60 Jahre bilaterale Investitionsabkommen: Eine kritische Bilanz
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Impressum 60 Jahre bilaterale Investitionsabkommen: Eine kritische Bilanz Herausgeber: PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- & Weltwirtschaft e. V. Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin Tel.: +49 30 30 882 192 E-Mail: info@power-shift.de https://power-shift.de Mit-Herausgeber: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. - BUND Greenpeace e.V. Forum Umwelt und Entwicklung Autor*innen: Anne Bundschuh, Nelly G rotefendt, Alessa Hartmann, Jürgen Knirsch, Bettina Müller, Lia Polotzek Redaktion, Bildredaktion: Bettina Müller Layout, Satz & Reinzeichnung: Tilla Balzer | buk.design Berlin, September 2019 PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- & Weltwirtschaft e. V. Unser Ziel ist eine ökologisch und sozial gerechtere Weltwirtschaft. Dafür setzen wir unsere Expertise in Handels‐, Rohstoff‐ und Klimapolitik ein: Mit umfassenden Recherchen durchleuchten wir politische Prozesse, benennen die Probleme eines ungerechten globalen Wirtschafssystems und entwickeln Handlungsalternativen. Um unsere Ziele zu erreichen, formulieren wir politische Forderungen, betreiben I nformations‐ und Bildungsarbeit und schmieden starke Bündnisse – mit anderen O rganisationen, sozialen Be- wegungen und Bürger*innen. Gemeinsam mischen wir uns ein! Wenn Sie über unsere Arbeit auf dem Laufenden bleiben wollen, dann abonnieren Sie unseren Newsletter: https://power-shift.de/newsletter-bestellen/
Inhalt 1. Einleitung 6 2. Deutschland – Vorreiter beim I nvestorenschutz 7 2.1 Kurze Geschichte der deutschen BITS 7 3. Die Wirkmacht deutscher BITS 9 3.1 Der deutsche Anspruch an nachhaltige Entwicklung 9 3.2 Die Realität der deutschen BITs 10 3.2.1 Investor-Staat-Schiedsverfahren 10 3.2.2 Der Investitionsbegriff 10 3.2.3 Klauseln, die zu Klagen führen 11 4. Deutschland und deutsche Konzerne im Investitionsschutz- regime 13 4.1 Gewinner und Verlierer des deutschen Investitionsschutzregimes 14 5. Beispielfälle von Klagen deutscher I nvestoren 15 5.1 Deutsche Bank vs. Sri Lanka 15 5.2 Siemens vs. Argentinien 15 6. Fazit 16 Endnoten 17
1. Einleitung In den vergangenen Jahren haben hundert- sowohl untereinander als auch mit Drittstaa- tausende Menschen gegen die geplanten ten bilaterale Investitionsabkommen unter- Handels- und Investitionsabkommen TTIP zeichnet. und CETA protestiert. Einer der umstrittens- ten Aspekte dieser Abkommen war der In- Als das Land mit den meisten unterzeichneten vestitionsschutz für Konzerne. Dieser räumt BITs weltweit spielt Deutschland beim Inves- ausländischen Investoren Sonderklagerechte titionsschutz eine Vorreiterrolle. In der vorlie- gegenüber Staaten ein, wenn sie eine staat- genden Publikation soll daher zuerst ein kurzer liche Regulierung beispielsweise als willkür- Blick auf die Geschichte dieser Instrumente lich oder geschäftsschädigend empfinden. geworfen werden. Anschließend wird der in Vor einem privaten, nur für sie zugänglichen der Präambel formulierte Anspruch der deut- Schiedsgericht können sie den Staat dann auf schen BITs, den Wohlstand der Bevölkerungen Schadensersatz verklagen. Dieser Mechanis- der vertragsschließenden Staaten zu mehren,1 mus ist als Investor-Staat-Schiedsverfahren mit der Realität abgeglichen. Dabei werden (ISDS, Investor-State Dispute Settlement) be- allem die in den Abkommen verankerten Son- kannt. derklagerechte unter die Lupe genommen. Denn in der Vergangenheit haben auch deut- Wenig beachtet in den Debatten über Investi- sche Investoren Investor-Staat-Schiedsver- tionsschutz sind die bilateralen Investitionsab- fahren genutzt, um staatliche Regulierungen kommen (BITs - Bilateral Investment Treaties), anzugreifen und ihre Gewinninteressen durch- die in den vergangenen Jahrzehnten zwischen zusetzen. Auch die Klauseln in den BITs, auf de- einzelnen Staaten abgeschlossen wurden. Bi- ren Basis die Investoren die Klagen anstreben, laterale Investitionsschutzabkommen sind ein werden untersucht. Anhand von zwei Beispiel- Instrument der globalisierten Marktwirtschaft. fällen wird anschließend aufgezeigt, wie die 6 Sie sollen die Märkte zweier Staaten für Inves- unterschiedlichen Klauseln in den deutschen toren des jeweils anderen Landes öffnen sowie BITs genutzt werden, um Länder des Globalen zum Abbau der regulierenden Hürden beitra- Südens vor ein Schiedsgericht zu ziehen. Da- gen. Gleichzeitig sollen sie ausländischen Kon- durch wollen wir die Widersprüche zwischen zernen Schutz für ihre Investitionen gewähren Deutschlands Entwicklungs- und Nachhaltig- und dadurch Anreize schaffen, im jeweils an- keitspolitik auf der einen und der Wirtschafts- deren Land zu investieren. und Exportstrategie auf der anderen Seite aufzeigen. Insgesamt soll das Papier als Denk- Mittlerweile existieren fast 3.000 solcher Ab- anstoß für eine gerechtere Handels- und In- kommen. Auch EU-Mitgliedsstaaten haben vestitionspolitik dienen. Exporthafen Photo: chuttersnap, Unsplash
