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FALL Caroline Tanner Ischämischer Insult bei 5 Verschluss der A. cerebri media links Leitsymptome: Kontralaterale armbetonte Hemiparese – somatosensible Empfindungs- losigkeit – Aphasie – Hemianopsie Definition Aphasie kann aber nicht gut sprechen. Teilweise kommt es Unter einer Aphasie versteht man eine Sprach- zu unverständlichen Satz- und Wortneubildungen störung, die bei Läsionen der dominanten Hemi- (Neologismen), manchmal zu abgehackten Wör- sphäre (meistens die linke) auftreten kann. Je tern/Sätzen oder der Betroffene kann gar nicht nach Lokalisation wird unterschieden zwischen sprechen. der motorischen Aphasie (Broca-Aphasie) oder Bei der sensorischen Aphasie ist das Sprach- sensorischen Aphasie (Wernicke-Aphasie). verständnis eingeschränkt. Wörter können häufig Bei der motorischen Aphasie versteht der Be- nachgesprochen, deren Sinn aber nicht ver- troffene das Geschriebene bzw. Gesprochene gut, standen werden. 5.1 Vorgeschichte handlung in der Stroke Unit begonnen. Nach neun Tagen konnte Herr Telmed direkt in eine neurologi- sche Rehabilitationsklinik übertreten. Herr Telmed erlitt vor zwei Monaten einen zerebro- vaskulären Insult im Bereich der A. cerebri media KLINISCHER HINTERGRUND links. Nachmittags stellte er eine plötzliche Arm- und Thrombektomie Beinschwäche der rechten Seite fest. Zudem hatte er Bei einem thrombotischen Verschluss der Hirnarterien gibt Mühe zu sprechen. Aufgrund der oben genannten es zwei Möglichkeiten zur Behandlung: Symptomatiken stellte sich Herr Telmed in der Not- 1. Medikamentöse Thrombolyse: Dabei wird aufnahme vor. Diese überwiesen ihn an das Univer- das Medikament Alteplase (rt-PA) mittels Infusion injiziert, welches das Gerinnsel auflöst. sitätskrankenhaus. 2. Die Thrombektomie ist die neuere Therapieoption. Das CT zeigte einen stationären Verschluss der Über die Leiste wird ein Katheter bis zum Thrombus A. cerebri media links im Bereich des M1-Segmentes vorgeschoben. Mit einem Stent kann der Hohlkathe- (› Kap. 1) ohne Einblutung (› Abb. 5.1). Es wurde ter den Thrombus absaugen. Diese Methode wird be- eine Thrombektomie durchgeführt. Einen Tag später sonders bei schwer betroffenen Patienten eingesetzt wurde im CT ein erneuter Verschluss des M1-Segmen- (NIHSS 17; › Kap. 6.2.1). Gemäß der Studienlage tes links festgestellt. Zudem konnten neu aufgetretene wurde die Technik vor allem bei Carotis- oder M1- Verschlüssen untersucht. Die Behandlung erfolgt Thromben in der A. carotis interna links diagnostiziert innerhalb von 6 Stunden nach Symptombeginn. Auch werden. Um die Thromben zu entfernen, wurde er- eine Kombination der beiden Methoden ist üblich. neut eine interventionelle Angiologie durchgeführt. Anschließend wurde eine Schlaganfallkomplexbe-
44 5 Ischämischer Insult bei Verschluss der A. cerebri media links Abb. 5.1 Kranielles CT (a) und CT-Angiografie (b) mit akut aufgetretener Aphasie und Hemiplegie rechts: Me- diazeichen (a, Pfeil) mit einer entsprechenden Kontrastmit- telaussparung in der CT-Angio- grafie (b, Pfeil) [H032–003] Im vorliegenden Fallbericht werden folgende Fra- naten entlassen. Herr Telmed wohnt mit seiner Ex-Frau gen beantwortet: (Konkubinat) in einer 3-Zimmer-Wohnung im Erdge- • Was ist eine Aphasie und wie beeinflusst diese schoss. Die beiden haben ein gemeinsames neugeborenes den Rehabilitationsverlauf? Kind (5 Monate). Die Ex-Frau arbeitet in Teilzeit (60 %) 5 • Welche Therapieansätze existieren bei einer als Reinigungskraft. Ihre Schwester hütet währenddessen schweren Armparese? das Kind. Den gesamten Haushalt erledigt ebenfalls die • Wie können Technologien in die Rehabilitation Ex-Frau. Für handwerkliche und administrative Auf- integriert werden? gaben ist Herr Telmed zuständig. In seiner Freizeit mag er Spaziergänge und trifft sich gerne mit Freunden im nahegelegenen Café, um Kartenspiele zu spielen. Das subjektive Hauptproblem kann aufgrund der 5.2 Untersuchungsbefunde schweren motorischen Aphasie nicht eruiert werden. Aus physiotherapeutischer Sicht liegt das Hauptproblem einerseits in der stark eingeschränkten Mobilität, aber 5.2.1 Medizinische Befunde auch in der paretischen rechten oberen Extremität, wel- che die Selbstständigkeit im Alltag stark einschränkt. Ärztliche Untersuchung Beim Gehen benötigt Herr Telmed die Unterstützung Bei Eintritt in die neurologische Rehabilitation prä- von einer Hilfsperson. Zudem besteht eine starke Fall- sentiert sich der 45-jährige Herr Telmed mit einem tendenz zur rechten Seite, welche er nicht selbstständig reduzierten Allgemeinzustand (› Tab. 5.1). ausgleichen kann. Die gesamte rechte obere Extremität kann im Alltag aufgrund der stark verminderten Mus- kelkraft noch nicht eingesetzt werden. 5.2.2 Physiotherapeutische Anamnese Auch die Feststellung der persönlichen Zielsetzung ist durch die motorische Aphasie erschwert. Überge- Aufgrund der schweren motorischen Aphasie muss ordnet soll Herr Telmed am Ende der Rehabilitation für die Erhebung der physiotherapeutischen Anam- wieder in der Lage sein, mit seiner Ex-Frau und dem nese die Ex-Frau von Herr Telmed hinzugezogen gemeinsamen neugeborenen Kind zu Hause zu woh- werden. Die italienische Muttersprache erschwert nen, gegebenenfalls mit externer Unterstützung. Hier- die Anamnese zusätzlich. bei muss er selbstständig und sicher mobil sein und Die Zeit vor dem Schlaganfall war für Herrn Telmed sich weitgehend selbstständig versorgen bzw. pflegen emotional sehr aufwühlend gewesen. Er arbeitete Voll- können. Eine Reintegration in das soziale Umfeld soll zeit in einem italienischem Spezialitätenladen. Da dieses bestmöglich angestrebt werden. Des Weiteren soll die Geschäft Konkurs ging, wurde Herr Telmed vor drei Mo- berufliche Wiedereingliederung beurteilt werden.
