Agatha, ein Pony mit Spürnase, Band 6 Die Katze mit der weißen Maske

Die Seite wird erstellt Wolfger Baum
 
WEITER LESEN
Agatha, ein Pony mit Spürnase, Band 6 Die Katze mit der weißen Maske
Unverkäufliche Leseprobe

                          T. B. Lloyd
Agatha, ein Pony mit Spürnase, Band 6
  Die Katze mit der weißen Maske

                              96 Seiten
                      ISBN: 978-3-505-12879-0

                 Mehr Informationen zu diesem Titel:
                       www.schneiderbuch.de

© 2011 SchneiderBuch verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Die schwarze Kapuze

A  gatha scharrte ungeduldig mit dem Huf und
schnaubte.
  „Nur noch ein bisschen“, rief Jenny ihr zu.
  Dazu konnte Agatha nur wiehern.
  „Ich weiß, das habe ich schon zehn Mal ge-
sagt. Nur noch einen winzig kleinen Moment!“
  Fast ein wenig beleidigt wandte sich das
Pony ab. Es ging zum Blumenbeet und begann,
dort einfach zu naschen. Normalerweise war
das nicht erwünscht, aber heute konnte sich
Jenny nicht darum kümmern.
  Rund um das windschiefe Häuschen miaute
und maunzte es überall.
  „Wo ist denn nur meine Rapunzel?“, fragte
Mrs Sutton besorgt.
  „Wie sieht Ihre Rapunzel denn aus?“, wollte
Jenny wissen.
  „Sie hat lange Haare auf dem Kopf und auf
dem Rücken kurze. Darum nenne ich sie auch
Rapunzel.“

                      3
„Ich habe sie gefunden!“
Jenny bückte sich und nahm eine
riesige, dicke Katze hoch. Sie hatte
sich unter einem Busch versteckt
und darunter hervorgelugt. Ihr Fell im
Nacken war tatsächlich flauschig und lang wie
Agathas Mähne.
   „Sie muss jeden Tag gebürstet werden.
Sonst ist sie bald ein Filzpantoffel.“ Liebevoll
setzte sich die alte Frau die Katze auf den
Schoß und begann, sie vorsichtig zu kämmen.
   Agatha wieherte ungeduldig. Denn langsam
reichte es ihr wirklich. Jenny hatte eigentlich
einen langen Ritt mit ihr unternehmen wollen.
Stattdessen hatte sie Mrs Sutton besucht,
deren Häuschen nahe am Wald lag.
   Jenny ging zu ihrem Pony und richtete die
sechs Zöpfchen, die sie ihm geflochten hatte.
Jenny selbst hatte immer genauso viele im
Haar.
   „Bist du eifersüchtig?“, fragte sie mit einem
kleinen Grinsen.
   Das Pony schüttelte den Kopf, als wolle es
Nein sagen.

                       4
„Bist du doch!“ Jenny hatte
Agatha ertappt. Sie kraulte sie
am Hals und unter den Stirn-
fransen, wo sie es besonders
gern mochte. „Mr Sutton ist
krank. Deshalb helfe ich der
Katzen-Mami ein bisschen.
Das musst du verstehen. Sie
hat so viele einsame Katzen zu
versorgen.“
Aber Agatha war noch immer nicht versöhnt.
   „Nur noch eine kleine Weile, dann machen
wir einen Galopp. Einverstanden?“
   Dazu wieherte Agatha begeistert und schlug
mit dem Vorderhuf.
   Nachdem Jenny ihr noch ein Stückchen
Zucker aus der Jackentasche gegeben hatte,
kehrte sie zu Mrs Sutton zurück.
   „Die drei Kleinen brauchen ihre Milch“,
erklärte ihr die alte Dame. „Sie sind im Nest im
Hühnerstall. Hinter dem Haus.“
   „Ich hole sie“, erklärte Jenny und ging los.
   Auf den Bäumen im Garten hockten überall
Katzen. Manche lagen faul in Astgabeln oder
auf den kleinen Brettern, die Mr Sutton dort an-
gebracht hatte. Die vielen Katze­naugen
folgten Jenny zum alten grün gestri-
chenen Hühnerstall.
   Er stand inmitten von Beeten
voller duftender Kräuter und
knallroter Tomaten.
   Überrascht blieb
Jenny davor
stehen.
Zwischen den Kürbisspflanzen hatte sich
jemand geduckt.
   „Hallo?“, rief Jenny. Ihr Herz hämmerte auf
einmal laut in ihrer Brust.
   Eine Katze miaute lang und kläglich.
   „Was tun Sie da?“ Trotz ihres Herzklopfens
blieb Jennys Stimme fest und klar.
   Gebückt lief jemand davon. Jenny sah nur
eine schwarze Jacke. Die Kapuze war über den
Kopf gezogen. Schwarz waren auch die Hosen-
beine und die Sportschuhe.
   „Halt! Wer sind Sie?“
   Der Unbekannte rannte nur noch schneller,
ohne sich aufzurichten. Er hetzte zum Wald-
rand, wo er zwischen den Bäumen verschwand.
Es war zwecklos, ihn zu verfolgen, da er schon
viel zu weit weg war.
   Aber wer hatte da so jämmerlich miaut?
   Vorsichtig ging Jenny auf die Stelle zwischen
den Beeten zu, wo sich der Kapuzenmann ver-
steckt hatte. Sie bog die Blätter auseinander.
Und dort lag sie …
Die Katze mit der weißen Maske