2. Deutschland – Vorreiter beim Investorenschutz Grafik 1 – Länder, mit denen Deutschland BITs abgeschlossen hat BIT in Kraft getreten 7 BIT unterschrieben, bisher nicht in Kraft getreten BIT gekündigt Quelle: Eigene Darstellung. Daten: UNCTAD Investment Policy Hub und Bundeswirtschaftsministerium 2019 feiert das erste jemals unterzeichnete auf Entwicklungsländer zugeschnitten und bilaterale Investitionsabkommen zwischen sollten das von deutschen Unternehmen Deutschland und Pakistan sein 60. Jubiläum. eingebrachte Kapital vor Enteignung und poli- Dieses ähnelt bereits den späteren Abkom- tischer Willkür schützen. men, enthält allerdings noch kein ISDS. Seit- dem haben BITs einen weltweiten Siegeszug Die Entstehung der deutschen BITs ist eng angetreten – knapp 3.000 dieser Abkommen mit der Person Hermann Josef Abs verknüpft. haben Staaten weltweit unterzeichnet, davon Der deutsche Bankier und damalige Vorstand sind mehr als 2.300 in Kraft. Allein Deutsch- der Deutschen Bank wurde von Konrad Ade- land hat 140 dieser Abkommen unterzeich- nauer persönlich beauftragt, einen Vorschlag net, wovon 129 derzeit wirksam sind. Damit ist zu entwickeln, wie deutsches Kapital in ande- Deutschland Weltmeister bei der Unterzeich- ren Ländern bestmöglich geschützt werden nung von BITs. könne. Unter seiner Aufsicht formulierte die Gesellschaft zur Förderung des Schutzes von 2.1 Kurze Geschichte der Auslandsinvestitionen e. V. 1959 einen Entwurf für ein Investitionsschutzabkommen. 2 In Groß- deutschen BITS britannien startete Hartley William Shawcross, Vor 1959 gab es sogenannte Freundschafts-, Direktor bei Shell Petroleum, ähnliche Be- Handels- und Schifffahrtsverträge. Das erste mühungen. Abs und Shawcross erarbeiteten dieser Abkommen wurde bereits 1897 zwi- im Jahr 1958 sogar einen gemeinsamen Ver- schen dem Deutschen Zollverein und Ar- tragsentwurf, der in den 1960er Jahren Vor- gentinien geschlossen und ist noch heute bild für Diskussionen um Investitionsschutz in Kraft. Im Gegensatz zu den USA, die ihre innerhalb der OECD wurde. Dieser Entwurf Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsver- beinhaltete bereits die Forderung nach einer träge nach dem Zweiten Weltkrieg um Inves- fairen, gerechten und nicht-diskriminierenden titionsschutzklauseln erweiterten, entschied Behandlung ausländischer Privatinvestitionen sich die Bundesrepublik zum Abschluss sowie die Forderung, dass Enteignungen nur separater Verträge, die ausschließlich den im öffentlichen Interesse und gegen eine un- rechtlichen Schutz ausländischer Investitio- verzügliche, angemessene und übertragbare nen regelten. Diese Verträge waren zunächst Entschädigung erfolgen dürfen. 3
Mit dem ersten deutschen BIT hat Deutschland ein M uster vorgegeben, an dem sich ein Großteil der BITs weltweit orientiert. Photo: Cytonn Photography, Unsplash Mit dem ersten deutschen BIT hat Deutsch- land ein Muster vorgegeben, an dem sich ein Großteil der BITs weltweit orientiert. Während einige Länder ihre Musterverträge seitdem weiterentwickelt haben, wurde der deutsche 8 Mustervertrag4 jedoch nur in einem Punkt substantiell verändert: die ersten BITs sahen keine Investor-Staat-Schiedsverfahren vor. Das erste BIT mit einer entsprechenden Klausel wurde 1968 zwischen den Niederlanden und Indonesien abgeschlossen 5 , obgleich Kon- zernklagerechte im Aufschlag von Abs und Shawcross bereits vorgesehen waren. Dieser Trend hat sich bei den BITs weltweit durchge- setzt. Aktuell enthalten 90 der 129 rechtskräfti- gen deutschen BITs Klauseln, die ISDS-Klagen zulassen.
3. Die Wirkmacht deutscher BITS Deutschland ist eines der Länder mit dem 3.1 Der deutsche Anspruch an größten Außenhandelsüberschuss weltweit. nachhaltige Entwicklung Um seine Position in der globalisierten Welt- wirtschaft zu behaupten, ist das Land auf die Um eine Antwort auf die Herausforderungen Erschließung neuer Absatzmärkte und Inves- unserer Zeit zu geben, veröffentlichte das titionsmöglichkeiten für die eigenen Unter- Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- nehmen angewiesen. Insofern decken sich sammenarbeit und Entwicklung (BMZ) 2014 die Interessen deutscher Konzerne mit jenen die Zukunftscharta. Darin entwirft es eine Vi- der Bundesregierung. Die Vertragspartner sion für „EINEWELT“ und stellt ein Projekt zur Deutschlands sind zu fast 80 Prozent Entwick- Umsetzung der deutschen Nachhaltigkeits- lungsländer.6 Durch den Abschluss von Inves- strategie vor. Laut der Zukunftscharta muss titionsabkommen erhoffen sich diese Länder, Nachhaltigkeit Investitionen anzuziehen und damit eine posi- tive Entwicklungsdynamik im Land anzusto- „ein zentrales Prinzip allen gesellschaft- ßen. Denn laut (neo-)liberaler Lehrmeinung, lichen und politischen Handelns sein. Die führen die Öffnung der Märkte sowie die Si- ökologischen, sozialen und wirtschaft- cherstellung bestmöglicher Bedingungen lichen Dimensionen menschlicher Ent- für ausländische Investoren zu einer erfolg- wicklung müssen immer wieder neu durch reichen wirtschaftlichen Entwicklung und zu politisches, wirtschaftliches und gesell- besseren Lebensbedingungen im Land. Diese schaftliches Handeln in Einklang gebracht Annahme, die hauptsächlich auf ökonomi- werden. Es ist auch die Verantwortung der schen Modellen beruht, wurde bereits vielfach deutschen Politik, dabei für angemessene widerlegt.7 Rahmenbedingungen zu sorgen und ihre nationalen wie internationalen Entschei- Heute steht fest: Bilaterale Investitionsabkom- dungen kohärent und politikübergreifend 9 men sind zum einen kein Garant für ausländi- am Ziel nachhaltiger Entwicklung auszu- sche Direktinvestitionen (FDI – Foreign Direct richten.