5.2 Untersuchungsbefunde 45 Tab. 5.1 Eintrittsuntersuchung Untersuchung Befunde Inspektion • Haut: trockene, schuppige Hautverhältnisse Hand rechts • Lymphknoten: ohne Befund • Kopf: ohne Befund • Endokrinum/Schilddrüse: ohne Befund • Thorax: ohne Befund • Abdomen/Niere: ohne Befund • Bewegungsapparat: Fallneigung nach rechts Hirnnerven Hemianopsie rechts, Normale Okulo- und Pupillomotorik, Hypästhesie im Trigeminusbereich rechts, Fazialisparese rechts, Fingerreiben im Seitenvergleich unauffällig, kein Spontan- oder Blickrichtungs- nystagmus, flüssige Blickfolgebewegungen, normale Sakkaden, Zunge mittig und frei beweglich, Gaumensegel seitengleich, Dysarthrie Neurostatus • Psychisch ausgeglichen und auslenkbar, fraglich pathologisches Lachen • Apraxie • Rechtshänder • Keine Klopf- oder Druckschmerzen am Kopf • Nervenaustrittspunkte frei • Freie Kopfbeweglichkeit • Kein Meningismus, kein Lhérmitte Neuropsycho- • Schwere motorische Aphasie 5 logische Befunde • Eingeschränkte geteilte Aufmerksamkeit • Verlangsamte Aufmerksamkeitszuwendung nach rechts • Reduzierte Lernleistung bei nonverbalen Gedächtnisleistungen • Flexibilität und Umstellfähigkeit auffällig • Hemianopsie nach rechts (kein Neglekt) Familienanamnese • Geschieden, wohnt mit der Ex-Frau (Konkubinat) zusammen in einer Wohnung im Erdgeschoss, 5 Treppenstufen • Ein neugeborenes Kind • Seit 1 Monat arbeitslos, bis dahin Verkäufer in einem italienischen Spezialitätenladen • Davor: Baustellen-Hilfsarbeiter • Fährt Auto
46 5 Ischämischer Insult bei Verschluss der A. cerebri media links Erste Hypothesen PRAKTISCHER TIPP The Oxford Stroke Classification System Die Forschungsgruppe benutzte Daten von Schlaganfallpatienten aus dem Oxfordshire Community Stroke Project, einer großen prospektiven Schlaganfallstudie, um Schlaganfallpatienten in vier Gruppen einzuteilen. Je nachdem, welche blut- versorgenden Gefäße beim Schlaganfall betroffen sind, können in der Klinik ähnliche Symptomatiken beobachtet werden. Die Klassifizierung dient auch zur Prognosestellung. Die vier Gruppen sind: Lakunärer Infarkt Kompletter Infarkt des Teilinfarkt des Infarkt des posterioren (LACI) anterioren Stromgebietes anterioren Strom- Stromgebietes (POCI) (TACI) gebietes (PACI) Eine der folgenden Alle drei Komponenten: Zwei der folgenden Eine der folgenden Komponenten: Komponenten: • Unilaterale Schwäche sen- Komponenten: • Unilaterale Schwäche senso- • Rein motorischer/rein sorisch und/oder motorisch • Unilaterale risch und/oder motorisch sensorischer Infarkt • Höhere zerebrale Dys- Schwäche • Bilaterale Schwäche senso- • Motorisch/sensorisch funktionen, z. B Dys- sensorisch und/ risch/und oder motorisch gemischter Infarkt phasie etc. oder motorisch • Zerebelläre Dysfunktion: • Ataxie • Gesichtsfeldeinschrän- • Höhere zerebrale Ataxie kung Dysfunktionen • Gesichtsfeldeinschränkung 5 Bei der Hypothesengenerierung ist die Oxford Stroke Classification besonders hilfreich. Bereits beim Lesen der Diagnose können somit Hypothesen gebildet werden, welche klinischen Symptomatiken beim Patienten vorhanden sein können. Dies gibt vorab schon Hinweise für mögliche Testungen in der Befundung. Somit kann beim Erstkontakt eine effiziente Befunderhebung erfolgen. Da bei Herrn Telmed das gesamte anteriore Strom- ausführen. Die eingeschränkte Mobilität sowie die gebiet der Hirnarterien betroffen ist, sind gemäß Ox- schwere motorische Aphasie machen es unmöglich, ford Stroke Classification folgende Symptomatiken in dass Herr Telmed seine Kollegen im nahegelegenen der Klinik möglich: unilaterales Kraftdefizit (und/oder Café treffen und an Kartenspielen teilnehmen kann. sensorisches Defizit), Hemianopsie sowie höhere zere- Die soziale und familiäre Teilhabe ist momentan ein- brale Dysfunktionen (Dysphasie, visuospatiale Defizite). geschränkt. Zudem kann Herr Telmed seine Arbeit als Für die funktionelle Demonstration ist das Gehen Verkäufer nicht ausführen. interessant. Bei dieser Aktivität werden vor allem Kraftminderungen der Muskulatur sichtbar. Eine ge- Aktivität naue Testung der Oberflächen- und Tiefensensibilität ist wichtig. Auch die rechte obere Extremität sollte auf In stehender Position verbleiben (d755) Funktionsebene genauer getestet werden. Der freie Stand ist asymmetrisch