Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben von Mensch und Wolf in der Wallonie

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Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben von Mensch und Wolf in der Wallonie
Aktionsplan
für ein ausgewogenes
  Zusammenleben von
     Mensch und Wolf
       in der Wallonie
                 JUNI 2020
Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben von Mensch und Wolf in der Wallonie
Vom Öffentlichen Dienst der
Wallonie finanziertes Projekt. Ko-
ordiniert von der Abteilung Natur und
Forstwesen (DNF) und der DEMNA (ÖDW-
ARNE). Verfasst von Vinciane Schockert (Uni-
versität Lüttich), in Zusammenarbeit mit Violaine
Fichefet und Alain Licoppe (DEMNA).

Die Autoren möchten allen danken, die an der Korrektur dieses
Dokuments mitgewirkt und zu seiner Verbesserung beigetragen
haben, insbesondere Hubert Bedoret (Natagriwal), Mathieu Halford
(Natagriwal), Sandrine Liégeois (Kabinett der Ministerin Tellier), Xa-
vier Rollin (DNF), Tomy Tchatchou (DNF), Jean-Philippe Bizoux (DNF)
und Madison Warnier (Studentin bei der DEMNA).

Unser Dank gilt auch den Mitgliedern des Netzwerks Wolf, den vor
der Ausarbeitung des Plans konsultierten Experten und den Inte-
ressenvertretern, die mit ihren komplementären Sichtweisen zur
Reflexion beigetragen und den Entwurf des Aktionsplans richtungs-
weisend begleitet haben, sowie den Organisationen, die uns in der
Konsultationsphase des Plans konstruktive Beratung haben zukom-
men lassen .

Zitieren dieses Dokuments: Schockert V., Fichefet V., Licoppe A.
(2020). Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben
von Mensch und Wolf in der Wallonie. SPW ARNE, 64 S.
Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben von Mensch und Wolf in der Wallonie
Der Wolf ist zurück!                             tern, aber auch Wildtiermanagern, wünschte
                                                 ich mir, dass geeignete Maßnahmen zur För-
Obwohl sie auch Ängste hervorrufen kann,         derung einer friedlichen Koexistenz mit dem
ist dies vor allem eine gute Nachricht, denn     Wolf ergriffen werden. Der vorliegende Akti-
sie zeigt, dass eine Tierart nach langer Ab-     onsplan fasst diese Maßnahmen zusammen.
wesenheit neue Populationen aufbauen und
wieder heimisch werden kann. Eine solche         Er ist das Ergebnis einer umfangreichen
natürliche Rückkehr ist ein seltenes und da-     Zusammenarbeit zwischen verschiedenen
mit bemerkenswertes Phänomen.                    öffentlichen Stellen (ÖDW ARNE) und Exper-
                                                 ten, denen mein Dank gilt. Darüber hinaus
In den Ökosystemen nimmt der Wolf einen          wurde er den Vertretern der am stärksten
besonderen Platz ein: Als Raubtier potenziell    betroffenen Gruppen zur Konsultation vor-
recht großer Beutetiere steht er an der Spitze   gelegt. Dieser erste Wolfsplan zielt darauf
der Nahrungspyramide. Seit Jahrzehnten ha-       ab, die wieder in unserer Region heimisch
ben sich keine Beutegreifer dieses Ausmaßes      werdenden Tiere zu schützen, und zugleich
mehr in unseren Naturräumen niedergelas-         die von der Wolfspräsenz betroffenen Her-
sen. Wir sind daher eine solche Konkurrenz       den- und Wildtiermanager zu unterstützen.
nicht mehr gewöhnt, was unsere Ängste und        Der Plan erstreckt sich auf den Zeitraum
Befürchtungen angesichts dieser Nachricht        2020-2025, und kann entsprechend den in
erklären könnte.                                 diesem Zeitraum gewonnenen Erkenntnissen
                                                 angepasst werden.
Somit müssen wir neu lernen, mit dem Wolf
zusammenzuleben, der sich nach seiner Aus-       Ich hoffe, dass dieser Aktionsplan sowie alle
rottung durch den Menschen sein früheres         vom Wallonischen Netzwerk Wolf erstellten
Verbreitungsgebiet zurückerobert und in          und verbreiteten Informationen Antworten
den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu-         auf Ihre Fragen geben, Ihnen ein besseres
nehmend präsent sein könnte. Dieser Rück-        Verständnis dieser geschützten Tierart er-
kehrprozess bleibt indes fragil, ganz wie die    möglichen und Ihnen Lust darauf machen,
Rudel, die vielleicht bei uns gebildet werden.   zu ihrer Erhaltung beizutragen.
Dies erinnert daran, dass der Schutzstatus
der Tierart voll und ganz gerechtfertigt ist.
                                                 Céline Tellier
Im Bewusstsein des Risikos örtlich proble-       Ministerin für Umwelt und Natur,
matischer Situationen und einer schwierigen      Forstwirtschaft, den ländlichen Raum
Akzeptanz insbesondere seitens Herdenhal-        und Tierschutz
Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben von Mensch und Wolf in der Wallonie
2         AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

Wolfsfährte im Schnee, Februar 2020.
Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben von Mensch und Wolf in der Wallonie
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Inhalt
TEIL I: KONTEXT, STATUS,                          Handlungsziel 3. Unterstützung des
ÖKOLOGIE ...                                      Herdenschutzes durch die Umsetzung
                                                  geeigneter Präventions- und
A. Einleitung 6
                                                  Entschädigungsmaßnahmen 37
B. Geografische Verbreitung
                                                     Maßnahme 3.1. Unterstützung des
   des Wolfs in Europa 7
                                                     Herdenschutzes über die Bereitstellung von
C. Ernährung des Wolfs 8                             Sofortschutzkits 37
D. Lebensraum, Aktionsraum und Revier 10             Maßnahme 3.2. Unterstützung bei
E. Demografische Artmerkmale 13                      der Umsetzung dauerhafter
F. Fortbewegung 13                                   Schutzmaßnahmen 38
G. Schutzstatus 14                                   Maßnahme 3.3. Erweiterung der
   G.1. Rechtlicher Status 14                        Möglichkeiten für einen fairen Ausgleich
   G.2. Rote Liste 16                                der entstandenen Schäden 40
H. Natürliche und anthropogene Belastungen           Maßnahme 3.4. Wissenschaftliches
   und Bedrohungen 19                                Monitoring geeigneter
                                                     Schutzmaßnahmen 42
                                                     Maßnahme 3.5. Dokumentation von
TEIL II: AKTIONSPLAN                                 Hundeangriffen auf Schafherden, um einen
Handlungsziel 1: Monitoring der Präsenz und          Überblick über die Situation vor Ankunft des
Etablierung von Wölfen in der Wallonie 25            Wolfs zu erhalten 43
   Maßnahme 1.1. Organisation der Erhebung        Handlungsziel 4. Sensibilisierung
   von Daten zur Wolfspräsenz in der Wallonie     verschiedener Zielgruppen 44
   und deren Validierung 25
                                                     Maßnahme 4.1. Sensibilisierung der Akteure
   Maßnahme 1.2. Genetische Bestätigung der          des ländlichen Raums für die positive Rolle,
   gesammelten Proben 27                             die sie bei der Erhaltung des Wolfs in der
   Maßnahme 1.3. Versorgung verendeter,              Wallonie spielen können 44
   verletzter oder kranker Wölfe 29                  Maßnahme 4.2. Sensibilisierung der
   Maßnahme 1. 4. Bewertung des                      Öffentlichkeit für die Präsenz von Wölfen in
   Gesundheitsrisikos, das von in die Wallonie       der Wallonie 46
   eingewanderten Wölfen ausgeht 30                  Maßnahme 4.3. Förderung des
   Maßnahme 1.5. Proaktives Monitoring               Bekanntheitsgrads des Aktionsplans und
   von Wölfen in Gebieten mit erwiesenem             Information über seine Umsetzung 48
   Vorkommen 31
Handlungsziel 2: Wolfsschutz und Management       ANHÄNGE
potenzieller Problemsituationen 32
                                                  Anhang 1. Entwicklung der Entnahmen von
   Maßnahme 2.1. Verstärkter Schutz etablierter   Rotwild, Rehwild und Wildschweinen in der
   Individuen insbesondere während der            Wallonie zwischen 1974 und 2016 53
   Reproduktionszeit 32
                                                  Anhang 2. Herdenschutzmaßnahmen 54
   Maßnahme 2.2. Management wolfsbedingter
                                                  Anhang 3. Einstufungskategorien für Hinweise
   Problemsituationen 34
                                                  auf Wolfspräsenz 61
                                                  Anhang 4. Glossar 62
                                                  Anhang 5. Literaturverzeichnis 63
Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben von Mensch und Wolf in der Wallonie
4         AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

