Böser Wolf, lieber Wolf - Kommunikation

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Böser Wolf, lieber Wolf - Kommunikation
FORSCHUNG

Böser Wolf, lieber Wolf
Alle reden vom Wolf, aber kaum einer hat ihn je gesehen. Weshalb die
Aufregung? Weil es um weit mehr geht als nur um ein wildes Raubtier,
sagen Kulturwissenschaftler und Wildtierbiologen. Von Michael T. Ganz
Rund 40 Wölfe leben zurzeit in der Schweiz. Ver-    menarbeit mit Bernhard Tschofen und seinem
glichen mit den 35 000 Rothirschen und den          Team. Sie widmete sich der Frage, was der Wolf
350 000 Schafen, die dem Wolf mitunter als Beute    mit uns macht. «Der Wolf ist da. Eine Menschen-
dienen, ist das eine verschwindend kleine Zahl.     ausstellung» wird noch in weiteren Schweizer
Dennoch heisst es allenthalben, der Wolf fresse     Museen zu sehen sein. Der Geschichte des Wolfs
unseren Wildbestand und unsere Herden auf. Seit
Jahren schon ist das scheue Raubtier Gegenstand
einer heftigen ökopolitischen Debatte und schafft          «In der Auseinandersetzung
es immer wieder auf die Titelseiten grosser Zei-         mit dem Wol s iegeln sich unsere
tungen, in Quotensendungen wie die «Arena»                      eigenen on ikte.
und unter die Bundeshauskuppel in den Natio-
                                                            Bernhard Tschofen, Kulturwissenschaftler
nalratssaal. Was ist los mit dem Wolf und uns?
   «Der Wolf ist ein Schlüsselobjekt, an dem wir
Grenzen verhandeln: Was ist Stadt, was ist Land,    im eigentlichen Sinn widmet sich zurzeit eine
was sind Berge», sagt Bernhard Tschofen, Profes-    Sonderschau im Zoologischen Museum der Uni-
sor am Institut für Sozialanthopologie und Em-      versität Zürich.
pirische Kulturwissenschaft der UZH. «In der            «Wiederkehr des Wolfs» – im Grunde genom-
Auseinandersetzung mit dem Wolf spiegeln sich       men sei die Formulierung falsch, sagt Bernhard
unsere eigenen Konflikte, insbesondere jenen        Tschofen. «Der Wolf ist nicht mehr dasselbe Tier
zwischen Kuturlandpflege und Biodiversität.»        wie früher.» Heute lebt er in einer Landschaft mit
«Und solange es Landwirtschaft gibt, wird es        viel mehr Wald und Wild, das Nahrungsangebot
diese Konflikte auch geben», ergänzt Gabriele       ist dadurch grösser. Auch sind die Alpbetriebe
Cozzi, Postdoc am Institut für Evolutionsbiologie   längst nicht mehr so intensiv bewirtschaftet wie
und Umweltwissenschaften. In der Diskussion         noch im 19. Jahrhundert; im Sommer sind Schafe
gehe es weniger um den Wolf als vielmehr um         und Ziegen jeweils über längere Zeit sich selbst
die Frage, wie stark wir Menschen uns in die        überlassen. «Früher», sagt Tschofen, «herrschte auf
Natur einbringen wollen.                            unseren Alpen viel mehr Betrieb.» Alles in allem
                                                    haben wir es dem Wolf also leichter gemacht.
Mit Fallen, Gift und Kugeln
                                                    Blitz und Steinschlag sind gefährlicher
Der Wolf ist von alters her in Europa heimisch,
auch in der Schweiz. Mit dem Au ommen der           Dennoch verkünden die Medien jeden Wild­ oder
Viehzucht wurde er dem Menschen zum Feind,          Schafriss, als wäre er ein vorsätzliches Verbre-
man rückte ihm mit Fallen, Gift und Kugeln zu       chen. In Tat und Wahrheit fallen dem Wolf jähr-
Leibe. Ende des 19. Jahrhunderts war das Raubtier   lich weniger als ein Promille aller Schweizer
hierzulande ausgerottet, nach gut hundert Jahren    Schafe und Ziegen zum Opfer, wesentlich mehr
kam es zurück. Und spätestens seit 2012, als        Kleinvieh stirbt durch Blitzschlag, Steinschlag
Männchen M30 und Weibchen F7 im Bündner             oder Absturz. «Der Wolf ist für Schafe und Zie-
Calanda­Massiv Nachwuchs zur Welt brachten, ist     gen eigentlich ein kleineres Problem», sagt Gab-
der Wolf auch in unseren Köpfen angekommen.         riele Cozzi, «aber in der Wolfsdebatte geht es
   Die Wiederkehr des Wolfs war 2017 Thema          nicht um Zahlen, sondern um Emotionen.» Denn
einer Ausstellung des Alpinen Museums der           in den Diskussionen prallen zwei Philosophien
Schweiz in Bern. Entstanden war sie in Zusam-       aufeinander, die wir uns in der Schweiz auf die       Rund vierzig Wölfe leben heute in der Schweiz: Die Rückkehr des

