
topschutz als auch den Geotourismus (Newsome und Dow-          se identifizierten Hauptherausforderungen sind im Folgen-
ling, 2018:309).                                               den näher ausgeführt. Zur Veranschaulichung wurden kon-
   Bereits 2001 hatten die European Geoparks ein Überein-      krete Fallbeispiele ausgewählt, an denen diese Hauptheraus-
kommen mit der UNESCO unterzeichnet, welches das Netz-         forderungen exemplarisch aufgezeigt werden können (siehe
werk unter deren Schirmherrschaft stellte. Ende 2015 wur-      hierzu auch Tabelle 1).
de mit den UNESCO Global Geoparks eine weitere Kate-
gorie von UNESCO-Stätten – neben Weltkulturerbe, Welt-
                                                               4.1    Geotourismus als Chance für regionalökonomische
naturerbe und Biosphärenreservaten – geschaffen (UNES-
                                                                      Wertschöpfung und Diversifizierung
CO Global Geoparks, 2021). Die UNESCO Global Geoparks
sollen als Modellregionen für nachhaltige Entwicklung fun-     Geotourismus als das im letzten Jahrzehnt am stärksten
gieren. Hierbei sollen sie sowohl Einwohner*innen als auch     wachsende Tourismussegment (Ólafsdóttir, 2019), ermög-
Besucher*innen ermöglichen, die Werte der Region kennen        licht ökonomische Chancen für oft eher periphere Regio-
und schätzen zu lernen und somit ein Regionalbewusstsein       nen, die das klassische Nachfragepotential (Strand- und Ba-
aufzubauen. Als Innovationsregionen sollen sie Schutz- und     detourismus, kulturelle Sehenswürdigkeiten oder Aktivitä-
ökonomische Entwicklungsbedürfnisse in Einklang bringen        ten) nicht oder nur eingeschränkt anbieten können. Ein gu-
(Bétard, 2017:151). Das UNESCO-Programm hat zahlreiche         tes Beispiel hierfür ist Pamukkale (Türkei). Die dortigen
Länder angeregt, entsprechende Entwicklungsstrategien aus-     Sinterterrassen und Thermalwässer ziehen inzwischen fast
zuarbeiten (Girault, 2019:5). Die Geopark-Bewegung ver-        3 Mio. Besucher*innen pro Jahr an; eine deutliche Steige-
zeichnete in den letzten zwei Jahrzehnten eine ausgeprägte     rung gegenüber 1,3 Mio. 2013. Die Mehrzahl kommt als Ta-
Dynamik. Aktuell werden 161 UNESCO Global Geoparks             gestourist*innen. Schon allein durch die Eintrittspreise von
in 44 Ländern verzeichnet, 81 davon aus insgesamt 26 euro-     ca. EUR 7 pro Person wird eine signifikante Wertschöpfung
päischen Ländern.                                              für eine Region im türkischen Hinterland erzielt, die ansons-
                                                               ten nur eine sehr geringe touristische Nachfrage verzeichnen

Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022                                                      https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022
Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes: Geotopschutz und Geotourismus im Spannungsfeld ...
H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes                                     57

Tabelle 1. Schlüsselelemente für eine nachhaltige Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes.

   Thema                       Herausforderungen            Best Practices/Strategien           Beispiele (Kapitel)
   Geo-Erbe                    Gleichgewicht zwischen       Geotopschutz: Objektspezifi-        UNESCO Global Geopark Haute Pro-
                               Schutz und Nutzen des        sche Kombination von juris-         vence und Réserve Naturelle géologi-
                               Geo-Erbes.                   tischem und mechanischem            que Haute-Provence (Kap. 4.2.1), Mur
                                                            Schutz sowie Bewusstseinsbil-       des Douaniers (Kap. 4.2.2).
                                                            dung und Sensibilisierung.
                                                            Monitoring und Besucherlen-         Uracher Wasserfall
                                                            kungskonzepte.                      (Kap. 4.2.3).
   Inwertsetzung               Interesse von Laien          Mittels visuellen, emotionalen      Info-Posten Illgraben, Soundwalk,
                               wecken.                      oder sprachlichen Elementen         Geo-Caching auf den Spuren der Ver-
                                                            die Neugier des Publikums           gletscherung im Rhônetal (Kap. 4.3.1).
                                                            wecken.                             Erlebnis Geologie (Kap. 4.3.3).
                                                            Publikum niederschwellig
                                                            abholen: Verknüpfung mit
                                                            vertrauten Themen.
                                                            Innovative Angebote: Verbin-
                                                            dung von Geopotentialen mit
                                                            künstlerischen, kreativen oder
                                                            gastronomischen Erlebnissen,
                                                            Einsatz von neuen Medien.
                               Effizient mit dem Publikum   Einbezug der wichtigsten Cha-       Info-Posten Illgraben, Soundwalk
                               kommunizieren.               rakteristika des Zielpublikums      (Kap. 4.3.1).
                                                            betreffend Erwartungen, physi-
                                                            scher und kognitiver Fähigkei-
                                                            ten, sowie Vorkenntnisse zum
                                                            vermittelten Thema.
   Institutionneller Kontext   Günstige    Rahmenbedin-     Politische Unterstützung för-       Länderübergreifender Vergleich
                               gungen schaffen.             dern                                (Kap. 4.4.1).
                                                            Finanzielle Mittel bereitstellen.   Länderübergreifender Vergleich,
                                                                                                Geopark Sardona (Kap. 4.4.2).
                                                            Lokale Akteure motivieren.          Geoparkprojekt in der Region
                                                                                                Ardennen (Kap. 4.4.3).