Von Angesicht zu Angesicht mit Akela, einem
Rüden aus der deutsch-polnischen Population,
Hohes Venn, Februar 2019.
Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben von Mensch und Wolf in der Wallonie
5

  T EIL I:

Kontext
 Status
Ökologie
Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben von Mensch und Wolf in der Wallonie
6   AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

    A
        EINLEITUNG                                                 nachweislich einen Knotenpunkt zwischen
                                                                   den beiden wichtigsten europäischen Wolfs-
    Nachdem der Wolf in weiten Teilen West-                        linien dar.
    europas kurz vor dem Aussterben stand, setz-
    te vor rund dreißig Jahren eine natürliche                     Angesichts der in den Nachbarregionen zu
    Rekolonisierung Europas aus Reliktpopula-                      beobachtenden Dynamik muss sich die Wal-
    tionen ein, die hauptsächlich in Polen und                     lonie auf die Ankunft weiterer Wölfe und die
    Italien lebten. Verschiedene Faktoren wie die                  Bildung eines oder mehrerer Rudel in den
    Landflucht, die Zunahme der Waldflächen                        kommenden Jahren einstellen. Rudelbildun-
    und wilden Huftierpopulationen und der neu                     gen erfolgen in der Regel vier bis fünf Jahre
    eingeführte internationale Schutzstatus des                    nach Ankunft der ersten Einzeltiere.
    Wolfs haben ihrerseits dazu beigetragen, den
    Bestandsrückgang aufzuhalten und die natür-                    Während das starke ‚Comeback‘ der großen
    liche Rekolonisierung Europas zu fördern [1].                  Fleischfresser oft als positiver Einfluss auf
                                                                   das Gleichgewicht der Ökosysteme wahrge-
    Die geografische Verteilung der von der Ver-                   nommen wird [2], birgt es auch Konfliktpoten-
    folgung verschonten Populationen hat zur                       zial. Bedrohungen zeichnen sich im Hinblick
    Ausbildung von zwei sehr unterschiedlichen                     auf die Wolfskonkurrenz zu menschlichen
    natürlichen Rekolonisierungswegen geführt,                     Aktivitäten wie vor allem die Viehzucht und
    die Belgien allmählich umringen: dem der                       Jagd ab, aber auch aufgrund von Ängsten, die
    französischen Abstammungslinie im Süden                        seine Präsenz in unmittelbarer Nähe der Be-
    („italienisch-alpine Population“) und dem der                  völkerung auslöst.
    deutsch-polnischen Population im Osten und
    Nordosten. Das am Knotenpunkt dieser bei-                      Vor diesem Hintergrund wurden im Vorfeld
    den Ausbreitungswege gelegene Belgien zählt                    des vorliegenden Aktionsplans mehrere Ge-
    zu den letzten westeuropäischen Ländern, in                    spräche mit potenziellen Partnern geführt
    denen der Wolf wieder heimisch wird.                           und zahlreiche bibliografische Referenzen
                                                                   sowie Aktionspläne aus benachbarten Regio-
    Angesichts der beeindruckenden Distanzen,                      nen und Ländern studiert, insbesondere aus
    die Wölfe in der Phase der Abwanderung                         Flandern [3], Frankreich [4, 5], den Niederlan-
    vom Rudel (Dispersion) zurücklegen können,                     den [6, 7] und dem Großherzogtum Luxemburg
    der bedeutenden Verbreitung der französi-                      [8]
                                                                      .
    schen und deutschen Populationen und der
    Sichtungen in nur wenigen Kilometern Ent-                      Der Planentwurf wurde den Partnern, die
    fernung von unseren Grenzen (Luxemburg,                        die verschiedenen Interessengruppen ver-
    Niederlande, Flandern etc.) war mit der                        treten, zur Konsultation vorgelegt – für die
    Ankunft von Individuen in der Wallonie zu                      Viehzucht: dem Wallonischen Landwirt-
    rechnen. Diese unmittelbar bevorstehende                       schaftsverband FWA, dem Erzeugerkollegium
    Rückkehr hat zur Schaffung eines „Netzwerks                    (SoCoPro) und Fugea; für die ländlichen
    Wolf“ im Frühjahr 2017 geführt, einer Exper-                   Grundbesitzer: NTF und der Königlichen
    tengruppe, die unter der Koordination der                      Forstgesellschaft; für die Jägerschaft: dem
    DEMNA mit dem systematischen Monitoring                        Königlichen Sankt-Hubertus-Club von Bel-
    des Wolfs beauftragt wurde.                                    gien und dem Großwildjagdverband FCGGB;
                                                                   für die Naturschutzverbände: dem WWF,
    Nach Prüfung von 520 Berichten über Ver-                       Natagora, dem Naturforscherverband Cercle
    dachtsfälle zwischen März 2017 und Mai                         des Naturalistes de Belgique und dem Um-
    2020, wird von der Präsenz von 8 verschiede-                   weltschutzbund Inter-Environnement Wal-
    nen Wölfen ausgegangen. Zwei dieser Tiere,                     lonie; für Wolfsspezialisten: der Plattform
    von denen eines der deutsch-polnischen und                     Großraubtiere und der Natagora-Arbeits-
    das andere der italienisch-alpinen Linie an-                   gruppe Wolf; für Gesundheitsaspekte: dem
    gehört, scheinen in einem Gebiet sesshaft                      Tierarztverband UPV; für andere Akteure des
    geworden zu sei. Damit stellt die Wallonie                     ländlichen Raums: Faune et Biotope, Natag-
Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben von Mensch und Wolf in der Wallonie
7

riwal, Forêts et Naturalité, dem Verband der            B
                                                         GEOGRAFISCHE VERBREITUNG
Naturparks der Wallonie, dem Städte- und
                                                        DES WOLFS IN EUROPA
Gemeindeverband der Wallonie und dem
Verteidigungsministerium.
                                                        In Europa wurden 2019 über 17.000 Indivi-
                                                        duen erfasst, die sich auf neun Populationen
Auch der Naturabteilung des Pôle Ruralité
                                                        verteilen [9].
wurde der Planentwurf vorgelegt.
                                                        Relativ beeindruckend verläuft die Entwick-
Der vorliegende Aktionsplan schlägt für
                                                        lung der Wolfspopulation in Deutschland.
einen Fünfjahreszeitraum (2020-2025) prio-
                                                        Nachdem im Jahr 2000 erste Wölfe aus Polen
ritäre Maßnahmen für eine Rückkehr des
                                                        zurückkehrten, wurden Ende 2019 in die-
Wolfs in die Wallonie unter möglichst güns-
                                                        sem Land 105 Rudel und 25 Paare gezählt [10].
tigen Bedingungen für die Koexistenz mit
                                                        Während die Rekolonisierung etwas später
dem Menschen auf mittlere Sicht vor. Dieser
                                                        einsetzte als in Frankreich (1992), scheinen
Plan kann gegebenenfalls vor seinem Ablauf
                                                        der Verbreitung des Raubtiers dort weniger
an die Verbreitung des Wolfs in der Wallonie
                                                        Hindernisse entgegenzustehen als beim fran-
und sein Verhalten angepasst werden.
                                                        zösischen Nachbarn. Im Vergleich zu Frank-
                                                        reich wurden in Deutschland bislang auch
                                                        nur selten Individuen entnommen. Diese
                                                        deutsch-polnische Population, die auch als

Erster Schnappschuss des seit über 100 Jahren ersten standorttreuen Wolfs in
der Wallonie, Hohes Venn, 28. Juni 2018. Das Foto entstand bei einem Hirsch-
Monitoring in Zusammenarbeit mit dem Jagdrat Hohes Venn – Eifel.
Aktionsplan für ein ausgewogenes Zusammenleben von Mensch und Wolf in der Wallonie
8   AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

