Adaptivität im Sportunterricht in selbstständigen Arbeitsphasen messen
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Hauptbeitrag Ger J Exerc Sport Res 2020 · 50:501–510 Jonas Wibowo https://doi.org/10.1007/s12662-020-00673-8 Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland Eingegangen: 13. Mai 2020 Angenommen: 29. Juli 2020 Online publiziert: 23. September 2020 © Der/die Autor(en) 2020 Adaptivität im Sportunterricht in selbstständigen Arbeitsphasen messen Pilotierung eines Beobachtungsinstruments Der Begriff Adaptivität wird sehr viel- Contingency als Perspektive bzw. die Relation zwischen Instruktion fältig und bereits seit vielen Jahrzehnten auf Adaptivität und Voraussetzungen der Lernenden zu in der Wissenschaft verwendet. Neben erfassen. den sozialkonstruktivistischen Grundla- Hardy, Decristan, und Klieme (2019) un- Der Verhältnisperspektive auf das gen ist den Beiträgen zu dem Thema ge- terscheiden in ihrem Überblicksbeitrag Thema Adaptivität liegt die Annah- meinsam, dass Adaptivität als ein wissen- zum Thema Adaptivität zunächst eine me zugrunde, dass nicht eine konkrete schaftlich fundierter Ansatz zum Um- Makro-Ebene (Unterrichtsplanung) und Ausprägung des Handelns der Lehrper- gang mit der Heterogenität von Lern- eine Mikro-Ebene (Handeln im laufen- son pauschal als passend angenommen gruppen gesehen wird (Corno & Snow, den Unterricht; s. auch Beck, Baer, Guldi- werden kann, sondern unterschiedliche 1986; Hardy, Decristan, & Klieme, 2019; mann, Bischoff, & Brühwiler, 2008; Cor- Handlungen im Kontext unterschiedli- Helmke & Weinert, 1997; Parsons et al., no & Snow, 1986). Aufgrund der Ausrich- cher Voraussetzungen und Nutzungs- 2018). Als kleinster gemeinsamer Nen- tung des eigenen Ansatzes, wird im Fol- prozesse der Schüler*innen als lernför- ner einer Bestimmung von Adaptivität genden vorwiegend auf die Mikro-Ebe- derlich oder auch nichtförderlich anzu- kann ein Verständnis dienen, das Ad- ne eingegangen. Weiterhin unterschei- sehen sind (Corno, 2008; Van de Pol, aptivität als eine Passung (Contingency) den Hardy et al. (2019) auf der Mikro- Volman, & Beishuizen, 2010). Anders zwischen Lernvoraussetzungen und Nut- Ebene unterrichtlichen Handelns eine In- als in der Instruktionsperspektive kann zungsprozessen der Schüler*innen und struktions- und eine Verhältnisperspek- Passung daher nicht ausschließlich über den Instruktionen durch die Lehrper- tive auf das Thema Adaptivität. Handlungen der Lehrpersonen erfasst son ausdrückt. Je nach Forschungsan- In der Instruktionsperspektive wird werden, sondern muss im Kontext der satz werden dabei die Instruktion der Adaptivität als Merkmal effektiven Un- Nutzungsprozesse der Schüler*innen Lehrperson, die Lernprozesse der Schü- terrichtens verstanden. Gemeinsam ist erfasst werden. Dieser Fokus auf die ler*innen oder die Passung selbst in den den Ansätzen der Instruktionsperspek- Relation zwischen Lernaktivitäten und Mittelpunkt gerückt. In dem vorliegen- tive, dass auf einer empirischen Ebene Instruktion wird im Folgenden als Con- den Beitrag wird ein Ansatz vorgestellt, vornehmlich auf die Handlungen der tingency-Perspektive bezeichnet. der die Passung zwischen Instruktion der Lehrperson fokussiert wird. Aus ein- Die Contingency-Perspektive wird Lehrperson und den Lernaktivitäten der zelnen Lehrpersonenhandlungen wird vor allem mit dem Ansatz des Scaffol- Schüler*innen fokussiert und versucht, auf eine Passung bzw. das Potenzial dings in Verbindung gebracht (Van de dieses Verhältnis zwischen Lernen und zu einer Passung zu den Vorausset- Pol et al., 2010; Wood, Bruner, & Ross, Instruktion über ein standardisiertes Be- zungen oder Nutzungsprozessen der 1976; im Sportunterricht Farias, Hastie, obachtungsinstrument zu erfassen. Um Schüler*innen geschlossen. Weiterhin & Mesquita, 2018; Wibowo, Bähr & Grö- begriffliche Missverständnisse mit einem wird von der Lehrpersonenhandlung ben, 2014). Der Bestimmung von (mehr allgemeinen oder auf Lehrpersonen ge- angenommen, dass diese per se lern- oder weniger) Contingency auf der Basis richteten Verständnis von Passung bzw. förderlich sei (Decristan et al., 2015). konkreter Angebots-Nutzungs-Konstel- Adaptivität zu vermeiden, wird für diese Diese Perspektive wird u. a. dafür kriti- lationen kommt in diesem Ansatz eine Verhältnisperspektive im Folgenden der siert, dass individuelle Unterschiede der entscheidende Rolle zu. Ein theoretisch Begriff Contingency verwendet. Schüler*innen nicht (ausreichend) be- etabliertes und empirisch mehrfach ver- rücksichtigt werden (Corno, 2008). Dem wendetes Prinzip (Hermkes, Mach, & versucht die Verhältnisperspektive durch Minnameier, 2018; Van de Pol & Elbers, eine kontextualisierte Betrachtung der 2013; Wischgoll, Pauli, & Reusser, 2015) Instruktion der Lehrperson zu begegnen zur Bestimmung solcher Passungsver- German Journal of Exercise and Sport Research 4 · 2020 501