mit Mehrbelastung des linken Beines, höhere Anforderungen an das Gleichgewicht können nicht gestellt werden. Der freie 5.2.3 Evaluation des Gesundheits- Stand mit schmaler Spur, der Tandem- sowie der Ein- zustands nach ICF beinstand sind unmöglich. Gehen ohne Hilfsmittel (d450) Aktivität und Partizipation (Teilhabe) Das Gehen ohne Hilfsmittel ist mit kontinuierlicher taktiler Führungshilfe einer Hilfsperson möglich. Partizipation In der rechten Standbeinphase wird das Kniegelenk rechts hyperextendiert. Die rechte Schwungbeinphase Herr Telmed kann aufgrund seiner eingeschränkten ist verkürzt, der Fuß schleift auf dem Boden. Es fehlt Mobilität seine täglichen Spaziergänge nicht mehr der Initialkontakt rechts.
5.2 Untersuchungsbefunde 47 Sich in verschiedenen Umgebungen fortbewegen Körperfunktion und -struktur (d460) Mit Halt am Geländer links kann Herr Telmed die Funktionen der unwillkürlichen Bewegungsreak- Treppe im Nachstellschritt bewältigen. Das rechte tionen (b755) Standbein muss teilweise durch eine Hilfsperson Statisches Gleichgewicht: freier Stand mit breiter stabilisiert werden. Spur mit Mehrbelastung des linken Beines stabil; Mit den Armen tragen (d4302) freier Stand mit schmaler Spur, Tandem- und Ein- Das Tragen von Gegenständen oder des Kindes sind beinstand unmöglich. momentan nur mit links möglich. Die rechte obere Dynamisches Gleichgewicht: mit permanenter Extremität kann beim bimanuellen Tragen nicht ein- taktiler Unterstützung mobil, keine weiteren Anfor- gesetzt werden. derungen an das Gleichgewicht möglich Hand- und Armgebrauch (d445) Reaktives Gleichgewicht: keine adäquaten Schutz- Die rechte obere Extremität kann für Reichbewegun- schritte auslösbar, hohe Sturzgefahr gen nicht eingesetzt werden. Funktionen der Muskelkraft (b730) Feinmotorischer Handgebrauch (d440) Kraft der unteren Extremität (UEx) rechts/links Als Rechtshänder kann Herr Telmed keine Gegen- (› Tab. 5.2) stände greifen bzw. loslassen. Kraft der oberen Extremität (OEx) rechts/links Sich waschen (d510) (› Tab. 5.3) Das Duschen ist sitzend möglich. Hierbei kann die rechte Hand nicht benutzt werden. 5 Tab. 5.2 Kraftwerte der unteren Extremität rechts/ Sich kleiden (d540) links (Muskelfunktionstest, MFT) Herr Telmed kann selbstständig einen Pullover und Muskulatur Kraftwert eine Hose anziehen. Hilfestellungen sind beim An- Hüftextensoren/-flexoren 3/5 ziehen der Socken, beim Schließen von Knöpfen oder Hüftaußenrotatoren/-innenrotatoren 3/5 beim Schuhe binden notwendig. Hüftabduktoren/-adduktoren 3/5 Essen (d550) Herr Telmed kann keine Flasche öffnen. Die rechte Hand Knieextensoren/-flexoren 3/5 kann momentan noch nicht als Haltehand eingesetzt Fußheber 2/5 werden. Für das Zerkleinern von Speisen mit dem Fußsenker 3/5 Messer benötigt er aktuell Hilfe von einer Hilfsperson. Sprechen (d330) Tab. 5.3 Kraftwerte der oberen Extremität rechts/links Das Führen eines einfachen Gesprächs ist erschwert. Es besteht eine mittelschwere Aphasie. Herr Telmed Muskulatur Kraftwert produziert in der Spontansprache viele phonemati- Fingerflexoren 1/5 sche Paraphrasien und Neologismen. Fingerextensoren 0/5 Kommunizieren als Empfänger gesprochener Mit- Ellbogenextensoren 1/5 teilungen (d310) Ellbogenflexoren 2/5 Das auditive Sprachverständnis ist ebenfalls ein- Unterarmpronatoren 2/5 geschränkt. Das nicht-situative Sprachverständnis ist Unterarmsupinatoren 1/5 auf Wort- und Satzebene teilweise gegeben. Handgelenksextensoren 1/5 Ergänzend hier die Befunde aus der neuropsycholo- gischen Diagnostik: mittelschwere Funktionsstörung Handgelenksflexoren 2/5 mit alltags- und berufsrelevanten Einschränkungen Daumenabduktoren/-extensoren/-ad- 0/5 in den Bereichen visuelle Informationsverarbeitung, duktoren Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutive Funktio- Daumenflexoren 1/5 nen. Zudem gibt es Hinweise auf Beeinträchtigungen Glenohumerale Flexoren/Extensoren/Ab- 1/5 hinsichtlich kognitiver Flexibilität und Fehler- und duktoren/Außenrotatoren Handlungskontrolle. Glenohumerale Innenrotatoren-/-adduktoren 2/5