    mitteleuropäische Flachlandpopulation be-                      im Dezember 2019 bei Leopoldsburg [12] ent-
    zeichnet wird, stellt zweifellos eine mögliche                 deckt, paarte sich mit dem dort noch leben-
    Quellpopulation für die Besiedlung weiter                      den Rüden und brachte im Frühjahr 2020 den
    westlich gelegener Regionen einschließlich                     ersten belgischen Wurf zur Welt.
    Flanderns und der Wallonie dar. Ende 2019
    lebten die geografisch nächsten Rudel in                       In Wallonien wurde die Präsenz von acht
    Niedersachsen (wo aktuell 21 Rudel + 6 Paare                   verschiedenen Wölfen zwischen August 2016
    erfasst sind) und in Bremen, etwa 300 bis 400                  und Mai 2020 vom Netzwerk Wolf bestätigt:
    km von der Wallonie entfernt.                                  • 1 Individuum auf dem Plateau des Tailles
                                                                     im August 2016, deutsch-polnische Popula-
    Aus der Bilanz des französischen Wolfsplans,                     tion
    die am Ende des Winters 2018-2019 durchge-                     • 1 Rüde im Hohen Venn im Juni 2018,
    führt wurde, ergibt sich ein kontinuierlicher                    deutsch-polnische Population, „Akela“
    Anstieg der Population seit 1996 auf rund                      • 1 Rüde im Hohen Venn im März 2019,
    530 Individuen in 92 Gebieten mit ständiger                      deutsch-polnische Population
    Wolfspräsenz und knapp 80 Rudeln [11]. Diese                   • 1 Rüde nördlich des Walds von Anlier
    Entwicklung vollzieht sich trotz Entnahmen,                      (Ebly) im Mai 2019, italienisch-alpine Popu-
    die in den letzten Jahren im Übrigen ver-                        lation
    stärkt erfolgt sind (für 2019 waren 90 Wölfe                   • 1 Rüde im Hohen Venn (Malmédy) im Janu-
    vorgesehen). Die französische oder „ita-                         ar 2020, italienisch-alpine Population
    lienisch-alpine“ Population stellt somit die                   • 1 Rüde im Süden des Hohen Venns (Büt-
    zweite Population in der Nähe der Wallonie                       genbach) im Januar 2020, italienisch-alpine
    dar, aus der regelmäßig Wölfe einwandern                         Population
    könnten. Die nächstgelegenen Präsenzgebie-                     • 1 Fähe in der Gemeinde Weismes im Januar
    te befinden sich in der französischen Region                     2020, deutsch-polnische Population
    Grand Est (Lothringen und Vogesen), in der                     • Individuum in der Gemeinde Rochefort im
    sich zwei Gebiete mit ständiger Wolfspräsenz                     April 2020, deutsch-polnische Population.
    befinden, wenngleich dort 2019 keine Rudel
    bestätigt wurden.                                              Erwähnenswert sind auch zwei fotografisch
                                                                   bestätigte Sichtungen im Condroz in Have-
    In den Niederlanden wurden in den letzten                      lange im August 2019 und in Assesse im Feb-
    Jahren in verschiedenen Provinzen zahlrei-                     ruar 2020, wobei sich nicht feststellen lässt,
    che Wölfe gesichtet, die aus der deutschen                     ob es sich um ein oder mehrere Tiere handelt
    Population abgewandert waren. Der erste                        und ob sie bereits genetisch erfasst sind.
    Wurf des im Jahr 2018 standorttreu geworde-
    nen Paares wurde im Frühjahr 2019 geboren
    und zählt fünf Welpen.                                         C
                                                                       ERNÄHRUNG DES WOLFS
    Im Großherzogtum Luxemburg sorgten zwei                        Der Wolf ist ein opportunistischer Beutegrei-
    episodische Meldungen von Wölfen 2017 und                      fer, der seine Ernährung im Allgemeinen an
    2018 sowie eine im Frühjahr 2020 für Schlag-                   die verfügbare Beute und deren Vorkommen
    zeilen.                                                        in seinem Habitat anpasst.

    In Flandern schließlich ließ sich 2018 ein                     Er ist zweifellos der wichtigste Fressfeind
    Wolfspaar im Militärlager Leopoldsburg in                      von (wilden wie domestizierten) Huftieren
    der Provinz Limburg nieder. Das Weibchen                       auf der Nordhalbkugel, kann sich aber auch
    wurde illegal getötet. Ein drittes Tier wurde                  von kleineren Beutetieren wie Hasen, Nage-
    2018 in Opoeteren, mitten in der Dispersions-                  tieren etc. ernähren und seinen Speisezettel
    phase, von einem Fahrzeug getötet (INBO                        um Amphibien, Insekten und sogar Obst er-
    2018). Diese drei Individuen stammen gene-                     gänzen. Es kann sich auch an Aas von Tieren
    tisch aus der deutsch-polnischen Linie. Eine                   bedienen, die er gegebenenfalls nicht selbst
    weitere Fähe aus derselben Population wurde                    erbeutet hat.
9

                               Ständige Präsenz                         Gelegentliches Vorkommen

                                                    Skandinavien und Mitteleuropa:
                                                        > 90 % wilde Huftiere

                        Huftiere
                        Erbeutete Nutztiere
                        Andere Beutetiere
                        (Hase, Biber etc.)

                            Barja, 2009

Torres et al., 2015

                                                Merrigi et al., 2011.
                                              Analyse von 20 Studien                 Merrigi et al., 2011

                                                                                                            Merrigi et al., 2011

        ABBILDUNG 1. Variabilität der Ernährung des
        Wolfs in Europa.
        Quelle: LCIE [13]
10   AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

     Der tägliche Verbrauch eines Wolfs beläuft                     te und große offene Flächen vom Typ „Gras-
     sich im Durchschnitt auf ein bis zwei Kilo rei-                land“ nutzen, solange ein ausreichendes Nah-
     nes Fleisch bzw. vier bis fünf Kilo Tierkörper                 rungsangebot vorhanden ist. Da der Räuber
     einschließlich Knochen, Haaren usw.                            jedoch auf ruhige Unterschlupfmöglichkei-
                                                                    ten angewiesen ist, stellen Waldgebiete be-
     Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, ist der                        sonders einladende Lebensräume für diese
     Anteil von Nutz- und Wildtieren in der Nah-                    Art dar [22].
     rung des Wolfs sehr variabel und hängt oft
     mit dem Revierkontext zusammen [13]. In                        Bestimmte Gebiete werden innerhalb eines
     Mittel- und Osteuropa besteht die Nahrung                      Reviers begünstigt, insbesondere wenn sie
     zu 99 % aus wildlebenden Beutetieren [14,                      den Jagderfolg beeinflussen [23]. Waldschläge
     15]
        , während in Südeuropa der Anteil der als                   oder andere offene Flächen, Jungwälder,
     Nutztiere gehaltenen Huftiere weitaus höher                    Steilhänge etc. scheinen natürlich günstiger
     liegt. In Frankreich kann dieser Anteil in be-                 zu sein als Gebiete mit einem dichten Stra-
     stimmten Alpengebieten oder bei einzelnen                      ßennetz oder Ballungsräume [24].
     Rudeln über 50 % der Wolfsbeute erreichen,
     allerdings in einem weidewirtschaftlichen                      Reproduktionsstandorte (Wurfhöhlen) wer-
     Kontext, der sich von dem unserem stark                        den meist in Naturgebieten gewählt, die für
     unterscheidet [16]. Im bevölkerungsreichen                     den Menschen schwer zugänglich sind und
     Zentralportugal bestehen über 90 % der Nah-                    in denen eine möglichst optimale Störungs-
     rung aus gerissenen Nutztieren [17]. Dieser                    freiheit sowie die Nähe zu einer Wasserquelle
     Druck auf die Weidewirtschaft erschwert die                    gegeben sind [25].
     Koexistenz mit dem Wolf in bestimmten Re-
     gionen Europas.                                                Ob die Wallonische Region als Lebensraum
                                                                    für diese Art theoretisch tragfähig ist, lässt
     Freilich wird ein isolierter Wolf eher kleinere                sich kaum abschätzen, da bis Mai 2020 nur
     Beutetiere (wie Rehe, Frischlinge, Hirschkäl-                  wenige wandernde oder allmählich sesshaft
     ber etc.) oder geschwächte Tiere (alte Hirsch-                 werdende Individuen beobachtet wurden.
     kühe) angreifen.                                               Da Wälder, die viele Rückzugs-/Unterschlupf-
                                                                    möglichkeiten bieten, 30 % der wallonischen
                                                                    Fläche bedecken, darf davon ausgegangen
     D
      LEBENSRAUM, AKTIONSRAUM                                       werden, dass die ökologischen Anforderun-
                                                                    gen des Wolfs hier erfüllt werden können.
     UND REVIER                                                     Dieser Anteil ist zudem mit der Situation in
                                                                    Frankreich und Deutschland vergleichbar,
     In Westeuropa erstreckt sich der Aktions-                      wo die Wolfspopulationen günstige Bedin-
     raum des Wolfs im Allgemeinen auf 150 bis                      gungen für ihre Entwicklung vorfinden.
     300 km² [18]. Dieser Parameter kann jedoch je
     nach den Habitatbedingungen und den Nach-                      Angesichts der Verbreitung der Huftier-
     weis- und Monitoringverfahren erheblich                        populationen in der Wallonie, scheint das
     variieren [19].                                                Nahrungsangebot gut mit der Ansiedlung von
                                                                    Wölfen vereinbar zu sein, insbesondere süd-
     Die Untersuchung der ökologischen Anfor-                       lich des Sambre- und Maastals. So deuten die
     derungen an den Lebensraum belegt, wie                         Zahlen in Anhang 1 auf einen signifikanten
     flexibel der Wolf ist. In erster Linie scheint                 Anstieg der Entnahme der drei Großwild-
     die Wolfsverteilung/-dichte von der Beute-                     arten Rotwild, Rehwild und Schwarzwild in
     dichte abzuhängen [20, 21]. Entgegen der land-                 der Wallonie hin, die Aufschluss über die
     läufigen Meinung ist der Wolf nicht nur an                     Entwicklung des Gesamtniveaus der Popu-
     große Waldflächen gebunden; er kann so                         lationen geben. Abbildung 2 vermittelt eine
     unterschiedliche Lebensräume wie Wüsten,                       Vorstellung von der Verteilung und quantita-
     Gebirge, Buschland, Kulturland oder sogar                      tiven Prävalenz der jagdbaren Huftierarten
     bevölkerungsreiche Gegenden, Feuchtgebie-                      auf wallonischem Gebiet.
11