könnte (Megerle und Beuter, 2011:81). Analog ist dies bei              ökonomische Wertschöpfung durch Geotourismus und Geo-
den US-amerikanischen Mammoth Caves mit 1,5 Mio. Be-                   Erbe von EUR 660 Mio. pro Jahr sowie 8750 Arbeitsplätze.
suchern und Preisen von USD 5 für eine Höhlentour (Dow-                Das Dinosauriermuseum in Fukui bringt jährlich 700 000 Be-
ling und Newsome, 2006:18) sowie dem Skywalk am Grand                  sucher*innen in eine eher periphere Region Japans. Spitzen-
Canyon mit über 1 Mio. Besucher*innen innerhalb der ers-               reiter sind jedoch chinesische Geoparks, die über 2 Mio. Be-
ten drei Jahre, der wichtiges Einkommen und Arbeitsplätze              sucher*innen pro Jahr anziehen und Tausende Arbeitsplätze
für die Hualapai bringt, die zuvor eine Arbeitslosenquote von          bieten (Gray, 2013:244). Für alle Bereiche und Gebiete wird
70 % aufwiesen (Gray, 2013:124). Für den Geopark Terra Vi-             mit weiter steigenden Zahlen gerechnet.
ta (Teutoburger Wald) konnten Härtling und Meier (2010:37)                Geotourismus kann ferner ein ergänzendes Angebot
die Generierung von 300 Vollzeitjobäquivalenten ermitteln              zur Diversifizierung touristischer Regionen sein, hierunter
und einen Nettogewinn von EUR 10,7 Mio. 20 % der be-                   auch städtische Destinationen (Megerle, 2018). Aufgrund
fragten Personen auf dem Quellenerlebnispfad in Bad Her-               des Landschaftsbezuges sprechen geotouristische Angebote
renalb (Nordschwarzwald) waren speziell wegen dieses geo-              auch aktuelle Trends wie Öko- und Naturtourismus an und
touristischen Angebots angereist (Megerle, 2014:106), und              während der Corona-Pandemie Trends wie staycation (sie-
die zwölf Schauhöhlen der Schwäbischen Alb verzeichne-                 he Kap. 4.2.3). Da Geotourismus immer das regionale Geo-
ten 320 000 Besucher*innen pro Jahr (Geopark Schwäbische               Erbe einbindet, wird hierdurch gleichzeitig das Regionalbe-
Alb, 2017). Für Irland kommt Indecon (2017:V) auf eine                 wusstsein (Regionale Identität) auf- und ausgebaut. Die ho-

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Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes: Geotopschutz und Geotourismus im Spannungsfeld ...
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Abb. 1. Ammonitenwand im UNESCO Global Geopark Haute Pro-      Abb. 2. Durch Panzerglas geschützter Aufschluss im UNESCO
vence (Bild: Myette Guiomar).                                  Global Geopark Haute Provence (Bild: Heidi Megerle).

