Anforderungen an eine fachlich valide Erprobung von technischen Systemen zur bedarfsgerechten Betriebsregulierung - von Windenergieanlagen ...

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Anforderungen an eine fachlich valide Erprobung von technischen Systemen zur bedarfsgerechten Betriebsregulierung - von Windenergieanlagen ...
ANFORDERUNGSPROFIL

       Anforderungen an eine
      fachlich valide Erprobung
   von technischen Systemen zur
bedarfsgerechten Betriebsregulierung
      von Windenergieanlagen
Anforderungen an eine fachlich valide Erprobung von technischen Systemen zur bedarfsgerechten Betriebsregulierung - von Windenergieanlagen ...
Impressum:
© KNE gGmbH, Stand 14.03.2019

Herausgeber:
Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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V. i. S. d. P.: Dr. Torsten Raynal-Ehrke
HRB: 178532 B
Bearbeitung: Eva Schuster, Dr. Elke Bruns

Zitiervorschlag:
KNE (2019): Anforderungsprofil „Anforderungen an
eine fachlich valide Erprobung von technischen Sys-
temen zur bedarfsgerechten Betriebsregulierung von
Windenergieanlagen“.

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Bildnachweis:
Titel: fotolia.de – Frank, Mattoff
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                                        Inhaltsverzeichnis

1.    Einführung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 4
      1.1      Stand des Wissens und Notwendigkeit der Erprobung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 4
      1.2      Zielstellung des vorliegenden Papiers .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  5
      1.3      Vorgehensweise bei der Erstellung des vorliegenden Papiers  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 5

2. Erprobungsfragen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 6

3.    Rahmenbedingungen der Erprobung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  7

4.    Zweitsysteme .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  9
      4.1      Einsatz von geschulten Beobachtern  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 9
      4.2      Einsatz technischer Zweitsysteme .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 11
      4.3      Sicherung einer ausreichenden Stichprobenzahl .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 12

5.    Untersuchungszeitraum und -design  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 13

6.    Erprobungskriterien .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 14
      6.1      Abdeckungsrate und allgemeine Standorteignung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 14
      6.2      Erfassungsreichweite  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 16
      6.3      Erfassungsrate  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 19
      6.4      Klassifizierung des Flugobjektes .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 20
      6.5      Wirksamkeit und Effizienz der Systemreaktion .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 21

7.	Vorüberlegungen und Hinweise zur Erprobung der (Langzeit-) Wirkung akustischer Warnung/
      Vergrämung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 22

8.    Ablauf einer Erprobung unter der fachlichen Begleitung des KNE  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 24
      8.1      Initiierung eines Erprobungsfalls durch einen Akteur bzw. eine Akteursgruppe (bspw. Betreiber)  .  .  .  . 24
      8.2      Vernetzung beteiligter Akteure und Moderation begleitender Arbeitstreffen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 25
      8.3      Durchführung der Erprobung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 25
      8.4      Veröffentlichung der Ergebnisse und Wissenstransfer in die Praxis  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 26
      8.5      Zusammenführung der Erprobungsergebnisse aus mehreren Erprobungsfällen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 26

9.    Literaturverzeichnis  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 27

10. Anhang .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 28

                                                                                      Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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                                                                            KAPITEL 1

                                                          Einführung

1.1 Stand des Wissens und Notwendigkeit der Erprobung

Der Einsatz von technischen (insbesondere Kamera-                                                In betreiberinitiierten Erprobungsfällen, in denen
und Radar-)Systemen zur Verminderung von Vogel-                                             das KNE als „neutrale Instanz und Wissensträger“ ein-
kollisionsrisiken an Windenergieanlagen (WEA) durch                                         bezogen ist, dient das Anforderungsprofil als Grund-
bedarfsgerechte               Betriebsregulierung              wird     aktuell             lage der Beratung. Es wird jeweils zu entscheiden sein,
intensiv diskutiert. Es stellen sich die Fragen, ob a) diese                                wie die Anforderungen in den Erprobungsfällen best-
Systeme Prognoseunsicherheiten über Kollisionsrisi-                                         möglich erfüllt werden können. Das Anforderungspro-
ken am Standort verringern können und ob b) durch                                           fil kann – unter Einbeziehung von Anwendungserfah-
die mit der Vogelerkennung gekoppelte, bedarfsge-                                           rungen aus den Erprobungsfällen in Forschung und
rechte Abschaltung das Kollisionsrisiko unter die Signi-                                    ­Praxis – in einen „Leitfaden Erprobung“ münden. Hier-
fikanzschwelle gesenkt werden kann.                                                         für werden weitere Abstimmungsschritte erforderlich
        Sowohl von Betreiber- als auch von Behörden- und                                    sein.
Verbandsseite besteht ein Interesse daran, Antwor-
ten auf diese Fragen zu erhalten und Klarheit über
die Einsatzmöglichkeiten von Detektionssystemen
mit automatisierter Abschaltung zu gewinnen. Ob die
marktverfügbaren Detektionssysteme1 hinreichend
leistungsfähig und zuverlässig sind, um das Kollisions-
risiko unter die Signifikanzschwelle senken zu können,
wurde bislang noch kaum fachwissenschaftlich unter-
sucht. 2 Durch die Entwicklung eines Anforderungspro-
fils für die fundierte Erprobung der Systeme möchte
das KNE mit Unterstützung von Fachexperten und
-expertinnen einen Beitrag zur Klärung dieser Frage
leisten.

