Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes: Geotopschutz und Geotourismus im Spannungsfeld ...
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supported by Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022 © Author(s) 2022. This work is distributed under the Creative Commons Attribution 4.0 License. Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes: Geotopschutz und Geotourismus im Spannungsfeld unterschiedlichster Interessen Heidi Megerle1 , Simon Martin2 , and Géraldine Regolini2 1 Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg, 72108 Rottenburg am Neckar, Deutschland 2 Bureau d’étude Relief, 1860 Aigle, Schweiz Correspondence: Heidi Megerle (megerle@hs-rottenburg.de) Received: 1 March 2021 – Revised: 3 November 2021 – Accepted: 9 November 2021 – Published: 19 January 2022 Kurzfassung. Although the geodiversity of the Earth is hardly less remarkable than its biodiversity, to this day there is a clear discrepancy between the protection of biotic and abiotic elements both in Switzerland and internationally. In response to the increasing threat facing our geoheritage, a dynamic geopark and geotourism movement emerged in the late 1990s. As Geoparks enjoy no statuary protection, they have to combine su- stainable geotourism with geo-education, in order to raise awareness for the importance and vulnerability of our geoheritage. The valorization of geoheritage offers opportunities for regional development and tourism diversi- fication, provided that possible risks are taken into account. Based on an extensive literature review as well as own research and geotourism projects, the main opportunities, risks and challenges of sustainable geotourism are highlighted using national and international case studies. 1 Einleitung und angewandter Beschäftigung mit dieser Thematik wurde die These entwickelt, dass die Inwertsetzung des Geo-Erbes Im September 2019 fand in Bellinzona die Jahresta- mittels geotouristischer Angebote eine Chance für die Re- gung der Schweizerischen Geomorphologischen Gesell- gionalentwicklung, aber auch zur Diversifizierung des tou- schaft (SGmG) zu „Geomorphologie und Gesellschaft“ statt. ristischen Angebots darstellen kann, sofern spezifische Her- Der damalige Key-Note-Vortrag zu „Chancen, Herausforde- ausforderungen gemeistert werden können. Die von uns er- rungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo- kannten Hauptchancen und Hauptherausforderungen werden Erbes: Geotopschutz und Geotourismus im Spannungsfeld in einen Gesamtkontext eingeordnet und durch nationale und unterschiedlichster Interessen“ bildet die Basis des einfüh- internationale Best- und Worst-Case-Beispiele aus der Pla- renden Überblicksartikels zum Sonderheft „Geomorpholo- nungspraxis illustriert. Mit einer Ausnahme stammen diese gie und Gesellschaft“ der Geographica Helvetica. Aufgezeigt Beispiele aus den Jahren vor 2020, da die Corona-Pandemie werden sollen die wachsende Bedeutung des Geotourismus auch bei geotouristischen Angeboten erhebliche Auswirkun- (Newsome und Dowling, 2010; Megerle, 2008; Chen et al., gen entwickelte. Zuvor wird der aktuelle Forschungsstand 2015; Reynard und Brilha, 2018; etc.) und die damit ver- zu Geotourismus und Geotopschutz aufgezeigt. Der Artikel bundenen Chancen, v.a. für Regionen mit einem herausra- erhebt daher nicht den Anspruch, spezifische Forschungs- genden Geo-Erbe (Brilha, 2018), aber auch die Herausfor- aspekte anhand einzelner Fallstudien zu vermitteln, sondern derungen und Risiken der Inwertsetzung dieses Geo-Erbes, einen Überblick über die Chancen, Herausforderungen und v.a. in Anbetracht eines nach wie vor häufig unzureichenden Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes zu bie- Geotopschutzes (Reynard et al., 2021; Gray, 2013; Megerle ten. Er basiert hierbei auf einer umfassenden Kenntnis der und Pietsch, 2019; etc.). Aus langjähriger wissenschaftlicher Published by Copernicus Publications for the Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich & Association Suisse de Géographie.
54 H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes relevanten Literatur sowie Beispielen aus den Forschungs- in Inventare von nationaler Bedeutung aufnehmen. „Durch sowie Umsetzungsprojekten der Autor*innen. die Aufnahme eines Objektes von nationaler Bedeutung in Einleitend wird der Stand der Forschung in Bezug auf ein Inventar des Bundes wird dargetan, dass es in beson- Geo-Erbe, Geotopschutz und Geotourismus überblicksartig derem Maße die ungeschmälerte Erhaltung, jedenfalls aber dargelegt, um dies anschließend anhand ausgewählter Bei- unter Einbezug von Wiederherstellungs- oder angemessenen spiele zu konkretisieren. Ersatzmassnahmen die grösstmögliche Schonung verdient“ (NHG 451, Art. 6). Geotope gehören wie Biotope impli- zit zum im Gesetz verwendeten allgemeinen Begriff „Na- 2 Geo-Erbe, Geodiversität und Geotopschutz turdenkmäler“ (Reynard, 2021). Obwohl die Projektgruppe Geotope und Geoparks Schweiz 1999 ein Inventar der Geo- Im Gegensatz zur Biodiversität, einer inzwischen auch in der tope von nationaler Bedeutung erarbeitete und publizierte Alltagssprache weithin verwendeten Begrifflichkeit, wurde (Arbeitsgruppe Geotopschutz Schweiz, 1999) sowie dieses der Begriff der Geodiversität erstmalig in den 1990er Jahren Inventar zwischen 2006 und 2012 grundlegend und mit fi- zur Beschreibung der Vielfalt der abiotischen Naturerschei- nanzieller Unterstützung des Bundesamtes für Umwelt über- nungen genutzt (Gray, 2013:8). Unter Geodiversität versteht arbeitete (Reynard et al., 2012), wurde es bis heute nicht Gray (2013:11) „the natural range (diversity) of geological offiziell anerkannt. National bedeutende Geotope haben so- (rocks, minerals, fossils), geomorphological (landform, phy- mit keinen Schutzstatus gemäß NHG, es sei denn, sie über- sical processes) and soil features. It includes their assembla- schneiden sich ganz oder teilweise mit Objekten von ande- ges, relationships, properties, interpretations and systems“. ren Bundesinventaren. In diesem Fall sind sie indirekt mitge- Bestandteile der Geodiversität, die als besonders wertvoll schützt. Verschiedene dieser national bedeutsamen Geotope eingestuft werden, klassifiziert Brilha (2018) als Geoherita- wurden ebenfalls in kantonalen Geotopinventaren erfasst. Ei- ge (Geo-Erbe). Aufgrund seiner hohen Bedeutung muss das ne rezente Studie über den Stand der kantonalen Geotopin- Geo-Erbe geschützt werden, v .a. wenn es durch unterschied- ventare (Regolini und Martin, 2019) hat jedoch aufgezeigt, liche Faktoren gefährdet ist. wie unterschiedlich die Handhabung von Kanton zu Kanton „There is an urgent need to accentuate the principle that ist: 2019 gab es in mehreren Kantonen nach wie vor keine natural diversity is composed of both geodiversity and biodi- eigenständigen Geotopinventare, die vorhandenen Geotopin- versity, and that proficient conservation requires a holistic ap- ventare wurden nicht nach einer einheitlichen Methode erho- proach that views nature as a complex interaction of biodi- ben, und die Umsetzung des Geotopschutzes fällt sehr unter- versity and geodiversity pattern and process“ (Matthews, schiedlich aus (siehe auch Reynard et al., 2021). 