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Raubtiers hat zu heftigen Debatten geführt.

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Unterschiedlich akzeptiert: Während der Wolf im Wallis unerwünscht ist, wird er in Teilen Graubündens und im Jura durchaus willkommen geheissen.

Fahne geschrieben haben: die Agrarpolitik, die              geht dasselbe Thema populationsökologisch an.                 gen. «Der Wolf lebt gern isoliert in höheren Lagen
den Bauern die Pflege der Kleinviehzucht aufer-             In Zusammenarbeit mit Umweltwissenschaftle-                   mit viel Wald», sagt er, «deshalb sind die Alpen
legt, und die Umweltpolitik, die den seit 1979              rinnen und Sozialgeografen will er herausfinden,              ein idealer Lebensraum.» Das ist das eine. Das
unter Schutz gestellten Wolf zulassen will.                 welche Lebensräume dem Wolf von der Natur her                 andere ist die menschliche Komponente, die Ak-
   Ziel von Tschofens Forschung ist es, die Dicho-          zustünden und welche wir Menschen ihm zuge-                   zeptanz. Cozzi hat die Schweizer Bevölkerung
tomie von Wolfsbefürwortern und Wolfsgegnern                stehen. Auch hier gibt es einen Konflikt.                     grossflächig befragt. Ergebnis: Von den knapp
aufzubrechen. Im Rahmen des Nationalfondspro-                                                                             14 000 Quadratkilometern Fläche, die sich für den
                                                            Der Wolf, ein Krimineller
jekts «Wölfe: Wissen und Praxis» untersucht sein                                                                          Wolf eignen, ist er bloss auf 2500 Quadratkilome-
Team die kulturellen Aspekte im Umgang mit                  Gabriele Cozzi hat Studien zu Wolfshabitaten aus              tern geduldet. Im Wallis beispielsweise ist das Tier
dem Wolf in Alltag und Politik. Gabriele Cozzi              Italien und Frankreich auf die Schweiz übertra-               mehrheitlich unerwünscht, während es in Teilen