1       Eine Übersicht über marktverfügbare Systeme liefert KNE (2018). GPS/Geofences als technischer Ansatz zur Vogelortung und zur bedarfsgerechten
        Betriebsregulierung bleiben hier unberücksichtigt. Ihr Einsatz kommt nur in speziellen Fällen in Betracht. Sie werden in Kapitel 4 als mögliches Zweitsystem
        angeführt.
2       Die Weiterführung des FuE-Projektes „NatForWINSENT“ des Bundesamtes für Naturschutz (Laufzeit: 01.11.2018 – 30.10.2021), soll dazu beitragen, Erkenntnisse
        über die Verminderungswirksamkeit von ausgewählten Systemen an einem Standort in Baden-Württemberg zu gewinnen.

Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
K apitel 1
                                                                                                                                      |   5

1.2 Zielstellung des vorliegenden Papiers

Ziel ist es, durch die Bereitstellung des Anforderungs-              Natürlich kann es auch Fälle geben, in denen es
profils eine Orientierung für die Durchführung von              der Behörde zur Klärung der Genehmigungsfähigkeit
Systemerprobungen in der Praxis zu leisten, um die              einer Einzelanlage genügt, wenn nicht das vollständige
Neutralität und Qualität der Erprobungsergebnisse zu            Prüfprogramm entsprechend dem Anforderungsprofil
sichern. Die Erprobungen tragen so zur Bildung einer            durchgeführt wird. In solchen Fällen kann jedoch keine
fundierten Entscheidungsgrundlage bei, um die grund-            generalisierte Zulassung des Systems als „geeignete
sätzliche, systemspezifische Eignung von Detektions-            und wirksame Verminderungsmaßnahme“ daraus
systemen als wirksame Verminderungsmaßnahme                     abgeleitet werden.
zu beurteilen und um eine Identifikation sinnvoller
Anwendungsfälle zu ermöglichen.

1.3 Vorgehensweise bei der Erstellung des vorliegenden
    Papiers

Am 5. Juli 2018 fand ein Fachgespräch mit Experten              werden im Folgenden nicht weiter behandelt. Der Ein-
bzw. Expertinnen aus Wissenschaft und Genehmi-                  satz erfolgt bei L
                                                                                 ­ etzteren insbesondere zur Erkennung
gungspraxis (s. Anhang 10.1) statt. Die Teilnehmer und          von Kleinvögeln, die vor allem zur Zugzeit in großer
Teilnehmerinnen waren eingeladen, sich über den                 Dichte vorkommen und in topografisch beeinflussten
bisherigen Wissensstand bezüglich der Erprobung                 Gebieten an WEA verunfallen (schriftlicher Kommentar
von marktverfügbaren Kamera- und Radarsystemen                  Janine Aschwanden).
zu informieren. Anschließend brachten die Teilneh-                   Das vorliegende Anforderungsprofil stellt einen
menden ihre Erfahrungen in die Diskussion über Eck-             fachlich konsolidierten Arbeitsstand dar, der durch
punkte eines Anforderungsprofils für die Durchfüh-              einen fortschreitenden Erkenntnisgewinn aus ersten
rung „­Bottom-up“-initiierter Erprobungen ein.                  Erprobungsfällen iterativ weiterentwickelt werden soll.
   Das vorliegende Papier fasst den Stand des Wis-
sens über Rahmenbedingungen der Erprobung sowie
über die Durchführung einer strukturierten und fach-
lich validen Erprobung der Technologien auf der Basis
des Fachgesprächs zusammen. Auch wurden schrift-
liche Kommentare der Experten und Expertinnen zum
Anforderungsprofil bei einer nachfolgenden Über-
arbeitung berücksichtigt und das Papier dadurch kon-
solidiert. Der Fokus liegt auf Systemen zur Erkennung
einzelner, sich der WEA annähernden mittelgroßen bis
großen Vögeln. Systeme, die eine Quantifizierung der
generellen Flugaktivität von insbesondere Zugvögeln
(Anzahl der Vögel pro Kilometer und Stunde) vorse-
hen, um dann, ab einer gewissen Anzahl, abzuschalten,