2014:57). Bereits 2001 hatte Jedicke (2001:59) angeregt, Auch in Deutschland besteht keine gesetzliche Grundla- Geodiversität gleichberechtigt der Biodiversität gegenüber- ge für den Geotopschutz. Während schutzwürdige Bioto- zustellen und beides unter dem Oberbegriff der Ökodiversität pe nach §30 BNatSchG einen automatischen Schutz erhal- als umfassendes naturschutzfachliches Schutzgut zu berück- ten und die Ausweisung von Naturschutzgebieten, National- sichtigen. parks und Biosphärenreservaten überwiegend auf den bio- Obwohl die ältesten Naturschutzausweisungen Geotope tischen Potentialen beruht, findet sich selbst in der aktu- betrafen (u.a. der Findling Pierre à Bot in Neuchâtel, der ellsten Fassung des Bundesnaturschutzgesetzes weder der bereits 1838 unter Schutz gestellt wurde (Reynard et al., Begriff „Geotopschutz“ noch „Geotop“. Höhlen, Fels- und 2021:1) oder der Drachenfels als ältestes Naturschutzgebiet Steilküsten und weitere Geotope, die eine wichtige Lebens- Deutschlands) ist Geotopschutz bis heute das „Stiefkind des raumfunktion wahrnehmen, können nach §30 BNatSchG als Naturschutzes“ (Gray, 2013:8; Megerle und Pietsch, 2019). schutzwürdige Biotope eingestuft werden oder ggf. nach Während der Schutz der Biodiversität spätestens seit Inkraft- §23 aufgrund ihrer „Seltenheit, besonderen Eigenart oder treten des entsprechenden Abkommens 1992 weitgehend un- hervorragenden Schönheit“ als Naturdenkmal ausgewiesen strittig war, wurde der Schutz der Geodiversität als weni- werden. Auch können Geotope quasi „automatisch“ mitge- ger relevant angesehen, da u.a. Gefährdungen nicht ähnlich schützt sein, wenn sie sich innerhalb von Schutzgebieten be- offensichtlich waren wie bei der Biodiversität (Crofts und finden. Da sich die Mehrzahl der deutschen Geoparks mit Gordon, 2020:583ff). Dies begann sich mit dem Beginn der Großschutzgebieten überlagert, ist hierdurch ein nicht un- Geopark-Bewegung zu ändern, da Geotopschutz hier ein im- wesentlicher Teil des geologischen und geomorphologischen plizites Ziel ist. Die IUCN änderte mittlerweile ihre Defi- Erbes mitgeschützt (Megerle und Pietsch, 2017), denn Geo- nition von Schutzgebieten, um abiotische Faktoren zu inte- parks selbst sind lediglich eine Prädikatisierung, aber keine grieren und legte 2020 umfassende Richtlinien für den Geo- Schutzkategorie. Daher haben sie keine eigenen Rechtsmit- topschutz vor (Crofts et al., 2020). In der Schweiz sowie tel, um den Schutz der Geopotentiale sicherzustellen (Brilha, Deutschland hinkt dieser Umdenkprozess jedoch noch nach 2018:329), sondern müssen diesen mit anderen Mitteln ge- (Megerle und Pietsch, 2019). währleisten. In der Schweiz kann der Bund laut Art. 5 des Bundesgeset- Im Gegenzug bedeutet dies jedoch, dass wertvolle Zeu- zes über den Natur- und Heimatschutz (NHG 451) Objekte gen der Erdgeschichte wie Drumlins, Dolinen und Toteis- Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022
H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes 55 löcher, die meist keine entsprechenden Lebensraumfunktio- Geotourismus, lange als eine Form des Nischentouris- nen aufweisen, nicht automatisch geschützt sind. Dies kann mus betrachtet (Hose, 2004), hat sich zu einer nachgefrag- ein gravierender Nachteil sein, da diese Geotope aufgrund ten Form des Thementourismus entwickelt (u.a. Newsome ihrer Entstehungsgeschichte – im Gegensatz zu manchem und Dowling, 2018; Reynard und Brilha, 2018; Chen et al., Biotop – prinzipiell nicht ausgleichbar sind und hierdurch 2015; Megerle, 2008). Im letzten Jahrzehnt erwies sich Geo- relevante Informationen zur Erdgeschichte verloren gehen tourismus sogar als das am schnellsten wachsende Touris- können. Noch kritischer wird die Situation bei anthropoge- mussegment (Ólafsdóttir, 2019). Während Hose (2012) Geo- nen Geotopen, d.h. v.a. Rohstoffabbaustätten. Häufig wird tourismus als „tourism focused on geological features“ und schon bei der Genehmigung nach Bergrecht eine Verfüllung damit sehr eng auslegt, umfasst die Definition von Natio- nach Beendigung des Abbaus festgeschrieben. Als „Fens- nal Geographic (2021) eine äußerst weit gefasste Auslegung, ter in die Erdgeschichte“ können sie jedoch Einblicke in bei der eine Abgrenzung zu anderen Tourismusformen wie ansonsten verborgene Gesteinsschichten sowie Lebensräu- z.B. Öko- oder Naturtourismus schwierig ist: „tourism that me für bedrohte Arten bieten. Aufgrund der teilweise ho- sustains or enhances the geographical character of a place – hen Naturschutzwertigkeit der Steinbrüche und Kiesgruben its environment, culture, aesthetics, heritage, and the well- wird mittlerweile im Einzelfall auf die vollständige Erfül- being of its residents.“ Inzwischen wird Geotourismus wei- lung der Rekultivierungsverpflichtungen verzichtet (Landtag ter gefasst als bei Hose und deutlich enger als bei National Baden-Württemberg, 2013:4). Dies ist jedoch zumeist dem Geographic. „Geotourism is a form of natural area tourism Vorkommen geschützter Tier- und Pflanzenarten und nicht that specifically focuses on geology and landscape. It promo- den Geopotentialen geschuldet. Selbst eine international be- tes tourism to geosites and the conservation of geo-diversity deutsame Fossilfundstätte wie die Grube Messel war als Ab- and an understanding of earth sciences through appreciation falldeponie in der Diskussion (Wardenbach et al., 2009:497). and learning. This is achieved through independent visits to Heute ist sie glücklicherweise als UNESCO-Weltnaturerbe geological features, use of geo-trails and viewpoints, guided geschützt sowie als Nationales Geotop prädikatisiert. Wie in tours, geo-activities and patronage of geosite visitor centres“ der Schweiz sind auch in Deutschland Abweichungen in den (Newsome und Dowling, 2010). Angebotssegmente des Geo- Bundesländern möglich. tourismus sind hierbei nicht nur Geotope, sondern das brei- Analog zum Biotopschutz wird auch beim Geotopschutz te Themenspektrum der Erd- und Landschaftsgeschichte, in- kein umfassender Schutz angestrebt, sondern eine Auswahl klusive der Wechselwirkungen zu Vegetation, Fauna, Kultur- besonders wertvoller und repräsentativer Elemente. Hierzu landschaft und anthropogenen Nutzungen wie Rohstoffab- sind jedoch im Vorfeld fundierte Erhebungen unverzicht- bau und Baukultur. Geotourismus dient als Instrument einer bar (Prosser et al., 2018:193). In Deutschland erfolgte kei- nachhaltigen Regionalentwicklung, muss den Geotopschutz ne systematische und umfassende geowissenschaftliche Er- sicherstellen und über geowissenschaftliche Umweltbildung fassung und Bewertung von Geotopen. Geotopschutz beruh- ein Bewusstsein für diesen vermitteln (Megerle, 2008:25f). te zumeist auf behördlicher oder privater Initiative, sodass 2011 verabschiedeten die European Geoparks die Arouca- ein gewisser Zufallsfaktor nicht auszuschließen ist (Staat- Deklaration, die die Eckpunkte der gewünschten nachhal- liche Geologische Dienste der Länder der Bundesrepublik tigen Geotourismusaktivitäten festlegt (European Geoparks, Deutschland, 2018:9). 