hen Besucherzahlen und die wachsende Nachfrage ermögli-
                                                               durchsetzbar sein würde. Entscheidend waren daher innova-
chen außerdem eine verbesserte Wahrnehmung und über pro-
                                                               tive Geotopschutzideen in Kombination mit einer Sensibili-
fessionelle Geo-Interpretationsangebote eine Bewusstseins-
                                                               sierung von Besucher*innen und Einheimischen.
bildung, die essentiell für einen verbesserten Geotopschutz
                                                                  Zum Schutz des hochwertigen geologischen Erbes setzt
ist.
                                                               die Réserve erfolgreich auf ein dreistufiges Programm (Me-
                                                               gerle, 2008:172ff; Myette Guiomar, pers. Mitteilung, 2020):
4.2     Geotopschutz zum Erhalt des Geo-Erbes                     Hochwertige Potentiale, bei denen eine Beeinträchtigung
Wie in Kap. 2 dargelegt, ist ein adäquater Geotopschutz für    durch Besucher*innen nicht ausgeschlossen werden kann,
einen nachhaltigen Geotourismus essentiell. Dies zeigt sich    werden weder in touristische Angebote noch in Veröffentli-
exemplarisch an den untenstehenden Beispielen sowie aktu-      chungen integriert oder in sonstiger Form publik gemacht. In
ell durch neue pandemiebedingte Herausforderungen.             dem weitläufigen und schwer zugänglichen Gebiet bewährt
                                                               sich diese Geheimhaltung bis jetzt hervorragend.
                                                                  Kleinflächige Potentiale, die in touristische Angebote in-
4.2.1    UNESCO Global Geopark Haute Provence und
                                                               tegriert werden, aber eines zusätzlichen Schutzes bedürfen,
         Réserve Naturelle géologique Haute-Provence
                                                               werden durch Panzerglas gesichert. So ist eine Zerstörung
Die Réserve Naturelle géologique Haute-Provence im Süd-        ausgeschlossen und gleichzeitig eine Besichtigung möglich
osten Frankreichs wurde bereits 1984 als Geologieschutzge-     (Abb. 2). Eine zusätzliche Sicherung besteht durch einen
biet ausgewiesen. Ende der 1990er Jahre war die Réserve ei-    patrouillierenden Ranger, der jedoch aufgrund der Größe
ner der Hauptakteure der Geopark-Bewegung (siehe Kap. 2).      und Unzugänglichkeit des Gebietes keinen umfangreichen
Heute überlagern sich der UNESCO Global Geopark Haute          Schutz sicherstellen kann.
Provence und die Réserve in großen Teilen ihrer Gebietsku-        Großflächige Potentiale, bei denen eine mechanische Si-
lisse.                                                         cherung in der oben angeführten Form nicht möglich ist,
   Ausweisungsgrund für die Réserve und Initial für die Geo-   werden offensiv öffentlich bekannt gemacht. Wie das Bei-
parkbewegung war die zunehmende Gefährdung des geo-            spiel der großen Ammonitenwand (Abb. 1) zeigt, scheint die-
logischen Erbes durch die umfangreiche und unkontrollier-      se „gegenseitige Überwachung“ durch die zahlreichen Besu-
te Entnahme von Fossilien. Die Region ist international be-    cher*innen zu funktionieren. Eine Geheimhaltung der Am-
kannt für ihren außergewöhnlichen Reichtum an Fossilien,       monitenwand ist aufgrund ihrer Lage unmittelbar an der Ver-
der von versteinerten Hölzern bis hin zu Ichthyosauriern,      bindungsstraße zwischen Digne und Barles ohnehin unmög-
Seekühen sowie Aufschlüssen mit Tausenden von Ammoni-          lich.
ten reicht (Abb. 1).                                              Insbesondere mit der Sicherung hochwertiger paläontolo-
   Trotz der offiziellen Unterschutzstellung zeigte sich       gischer Funde im Gelände und deren Einbindung in touris-
schnell, dass eine rein juristische Ausweisung ohne flan-      tische (Wander-)Routen mit Erläuterungstafeln sowie Füh-
kierende Maßnahmen in einem sehr großen Gebiet, wel-           rungen hatte die Réserve Neuland beim Geotopschutz be-
ches auch nur über geringe Kapazitäten zur Überwachung         schritten. Bis dahin waren derartige hochwertige Fossilfunde
der Schutzbestimmungen verfügte, kaum kontrollierbar und       geborgen und in Museen gebracht worden (Ex-situ-Schutz).

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Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes: Geotopschutz und Geotourismus im Spannungsfeld ...
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Abb. 3. Das Geotop Mur des Douaniers (Réserve naturelle natio-      Abb. 4. Innenansicht des Museums für Mineralien, Gesteine und