48 5 Ischämischer Insult bei Verschluss der A. cerebri media links Tab. 5.4 Tiefensensibilität KLINISCHER HINTERGRUND Fugl-Meyer Assessment (FMA) UEx (Malleolus late- OEx (Processus styloi- ralis) deus) Das Fugl-Meyer Assessment (FMA) ist ein häufig ange- Rechts: 3,0 Rechts: 4,0 wandtes Assessment bei Patienten nach Schlaganfall und bewertet folgende Modalitäten: sensomotorische Funk- Links: 4,0 Links: 6,0 tionen, Gleichgewicht, Gelenkbeweglichkeit und Gelenk- schmerzen. Funktionen des Tastens (Tastsinn; b265) Es umfasst 113 Items, welche in einer 3-stufigen Skala Oberflächensensibilität: leichte Hypästhesie rechte bewertet werden: 0 = keine Funktion, 1 = teilweise Funk- UEx und rechte OEx im Seitenvergleich, nicht quan- tion und 2 = vollständige Funktion. Der Zeitumfang für tifizierbar die Durchführung liegt bei 35–50 Minuten. Die Propriozeption betreffende Funktionen (b260) Der maximal mögliche Score beträgt 226 Punkte (0: sehr Auffällige Tiefensensibilität im Seitenvergleich schwere Schädigung, 226: keine Schädigung) und wird durch folgende Subskalen berechnet: (› Tab. 5.4) • Motorik der OEx: 0–66 Punkte Funktionen des Sehens (Sehsinn; b210) • Motorik der UEx: 0–34 Punkte Hemianopsie rechts • Gleichgewicht: 0–14 Punkte • Sensibilität: 0–24 Punkte • Gelenkbeweglichkeit: 0–44 Punkte Umwelt- und personenbezogene • Gelenkschmerzen: 0–44 Punkte Faktoren Das FMA kann getrennt für die obere (FMA-UE) oder 5 untere Extremität (FMA-LE) durchgeführt werden. Da der Zeitaufwand relativ hoch ist, empfiehlt es sich, in der Fördernde Faktoren: Physiotherapie vor allem die obere Extremität mit dem Wohnsituation: Die Familie wohnt im Erdgeschoss FMA zu testen. Für die Testung des Gleichgewichts eignen und die Wohnung ist rollstuhlgängig. Es sind wenige sich spezifischere Tests, so zum Beispiel die Berg Balance Treppenstufen zu überwinden. Scale (BBS). Motivation: Herr Telmed ist sehr motiviert in der Hier die Auswertung des FMA Motorik (UEx inkl. OEx): • < 50 Punkte: schwere motorische Schädigung Therapie. Im Zimmer trainiert er oft selbstständig. • 50–84 Punkte: beträchtliche motorische Schädigung Hemmende Faktoren: • 85–94 Punkte: mittlere motorische Schädigung Soziale Situation: Herr Telmed hat kürzlich seinen Job • 96–100 Punkte: leichte motorische Schädigung verloren. Seither hat seine Ex-Frau, mit welcher er in Aktuell existiert zwar eine deutsche Version, diese wurde einem Konkubinat zusammenlebt, das Pensum als jedoch noch nicht validiert. Reinigungskraft erhöhen müssen. Die beiden haben ein 5 Monate altes Baby. Die Familie hat zwar Unter- stützung durch die Schwester der Ex-Frau, dennoch Herr Telmed erhält im FMA-UE Motorische Funk- ist diese Situation für alle sehr belastend. tionen folgende Auswertung: Die rechte OEx weist eine beträchtliche motorische Beeinträchtigung auf (32 Punkte; › Tab. 5.6). Assessments Tab. 5.6 FMA-UE Motorische Funktionen bei Beginn Zu Beginn der Rehabilitation zeigen die Assessments der Rehabilitation bezüglich der Mobilität die in › Tab. 5.5 aufgeführ- Modalität Wert ten Werte. Obere Extremität 20/36 Tab. 5.5 Assessments zu Beginn der Rehabilitation – Handgelenk 5/10 Mobilität Hand 7/14 Assessment Wert Koordination/Geschwindigkeit 0/6 Functional Ambulation Categories 1/5 ohne Hilfsmittel Total A-D (Motorik) 32/66 (FAC) Berg Balance Scale (BBS) 20/56
5.4 Physiotherapeutische Zielsetzung 49 5.3 Zusammenfassung der können hingegen die Bewegungsabläufe nicht geplant wichtigsten Befunde werden. Die Handlungsplanung ist gestört. In der Therapie werden daher häufig Strategien mit dem Patienten erlernt. Hätte Herr Telmed zusätzlich noch eine Apraxie, würde dies zu erheblichen Einschränkungen im Alltag führen. Das Auf struktureller Ebene ist der zerebrovaskuläre Insult alltags- oder aufgabenorientierte Training wäre hierbei im Bereich des Mediastromgebietes für die unilaterale erschwert. In diesem Fall wäre es wichtig, noch enger motorische Schwäche der rechten Körperhälfte ver- mit anderen Berufsgruppen wie der Ergotherapie und antwortlich. Die rechte untere Extremität präsentiert Neuropsychologie zusammenzuarbeiten und das Problem sich paretisch mit Kraftwerten von MFT 2–3. Diese interdisziplinär anzugehen. Im Kliniksetting spielt auch die verhindern eine adäquate Gewichtsübernahme auf enge Zusammenarbeit mit der Pflege eine bedeutende dem rechten Standbein mit daraus resultierender Rolle. Herr Telmed zeigt nur noch leichte apraktische Probleme. Hyperextension im Kniegelenk. Aktivitäten wie Ste- In der Ergotherapie hat er bereits einige Strategien erlernt. hen und Gehen sind mit taktiler Unterstützung einer Hilfsperson möglich. Treppensteigen ist nur im Nach- stellschritt möglich. Sämtliche weitere Anforderungen an das Gleichgewicht können nicht gestellt werden. 