77 Unfruchtbare Debatten? - Archiv der deutschen Frauenbewegung
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Ariadne Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte Heft 77 | Mai 2021 Ariadne Mai 2021 | Unfruchtbare Debatten? 77 Unfruchtbare Debatten? 150 Jahre gesellschaftspolitische Kämpfe um den Schwangerschaftsabbruch
Inhalt Impressum Editorial 1 Inhalt 4 Thema: Unfruchtbare Debatten? 150 Jahre gesellschaftspolitische Kämpfe um den Schwangerschaftsabbruch Wider den »schwächlichen Fortpflanzungswillen« 6 Legislative Ansätze zur Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen im Ersten Weltkrieg Leonie Kemper Psychiatrische Begutachtungen 26 Die Verfahren bei einem Schwangerschaftsabbruch nach einer Vergewaltigung 1945 bis 1947 Jelena Wagner Das reaktionäre Weltbild eines medizinischen Pioniers 46 Die Blechschmidt-Sammlung als Beispiel von Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und ›Lebensschutz‹ Anna Domdey Liberalisierung im Namen der Fremdbestimmung? 64 Kopplungen von Behinderten- und Frauenrechten in westdeutschen Debatten um den § 218 von den 1960er bis in die 1990er Jahre Raphael Rössel Schwangerschaftsabbruch in BRD und DDR 80 Ein Vergleich der Entwicklungen und die Neuregelung der 1990er Jahre Ulrike Busch und Daphne Hahn Die doppelte Wahrnehmungsstörung 102 Abtreibende Frauen, die neue Frauenbewegung und der patriarchale Gründungskonsens der Bundesrepublik Isabel Heinemann Nach Belgrad, London oder Den Haag 122 Abtreibungsreisen westdeutscher Frauen in den 1970er und 1980er Jahren Claudia Roesch Zwischen Selbsterfahrung und Bundespolitik 138 Ein persönlicher Erfahrungsbericht zur Arbeit einer autonomen § 218-Gruppe Gisela Hermes und Ildikó Szász Seite 4 | 5
Recht und Rechtswirklichkeit 144 Schwangerschaftsabbruch in Europa Anja Titze (K)Ein ›Kompromiss‹? 164 Der Konflikt um die Neuregulierung des Schwangerschaftsabbruchs in Polen in den 1980er/1990er Jahren Michael Zok Verpasste Modernisierung 182 Die Konsolidierung patriarchaler Staatlichkeit in juristischen Diskursen über die gesamtdeutsche Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs 1990 bis 1993 Ulrike Lembke ...das wir uns das nicht gefallen lassen würden! 204 Interview mit Nora Szász Dokumentation Gewaltsame Bevölkerungspolitik 210 Dr. Gertrud Bäumer Gegen den Gebärzwang 213 Alma Fritsch Erfurcht vor dem Leben. Betrachtungen … 215 Elisabeth Adolff Erfurcht vor dem Leben. Der Paragraph 218 … 218 Professor Dr. Gaupp Abtreibung. Motive und Bedenken 224 Helke Pross Geburten Planung? Eine amerikanische Lösung 222 Dr. Gabriele Strecker Aus den Beständen und andere Archive Die Gosteli-Stiftung 230 Das Archiv der schweizerischen Frauenbewegung Silvia Bühler und Ladina Fessler Rezensionen 244 Freundinnen 270 Stiftung AddF – Archiv der deutschen Frauenbewegung 271 Ariadne Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 77 | 2021
... das wir uns das nicht gefallen lassen würden! Marion Hulverscheidt (M. H.).: Liebe Nora Szász, du bist niedergelassene Das Interview führte Frauenärztin in Kassel, in einer gemeinsamen Praxis mit Natascha Nicklaus. Marion Hulverscheidt per Zoom am [...] Magst du mal aus deiner Position heraus erläutern, wie es dazu gekommen 22. Januar 2021. ist, dass wieder lautstark und vehement über den Schwangerschaftsabbruch und dessen Regelungen gestritten und debattiert wird. Nora Szász Frauenärztin aus Nora Szász (N. S.): Das hat wohl mit mindestens zwei Aspekten zu tun: Ak Kassel, wurde tuell hat die Covid19 Pandemie all die bekannten Schwachstellen in der zusammen