nale de Vireux-Molhain) mit Sensibilisierungs- und Schutzeinrich-   Fossilien der Ardennen in Bogny-sur-Meuse (Frankreich) (Bild:
tungen (Bild: Relief).                                              Relief).

Da mit Ausnahme kleiner herausgewitterter Fossilien keine           einer Überwachung durch Wild- und Waldwächter*innen,
Fundstücke mitgenommen werden dürfen, der Wunsch nach               beendete zwar die Ausbeutung, schränkte gleichzeitig aber
Souvenirs aber besteht, bieten die Museen des Geoparks              auch die wissenschaftliche Forschung stark ein. Heute ist
Merchandising-Produkte, z.B. Anhänger, aber auch Süßig-             jegliche Nutzung verboten, auch wissenschaftliche Studien,
keiten in Ammonitenform.                                            Bildungs- und nachhaltige Geotourismusangebote, die für
   Der Geoparkdirektor Jean-Simon Pagès (pers. Mitteilung,          einen verantwortlichen Umgang mit dem Geo-Erbe essenti-
2020) schätzt die Entwicklung insgesamt sehr positiv ein.           ell sind (Prosser et al., 2018). Um den Reichtum dieser Fos-
Die unkontrollierte Plünderung der Fossillagerstätten konn-         sillagerstätte zu erleben, ist eine Fahrt ins 40 km entfernte
te unterbunden werden, gravierende Beeinträchtigungen an            Bogny-Museum (Abb. 4) notwendig. Das strikte Betretungs-
geologischen Phänomenen, die in touristische Angebote in-           verbot führt aktuell zu einer zunehmenden Überwucherung
tegriert wurden, sind nicht zu verzeichnen. Die Umwelt-             durch Vegetation und dazu, dass diese hochwertige Stätte in
bildungsmaßnahmen des Parks haben zur Bewusstseinsbil-              Vergessenheit geraten könnte (ONF, 2018).
dung und Sensibilisierung sowohl der Besucher*innen als
auch der einheimischen Bevölkerung beigetragen. Letztere            4.2.3   Der Uracher Wasserfall – Besucheransturm in der
stehen dem Park sehr aufgeschlossen gegenüber. Obgleich                     Pandemie
insbesondere die überregionale Vermarktung des Geoparks
bislang noch deutliche Schwächen aufweist, sind die Besu-           Der Uracher Wasserfall ist einer der bekanntesten Attrakti-
cher*innenzahlen gestiegen, was wiederum positive Auswir-           onspunkte des UNESCO Global Geopark Schwäbisch Alb.
kungen auf die regionale Wertschöpfung hat.                         Schon seit Längerem bereiteten die zu hohen Besuchermen-
                                                                    gen, die die sehr empfindlichen Kalktuffbildungen durch
                                                                    unsachgemäßes Verhalten gravierend beeinträchtigten, er-
4.2.2   Mur des Douaniers                                           hebliche Probleme. Die Reisebeschränkungen während der
                                                                    Corona-Pandemie führten zur einer „Wiederentdeckung“ der
Die Mur des Douaniers, eine mitteldevonische Fossillager-
                                                                    Heimat, sodass sich v.a. an schönen Wochenendtagen die
stätte in der Nähe von Vireux (französische Ardennen) ist
                                                                    Besucherzahlen nochmals vervielfältigten. Zeitweise musste
ein höchst schutzwürdiges Geotop. Der Aufschluss lieferte
                                                                    der Zugang zum Wasserfall durch berittene Polizei gesperrt
eine Fülle von Fossilien, einschließlich Trilobiten, in außer-
                                                                    werden. Trotz neu aufgestellter Schilder, die das Verlassen
gewöhnlich gutem Erhaltungszustand (Crônier und Van Vier-
                                                                    der Wege untersagten, und dem Einsatz von Rangern waren
sen, 2008; Gibout, 1990).
                                                                    die Beschädigungen der Kalktuffgeotope gravierend (Meger-
   Der Aufschluss war durch die Plünderung der Fossili-
                                                                    le, 2021). Aktuell hat die Stadt Bad Urach ein Besucherlen-
en v.a. in den 1980er Jahren bedroht (ONF, 2018). Selbst
                                                                    kungskonzept in Auftrag gegeben.
Wissenschaftler*innen und Geologieliebhaber*innen trugen
durch unsachgemäßes Verhalten zu einer weitgehenden Zer-
störung bei. Die Ausweisung als nationales Naturreservat im
Jahr 1991 (Décret 91-279, 1991), verbunden mit dem Schutz
des Geländes durch Absperrungen, Tafeln mit Verhaltensre-
geln und wissenschaftlichen Informationen (Abb. 3) sowie