“ 14 Investment) – und auch nicht notwendig, um diese zu erhalten. 8 Das belegen Beispiele wie Ebenfalls in der Zukunftscharta zu lesen, ist, Brasilien, das erst 2017 sein erstes BIT (ohne dass Industrieländer internationale Handels- ISDS) ratifizierte aber schon lange zuvor In- politik so gestalten müssen, „dass sie Armut vestitionsmagnet der Region war. Zum ande- und Umweltzerstörung nicht verschärft – ren sind BITs einer nachhaltigen Entwicklung sondern verringert.“ 15 Deutschland als Han- nicht zuträglich. Sie nehmen den Staat in die delsnation wird in diesem Zusammenhang Pflicht, ausländische Investoren zu schützen, dazu aufgefordert, „sich im Rahmen bi-und selbst wenn dies bedeutet, im Widerspruch zur eigenen Verfassung oder dem Willen der Bevölkerung zu handeln. Möglichkeiten, Aus- landsinvestitionen effektiv und im Sinne der eigenen Entwicklungsziele zu steuern und gegebenenfalls unternehmerische Vergehen zu sanktionieren, sind nicht vorgesehen. Fünf Länder haben ihre BITs mit Deutschland (und anderen Ländern) aus diesen Gründen be- reits aufgekündigt: Bolivien (2013)9, Ecuador (2018)10, Indien (2017)11, Indonesien (2017)12 und Südafrika (2014)13. Daher sollten wir uns die Frage stellen, ob BITs den entwicklung- und umweltpolitischen Zie- len der Bundesrepublik nicht im Weg stehen und mindestens überarbeitet, wenn nicht so- gar aufgekündigt werden müssen. Zumal dies in 95 % aller deutschen BITs möglich ist. Denn BITs haben eine Mindestlaufzeit (zumeist zehn Jahre) nach deren Ablauf der Vertrag aufge- kündigt werden kann, wenn eine der beiden Einmal abgeschlossen, ist es schwer, BITs zu beenden - Parteien (oder beide) dies wünscht. aber nicht unmöglich. Photo: Shaojie, Unsplash
multilateraler Wirtschafts- und Investitions- abkommen nicht zuletzt auch auf europäi- scher Ebene für angemessene Regeln für Die Schiedsgerichte Handel und ausländische Direktinvestitionen und ihre Regeln stark (zu) machen, die nachhaltiges Wachs- tum sowie die Menschenrechte fördern und Das bekannteste Schiedsgericht ist das den Umweltschutz achten.“ 16 Besonderes Internationale Zentrum zur Beilegung von Augenmerk wird dabei auf die Auswirkun- Investitionsstreitigkeiten (ICSID, Interna- gen deutschen Handelns in Entwicklungs- tional Court for Settlement of Investment ländern gelegt. Doch es werden nicht nur Disputes) der Weltbank. Aber auch andere die Unternehmen in die Pflicht genommen. Schiedstribunale wie der Ständige Schieds- Auch staatliches Handeln muss Menschen- hof in Den Haag, die Stockholmer Handels- rechte „respektieren, schützen, und auf ihre kammer oder der Londoner Investitionshof Umsetzung hin orientiert sein. Dies gilt für die dienen als Austragungsorte von Konzern- Bereiche der Daseinsvorsorge wie Wasser, klagen. Diese Tribunale haben zum Teil ihre Ernährung, Wohnen, Bildung und Gesund- eigenen Regeln, nach denen sie die Klagen heit, wie auch für die Bereiche von Wirtschaft, entscheiden. Am meisten genutzt werden Handel sowie Umwelt- und Klimaschutz.“ 17 aber die Regeln der ICSID Konvention von 1966, die inzwischen 154 Staaten ratifiziert 3.2 Die Realität der deutschen haben. Deutsche Investoren griffen auf BITs diese in fast zwei Dritteln aller Klagefälle zurück. Auch die UNO-Schiedsgerichts- Bereits die Präambel des deutschen BIT- regeln, UNCITRAL, die deutsche Konzerne Mustervertrags stellt klar, was das Ziel ist: die in mehr als 30 % aller Fälle nutzten, sind ein Schaffung „günstige(r) Bedingungen für Ka- wichtiges Regelwerk.19 pitalanlagen von Investoren des einen Staa- tes im Hoheitsgebiet des anderen Staates“.18 Im Gegenzug für die günstigen Investitions bedingungen werden dem Investor aller- zu schützen. Vielmehr haben sich Konzern- 10 dings keine Mindeststandards hinsichtlich klagen zu einem eigenen Wirtschaftsbereich der Einhaltung von Arbeitnehmer*innen- und entwickelt. Heute gibt es eine Reihe von An- Menschenrechten oder beim Umweltschutz waltskanzleien und Schiedsrichter*innen, abverlangt. Hierfür ist der Staat allein in der deren Geschäftsmodell auf ISDS-Klagen aus- Pflicht – und muss bei der Umsetzung von gerichtet ist. Sie ermutigen Konzerne dazu, Schutzstandards gleichzeitig auf die Einhal- ISDS-Klagen gegen Staaten anzustreben. tung des Investitionsschutzvertrages achten. Auch Investitionsfonds haben ISDS-Klagen in- Das kann Bemühungen für die nachhaltige zwischen als lukratives Spekulationsgeschäft Entwicklung schnell untergraben. erkannt und finanzieren Klagen von Unter- nehmen, um später einen Teil der Entschädi- 3.2.1 Investor-Staat-Schieds gung, die Staaten zahlen müssen, als Honorar zu kassieren. 20 verfahren Besonders kritisch sind hierbei die Investor- 3.2.2 Der Investitionsbegriff Staat-Schiedsverfahren, die in Artikel 10 der deutschen Muster-BITs geregelt sind. Da der deutsche BIT-Mustervertrag, an dem sich alle 140 unterzeichneten deutschen BITs Investoren können Entschädigungsklagen orientieren, einen sehr weit gefassten Inves- gegen einen Staat einleiten, wenn dieser aus titionsbegriff hat, öffnet er einer großen Zahl ihrer Sicht gegen eine Klausel des BIT ver- von Investoren den Weg zu einer ISDS-Klage. stoßen hat. Über die Entschädigungsklage Vermögenswerte jeder Art, die direkt oder in- entscheidet ein Tribunal aus drei Anwält*in- direkt im Hoheitsgebiet des jeweils anderen nen, den sogenannten Schiedsrichter*innen, Vertragsstaates angelegt wurden, gelten als in einem intransparenten und von demokra- Investition. 