2021). Analog zu einer wachsenden Anzahl an Veröffentli- Diese fehlende Erfassung schützenswerter geologischer chungen zu Geodiversität und Geotopschutz in den letzten Landschaftsbestandteile sowie einer wissenschaftlichen Aus- beiden Jahrzehnten haben sich auch die Realisierung geotou- einandersetzung mit Geotop-Schutzkriterien förderte indi- ristischer Angebote und die wissenschaftliche Auseinander- rekt die zunehmende biologische Ausrichtung des Natur- setzung damit in diesem Zeitraum sehr dynamisch entwickelt schutzes (Steinmetz, 2005:9). Schlüsselpositionen in Natur- (vgl. Dowling und Newsome, 2006; Megerle, 2008; Reynard schutzbehörden sind daher immer noch deutlich unterpropor- et al., 2009; Gray, 2013; Reynard und Brilha, 2018; etc.). tional mit Geowissenschaftler*innen besetzt. Einen fundierten Überblick über Formen des Geotouris- mus, Anzahl der Tourist*innen und Höhe der regionalökono- 3 Geotourismus und Geoparks mischen Wertschöpfung zu erstellen, erweist sich als schwie- rig bis unmöglich, da eng gefasster Geotourismus (Hose, Geotopschutz und die Inwertsetzung des geologischen und 2012) trotz allem noch vergleichsweise wenig entwickelt ist, geomorphologischen Erbes stehen in engem Zusammenhang gleichzeitig aber viele touristische Angebote teilweise oder und gegenseitiger Abhängigkeit mit Geotourismus und der indirekt als Geotourismus eingestuft werden können (Rey- Geoparkbewegung. Geoparks und Geotourismus sind ohne nard et al., 2021:12). Dies betrifft vielfach Öko- und Natur- ein intaktes Geo-Erbe nicht vorstellbar; daher ist eine ad- tourismus bis hin zu speziellen städtetouristischen Angebo- äquate Inwertsetzung und ein umfassender Geotopschutz es- ten (Megerle, 2018). Trotz dieser definitorischen Unschär- sentiell (Newsome und Dowling, 2018; Brilha, 2018). fen kann Geotourismus ein wichtiger ökonomischer Beitrag v.a. für periphere strukturschwache Regionen sein (Gray, 2013:124), einen wesentlichen Beitrag zur Sensibilisierung https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022 Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022
56 H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes für den Schutz des Geo-Erbes leisten (Newsome und Dow- Aufgrund des zunehmenden Interesses an Geothemen und ling, 2018:306) und mit einer entsprechenden Strategie trotz der internationalen Bewegung rief der BLA-GEO (Bund- zunehmender Besucherzahlen den Geotopschutz fördern. Länder-Ausschuss Bodenforschung) das Gütesiegel „Natio- Eine frühere Form geologisch motivierter Reisen waren naler Geopark“ für Deutschland ins Leben. 2002 wurde die- die für ein spezielles Nachfragesegment angebotenen Fahr- ses Prädikat von der Alfred-Wegener-Stiftung an die ers- ten zu Mineral- und Fossilienfundstätten, die teilweise mit ten vier deutschen Geoparks verliehen (Geo-Union Alfred- der Plünderung der aufgesuchten Zielgebiete einhergingen Wegener-Stiftung, 2020). Mittlerweile gibt es in der BRD 17 (Megerle, 2008:30). Basierend auf dieser Problematik, die Nationale Geoparks, darunter sieben, die auch als European u.a. die versteinerten Wälder von Lesbos und die Fossilien- Geopark und UNESCO Global Geopark prädikatisiert sind. lagerstätten in der Haute Provence betraf, entwickelte sich Die Projektgruppe Geotope & Geoparks Schweiz hat das Ende der 1990er Jahre die Geopark-Bewegung, getragen von Thema Geopark Anfang 2000 aufgegriffen und 2007 einen den vier Initiatoren Lesvos Petrified Forest (Griechenland), Strategiebericht mit Vorschlägen für ein Label „Geopark Réserve géologique Haute Provence (Frankreich), Mae- Schweiz“ und ein Vorgehen für die Prädikatisierung von strazgo Cultural Park (Spanien) und Gerolstein/Vulkaneifel Schweizer Geopärken als UNESCO European Geoparks vor- (BRD), finanziert durch das EU-Förderprogramm LEADER gelegt (Reynard et al., 2007). Aus den anfänglichen Projek- und mit den Zielsetzungen, das geologische und geomorpho- ten sind bis heute lediglich zwei regionale Geoparks entstan- logische Erbe zu schützen und eine nachhaltige Regionalent- den: Geopark Sardona (GL, GR, SG) und Parco delle Gole wicklung ihrer Gebiete zu fördern (McKeever et al., 2010). della Breggia (TI). Das UNESCO-Label konnten sie bis 2020 2000 wurde das European Geoparks Network (EGN) gegrün- nicht beantragen (siehe hierzu Kap. 4.4). det. Geoparks sind keine Naturschutzkategorie, sondern eine 4 Chancen und Herausforderungen der Prädikatisierung für eine Region, die über ein besonderes Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes geologisches und geomorphologisches Erbe sowie eine Stra- tegie zur nachhaltigen Regionalentwicklung, zur Umwelt- Wie oben dargelegt, kann die Inwertsetzung des regionalen bildung und zur wissenschaftlichen Forschung verfügt. Er- Geo-Erbes vielfältige Chancen für die jeweiligen Regionen forderlich sind klar definierte Grenzen und ein wirtschaft- bewirken, aber auch mit beträchtlichen Herausforderungen liches Entwicklungspotential. Ergänzend zu den Geopoten- verbunden sein. In langjähriger wissenschaftlicher und ange- tialen sollen auch archäologische, ökologische und kulturel- wandter Beschäftigung mit dieser Thematik haben die Au- le Sehenswürdigkeiten in einem Netzwerk verbunden wer- tor*innen wiederholt verschiedene Herausforderungen be- den. Da das Geo-Erbe die entscheidende Basis darstellt, müs- obachtet, die sich unter den Aspekten Geotopschutz, Geo- sen Geoparks dessen Erhalt gewährleisten (European Geo- didaktik und adäquate Inwertsetzung sowie der Schaffung parks, 2021). Geoparks fördern demnach sowohl den Geo- von geeigneten Rahmenbedingungen gruppieren lassen. Die- topschutz als auch den Geotourismus (Newsome und Dow- se identifizierten Hauptherausforderungen sind im Folgen- ling, 2018:309). den näher ausgeführt. Zur Veranschaulichung wurden kon- Bereits 