Gesamtmortalität
    Hirsch
    Reh
    Wildschwein
    Mufflon
    Damwild

Anzahl der           250 500   1000   2000   3000    4000
entnommenen
oder tot aufgefun-
denen Tiere

     Trotz der Verfügbarkeit wilder Beutetiere in                              ABBILDUNG 2. Anzahl gejagter oder tot
     seiner unmittelbaren Umgebung neigt der                                  aufgefundener Hochwildtiere nach Arten
     Wolf möglicherweise dazu, Nutztiere zu rei-                              (Rotwild, Reh, Wildschwein, Mufflon und
     ßen, da sich diese leichter erbeuten lassen                              Damwild) und nach Jagdrat während der
     als Wildtiere. Dieser geringere Jagdaufwand                                                    Saison 2015-2016.
     soll bei einigen Rudeln zu einer bestimmten                             Quelle: http://biodiversite.wallonie.be/fr/grand-gibier.
                                                                                                                     html?IDC=6215
     Organisation in beweideten Gebieten geführt
     haben: Subadulte Wölfe scheinen eher allein
     oder in Untergruppen zu jagen, während sich
     das Elternpaar um die im jeweiligen Jahr ge-
     borenen Welpen kümmert. Diese Form der
     Anpassung kann eine Zunahme der Präda-                 räume (200 km²) und der durchschnittlichen
     tion und einen erhöhten „Wolfsdruck“ zur               Rudelgröße in Westeuropa scheint die Zahl
     Folge haben [26].                                      der Wölfe oder Rudel, die die Wallonie auf-
                                                            nehmen könnte, jedoch von vornherein be-
     Auf Grundlage dieser verschiedenen Elemen-             grenzt.
     te wurde eine theoretische Kartierung des
     Ansiedlungspotenzials für Wolfsrudel in der            Um einen Überblick über ihr Potenzial als
     Wallonischen Region erstellt (Abbildungen              Lebensraum für Wölfe zu gewinnen, wur-
     3 und 4) [27]. Die Karte in Abbildung 3 lässt          den verschiedene Parameter verwendet:
     erkennen, dass der stark bebaute Norden                Präsenz von Nutztierherden, Wilddichte und
     der Wallonie für den Wolf tendenziell un-              Flächennutzung. Diese Kriterien wurden je
     attraktiv bleibt, während der weniger vom              nach ihrer Relevanz für den Wolf gemäß dem
     Menschen beeinflusste Süden mit seinen                 Wissensstand über seine Ökoethologie ge-
     größeren Waldflächen einen tragfähigeren               wichtet. Anschließend wurden die für diese
     Lebensraum für den Wolf und diversifizierte            verschiedenen Kriterien ermittelten Werte
     Nahrungsressourcen bietet. Angesichts der              zu einem Index zusammengefasst, der das
     durchschnittlichen Ausdehnung der Aktions-             Potenzial für eine dauerhafte Ansiedlung auf
12              AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

           Index
                Niedrig

                Hoch
                                     ABBILDUNG 3. Karte des geschätzten
                                     Lebensraumpotenzials für den Wolf in
           0            20 km
                                     der Wallonischen Region.
                                     Quelle: Crismer 2018 [27]

     ABBILDUNG 4. Theoretische Einteilung der Wallonie in potenzielle
     Aktionsräume des Wolfs und Bewertung ihres Lebensraumpotenzials für Wölfe.
     Quelle: Crismer 2018 [27]

      Lebensraumpotenzial
           Geringeres Potenzial

           Höheres Potenzial
13

einer Skala von niedrig (rot) bis hoch (grün)     • die Reviergröße, die je nach Geschlecht,
anzeigt. Die Auswirkungen des Straßennetzes         Alter und Reproduktionsstatus der Wölfe
wurden mit der Flächennutzung (bebaute              variiert [33].
Flächen) berücksichtigt, nicht aber auf der       • die Populationsdichte, die sich auf ihre
Grundlage des Verkehrsaufkommens. Zwar              eigene Wachstumsrate auswirkt [34]. Mit zu-
ist zu erwarten, dass sich dieser Parameter         nehmender Dichte einer Population sinkt
auf das Überleben der Wölfe und die Popu-           ihre Wachstumsrate global gesehen auf-
lationsdynamik auswirkt, doch der Haupt-            grund einer Abnahme des Überlebens- und
zweck der Kartierung bestand darin, die             Reproduktionserfolgs und einer potenziell
theoretisch maximale Anzahl an Rudeln zu            stärkeren Abwanderung von Individuen
ermitteln, die sich in der Wallonischen Re-         auf Reviersuche. Dieser Befund basiert
gion potenziell bilden könnten (Abbildung 4).       auf zahlreichen vor allem in Nordamerika
                                                    durchgeführten Studien, wo die Dichte der
Die Karte in Abbildung 4 schlägt eine poten-        Wolfspopulationen in der Regel höher ist
zielle Gliederung des Territoriums in theore-       als bei uns[21]. In Westeuropa wird im All-
tische durchschnittliche Aktionsräume von           gemeinen eher die Anzahl der etablierten
200 km² in sechseckiger Form (Standardisie-         Rudel und Paare als die Populationsdichte
rung) vor, die sich zufällig über die gesamte       genannt, zumal sich derzeit eine Rekolo-
Wallonischen Region verteilen und für die           nisierung seines früheren Verbreitungs-
das Ansiedlungspotenzial des Wolfs nach der         gebiets durch den Wolf vollzieht und diese
oben erläuterten Methode bewertet wird.             Dichte in kaum einer Nachbarregion ein
                                                    Plateau erreicht. Auf der Grundlage der
                                                    verfügbaren Daten lässt sich die Dichte der
E
 DEMOGRAFISCHE                                      Wolfspopulationen in den Regionen West-
                                                    europas jedoch auf rund drei bis fünf Indi-
ARTENMERKMALE                                       viduen/100 km² schätzen.

Es ist wichtig, die demographische Dynamik        In Frankreich und Deutschland schwankt
des Wolfs zu beobachten und zu verstehen,         die beobachtete jährliche Populationswachs-
denn sie erlaubt es letztendlich, die Populati-   tumsrate zwischen 16 % und 40 %.
onsgröße und den von der Europäischen Uni-
on erwarteten günstigen Erhaltungszustand
zu beurteilen. Diese demografischen Para-
meter gilt es beim Populationsmonitoring
                                                  F
                                                      FORTBEWEGUNG
des Wolfs idealerweise zu berücksichtigen [19]:
• die Größe und Überlebensrate der Würfe,         Eine Dispersionsphase tritt häufig bei sub-
  die von Folgendem abhängen:                     adulten und jungen adulten Tieren auf. Auf
  - dem Gewicht und dem Alter der Fähen [28]      mehrwöchigen oder monatelangen Wande-
  - der Rudelgröße                                rungen können täglich Entfernungen von
  - der Dichte der Wolfspopulation.               mehreren Dutzend Kilometern (bis zu etwa
• die Überlebensrate der erwachsenen Tiere,       30 km) zurückgelegt werden [35, 36, 37]. In dieser
  die allgemein ab einem Alter von sechs          Zeit sind häufig Pausenphasen zu beobach-
  Jahren abnimmt. In Frankreich liegt sie bei     ten, die die Dispersionsgeschwindigkeit des
  etwa 80 % pro Jahr [29]. Man geht davon aus,    Individuums verlangsamen.
  dass bei einer Sterblichkeitsschwelle von
  über 34 % das Risiko eines Rückgangs der        Es wurden mehrere Rekorde verzeichnet:
  Wolfspopulation gegeben ist.                    • In Skandinavien lief ein in Schweden
• die geschlechts- und altersabhängige Dis-         besenderter Jungrüde in zwei Jahren rund
  persionsrate der Individuen [30]. Verschie-       1.100 km nach Finnland [38].
  dene Faktoren wie die Größe der Rudel [31]      • Ein weiterer junger Rüde wanderte in drei
  und das Überleben der adulten Tiere [29]          Monaten ebenfalls fast 1.200 km von der
  scheinen die Dispersion zu beeinflussen.          Balkanhalbinsel bis in die Alpen [35].
  Die Populationsdichte ist hingegen kein         • Ein Rüde lief mindestens 800 km von
  maßgeblicher Dispersionsfaktor [32].              Deutschland in den Norden Dänemarks.
14   AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