E  s war eine schwarze Katze mit einem ge­
tiger­ten Fleck an der rechten Seite. Halb stand
sie, halb lag sie.
   „Was ist denn mit dir passiert?“ Jenny konn-
te nicht glauben, was sie da sah.
   Die Katze trug eine weiße Maske mit schma-
len Augenschlitzen und einer langen geboge-
nen Nase, die aussah wie ein Vogelschnabel.
   Verzweifelt versuchte die Katze, die Maske
loszuwerden. Jenny ging in die Hocke, um ihr zu
helfen. Als sie vorsichtig daran zog, maunzte die
Katze. Sofort nahm Jenny die Hände zurück.
   Sie ließ die Katze dort, wo sie war, und lief
zu Mrs Sutton. Auf ihren schwarzen Stock ge-
stützt, kam die Katzen-Mutter mit ihr. Ohne zu
zögern, kniete sie sich neben die Katze auf die
Erde. Sie untersuchte das Tier und die Maske
kurz, sah auf und sagte zu Jenny: „Geh hinein
und sag dem Alten, er soll dir die feine Schere
geben.“

                       8
Jenny verstand zuerst nicht, wen sie meinte.
   „Dem alten Sutton“, erklärte die alte Dame.
   „Mach ich!“ Schon war Jenny fort und kehrte
bald darauf mit einer kleinen Schere zurück. Sie
war vorn abgerundet. Mrs Sutton schnippselte
behutsam um die Maske herum und schaffte
es, die Katze zu befreien.
   „Tierquäler! Diese elenden Tierquäler!“,
regte sie sich auf. „Sie haben dem armen Maun-
zerich die Maske angeklebt. Dafür sollten sie
Magendrücken bekommen und zehn Hühnerau-
gen gleichzeitig.“
   Jenny nahm ihr die Maske ab und betrach-
tete sie von allen Seiten. Innen klebten noch
Haarreste. „Jemand hat die Katze hierherge-
bracht“, erzählte sie.
   „Das sind diese widerlichen Menschen, die
meine Maunzeriche und uns nicht mögen“,
                             zeterte Mrs Sut-
                              ton. Sie hatte die
                                schwarze Katze
                                  auf den Arm ge-
                                   nommen und
                                    streichelte sie.
„Du bleibst bei mir. Hier hast du es gut. Das
verspreche ich dir.“
   Mit Jennys Hilfe kam Mrs Sutton wieder auf
die Beine. Dann trug sie die Katze ins Haus, wo
sich das Tier auf dem Sofa neben dem kranken
Mr Sutton zusammenrollte.
   Nachdem auch die verwaisten Kätzchen alle
ihr Fläschchen bekommen hatten, war es für
Jenny wirklich Zeit aufzubrechen.
   „Danke, du bist ein gutes Mädchen“, lobte
Mrs Sutton sie.
   „In Paps‘ Buchladen steht immer eine Spar-
dose, in die unsere Kunden Spenden für Ihre
Katzen werfen können“, erklärte Jenny stolz.
   „Dein Vater ist ein braver Junge“, sagte Mrs
Sutton und nickte zufrieden.
   Junge! Darüber musste Jenny lachen. Ihr
Vater war doch erwachsen.
   „Darf ich die Maske mitnehmen?“, bat sie.
   Dagegen hatte Mrs Sutton nichts einzuwen-
den. Jenny steckte sie in ihre Umhängetasche,
die unheimliche lange Nase ragte heraus.
   Danach erfüllte sie endlich ihr Ver­
sprechen.
Sie stieg in den Sattel und brauchte Agatha
nicht einmal eine sanfte Hilfe zu geben. Das
Pony setzte sich sofort von selbst in Bewegung.
   Der warme Sommerwind wehte den beiden
ins Gesicht und ließ Haare, Mähne und Zöpf-
chen fliegen. Fröhlich tobten die beiden über
die weiten Wiesen, die sich am Rande von Little
Brixton erstreckten. Zurzeit waren sie ein bunt
getupftes Meer aus Gras und Blumen.
   Auf dem Feldweg, auf dem sonst nie ein
Auto fuhr, kam ein Lastwagen um die Kurve ge-
poltert. Seine dicken Reifen wirbelten mächtige
Staubwolken auf.
   Viel zu spät hatte
Jenny ihn bemerkt.
Agatha stürmte
direkt auf den
Wagen zu.
Alles in Weiß