mit ihrer Gesundheitsversorgung ungewollt schwangerer Frauen, die Hürden des gel Kollegin Natascha tenden Rechts und eine schwierige Versorgungslage offengelegt, die akuten Nicklaus 2017 von Handlungsbedarf fordern. Das andere sind sicherlich die § 219a Anzeigen und Klaus Günter Annen Prozesse der letzten Jahre. Die damit verbundene Kriminalisierung von uns und Yannick Lukas Hendricks nach § 219a Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und das Informa StGB angezeigt, weil tionsverbot für betroffenen Frauen hatten zu einer breiten gesellschaftlichen die beiden Ärztinnen Empörung und anhaltende Proteste geführt. auf ihrer Homepage bekannt machten, dass M. H.: Wie erklärst du, dass es zu vermehrten Anzeigen wegen des § 219a sie auch Schwanger- kam? schaftsabbrüche N. S.: Vor mittlerweile fast 20 Jahren begann ein fundamentalistischer Abtrei vornehmen. bungsgegner, Klaus Günter Annen, erst vereinzelt, dann im großen Stil, Straf anzeigen nach § 219a StGB, gegen Ärzt*innen und Kliniken zu erstatten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführten und darüber auf ihren Websites in formierten. Vielleicht hatte er selbst nicht damit gerechnet, dass er so erfolg reich damit sein würde. Mit diesen Anzeigen, später kamen auch noch Anzei gen durch einen Studenten, Yannic Lukas Hendricks hinzu, konnte ein Groß teil der Ärzteschaft so eingeschüchtert werden, dass sie freiwillig die Einträge von ihren Websites nahmen, bevor es überhaupt zu einem Verfahren kommen konnte. Diese Entwicklung vollzog sich schleichend und leise über fast zwei Jahrzehnte quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit und hatte das fast voll ständige Verschwinden medizinischer Informationen zum Schwangerschafts abbruch auf Praxis und Klinikwebsites zur Folge. Zum Glück gab es aber ver einzelt Kolleg*innen, die sich davon nicht einschüchtern ließen und Verfahren und Verurteilungen in Kauf nahmen. Es war dann dem couragierten und ent schiedenen Auftreten der Gießener Ärztin Kristina Hänel zu verdanken, die Ariadne Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 77 | 2020
nach mehreren § 219a –Anzeigen durch die beiden Fundamentalisten, sich der juristischen Auseinandersetzung stellte. Im November 2017 kam es vor dem Amtsgericht Gießen zu einem Prozess, der mit einer Verurteilung und Geld strafe von 6000, Euro endete. Die Empörung über dieses absurde Strafmaß war groß, das Thema hatte öffentliche und mediale Aufmerksamkeit erlangt. Genau in dieser Zeit, im August 2017 erhielten auch meine Kollegin Na tascha Nicklaus und ich, wir sind niedergelassene Frauenärztinnen in einer Gemeinschaftspraxis in Kassel, eine Strafanzeige nach § 219a. Unser Verge hen: Wir haben auf unserer Website unter der Auflistung unserer Leistungen vermerkt, dass wir Schwangerschaftsabbrüche, medikamentös und operativ, durchführen. Uns war von Anfang an klar, dass dies eine politisch motivierte Anzeige war und dass wir uns das nicht gefallen lassen würden. Rückhalt hat uns dabei sicherlich gegeben, dass wir beide Mitglied im Arbeitskreis Frauen gesundheit (AKF), einem feministischem Netzwerk, sind und dass wir dann auch vom bevorstehenden Prozess von Kristina Hänel erfuhren. Auch wir er hielten natürlich den Vorschlag des Staatsanwaltes, den Eintrag einfach von unserer Webseite zu nehmen, dann würde er das Verfahren einstellen. Das kam aber für uns nicht in Frage. Am Prozess gegen Kristina in Gießen im November 2017 nahm ich mit mehreren AKFKolleginnen teil. Es war dann auch der Tag, an dem unser Fall an die