       Ein weiteres Tier aus derselben Herkunfts-                   Die in der Berner Konvention vorgesehenen
       region legte eine vergleichbare Strecke in                   Schutzmaßnahmen wurden 1992 mit der eu-
       nordöstliche Richtung zurück [39].                           ropäischen Richtlinie 92/43/EWG zur Erhal-
     • Unter den Beispielen in unserer ‚Nachbar-                    tung der natürlichen Lebensräume sowie der
       schaft‘ ist die Fähe Naya zu nennen, die im                  wildlebenden Tiere und Pflanzen (bekannt
       Januar 2018 Flandern erreichte, nachdem                      als „Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie“ oder
       sie in etwas über zwei Monaten rund 700                      „Habitatrichtlinie“) bestätigt. Ziel der Richtli-
       km aus Mecklenburg-Vorpommern über                           nie ist der Erhalt der natürlichen Lebensräu-
       die Niederlande gewandert war. Der Rüde                      me sowie der wildlebenden Tiere und Pflan-
       August (dessen Herkunftsrudel nicht ge-                      zen von gemeinschaftlichem Interesse, was
       nau bekannt ist) soll mindestens 300 km                      die Aufrechterhaltung oder Erreichung eines
       zurückgelegt haben. Ebenfalls in Flandern                    günstigen Erhaltungszustands voraussetzt,
       war der bei einem Zusammenstoß mit                           der über die bloße Verhinderung des Ausster-
       einem Fahrzeug in Opoeteren im Frühling                      bens hinausgeht. Der Wolf wird in mehreren
       2018 verendete Rüde über 300 km weit von                     ihrer Anhänge (2, 4 und 5) genannt, was
       seinem Herkunftsrudel aus Niedersachsen                      einen strengen Schutz der Art bedeutet. Aus-
       eingewandert.                                                genommen sind bestimmte Gebiete Europas,
                                                                    in denen die Größe der Wolfspopulation dies
     Innerhalb ihres Aktionsraums können Ein-                       nicht rechtfertigt.
     zeltiere Entfernungen von bis zu 30 Kilome-
     tern pro Tag zurücklegen [36, 40].                             Nach dieser Richtlinie gilt ein Erhaltungszu-
                                                                    stand als „günstig“, wenn:
                                                                    • aufgrund von Daten über die Populations-
     G
         SCHUTZSTATUS                                                 dynamik der Art anzunehmen ist, dass
                                                                      diese Art ein lebensfähiges Element des na-
                                                                      türlichen Lebensraums, dem sie angehört,
     G.1
             RECHTLICHER STATUS                                       bildet und langfristig weiterhin bilden
                                                                      wird;
     G.1.1
             INTERNATIONALE GESETZGEBUNG                            • das natürliche Verbreitungsgebiet der Art
                                                                      weder abnimmt noch in absehbarer Zeit
     Der Wolf ist im Anhang 2 des als Berner Kon-                     vermutlich abnehmen wird;
     vention bekannten Übereinkommens über                          • ein ausreichend großer Lebensraum vor-
     die Erhaltung der europäischen wildleben-                        handen ist und wahrscheinlich weiterhin
     den Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen                     vorhanden sein wird, um langfristig ein
     Lebensräume (1979) gelistet. Dazu gehört                         Überleben der Populationen dieser Art zu
     der Schutz der Art und ihrer Reproduktions-                      sichern.
     stätten. Verboten sind insbesondere: das ab-
     sichtliche Einfangen, Einsperren oder Töten                    Abbildung 5 zeigt den aktuellen Schutzstatus
     von Individuen, die absichtliche Beschädi-                     der zehn europäischen Wolfspopulationen
     gung oder Zerstörung von Wurfplätzen, die                      (sowie ihre Einstufung auf der Roten Liste,
     absichtliche Störung insbesondere in der                       deren Kategorien von „nicht gefährdet“ bis
     Reproduktionszeit und der Binnenhandel so-                     „vom Aussterben bedroht“ reichen).
     wohl mit lebenden als auch mit toten Tieren.
     Im Jahr 2014 gab der Ständige Ausschuss der                    G.1.2
                                                                            REGIONALE GESETZGEBUNG
     Berner Konvention im Interesse einer wirk-
     samen Erhaltung des Wolfs und aufgrund der                     Internationale Rechtsvorschriften, die Canis
     Schwierigkeit, Wölfe von ihren Hybriden zu                     lupus betreffen, wurden in regionales Recht
     unterscheiden, eine Empfehlung (Nr. 173)                       umgesetzt, insbesondere in das Gesetz über
     über Hybridisierungen zwischen Hunden                          die Erhaltung der Natur vom 12. Juli 1973.
     und Wölfen heraus. Diese Empfehlung um-                        Der Wolf fällt unter Artikel 2bis dieses Geset-
     fasst Maßnahmen zur Überwachung, Ver-                          zes und ist in dessen Anhang 2a aufgeführt,
     hinderung und Begrenzung von Kreuzungen                        was bedeutet, dass die Art einen umfassen-
     zwischen wilden Wölfen und Hunden.                             den Schutz genießt.
15

                      Ständige Präsenz

                      Gelegentliches Vorkommen                                   Karelien:
                                                                          Stark gefährdet

                                                                    Skandinavien:
                                                                    Stark gefährdet

                                                                      Mitteleuropäisches
                                                                      Flachland:                                                          Baltikum:
                                                                      Stark gefährdet                                                     Nicht
                                                                                                                                          gefährdet

                                                                                                                                         Karpaten:
                                                                                                                                         Nicht
                                                                                                                                         gefährdet

Iberische Halbinsel:
   Nicht gefährdet

                                                                                 Alpen:
                                                                            Stark gefährdet                            Dinariden u. Balkan:
                                                  Sierra Morena:                                                         Nicht gefährdet
                                                  Vom Aussterben                             Italienische Halbinsel:
                                                  bedroht                                           Gefährdet

   ABBILDUNG 5. Verteilung der zehn in Europa erfassten
   Wolfspopulationen und ihr jeweiliger Status nach der Habitat-
   Richtlinie (Anhang IV = streng geschützt oder Anhang V = teilweiser
   Schutz), der auf Grundlage des Rote-Liste-Status zugewiesen wird.
   Quelle: Chapron et al. 2014 [41]; Aktualisierung Reinhardt 2016 [13]
16             AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