24 Selbst kurzfristige und vor allem tischer Kontrolle abgekoppelten Verfahren. für spekulative Zwecke genutzte Portfolio- In- So sind Verhandlungsunterlagen (und auch vestitionen, also Investitionen in Wertpapiere Verhandlungsergebnisse) oft nicht öffent- wie Aktien, festverzinsliche Wertpapiere so- lich zugänglich, Berufungsinstanzen sind wie Investmentzertifikate, werden nicht expli- nicht vorgesehen. Durch diese Konzernkla- zit ausgeschlossen. 25 gerechte erlangen Investoren also exklusiven Zugang zu einem privaten, internationalen Auch geistiges Eigentum fällt unter den Schieds„gericht“. Schutz deutscher BITs, ebenso wie technische Verfahren und Know-how. Wollen Länder Längst geht es nicht mehr nur darum, Investi- also beispielsweise wichtige Medikamente tionen in rechtsstaatlich unsicheren Gebieten in eigenen Laboratorien herstellen, geht das
Konzernklagen weltweit 942 Konzernklagen vor privaten Schieds- gerichten sind derzeit weltweit bekannt. 21 In 653 Fällen ist die von den Konzernen gestellte Schadensersatzforderung öf- fentlich bekannt. Insgesamt belaufen sich diese Forderungen auf über 622 Milliarden US-Dollar. 310 der 620 bereits beendeten Klagen wurden im Sinne des Investors entschieden – sei es über einen Vergleich oder einen Schiedsspruch –, aber nur in 188 dieser Fälle ist bekannt, wie viel Geld der Investor vom Staat erhalten hat: Allein bei diesen Fällen beläuft sich der Gesamtbe- trag auf fast 88 Milliarden US-Dollar. 22 Das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt der Investitionen werden durch BITs geschützt – nicht so die 45 ärmsten Wirtschaften der Welt im Jahr Umwelt. Photo: chuttersnap, Unsplash 2017 zusammengenommen. 23 eigenständige Unternehmerschaft oder eine eigene Industrie aufzubauen, bevor sie sich nicht, solange das Patent des entsprechen- dem globalisierten Weltmarkt öffnen. Da- den Unternehmens läuft. Sie müssen das Me- durch schaffen sie Wertschöpfung im eige- dikament vom Unternehmen direkt beziehen, nen Land und werden unabhängiger von das darauf ein Monopol hat und es deswe- teuren Importen. Mit einem bestehenden BIT gen sehr teuer verkaufen kann. Deutlich wird sind den Ländern diesbezüglich die Hände 11 dies an folgendem Beispiel: Eine AIDS-Be- gebunden, wenn sie es nicht riskieren wollen, handlung mit patentierten Medikamenten von betroffenen ausländischen Investoren auf kostet pro Jahr und Patient 10.000 US-Dollar, Schadenersatz verklagt zu werden. während die nicht mehr patentierte Variante aus einem indischen Labor bei 200 US-Dol- Selbst Ausnahmen „gegenüber Investoren, lar liegt – also lediglich 2 % des patentierten deren wirtschaftliche Aktivitäten (…) sich ne- Medikamentes. 26 Dadurch wird für Entwick- gativ auf die nationale Wirtschaft (z. B. auf lungsländer die Bereitstellung günstiger Me- den Arbeitsmarkt oder im Umweltbereich) dikamente für die Bevölkerung erschwert, auswirken“, sind nicht erlaubt.28 Artikel 2 des was konkrete negative gesundheits- und wirt- deutschen Mustervertrages, ein echter Klas- schaftspolitische Implikationen hat. 27 Sollten siker und von Unternehmen aller Länder bei sie es trotzdem wagen, gegen entsprechen- Investor-Staat-Schiedsverfahren verpflichtet de Patentverordnungen zu verstoßen, könnte den Vertragsstaat zudem dazu, Kapitalan- ihnen eine Investitionsschutzklage drohen. lagen von Investoren des anderen Landes Gleichzeitig wird auch Wissens- und Techno- „gerecht und billig“ zu behandeln und ihnen logietransfer verhindert. Die Herausbildung den vollen Schutz des Vertrages zu gewähr- nachhaltiger und widerstandsfähiger Wirt- leisten (der sogenannte „Fair and Equitable schaftsstrukturen in Entwicklungsländern Treatment“-Standard). Das schließt auch wird so untergraben und deren Abhängigkeit den Schutz vor willkürlichen und diskrimi- von Industriestaaten, in denen Innovationen nierenden Maßnahmen ein. 29 Dieser Arti- stattfinden, zementiert. Bestehende Macht- kel ist so unscharf gehalten, dass praktisch unterschiede zwischen Industriestaaten und jede staatliche Maßnahme, die die Gewinne den Ländern des Globalen Südens werden da- des ausländischen Unternehmens mindern durch verschärft. könnte, vom Investor als diskriminierend eingestuft werden kann. Dies ist in vielerlei 3.2.3 Klauseln, die zu Klagen Hinsicht problematisch. Wenn ein Land zum Beispiel die Wasser- oder Stromversorgung führen privatisiert hat, die Konzession aber vorzeitig BITs verpflichten Staaten dazu, ausländische beenden oder anderweitig in die Geschäfte Investoren nicht schlechter als einheimi- des Unternehmens eingreifen will – sei es aus sche zu behandeln. Für Entwicklungs- und Unzufriedenheit mit der Dienstleistung oder Schwellenländer kann es jedoch gute Gründe aufgrund eines Volksbegehren – kann der In- geben, einheimische Unternehmen zu be- vestor vor einem privaten Schiedsgericht Kla- vorzugen, beispielsweise, um zunächst eine ge einreichen.