Öffentlichkeit kam, indem ich auf der Solidaritätskundgebung zum Prozess eine Rede hielt und mich mit einem Plakat outete auf dem stand: Ich bin Ärztin und auch ich bin angeklagt, weil ich informiere. M. H.: Wie entwickelte sich die Situation in Kassel? N. S.: Die anfängliche Verunsicherung wich schnell, vor allem, als ich mir die bis dahin uns unbekannte Website von Klaus Günter Annen anschaute. Gru selig. Er listet dort wie Trophäen all diejenigen Ärzt*innen und Kliniken auf, die er schon angezeigt hat. Das waren so viele! Es machte mich fassungslos, hier nachzuvollziehen, wie viele bereits betroffen waren und die Informati on über den Schwangerschaftsabbruch von ihren Websites genommen hatten, ohne, dass davon irgendetwas an die Öffentlichkeit gekommen war. Und es machte mich wütend, welch leichtes Spiel Annen und Hendricks bislang of fensichtlich hatten. Im Dezember 2017 fand in Kassel eine Podiumsdiskussi on des Kasseler Frauenbündnisses statt, zu der neben einer Vertreterin von pro familia auch Kristina Hänel und wir, sowie eine Buchautorin eingeladen wa ren. Da formierte sich der Protest und es bildete sich eine Aktionsgruppe aus dem Kasseler Frauenbündnis heraus zur Unterstützung von uns angeklagten Ärztinnen. Diese Gruppe wurde sehr wichtig für uns, sie organisierte in der Folgezeit maßgeblich die Proteste vor Ort, vor allem dann auch um den Pro zess herum, der im Sommer 2018 vor dem Amtsgericht stattfand. Diese Soli darität zu erfahren, war etwas wunderbares und wichtiges, sie gab uns Kraft und auch das Wissen, dass es um eine gemeinsame Sache, nämlich letztendlich Seite 206 | 207
den Kampf um sexuelle Selbstbestimmung ging. In diesen Monaten gab es viel Presseaufmerksamkeit vor allem für Kristina Hänel aber auch für uns und es war eine wirklich überraschende und gute Erfahrung, wie viel Zuspruch und Sympathie wir auch von unseren Patientinnen erfuhren. M. H.: Wie war das Verhältnis zu den Kasseler Kolleg:innen? N. S.: Einzelne Kolleginnen engagierten sich bei den Protestaktionen oder spendeten für die Prozesskosten, was sehr wichtig war. Andere haben uns auch ihren Zuspruch übermittelt. Doch vom Berufsverband der Frauenärzt:innen, weder vor Ort noch bundesweit und auch von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) kam eine Unterstützung. Das war sehr enttäuschend. M. H.: Wie ging es denn juristisch weiter? N. S.: Dieser Verlauf war ein bisschen besonders. Ausgehend von der Strafan zeige wurde von der Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Der Prozesstermin wurde dann auf August 2018 gelegt, fast genau ein Jahr nach der Anzeige. Es war ein langer Prozesstag, der, begleitet von einer Kundgebung und unter viel Medienaufmerksamkeit, vor dem Kassler Amtsgericht stattfand. Der lange Verhandlungstag endete schließlich mit einem Befangenheitsantrag gegen den Richter, weil er den Eindruck erweckte, als ob für ihn das Urteil schon fest stand, so sprach er z. B. mehrfach von Kundinnen und nicht von Patientinnen, wenn es um ungewollt Schwangere ging. Ein neuer Prozesstermin wurde dann für Januar 2019 festgelegt, dann aber wieder ausgesetzt wegen der damals unmittelbar bevorstehenden Reform des § 219. Wir waren zu diesem Zeitpunkt noch voller Hoffnung, dass der § 219a gestrichen würde. Dann wäre unsere Anklage ja hinfällig geworden. Dann kam im März 2019 die Reform des § 219a und kurz darauf fand in Berlin der Prozess gegen zwei Kolleginnen, Bettina Gaber und Verena Weyer, statt, die dann tatsächlich nach dem reformierten §219a noch verurteilt wur den. Das war schockierend, machte