https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022                                                            Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022
60              H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes

Abb. 5. Info-Posten zum Thema Illgraben (Murgänge) auf dem
Bahnhofsplatz in Susten (VS) (Bild: Relief).

4.3     Das Publikum erreichen: Geodidaktik und adäquate
        Inwertsetzung

Da Geologie von Laien häufig als zu kompliziert oder lang-
weilig wahrgenommen wird, müssen Angebote geodidak-
tisch ansprechend aufbereitet werden, wenn nicht nur Geo-
Begeisterte mit Vorkenntnissen, sondern im Sinne regiona-
ler Wertschöpfung ein breites und zahlreiches Publikum er-
reicht werden soll (siehe Kap. 3, Megerle, 2008; Knaus und
Backhaus, 2014). Eine wesentliche Herausforderung für die
Gestaltung geotouristischer Angebote ist es daher, Metho-
den zu entwickeln, mit welchen das Interesse von Laien ge-
weckt werden kann, der Inhalt verständlich, aber dennoch
geowissenschaftlich korrekt vermittelt wird (Martin, 2020;      Abb. 6. Info-Posten zum Thema Illgraben im Inneren des Touris-
Beck und Cable, 2002) und der Schutz des in Wert gesetzten      musbüros (Bild: Relief).
Geo-Erbes garantiert werden kann. Die nachfolgenden Bei-
spiele zeigen, wie dies gelingen kann.

4.3.1    Adäquate Angebote für ein Freizeitpublikum             Warnzwecken monitoriert wird (Badoux et al., 2009). Der
                                                                Regionale Naturpark, in Zusammenarbeit mit der Gemein-
Martin (2020) konnte zeigen, dass die Nachfrage nach geo-       de und dem Tourismusbüro, will mit dem Infoposten Be-
touristischen Produkten häufig latent ist, d.h., dass Besu-     sucher*innen und Einheimische – darunter viele Neuzuzü-
cher*innen durchaus an Informationen interessiert sind, aber    ger*innen – auf diesen geomorphologischen Prozess und die
nicht zwingend deswegen einen Ort aufsuchen. Um dieses          richtige Verhaltensweise im Umgang mit Murgängen sensi-
Publikum zu erreichen, gilt es in erster Linie seine Auf-       bilisieren. Der Info-Posten steht auf dem stark frequentierten
merksamkeit zu erlangen, indem mittels visuellen, emotiona-     Bahnhofsplatz. Mit einem imposanten Steinblock aus dem
len oder sprachlichen Elementen die Neugier geweckt wird        Illbach, einer nachgebauten Alarmstation und einem Fern-
(Moscardo, 1999).                                               rohr überraschen gleich drei standortfremde Gegenstände die
   Das Beispiel Info-Posten Illgraben in Susten (VS) (Abb. 5)   Passanten (i). Die bewusst kleinformatigen Tafeln vermitteln
verdeutlicht, wie (i) das latente Interesse angesprochen,       unterstützt von großzügigen Illustrationen und kurzen Texten
(ii) ein leichter Zugang zum Inhalt geschaffen und (iii) auf    den grundlegenden Inhalt (ii). Der direkte Bezug zum Illgra-
die verschiedenen Informationsbedürfnisse (Serrell, 2015;       ben wird durch den Steinblock und das Fernrohr, welches die
Moscardo et al., 2007) eingegangen werden kann.                 Beobachtung des Erosionstrichter erlaubt, hergestellt. Auf
   Susten liegt im Regionalen Naturpark Pfyn-Finges und ge-     den Tafeln wird das nebenliegende Tourismusbüro erwähnt
hört zur Gemeinde Leuk. Auf dem Gemeindegebiet ist ein          (Abb. 6). Wurde das Interesse geweckt, so sind dort weitere
äußerst dynamisches Murgangsystem aktiv (mehrere Mur-           Informationen über Wanderungen und Exkursionen im Ge-
gänge pro Jahr), welches seit Langem zu Forschungs- und         biet erhältlich (iii).

Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022                                                         https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022
H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes                          61

                                                                     che und eventuellen Übersetzungen (Abb. 7), sondern auch
                                                                     um den Einbezug der wichtigsten Charakteristika des Ziel-
                                                                     publikums betreffend Erwartungen, physischer und kogniti-
                                                                     ver Fähigkeiten sowie Vorkenntnisse zum vermittelten The-
                                                                     ma (für eine Übersicht Martin, 2020). Familien stellen dies-
                                                                     bezüglich ein anspruchsvolles Publikum dar, da Kinder und
                                                                     Erwachsene verschiedene Ansprüche und Bedürfnisse haben
                                                                     (Tilden, 1957; MacManus, 1994; Moscardo et al., 2007).

                                                                     4.3.3    Neue Tourismuspraktiken und neue Technologien

                                                                     Neben einem zielgruppengerechten Inhalt spielt auch die
                                                                     Verpackung bei geotouristischen Angeboten eine wichtige
                                                                     Rolle. Die zahlreichen Möglichkeiten (Broschüren, Tafeln,
                                                                     Exkursionen etc.) weisen alle sowohl Vor- als auch Nach-
                                                                     teile auf (für eine Übersicht Martin, 2013). Ein neues Pu-
                                                                     blikum kann über innovative Angebote an unerwarteten Or-
                                                                     ten oder über neue Medien erreicht werden – siehe hierzu
                                                                     für die Schweiz die Website von Erlebnis Geologie (https:
                                                                     //www.erlebnis-geologie.ch, letzter Zugriff: 1. Juli 2021).
                                                                        Digitale Instrumente sind vielversprechende neue Medi-
                                                                     en. Sie bieten zahlreiche Möglichkeiten zur Vermittlung von
                                                                     Geothemen (Cayla und Martin, 2018): Apps mit lokalisierten
                                                                     Informationen, Augmented Reality oder 3D, Spiele, Multi-
                                                                     media und Interaktivität. Nachteile dieser Medien wie Zu-
                                                                     gang zum Datennetz, Batterieverbrauch, Lebensdauer der
                                                                     Anwendungen, digitaler Analphabetismus, negative Wahr-
Abb. 7. Die dreidimensionale Stele auf dem Kandel bei Freiburg       nehmung dieser Instrumente beim Wandern in der Natur
im Breisgau zeigt, wie der Mehrsprachigkeit auf Tafeln Rechnung      u.a. verringern sich mit der technischen Weiterentwicklung
getragen werden kann, ohne diese grafisch zu überlasten. Eine an-    zunehmend. Eine aktuell gute Anwendungsmöglichkeit für
dere viel gewählte Möglichkeit besteht darin, mittels QR-Codes auf   digitalen Geotourismus besteht in einem Umfeld, in wel-
Übersetzungen zuzugreifen (Bild: Heidi Megerle).                     chem das Mobiltelefon bereits benutzt wird, z.B. bei Stadt-
                                                                     führungen mit Smartphones wie in Lausanne oder Rom (Pi-
                                                                     ca et al., 2018). Netz- oder Wahrnehmungsprobleme beste-
   Ein grundsätzlich geoaffines Publikum kann auch durch             hen hier nicht; die technischen Möglichkeiten des Smartpho-
die Verknüpfung mit vertrauten Themen (Moscardo, 1999)               nes wie die Geolokalisierung können voll ausgeschöpft wer-
oder durch die Verbindung von Geopotentialen mit künstle-            den (Grangier, 2019). Außerhalb des urbanen Raumes bietet
rischen oder gastronomischen Erlebnissen erreicht werden.            sich die Smartphone-Nutzung dann an, wenn ein Mehrwert
Letzteres erfolgt z.B. durch die „geologischen Soundwalks“.          im Vergleich zu einem gedruckten Medium generiert werden
Im Zentrum steht ein künstlerisches, wissenschaftliches und          kann, wie z.B. beim Geocaching auf den Spuren der Verglet-
sinnliches Erlebnis. Zusammen mit einem Geologen und                 scherung im Rhônetal (Bex, VS). Hier integriert die Anwen-
Musiker*innen, die in Echtzeit und inspiriert von der Atmo-          dung eine stark spielerische Dimension sowie eine Hilfe zur
sphäre des Ortes und den Worten des Geologen improvisie-             Geolokalisierung von Geotopen.
ren, tauchen die Teilnehmer*innen in die Landschaft ein. Sie
können sich dank der Kopfhörer frei bewegen und die Um-
                                                                     4.4     Günstige Rahmenbedingungen schaffen
gebung, die Musik sowie die Erläuterungen auf sich wirken
lassen. Dieses Konzept wurde erstmals im Illgraben angebo-           Betrachtet man speziell die geotouristische Landschaft in
ten und seither an verschiedenen Standorten mit unterschied-         der Schweiz, so fällt auf, dass sie durch eine große Viel-
lichem geologischen Kontext übertragen.                              zahl von isolierten Inwertsetzungsmaßnahmen und Projek-
                                                                     ten auf lokaler Ebene gekennzeichnet ist (einzelne Lehrpfa-
4.3.2   Welche Sprache spricht das Zielpublikum?                     de, Steingärten etc.). Regionalökonomische Wertschöpfung
                                                                     sowie Bewusstseinsbildung lässt sich so kaum generieren.
Genauso wichtig, wie das Interesse für ein Angebot zu ge-            Für die Entwicklung großmaßstäblicher Projekte mit wei-
winnen, ist es, in der Sprache des Publikums zu sprechen.            terer Ausstrahlung sind entsprechende Rahmenbedingungen
Dabei geht es nicht nur um die Handhabung von Hauptspra-             notwendig.