Hauptbeitrag hältnisse ist der Contingency-Approach einer ungeschulten Vergleichsgruppe; prüft worden. Besonders der diagnos- (Wood, Wood, & Middleton, 1978). MW: 0,87 nach einer Intervention in tischen Fähigkeit der Lehrperson wird Demnach sollen die Schüler*innen in der Interventionsgruppe; es handelt sich eine hohe Bedeutung beigemessen, da der individuellen „region of sensitivity“ um Mittelwerte der als „contingent“ davon ausgegangen wird, dass Lehrper- (Wood et al., 1978, S. 133) aktiviert wer- (= 1) und „nicht-contingent“ (= 0) ein- sonen zuerst die Lernsituation der Schü- den, die in Bezug auf die Anforderungen gestuften Lehrperson-Schüler*innen- ler*innen erfassen müssen, um entspre- immer eine Stufe über dem aktuellen Lehrperson-Analyseeinheiten). chend darauf zu reagieren Gräsel et al. Können der Schüler*innen liegt, da- Bezüglich der Wirkungen unter- (2017). Das Ergebnis von Ayvazo und mit sie weder über- oder unterfordert schiedlicher Contingency-Werte auf Ward (2011), das auf die Bedeutung der werden. Nutzungsprozesse und Lernerfolge der Vertrautheit der Lehrperson mit dem Un- Schüler*innen verweisen die Befunde terrichtsinhalt für die Contingency-Wer- Forschungsstand zu Contingency darauf, dass hohe Contingency-Werte te verweist, kanndurchBefunde derkom- auf der Mikro-Ebene nicht immer mit einem höheren Lern- petenzorientierten Professionsforschung erfolg oder schnellerem Lernfortschritt zur hohen Bedeutsamkeit des Fachdidak- Contingency ist bisher nur in wenigen einhergehen, wie dies in der Fachlitera- tischen Wissens für die Unterrichtsqua- Arbeiten mit standardisierten Instru- tur teilweise angenommen wird (Hardy lität und Lernleistung der Schüler*innen menten erfasst worden. Hardy et al. et al., 2019). Wischgoll et al. (2015) gestützt werden (Kunter et al., 2013; im (2019) berücksichtigen in ihrem Über- stellen fest, dass Contingency dann mit Sport: Heemsoth & Wibowo, 2020; Vog- blicksbeitrag über adaptiven Unterricht erfolgreichem Lernen zusammenhängt, ler, Messmer & Allemann, 2017; Wibowo zum Thema Contingency lediglich fünf wenn die Lehrperson instruiert und & Heemsoth, 2019). Studien. Der größere Teil der Befunde die Schüler*innen diesen Anweisun- Bezüglich der forschungsmethodi- stammt aus Studien mit qualitativen gen folgen. Unterrichtssituationen mit schen Vorgehensweisen zur Erfassung Designs, die wegen Platzgründen und niedrigerer Kontrolle der Lehrpersonen von Contingency kann festgehalten wer- aufgrund der forschungsmethodischen werden, auch wenn sie als „contin- den, dass sich die vorhandenen Ansät- Ausrichtung der vorliegenden Studie nur gent“ kodiert werden, vermehrt in sol- ze zur standardisierten Erfassung von eingeschränkt berücksichtigt werden. chen Lernsituationen festgestellt, die als Contingency deutlich unterscheiden, In Bezug auf den Umfang von Contin- nichterfolgreich in Bezug auf den Lern- insbesondere hinsichtlich der Wahl der gency stellen Ayvazo und Ward (2011) fortschritt der Schüler*innen eingestuft sog. Contingency-Einheiten und der aufgrund der Analyse des Unterrichts werden. Van de Pol und Elbers (2013) Contingency-Regeln zur Einstufung der von zwei Sportlehrpersonen fest, dass wiederum stellen fest, dass hohe Contin- Analyseeinheiten als mehr der weniger Contingency in Unterrichtseinheiten, in gency-Werte dann mit Lernfortschritt passend bzw. „contingent“. Beispielswei- denen die Lehrpersonen mit dem Thema zusammenhängen, wenn das initiale Ver- se wählen Van de Pol und Elbers (2013) besser vertraut sind höher ausgeprägt stehensniveau der Lernenden als niedrig Contingency-Einheiten, die sich aus ist als in Unterrichtseinheiten, in de- eingestuft wird. Beide Studien verwei- Lehrperson-Schüler*innen-Lehrperson- nen die Lehrpersonen weniger gut mit sen darauf, dass einerseits Lehrpersonen Triplets zusammensetzen (Ayvazo & dem Thema vertraut sind (68–73 % als mit unterschiedlichen Voraussetzun- Ward, 2011), verwenden Schüler*innen- „contingent“ eingestufte Schüler*innen- gen der Schüler*innen unterschiedlich Lehrperson-Schüler*innen-Triplets, und Lehrperson-Schüler*innen-Analyseein- gut umgehen können und andererseits Hermkes et al. (2018) verwenden als Ana- heiten an den Gesamtinteraktionen bei Contingency sich unterschiedlich auf lyseeinheiten ganze Interaktionssequen- vertrauten Themen; 40–49 % als „con- Schüler*innen mit verschiedenen Vor- zen, die sich von Ankunft bis zum Ver- tingent“ eingestufte Analyseeinheiten aussetzungen auswirkt. Auch die Studie lassen der Lehrperson bei der Beratung bei weniger vertrauten Themen). Dies von Van de Pol, Mercer, und Volman einer Gruppe erstrecken. Auch bezüg- könnte auch als Hinweis darauf gedeutet (2018) verweist darauf, dass hohe Con- lich der Contingency-Regeln zeigen sich werden, dass eine steigende Experti- tingency-Werte nicht unmittelbar zu deutliche Unterschiede. Zum Beispiel se bzw. eine höhere Vertrautheit mit Lernfortschritt führen, sondern nur wählen Van de Pol, Volman, Elbers, und einer Vielzahl an Themen durch eine dann, wenn die Schüler*innen die Im- Beishuizen (2012) eine Relationierung höhere Expertise zu einem höheren pulse der Lehrperson auch tatsächlich von Verstehen (der Schüler*innen; drei durchschnittlichen Contingency-Wert aufgreifen. Stufen) zur Kontrolle (durch die Lehr- führt. Bei der Untersuchung von Con- Zusammenhänge zwischen Bestand- person; fünf Stufen) und stützen sich bei tingency im Sozialkundeunterricht von teilen professioneller Kompetenzen und der Operationalisierung der Contingen- 30 Lehrpersonen beobachten Van de Pol, Adaptivität werden zwar in Übersichts- cy-Regeln auf die Regel, dass nach einem Volman, Oort, und Beishuizen (2015) im beiträgen zu dem Thema angenommen geringen Verstehen der Schüler*innen, Rahmen der Evaluation einer Interven- (Gräsel, Decristan, & König, 2017; Hardy eine höhere Kontrolle erfolgen soll als tion zum Thema Scaffolding deutliche et al., 2019; Parsons et al., 2018), jedoch zuvor und bei einem niedrigen Verste- Zuwächse der Contingency-Werte nach sind diese Zusammenhänge bisher nicht hen der Schüler*innen eine niedrigere der Intervention (MW: 0,42–0,43 in aus einer Contingency-Perspektive über- Kontrolle erfolgen soll als zuvor. Anders 502 German Journal of Exercise and Sport Research 4 · 2020