2001 hatten die European Geoparks ein Überein- krete Fallbeispiele ausgewählt, an denen diese Hauptheraus- kommen mit der UNESCO unterzeichnet, welches das Netz- forderungen exemplarisch aufgezeigt werden können (siehe werk unter deren Schirmherrschaft stellte. Ende 2015 wur- hierzu auch Tabelle 1). de mit den UNESCO Global Geoparks eine weitere Kate- gorie von UNESCO-Stätten – neben Weltkulturerbe, Welt- 4.1 Geotourismus als Chance für regionalökonomische naturerbe und Biosphärenreservaten – geschaffen (UNES- Wertschöpfung und Diversifizierung CO Global Geoparks, 2021). Die UNESCO Global Geoparks sollen als Modellregionen für nachhaltige Entwicklung fun- Geotourismus als das im letzten Jahrzehnt am stärksten gieren. Hierbei sollen sie sowohl Einwohner*innen als auch wachsende Tourismussegment (Ólafsdóttir, 2019), ermög- Besucher*innen ermöglichen, die Werte der Region kennen licht ökonomische Chancen für oft eher periphere Regio- und schätzen zu lernen und somit ein Regionalbewusstsein nen, die das klassische Nachfragepotential (Strand- und Ba- aufzubauen. Als Innovationsregionen sollen sie Schutz- und detourismus, kulturelle Sehenswürdigkeiten oder Aktivitä- ökonomische Entwicklungsbedürfnisse in Einklang bringen ten) nicht oder nur eingeschränkt anbieten können. Ein gu- (Bétard, 2017:151). Das UNESCO-Programm hat zahlreiche tes Beispiel hierfür ist Pamukkale (Türkei). Die dortigen Länder angeregt, entsprechende Entwicklungsstrategien aus- Sinterterrassen und Thermalwässer ziehen inzwischen fast zuarbeiten (Girault, 2019:5). Die Geopark-Bewegung ver- 3 Mio. Besucher*innen pro Jahr an; eine deutliche Steige- zeichnete in den letzten zwei Jahrzehnten eine ausgeprägte rung gegenüber 1,3 Mio. 2013. Die Mehrzahl kommt als Ta- Dynamik. Aktuell werden 161 UNESCO Global Geoparks gestourist*innen. Schon allein durch die Eintrittspreise von in 44 Ländern verzeichnet, 81 davon aus insgesamt 26 euro- ca. EUR 7 pro Person wird eine signifikante Wertschöpfung päischen Ländern. für eine Region im türkischen Hinterland erzielt, die ansons- ten nur eine sehr geringe touristische Nachfrage verzeichnen Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022
H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes 57 Tabelle 1. Schlüsselelemente für eine nachhaltige Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes. Thema Herausforderungen Best Practices/Strategien Beispiele (Kapitel) Geo-Erbe Gleichgewicht zwischen Geotopschutz: Objektspezifi- UNESCO Global Geopark Haute Pro- Schutz und Nutzen des sche Kombination von juris- vence und Réserve Naturelle géologi- Geo-Erbes. tischem und mechanischem que Haute-Provence (Kap. 4.2.1), Mur Schutz sowie Bewusstseinsbil- des Douaniers (Kap. 4.2.2). dung und Sensibilisierung. Monitoring und Besucherlen- Uracher Wasserfall kungskonzepte. (Kap. 4.2.3). Inwertsetzung Interesse von Laien Mittels visuellen, emotionalen Info-Posten Illgraben, Soundwalk, wecken. oder sprachlichen Elementen Geo-Caching auf den Spuren der Ver- die Neugier des Publikums gletscherung im Rhônetal (Kap. 4.3.1). wecken. Erlebnis Geologie (Kap. 4.3.3). Publikum niederschwellig abholen: Verknüpfung mit vertrauten Themen. Innovative Angebote: Verbin- dung von Geopotentialen mit künstlerischen, kreativen oder gastronomischen Erlebnissen, Einsatz von neuen Medien. Effizient mit dem Publikum Einbezug der wichtigsten Cha- Info-Posten Illgraben, Soundwalk kommunizieren. rakteristika des Zielpublikums (Kap. 4.3.1). betreffend Erwartungen, physi- scher und kognitiver Fähigkei- ten, sowie Vorkenntnisse zum vermittelten Thema. Institutionneller Kontext Günstige Rahmenbedin- Politische Unterstützung för- Länderübergreifender Vergleich gungen schaffen. dern (Kap. 4.4.1). Finanzielle Mittel bereitstellen. Länderübergreifender Vergleich, Geopark Sardona (Kap. 4.4.2). Lokale Akteure motivieren. Geoparkprojekt in der Region Ardennen (Kap. 4.4.3). könnte (Megerle und Beuter, 2011:81). Analog ist dies bei ökonomische Wertschöpfung durch Geotourismus und Geo- den US-amerikanischen Mammoth Caves mit 1,5 Mio. Be- Erbe von EUR 660 Mio. pro Jahr sowie 8750 Arbeitsplätze. suchern und Preisen von USD 5 für eine Höhlentour (Dow- Das Dinosauriermuseum in Fukui bringt jährlich 700 000 Be- ling und Newsome, 2006:18) sowie dem Skywalk am Grand sucher*innen in eine eher periphere Region Japans. Spitzen- Canyon mit über 1 Mio. Besucher*innen innerhalb der ers- reiter sind jedoch chinesische Geoparks, die über 2 Mio. Be- ten drei Jahre, der wichtiges Einkommen und Arbeitsplätze sucher*innen pro Jahr anziehen und Tausende Arbeitsplätze für die Hualapai bringt, die zuvor eine Arbeitslosenquote von bieten (Gray, 2013:244). Für alle Bereiche und Gebiete wird 70 % aufwiesen (Gray, 2013:124). Für den Geopark Terra Vi- mit weiter steigenden Zahlen gerechnet. ta (Teutoburger Wald) konnten Härtling und Meier (2010:37) Geotourismus kann ferner ein ergänzendes Angebot die Generierung von 300 Vollzeitjobäquivalenten ermitteln zur Diversifizierung touristischer Regionen sein, hierunter und einen Nettogewinn von EUR 10,7 Mio. 20 % der be- auch städtische Destinationen (Megerle, 2018). Aufgrund fragten Personen auf dem Quellenerlebnispfad in Bad Her- des Landschaftsbezuges sprechen geotouristische Angebote renalb (Nordschwarzwald) waren speziell wegen dieses geo- auch aktuelle Trends wie Öko- und Naturtourismus an und touristischen Angebots angereist (Megerle, 2014:106), und während der Corona-Pandemie Trends wie staycation (sie- die zwölf Schauhöhlen der Schwäbischen Alb verzeichne- he Kap. 4.2.3). Da Geotourismus immer das regionale Geo- ten 320 000 Besucher*innen pro Jahr (Geopark Schwäbische Erbe einbindet, wird hierdurch gleichzeitig das Regionalbe- Alb, 2017). Für Irland kommt Indecon (2017:V) auf eine wusstsein (Regionale Identität) auf- und ausgebaut. Die ho- https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022 Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022
