A 9 Mediatheken Barbara Müller-Heiden - De Gruyter
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Barbara Müller-Heiden A 9 Mediatheken Mit dem Hinweis „Sendung verpasst?“ wird der Fernsehzuschauer auf die Möglichkeit des nachträglichen Abrufs der Sendung von der Internet-Plattform verwiesen. Bereits 2005 war auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin die ZDF-Mediathek vorge- stellt worden, zwei Jahre später folgt die ARD-Mediathek. Sie ermöglichen einen Zugriff auf Fernsehsendungen außerhalb des bekannten Programmschemas zu beliebiger Zeit und auch von mobilen Geräten aus – vorbei die Zeit, in der ein Kriminalfilm der Serie Maigret (1965) die Straßen leerfegte! Mittlerweile sind Mediatheken zum Standard-Ange- bot geworden, das alle Rundfunksender, aber auch Organisationen und private Anbieter auf ihren Webpräsenzen anbieten. 1 Zur Entwicklung von Mediatheken Die Bezeichnung Mediathek entwickelt sich im öffentlichen Bibliotheksbereich, sie kam bereits in den 1980er Jahren in Gebrauch, als dort neben Büchern auch andere Medien angeboten werden: Hörbücher, Videokassetten, Audio-CDs, DVDs. Eine Mediathek er- klärt sich als Institution oder ein Teil dieser, in der aus einer Sammlung audiovisueller Medien Einzelobjekte zur Verfügung gestellt, genutzt oder entliehen werden. Dies geht mit neuen Dienstleistungen und Organisationsstrukturen einher, denn passende Ab- spieltechnik muss bereitgestellt und gewartet werden: Videorekorder, CD-, DVD- und Blu-ray-fähige Abspielgeräte. Elektronische Leseplätze kommen hinzu, auf die registrier- te Bibliotheksbenutzer auch von Zuhause aus über sichere Netzwerkverbindungen auf Fachdatenbanken und E-Book-Pakete von Verlagen zugreifen können. Die Organisation solcher Angebote wie auch bibliothekspädagogische Begleitmaßnahmen veränderten das Selbstverständnis von Bibliotheken und führten bisweilen zur Umbenennung von Bibliotheken in Mediatheken (Bohn 2016; Grondziel 2015). Mit den neuen Medien entstanden kommerziell betriebene Videotheken, die audio- visuelle Medien, meist Spielfilme, anboten und den Kund*innen auf Datenträgern zur Ausleihe bereitstellen. Die Filmindustrie unterstützte dies, sie legte neben dem Start für den Kinobetrieb auch den Starttermin der DVD-Veröffentlichung fest. Für die Kund*in- nen ein unkompliziertes Angebot, sofern ein privates Abspielgerät für Videokassetten im üblichen VHS-Format oder ein DVD-Player vorhanden war. Unabhängig von einem Inter- netanschluss ist der Medienkonsum möglich, die Datenträger bieten oft Bonusmaterial wie Tonspuren in verschiedenen Sprachen, Untertitel bei fremdsprachigen Produktionen und Interviews. Mit der individuellen Zugriffsmöglichkeit auf Angebote im Internet hat sich dieses Geschäftsmodell aber überholt (Haupts 2014). Mit der Digitalisierung entstanden Internet- oder Onlineportale, von denen der Ab- ruf von audiovisuellen Dokumenten möglich ist. Mittels Internetverbindung können die Inhalte einer Mediathek über den Browser auf Personal Computer, über Apps auf Smart- TVs und mobilen Endgeräte abgerufen werden. Rundfunkanstalten machten den Anfang und stellten einzelne Beiträge ihres Hörfunk- und Fernsehprogramms als Livestream, Audio oder Video zum Abruf für den Zuschauer zur Verfügung.1 Kultureinrichtungen bie- ten Mediatheken auf ihren Webpräsenzen an, mit Aufzeichnungen eigener Veranstaltun- Open Access. © 2023 Barbara Müller-Heiden, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 International Lizenz. https://doi.org/10.1515/9783110769043-009