Zusammenfassung · Abstract operationalisieren Wischgoll et al. (2015) Ger J Exerc Sport Res 2020 · 50:501–510 https://doi.org/10.1007/s12662-020-00673-8 den Contingency-Approach von Wood © Der/die Autor(en) 2020 et al. (1978) durch die kognitive Aktivität der Schüler*innen (Inaktivität [niedrig], J. Wibowo Reaktion, Ko-Konstruktion, Autonomie Adaptivität im Sportunterricht in selbstständigen Arbeitsphasen [hoch]) und die kognitive Aktivierung messen. Pilotierung eines Beobachtungsinstruments durch die Lehrperson (keine Aktivierung [niedrig], Instruktion, Ko-Konstruktion, Zusammenfassung Adaptives Unterrichten wird als ein In dem Beitrag werden ein Ansatz zur Beobachtung [hoch]). Als „contingent“ vielversprechender Ansatz gesehen, um standardisierten Beobachtung der Passung werden dann (ohne nähere Erläute- mit der großen interindividuellen Vielfalt zwischen der lehrpersonseitigen Instruktion rung) die Kombinationen Instruktion- unter den Schüler*innen im Sportunterricht und den Lernaktivitäten der Schüler*innen Reaktion, Ko-Konstruktion-Ko-Kon- umzugehen. Die Bedeutung der Thematik sowie Ergebnisse einer Pilotierungsstudie struktion und Beobachtung-Autonomie ergibt sich einerseits aus der gleichstellungs- vorgestellt. Passung (Contingency) wird politischen Forderung einer individuellen dabei als Verhältnis von Instruktionen zu eingestuft. Ein weiterer Grund für die Förderung, aber auch aus einer lern- und vorangegangen Lernaktivitäten operatio- eingeschränkte Vergleichbarkeit der ver- bildungstheoretischen Notwendigkeit, nalisiert. Die Ergebnisse der Pilotierung schiedenen Ansätze zu Contingency Lernumgebungen an individuelle Bedürfnisse deuten darauf hin, dass das Kodierverfahren liegt in der inhaltlichen Ausrichtung. anzupassen, um Lern- und Bildungsprozesse zuverlässig ist (Cohen’s Kappa: 0,7–0,96) Arbeiten, die sich auf den Contingen- zu unterstützen. Dabei gilt die Passung und im beobachteten Unterricht der sechs zwischen der Instruktion der Lehrperson und Lehrpersonen Contingency bei bestimmten cy-Approach von Wood et al. (1978) den Voraussetzungen der Schüler*innen als Lernaktivitäten (niedrige Autonomie) eher beziehen, fokussieren vor allem die Au- zentrales Gütekriterium für den Umgang mit auftritt als bei anderen (hohe Autonomie). tonomie der Schüler*innen, es lassen Heterogenität. Die Forschungslandschaft sich aber auch Schwerpunktsetzungen zu der Thematik ist durch eine enorme Schlüsselwörter auf die unterrichtlichen Inhalte (Ayvazo Vielfalt in Bezug auf die Auslegung von Scaffolding · Adaptivität · Problemlösen · und den forschungsmethodischen Zugang Autonomie · Umgang mit Heterogenität & Ward, 2011) oder emotionale Aspekte zu adaptivem Unterrichten geprägt. finden (Krammer, 2009). Angesichts der Inhaltsbezogenheit der Contingency- Regeln erscheint es sinnvoll und not- Measuring contingency during autonomous learning phases in wendig, diese mit Bezug auf fachliche physical education. Piloting of an observation instrument Ansätze zu begründen und zu konzipie- ren. Die unterschiedlichen inhaltlichen Abstract Schwerpunktsetzungen werden im Fol- Adaptive teaching is seen as a promising approach for standardized observation of the genden als Contingency-Dimensionen approach to deal with the great inter- contingency between instruction and student individual heterogeneity among students learning activities. Furthermore, results of bezeichnet (in Anlehnung an Corno & a pilot study are presented. Contingency is in physical education. The importance of Snow, 1986). the topic results on the one hand from operationalized as the relationship between Die starken Unterschiede hinsicht- the equality policy demand for individual instructions and previous learning activities. lich der Konstruktion der Contingency- support, but also from a learning and The results of the pilot study suggest that Einheiten, der Contingency-Regeln und educational theory necessity to adapt the coding method is reliable (Cohen’s kappa learning environments to individual needs 0.7–0.96) and that contingency is more likely die Unterschiede in den Contingency- to occur in certain learning activities (low in order to support learning and educational Dimensionen verdeutlichen die Notwen- processes. The fit between the teacher’s autonomy) than in others (high autonomy) in digkeit, diese Aspekte bei der Konzeptua- instruction and the pupils’ preconditions is the observed instruction of the six teachers. lisierung explizit herauszuarbeiten und a central quality criterion for dealing with im Sinne einer inhaltlichen Validität zu heterogeneity. The research landscape on Keywords this topic is characterized by an enormous Scaffolding · Adaptive teaching · Prob- begründen (Wibowo & Dyson, 2020, im lem-solving · Autonomy · Dealing with diversity in terms of the interpretation of Review). and research methodological