Artikel 4 definiert den Begriff der Enteignung, der derart weit ausgelegt werden kann, dass selbst staatliche Regulierungen, die wirt- schaftliche Auswirkungen auf den ausländi- schen Investor haben – beispielsweise den Umweltschutz, die Einrichtung eines Natur- schutzgebietes oder das Verbot bestimmter Stoffe betreffend – eine Verpflichtung zur Ent- schädigung nach sich ziehen können. 30 An- dererseits sorgen sich die deutschen BITs in keiner Weise um Umwelt- und Naturschutz oder geben dem jeweiligen Vertragsstaat die Möglichkeit, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, wenn dadurch privater, ausländi- scher Besitz „angegriffen“ wird. Die bei direkter wie indirekter Enteignung zu zahlende Entschädigung muss dem Wert der Kapitalanlage unmittelbar vor dem Zeitpunkt der Maßnahme entsprechen. Gerade in Ent- wicklungsländern wird damit der Natur- und Umweltschutz massiv eingeschränkt, denn für entsprechende nichtkommerzielle, öffent- liche Anliegen stehen meist kaum Mittel zur Verfügung. 31 Ebenso werden der Umvertei- lung von Land und anderen Maßnahmen zur Bekämpfung von Hunger und Armut enge Grenzen gesetzt. Ausländische Investoren, die „durch Krieg oder sonstige bewaffnete Aus- 12 einandersetzungen, Revolution, Staatsnot- stand oder Aufruhr“ Verluste erlitten haben, müssen laut deutschen BITs in gleicher Weise entschädigt werden wie nationale Unterneh- men32 – mit dem Unterschied, dass nationa- le Unternehmen keinen Zugang zu privater Schiedsgerichtsbarkeit haben und zumeist wesentlich weniger Möglichkeiten, ihre Ge- winne ins Ausland zu überweisen, vor allem, wenn es sich um kleine und mittelständische Unternehmen handelt.
4. Deutschland und deutsche Konzerne im Investitionsschutzregime Deutschland ist nicht nur der Erfinder des In- vestitionsschutzregimes, sondern auch des- sen Nutznießer. Deutsche Konzerne haben Deutschland vor priva- bereits 62 Mal Investor-Staat-Schiedsverfah- ten Schiedsgerichten ren eingeleitet – das erste Mal 1994, als Saar Deutschland musste sich bisher drei Mal vor Papier den Staat Polen verklagte. Deutsch- privaten Schiedsgerichten gegen Schadens- land belegt damit Platz vier der Herkunfts- ersatzforderungen ausländischer Investoren länder von Konzernen, die andere Staaten auf behaupten. Das erste Mal wurde das Land Grundlage von Investitionsschutzabkommen im Jahr 2000 von dem indischen Investor verklagen. Klagefreudiger sind nur noch Un- Ashok Sancheti verklagt. Diese Klage wurde ternehmen aus Großbritannien mit 78 Verfah- jedoch eingestellt und Informationen sind ren, den Niederlanden mit 108 und den USA kaum vorhanden. 33 In den zwei anderen mit 174 Klagefällen. Fällen handelt es sich um dasselbe Unter- nehmen: den schwedischen Energiekonzern Doch obwohl ein Großteil dieser Klagen Vattenfall. Dieser verklagte Deutschland auf Grundlage von BITs durchgeführt wird, 2009 wegen höherer Umweltauflagen für sind sie nicht die einzigen Abkommen, die das Kohlekraftwerk in Hamburg-Moor- entsprechende Investitionsschutzklauseln burg und 2012 wegen des Atomausstieges. beinhalten. Neben den BITs, werden auch Ab- Beide Male auf Basis des Vertrags über die kommen wie der Vertrag über die Energie- Energiecharta und mit einer geforderten charta, der den Schutz von Investitionen im Entschädigungssumme in Milliardenhöhe. 34 Energiesektor regelt, und das Nordamerikani- Im Fall Hamburg-Moorburg einigte man sche Freihandelsabkommen (NAFTA) genutzt, um Staaten auf Schadensersatz zu verklagen. sich auf einen Vergleich, der dazu führte, dass Hamburg die Umweltauflagen ab- 13 Deutsche Unternehmen haben ihre Klagen in senkte. Die Klage wegen des Atomausstie- zwei Drittel aller Fälle auf Basis eines BITs und ges ist derzeit noch nicht entschieden. 35 ein Drittel auf Grundlage des Vertrages über die Energiecharta eingebracht. Mehr als ein Drittel aller Klagen deutscher Spanien, Tschechien, Polen und Italien. Der Firmen richtet sich gegen Länder aus Afrika, Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil Südamerika und Asien. Die meisten Klagen vom 6. März 2018 in der Rechtssache Achmea deutscher Unternehmen wandten sich je- jedoch klargestellt, dass Investitionsschutz- doch gegen andere europäische Länder, in abkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten erster Linie gegen EU-Mitgliedstaaten wie (sog. Intra-EU BITs), die eine ISDS-Klausel 12 Grafik 2 – Anzahl der Klagen deutscher Firmen pro Jahr seit 1994 10 10 8 6 6 6 5 4 4 4 3 3 3 3 2 2 2 2 2 2 1 1 1 1 1 0 0 0 0 0 0 Quelle: Eigene Darstellung. Daten: UNCTAD Investment Policy Hub