               Dieser Schutz verbietet insbesondere das                       Der Ausgleich für Schäden im Zusammen-
               absichtliche Fangen und/oder Töten von In-                     hang mit bestimmten geschützten Tierarten
               dividuen sowie deren absichtliche Störung                      wird durch Artikel 58sexies des Naturschutz-
               vor allem während der Reproduktionszeit,                       gesetzes vom 12. Dezember 1997 und durch
               die Beschädigung oder Zerstörung von Re-                       den Erlass der wallonischen Regierung vom
               produktionsstandorten oder jeglicher na-                       8. Oktober 1998 geregelt. Mit dessen jüngs-
               türlicher Lebensräume, in denen die Art                        ter Änderung** wurde der Wolf in die Liste
               anzutreffen ist, sowie das Präparieren, das                    der Arten aufgenommen, die für eine Ent-
               Sammeln, das Halten, den Transport, den                        schädigung in Frage kommen. Diese deckt
               Austausch oder den Verkauf von Exempla-                        potenzielle Schäden ab, die dieser Fleisch-
               ren, die verletzt, krank oder tot aufgefunden                  fresser insbesondere an Nutztierherden ver-
               werden.                                                        ursachen kann, sofern die DNF unverzüglich,
                                                                              spätestens jedoch 48 Stunden nach dem Riss
               Die Artikel 5 und 5bis des Naturschutzgeset-                   verständigt wird, um eine angemessene Be-
               zes definieren die Modalitäten für Ausnah-                     gutachtung an ausreichend frischen Kada-
               men von den Maßnahmen zum Schutz von                           vern vornehmen zu können. Ersetzt werden
               Tier- und Pflanzenarten. Gemäß dem Erlass                      direkte Schäden an toten oder verletzten
               der wallonischen Regierung vom 20. Novem-                      Tieren, die den Betriebsinhabern gehören.
               ber 2003 über die Gewährung von Befreiun-                      Ein erläuterndes Rundschreiben vom Mai
               gen von Maßnahmen zum Schutz von Tier-                         2018 präzisiert das Verfahren (Organisation
               und Pflanzenarten mit Ausnahme von Vögeln                      eines Gutachtens, Schadensbestätigung und
               kann ein solcher Antrag beim Generalinspek-                    -ermittlung, Entschädigung). Es ist auf der
               tor der DNF über ein detailliertes Formblatt                   Website reseauloup.be abrufbar.
               gestellt werden, in dem die Art des Vorgangs,
               für den die Befreiung beantragt wird, die                      Darüber hinaus sieht der Rechtsrahmen vor,
               betroffenen Arten und die Anzahl der be-                       dass die DNF bei der Bearbeitung von An-
               troffenen Exemplare für jede Art sowie die                     trägen beschließen kann, eine zusätzliche
               gegebenenfalls anzuwendenden Mittel, Ein-                      Entschädigung zu gewähren, die für Maßnah-
               richtungen und Methoden und der Zeitraum                       men zur Prävention einer Wiederholung des
               und der Ort anzugeben sind, für den die Aus-                   Schadens verwendet werden kann.
               nahmegenehmigung gelten soll. Zudem muss
               nachgewiesen werden, dass es keine andere                      G.2
                                                                                    ROTE LISTE
               zufriedenstellende Lösung für die Situation
               gibt und keine negative Auswirkung auf den                     Im Jahr 2018 wurde der Status von Canis lupus
               Schutzstatus der Art zu befürchten ist, für die                in seinem globalen Verbreitungsgebiet mit
               die Ausnahmegenehmigung beantragt wird.                        „Least concern“ (LC, nicht gefährdet) bewer-
                                                                              tet. Auf einer feineren Skala wurden jedoch
               Auf strafrechtlicher Ebene stellt das Wildern                  je nach betroffener Population unterschiedli-
               eines Wolfs einen Verstoß dritten Grades                       che Gefährdungskategorien festgelegt. Diese
               dar, der mit Strafen zwischen acht Tagen und                   reichen von „vom Aussterben bedroht“, was
               sechs Monaten Gefängnis und 100 bis 100.000                    die Population der zentralspanischen Sierra
               Euro Bußgeld belegt ist*, wobei sich diese                     Morena betrifft, bis hin zur Einordnung bei-
               Strafen im Wiederholungsfall innerhalb von                     spielsweise der baltischen und iberischen
               drei Jahren verdoppeln.                                        Populationen als „nicht gefährdet“. Die Al-
                                                                              pen- und mitteleuropäischen Flachlandpopu-
                                                                              lationen, die die potenziellen Quellpopulatio-
                                                                              nen für in die Wallonie einwandernde Tiere
                                                                              darstellen, sind als „gefährdet“ bzw. „stark
* Die Geldbußen werden um die
                                                                              gefährdet“ eingestuft. Diese Einstufung wird
  Zuschlagzehntel erhöht, d. h. diese Beträge                                 voraussichtlich auf Grundlage der jüngsten
  müssen mit 8 multipliziert werden.                                          Entwicklungen und der Ergebnisse der Be-
** Erlass der wallonischen Regierung vom                                      richterstattung 2013/2018 im Rahmen der
   9. November 2017.
                                                                              Umsetzung des Natura-2000-Netzes revidiert
                                                                              werden.
17

Wilde Huftiere wie Rehe machen einen bedeutenden Anteil der Nahrung des Wolfs aus.
18   AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

     Auszüge aus einem Video des ersten in Wallonien entdeckten Wolfs aus der
     italienisch-alpinen Population. Die Kamerafalle wurde aufgestellt, um die Größe einer
     Familiengruppe Dachse zwecks Populationsmonitoring dieser Art in der Wallonischen
     Region zu ermitteln; in der Nähe von Ebly (Region Neufchâteau), Juni 2019.
19

2016 wurde die Einstufung der Arten in Belgi-    Hierzu gehört die Infragestellung der Rolle
en nach IUCN-Kriterien für Statbel überprüft.    der Weidehaltung beim Management von
Der Wolf galt bis dahin als regional ausge-      Offenland mit hoher Artenvielfalt. Sozio-
storben. Der jüngst nach Europa übermittelte     logisch gesehen ist es die Konkurrenz zur
vereinfachte Bericht über den Wolf (Arti-        Weidewirtschaft, die in den Nachbarländern
kel 17) bestätigt jedoch die Präsenz einzelner   wie insbesondere in Frankreich und Deutsch-
Tiere auf belgischem Gebiet, die noch keine      land die heftigsten Kontroversen in Bezug auf
Population gebildet haben (keine Fortpflan-      den Wolf auslöst. Diese werden durch das so
zung). Die Entwicklung des Gefährdungssta-       genannte „surplus killing“-Verhalten einzel-
tus des Wolfs gilt in der kontinentalen Region   ner Tiere verschärft, die bei einem einzigen
derzeit als unsicher und in der atlantischen     Angriff mitunter deutlich mehr Schafe töten
Region als unbekannt.                            (oder verletzen), als ihr Fleischverbrauch
                                                 erfordert. Ausgelöst wird dieses Phänomen
                                                 vom Aufruhr innerhalb der Herde, die auf-
H
 NATÜRLICHE UND ANTHRO­                          grund ihrer Einzäunung an der Flucht ge-
                                                 hindert und von der Anwesenheit des Raub-
POGENE BELASTUNGEN UND                           tiers gestresst wird. Ein solcher Vorfall ist
BEDROHUNGEN                                      für den betroffenen Herdenhalter zweifellos
                                                 traumatisch.
In diesem Kapitel werden nur die wichtigsten
Belastungen und Bedrohungen behandelt,           H.3
                                                       PRÄDATION
die für den Wolf in der Berichterstattung
2013-2018 im Rahmen der Umsetzung des Na-        Der erwachsene Wolf hat in der Wallonischen
tura-2000-Netzes (Artikel 17) aufgeführt sind.   Region keine bedeutenden Fressfeinde. Jun-
                                                 ge Wolfswelpen können gegebenenfalls von
  INTERSPEZIFISCHE BEZIEHUNGEN
H.1
                                                 bestimmten Greifvögeln oder Fleischfressern
(KONKURRENZ, PRÄDATION,                          (Uhu, Fuchs, Hund...) gejagt werden, wobei
GESUNDHEITSRISIKO)                               dies nur selten vorkommt. Fälle von Prädati-
                                                 on eines Wolfsrudels auf ein Rudel von Artge-
Die Koexistenz mit diesem großen Fleisch-        nossen, das seinen Aktionsraum durchquert,
fresser geht mit der Notwendigkeit einher,       sind aufgrund des ausgeprägten Revierver-
über Wechselbeziehungen mit anderen Arten        haltens dieser Art ebenfalls möglich.
nachzudenken, die mit der allmählichen
Rückkehr des Wolfs entstehen werden.             Auf der anderen Seite sind Übergriffe durch
                                                 Wölfe sowohl für Nutztierhalter als auch für
                                                 Jäger ein besorgniserregendes Thema. Die
H.2
      KONKURRENZ
                                                 Angst, die Wolfsübergriffe auf Haustierher-
                                                 den (hauptsächlich Schafe) und wilde Huf-
Angesichts des Fehlens anderer Großraubtie-
                                                 tiere bei verschiedenen menschlichen Inter-
re in der Wallonie, der Größe der Aktionsräu-
                                                 essengruppen erzeugt, ruft viele Spannungen
me des Wolfs, des bei kleinen Fleischfressern
                                                 und emotional geführte Debatten hervor. Von
häufigen Nahrungsopportunismus und der
                                                 diesen gilt es sich zu lösen, um einer mög-
geringen Überschneidung ihres Beutetier-
                                                 lichst objektiven Analyse dieser Übergriffe
spektrums mit dem des Wolfs ist eine Kon-
                                                 und ihrer Auswirkungen sowie einer trans-
kurrenz um Nahrungsressourcen mit diesem
                                                 parenten Informationsvermittlung den Weg
unwahrscheinlich. Die Konkurrenz um La-
                                                 zu ebnen.
gerstätten (z. B. Erdlöcher) bleibt möglich,
aber selten und ohne größere Auswirkungen
                                                 Kontrovers diskutiert werden auch mögliche
für die betroffenen Arten. Wie in den Nach-
                                                 Übergriffe von Wölfen auf Menschen, da die
barländern zeichnet sich Konkurrenz mit der
                                                 Angst vor dem Wolf im kollektiven Unterbe-
Rückkehr des Wolfs hauptsächlich in Bezug
                                                 wusstsein oft noch stark verankert ist. Den-
auf bestimmte menschliche Tätigkeiten wie
                                                 noch haben eingehende wissenschaftliche
insbesondere die Viehwirtschaft und die Jagd
                                                 Untersuchungen in Europa, Nordamerika,
sowie auf bestimmte Naturschutzaspekte ab.
20   AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