58 H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes Abb. 1. Ammonitenwand im UNESCO Global Geopark Haute Pro- Abb. 2. Durch Panzerglas geschützter Aufschluss im UNESCO vence (Bild: Myette Guiomar). Global Geopark Haute Provence (Bild: Heidi Megerle). hen Besucherzahlen und die wachsende Nachfrage ermögli- durchsetzbar sein würde. Entscheidend waren daher innova- chen außerdem eine verbesserte Wahrnehmung und über pro- tive Geotopschutzideen in Kombination mit einer Sensibili- fessionelle Geo-Interpretationsangebote eine Bewusstseins- sierung von Besucher*innen und Einheimischen. bildung, die essentiell für einen verbesserten Geotopschutz Zum Schutz des hochwertigen geologischen Erbes setzt ist. die Réserve erfolgreich auf ein dreistufiges Programm (Me- gerle, 2008:172ff; Myette Guiomar, pers. Mitteilung, 2020): 4.2 Geotopschutz zum Erhalt des Geo-Erbes Hochwertige Potentiale, bei denen eine Beeinträchtigung Wie in Kap. 2 dargelegt, ist ein adäquater Geotopschutz für durch Besucher*innen nicht ausgeschlossen werden kann, einen nachhaltigen Geotourismus essentiell. Dies zeigt sich werden weder in touristische Angebote noch in Veröffentli- exemplarisch an den untenstehenden Beispielen sowie aktu- chungen integriert oder in sonstiger Form publik gemacht. In ell durch neue pandemiebedingte Herausforderungen. dem weitläufigen und schwer zugänglichen Gebiet bewährt sich diese Geheimhaltung bis jetzt hervorragend. Kleinflächige Potentiale, die in touristische Angebote in- 4.2.1 UNESCO Global Geopark Haute Provence und tegriert werden, aber eines zusätzlichen Schutzes bedürfen, Réserve Naturelle géologique Haute-Provence werden durch Panzerglas gesichert. So ist eine Zerstörung Die Réserve Naturelle géologique Haute-Provence im Süd- ausgeschlossen und gleichzeitig eine Besichtigung möglich osten Frankreichs wurde bereits 1984 als Geologieschutzge- (Abb. 2). Eine zusätzliche Sicherung besteht durch einen biet ausgewiesen. Ende der 1990er Jahre war die Réserve ei- patrouillierenden Ranger, der jedoch aufgrund der Größe ner der Hauptakteure der Geopark-Bewegung (siehe Kap. 2). und Unzugänglichkeit des Gebietes keinen umfangreichen Heute überlagern sich der UNESCO Global Geopark Haute Schutz sicherstellen kann. Provence und die Réserve in großen Teilen ihrer Gebietsku- Großflächige Potentiale, bei denen eine mechanische Si- lisse. cherung in der oben angeführten Form nicht möglich ist, Ausweisungsgrund für die Réserve und Initial für die Geo- werden offensiv öffentlich bekannt gemacht. Wie das Bei- parkbewegung war die zunehmende Gefährdung des geo- spiel der großen Ammonitenwand (Abb. 1) zeigt, scheint die- logischen Erbes durch die umfangreiche und unkontrollier- se „gegenseitige Überwachung“ durch die zahlreichen Besu- te Entnahme von Fossilien. Die Region ist international be- cher*innen zu funktionieren. Eine Geheimhaltung der Am- kannt für ihren außergewöhnlichen Reichtum an Fossilien, monitenwand ist aufgrund ihrer Lage unmittelbar an der Ver- der von versteinerten Hölzern bis hin zu Ichthyosauriern, bindungsstraße zwischen Digne und Barles ohnehin unmög- Seekühen sowie Aufschlüssen mit Tausenden von Ammoni- lich. ten reicht (Abb. 1). Insbesondere mit der Sicherung hochwertiger paläontolo- Trotz der offiziellen Unterschutzstellung zeigte sich gischer Funde im Gelände und deren Einbindung in touris- schnell, dass eine rein juristische Ausweisung ohne flan- tische (Wander-)Routen mit Erläuterungstafeln sowie Füh- kierende Maßnahmen in einem sehr großen Gebiet, wel- rungen hatte die Réserve Neuland beim Geotopschutz be- ches auch nur über geringe Kapazitäten zur Überwachung schritten. Bis dahin waren derartige hochwertige Fossilfunde der Schutzbestimmungen verfügte, kaum kontrollierbar und geborgen und in Museen gebracht worden (Ex-situ-Schutz). Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022
H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes 59 Abb. 3. Das Geotop Mur des Douaniers (Réserve naturelle natio- Abb. 4. Innenansicht des Museums für Mineralien, Gesteine und nale de Vireux-Molhain) mit Sensibilisierungs- und Schutzeinrich- Fossilien der Ardennen in Bogny-sur-Meuse (Frankreich) (Bild: tungen (Bild: Relief). Relief). Da mit Ausnahme kleiner herausgewitterter Fossilien keine einer Überwachung durch Wild- und Waldwächter*innen, Fundstücke mitgenommen werden dürfen, der Wunsch nach beendete zwar die Ausbeutung, schränkte gleichzeitig aber Souvenirs aber besteht, bieten die Museen des Geoparks auch die wissenschaftliche Forschung stark ein. Heute ist Merchandising-Produkte, z.B. Anhänger, aber auch Süßig- jegliche Nutzung verboten, auch wissenschaftliche Studien, keiten in Ammonitenform. Bildungs- und nachhaltige Geotourismusangebote, die für Der Geoparkdirektor Jean-Simon Pagès (pers. Mitteilung, einen verantwortlichen Umgang mit dem Geo-Erbe essenti- 2020) schätzt die Entwicklung insgesamt sehr positiv ein. ell sind (Prosser et al., 2018). Um den Reichtum dieser Fos- Die unkontrollierte Plünderung der Fossillagerstätten konn- sillagerstätte zu erleben, ist eine Fahrt ins 40 km entfernte te unterbunden werden, gravierende Beeinträchtigungen an Bogny-Museum (Abb. 4) notwendig. Das strikte Betretungs- geologischen Phänomenen, die in touristische Angebote in- verbot führt aktuell zu einer zunehmenden Überwucherung tegriert wurden, sind nicht zu verzeichnen. Die Umwelt- durch Vegetation und dazu, dass diese hochwertige Stätte in bildungsmaßnahmen des Parks haben zur Bewusstseinsbil- Vergessenheit geraten könnte (ONF, 2018). dung und Sensibilisierung sowohl der Besucher*innen als auch der einheimischen Bevölkerung beigetragen. Letztere 4.2.3 Der Uracher Wasserfall – Besucheransturm in der stehen dem Park sehr aufgeschlossen gegenüber. Obgleich Pandemie insbesondere die überregionale Vermarktung des Geoparks bislang noch deutliche Schwächen aufweist, sind die Besu- Der Uracher Wasserfall ist einer der bekanntesten Attrakti- cher*innenzahlen gestiegen, was wiederum positive Auswir- onspunkte des UNESCO Global Geopark Schwäbisch Alb. kungen auf die regionale Wertschöpfung hat. Schon seit Längerem bereiteten die zu hohen Besuchermen- gen, die die sehr empfindlichen Kalktuffbildungen durch unsachgemäßes Verhalten gravierend beeinträchtigten, er- 4.2.2 Mur des Douaniers hebliche Probleme. Die Reisebeschränkungen während der Corona-Pandemie führten zur einer „Wiederentdeckung“ der Die Mur des Douaniers, eine mitteldevonische Fossillager- Heimat, sodass sich v.a. an schönen Wochenendtagen die stätte in der Nähe von Vireux (französische Ardennen) ist Besucherzahlen nochmals vervielfältigten. Zeitweise musste ein höchst schutzwürdiges Geotop. Der Aufschluss lieferte der Zugang zum Wasserfall durch berittene Polizei gesperrt eine Fülle von Fossilien, einschließlich Trilobiten, in außer- werden. Trotz neu aufgestellter Schilder, die das Verlassen gewöhnlich gutem Erhaltungszustand (Crônier und Van Vier- der Wege untersagten, und dem Einsatz von Rangern waren sen, 2008; Gibout, 1990). die Beschädigungen der Kalktuffgeotope gravierend (Meger- Der Aufschluss war durch die Plünderung der Fossili- le, 2021). Aktuell hat die Stadt Bad Urach ein Besucherlen- en v.a. in den 1980er Jahren bedroht (ONF, 2018). Selbst kungskonzept in Auftrag gegeben. Wissenschaftler*innen und Geologieliebhaber*innen trugen durch unsachgemäßes Verhalten zu einer weitgehenden Zer- störung bei. Die Ausweisung als nationales Naturreservat im Jahr 1991 (Décret 91-279, 1991), verbunden mit dem Schutz des Geländes durch Absperrungen, Tafeln mit Verhaltensre- geln und wissenschaftlichen Informationen (Abb. 3) sowie https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022 Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022