es doch deutlich, dass die versprochene Rechtssicherheit für uns Ärtz*innen nicht wirklich realisiert worden war. Die beiden waren wegen des gleichen Tatbestandes angeklagt wie wir. Und sie wurde trotz der Reform des § 219a verurteilt. Wir rechneten also damit, dass Nora Szász mit Plakat vor unser Prozesstermin neu angesetzt und auch wir verurteilt werden würden. [...] dem Gericht in Gießen, 2017 (Foto © privat) Der Richter in Kassel entschied aber, das Verfahren gegen uns einzustellen, weil der Tatbestand der unerlaubten Werbung nach dem reformierten § 219a aus seiner Sicht nicht mehr gegeben war. Als wir die Nachricht erhielten, dass unser Verfahren eingestellt würde, waren wir einerseits persönlich unglaublich erleichtert, auf der anderen Seite war alles sehr unbefriedigend. Diese Reform, das war uns klar, war nicht das, wofür wir uns engagiert hatten. Kürzlich ist Kristina Hänels Revision beim Oberlandesgericht abgewiesen worden. Sie wird nun, wie bereits unsere Kollegin Bettina Gaber aus Berlin, Ariadne Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 77 | 2021
die Verfassungsklage einreichen und wir gehen davon aus, dass diese gemein sam verhandelt werden. Die Hoffnung ruht natürlich darauf, dass die Karlsru her Richter*innen den § 219a StGB als nicht verfassungskonform einschätzen werden und dass dies endlich zur Abschaffung dieses Paragraphen führt – eine Konsequenz, die die politisch Verantwortlichen längst hätten ziehen können. M. H.: Wie bist du, wie seid ihr mit dieser unglaublichen medialen Aufmerk samkeit umgegangen, was hat die mit euch gemacht? N. S.: Da war natürlich eine Lernkurve und die tiefe Überzeugung, dass die Öffentlichkeit unbedingt daran teilnehmen soll, was da passiert, dass die be troffenen Frauen ein Recht auf Information haben und dass es ja in erster Li nie um sie geht. Von zentraler Bedeutung war die Freischaltung einer Websi te zur Solidarität für Kristina Hänel und uns andere nach § 219a angeklagten Ärzt*innen. Hier konnte die Presse anfragen, es gab einen aktuellen Presse spiegel und wir haben uns die Anfragen aufgeteilt. So wurden Informationen nach dem Schneeballprinzip verteilt. M. H.: Hattest du keine Angst vor einem Shitstorm oder vor Bedrohungen? N. S.: Klar, es ist schon eine Belastung, aber ich habe keine Angst. Der rote Faden für unser Engagement sind ja die betroffenen Frauen, die ungewollt schwanger sind. Uns für sie und eine gute Gesundheitsversorgung in dieser Lage einzusetzen, dieses Ziel gibt die nötige Kraft. Und wir sind nicht alleine, sind durch diese juristische Verfolgung durch die Abtreibungsgegner Teil ei nes Bündnisses geworden, was sich für das Recht auf sexuelle und reproduk tive Selbstbestimmung einsetzt. Hier ist die Forderung nach Streichung der Paragraphen 218 und 219a aus dem Strafgesetzbuch mittlerweile von zentraler Bedeutung geworden. M. H.: Du bist ja auch Gründungsmitglied von Doctors for Choice, einer Be rufsorganisation von Ärzt:innen, die sich für eine gute Versorgungslage beim Schwangerschaftsabbruch einsetzt und für eine Verbreitung und Weiterbil dung von Kolleg:innen zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch ein steht. Hättest du dir während deiner Ausbildung zur Hebamme und während deines Medizinstudiums vorstellen können, dass du dich mal so sehr für das Thema Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs einsetzen wirst? N. S.: Damals in den 1980er Jahren habe ich mich als Hebammenschülerin für das Recht auf eine selbstbestimmte Geburt engagiert und das erste Ge burtshaus