112 A 9: Barbara Müller-Heiden gen. Das Netzwerk Mediatheken entstand als Zusammenschluss von überregional bedeu- tenden Archiven, Bibliotheken, Dokumentationsstellen, Forschungseinrichtungen und Museen in Deutschland, um audiovisuelle Medien als Kulturgut zu sichern. Für Informa- tionszwecke auch in Schulen bietet die Bundeszentrale für politische Bildung Videos aus vielen Bereichen an.2 Organisationen und Privatanbieter erkennen die Bedeutung von Mediatheken für die Öffentlichkeitsarbeit und das Marketing ihrer spezifischen Interes- sen. Die Inhalte reichen von Image-Broschüren bis zu thematischen Materialien. 2 Mediatheken der Rundfunkanstalten: Video-on-Demand Die Existenz von Mediatheken ist durch den Medienstaatsvertrag (MStV) von 2020 abge- sichert (MStV 2020), der die europäische Richtlinie Audiovisuelle Mediendienste (AVMD- Richtlinie 2018) in deutsches Recht überträgt und die Grundlage des komplexen Rund- funkrechts der Bundesrepublik Deutschland bildet. Der MStV garantiert die Berechti- gung zum Angebot von Telemedien auf Medienplattformen, die Teilhabe an technischen Entwicklungen in der Herstellung und zur Verbreitung sowie die Möglichkeit der Veran- staltung neuer Formen von Fernsehen und auch die Herausgabe programmbezogener Druckwerke. Damit wird der Wandel zu digitalen, interaktiven, nicht-linearen Medienan- geboten ermöglicht. Der MStV löste 2020 den seit 1991 geltenden Rundfunkstaatsvertrag (RStV) ab, einen Staatsvertrag zwischen den Bundesländern, der mit seinen 22 Novellen bundeseinheitliche Regelungen für das Rundfunkrecht schuf und damit schrittweise den Weg vom linearen Rundfunk zu Video-on-Demand-Angeboten ebnete (RStV 2019). Öffentlich-rechtliche und private Rundfunk-Mediatheken bieten eine Auswahl ihrer Sendungen als Livestreams und Video-on-Demand (VoD) zum Abruf an. Dies umfasst alle Genres: Nachrichtensendungen, Berichterstattung, Politik-Magazine, Fernsehfilme, Reportagen und Dokumentationen, Talk-Shows sowie Unterhaltungsformate. Live- streams sind Echtzeitübertragungen, die zeitgleich zur Ausstrahlung im Fernsehpro- gramm auch von der Mediathek abgerufen werden können, Videos sind aufgezeichnete Sendungen. Die ARD-Mediathek bietet das gemeinsame Programm der Landesrundfunk- anstalten und Gemeinschaftseinrichtungen der ARD, während die in der Senderfamilie des ZDF vorhandenen Programme sowie die Partnerkanäle ARTE, 3sat, KiKA, PHOENIX ihre Eigenständigkeit auch im Mediatheksbereich wahren.3 Hinzu kommen die Media- theken der privaten Sender ProSiebenSat.1 und RTL.4 Einem vollständigen Angebot des Programmangebots in der Mediathek sind Gren- zen gesetzt durch lizenzrechtliche Beschränkungen, Vorgaben zur Verfügbarkeit und den Drei-Stufen-Test des MStV (§ 32 Abs.4 MStV). Dieser ist Teil des Telemedienkonzepts, der bereits 2009 ähnlich formuliert worden war und zur „Depublikation“ von Beiträgen geführt hatte: Ein Telemedienangebot soll den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechen, in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beitragen und eine Prüfung des finanziellen Aufwands für die Lizenzen be- 1 https://www.ardmediathek.de; https://www.ardaudiothek.de; https://www.zdf.de. 2 https://www.bbaw.de/mediathek; https://www.netzwerk-mediatheken.de; ttps://www.bpb.de/media- thek. 3 https://arte.tv; https://www.3sat.de; https://www.kika.de; https://www.phoenix.de; https://www.zdf. de. 4 https://prosiebensat1.com; https://tvnow.de/rtl.