60 H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes Abb. 5. Info-Posten zum Thema Illgraben (Murgänge) auf dem Bahnhofsplatz in Susten (VS) (Bild: Relief). 4.3 Das Publikum erreichen: Geodidaktik und adäquate Inwertsetzung Da Geologie von Laien häufig als zu kompliziert oder lang- weilig wahrgenommen wird, müssen Angebote geodidak- tisch ansprechend aufbereitet werden, wenn nicht nur Geo- Begeisterte mit Vorkenntnissen, sondern im Sinne regiona- ler Wertschöpfung ein breites und zahlreiches Publikum er- reicht werden soll (siehe Kap. 3, Megerle, 2008; Knaus und Backhaus, 2014). Eine wesentliche Herausforderung für die Gestaltung geotouristischer Angebote ist es daher, Metho- den zu entwickeln, mit welchen das Interesse von Laien ge- weckt werden kann, der Inhalt verständlich, aber dennoch geowissenschaftlich korrekt vermittelt wird (Martin, 2020; Abb. 6. Info-Posten zum Thema Illgraben im Inneren des Touris- Beck und Cable, 2002) und der Schutz des in Wert gesetzten musbüros (Bild: Relief). Geo-Erbes garantiert werden kann. Die nachfolgenden Bei- spiele zeigen, wie dies gelingen kann. 4.3.1 Adäquate Angebote für ein Freizeitpublikum Warnzwecken monitoriert wird (Badoux et al., 2009). Der Regionale Naturpark, in Zusammenarbeit mit der Gemein- Martin (2020) konnte zeigen, dass die Nachfrage nach geo- de und dem Tourismusbüro, will mit dem Infoposten Be- touristischen Produkten häufig latent ist, d.h., dass Besu- sucher*innen und Einheimische – darunter viele Neuzuzü- cher*innen durchaus an Informationen interessiert sind, aber ger*innen – auf diesen geomorphologischen Prozess und die nicht zwingend deswegen einen Ort aufsuchen. Um dieses richtige Verhaltensweise im Umgang mit Murgängen sensi- Publikum zu erreichen, gilt es in erster Linie seine Auf- bilisieren. Der Info-Posten steht auf dem stark frequentierten merksamkeit zu erlangen, indem mittels visuellen, emotiona- Bahnhofsplatz. Mit einem imposanten Steinblock aus dem len oder sprachlichen Elementen die Neugier geweckt wird Illbach, einer nachgebauten Alarmstation und einem Fern- (Moscardo, 1999). rohr überraschen gleich drei standortfremde Gegenstände die Das Beispiel Info-Posten Illgraben in Susten (VS) (Abb. 5) Passanten (i). Die bewusst kleinformatigen Tafeln vermitteln verdeutlicht, wie (i) das latente Interesse angesprochen, unterstützt von großzügigen Illustrationen und kurzen Texten (ii) ein leichter Zugang zum Inhalt geschaffen und (iii) auf den grundlegenden Inhalt (ii). Der direkte Bezug zum Illgra- die verschiedenen Informationsbedürfnisse (Serrell, 2015; ben wird durch den Steinblock und das Fernrohr, welches die Moscardo et al., 2007) eingegangen werden kann. Beobachtung des Erosionstrichter erlaubt, hergestellt. Auf Susten liegt im Regionalen Naturpark Pfyn-Finges und ge- den Tafeln wird das nebenliegende Tourismusbüro erwähnt hört zur Gemeinde Leuk. Auf dem Gemeindegebiet ist ein (Abb. 6). Wurde das Interesse geweckt, so sind dort weitere äußerst dynamisches Murgangsystem aktiv (mehrere Mur- Informationen über Wanderungen und Exkursionen im Ge- gänge pro Jahr), welches seit Langem zu Forschungs- und biet erhältlich (iii). Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022
H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes 61 che und eventuellen Übersetzungen (Abb. 7), sondern auch um den Einbezug der wichtigsten Charakteristika des Ziel- publikums betreffend Erwartungen, physischer und kogniti- ver Fähigkeiten sowie Vorkenntnisse zum vermittelten The- ma (für eine Übersicht Martin, 2020). Familien stellen dies- bezüglich ein anspruchsvolles Publikum dar, da Kinder und Erwachsene verschiedene Ansprüche und Bedürfnisse haben (Tilden, 1957; MacManus, 1994; Moscardo et al., 2007). 4.3.3 Neue Tourismuspraktiken und neue Technologien Neben einem zielgruppengerechten Inhalt spielt auch die Verpackung bei geotouristischen Angeboten eine wichtige Rolle. Die zahlreichen Möglichkeiten (Broschüren, Tafeln, Exkursionen etc.) weisen alle sowohl Vor- als auch Nach- teile auf (für eine Übersicht Martin, 2013). Ein neues Pu- blikum kann über innovative Angebote an unerwarteten Or- ten oder über neue Medien erreicht werden – siehe hierzu für die Schweiz die Website von Erlebnis Geologie (https: //www.erlebnis-geologie.ch, letzter Zugriff: 1. Juli 2021). Digitale Instrumente sind vielversprechende neue Medi- en. Sie bieten zahlreiche Möglichkeiten zur Vermittlung von Geothemen (Cayla und Martin, 2018): Apps mit lokalisierten Informationen, Augmented Reality oder 3D, Spiele, Multi- media und Interaktivität. Nachteile dieser Medien wie Zu- gang zum Datennetz, Batterieverbrauch, Lebensdauer der Anwendungen, digitaler Analphabetismus, negative Wahr- Abb. 7. Die dreidimensionale Stele auf dem Kandel bei Freiburg nehmung dieser Instrumente beim Wandern in der Natur im Breisgau zeigt, wie der Mehrsprachigkeit auf Tafeln Rechnung u.a. verringern sich mit der technischen Weiterentwicklung getragen werden kann, ohne diese grafisch zu überlasten. Eine an- zunehmend. Eine aktuell gute Anwendungsmöglichkeit für dere viel gewählte Möglichkeit besteht darin, mittels QR-Codes auf digitalen Geotourismus besteht in einem Umfeld, in wel- Übersetzungen zuzugreifen (Bild: Heidi Megerle). chem das Mobiltelefon bereits benutzt wird, z.B. bei Stadt- führungen mit Smartphones wie in Lausanne oder Rom (Pi- ca et al., 2018). Netz- oder Wahrnehmungsprobleme beste- Ein grundsätzlich geoaffines Publikum kann auch durch hen hier nicht; die technischen Möglichkeiten des Smartpho- die Verknüpfung mit vertrauten Themen (Moscardo, 1999) nes wie die Geolokalisierung können voll ausgeschöpft wer- oder durch die Verbindung von Geopotentialen mit künstle- den (Grangier, 2019). Außerhalb des urbanen Raumes bietet rischen oder gastronomischen Erlebnissen erreicht werden. sich die Smartphone-Nutzung dann an, wenn ein Mehrwert Letzteres erfolgt z.B. durch die „geologischen Soundwalks“. im Vergleich zu einem gedruckten Medium generiert werden Im Zentrum steht ein künstlerisches, wissenschaftliches und kann, wie z.B. beim Geocaching auf den Spuren der Verglet- sinnliches Erlebnis. Zusammen mit einem Geologen und scherung im Rhônetal (Bex, VS). Hier integriert die Anwen- Musiker*innen, die in Echtzeit und inspiriert von der Atmo- dung eine stark spielerische Dimension sowie eine Hilfe zur sphäre des Ortes und den Worten des