https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022                                                            Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022
62             H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes

4.4.1   Politische Unterstützung                                  nen, für die ein Geopark eine Chance hätte sein können, wei-
                                                                  terhin unerreichbar.
Die im Kap. 3 erwähnten Geoparks sind ein Instrument
für nachhaltige Regionalentwicklung. Ein Blick über die           4.4.2   Finanzierungsmöglichkeiten
Schweizer Grenzen zeigt, dass dort in den letzten 20–30 Jah-
ren zahlreiche Geoparks gegründet und einige davon als            Ein weiterer wichtiger Faktor für den Aufbau von regio-
UNESCO-Geoparks ausgezeichnet wurden (DE: 17/6*, FR:              nalen Initiativen ist die finanzielle Unterstützung. Im EU-
7/7, IT: 14/9 & A: 3/3*, Geoparks/UNESCO zertifizierte            Raum wurden mehrere Geoparkprojekte mit Hilfe von EU-
Geoparks, *darunter ein grenzüberschreitender UNESCO-             Programmen wie INTERREG oder LEADER unterstützt.
Geopark, Stand Oktober 2020). In der Schweiz gibt es le-          Die Finanzierung kommt unter anderem Machbarkeitsstudi-
diglich zwei regionale Geoparks. Mit der kleinen Fläche der       en (PNR des Ardennes), der Zusammenstellung des Kandi-
Schweiz oder geringem Geopotential lässt sich dieser Un-          daturdossiers (Géoparc Chablais), dem Aufbau von Ange-
terschied gemäß einer Studie zu international signifikanten       boten und Infrastrukturanlagen (Géoparc des Bauges, Natur-
geologischen Werten der Schweiz (Buckingham et al., 2018)         & Geopark Mëllerdall) sowie der Zusammenarbeit von ver-
nicht begründen.                                                  schiedenen Geoparks (UNESCO Global Geopark Cooperati-
   Laut einer vom Netzwerk Schweizer Pärke in Auftrag             on DE/NL, Danube Geotour oder Atlantic Area) zugute. Die
gegebenen Studie (Buckingham und Forster, 2014) fehlte            Förderung durch EU-Programme ist ein wesentlicher Grund,
in der Schweiz bis anhin eine offizielle Anerkennung des          warum sich die Geoparks in der Europäischen Union sehr
Geo-Erbes und des Geopotentials auf nationaler Ebene. Die         dynamisch entwickeln konnten.
Projektgruppe Geotope & Geoparks Schweiz der Akade-                  In der Schweiz können im Rahmen der oben erwähnten
mie der Naturwissenschaften Schweiz unternahm um die              Umsetzung des UNESCO-Geopark-Programms einzig Pär-
Jahrtausendwende mehrere Vorstöße, um Geoparks in der             ke von nationaler Bedeutung mit substantieller finanzieller
Schweiz zu fördern und in die politische Agenda zu inte-          Unterstützung rechnen. Weitere Mittel können über Förder-
grieren. Doch die zuständigen Behörden konzentrierten sich        instrumente des Bundes – dazu zählen etwa die Neue Regio-
auf den Aufbau von Regionalen Naturparks, welche in der           nalpolitik, die Landwirtschaftspolitik, Modellvorhaben für
Schweiz seit 2007 im Bundesgesetz über den Natur- und Hei-        nachhaltige Entwicklung – oder der Kantone beantragt wer-
matschutz (RS 451, 1996, Abschnitt 3b) verankert sind. Fi-        den. Für die Ausarbeitung eines Gesuchs steht jedoch kein
nanzierungshilfen und Zertifikate gehen seither an Gebiete,       spezifisches Förderinstrument des Bundes zur Verfügung.
die sich entweder durch (i) „die Vielfalt und Seltenheit der      Daher scheitern v.a. Initiativen peripherer, strukturschwacher
einheimischen Tier- und Pflanzenarten oder (ii) die besonde-      Regionen häufig an Finanzierungsfragen.
re Schönheit und die Eigenart der Landschaft auszeichnen,            Trotz dieser schwierigen Umstände ist der Verein Geopark
sowie (iii) einen geringen Grad an Beeinträchtigungen der         Sardona seit 1999 aktiv. Entstanden als Regio-Plus-Projekt
Lebensräume einheimischer Tier- und Pflanzenarten sowie           GeoPark Sarganserland-Walensee-Glarnerland hat der Geo-
des Landschafts- und Ortsbildes durch Bauten, Anlagen und         park Sardona eine ereignisreiche Vergangenheit, die durch
Nutzungen aufweisen“ (RS 451.36, Art. 15). Gemäß dieser           wiederholte Anpassungen, Erweiterungen und Neuausrich-
Definition wäre es zwar grundsätzlich möglich, einen regio-       tung der Aufgabenbereiche gekennzeichnet ist. Als Förder-
nalen Naturpark auf geologische Werte abzustützen, der wei-       verein Welterbe & Geopark Sardona arbeitet er seit 2018
tere Weg zum UNESCO-Label war jedoch bis 2020 nicht               eng mit der Trägerschaft des UNESCO-Welterbes Tekto-
möglich, da kein entsprechendes Verfahren seitens der Be-         nikarena Sardona zusammen. In den 20 Jahren seines Be-
hörden formuliert worden war. Auch der direkte Weg, über          stehens konnte er dank weiterer Finanzierung durch Pro-
eine regionale Initiative ein UNESCO-Label zu beantragen,         jekte der neuen Regionalpolitik (NRP-Projekte) – Sardo-
war nicht definiert (Buckingham und Forster, 2014). In An-        na aktiv (2012–2015; Regio Suisse, 2021b), Sardona PLUS
betracht dieser Verfahrenslücke erstaunt es nicht, dass in der    (2016–2018; Regio Suisse, 2021a) – in enger Zusammen-
Schweiz, im Vergleich zum Ausland, wo Geoparks auf natio-         arbeit mit dem UNESCO-Welterbe Tektonikarena Sardona
naler Ebene getragen werden, anfänglich Projekte nicht wei-       Projekte und zahlreiche Aktivitäten umsetzen. Letztere kon-
terverfolgt oder als regionale Initiative bestehen blieben. An-   zentrieren sich im bewohnten Gebiet rund um das Welter-
fangs 2020 hat das Bundesamt für Umwelt Richtlinien für die       be Sardona und tragen dazu bei, das Geo-Erbe im und um
Umsetzung von UNESCO-Geoparks in der Schweiz (BAFU,               das Welterbe bekannt zu machen und die Identifikation und
2020a) und Ende desselben Jahres das Anerkennungsverfah-          Akzeptanz dafür bei der Bevölkerung zu fördern (Michel
ren (BAFU, 2020b) bekannt gegeben. Gemäß diesen Vor-              und Wallner, 2020). Das Engagement und die Identifikati-
gaben sind nur bestehende UNESCO-Welterbestätten, Pär-            on mit dem Geopark Sardona zeigen sich am langjährigen
ke von nationaler Bedeutung oder kantonale Schutzgebiete          Einsatz von Personen und Institutionen zugunsten des Geo-
mit Managementstruktur zum Auszeichnungsverfahren zu-             parks (Freiwilligenarbeit, Projektfinanzierung) und der ein-
gelassen. Somit bleibt in der Schweiz das UNESCO-Label            drücklichen Mitgliederliste (2020: rund 450 Mitglieder, da-
für strukturschwache und noch nicht prädikatisierte Regio-        von 30 Betriebsmitglieder). Ein lang erklärtes Ziel des För-

Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022                                                          https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022
H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes                       63

dervereins Welterbe & Geopark Sardona ist eine UNESCO-           regionaler und grenzüberschreitender Ebene zu bündeln, und
Geopark-Kandidatur einzureichen, um an den Netzwerktä-           den individuellen Wünschen der Gemeinden andererseits fin-
tigkeiten teilnehmen und von der internationalen Ausstrah-       den. Es ist zu hoffen, dass ein Konsens gefunden wird, der zu
lung des Labels profitieren zu können. Das Beispiel Geopark      einem sowohl in finanzieller als auch in politischer Hinsicht
Sardona verdeutlicht, wie dank der nötigen Finanzierung und      nachhaltigen Projekt führt.
engagierten lokalen Akteuren (begeisterte Geowissenschaft-          Auch in der Schweiz befinden sich periphere Regionen
ler*innen, GeoGuides, Bevölkerung, lokales Gewerbe, Tou-         in einem Umwandlungsprozess: Wiederbelebung von Alpen-
rismusorganisationen und Dienstleistungen, lokale Förder-        tälern oder der Jurakette, tief gelegene Skigebiete auf der
vereine und Gemeinden) das Geo-Erbe regional und in die-         Suche nach Alternativen zum Wintertourismus. Viele dieser
sem Beispiel kantonsübergreifend in Wert gesetzt werden          Regionen verfügen über ein reiches und anerkanntes Geo-
kann.                                                            Erbe (Buckingham et al., 2018), gekoppelt mit hochwertigen
                                                                 Empfangsinfrastrukturen. Diese Ausgangslage ruft dazu auf,
4.4.3   Engagierte, lokale Akteure
                                                                 die Chance des Geotourismus zur Unterstützung der regio-
                                                                 nalen Entwicklung in der Schweiz ernsthaft in Betracht zu
Die Initiierung und erfolgreiche Umsetzung größerer Geo-         ziehen.
tourismusprojekte, insbesondere die Ausweisung eines Geo-
parks, sind sehr häufig auf engagierte Schlüsselpersonen und
eine umfangreiche Unterstützung durch die lokalen und re-        5   Fazit
gionalen Amtsträger*innen, aber auch die Bevölkerung zu-
rückzuführen. Eine entsprechende Förderung erster Initiati-      Die These, dass die Inwertsetzung des Geo-Erbes mittels
ven v.a. in peripheren und strukturschwachen Gebieten kann       geotouristischer Angebote eine Chance für die Regionalent-
den Weg für eine erfolgreiche Umsetzung bereiten. Sowohl         wicklung, aber auch zur Diversifizierung des touristischen
das Netzwerk der European Geoparks als auch die UNESCO           Angebots darstellen kann, sofern spezifische Herausforde-
legen großen Wert auf die lokale Verankerung von Geoparks.       rungen gemeistert werden können, kann durch die gewählten
   Ein gutes Beispiel hierfür ist ein grenzüberschreitender      internationalen Beispiele bestätigt werden. Mit dem Beginn
Geopark in der Region Ardennen, der sich aktuell in der Pro-     der Geoparkbewegung wird dem Geo-Erbe, seiner Inwert-
jektphase befindet. Die inzwischen stillgelegte Bergbau- und     setzung und seinem Schutz zunehmend Aufmerksamkeit ge-
Hüttenindustrie hat die Landschaft der Ardennen und das Le-      schenkt. National und international sind hierbei signifikan-
ben ihrer Bewohner über Jahrhunderte geprägt. Die Verbin-        te Unterschiede zu beobachten, die weniger mit einem un-
dungen zwischen der geologischen Geschichte des Massivs,         terschiedlichen Geopotential als mit länderspezifischen Rah-
der Lithologie, dem Relief und den menschlichen Aktivitäten      menbedingungen zu begründen sind: Die Anerkennung der
sind stark verwoben und in der gesamten Region sehr prä-         Schutzwürdigkeit und des Potentials für eine regionalökono-
sent. Eine Machbarkeitsstudie (Perret und Martin, 2019) hat      mische Wertschöpfung sind weitgehend durch die politische
die Vorzüge der Region, die Entwicklungsachsen sowie die         und gesellschaftliche Großwetterlage bestimmt.
Finanzierungsmöglichkeiten dieser neuen Struktur ermittelt.         Allerdings garantieren auch gesetzlicher Schutz und aus-
Die Weiterverfolgung eines solchen Projekts setzt die aktive     reichende finanzielle Mittel alleine noch keinen Erfolg für
Beteiligung der lokalen Amtsträger*innen auf verschiedenen       einen nachhaltigen Umgang mit dem Geo-Erbe. Schutzzie-
Ebenen voraus. Die hierzu zu überwindenden Hürden beste-         le können nur dann erreicht werden, wenn das Bewusstsein
hen darin, die Akteur*innen auf Ebene der Regionen und De-       für die Schutzwürdigkeit von einer breiten Palette von Ak-
partements vom wirtschaftlichen Potential und der Rendite        teur*innen anerkannt wird. Eine adäquate Inwertsetzung des
eines Geoparks zu überzeugen sowie in der Schaffung grenz-       Geo-Erbes kann dazu beitragen, dieses Bewusstsein zu för-
überschreitender Strukturen, die es ermöglichen, den Park zu     dern. Initiativen von lokalen Akteur*innen sollten dement-
koordinieren und die Mittel zu verteilen.                        sprechend unterstützt und auch finanziell gefördert werden.
   Ein Alleinstellungsmerkmal könnte durch die Erschlie-            Im vorliegenden Artikel wurde überblicksartig dargelegt,
ßung eines ehemaligen Schieferbergwerks geschaffen wer-          welche vielfältigen Chancen Geotourismus bieten kann, aber
den. Hierfür sind jedoch erhebliche Investitionen erforder-      auch welche Herausforderungen bei der Inwertsetzung zu be-
lich, die im Umkehrschluss kein gleichwertiges Angebot für       achten sind. Forschungsbedarf besteht hier v.a. in der Ver-
alle Gemeinden innerhalb der Geopark-Kulisse ermöglichen.        bindung von Schutz und Nutzung, speziell im Hinblick auf
Die Entscheidung für oder gegen eine Mitgliedschaft einer        Overtourism, meist in Verbindung mit unzureichender Besu-
Gemeinde kann daher vom Standort zukünftiger Infrastruk-         cherlenkung, der eine Gefahr für stark nachgefragte sensi-
turen und Investitionen des Geoparks abhängen. Dem Ver-          ble Gebiete mit sich bringt. Wichtig wären auch Studien, die
teilschlüssel liegt somit eine starke politische Dimension zu-   geotouristische Wertschöpfung im Hinblick darauf evaluie-
grunde, die nicht unbedingt der Logik des Tourismus und          ren, inwiefern und in welchem Umfang diese zur regionalen
des Natur- und Kulturerbes entspricht. Das Projekt muss ein      Entwicklung beiträgt und welches fördernde bzw. hemmen-
Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit, die Kräfte auf         de Rahmenbedingungen sind (siehe Kap. 4.4). Ferner emp-

https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022                                                         Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022
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