approach to heterogeneity adaptive teaching. This paper presents an Konzeptualisierung von Contingency im Sportunterricht Angesichts der Vielzahl an vorgeschlage- richt als Contingency-Dimensionen re- Wibowo & Dyson, 2020, im Review), nen Dimensionen für Adaptivität (Hardy konstruiert (Wibowo, 2015). in dem die angemessene Verteilung von et al., 2019; Corno, 2008) wurden aus Für die Dimension der Autonomie Verantwortung für die Lernprozesse verschiedenen Gründen die Contingen- spricht, dass diese als wichtiger Baustein der Schüler*innen zwischen Lehrper- cy-Dimensionen der Autonomie und des eines theoretischen und empirischen son und Schüler*innen eine wichtige Problemlösens fokussiert. Beide Aspek- Verständnisses eines zeitgemäßen Sport- Rolle spielt (Prohl, 2010). Nicht zuletzt te wurden durch eine vorangegangene unterrichts ausgewiesen werden kann spricht für die Dimension der Autono- qualitative Studie für den Sportunter- (Balz & Neumann, 2007; Prohl, 2013; mie, dass der Contingency-Approach German Journal of Exercise and Sport Research 4 · 2020 503
Hauptbeitrag aus der Forschung zum Scaffolding soneneinheiten und der Contingency- der Durchführung dieser Studie zu er- (Wood et al., 1978) eine theoretisch Regeln). warten, dass eine deutliche Streuung gut begründete und empirisch etablierte im Lehrpersonenhandeln zu beobachten Grundlage zur Beurteilung von Con- Fragestellungen sein würde und kein konzeptgemäßes, tingency in dieser Dimension bietet. vorwiegend zurückhaltendes Handeln. Weitergehend werden die Contingen- Aufgrund des oben dargestellten For- Bezüglich der Anzahl der zu er- cy-Einheiten für die Dimension der schungsstandes und der konzeptionellen hebenden Messzeitpunkte werden in Autonomie aus Analyseeinheiten zur Grundlagen wurden für die vorliegende den gesichteten Studien unterschiedli- Autonomie der Schüler*innen und der Untersuchung folgende Fragestellungen che Strategien zwischen ein (Ayvazo & Kontrolle der Lehrperson gebildet. Die formuliert: Ward, 2011; Van de Pol et al., 2015; Contingency-Regeln zur Relationierung 1. Wie handeln Schüler*innen in selbst- Wischgoll et al, 2015) bis fünf (Van von Autonomie und Kontrolle wurden ständigen Arbeitsphasen in Bezug de Pol et al., 2018) Messzeitpunkten in in Anlehnung an den Contingency- auf die Autonomie und das Problem- unterschiedlichen Unterrichtsstunden Approach und der Annahme abgeleitet, lösen? verfolgt. Aus forschungsökonomischen dass solche Unterstützung lernförderlich 2. Wie handeln Sportlehrpersonen in Gründen wurden vier Messzeitpunkte ist, „which lay just one level above his selbstständigen Arbeitsphasen in (unterschiedliche Unterrichtsstunden) [the child; JW] current level“ (Wood Bezug auf die Kontrolle und die Ak- aus den sechs im Datenpool vorhan- et al., 1978, S. 133). So konnten jeder tivierung von Problemlöseprozessen? denen Unterrichtsstunden pro Lehr- Autonomiestufe Stufen der Kontrolle 3. Wie ist das Verhältnis (Contingency) person ausgewählt. Aus diesen vier zugeordnet werden, von denen ange- zwischen den Lernprozessen der Unterrichtsstunden, wurden wiederum nommen werden kann, dass sie lernför- Schüler*innen und der Instruktion 20-minütige Sequenzen von Kleingrup- derlich sind (vgl. Wibowo, 2015, 2016; der Lehrpersonen in den beiden penarbeit/Lernbegleitung ausgewählt s. Abschnitt zum methodischen Vorge- Dimensionen Autonomie und Pro- (wie auch bei Wischgoll et al., 2015), hen zur konkreten Operationalisierung blemlösen? in den die Schüler*innen über einen der Schüler*inneneinheiten, Lehrper- gewissen Spielraum für Entscheidungen soneneinheiten und der Contingency- Methodisches Vorgehen verfügten (Bähr & Wibowo, 2018). Die Regeln). Fokussierung solcher Unterstützungs- Für die Dimension des Problemlösens Stichprobe phasen findet sich auch bei Van de Pol spricht, dass Problemlösen im Sportun- et al. (2015) und Wischgoll et al. (2015). terricht als fachspezifischer Ausdruck Für die Untersuchung wurde ein Vi- Durch Fokussierung solcher Arbeits-/ von Bildung und Lernen im Sport- deodatenpool der Frankfurter Studien Unterstützungsphasen soll auf die in an- unterricht verstanden werden kann zu Kooperativem Lernen im Sportunter- deren Studien beobachtete Variabilität (Brodtmann & Landau, 1982; Messmer, richt reanalysiert (Bähr, Prohl, & Gröben, instruktionsbezogener Lehrpersonen- 2018, 2019; Prohl, 2013; Wibowo, 2015, 2008). Der Videodatenpool dokumen- handlungen eingegangen werden (Kane 2019; Wright, MacDonald & Burrows, tiert sechs 5. Klassen mit 159 Schü- & Staiger, 2012; Praetorius et al., 2014). 