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Grimm und endet beim letzten erschossenen             lich gemacht, dass Herr und Frau Schweizer
                                                     Wolf im Tal, dessen Fell heute im Dorfmuseum          wenig Ahnung hätten von Wölfen und ihrer Le-
                                                     hängt. Die neue Wolfspräsenz in der Schweiz           bensweise. Mit den Bemühungen um den Her-
                                                     bringt all dies wieder hoch.» Da sind die Bilder      denschutz sei man auf dem richtigen Weg. «Wir
                                                     vom bösen Wolf, der aufrecht geht und vor-            sollten bereit sein, den Wolf dort zu empfangen,
                                                     täuscht, ein Mensch zu sein. Die Bilder vom Wer-      wo er geeignete Lebensräume findet und die Be-
                                                     wolf, dem Menschen also, der nachts zur Bestie        völkerung ihn einigermassen akzeptiert», meint
                                                     wird. «Der Wolf war schon immer ein Täter und         Cozzi.
                                                     wurde stets wie ein Mensch kriminalisiert», sagt         Bernhard Tschofen seinerseits möchte zum
                                                     Tschofen.                                             besseren Verständnis der in der Wolfsdiskussion
                                                        Warum? «Weil sich Mensch und Wolf seit jeher       oft beklagten Emotionalität beitragen. Und auch
                                                     konkurrenzieren», meint Gabriele Cozzi. «Beide        zum besseren Verständnis der dahinter verbor-
                                                                                                           genen Ökonomien. Abgesehen von diffusen
                                                                                                             ngsten dreht sich die Wolfsdiskussion auch ums
                                                          n der Wol sdebatte geht es nicht um              Geld. Die Schafrisse und der Herdenschutz ver-
                                                           ahlen, sondern um motionen.                     ursachten hohe Kosten, heisst es stets. Dabei geht
                                                                Gabriele Cozzi, Evolutionsbiologe          es beispielsweise unserer Weisstanne wesentlich
                                                                                                           besser, seitdem der Wolf wieder da ist. Dank sei-
                                                                                                           ner Anwesenheit traut sich die Gämse nicht mehr
                                                     leben in Familien, beide ernähren sich von            in tiefere Lagen, sondern bleibt in ihrem ange-
                                                     Fleisch.» Beim Bären etwa ist das anders. Auch er     stammten hochalpinen Habitat. Die Schäden an
                                                     drängt heute vielerorts in seine angestammten         den Bäumen sind dadurch deutlich zurückgegan-
                                                     Lebensräume zurück und gerät dabei mit dem            gen, ebenso die Folgekosten. «Und auch den Scha-
                                                     Menschen in Konflikt. Von ihm ist in der Bevöl-       fen geht es heute besser als früher, weil man
                                                     kerung jedoch kaum die Rede. «Dabei», sagt            ihnen dank der Wolfspräsenz wieder besser
                                                     Cozzi, «ist der Bär für den Menschen gefährlicher     schaut», sagt Gabriele Cozzi.
                                                     als der Wolf.»                                           Die Zahlen geben Cozzi recht. Vor der Rück-
                                                        Die Angst vor dem Wolf ist also nicht nur die      kehr des Wolfs in die Schweiz gingen jährlich
                                                     Furcht vor dem Fremden. Sie liegt tiefer. «Es ist     rund 10 000 Schafe durch Unfälle oder andere
                                                     die Angst um unsere Souveränität», sagt Bern-         Einwirkungen verloren. Seitdem sich die Schaf-
                                                     hard Tschofen. «Wir wünschen uns politische           besitzer im Sommer wieder mehr um ihre Tiere
                                                     Souveränität über die Natur und über die Zu-          kümmern, sind die Verluste auf weniger als die
                                                     kunft.» Der Wolf ist das ideale Objekt, um diesem     Hälfte geschrumpft, die Risse durch den Wolf
                                                     Wunsch Gestalt zu geben. Es geht schon längst         eingerechnet. Für Bernhard Tschofen ist deshalb
                                                     nicht mehr um die Frage, ob wir den Wolf wollen       klar: Wenn wir vom «Umgang des Menschen mit
                                                     oder nicht, denn der Wolf ist bereits da. «Wir sind   der Natur» sprechen, machen wir uns ziemlich
                                                     schon in der zweiten Phase», sagt Tschofen. Im        viel vor. «Wir sind nicht die Einzigen, die mit der
                                                     Südtirol beispielsweise stecke die Wolfsdiskus­       Natur umgehen», sagt Tschofen. «Es gibt noch
                                                     sion erst in den Anfängen, die Schweiz sei bereits    viele andere Akteure, die das auch tun und tun
                                                     im «Expertenstadium». Und Cozzi ergänzt: «In          dürfen. Zum Beispiel der Wolf.»
Graubündens und des Mittellands sowie im Jura        der Schweiz reden wir nicht mehr nur vom Wolf,
durchaus willkommen ist. Für Cozzi ist klar: «Wer    wenn wir vom Wolf reden. Wir reden von Politik
noch nie mit dem Wolf konfrontiert war, hat nichts   und Parteien.»
gegen seine Präsenz einzuwenden.»
                                                     Verhärtete Fronten
   Bernhard Tschofen erkennt in der unterschied-
lichen Akzeptanz auch regionale Unterschiede         Und die Fronten sind längst verhärtet. Wie also       Kontakt: Prof. Bernhard Tschofen, tschofen@isek.uzh.ch,
im Umgang mit der Wolfstradition. «Regionen          soll es weitergehen? Der Wolf werde bleiben, sein     Dr. Gabriele Cozzi, gabriele.cozzi@ieu.uzh.ch
haben verschiedene Überlieferungen, verschie-        Habitat sich verbessern, sagt Cozzi. Als wichtig
                                                                                                           Die Ausstellung «Wolf – wieder unter uns» ist noch bis
dene Gedächtnisse», sagt der Kulturforscher.         erachtet er gute Information. Die Auswertung der      zum 10. Juni 2018 im Zoologischen Museum der UZH zu
«Das beginnt bei den Märchen der Gebrüder            Fragebogen zur Akzeptanz des Wolfs habe deut-         sehen (www.zm.uzh.ch).

                                                                                                                                             UZH MAGAZIN 1/18        13
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