                                                      Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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                                                                    KAPITEL 2

                                  Erprobungsfragen

Im Rahmen einer Systemerprobung am jeweiligen                                      Daraus ergeben sich die folgenden Erprobungskrite-
Standort sind eine Reihe von Fragen zu beantworten,                                rien, die in Kapitel 6 näher beschrieben werden:
um eine differenzierte Darstellung der Systemleis-
                                                                                        Abdeckungsrate und allgemeine Standorteignung,
tungsfähigkeit in Abhängigkeit von unterschiedlichen
Standorteigenschaften und vorherrschenden Bedin-                                        Erfassungsreichweite,
gungen zu erreichen. Neben der Überprüfung der Sys-
                                                                                        Erfassungsrate,
temzuverlässigkeit hinsichtlich der Verminderung des
Vogelkollisionsrisikos (Wirksamkeit) werden deshalb                                     Flugobjektklassifizierung,
auch die Praktikabilität sowie die Wirtschaftlichkeit
                                                                                        Wirksamkeit und Effizienz der Systemreaktion.
(­Effizienz) bei der Anwendung am WEA-Standort mit-
berücksichtigt, um eine umfassende Entscheidungs-
grundlage zu erhalten. Nachfolgende Erprobungs­                                    Aus dem Fachgespräch ging hervor, dass der Einsatz
fragen gilt es zu beantworten:                                                     einer akustischen Warnung bzw. Vergrämung unter
                                                                                   anderem aufgrund artenschutzrechtlicher Bedenken
1) Welche räumliche und zeitliche Abdeckung wird                                   in wenigen Einzelfällen in Betracht kommt. Der Voll-
    durch das erprobte System grundsätzlich erreicht,                              ständigkeit halber werden in Kapitel 7 Vorüberlegun-
    und was sind die begrenzenden s­ ystem- und                                    gen für eine Erprobung einer akustischen Warnung/
    standortspezifischen Faktoren?                                                 Vergrämung dargestellt. Im Erprobungsfall bedarf es
                                                                                   hierzu einer weiteren Konkretisierung.
2) Auf welche Entfernung zur WEA werden
    ­F lugobjekte in Abhängigkeit von Körpergröße, Flug-
    verhalten, Anflugwinkel und Witterungs-/Lichtver-
    hältnissen sicher erfasst?

3) Wie viele von den tatsächlich vorkommenden
    Flugobjekten werden erfasst, und w
                                     ­ elche Faktoren
    beeinflussen die Erfassungsrate (korrekte Erfas-
    sung, Falsch-Positiv- und Falsch-Negativ-Rate)?

4) Werden die erfassten Flugobjekte durch das
    System richtig in systemspezifische K
                                        ­ lassen (u. a.
    vogelartige Flugobjekte, Zielarten) unterschieden?

5) Welche Wirksamkeit und Effizienz werden durch die
    Systemreaktion (hier: Abschaltung) erreicht?

Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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                                                  KAPITEL 3

                   Rahmenbedingungen
                      der Erprobung
Die im Nachfolgenden genannten Anforderungen
                                                                WEA-Bestand und Genehmigungsstatus
bieten den fachwissenschaftlichen Rahmen für eine
valide Systemerprobung. Soweit möglich, wird auf                Nicht nur die Eigenschaften des Erprobungssystems
mögliche Fallkonstellationen bzw. Szenarien einge-              und des Standorts (u. a. Geländestruktur, WEA-An-
gangen. Es wird aber darüber hinaus erforderlich sein,          zahl und Anordnung) können Anpassungen der Erpro-
die Erprobungsmethode unter Berücksichtigung der                bungsmethode erfordern, sondern auch der Status der
einzelfallspezifischen Gegebenheiten zu konkretisie-            Genehmigung. Möglicherweise kann in manchen Fällen
ren. Die einzelfallspezifischen Aspekte, von denen das          dann keine vollständige Abarbeitung aller Erprobungs-
Erprobungsdesign abhängt, sind:                                 kriterien erfolgen. So kann es sich um eine Erprobung:

                                                                    an bereits genehmigten und in Betrieb befindlichen
Zu erprobende marktverfügbare
                                                                    WEA handeln, mit dem Ziel, auf der Grundlage eines
Kamera- und Radarsysteme
                                                                    Auflagenvorbehaltes oder eines Antrags auf Geneh-
Durch Unterschiede in der Funktionsweise von                        migungsänderung, eine Reduzierung pauschaler
Kamera- und Radarsystemen wie auch deren Positio-                   Abschaltzeiten durch eine bedarfs­gerechte Betriebs-
nierung (bspw. Installation am Turm oder entfernt von               regulierung zu erreichen.
WEA) ergeben sich unterschiedliche Erfordernisse bei
                                                                    an bereits genehmigten und in Betrieb befind­
der Abarbeitung der Erprobungskriterien (s. Kapitel 6).
                                                                    lichen WEA handeln, zu welchen der Betreiber
So können diese Unterschiede beispielsweise Auswir-
                                                                    freiwillig bereit ist, um einen Erkenntnisgewinn für
kungen auf die Wahl des eingesetzten Zweitsystems
                                                                    zukünftige Vorhaben zu erreichen. Gegebenenfalls
(s. Kapitel 4) zur Erprobung oder auf die Position des
                                                                    wird die Erprobung hier ohne eine tatsächliche
Beobachters haben oder aber auch zu einem Fokus
                                                                    Abschaltung der WEA durchgeführt. Dabei muss
auf einzelne Erprobungsfragen führen. Die Erfas-
                                                                    sichergestellt werden, dass dem Projektierer durch
sungsreichweite kann im Fall einer Radarerprobung
                                                                    neugewonnene Erkenntnisse über Artvorkommen
direkt aus den Systemdaten entnommen werden,
                                                                    bzw. Flugaktivitäten am Standort kein Nachteil
während sie bei den meisten Kamerasystemen, mit
                                                                    entsteht.
Ausnahme von Stereokameras, über ein zweites Sys-
tem ermittelt werden muss. Generell sollte in diesen                eines Systems als Bestandteil der beantragten
Beispielfällen jedoch die Genauigkeit der Systeme mit               Genehmigung handeln, wodurch ein stufenweises
automatischer Reichweitenerfassung im Erprobungs-                   Vorgehen (Erprobungsphase vor Bau, Inbetrieb-
fall verifiziert werden. Dies kann mit Hilfe von syste-             nahme nach erfolgreicher Erprobung) erforderlich
matischen Drohnenflügen erfolgen (s. Kapitel 4.3 und                werden kann. Zudem können weitere „Sicher-
6.2). An manchen Standorten können zudem mehrere                    heitsmaßnahmen“ (bspw. manuelle Abschaltung
Systeme parallel erprobt werden.                                    bei akuter Kollisionsgefahr) in Erwägung gezogen
                                                                    werden.

                                                      Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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    |   K apitel 3