     Indien, China und Japan über einen Zeitraum                    nungen können einzelne Wölfe zudem aus
     vom 16. bis zum 21. Jahrhundert bewiesen,                      Gebieten einwandern, in denen Krankheiten
     dass der Mensch keine „normale“ Beute für                      auftreten, die von Zecken übertragen wer-
     den Wolf darstellt [42].                                       den. Es ist daher denkbar, dass sie Zecken
                                                                    einschleppen, die mit Zoonoseerregern der
     Wenn solche Fälle auftraten, ließen sie sich                   Borreliose, der Frühsommer-Meningoen-
     mit einem der vier folgenden Hauptfaktoren                     zephalitis oder der Tularämie infiziert sind.
     erklären:                                                      Das Monitoring des Gesundheitszustands
     • Der Wolf war bzw. die Wölfe waren tollwü-                    der in der Wallonie etablierten Wölfe und
       tig.                                                         die Bewertung des Gesundheitsrisikos in der
     • Es hat eine „Habituation“ stattgefunden                      Herkunftsregion neu zugewanderter Tiere
       (der Wolf hat seine Scheu vor dem Men-                       sollte es ermöglichen, das Gesundheitsrisi-
       schen verlernt).                                             ko innerhalb der in der Wallonie lebenden
     • Es gab eine Provokation (Beispiel: Verteidi-                 Wolfspopulation sowie das Gesundheitsrisiko
       gung des Wurfs durch die Fähe).                              für andere Tierarten und die öffentliche Ge-
     • Die Gegend, in der es zum Übergriff kam,                     sundheit zu beurteilen.
       war stark bebaut.
                                                                    Andererseits ist es auch möglich, dass der
     Derselben Studie zufolge belief sich zwischen                  Wolf durch Prädation einen Rückgang der in
     1950 und 2002 trotz steigender Wolfspopula-                    seinen wilden Beutepopulationen vorhande-
     tionen seit den 1970er Jahren die Anzahl ge-                   nen Krankheitserreger bewirkt.
     meldeter tödlicher Übergriffe auf Menschen
     auf vier Fälle in Europa und vier in Russland,                   WILDEREI (ABSCHUSS,
                                                                    H.5

     während in Nordamerika keine Fälle belegt                      FANG ODER VERGIFTUNG)
     sind.
                                                                    Konflikte, die durch die Wolfsübergriffe auf
     Seit Anfang der 2000er Jahre hat es in Nord-                   Nutztierherden oder wilde Huftierpopula-
     amerika einen tödlichen Übergriff gegeben.                     tionen, mitunter auch einfach durch die von
     Ein zweiter könnte sich in Saskatchewan                        diesem Raubtier ausgelösten Ängste hervor-
     ereignet haben, wobei in den Schlussfolge-                     gerufen werden, führen in den Nachbar-
     rungen der Untersuchung ein Schwarzbär als                     ländern zur widerrechtlichen Entnahme von
     potenzieller Prädator nicht ausgeschlossen                     Wölfen (Wilderei) mit verschiedenen Mitteln
     werden konnte. In der Europäischen Union                       (Abschuss, Fallenstellen, Vergiftung usw.),
     wurde einzig in Griechenland im Jahr 2017                      die auf der Grundlage des Gesetzesrahmens
     ein möglicherweise auf Wölfe zurückzufüh-                      geahndet werden können, sofern sie festge-
     render Todesfall gemeldet, für den jedoch                      stellt werden.
     Wildhunde verantwortlich zu sein scheinen.
     In Frankreich und Deutschland wurden trotz                     Der Fall der Wölfin Naya, die 2019 in Flan-
     der Nettozunahme der Wolfspopulation in                        dern illegal erschossen wurde, als sie kurz
     den letzten zwanzig Jahren keine Fälle von                     davor stand, den ersten Wurf von Wolfswel-
     tödlichen Übergriffen auf Menschen ver-                        pen in Belgien seit über 100 Jahren zur Welt
     zeichnet.                                                      zu bringen, unterstreicht die Notwendigkeit,
                                                                    Maßnahmen zur Verbesserung des Arten-
       GESUNDHEITSRISIKO DURCH
     H.4
                                                                    schutzes zu ergreifen, aber auch die Urheber
     INFEKTIONSKRANKHEITEN                                          solcher Taten angemessen zu bestrafen.

     Der Wolf ist für dieselben Infektionskrank-                    In der Wallonie muss Spannungen im Zusam-
     heiten anfällig wie der Hund. Somit können                     menhang mit der Rückkehr des Wolfs begeg-
     alle von Caniden übertragenen Infektions-                      net werden, da sie sonst zur Gefahr der ille-
     krankheiten auch über Wölfe verbreitet                         galen Ausrottung dieser Art führen könnten.
     werden, auch Krankheiten, die mehr als                         Die Zusammenarbeit mit der Anti-Wilderei-
     eine Art befallen. Aufgrund der für den Wolf                   Einheit UAB scheint zur Bewältigung dieses
     typischen Wanderungen über große Entfer-                       Risikos unerlässlich (siehe Maßnahme 2.1.).
21

  FRAGMENTIERUNG DER
H.6
                                                 könnten dem Wolf potenziell zugutekom-
LEBENSRÄUME                                      men, während die Umsetzung spezifischer
                                                 Maßnahmen für den Wolf derzeit angesichts
Die Umwandlung natürlicher Lebensräume           der Unvorhersehbarkeit seiner Wanderbe-
in Stadt- oder Erholungsgebiete, bestimmte       wegungen und der Geschwindigkeit seiner
Waldeinschnitte und Kahlschläge, der Bau         Rekolonisierung unserer Region sowohl ver-
neuer Straßen, die Errichtung von für Tiere      früht als auch utopisch wären.
unüberwindbaren Hindernissen (schwer zu
überquerende Mittelstreifen auf National-          SPORT, TOURISMUS
                                                 H.7

straßen und Autobahnen, Zäune entlang            UND FREIZEITAKTIVITÄTEN
von Hauptverkehrsachsen oder in besonde-
ren Kontexten wie dem der afrikanischen          Der Tourismus, insbesondere der sanfte
Schweinepest etc.) stellen jeweils Barrieren     Tourismus, boomt, wobei die Natur einen
oder potenzielle Gefahren für die Fortbewe-      wichtigen Faktor bei der Auswahl eines tou-
gung, die Etablierung und das Überleben von      ristischen Ziels in der Wallonie darstellt. Die
Wölfen dar.                                      Provinz Luxemburg, in der sich die meisten
                                                 für die Ansiedlung von Wölfen günstigen
Zur Zerschneidung von Lebensräumen               Standorte befinden, zählt zu den meistfre-
können auch spezifische Ereignisse wie z.        quentierten in Europa. Sie ist die einzige wal-
B. Brände beitragen. Angesichts des Klima-       lonische Provinz mit einer Tourismusintensi-
wandels ist zu befürchten, dass Letztere in      tät oberhalb des europäischen Durchschnitts,
Zukunft häufiger auftreten und eine ent-         wobei der Druck durch diese Touristenströ-
scheidende Gefahrenquelle für die künftige       me in bestimmten Gemeinden insbesondere
Wolfspopulation (insbesondere für die Aus-       in der Sommerzeit ansteigt. Dies gebietet es,
wahl der Reproduktionsstandorte) darstellen      einen nachhaltigen und umweltfreundlichen
werden.                                          Tourismus zu fördern, insbesondere vor dem
                                                 Hintergrund der Koexistenz mit dem Wolf.
Die Auswirkungen von Kollisionen mit Fahr-
zeugen auf die Spezies Canis lupus ist ein be-   Im Allgemeinen kann unabhängig von der
deutender Regulationsfaktor für die Wolfspo-     ausgeübten Tätigkeit (Naturerforschung,
pulationen in den Nachbarländern. So fielen      Fotografie, Jagd...) jede menschliche Präsenz
zwischen dem 01.01.2019 und dem 17.12.2019       außerhalb der markierten Wege Störungen
in Deutschland 97 Tiere dem Straßenver-          für dem Wolf verursachen. Dasselbe gilt für
kehr zum Opfer, während im Jahr 2012 nur         nicht angeleinte Hunde, die große Schäden
11 durch Fahrzeuge getötete Wölfe erfasst        für die gesamte wilde Tierwelt verursachen.
worden waren[10]. Dieser Anstieg geht mit        Jede Aktivität im Freien darf somit nur im
der raschen Zunahme der Anzahl an Rudeln         Einklang mit den Rechtsvorschriften über
im Land einher, von denen es Ende 2019 erst-     den Verkehr im Wald (insbesondere dem
mals wieder über hundert gab. Während des        Waldgesetz) und mit Rücksicht auf das Natur-
Dispersals von Jungwölfen auf Reviersuche        erbe erfolgen.
sind die Sterblichkeitsrisiken erhöht.