Grafik 3 – Anzahl der ISDS-Klagen deutscher Firmen pro Land seit 1994 16 14 14 12 10 10 8 6 5 4 4 3 2 2 2 2 2 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 0 Quelle: Eigene Darstellung. Daten: UNCTAD Investment Policy Hub enthalten, gegen EU-Recht verstoßen und ge- kündigt werden müssen. 36 Das bedeutet, dass Deutschland seine 14 Intra-EUBITs in abseh- Der Staat zahlt immer barer Zeit kündigen muss. 14 Zu den Entschädigungszahlungen, die Staaten an Investoren zahlen müssen, 4.1 Gewinner und Verlierer des kommen zudem Prozess- und Anwalts- deutschen Investitionsschutz kosten. Diese fallen auch an, wenn das regimes Schiedstribunal die Klage des Investors am Ende abweist. Solche Einnahmen fehlen Von 62 Schiedsgerichtsklagen, die deutsche dann an anderer Stelle, zum Beispiel im Unternehmen gegen andere Staaten ein- Gesundheits- oder Bildungsbereich. So reichten, wurden 37 bereits beendet. In zehn musste beispielsweise die philippinische Fällen – das entspricht mehr als jedem vierten Regierung nach eigenen Angaben 58 Fall – entschied das zuständige Schiedstribu- Millionen US-Dollar aufwenden, um eine nal im Sinne des Investors und verurteilte den Schiedsgerichtsklage des Flughafenbe- jeweiligen Staat zur Zahlung von Entschädi- treibers Fraport abzuwehren. Von diesem gung. Öffentlich bekannt ist, dass den Inves- Geld hätten die Jahresgehälter von 12.500 toren insgesamt 428,9 Millionen US-Dollar Lehrerinnen bezahlt oder 3,8 Millionen Schadensersatz zugesprochen wurde. In Kinder gegen Krankheiten wie Tuberku einem der zehn Fälle wurde die Entschädi- lose, Diphtherie, Tetanus und Polio geimpft gungshöhe jedoch nicht veröffentlicht. werden können!37 In der seit 2012 andauernden Vattenfall Auch, wenn sich Investor und Staat auf einen II-Klage hat Deutschland bereits über 16 Vergleich einigen – dies geschah in drei der Millionen Euro ausgegeben. 38 37 beendeten Klagen deutscher Unterneh- men – muss der Staat häufig mit Kosten rech- nen. Die Klage des deutschen Unternehmens Oiltanking gegen Bolivien beispielsweise Zusammenfassend lässt sich sagen, dass In- wurde gegen die Zahlung von 16,4 Millionen vestor-Staat-Schiedsverfahren ein häufig ge- US-Dollar eingestellt. Zudem ist davon aus- nutztes Instrument deutscher Konzerne sind, zugehen, dass im Rahmen von Vergleichen um Staaten, die ihnen missliebige Entschei- Zugeständnisse an den Investor gemacht dungen treffen, zu disziplinieren. Sie sind teu- werden, wie die Rücknahme oder Abschwä- er, intransparent und schränken Regierungen chung einer bestimmten Maßnahme. Dies in ihrer Handlungsfähigkeit, im öffentlichen belegen Beispiele wie die erste Klage von Vat- Interesse zu regulieren, ein. Im Folgenden soll tenfall gegen Deutschland, die im Vergleich dargestellt werden, wie deutsche Unterneh- endete der dem Hamburger Senat zwang, die men die Klauseln in den BITs nutzen, um Län- Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Ham- der des Globalen Südens vor Schiedsgerichte burg-Moorburg abzuschwächen. zu ziehen.
5. Beispielfälle von Klagen deutscher Investoren 5.1 Deutsche Bank vs. Sri Lanka Im Oktober 2012 verurteilte das Schiedsgericht der Weltbank, ICSID, den kleinen Inselstaat Sri Lanka zur Zahlung von 60 Millionen US-Dol- lar – plus Zinsen und 8 Millionen US-Dollar Rechtskosten – an die Deutsche Bank. Grund- lage der Klage ist das Investitionsabkommen zwischen Deutschland und Sri Lanka. Zum Hintergrund: Die staatliche Öl-Firma Cey- lon Petroleum Corporation (CPC) war 2007 ein komplexes Finanzgeschäft mit der Deutschen Bank eingegangen, 39 um den Ölpreis für das stark von Importen abhängige Land zu stabi- lisieren. Doch das höchste Gericht des Landes hatte wegen Korruptionsvorwürfen gegen Funktionäre von CPC angeordnet40, Zahlun- gen an die Deutsche Bank auszusetzen. Dar- Das meistgenutzte Schiedsgericht, ICSID, gehört zur aufhin klagte die Deutsche Bank. Zentral bei Weltbank. Photo: PINGNews, flickr dieser Klage ist, dass erstmals ISDS-Schieds- richter befanden, dass es sich bei dem Hed- Präsidenten, Verträge neu auszuhandeln und ging-Vertrag, den die Bank Sri Lanka verkauft zu kündigen, um die dadurch frei werdenden hatte, nicht um ein riskantes Spekulations- Gelder in die Bekämpfung der grassierenden 15 geschäft gehandelt habe. Vielmehr, so das Massenarmut – von der zu diesem Zeitpunkt Tribunal, sei das Finanzinstrument ein „we- über 50 % der Bevölkerung betroffen waren – sentlicher Beitrag“, der „einen erheblichen zu investieren.43 wirtschaftlichen Wert für Sri Lanka“ gehabt habe.41 Daher handele es sich um eine Investi- Das Schiedsgericht argumentierte in seiner tion im Sinne des BIT, weshalb das ISDS-Tribu- Entscheidung jedoch im Einklang mit dem nal befugt sei, über den Fall zu entscheiden. Konzern und verurteilte Argentinien zu einer „Schadensersatzzahlung“ von mehr als 235 Allerdings beinhaltete diese „schutzwürdige“ Millionen US-Dollar sowie der Übernahme von Investition keinerlei physische Geschäftstä- 75 % der gesamten Prozesskosten. Es befand, tigkeit der Deutschen Bank in Sri Lanka, die dass die argentinische Regierung mit ihrer einen Mehrwert für die Allgemeinbevölke- Maßnahme gegen eine Reihe von Klauseln im rung geschaffen hätte. Vielmehr ist es ein deutsch-argentinischen BIT verstoßen habe, Beispiel für die großzügige Auslegung des- u. a. gerechte und billige Behandlung und sen, was Schiedsgerichten als Investition gilt, Schutz vor willkürlichen Maßnahmen. Zudem und damit Rechtssicherheit genießt. Die An- handele es sich um eine Enteignung, denn erkennung von Finanzmarkinstrumenten als auch immaterielle Werte, wie ein Vertrag, „Investitionen“ durch Schiedsgerichte hat den könnten enteignet werden. Es widersprach Appetit des internationalen Finanzdienstleis- der argentinischen Regierung, dass es sich tungssektors geweckt. 