5.4 Physiotherapeutische Ziel- In der rechten oberen Extremität besteht ein ho- setzung hes Kraftdefizit mit Werten von MFT 0–2. Demnach kann sie im Alltag selbst bei bimanuellen Tätigkeiten nicht als Haltehand eingesetzt werden. Herr Telmed Gemeinsam mit Herrn Telmed und dessen Ex-Frau 5 kann keine Gegenstände tragen und hat Mühe beim werden folgende Ziele in der Physiotherapie verein- Zerkleinern seiner Mahlzeit mit dem Besteck. Das bart: neugeborene Kind kann nicht gehalten bzw. getragen • Kurzfristig: werden. Bei Alltagsaktivitäten wie z. B. Duschen oder – Sicherer freier Stand für Alltagsaktivitäten Ankleiden benötigt er teilweise noch Hilfestellung. Die – Bewältigung kurzer Strecken allein im Zim- verminderte Oberflächen- und Tiefensensibilität er- mer schweren das Ganze noch zusätzlich. Auch die Hemi- – Alternierendes Treppensteigen mit Halten am anopsie nach rechts erschwert sämtliche Aktivitäten Geländer des täglichen Lebens (ADL). Durch den zerebrovasku- • Mittelfristig: lären Insult im Mediastromgebiet ist das sprachliche – Selbstständiger und sicherer Fußgänger ohne Zentrum betroffen, sodass eine motorische Aphasie Hilfsmittel im Innen- und Außenbereich, besteht. schwierige Untergründe in Begleitung Insgesamt führt dies zu erheblichen Einschränkun- – Einsatz der rechten Hand bei bimanuellen Tä- gen im Alltag (Selbstversorgung, Mobilität, adminis- tigkeiten als Haltehand trative Tätigkeiten) und erschwert die Partizipation. – Gegenstände mit der rechten Hand greifen und Somit kann Herr Telmed weder seiner beruflichen wieder loslassen Tätigkeit noch seinen Hobbys (spazieren gehen/ • Langfristig: Freunde treffen und Kartenspiele spielen) weiter – Kurze Spaziergänge bis zu einer Stunde nachgehen. – Selbstständiges Duschen und Ankleiden. – Kartenspiele mit seinen Freunden, Reintegrati- WAS WÄRE, WENN … on in das soziale Umfeld … Herr Telmed zusätzlich eine Apraxie hätte? – Erledigung administrativer Arbeiten mit Hilfe Apraxie tritt häufiger bei zerebrovaskulären Insulten der einer Hilfsperson linken Hemisphäre auf. In der Klinik unterscheidet man Bezüglich Fahreignung werden im Verlauf weitere die ideomotorische von der ideatorischen Apraxie. Bei Abklärungen, unter anderem Orthoptik, stattfinden der ideomotorischen Apraxie sind dem Patienten müssen. Auch über eine mögliche berufliche Wieder- Bewegungsabfolgen vorstellbar, können aber motorisch eingliederung soll diskutiert werden. nicht ausgeführt werden. Bei der ideatorischen Apraxie
50 5 Ischämischer Insult bei Verschluss der A. cerebri media links 5.5 Physiotherapeutische Maß- ständig korrigieren. Das Laufbandtraining soll im nahmen/Therapieplan Rahmen eines Grundlagenausdauertrainings mindes- tens dreimal wöchentlich für 45–60 Minuten durch- geführt werden. Um die vereinbarten Ziele zu erreichen, werden in der Physiotherapie folgende Maßnahmen angewendet und mit Verlaufszeichen überprüft (› Tab. 5.7). Krafttraining UEx/OEx In der frühen Rehabilitationsphase wird vorerst im Statisches Gleichgewichtstraining Kraftausdauerbereich trainiert. Im weiteren Verlauf sollen aber auch die Maximal- sowie die Schnellkraft Der freie Stand wird zunächst auf stabiler Unterstüt- trainiert werden. Folgende Dosierung wird emp- zungsfläche erarbeitet. Durch die Wahrnehmungs- fohlen: 3–5 Serien mit 20–30 Wiederholungen und problematik fällt es Herrn Telmed schwer, einen sym- einer Pausendauer von 30–60 Sekunden zwischen den metrischen Stand einzunehmen. Über ein visuelles Serien. Im Idealfall finden die Trainings im Wechsel Feedback gelingt es ihm besser, da hierbei über einen von oberer und unterer Extremität statt. externen Fokus gearbeitet wird. Therapeutisch lassen Training UEx: sich hier z. B. verschiedene videobasierte Spielekon- • Beinübungen mit dem robotischen Personal- solen oder Trainingsgeräte einsetzen. trainer von ddrobotec® (› Abb. 5.2): Der robo- 5 tische Personaltrainer ist ein dynamisches Bein- trainingssystem mit visuellem Echtzeit-Feedback. Gangtraining