Geologen improvisie- Geolokalisierung von Geotopen. ren, tauchen die Teilnehmer*innen in die Landschaft ein. Sie können sich dank der Kopfhörer frei bewegen und die Um- 4.4 Günstige Rahmenbedingungen schaffen gebung, die Musik sowie die Erläuterungen auf sich wirken lassen. Dieses Konzept wurde erstmals im Illgraben angebo- Betrachtet man speziell die geotouristische Landschaft in ten und seither an verschiedenen Standorten mit unterschied- der Schweiz, so fällt auf, dass sie durch eine große Viel- lichem geologischen Kontext übertragen. zahl von isolierten Inwertsetzungsmaßnahmen und Projek- ten auf lokaler Ebene gekennzeichnet ist (einzelne Lehrpfa- 4.3.2 Welche Sprache spricht das Zielpublikum? de, Steingärten etc.). Regionalökonomische Wertschöpfung sowie Bewusstseinsbildung lässt sich so kaum generieren. Genauso wichtig, wie das Interesse für ein Angebot zu ge- Für die Entwicklung großmaßstäblicher Projekte mit wei- winnen, ist es, in der Sprache des Publikums zu sprechen. terer Ausstrahlung sind entsprechende Rahmenbedingungen Dabei geht es nicht nur um die Handhabung von Hauptspra- notwendig. https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022 Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022
62 H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes 4.4.1 Politische Unterstützung nen, für die ein Geopark eine Chance hätte sein können, wei- terhin unerreichbar. Die im Kap. 3 erwähnten Geoparks sind ein Instrument für nachhaltige Regionalentwicklung. Ein Blick über die 4.4.2 Finanzierungsmöglichkeiten Schweizer Grenzen zeigt, dass dort in den letzten 20–30 Jah- ren zahlreiche Geoparks gegründet und einige davon als Ein weiterer wichtiger Faktor für den Aufbau von regio- UNESCO-Geoparks ausgezeichnet wurden (DE: 17/6*, FR: nalen Initiativen ist die finanzielle Unterstützung. Im EU- 7/7, IT: 14/9 & A: 3/3*, Geoparks/UNESCO zertifizierte Raum wurden mehrere Geoparkprojekte mit Hilfe von EU- Geoparks, *darunter ein grenzüberschreitender UNESCO- Programmen wie INTERREG oder LEADER unterstützt. Geopark, Stand Oktober 2020). In der Schweiz gibt es le- Die Finanzierung kommt unter anderem Machbarkeitsstudi- diglich zwei regionale Geoparks. Mit der kleinen Fläche der en (PNR des Ardennes), der Zusammenstellung des Kandi- Schweiz oder geringem Geopotential lässt sich dieser Un- daturdossiers (Géoparc Chablais), dem Aufbau von Ange- terschied gemäß einer Studie zu international signifikanten boten und Infrastrukturanlagen (Géoparc des Bauges, Natur- geologischen Werten der Schweiz (Buckingham et al., 2018) & Geopark Mëllerdall) sowie der Zusammenarbeit von ver- nicht begründen. schiedenen Geoparks (UNESCO Global Geopark Cooperati- Laut einer vom Netzwerk Schweizer Pärke in Auftrag on DE/NL, Danube Geotour oder Atlantic Area) zugute. Die gegebenen Studie (Buckingham und Forster, 2014) fehlte Förderung durch EU-Programme ist ein wesentlicher Grund, in der Schweiz bis anhin eine offizielle Anerkennung des warum sich die Geoparks in der Europäischen Union sehr Geo-Erbes und des Geopotentials auf nationaler Ebene. Die dynamisch entwickeln konnten. Projektgruppe Geotope & Geoparks Schweiz der Akade- In der Schweiz können im Rahmen der oben erwähnten mie der Naturwissenschaften Schweiz unternahm um die Umsetzung des UNESCO-Geopark-Programms einzig Pär- Jahrtausendwende mehrere Vorstöße, um Geoparks in der ke von nationaler Bedeutung mit substantieller finanzieller Schweiz zu fördern und in die politische Agenda zu inte- Unterstützung rechnen. Weitere Mittel können über Förder- grieren. Doch die zuständigen Behörden konzentrierten sich instrumente des Bundes – dazu zählen etwa die Neue Regio- auf den Aufbau von Regionalen Naturparks, welche in der nalpolitik, die Landwirtschaftspolitik, Modellvorhaben für Schweiz seit 2007 im Bundesgesetz über den Natur- und Hei- nachhaltige Entwicklung – oder der Kantone beantragt wer- matschutz (RS 451, 1996, Abschnitt 3b) verankert sind. Fi- den. Für die Ausarbeitung eines Gesuchs steht jedoch kein nanzierungshilfen und Zertifikate gehen seither an Gebiete, spezifisches Förderinstrument des Bundes zur Verfügung. die sich entweder durch (i) „die Vielfalt und Seltenheit der Daher scheitern v.a. Initiativen peripherer, strukturschwacher einheimischen Tier- und Pflanzenarten oder (ii) die besonde- Regionen häufig an Finanzierungsfragen. re Schönheit und die Eigenart der Landschaft auszeichnen, Trotz dieser schwierigen Umstände ist der Verein Geopark sowie (iii) einen geringen Grad an Beeinträchtigungen der Sardona seit 1999 aktiv. Entstanden als Regio-Plus-Projekt Lebensräume einheimischer Tier- und Pflanzenarten sowie GeoPark Sarganserland-Walensee-Glarnerland hat der Geo- des Landschafts- und Ortsbildes durch Bauten, Anlagen und park Sardona eine ereignisreiche Vergangenheit, die durch Nutzungen aufweisen“ (RS 451.36, Art. 15). Gemäß dieser wiederholte Anpassungen, Erweiterungen und Neuausrich- Definition wäre es zwar grundsätzlich möglich, einen regio- tung der Aufgabenbereiche gekennzeichnet ist. Als Förder- nalen Naturpark auf geologische Werte abzustützen, der wei- verein Welterbe & Geopark Sardona arbeitet er seit 2018 tere Weg zum UNESCO-Label war jedoch bis 2020 nicht eng mit der Trägerschaft des UNESCO-Welterbes Tekto- möglich, da kein entsprechendes Verfahren seitens der Be- nikarena Sardona zusammen. In den 20 Jahren seines Be- hörden formuliert worden war. Auch der direkte Weg, über stehens konnte er dank weiterer Finanzierung durch Pro- eine regionale Initiative ein UNESCO-Label zu beantragen, jekte der neuen Regionalpolitik (NRP-Projekte) – Sardo- war nicht definiert (Buckingham und Forster, 2014). In An- na aktiv (2012–2015; Regio Suisse, 2021b), Sardona PLUS betracht dieser Verfahrenslücke erstaunt es nicht, dass in der (2016–2018; Regio Suisse, 2021a) – in enger Zusammen- Schweiz, im Vergleich zum Ausland, wo Geoparks auf natio- arbeit mit dem UNESCO-Welterbe Tektonikarena Sardona naler Ebene getragen werden, anfänglich Projekte nicht wei- Projekte und zahlreiche Aktivitäten umsetzen. Letztere kon- terverfolgt oder als regionale Initiative bestehen blieben. An- zentrieren sich im bewohnten Gebiet rund um das Welter- fangs 2020 hat das Bundesamt für Umwelt Richtlinien für die be Sardona und tragen dazu bei, das Geo-Erbe im und um Umsetzung von UNESCO-Geoparks in der Schweiz (BAFU, das Welterbe bekannt zu machen und die Identifikation und 2020a) und Ende desselben Jahres das Anerkennungsverfah- Akzeptanz dafür bei der Bevölkerung zu fördern (Michel ren (BAFU, 2020b) bekannt gegeben. Gemäß diesen Vor- und Wallner, 2020). Das Engagement und die Identifikati- gaben sind nur bestehende UNESCO-Welterbestätten, Pär- on mit dem Geopark Sardona zeigen sich am langjährigen ke von nationaler Bedeutung oder kantonale Schutzgebiete Einsatz von Personen und Institutionen zugunsten des Geo- mit Managementstruktur zum Auszeichnungsverfahren zu- parks (Freiwilligenarbeit, Projektfinanzierung) und der ein- gelassen. Somit bleibt in der Schweiz das UNESCO-Label drücklichen Mitgliederliste (2020: rund 450 Mitglieder, da- für strukturschwache und noch nicht prädikatisierte Regio- von 30 Betriebsmitglieder). Ein lang erklärtes Ziel des För- Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022