2004). Die Contingency-Einheiten wer- ler*innen, die in einer sechswöchigen Praetorius et al. (2014) verweisen da- den demnach aus Problemlöseaktivitäten Unterrichtsreihe nach den kooperativen rauf, dass Instruktionsvariablen stark von der Schüler*innen und der Aktivierung Lernformen Gruppenpuzzle und Grup- Stunde zu Stunde variieren; dies ist auch von Problemlöseaktivitäten der Lehr- penturnier zu den Inhalten Handstand für die Variablen der Lehrpersonen als personen gebildet. Die Contingency- und Flugrolle unterrichtet wurden (Bähr Bestandteil der Contingency-Einheiten Regeln stützen sich auf die fachunspezi- & Wibowo, 2018). In allen Klassen wur- zu erwarten (s. unten). Die Autor*innen fischen Annahmen, dass Aktivitäten der den die gleichen Unterrichtsmaterialien führen die zum Teil starke Varianz im Lehrperson dann lernförderlich sind, (Aufgabenkarten, Bildreihen, Sportge- Handeln der Lehrpersonen unter ande- wenn sie auf die (Problemlöse-)Ak- räte) eingesetzt und die Lehrpersonen rem auf unterschiedliche Schwerpunkte tivitäten der Schüler*innen eingehen wurden instruiert, sich bei der Lernbe- im Verlauf von Unterrichtsreihen (Ein- (Analysieren der Schüler*innen, gefolgt gleitung eher zurückzuhalten und als führung in ein Thema, Erarbeitung von von Aktivierung von Analysieren durch Moderator*in zu agieren. Bei den Lehr- Grundlagen, Prüfungsstunden) und in- die Lehrperson; Fürst, 1999) oder wenn personen handelte es sich um Freiwillige, nerhalb einzelner Stunden (durch unter- bei weiterführende Problemlöseaktivi- die eine dreistündige Schulung erhalten schiedliche Unterrichtsphasen) zurück. täten angeregt werden (Analysieren der haben (dies kann als vergleichsweise Durch das Fokussieren ähnlicher Un- Schüler*innen gefolgt von Aktivierung geringe Intervention eingestuft werden). terrichtsphasen sollten die Daten der von Planen durch die Lehrperson; vgl. Aus der Analyse der Implementations- einzelnen Unterrichtsstunden besser zu- zum Vorgehen Wibowo, 2015, 2019; güte geht hervor, dass die Lehrpersonen einander vergleichbar werden, und es s. Abschnitt zum methodischen Vorge- sich hinsichtlich der Lernbegleitung nur werden gegenüber einer breiten Vari- hen zur konkreten Operationalisierung eingeschränkt konzeptgemäß verhalten anz an Unterrichtsphasen in kompletten der Schüler*inneneinheiten, Lehrper- haben (Bähr, 2009). Es war daher vor Stunden weniger Messzeitpunkte nötig 504 German Journal of Exercise and Sport Research 4 · 2020
(Praetorious et al., 2014, empfehlen neun Kappa-Koeffizienten (κ) ermittelt. Die 3. Problemlöseaktivität erfolgt nach Messzeitpunkte für eine stabile Erfassung Rater*innen wurden in sieben Sitzung Kontrolle 3, instruktionsbezogener Variablen). á 90 min durch den Untersuchungsleiter 4. Problemlöseaktivität erfolgt nach geschult. Zur Ermittlung der Zuverläs- Kontrolle 2, Datenerhebung sigkeit der Rater*innenurteile wurde für 5. Problemlöseaktivität erfolgt ohne einen Datensatz mit 824 Kodiereinheiten vorangegangene Aktivierung der Während in der Studie von Van de Pol von dem Untersuchungsleiter und ei- Lehrperson oder nach Kontrolle 1 et al. (2018) die Schüler*innen-Lehrper- nem Mitarbeiter eine Masterkodierung der Lehrperson (hoch). son-Interaktionen ausschließlich über erstellt. Die Rater*innen mussten die Audioaufnahmen erfasst werden, ist Zuverlässigkeit ihrer Urteile an der Ko- In Bezug auf die Contingency-Dimen- für den Bereich des Sportunterrichts dierung dieses Datensatzes nachweisen. sion Problemlösen wurden die Analy- die videographische Erfassung der Be- Die Kodierung des Hauptdatensatzes seeinheiten zum Schüler*innenhandeln wegungsaktivitäten (ggf. von Hilfestel- führten zu gleichen Teilen immer zwei in Anlehnung an Wibowo (2015, 2016, lungen oder Auf- bzw. Umbauprozes- Rater*innen unabhängig voneinander 2019) danach kodiert, ob diese analy- sen) unerlässlich, da diese als Indi- durch, Unstimmigkeiten wurden dis- sieren, planen oder probieren. Analy- katoren im Event-Sampling-Verfahren kursiv überarbeitet. Alle vier von den sieren wird dabei als eine Aktivität mit (Döring & Bortz, 2016) zur Einteilung Rater*innen kodierten Skalen wurden Fokus auf zuvor durchgeführte Aktivi- der Schüler*innen bzw. Lehrpersonein- mit guten bis sehr guten Übereinstim- täten und das Verstehen von Problemen heiten verwendet werden (s. unten). mungswerten erfasst (Cohen’s Kappa verstanden. Dagegen wurden solche In dem vorhandenen Datenpool konn- für die einzelnen Skalen und jede ein- Schüler*inneneinheiten als Planen ko- te für alle Unterrichtsstunden auf eine zelne Rater*in: Kontrolle: 0,93/0,7; Au- diert, wenn der Fokus auf zukünftige Lehrpersonverfolgerkamera und eine tonomie: 0,87/0,77; Unterstützung des Aktivitäten und das Lösen von Proble- Klassentotal-Perspektive zurückgegrif- Problemlösens: 0,71/0,9; Problemlösen: men lag. Als Probieren wurden solche fen werden. Die sprachliche Interaktion 0,96/0,88). Einheiten kodiert, in denen bewegungs- wurde über ein Funkmikrofon der Lehr- In der Dimension Autonomie wurde bezogene Aktivitäten vorbereitet und person erfasst. Die Videodaten wurden das Handeln der Schüler*innen nach durchgeführt wurden. Das Handeln der transkribiert und protokollartig um einer fünfstufigen Skala kodiert, deren Lehrpersonen wurde danach eingestuft, Deskriptionen relevanter Aktivitäten – einzelne Ausprägungen in Anlehnung ob die Schüler*innen zum Analysieren, Bewegungs(versuche); Hilfestellungen – an Wibowo (2015, 2016) (a) durch die Planen und Probieren aktiviert wurden ergänzt. (Selbst-)Regulation und die inhaltlichen (vgl. Wibowo, 2015, 2019). Beiträge und (b) die vorangegangene Datenauswertung Unterstützung der Lehrperson definiert Kodierung der Contingency- wurden. Die Unterstützung der Lehr- Einheiten Die Kodierung derAdaptivitätbasiertwie person wurde durch die Skala Kontrolle Die Contingency-Einheiten werden bei anderen Studien (Ayvazo & Ward, mit folgenden Ausprägungen kodiert: durch Schüler*innen-Lehrpersonen- 2011; Hermkes et al., 2018; Van de Pol 1. keine regulatorische/inhaltliche Kombinationseinheiten gebildet, d. h. & Elbers, 2013; Wischgoll et al., 2015) Unterstützung (niedrig), es wird ermittelt, ob die Aktivierung auf einem Dreischritt der Kodierung von 2. Aktivierung/Regulation von Pro- einer Lehrperson zu einer vorausge- Schüler*innenaktivitäten (hier: Autono- blemlöseaktivitäten ohne inhaltlichen gangenen Aktivität der Schüler*innen mie, Problemlösen), Lehrpersonenakti- Beitrag, passt. Die Contingency-Einheiten wur- vitäten (hier: Kontrolle, Aktivierung von 3. Aktivierung/Regulation von Pro- den binär in „contingent“ und „nicht- Problemlöseaktivitäten) und der Contin- blemlöseaktivitäten mit inhaltlichem contingent“ kodiert. gency-Einheiten („contingent, non-con- Beitrag, Contingency in der Dimension Pro- tingent“). 