42 Fast 10 % aller 942 um eine Maßnahme im öffentlichen Interesse Klagen gehen derzeit auf den Finanz-und Ver- gehandelt habe und argumentierte mit den sicherungsbereich zurück. diesbezüglich strengen Festlegungen im BIT, die selbst in Notlagen keine Ausnahmen vor- 5.2 Siemens vs. Argentinien sähen.44 2002 verklagte Siemens Argentinien auf über 2009 verzichtete Siemens auf die Auszahlung 460 Millionen US-Dollar, weil das Land einen des Geldes, da herausgekommen war, dass milliardenschweren Vertrag von 1999 zur Be- der Konzern den Vertrag nur aufgrund massi- reitstellung eines Systems für elektronische ver Bestechungszahlungen (je nach Quellen- Passkontrolle gekündigt hatte. Argentinien angabe zwischen 40 Millionen und fast 100 hatte Ende 2000 Notfallgesetze erlassen, um Millionen US-Dollar) an argentinische Funk- der schlimmsten sozialen und ökonomischen tionäre erhalten hatte. Unter ihnen war auch Krise seiner jüngeren Geschichte zu begeg- der damalige Präsident des Landes, Carlos nen. Diese Notfallgesetze erlaubten es dem Menem.45
6. Fazit 16 ISDS-Klagen tragen zur Staatsverschuldung bei. Photo: Ehud Neuhaus, Unsplash In Zeiten großer transatlantischer Handels- untergraben die Herausbildung nachhaltiger und Investitionsverträge wie TTIP und CETA und eigenständiger Wirtschaftsstrukturen. erhalten die bilateralen Investitionsverträge Dadurch wird deren Abhängigkeit von Indust- der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten kaum Auf- riestaaten zementiert und bestehende Macht- merksamkeit. Dabei sind gerade sie es, auf die unterschiede zwischen Industriestaaten und ein Großteil der Klagen vor privaten Schieds- den Ländern des Globalen Südens verschärft. gerichten weltweit zurückgeht und die seit 60 Jahren die Interessen international agierender Eine positive Wirkung der BITs hinsichtlich Konzerne vor den Schutz von Umwelt und Entwicklung, Nachhaltigkeit, Umweltschutz Menschenrechten stellen. und Menschenrechte, wie sie Zukunftscharta des BMZ fordert, ist also nicht zu erkennen. Deutsche Unternehmen nutzen die in den 129 rechtskräftigen deutschen BITs festgeschrie- Will Deutschland seinem Anspruch gerecht benen Sonderklagerechte gerne und viel. werden, einen umfassenden Beitrag zu einer Zwei Drittel aller ISDS-Klagen deutscher Un- nachhaltigen, zukunftsfähigen und gerechten ternehmen geht auf BITs zurück, und es sind Welt zu leisten, muss sich die deutsche Bun- gerade diese Konzernklagen, die sich gegen desregierung aus allen Handels- und Inves- Entwicklungsländer richten. Das bedeutet, titionsabkommen zurückziehen, die diesem der vielgepriesene Spruch von der Mehrung Ziel im Wege stehen. Ein Abschluss künftiger des Wohlstands der Völker durch Handel und Abkommen mit Sonderklagerechten für Kon- Investition wird durch BITs konterkariert. zerne dürfte nicht mehr in Frage kommen. Deutschland hat heute schon die Möglichkeit, Auch das Ziel, Investitionen anzuziehen, um 123 seiner bilateralen Investitionsabkommen eine nachhaltige Entwicklungsdynamik in zu kündigen. Diese Chance sollte es nutzen, den Ländern des Globalen Südens anzusto- und im Sinne seiner selbstgesteckten Ziele ßen, lässt sich mit dem derzeitigen Investi- handeln! tionsschutzregime nicht erreichen. Bilaterale Investitionsabkommen sind weder ein Garant für ausländische Direktinvestitionen noch tra- gen sie zu einer nachhaltigen Entwicklung bei. Stattdessen beschränken sie den Spiel- raum von Staaten, ihre Wirtschaft im Sinne der eigenen Entwicklungsziele zu steuern und
Endnoten 1 Vgl. Deutscher Mustervertrag 2008, Italaw. Online ab- 16 Ebd. S. 29 rufbar: https://www.italaw.com/sites/default/files/archive/ ita1025.pdf 17 Ebd. S. 33 2 Abs, H. J.: Die rechtliche Problematik privater Auslands- 18 Siehe Deutsche Mustervertrag 2009, Präambel investitionen. Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, 19 Germany as Home State. Investment Dispute Settle- 1968, S. 89. ment Navigator. Investment Policy Hub. United Nations 3 Bonnitcha, J., Poulsen, L. N. S., and Waibel, M.: The Politi- UNCTAD. 