A 9: Mediatheken 113 inhalten (Dörr 2009). Für jedes urheberrechtsrelevantes Angebot müssen individuell die Nutzungsrechte erworben werden, deren Einräumung das Urhebergesetz (§§19–31 UrhG) regelt (Hoeren 2014; Schwarz 2014). Persönlichkeits- und Verwertungsrechte müssen für alle mediale Formen geklärt sein, geografische und zeitliche Beschränkungen der Nut- zungsrechte sind möglich, bekannt als Geoblocking und Verfügbarkeit. Der Urheber muss der Rundfunkanstalt Senderechte für die Ausstrahlung einräumen, für die Aufnah- me in die Mediathek müssen darüber hinaus Video-on-Demand-Rechte eingeholt wer- den. Da die Inhalte den Nutzer*innen in Ort und Zeit beliebig zugänglich sind, ist hier die Nutzungsart der öffentlichen Zugänglichmachung (entsprechend § 19a UrhG) einzu- räumen. Bei einer Downloadmöglichkeit muss zusätzlich das Vervielfältigungsrecht be- rücksichtigt werden. Der MStV macht Vorgaben für die Verfügbarkeit von zeit- und kulturgeschichtlichen sowie informierenden Beiträgen, für europäische Werke, angekaufte Spielfilme und Fernsehserien, deren Abrufmöglichkeit grundsätzlich auf Deutschland zu beschränken sei, und für Sendungen von Großereignissen und Sportveranstaltungen (§30 MStV). 3 Zugriff auf die Mediatheken Die technologische Voraussetzung für Mediatheken als Internet-Plattformen ist die voll- ständige Digitalisierung der gesamten Arbeitsprozesse aller beteiligten Bereiche sowie deren Zusammenspiel. Die Programmbeiträge – die Sendungen, die Inhalte, der Con- tent – liegen in digitaler Form vor, Produktionen werden genuin digital erstellt oder im Fall älterer Beiträge digitalisiert. Die Übertragungswege sind digitaler Art und durch hohe Datenübertragungsgeschwindigkeiten gekennzeichnet. Die Rundfunkanstalten speichern die Mediendateien auf Servern, von denen aus der Abruf über die Mediathek- Plattformen möglich ist. Jede der Mediatheken hat ihre spezifischen technischen Ent- wicklungsschritte, die immer mit erweiterten Angeboten einhergehen. Die Basis bildet der offene Standard Hybrid Broadcast Broadband TV (HbbTV), der Fernsehen und Inter- net verbindet. Anwendungssysteme koordinieren systeminterne Prozesse und Dienste und bieten den Nutzer*innen Funktionen wie Navigation, Benutzerverwaltung und Per- sonalisierung an sowie die Bereitstellung von Beiträgen. Als Podcast gekennzeichnete Mediendateien stehen zum Download bereit und können dann gespeichert auch offline, ohne Internetverbindung, betrachtet werden. Die Navigation innerhalb der Mediathek führt zur Sicht- und Erreichbarkeit der In- halte der Mediathek. Traditionelle Nutzer*innen des Fernsehprogramms informieren sich gezielt über Programmzeitschriften, werden durch Empfehlungen in anderen Medi- en und durch Peer-Gruppen auf Beiträge hingewiesen, oder sie haben das Programm- schema ihres bevorzugten Senders verinnerlicht, wenn sie nicht durch die Angebote ver- schiedener Sender zappen. Die Navigationsmöglichkeiten müssen diese Such- und Fin- destrategien spiegeln. Üblich geworden sind Bildausschnitte oder Bewegtbildsequenzen, betextet mit knappen Titeln und Verfügbarkeitsangaben, mit direkter Aufrufmöglichkeit des Beitrags. Neben einer Suchfunktion kann ein Menü auf neu eingestellte Beiträge und Themen hinweisen. Hinzu kommen Empfehlungssysteme, von Algorithmen geleitet, die auf der Gewichtung verschiedener Faktoren beruhen: der Popularität eines Beitrags-Vi- deos, basierend auf seinen Benutzerzahlen und seiner Bewertung, den eigenen individu- ellen Nutzungsgewohnheiten oder der Nutzung durch eine zugehörige Gruppe oder einer Personalisierung, die selbst veranlasst wurde (Amlung 2019; Pöschhacker et al. 2018).