4. vollständiges Analysieren/Planen blemlösen wurde nach zwei Aspekten ko- bzw. physisches Unterstützen einer diert. Zum einen geht aus den Nürnber- Kodierung der Schüler*innen- und Bewegung (hoch). ger Studien zum Gruppenunterricht her- Lehrpersoneinheiten vor, dass die Instruktion der Lehrperso- Die Analyseeinheiten für die Schü- Darauf aufbauend wurden die Aktivitä- nen dann als Störgrößen im Lernprozess ler*innenaktivitäten und Lehrpersonen- ten der Schüler*innen durch die Skala der Schüler*innen wirkt, wenn sie nicht aktivitäten wurden im Sinne eines Event- Autonomie mit folgenden Ausprägungen an den Aktivitäten der Schüler*innen an- samplings durch Sprechakt- oder Akti- kodiert: setzt (Fürst, 1999; Haag, Fürst, & Dann, vitätswechsel festgelegt (Döring & Bortz, 1. Problemlöseaktivität gelingt nicht 2000). Daraus wurde abgeleitet, dass die 2016). Die Kodierung erfolgte für alle (niedrig), Instruktion der Lehrperson dann in Be- Analyseeinheiten durch zwei geschul- 2. Problemlöseaktivität erfolgt nach zug auf die Dimension Problemlösen ad- te unabhängige Rater*innen. Die Güte Kontrolle 4, aptiert ist, wenn sie an der Problem- der Kodierung wurde über den Cohen’s löseaktivität ansetzt, mit der die Schü- German Journal of Exercise and Sport Research 4 · 2020 505
Hauptbeitrag Tab. 1 Contingency-Regeln für die Be- nomiestufe gefordert werden (. Tab. 1). eigene inhaltliche Beiträge beizusteuern stimmung von Contingency-Einheiten als Die Zuteilung der Kontrollstufen zu den (Autonomie 4). Das geringe Auftreten „contingent“ (respektive wurden alle ande- Autonomiestufen erfolgt in Anlehnung der Ausprägung Autonomie 2 könnte ren Einheiten als „nicht-contingent“ einge- an Wibowo (2015). dafürsprechen, die Ausprägungen Auto- stuft) Die Kodierung der Contingency- nomie 2 und Autonomie 3 als inhaltliche Dimension Autonomie Einheiten erfolgte aus forschungsöko- unterstütztes Ausführen zusammenzu- Autonomie 1 gefolgt von Kontrolle 3/4 nomischen Gründen automatisiert mit fassen (. Tab. 2). In 45 % aller Problem- Autonomie 2 gefolgt von Kontrolle 3 Autonomie 3 gefolgt von Kontrolle 2/3 Hilfe des Query-Tools der Software löseaktivitäten (PL) beschäftigten sich Autonomie 4 gefolgt von Kontrolle 1/2 Atlas.ti (Scientific Software Develop- die Schüler*innen damit herauszufinden, Autonomie 5 gefolgt von Kontrolle 1 ment GmbH, Berlin Deutschland; Friese, was in einer vorangegangenen Aktion Dimension Problemlösen 2015). Das Query-Tool ist ein Werkzeug, passierte, sie versuchten das Problem zu Analysieren gefolgt von Aktivierung von um komplexe Suchanfragen in umfang- verstehen (Analysieren). Dabei wurden Analysieren/Aktivierung von Planen reichen Datenpools durchzuführen. Zur 64,8 % Beiträge mit geringer oder gar Planen gefolgt von Aktivierung Planen/ Formulierung der Suchanfragen kann keiner Unterstützung ausgeführt (Auto- Aktivierung von Probieren u. a. auf Näherungsoperatoren zurück- nomie 4 und 5), was darauf hinweist, dass Probieren gefolgt von Aktivierung Probie- ren/Aktivierung Analysieren gegriffen werden, die es ermöglichen, die inhaltliche Ausführung dieser Ana- dass eine Neukodierung der gesuch- lyseprozesse weitgehend in der Hand der ten Kodekombination stattfindet (z. B. Schüler*innen blieb. In 37,1 % der Fälle ler*innen gerade beschäftigt sind, d. h. Autonomie 1 gefolgt von Kontrolle 3 versuchten sie Lösungen für bestehende die dem Lehrpersonenhandeln voraus- oder 4 wird mit Contingency 3 neuko- Probleme zu entwickeln bzw. Pläne für gegangen ist (z. B. Aktivierung von Ana- diert). Ein solches Verfahren reduziert das weitere Vorgehen aufzustellen. Beim lysieren folgt Analysieren). Zum anderen die Kodierarbeit erheblich, da der dritte Planen zeigten sich die Schüler*innen in wird in der Problemlöseforschung ange- Kodierschritt nicht mehr durch humane geringerem Maße autonom und wurden nommen, dass die genannten Aktivitäten Rater*innen durchgeführt werden muss. in 80,7 % der Fälle in einem mittleren prozesslogisch aufeinanderfolgen. Dem- oder hohen Maße unterstützt bzw. wa- nach geht Analysieren einem Planen vo- Durchgeführte Analysen ren sogar überfordert (Autonomie 1, 2 raus, dem wiederum ein Probieren folgt Bezugspunkt der durchgeführten Ana- und 3). 