auf dem Laufband Die Beinpresse ermöglicht auch ein unilaterales Training. Durch das visuelle Feedback kann sich Zu Beginn der Rehabilitation benötigt Herr Telmed Herr Telmed stetig kontrollieren und seine Wahr- einen Sicherungsgurt. Damit kann er in einer ge- nehmung schulen. Selbstverständlich kann für schützten Umgebung trainieren. Durch die Kamera das Training auch eine herkömmliche Beinpresse bekommt er visuelles Feedback und kann sich selbst- verwendet werden. Tab. 5.7 Physiotherapeutische Maßnahmen Ziel Maßnahmen Verlaufszeichen 1. Freier Stand • Statisches Gleichgewichtstraining BBS 2. Im Zimmer selbstständig ohne Hilfs- • Gangtraining auf dem Laufband FAC mittel mobil • Krafttraining UEx, robotischer Personaltrainer 1-RM (One-Repetition-Maxi- von ddrobotec® mum) einbeinige Beinpresse • Gehtraining ohne Hilfsmittel 3. Sicher alternierend Treppensteigen • Treppe steigen mit/ohne Handlauf FAC am Handlauf • Krafttraining UEx, evtl. Einsatz robotischer Per- 1-RM einbeinige Beinpresse sonaltrainer von ddrobotec® 4. Selbstständiger Fußgänger im • Dynamisches Gleichgewichtstraining FAC Innen- und Außenbereich ohne • Gehen auf verschiedenen Untergründen, Hilfsmittel Gefälle/Steigungen 5. Einsatz rechte Hand bei bimanuel- • Armeo Spring FMA len Tätigkeiten • Amadeo • Krafttraining OEx • Alltagsaktivitäten 6. Gegenstände greifen und loslassen • Gloreha, Elektrostimulation FMA können • Krafttraining OEx • Alltagsaktivitäten
5.5 Physiotherapeutische Maßnahmen/Therapieplan 51 Abb. 5.2 ddrobotec® Pro – dynamische Beinpresse [V939] • Hip Thrusts: Kräftigung der Hüftextensoren Bimanueller Handeinsatz • Step-ups: Training der Oberschenkelmuskulatur 5 durch das Hochsteigen von Treppenstufen Beim bimanuellen Armtraining werden repetitive • Hüft-Abduktoren am Seilzug Bewegungen simultan ausgeführt. Für die Bewe- Training OEx: gungen können auch auditorische Cues eingesetzt • Aktivierung Ellbogenextensoren, -supinatoren werden. So kann beispielsweise die Ellbogenflexion • Aktivierung Faustschluss, Faust öffnen und -extension unter Einsatz von Rhythmus trainiert • Aktivierung Handgelenksextensoren werden. Bei diesem Training sitzt Herr Telmed an • Aktivierung Pinzettengriff einem Tisch und bedient einen Apparat, bei welchem • Aktivierung Schulterelevation und Schulter- zwei Griffe vor- und zurückgeschoben werden können außenrotation (z. B. Rehaslide, › Abb. 5.3). Bei schwer betroffenen In der Frühphase gelingt das Krafttraining vorerst Patienten können die Hände an diesen Griffen fest- hubarm und ohne Zusatzgewichte. gemacht werden. Ein Metronom gibt den Rhythmus vor. Beim Rehaslide können folgende Bewegungs- richtungen trainiert werden: vorwärts, rückwärts, Dynamisches Gleichgewichts- und seitwärts und Handgelenksrotationen. Gangtraining ohne Hilfsmittel Gehen auf stabilem und unebenem Untergrund mit Tempovariationen. Richtungswechsel, Steigung/Ge- fälle und erschwerte Gangarten, wie beispielsweise vorwärts/rückwärts/seitwärts gehen, sollen ebenfalls trainiert werden. Um die Übung zu erschweren, kön- nen auch logopädische Aufgaben eingebaut werden. Im Falle von Herr Telmed ist es beispielsweise sinnvoll, während des Gehens die Wochentage oder Monate aufzählen zu lassen. Abb. 5.3 Rehaslide [V759]
52 5 Ischämischer Insult bei Verschluss der A. cerebri media links Der bimanuelle Handeinsatz kann in einem spä- teren Verlauf auch wunderbar bei Alltagsaktivitäten trainiert werden. So dient die rechte Hand als Halte- hand beispielsweise beim Öffnen einer Zahnpastatube, beim Öffnen einer Flasche oder beim Bestreichen des Frühstückbrotes. Armrobotik Die Armrobotik ist eine interaktive Trainingsmetho- Abb. 5.5 Amadeo [V948] de, welche erlaubt, mit hoher Intensität repetitive Bewegungen zu trainieren. Der Vorteil dabei ist, Herr Telmed bekommt drei- bis fünfmal pro Woche dass Patienten semi-autonom trainieren können. ein Armrobotik-Training (45 min). Teilweise trainiert Die Robotik ermöglicht ein reliables Monitoring der er am Amadeo oder am Armeo. Fortschritte. Armeo Mit dem Armeo (› Abb. 5.4) kann sowohl der Aufgabenorientiertes Training: Grei- Arm- als auch die Handfunktion in einem 3D-Bereich fen/Loslassen 5 trainiert werden. Patienten haben die Möglichkeit, durch die Gewichtsentlastung aktiv