114 A 9: Barbara Müller-Heiden 4 Paradigmenwechsel in der Mediennutzung Der Wechsel von der Angebotsorientierung zur Nutzerorientierung ist ein bedeutsamer Schritt für das Rundfunkangebot. Dem Übergang vom linearen Rundfunkprogramm zu einem Abrufangebot entspricht auch die pragmatische Sichtweise des Wandels vom tra- ditionellen, linearen Fernsehen als Push-Dienst zu einem Pull-Dienst, den das Video-on- Demand Angebot darstellt. Der Mehrwert: Nutzer*innen können nun zeitunabhängig Hörfunk- und Fernsehsendungen nachhören und zeitversetzt betrachten – individuelle Zweit- und Mehrfachnutzung eines Beitrags ist somit möglich. Mit der Wahlmöglichkeit von Ort, Zeit und Gerät gewinnen Nutzer*innen eine neue Souveränität, zumal mit der Einrichtung eines personalisierten Abonnements. Die Rezipient*innen werden von passi- ven Zuschauern zu aktiven Medienkonsument*innen (Unkel 2019). Zwar ist Video-on-De- mand nicht vergleichbar mit Book-on-Demand – dem Druck eines Buches erst nach Auf- tragsstellung –, aber mögliche inhaltliche und wirtschaftliche Auswirkungen bahnen sich an (Pech 2014). Studien belegen die wachsende Nutzung von Video-on-Demand-Angeboten in der Bewegtbildwelt. Die ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation (Breuning et al. 2020; Dehm & Storll 2020; Kupferschmitt & Müller 2020)5 differenziert die Nutzungsmo- tive: Spaß und Unterhaltung, Entspannung, aber auch Informationsmöglichkeiten sowie die Verfolgung individueller Interessengebiete. Hier werden Spielräume für die Angebote der öffentlich-rechtlichen Mediatheken gesehen: Die Angebote müssen den Interessen und dem Geschmack der Nutzer*innen angepasst werden. Zielgruppenspezifische Ange- bote sind nötig, ein Beispiel ist das Angebot in der ARD-Mediathek, das zum Welttag des Audiovisuellen Kulturerbes am 27.10.2020 startete (Limbach 2020). Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stehen in Konkur- renz zu den Aktivitäten der privaten Anbieter ProSiebenSat.1 und RTL und insbesondere zu internationalen Anbietern wie Netflix (Thieme 2021),6 aber auch zu Presseaktivitäten (Gerstner 2018). Ihr Mehrwert liegt in der aktiven Programmgestaltung, die dem öffent- lich-rechtlichen Auftrag geschuldet ist. Bei der Planung, Redaktion und Produktion neu- er Angebote werden die Journalist*innen und Programmgestalter*innen von den Infor- mations- und Dokumentationsabteilungen, den medialen Gedächtnissen der Rundfunk- anstalten, unterstützt. Der Abruf von Einzel-Videos oder Folgesequenzen bedeutet auch die Abkehr von ei- nem redaktionell zusammen gestellten Portfolio, einem Programmschema, das verschie- dene Aspekte berücksichtigt: Information, Unterhaltung, Diskussion in Verfolgung des gesetzlichen Programmauftrags. Die Mediathek mag für Interessierte zur wertvollen in- haltlichen Ergänzung des Fernsehangebots werden. Ob dies auch für breite Nutzer- schichten, insbesondere für Jüngere gelten wird, wird nicht nur von der zukünftigen Ausgestaltung des Medienangebots abhängen, sondern auch von einer effektiven Medi- enpädagogik, die ein kritisches Bewusstsein für gesellschaftliche und mediale Vielfalt schärft. Dazu beitragen können Forschungen zu Empfehlungssystemen (Recommender- Systemen) die aufzeigen, dass diese trotz algorithmischer Verankerung inhaltliche und politische Gestaltungsräume belassen und insgesamt den Auftrag der öffentlich-rechtli- chen Rundfunkanstalten unterstützen können (Amlung 2019; Pöchhacker et al. 2018). 5 https://de.statista.com/statistik/studie/id/34435/dokument/video-on-demand-in-deutschland-statista- dossier/. 6 https://www.netflix.com.