H. Megerle et al.: Chancen, Herausforderungen und Risiken der Inwertsetzung des regionalen Geo-Erbes 63 dervereins Welterbe & Geopark Sardona ist eine UNESCO- regionaler und grenzüberschreitender Ebene zu bündeln, und Geopark-Kandidatur einzureichen, um an den Netzwerktä- den individuellen Wünschen der Gemeinden andererseits fin- tigkeiten teilnehmen und von der internationalen Ausstrah- den. Es ist zu hoffen, dass ein Konsens gefunden wird, der zu lung des Labels profitieren zu können. Das Beispiel Geopark einem sowohl in finanzieller als auch in politischer Hinsicht Sardona verdeutlicht, wie dank der nötigen Finanzierung und nachhaltigen Projekt führt. engagierten lokalen Akteuren (begeisterte Geowissenschaft- Auch in der Schweiz befinden sich periphere Regionen ler*innen, GeoGuides, Bevölkerung, lokales Gewerbe, Tou- in einem Umwandlungsprozess: Wiederbelebung von Alpen- rismusorganisationen und Dienstleistungen, lokale Förder- tälern oder der Jurakette, tief gelegene Skigebiete auf der vereine und Gemeinden) das Geo-Erbe regional und in die- Suche nach Alternativen zum Wintertourismus. Viele dieser sem Beispiel kantonsübergreifend in Wert gesetzt werden Regionen verfügen über ein reiches und anerkanntes Geo- kann. Erbe (Buckingham et al., 2018), gekoppelt mit hochwertigen Empfangsinfrastrukturen. Diese Ausgangslage ruft dazu auf, 4.4.3 Engagierte, lokale Akteure die Chance des Geotourismus zur Unterstützung der regio- nalen Entwicklung in der Schweiz ernsthaft in Betracht zu Die Initiierung und erfolgreiche Umsetzung größerer Geo- ziehen. tourismusprojekte, insbesondere die Ausweisung eines Geo- parks, sind sehr häufig auf engagierte Schlüsselpersonen und eine umfangreiche Unterstützung durch die lokalen und re- 5 Fazit gionalen Amtsträger*innen, aber auch die Bevölkerung zu- rückzuführen. Eine entsprechende Förderung erster Initiati- Die These, dass die Inwertsetzung des Geo-Erbes mittels ven v.a. in peripheren und strukturschwachen Gebieten kann geotouristischer Angebote eine Chance für die Regionalent- den Weg für eine erfolgreiche Umsetzung bereiten. Sowohl wicklung, aber auch zur Diversifizierung des touristischen das Netzwerk der European Geoparks als auch die UNESCO Angebots darstellen kann, sofern spezifische Herausforde- legen großen Wert auf die lokale Verankerung von Geoparks. rungen gemeistert werden können, kann durch die gewählten Ein gutes Beispiel hierfür ist ein grenzüberschreitender internationalen Beispiele bestätigt werden. Mit dem Beginn Geopark in der Region Ardennen, der sich aktuell in der Pro- der Geoparkbewegung wird dem Geo-Erbe, seiner Inwert- jektphase befindet. Die inzwischen stillgelegte Bergbau- und setzung und seinem Schutz zunehmend Aufmerksamkeit ge- Hüttenindustrie hat die Landschaft der Ardennen und das Le- schenkt. National und international sind hierbei signifikan- ben ihrer Bewohner über Jahrhunderte geprägt. Die Verbin- te Unterschiede zu beobachten, die weniger mit einem un- dungen zwischen der geologischen Geschichte des Massivs, terschiedlichen Geopotential als mit länderspezifischen Rah- der Lithologie, dem Relief und den menschlichen Aktivitäten menbedingungen zu begründen sind: Die Anerkennung der sind stark verwoben und in der gesamten Region sehr prä- Schutzwürdigkeit und des Potentials für eine regionalökono- sent. Eine Machbarkeitsstudie (Perret und Martin, 2019) hat mische Wertschöpfung sind weitgehend durch die politische die Vorzüge der Region, die Entwicklungsachsen sowie die und gesellschaftliche Großwetterlage bestimmt. Finanzierungsmöglichkeiten dieser neuen Struktur ermittelt. Allerdings garantieren auch gesetzlicher Schutz und aus- Die Weiterverfolgung eines solchen Projekts setzt die aktive reichende finanzielle Mittel alleine noch keinen Erfolg für Beteiligung der lokalen Amtsträger*innen auf verschiedenen einen nachhaltigen Umgang mit dem Geo-Erbe. Schutzzie- Ebenen voraus. Die hierzu zu überwindenden Hürden beste- le können nur dann erreicht werden, wenn das Bewusstsein hen darin, die Akteur*innen auf Ebene der Regionen und De- für die Schutzwürdigkeit von einer breiten Palette von Ak- partements vom wirtschaftlichen Potential und der Rendite teur*innen anerkannt wird. Eine adäquate Inwertsetzung des eines Geoparks zu überzeugen sowie in der Schaffung grenz- Geo-Erbes kann dazu beitragen, dieses Bewusstsein zu för- überschreitender Strukturen, die es ermöglichen, den Park zu dern. Initiativen von lokalen Akteur*innen sollten dement- koordinieren und die Mittel zu verteilen. sprechend unterstützt und auch finanziell gefördert werden. Ein Alleinstellungsmerkmal könnte durch die Erschlie- Im vorliegenden Artikel wurde überblicksartig dargelegt, ßung eines ehemaligen Schieferbergwerks geschaffen wer- welche vielfältigen Chancen Geotourismus bieten kann, aber den. Hierfür sind jedoch erhebliche Investitionen erforder- auch welche Herausforderungen bei der Inwertsetzung zu be- lich, die im Umkehrschluss kein gleichwertiges Angebot für achten sind. Forschungsbedarf besteht hier v.a. in der Ver- alle Gemeinden innerhalb der Geopark-Kulisse ermöglichen. bindung von Schutz und Nutzung, speziell im Hinblick auf Die Entscheidung für oder gegen eine Mitgliedschaft einer Overtourism, meist in Verbindung mit unzureichender Besu- Gemeinde kann daher vom Standort zukünftiger Infrastruk- cherlenkung, der eine Gefahr für stark nachgefragte sensi- turen und Investitionen des Geoparks abhängen. Dem Ver- ble Gebiete mit sich bringt. Wichtig wären auch Studien, die teilschlüssel liegt somit eine starke politische Dimension zu- geotouristische Wertschöpfung im Hinblick darauf evaluie- grunde, die nicht unbedingt der Logik des Tourismus und ren, inwiefern und in welchem Umfang diese zur regionalen des Natur- und Kulturerbes entspricht. Das Projekt muss ein Entwicklung beiträgt und welches fördernde bzw. hemmen- Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit, die Kräfte auf de Rahmenbedingungen sind (siehe Kap. 4.4). Ferner emp- https://doi.org/10.5194/gh-77-53-2022 Geogr. Helv., 77, 53–66, 2022
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