mitzuarbeiten und Gloreha Bewegungen zu initiieren. Für den Alltag relevante Gloreha (› Abb. 5.6) ist ein robotergestützter Hand- Bewegungsmuster werden durch Augmented Perfor- schuh für die hemiparetische Hand. Er kann in un- mance Feedback spielerisch beübt. terschiedlichen Phasen der Rehabilitation eingesetzt Amadeo werden: In der Frühphase dient der Handschuh zur Der Amadeo (› Abb. 5.5) ist ein roboter- und sen- passiven Mobilisation der Hand- und Fingergelenke. sorgestütztes Finger- und Handtrainingsgerät. Bewe- In der späteren Phase können auch zwei Handschuhe gungen von einzelnen Fingern und Daumen können angezogen werden, damit bilateral trainiert werden assistiv trainiert werden. kann. An der weniger betroffenen Hand ist der Hand- schuh mit Sensoren versehen, welche die Zielbewe- Abb. 5.4 Armeo Spring [V942]
5.5 Physiotherapeutische Maßnahmen/Therapieplan 53 • Elektromyografie-getriggerte neuromuskuläre Elek- trostimulation (EMG-EMS): Elektrostimulation von Muskelgruppen, welche durch EMG-Aktivität getriggert wird. Diese Methode kann ebenfalls mit funktionellen Aktivitäten kombiniert werden. • Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): niederfrequente Elektrostimulation von Muskeln oder Muskelgruppen ohne sichtbare Muskelkontraktionen. WAS WÄRE, WENN … … Herr Telmed Schulterschmerzen entwickeln Abb. 5.6 Gloreha Sinfonia [V943] würde? In einer hemiparetischen Schulter gibt es zahlreiche Grün- gung aufzeichnet. Der Handschuh an der betroffenen de für Schulterschmerzen. Häufig wird die Subluxation Hand führt die vom Sensor erfasste Bewegung aus. damit in Verbindung gebracht. Aber auch andere Gründe können dafür verantwortlich sein: Capsulitis, Neuritis des Die Bewegungen können auch mit richtigen Objekten N. suprascapularis, subdeltoide Bursitis, Tendovaginitis der ausgeführt werden und sind über einen Bildschirm langen Bizepssehne, Neuropathie des Plexus brachialis, sichtbar. So können Objekte ergriffen, transportiert Arthritis, Thalamusschmerzen, wiederkehrende Traumata und wieder losgelassen werden. bei der Mobilisation etc. 5 Eine weitere Möglichkeit ist die Action-Observation Es existiert keine ausreichende Evidenz, die belegt, dass Therapy (AOT), bei welcher der Patient die weniger Armschlingen oder Taping hemiplegische Schulterschmer- betroffene Hand bei einer spezifischen motorischen zen verhindern können. Beim Gehen oder Stehen kann jedoch eine Armschlinge unterstützend wirken und die Aufgabe beobachtet. Der Gloreha-Handschuh an der Diastase mindern. Die KNGF-Guidelines empfehlen zudem, betroffenen Hand unterstützt den Patienten anschlie- auf eine gute Armlagerung im Rollstuhl zu achten. NMES ßend bei derselben motorischen Aufgabe. im Bereich der Schultermuskulatur vermag die glenohu- Da sich Herr Telmed in der Frühphase befindet und merale Subluxation vermindern. noch wenig Funktionen in der Hand vorhanden sind, wird der Gloreha-Handschuh vor allem für die passive Mobi- VORSICHT lisation, aber auch für die AOT eingesetzt. Herr Telmed Vorsichtsmaßnahmen/Kontraindikationen Arm- erhält 5 × 30 min Therapieeinheiten mit dem Gloreha. robotik Kontraindikationen: • Ossäre Instabilität (nicht konsolidierte Frakturen, Elektrostimulation schwere Osteoporose) • Instabile Vitalfunktionen Bei Herrn Telmed wurde keine Elektrostimulation • Kontraindizierte Sitzhaltung angewendet, da er dies als unangenehm empfand. Vorsichtsmaßnahmen: Die möglichen Stimulationsarten werden hier nur der • Offene Hautläsionen • Subluxation im Schultergelenk oder Schmerzen im Vollständigkeit halber beschrieben (› Kap. 19.5). Schultergelenk Bei der Elektrostimulation werden mittels Elektro- • Schwere Spastizität im Bereich der OEx den die peripheren Nerven stimuliert. In der Therapie • Ausgeprägte, feste Kontrakturen unterscheidet man zwischen drei unterschiedlichen • Ernsthafte kognitive Defizite Arten: • Verwirrte oder nicht kooperative Patienten • Neuromuskuläre Elektrostimulation (NMES): • Parästhesie Elektrostimulation von Muskelgruppen, welche • Schwerwiegende spontane Bewegungen, z. B Ataxie, zu sichtbaren Kontraktionen führt. Diese kann in Dyskinesie, Myoklonie • Epilepsie funktionelle Aktivitäten integriert werden (Funk- • Virtuelle Realitätskrankheit tionelle Elektrostimulation, FES).