A 9: Mediatheken 115 5 Zur Zukunft der Mediatheken Mediatheken haben sich innerhalb von nur zwei Jahrzehnten als ein wesentlicher Be- standteil der Medienwelt etabliert, und die weitere Dynamik ist noch nicht absehbar. Technologische Voraussetzungen wie Datenübertragungswege, Portal-Technik, und Streaming-Techniken werden sich weiterentwickeln. Der in Deutschland formulierte Auf- trag des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks ist auch eine Herausforderung, sich auf dem Informationsmarkt zu behaupten. In seiner Präambel garantiert der MStV den Be- stand und die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, eingeschlossen die Teilhabe an „allen neuen technischen Möglichkeiten“ und die „Möglichkeit der Veran- staltung neuer Angebotsformen und Nutzung neuer Verbreitungswege“ sowie die Siche- rung der finanziellen Grundlagen (Präambel MStV 2020) durch den Rundfunkbeitrag. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden ihre Digitalstrategie unter Be- rücksichtigung technologischer, organisatorischer und wirtschaftlicher Aspekte weiter- entwickeln. Nutzungsprofile werden zu Forschungsobjekten und Treibern des Medienan- gebots. Es gilt, die Reichweite der Mediatheken zu vergrößern, zielgruppenspezifisch vorzugehen, Nutzerbindungen auf- und Barrierefreiheit auszubauen. Dies fordert eine Erweiterung des Portfolios, um die Inhalte, den Content, den Wünschen und dem Ge- schmack der potenziellen Interessengruppen anzupassen (Breuning et al. 2020; Dehm & Stroll 2020; Gerstner 2018). Der internationale Informationsmarkt fordert auch Koopera- tion mit Drittplattformen wie Netflix und seinem attraktiven Filmangebot.7 Das Content- netzwerk von ARD und ZDF generiert bereits Inhalte für die direkte Verbreitung auf Dritt- plattformen. Mit „funk“ ist 2016 ein Online-Angebot von ARD und ZDF entstanden, des- sen Inhalte auf die Zielgruppe Jugendlicher in sozialen Netzwerken abgestimmt sind,8 und zwischen ARD und ZDF bestehen Pläne für ein gemeinsames Streaming-Netzwerk. Veränderungen des Nutzerverhaltens sind deutlich: Die Nutzer*innen der Zukunft sind digital sozialisiert, vertraut mit Video-on-Demand, sei es von öffentlich-rechtlichen oder privaten Anbietern, auch außerhalb Deutschlands. Hybridnutzer sehen linear fern und tauschen sich gleichzeitig über Drittplattform oder Social-Media-Netzwerke darüber aus. Dieses Phänomen trägt den Namen Social TV 2.0. Da ist Social TV 3.0 nicht weit: Die Individualisierung der Mediennutzung geht einher mit selektiver Wahrnehmung und Aneignung von Information, trotz oder wegen eines breiten Informationsangebots. Die Rezeption ist subjektiv, sie hängt ab vom jeweiligen Bildungsstand und vom sozial-öko- nomischen Umfeld, in dem Nutzer*innen sich befinden (Kupferschmitt & Müller 2020).9 Gesellschaftliche Auswirkungen des individualisierten Informationsverhaltens sind vor- gezeichnet, in sozialer wie politischer Hinsicht. Auch Mediatheken privater Anbieter und Interessengruppen bedienen ihre jeweiligen Zielgruppen und fördern damit Insellösun- gen der Informiertheit, Falsch- und Desinformation eingeschlossen, mit einer Zersplitte- rung der Gesellschaft. Das kollektive Gedächtnis einer Generation, der Gesellschaft schwindet durch Differenzierung von Einzel- und Gruppeninteressen. Der öffentlich- rechtliche Rundfunk steht mit seiner Programmgestaltung vor der Aufgabe, dieser Ent- wicklung entgegenzuwirken und damit die Informationsgesellschaft mitzugestalten. 7 https://www.netflix.com. 8 https://funk.net. 9 https://de.statista.com/statistik/studie/id/34435/dokument/video-on-demand-in-deutschland-statista- dossier/.