A   gatha bewies wieder einmal, wie schlau sie
war. Statt verzweifelt zu versuchen, stehen zu
bleiben, schlug sie einen Haken nach rechts.
Jenny beugte sich ganz flach über Agathas Hals
und krallte sich in der Mähne fest.
   Das Pony schaffte es auf diese Weise, dem
Lastwagen auszuweichen und einen Zusam-
menstoß zu vermeiden. Nur der graue Staub
wallte über sie hinweg. Jenny und Agatha
mussten beide niesen und dann auch noch
husten.
   „Was macht der hier auf dem Weg?“, regte
Jenny sich auf. Zwischen ihren Zähnen knirschte
der feine Sand.
   Weil sie neugierig war, ließ sie Agatha kehrt-
machen und dem Wagen folgen. Sie hielten
Abstand, um nicht noch mehr Staub schlucken
zu müssen.
   Die Fahrt dauerte nicht lange. Ziel war eine
hohe Mauer mit einem schwarzen Metalltor.

                       12
Der Lastwagen hielt an, und ein drahtiger jun-
ger Mann sprang aus dem Führerhaus. Mit der
Faust schlug er mehrmals gegen das Tor.
   Mutig ritt Jenny näher.
   Das Tor wurde von innen geöffnet. Ein zwei-
ter Mann in blauer Latzhose und mit einem
mächtigen Bauch schob sich heraus.
   „Walt, nicht von dieser Seite, sondern durch
das Haupttor!“, tobte er los.
   Der Fahrer zuckte mit den Schultern. „Ist
aber eine Abkürzung. Was dagegen?“
   „Ja. Der Feldweg ist nicht für solche Wagen
gedacht.“
   Die beiden sprachen so laut, dass Jenny
jedes Wort mithören konnte. Sie ritt noch näher
heran und stieg ab. Der Dicke in der Latzhose
bemerkte sie.
   „Tag, junge Dame, gibt’s was?“, erkundigte
er sich freundlich.
   „Mein Pony und ich sind fast überfahren
worden“, beschwerte sich Jenny.
   „Da hörst du es, Walt!“, brauste der andere
sofort auf. „Also lass den Quatsch ab jetzt.“
Dann kam er auf Jenny zu. „Ich muss mich für

                      13
meinen Kollegen entschuldigen. Er ist so ein
Sturkopf.“
   Walt schnitt ihm hinter dem Rücken eine
Grimasse. Dann kletterte er zurück auf den
Fahrersitz und steuerte den Wagen auf das
Grundstück hinter der Mauer.
   Neugierig warf Jenny einen Blick durch das
offene Tor. Sie sah ein großes Brunnenbecken
mit steinernen Delfinen, die wie im Sprung er-
starrt waren und Wasser spien.
   „Ist das hier nicht der Garten der Frosts?“,
fragte Jenny.
   „Kennst du die beiden?“, fragte der Dicke.
             „Jeder in Little Brixton kennt sie!“,
            antwortete Jenny.
Mr und Mrs Frost waren die reichsten Leute
in der Stadt. Mr Frost gehörte die Fabrik, in
der ganz besondere Schrauben und Zahnräder
hergestellt wurden. „Mr Frost wollte doch auch
Bürgermeister werden. Aber er hat nicht ge-
wonnen“, erinnerte sich Jenny.
   „Sag bitte nichts von Walt“, bat der Mann.
„Mrs Frost kann man nämlich gar nichts recht
machen. Sie droht einem ständig mit Rauswurf.
Soviel ich mitbekommen habe, zittern hier alle
vor ihr. Sie bezahlt ihrem Personal sehr viel
Geld, um dann ständig sagen zu können, dass
sie alle jederzeit auf die Straße setzen kann.“
Er reichte Jenny die Hand. „Ich bin übrigens
Harold.“
   „Und ich Jenny. Und das ist Agatha!“, stellte
Jenny sich und ihr Pony vor.
   „Wir bereiten alles für das Sommerfest der
Frosts vor“, verriet Harold. „Eine Bühne für
die Musik, kleine Stände für das Essen, Zelte,
Tische, Stühle, alles eben.“ Er rieb sich die Hän-
de. „Jede Menge Arbeit. Und alles ist in Weiß
und darf nicht schmutzig werden. Mrs Frost ist
da sehr streng.“

                        15
Jenny nickte. Sie kannte Mrs Frost. Die
reiche Dame war schon ein paar Mal in der
Schule gewesen, wenn ein Theaterstück auf-
geführt wurde oder der Chor auftrat. Sie hatte
immer ein Gesicht gemacht, als hätte sie ge­
rade in eine bittere Birne gebissen.
   „Muss zurück an die Arbeit!“ Harold deutete
mit dem Daumen durch das Tor. Jenny verab-
schiedete sich und stieg wieder auf Agathas
Rücken. Es war Zeit, zurück zum Ponyhof zu
reiten.
Sie können auch lesen