31.12.2019. Online abrufbar. https://investmentpoli- cal Economy of the Investment Treaty Regime. Oxford Uni- cy.unctad.org/investment-dispute-settlement/country/78/ versity Press, 2017. germany/respondent 4 Deutscher Mustervertrag 2008, Italaw. Online abrufbar: 20 Olivet, Cecilia; Eberhard, Pia: Profit durch Un-Recht. Wie https://www.italaw.com/sites/default/files/archive/ita1025.pdf Kanzleien, SchiedsrichterInnen und Prozessfinanzierer das Geschäft mit dem Investitionsschutz befeuern. Transna- 5 Malik, Mahnaz: Time for Change. Germany´s Bilateral In- tional Institute, Corporate Europe Observatory, PowerShift, vestment Treaty Programme and Development Policy. In: Campact, 2014. Online abrufbar: https://corporateeurope. Dialogue on Globalization, N° 27, November 2006, Friedrich org/sites/default/files/profit-durch-unrecht.pdf Ebert Stiftung, IISD, S. 9. Online abrufbar: http://library.fes. de/pdf-files/iez/global/04138.pdf 21 FactSheet on Investor-State Dispute Settlement cases in 2018. United Nationas UNCTAD. Mai 2019. Online ab- 6 DAC Länderliste Berichtsjahre 2018-2020. Bundesministe- rufbar: https://unctad.org/en/PublicationsLibrary/diaep- rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. cbinf2019d4_en.pdf Online abrufbar: https://www.bmz.de/de/ministerium/zah- len_fakten/oda/hintergrund/dac_laenderliste/index.html 22 Investment Dispute Settlement Navigator. UNCTAD In- vestment Policy Hub, 31.12.2918. Online abrufbar: https://in- 7 Ceyssens, Jan; Sekler, Nicola: Bilaterale Investitionsab- vestmentpolicyhubold.unctad.org/ISDS kommen (BITs) der Bundesrepublik Deutschland. Auswir- kungen auf wirtschaftliche, soziale und ökologische Re- 23 Gross Domestic Product 2017. World Development Indi- gulierung in Zielländern und Modelle zur Verankerung der cators database, World Bank, 25 April 2019. Online abrufbar: Verantwortung transnationaler Konzerne. Hans- Böckler- https://databank.worldbank.org/data/download/GDP.pdf Stiftung, 2005, S. 71. 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Online abrufbar: http://www.bmz. 37 Olivet, C: The Dark Side of Investment Agree- de/de/mediathek/publikationen/reihen/infobroschueren_fly- ments. Transnational Institute, 12.2011. Online abrufbar: er/infobroschueren/Materialie250_zukunftscharta.pdf https://www.tni.org/files/the_dark _side_of_investment_ treaties-final.pdf 15 Ebd. S. 15
38 Antwort der Bundesregierung auf die Frage von Fotonachweise Klaus Ernst bezüglich der Kosten der Vattenfall II –Klage. 05.04.2019 Cover https://unsplash.com/photos/zXM5Yl7MX5k, 39 Vis-Dunbar, Damon: Deutsche Bank targets Sri Lanka Photo: RU Recovery Ministries, Unsplash with a BIT claim connected to a hedging contract. 2009. On- line abrufbar: https://www.iisd.org/itn/2009/04/03/deutsche- S. 6 Busy cargo port: https://unsplash.com/photos/eqwF- bank-targets-sri-lanka-with-a-bit-claim-connected-to-a- WHfQipg, Photo: chuttersnap, Unsplash hedging-contract/ S. 8 https://unsplash.com/photos/GJao3ZTX9gU, 40 Peterson, Luke Eric; Balcerzak, Filip: Sri Lanka brea- Photo: Cytonn Photography, Unsplash ched BIT due to Central Bank and Supreme Court action. S. 9 Heavily rusty chains: https://unsplash.com/photos/ Investment Arbitration Reporters, 21. Februar 2013. Online FI2oIPy78K4, Photo: Shaojie, Unsplash abrufbar: https://www.iareporter.com/articles/sri-lanka- breached-bit-due-to-central-bank-and-supreme-court- S. 11 Demolition and construction – Digger, crane and actions-dissenter-says-highest-court-did-not-act-in-bad- pile drivers on the site of the former Western Infirmary.: faith-in-financial-derivatives-dispute/ https://www.geograph.org.uk/photo/6020446, Photo: Richard Sutcliffe, Geograph, 41 Peterson, Luke Eric; Balcerzak, Filip: On Jurisdiction, CC BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/ rbitrators disagree whether a headging agreement is A an investment covered by bilateral investment treaty and S. 15 World Bank Building, Washington, D.C.: ICSID convention. Investment Arbitration Reporters, 21. Fe- https://flic.kr/p/4FeG5K, Photo: PINGNews, flickr, CC BY-SA bruar 2013. Online abrufbar: https://www.iareporter.com/ 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/ articles/on-jurisdiction-arbitrators-disagree-whether- S. 16 Graffitied brick wall in the beautiful LxMarket: a-hedging- agreement-is- an-investment-c overed-by- https://unsplash.com/photos/Ql3ULtlplsQ, bilateral-investment-treaty-and-icsid-convention/ Photo: Ehud Neuhaus, Unsplash 42 Bank, Max: TTIP-Schiedsgerichte: Wie Deutsche Bank, Telekom & Co. sich ihr Paralleluniversum bauen und das Jus- tizmonopol des Staates aushebeln wollen. Online abrufbar: https://www.lobbycontrol.de/2016/10/ttip-schattenjustiz/ 43 Investment Treaty Arbitration: Tribunal finds expro priation. Global Arbitration Review, 1.4.2017. Online abrufbar: https://globalarbitrationreview.com/article/1028163/invest- ment-treaty-arbitration-tribunal-finds-expropriation 44 Siemens A. G. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/8. Italaw. Online abrufbar: https://www.italaw.com/ 18 cases/1026 45 Siemens schmierte in Argentinien. Focus, 18.12.2008. Online Abrufbar: https://www.focus.de/finanzen/boerse/ aktien/siemens/korruption-siemens-schmierte-in-argen- tinien_aid_356833.html Auch: Siemens drops ICSID claim against Argentina. Global Arbitration Review, 14.8.2009. On- line abrufbar: https://globalarbitrationreview.com/article/ 1028544/siemens-drops-icsid-claim-against-argentina
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