116 A 9: Barbara Müller-Heiden 6 Literaturverzeichnis Amlung, R. (2019). Personalisierung und Empfehlungen im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Medienan- gebots am Beispiel des ZDF. MedienWirtschaft, 16(2), 6–11. Audiovisuelle Mediendienste Richtlinie (2018). Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (Mediendienst- erichtlinie) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.November 2018 zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mit- gliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie (EU) 2018/1808). Bohn, A. (2016). Von DVD zu Video-on-Demand: Bewegte Bilder in Bibliotheken und neue Wege des Zugangs zum audiovisuellen Kulturerbe. Bibliotheksdienst, 50(1), 79–96. Breunig, C., Handel, M. & Kessler, B. (2020). Ergebnisse der ARD/ZDF-Langzeitstudie. Massenkommunika- tion 1964–2020: Mediennutzung im Langzeitvergleich. Media Perspektiven, 50(7–8), 410–432. Dehm, U. & Storll, D. (2020). Neue Plattformen, neue Inhalte, veränderte Nutzung – anderes TV-Erleben. Eine repräsentative Studie zum Fernseherleben im digitalen Zeitalter. Media Perspektiven, 50(2), 87– 98. Dörr, D. (2009). Aktuelle Fragen des Drei-Stufen-Tests. Wer kontrolliert den publizistischen Mehrwert nach welchen Maßstäben? Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht, 25(12), 897–905. Gerstner, J. (2018). Print in Motion: Qualität und Mehrwert der Onlinevideoangebote Deutscher Tageszei- tungen. Springer Fachmedien GmbH. Gesetz zum Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland. (2020). HmbGVBl, 46, 433–486. Grzondziel, J. (2015). „Das Archiv der Stimmen“: Die Digitalisierung von historischen Tonträgern in großem Umfang. Ein DFG-Projekt der Mediathek der SLUB Dresden. AKMB-news: Informationen zu Kunst, Museum und Bibliothek, 21(1), 13–17. Haupts, T. (2014). Die Videothek: Zur Geschichte und medialen Praxis einer kulturellen Institution. Tran- script. Hoeren, T. (2014). Die Einräumung von Nutzungsrechten für die Nutzungsart Video-on-Demand. UFITA Ar- chiv für Urheber- und Medienrecht. Stämpfli. Kupferschmitt, T. & Müller, T. (2020). ARD/ZDF-Massenkommunikation 2020: Mediennutzung im Interme- diavergleich. Aktuelle Ergebnisse der repräsentativen Langzeitstudie. Media Perspektiven, 50(7–8), 390–407. Limbach, R. (2020). Ost- und West-Fernsehen der 1950er und 1960er-Jahre in der ARD Mediathek. Biblio- thek Forschung und Praxis, 44(3), 416–424. Pech, S. (2014). Video-on-Demand: Wirtschaftliche Chancen und rechtliche Herausforderungen. Diskussi- onsbericht zum gleichnamigen XXVIII. Münchner Symposion zum Film- und Medienrecht des Instituts für Urheber- und Medienrecht, München, am 4. Juli 2014. Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht, 58(10), 778–780. Pöchhacker, N., Geipel, A., Burkhardt, M. & Passoth, J. (2018). Algorithmische Vorschlagsysteme und der Programmauftrag: Zwischen Datenwissenschaft, journalistischem Anspruch und demokratiepoliti- scher Aufgabe. In R. Mohabbat Kar, B. Thapa & P. Parycek. (Hrsg.), (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft (S. 417–439). Kompetenzzentrum Öffentliche IT. Rundfunkstaatsvertrag. (2019). Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien in der Fassung des Zweiund- zwanzigsten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge. Schwarz, M. (2014). Der Erwerb von Video-on-Demand-Rechten an Film- und Fernsehwerken durch die Sen- deunternehmen, Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht, 58(10), 758–763. Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland (Medienstaatsvertrag) vom 14. April bis 28. April 2020, in Kraft getreten am 7. November 2020 Thieme, M. (2021). TV auf Abruf. Lösen Mediatheken das klassische Fernsehen ab? (2. Aufl.). Tectum. Unkel, J. (2019). Informationsselektion mit Suchmaschinen. Wahrnehmung und Auswahl von Suchresulta- ten. Nomos. Urheberrechtsgesetz (2021). Urheberrechtsgesetz vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273), zuletzt durch Artikel 25 des Gesetzes vom 23. Juni 2021 (BGBl. I S. 1858) geändert. https://www.gesetze-im-inter- net.de/urhg/UrhG.pdf.
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