17,9 % der Aktivitäten wäh- (Funke, 2006; Leutner, Fleischer, Wirth, lysen sind die Summen aller Kodier- rend der Lernbegleitung wurden darauf Greiff, & Funke, 2012). Dieser Prozesslo- einheiten der Lehrpersonen (1928) und verwendet, eine Planung umzusetzen gik folgend, wurden die Aktivitäten der der Schüler*innen (2172) über alle sechs bzw. ein Problem durch praktisches Tun Lehrpersonen auch dann als adaptiert Klassen und alle vier Stunden. Die zu lösen. Bei dieser Problemlöseaktivi- eingestuft, wenn eine fortführende Pro- Kodiereinheiten wurden immer in bei- tät zeigten sich die Schüler*innen am blemlöseaktivität angeregt wurde (z. B. den Dimensionen kodiert, sodass für die kompetentesten. Aktivierung von Planen folgt Analysie- deskriptive Einordnung prozentuale An- ren; . Tab. 1). gaben gemacht werden, die sich jeweils Lernbegleitung in selbstständigen Contingency in der Dimension Au- auf die Gesamtmenge der jeweiligen Arbeitsphasen (Fragestellung 2) tonomie wurde in Anlehnung an den Kodiereinheiten beziehen. Contingency-Approach operationali- InBezug aufdie Kontrolle durchdie Lehr- siert (Wood et al., 1978). Um die Ergebnisse person zeigte sich in den Kodiereinheiten Annahme zu operationalisieren, dass über alle sechs Lehrpersonen ein Wert es lernförderlich ist, wenn durch die Schülerhandeln in selbstständigen von 2,65 auf der vierstufigen Skala mit Kontrolle von den Schüler*innen ei- Arbeitsphasen (Fragestellung 1) einer mittleren Streuung (SD: 0,93). Wei- ne Stufe der Autonomie verlangt wird, terhin kann beobachtet werden, dass in die über ihrem letzten Autonomiesta- In der Skala Autonomie (AU) zeigte 18,4 % der Fälle eine Aktivierung zum tus liegt, wurden die Skalen Autonomie sich eine relativ geringe Streuung um Analysieren stattfand, in 57,1 % der Fäl- und Kontrolle umgekehrt zueinander in den Mittelwert von 2,96 (SD: 0,2; Max: le das Planen der Schüler*innen akti- Beziehung gesetzt. Das heißt, wenn die 3,35; Min: 2,7) auf der fünfstufigen viert wurde und in 24,5 % der Fälle eine Schüler*inneneinheit in einem niedrigen Skala (. Tab. 2). Aufgrund der Vertei- Aktivierung zum Lösungen von Proble- Status von Autonomie kodiert wurde, lung der einzelnen Ausprägungen zeigte men durch konkretes bewegungsbezoge- wurde die Contingency-Einheit dann als sich ein ambivalentes Bild des Handelns nes Tun erfolgte (. Tab. 3). Bei der Ak- „contingent“ kodiert, wenn eine hohe der Schüler*innen. Einerseits zeigten tivierung des Analysierens und des Pro- Kontrolle erfolgte. Dies begründet sich sie sich in ihren Beiträgen immer wie- bierens fand die Unterstützung haupt- darin, dass durch eine hohe Kontrol- der überfordert (24,4 % Autonomie 1), sächlich durch eine vorwiegende Aktivi- le den Schüler*innen nur ein Teil der andererseits gelang es ihnen nach Auf- tätsregulation ohne inhaltliche Beiträge Verantwortung übergeben wird und sie forderungen durch die Lehrperson, in statt (Kontrolle 2), während bei der Akti- lediglich leicht über ihrer aktuellen Auto- etwas weniger als jedem zweiten Fall 506 German Journal of Exercise and Sport Research 4 · 2020
Tab. 2 Schüler*innenhandeln kodiert nach Problemlösen und Autonomie Autonomie (AU) 1 2 3 4 5 Gesamt Problem- Analysieren Anzahl 217 21 75 547 29 889 lösen (PL) % von PL 24,4 2,4 8,4 61,5 3,3 100,0 % von AU 41,6 19,3 21,4 65,9 17,8 45,0 % der Gesamt 11,0 1,1 3,8 27,7 1,5 45,0 Planen Anzahl 234 83 274 97 44 732 % von PL 32,0 11,3 37,4 13,3 6,0 100,0 % von AU 44,8 76,1 78,3 11,7 27,0 37,1 % der Gesamt 11,9 4,2 13,9 4,9 2,2 37,1 Probieren Anzahl 71 5 0 186 90 353 % von PL 20,1 1,4 0,0 52,7 25,5 100,0 % von AU 13,6 4,6 0,0 22,4 55,2 17,9 % der Gesamt 3,6 0,3 0,0 9,4 4,6 17,9 Gesamt Anzahl 522 109 350 830 163 1974 % von PL 26,4 5,5 17,7 42,0 8,3 100,0 % von AU 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 % der Gesamt 26,4 5,5 17,7 42,0 8,3 100,0 Tab. 3 Lehrpersonenaktivitäten kodiert nach Kontrolle und Aktivierung des Problemlösens dierung statt und 3,5 % der Fälle fanden (AdP) bei einer Autonomie-5-Kodierung statt. Kontrolle In Bezug auf die Dimension Problem- 1a 2 3 4 Gesamt lösen wurden 60,9 % aller Contingency- Aktivierung Aktivierung Anzahl – 202 102 51 355 Einheiten als „contingent“ kodiert. Diese des Problem- d. Analysie- % von AdP – 56,9 28,7 14,4 100,0 lösens (AdP) rens verteilen sich wie folgt auf die einzelnen % Gesamt – 10,5 5,3 2,6 18,4 Problemlöseaktivitäten: „contingent“ bei Aktivierung Anzahl – 91 639 370 1100 Analysieren in 33,9 % der Fälle, „contin- d. Planens % von AdP – 8,3 58,1 33,6 100,0 gent“ bei Planen in 46,6 % der Fälle und % Gesamt – 4,7 33,1 19,2 57,1 „contingent“ bei Probieren in 19,7 % der Aktivierung Anzahl – 437 0b 36 473 Fälle (. Tab. 4). d. Probierens % von AdP – 92,4 0,0 7,6 100,0 % Gesamt – 22,7 0,0 1,9 24,5 Diskussion – Gesamt Anzahl (244) 730 741 457 1928 Einordnung der Ergebnisse % von AdP – 37,9 38,4 23,7 100,0 % Gesamt – 37,9 38,4 23,7 100,0 Bezüglich der Reliabilität des pilotierten a Da die Ausprägung Kontrolle 1 keiner Aktivierung der Problemlösenskategorie zugeordnet werden Beobachtungsverfahrens kann festge- kann, sind die 244 Fälle von Kontrolle 1 nicht in der Kreuztabellenstatistik enthalten. Daher weichen stellt werden, dass die ersten beiden auch die Spaltensummenprozente von den im Text stehenden Werten ab, da hier die Gesamtheit Schritte (Kodierung von Autonomie, von 2173 Fällen zugrunde gelegt wird b Hinweise zum konkreten Tun (Probieren) wurden immer als Hinweise zum Planen verstanden. Problemlösen, Kontrolle und Aktivie- Daher ist die Anzahl in dieser Zelle und der entsprechenden Zelle in . Tab. 3 gleich null rung des Problemlösens) gut bis sehr gut gelingen. Auch der dritte Schritt der automatisierten Kodierung der Contin- vierung des Planens inhaltliche Hinweise ten als „contingent“ kodiert. Werden die- gency-Einheiten mit Hilfe des Query- dominierten (Kontrolle 3). se Fälle nach den einzelnen Stufen von Tools in Atlas.ti kann als hilfreich an- Autonomie aufgeteilt, zeigt sich folgende gesehen werden, da dieser Kodierschritt Contingency während Verteilung: 30,4 % der Fälle fanden bei ei- bei geeigneten Regeln mit vergleichs- selbstständiger Arbeitsphasen ner Autonomie-1-Kodierung statt, 8,9 % weise geringem Aufwand gegenüber der (Fragestellung 3) der Fälle fanden bei einer Autonomie-2- Kodierung durch humane Rater*innen Kodierung statt, 26,2 % der Fälle fanden erfolgen kann. Bezogen auf die Dimension Autonomie bei einer Autonomie-3-Kodierung statt, Die Ergebnisse der Pilotierung stellen wurden 50,1 % der Contingency-Einhei- 31 % fanden bei einer Autonomie-4-Ko- aufgrund des Umfangs der Stichprobe German Journal of Exercise and Sport Research 4 · 2020 507
Hauptbeitrag Tab. 4 Contingency in den Dimensionen Autonomie und Problemlösena (als „contingent“ eingestufte Contingency-Einheiten) Contingency in der Dimension Autonomie (CA) 1 2 3 4 5 Gesamt Contingency Analysieren Anzahl 127 16 77 74 1 295 in der % von CP 43,1 5,4 26,1 25,1 0,3 100,0 Dimension Problemlö- % von CA 45,4 16,7 28,8 36,3 4,5 33,9 sen (CP) % Gesamt 14,6 1,8 8,9 8,5 0,1 33,9 Planen Anzahl 125 67 171 36 4 403 % von CP 31,0 16,6 42,4 8,9 1,0 100,0 % von CA 44,6 69,8 64,0 17,6 18,2 46,4 % der Gesamt 14,4 7,7 19,7 4,1 0,5 46,4 Probieren Anzahl 28 13 19 94 17 171 % von CP 16,4 7,6 11,1 55,0 9,9 100,0 % von CA 10,0 13,5 7,1 46,1 77,3 19,7 % Gesamt 3,2 1,5 2,2 10,8 2,0 19,7 Gesamt Anzahl 280 96 267 204 22 869 % von CP 32,2 11,0 30,7 23,5 2,5 100,0 % von CA 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 % Gesamt 32,2 11,0 30,7 23,5 2,5 100,0 a Die Differenz der prozentualen Angaben zwischen Text und Kreuztabelle entsteht dadurch, dass in der Kreuztabelle jene Fälle fehlen, in denen nur adaptiert an das Problemlösen oder an die Autonomie gehandelt wurde keine repräsentativen Ergebnisse dar, je- sen werden, und es könnten (c) Aussagen begleitung und als einem Indikator für doch kann gezeigt werden, dass anhand zur Stabilität der Lehrpersonenmerkma- den Umgang mit Heterogenität kann im des Instruments nicht nur Contingency le (über verschiedene Themen hinweg) Rahmen dieser Studie damit präzise und im Sinne des Verhältnisses von Schü- getroffen werden. Weiterhin sollten für verlässlich erfasst werden. ler*innenaktivität zu Lehrpersonenakti- die Dimension des Problemlösens, die Jedoch besteht nach wie vor ein er- vität, sondern auch ein deutlich diffe- aus der Forschung zum Problemlösen heblicher Bedarf an Forschung zum renzierterer Blick auf die Aktivitäten der abgeleiteten Contingency-Regeln vali- Thema Adaptivität und Contingency im Schüler*innen und der Lehrkräfte erfol- diert werden, da diese im Gegensatz zur Sportunterricht. Lohnenswerte Perspek- gen kann. Die Kreuzung der zwei Di- Ableitung der Contingency-Regeln aus tiven liegen u. a. in den Auswirkungen mensionen für die jeweiligen Akteure hat dem Contingency-Approach erstmalig von Contingency auf die Nutzungs- das Potenzial, wertvolle Details über die eingesetzt wurden. prozesse und Lernleistungen der Schü- Aktivitäten der jeweiligen Akteure zu ge- ler*innen und Möglichkeiten, Contin- winnen. Erfolge und Forschungs- gency über die Fort- und Weiterbildung perspektiven von Sportlehrpersonen zu beeinflussen. Limitationen Beide Aspekte könnten aufgrund des Durch das Einnehmen einer Contingen- noch überschaubaren Forschungsstan- Die Studie unterliegt jedoch methodi- cy-Perspektive konnten in der Studie des von qualitativen, quantitativen oder schen Limitationen. Aufgrund der Größe innovative Ergebnisse in der Forschung auch Mixed-method-Ansätzen profitie- der Stichprobe der Lehrpersonen sind zur Lernbegleitung und zum Lernen im ren. Die fachspezifische Vertiefung des die Ergebnisse nur eingeschränkt für die Sportunterricht hervorgebracht werden. Kenntnisstandes zu Problemlösepro- Grundgesamtheit der Sportlehrer*innen In forschungsmethodischer Hinsicht zessen könnte dabei nur eine gewinn- generalisierbar. Die Generalisierung wurde mit dem dreischrittigen Vorge- bringende Fragestellung darstellen. Auf muss weiterhin durch die Themenfo- hen zur Erfassung von Contingency ein forschungsmethodischer Ebene besteht kussierung und die Fokussierung von aufwändiges, aber angemessenes Vor- außerdem Bedarf, Stärken und Schwä- 5. Klassen eingeschränkt werden. Durch gehen vorgestellt, dass die Situationen chen verschiedener Vorgehensweisen größere Stichproben an Lehrpersonen der Schüler*innen detaillierter erfassen bei der Konstruktion von Contingency- mit einer größeren Streuung bezüglich kann als vorangegangenen Studien. Glei- Einheiten und Contingency-Regeln zu der Unterrichtsthemen und Altersstufen ches gilt für die Lernbegleitung durch eruieren und (ggf. anhand von Urteilen könnten die Befunde (a) weiter generali- die Lehrpersonen in Bezug auf Kontrol- von Expert*innen) zu validieren. siert werden und (b) Gruppeneffekte (auf le und Aktivierung des Problemlösens. In Anschluss an die vorgestellte Pi- Schüler*innenmerkmale) ausgeschlos- Contingency als Kernmerkmal der Lern- lotierung ist eine Hauptuntersuchung 508 German Journal of Exercise and Sport Research 4 · 2020
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