Die hohe Dichte des Straßennetzes in west-
europäischen Ländern einschließlich Belgi-
ens lässt erwarten, dass in den kommenden
Jahren auch bei uns Wölfe dem Straßenver-
kehr zum Opfer fallen. Die Umsetzung von
Maßnahmen zur Verbesserung der Vernet-
zung von Lebensräumen für Wildtiere ist
Teil grundsätzlicher, nicht wolfspezifischer
Überlegungen, die Thema der Strategie Bio-
diversität 360° sein werden. Die in diesem
Zusammenhang geplanten Maßnahmen
22         AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

Akela, aus der deutsch-polnischen Population
stammender Rüde, Hohes Venn, Februar 2019.
23

   TEIL II:

Aktionsplan
24   AKTIONSPLAN FÜR EIN AUSGEWOGENES ZUSAMMENLEBEN VON MENSCH UND WOLF IN DER WALLONIE - JUNI 2020

     Die Ansiedlung eines Rudels ist die logische                   nahmen und die Transparenz der Kommu-
     Fortsetzung der Dispersionsphase, die in                       nikation über den Wolf sind die besten Ga-
     Wallonien in den letzten Jahren zaghaft ein-                   ranten für eine wirksame Politik im Hinblick
     gesetzt hat. Die Folgen dieser Rekolonisie-                    auf die doppelte Zielsetzung dieses ersten
     rung werden unweigerlich zu Spannungen                         Aktionsplans Wolf:
     mit bestimmten Interessengruppen inner-                        • Strategisches Ziel 1: Gewährleistung des
     halb der Gesellschaft führen. Diese Spannun-                     Schutzes der Wölfe und ihrer Lebensräume
     gen müssen ab sofort antizipiert und so ge-                    • Strategisches Ziel 2: Erleichterung der Ko-
     lassen und effektiv wie möglich gehandhabt                       existenz mit den Interessengruppen vor
     werden.                                                          Ort

     Zur Vorbereitung dieses Aktionsplans wur-                      Vier Handlungsziele, die jeweils in eine kurze
     den zahlreiche ausländische Experten (aus                      Liste konkreter Maßnahmen unterteilt sind,
     Frankreich, Deutschland, Schweiz, Nieder-                      sollen zur Verwirklichung dieser beiden stra-
     lande etc.) zwecks Klärung bestimmter Punk-                    tegischen Ziele beitragen:
     te kontaktiert. Laut deren Erfahrung stellt die                • Handlungsziel 1: Monitoring der Präsenz
     Prädation von Nutztierherden das Hauptpro-                       und Etablierung von Wölfen in der Wallo-
     blem dar. Dieser Punkt könnte dem Ziel der                       nie
     Arterhaltung der Art kurz-, mittel- und lang-                  • Handlungsziel 2: Artenschutz des Wolfs
     fristig entgegenstehen und muss daher eine                       und gegebenenfalls Management proble-
     der Säulen der Maßnahmen bilden, die die                         matischer Situationen
     Einwanderung des Wolfs in der Wallonie flan-                   • Handlungsziel 3: Unterstützung des Her-
     kieren, sowohl bei der Eindämmung dieses                         denschutzes durch die Umsetzung geeigne-
     Phänomens als auch bei der Kommunikation                         ter Präventions- und Entschädigungsmaß-
     und Sensibilisierung.                                            nahmen
                                                                    • Handlungsziel 4: Sensibilisierung der ver-
     Mit anderen Worten: Die Versachlichung der                       schiedenen betroffenen öffentlichen Inter-
     Situationen, die Umsetzung konkreter Maß-                        essengruppen

     Schulung von Mitgliedern des Netzwerks Wolf durch das französische Amt für Biodiversität.
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HANDLUNGSZIEL 1:                                bei handelt es sich sowohl um Tierärzte des
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MONITORING DER PRÄSENZ
                                                Beauftragte der DNF und der DEMNA, da
UND ANSIEDLUNG VON                              diese Analysen zu den Kernaufgaben dieser
WÖLFEN IN DER WALLONIE                          Mitarbeiter gehören. Falls weiterführende
                                                Analysen erforderlich sind, werden die Kada-
MASSNAHME 1.1. ORGANISATION                     ver an die veterinärmedizinische Fakultät der
                                                Universität Lüttich überführt.
DER ERHEBUNG VON DATEN ÜBER
WOLFSPRÄSENZ IN DER WALLONIE                    Die Effektivität des Netzwerks Wolf muss
UND DEREN VALIDIERUNG                           langfristig gesichert und seine Zusammen-
                                                setzung an die Entwicklung der Wolfspräsenz
KONTEXT                                         auf dem Gebiet der Wallonischen Region an-
                                                gepasst werden.
Um ein wirksames Monitoring der Rekoloni-
sierung der Wallonischen Region durch Wöl-      Das Wolfsmonitoring schließlich ist nur in
fe zu gewährleisten, ist ein funktionierendes   großem Maßstab denkbar, weshalb die DEM-
und reaktionsschnelles System der Daten-        NA enge Kontakte zu öffentlichen Einrichtun-
erhebung und -validierung unerlässlich. Alle    gen der Nachbarregionen wie dem Insitituut
Informationen über Präsenzhinweise oder         voor Natuur- en BosOnderzoek (INBO – Flä-
Sichtungen von Canis lupus müssen mög-          mische Region), der Naturverwaltung des
lichst umgehend analysiert werden, um die       Großherzogtums Luxemburg (ANF – Luxem-
Chancen für eine Artbestimmung in jedem         burg), dem Office Français de la Biodiversité
gemeldeten Fall zu erhöhen. Das Berichtssys-    (OFB – Frankreich), der Universität Wagen-
tem muss zudem für die verschiedenen In-        ingen (WUR – Niederlande), der Forschungs-
teressengruppen aus der Gesellschaft leicht     anstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft
zugänglich sein.                                Rheinland-Pfalz (WALD – RLP – Deutschland)
                                                und dem Landesamt für Natur, Umwelt und
Ein solches System zur Erhebung, Zentrali-      Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LA-
sierung und Validierung von Daten ist bereits   NUV – Deutschland) geknüpft hat.
funktionsfähig: Es handelt sich um das Netz-
werk Wolf*, das von der Abteilung Studie        DIE MASSNAHME KONKRET
des Natur- und Agrarbereichs (DEMNA) der
ÖDW-ARNE koordiniert wird und sich aus          1. Kontinuierliche Verbesserung der Zu-
rund dreißig Vertretern verschiedener Inte-     sammensetzung und Funktionsweise des
ressengruppen (SPW-Mitarbeiter, Herden-         Netzwerks Wolf gemäß den aktuellen Er-
halter, Wissenschaftler, Naturschützer, Jäger   fordernissen: Ein Anstieg der Zahl der zu be-
und Kommunikatoren) zusammensetzt, die          handelnden Fälle wird unweigerlich zu einer
vom Wolf-Luchs-Netzwerk des französischen       Ausweitung des Netzwerks Wolf auf neue
Amts für Biodiversität ausgebildet wurden.      Mitglieder führen. Dieser Ausbau des Netzes
Diese Personen sind verpflichtet, bestimmte     muss auf geografischen Überlegungen fußen,
allgemeine Verhaltensgrundsätze im Hin-         um eine wirksame Abdeckung des gesamten
blick auf die Erfassung und Veröffentlichung    wallonischen Gebiets und ein konsolidiertes
von Daten einzuhalten. Insbesondere müs-        Monitoring in bestimmten Gegenden zu er-
sen sie die Vorschriften über den Verkehr im    reichen. Es ist in der Tat von entscheidender
Wald sowie die Datenschutzbestimmungen          Bedeutung, umgehend auf jede als ernsthaft
beachten.                                       erachtete Meldung zu reagieren. Wichtig
                                                wird auch sein, die Wahrung einer ausgewo-
Bei Übergriffen auf Nutztiere, die zur Ent-     genen Vertretung der verschiedenen Akteure
schädigung von deren Besitzern führen           sicherzustellen, da ihre Vielfalt ein Garant
können, sind nur bestimmte Mitglieder des       für Transparenz und effektive Zusammen-
Netzwerks Wolf befugt, makroskopische
Rissbildanalysen durchzuführen und Proben                             * Nähere Informationen zur Zusammenset-
für eine Erbgutanalyse zu entnehmen. Hier-                              zung und zu den Aufgaben des Netzwerks
                                                                        Wolf: reseauloup.be.
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