54 5 Ischämischer Insult bei Verschluss der A. cerebri media links Nach einem sechswöchigen Aufenthalt in der neurolo- • Armrobotik: Sowohl unilaterales als auch gischen Rehabilitationsklinik hat Herr Telmed folgen- bilaterales roboterassistiertes Training vermag die de Ziele erreicht: Er kann sicher stehen, um Alltags- Muskelkraft und selektive Bewegungsmöglich- aktivitäten wie z. B. stehendes Duschen zu verrichten. keiten bei Schlaganfallpatienten positiv zu beein- Das Ankleiden gelingt ihm mit Einhänderstrategien flussen (Level 1). selbstständig. Im Innenbereich ist er ohne Hilfsmittel • Virtuelle Realität: Der Einsatz von virtueller mobil. Die Treppe steigt er alternierend mit Halt am Realität für die Verbesserung von ADL wird emp- Geländer hinauf und herunter. Im Außenbereich geht fohlen. Die Intervention sollte fünfmal pro Woche er ohne Hilfsmittel sicher. Bei unebenem Untergrund für 30 Minuten durchgeführt werden (Level 1). benötigt er teilweise noch Begleitung. Spaziergänge • NMES: Der Einsatz von NMES zeigt einen Effekt führt er daher mit einer Begleitperson aus. auf selektive Bewegungen und Kraft in der pareti- Nun kommt Herr Telmed ambulant zweimal pro schen Hand (Level 1). Im Schulterbereich vermag Woche zur Medizinischen Trainingstherapie/Physio- er Subluxationen zu mindern (Level 1). therapie und arbeitet an der Kraft der Oberen Extre- • Ob das bimanuelle Armtraining dem unilate- mität. Er trainiert hierbei auch mittels der Armrobo- ralen Armtraining überlegen ist, ist noch nicht tik. In der Ergotherapie beübt er vor allem das Greifen abschließend geklärt. Bei leicht betroffenen von Gegenständen für den Alltagsgebrauch einmalig Patienten zeigt die Constraint Induced Movement pro Woche. Zudem übt er administrative Tätigkeiten. Therapy sehr gute Resultate. Diese kann jedoch Herr Telmed erhält zweimal pro Woche Logopädie, bei schwer betroffenen Patienten nicht ange- 5 um seine Kommunikation zu verbessern, und einmal wendet werden. Zumindest die Handgelenks- pro Woche Neuropsychologie. dorsalextension und die Fingerextension müssen In › Tab. 5.8 sind die Werte der Assessments am vorhanden sein (Level 1). Ender der Rehabilitation ersichtlich. • Somatosensorische Funktionen sollten gemäß KNGF nicht isoliert trainiert, sondern in Übun- gen integriert werden (Level 2). Tab. 5.8 Assessments am Ende der Rehabilitationsphase Bei der Behandlung von schweren Armparesen in Assessment Wert der Akutphase nach Schlaganfall sind Krafttraining, FAC 4/5 ohne Hilfsmittel bimanuelles/unilaterales, repetitives und aufgaben- BBS 56/56 orientiertes Training geeignete physiotherapeutische Sensibilität OEx rechts 5,0 Behandlungsmethoden. Neue Technologien dienen Sensibilität UEx rechts 3,5 als wertvolle Ergänzung zur Physiotherapie. Für die Rehabilitation nach einem Schlaganfall ist es jedoch Kraftwerte OEx rechts 1–3 sehr wichtig, dass alle Fachdisziplinen gemeinsam Kraftwerte UEx rechts 4 an den Zielen des Patienten arbeiten, um das Größt- FMA-UE 48/66 mögliche zu erreichen. Häufig gibt es auch Schnitt- stellen zwischen den Disziplinen, was es unabdingbar macht, engmaschig zusammenzuarbeiten. 5.6 Evidenzbasierte Zusammen- LITERATUR Australian Stroke Foundation. Clinical Guidelines for fassung Stroke Management 2017. https://strokefoundation.org. au/What-we-do/For%20health%20professionals%20 and%20researchers/Clinical-guidelines (letzter Zugriff: Bei schwerer bis mittelschwerer Hemiparese der obe- 23.04.2021). ren Extremität empfehlen Leitlinien wie z. B. die aus- Bamford J, Sandercock P, Dennis M, Burn J, Warlow C. Classification and natural history of clinically iden- tralischen Clinical Guidelines for Stroke Management tifiable subtypes of cerebral infarction. Lancet 1991; 337: oder die KNGF-Guidelines folgende Therapiemaß- 1521–1526. nahmen in der akuten Phase (bis sechs Monate nach Ringleb PA, Hamann GF, Röther J, Jansen O, Groden C, Ereignis): Veltkamp R. Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls.
5.6 Evidenzbasierte Zusammenfassung 55 2016. www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-140.html Schädler S, Kool J, Lüthi H, Pfeffer A, Oesch P, Wirz M. (letzter Zugriff: 23.04.2021). (2012). Assessments in der Rehabilitation- Band 1: Lüthi H. Erholung nach Schlaganfall bestimmen. Physio- Neurologie. Sensomotorische Funktionen nach Schlag- praxis 2010; 4. anfall: Fugl-Meyer- Assessment (FMA). Bern: Hans Huber; Royal Dutch Society for Physical Therapy. KNGF Guideline 2012: 486–490. Stroke. 2014. www.dsnr.nl/wp-content/uploads/2012/03/ Trepel M. Neuroanatomie. Struktur und Funktion. München: stroke_practice_guidelines_2014.pdf (letzter Zugriff: Elsevier; 2017. 22.02.2021). 5
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