in BerlinCharlottenburg mitgegründet. Selbstbestimmt gebären und sich selbstbestimmt für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden, das gehört für mich beides zusammen. Das ist untrennbar Teil von Frauenge sundheit und bedeutet nichts anderes als das Recht auf reproduktive Selbstbe stimmung. Vom Ziel, diese zu erlangen sind wir noch weit entfernt. Dies zeigt sich z. B. daran, dass die Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrü che durchführen, seit 2003 um 40% zurückgegangen sind. Mittlerweile gibt Seite 208 | 209
es Gegenden, wie etwas in Niederbayern, wo Frauen über 150 km weit fahren müssen, um zum Ort des Schwangerschaftsabbruchs zu kommen. Die Länder haben hier gesetzlich vorgeschrieben einen eindeutigen Versorgungsauftrag, dem sie nachzukommen haben. Wichtig ist auch, dass die Stigmatisierung dieses medizinischen Eingriffs als ein Randthema, als etwas nur halb Legales ein Ende hat. Dies betrifft auch die gesamte ärztliche Berufsgruppe, die sich hier mehr ihrer Verantwortung zu stellen hat. Zum Glück hat sich hier einiges getan in den letzten zwei Jah ren, sicherlich vor allem als Folge der Proteste. Mittlerweile werden bei Kon gressen, Tagungen und Weiterbildungen Vorträge zum Schwangerschafts abbruch gehalten, es gibt vermehrt Fortbildungen zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch, der im internationalen Vergleich in Deutschland seltener durchgeführt wird – obwohl das eine gute Alternative zum operativen Schwangerschaftsabbruch ist. Grundsätzlich geht es darum, dazu beizutragen, dass sich das Klima um die ungewollte Schwangerschaft verändert. Für mich als Frauenärztin gehört der Schwangerschaftsabbruch mit zur Frauengesundheit. Es kann immer vor kommen, dass eine Frau, die schwanger werden kann, auch ungewollt schwan ger wird. Dann braucht sie Hilfe. Das sind in Deutschland jährlich etwa 100.000 Frauen, die ein Recht darauf haben, kompetent behandelt zu wer den und die ein Recht darauf haben, diese Entscheidung dafür oder dagegen selbstbestimmt zu fällen, denn Schwangerschaftsabbrüche sind nichts weiter als eine gesundheitliche Angelegenheit von Frauen. M. H.: Was wäre zu tun, was muss sich ändern? N. S.: Das ist zunächst der gesetzliche Rahmen. Die zentrale Forderung lau tet nach wie vor, dass die gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsab bruch, der ja eine medizinische Angelegenheit ist, aus dem Strafgesetzbuch ge strichen werden muss, also Streichung der Paragraphen 218 und 219a. M. H.: Deutschland soll sich also diesbezüglich Argentinien, Neuseeland und Argentinien zum Vorbild nehmen? N. S.: Das ist ein zentraler Punkt. Deutschland ist ja im internationalen Staa tenverbund und hat hier Verpflichtungen, dafür zu sorgen, dass grundlegen de Menschenrechte, wie das auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung, umgesetzt werden. Die bestehende gesetzliche Regelung zum Schwanger schaftsabbruch verletzt die reproduktiven Rechte. Für mich als Ärztin gehört es selbstverständlich dazu, meinen Patientinnen Informationen zu geben. Da rauf haben sie einen berechtigten Anspruch. Es ist absurd, dies im modernen digitalen Zeitalter noch zu verbieten, zumal bislang kein untersuchter Zusam menhang darüber nachgewiesen ist, dass Frauen bei fehlenden Informationen sich eher für das Austragen einer ungewollten Schwangerschaft entscheiden. M. H.: Liebe Nora, wir danken dir sehr herzlich für das Gespräch. Ariadne Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 77 | 2021
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