    an Standorten ohne vorhandene WEA handeln, bei                                 Zu berücksichtigendes Artenspektrum
    der die grundlegende Leistungsfähigkeit des zu
                                                                                   Ob bei der Erprobung alle am Standort vorkommen-
    erprobenden Systems hinsichtlich seiner Detek-
                                                                                   den kollisionsgefährdeten Arten (vgl. LAG VSW 2015
    tionseigenschaften (Erfassungsrate, Erfassungs-
                                                                                   bzw. die länderspezifischen Regelungen) berücksich-
    reichweite und Klassifizierung) überprüft werden
                                                                                   tigt werden oder nur einzelne Zielarten, ergibt sich aus
    kann. Dadurch wird es ermöglicht, ein Detektions-
                                                                                   der Zielstellung der Erprobung: Wird eine Lösung für
    system gezielt an Standorten mit hoher Flugaktivi-
                                                                                   eine bestimmte Zielart gesucht oder wird ein Standort
    tät windenergiesensibler Vogelarten bzw. einzelner
                                                                                   mit den dort vorkommenden Arten zur Erprobung ver-
    Zielarten zu erproben (Stichwort: hohe Stichpro-
                                                                                   fügbar gemacht, um die Leistungsfähigkeit eines oder
    benzahl). Dabei handelt es sich um Bedingungen,
                                                                                   unterschiedlicher Systeme zu erproben?
    die an genehmigten WEA-Standorten nicht unbe-
                                                                                        Des Weiteren kann das bei der Erprobung berück-
    dingt gegeben sind bzw. sein sollten. Eine abschlie-
                                                                                   sichtigte Artenspektrum vom durch den Hersteller
    ßende Systemerprobung (insbesondere System-
                                                                                   beschriebenen Leistungsprofil eingeschränkt sein:
    reaktion, räumliche und zeitliche Abdeckung) muss
                                                                                   Wird der Systemeinsatz ausschließlich zur Erkennung
    dann jedoch nachgeholt werden, da sie an Stand-
                                                                                   von mittelgroßen oder großen Vögeln empfohlen oder
    orten mit WEA zu erfolgen hat.
                                                                                   bietet das System keine automatische Klassifizierung
    an einer bereits gebauten, aber nicht in Betrieb                               auf Artenebene (bspw. Größenklassen-, Artengrup-
    genommenen oder nachträglich stillgelegten                                     pen- oder Artenebene), so kann die Zielsetzung der
    WEA handeln (Problem-WEA), mit dem Ziel durch                                  Erprobungsfrage nicht darüber hinausgehen.
    die Umsetzung einer zusätzlichen Schutzmaß-
    nahme (bedarfsgerechte Betriebsregulierung),
                                                                                   Einsatz von Zweitsystemen
    das vorherrschende Kollisionsrisiko nachträglich
    weiter zu reduzieren oder/und durch neuge-                                     Um die Leistungsfähigkeit eines Systems zu erpro-
    wonnene Erkenntnisse eine (teilweise) Wieder­                                  ben, wird ein Kontrollsystem – hier als „Zweitsystem“
    inbetriebnahme zu prüfen.                                                      bezeichnet, benötigt. Dessen Leistungsfähigkeit muss,
                                                                                   bezogen auf die Erprobungsfrage(n), ausreichend
                                                                                   bekannt sein. Das Spektrum an möglichen Zweitsyste-
                                                                                   men wird in Kapitel 4 näher ausgeführt. Nicht nur die
                                                                                   Eigenschaften des Zweitsystems selbst, sondern auch
                                                                                   die Gegebenheiten am Standort können die Entschei-
                                                                                   dung, welches Zweitsystem eingesetzt werden soll,
                                                                                   beeinflussen. Daraus kann resultieren, dass keine voll-
                                                                                   ständige Abarbeitung der Erprobungskriterien mög-
                                                                                   lich ist und lediglich eine Teilerprobung durchgeführt
                                                                                   werden kann.

Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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                                                                     KAPITEL 4

                                            Zweitsysteme

Die Wahl des Zweitsystems, mit dem die Leistungsfä-                                 aller Kriterien (s. Kapitel 6), ist diese mit Hilfe eines
higkeit des zu erprobenden Systems überprüft wer-                                   geschulten Beobachters durchzuführen. Die dabei
den soll, hat eine hohe Bedeutung für die Validierung.                              bestehenden Anforderungen werden im Folgenden
Im Fachgespräch wurden Möglichkeiten und Grenzen                                    beschrieben. Anschließend werden technische Zweit-
der Systeme diskutiert. In Frage kommen zum einen                                   systeme der Vollständigkeit halber genannt sowie
geschulte Beobachter und zum anderen technische                                     deren Vor- und Nachteile kurz aufgeführt. In einzelnen
Zweitsysteme (insbesondere Telemetrie, Radarsys-                                    Situationen kann deren (zusätzlicher) Einsatz zielfüh-
teme zur Erprobung von Kamerasystemen, mehrere                                      rend sein oder zumindest eine Teilerprobung durch-
Kamerasysteme, Kamerasysteme zur Erprobung von                                      geführt werden.
Radarsystemen). Erfolgt eine vollständige Erprobung

4.1 Einsatz von geschulten Beobachtern

Durch den Einsatz von Beobachtern können Flugob-                                    Einsatz von geschulten Beobachtern zur Systemer-
jekte vor Ort klassifiziert bzw. identifiziert werden.                              probung wurden im Fachgespräch folgende Punkte
Allerdings ist die Beobachtung nicht dauerhaft, son-                                genannt 3 , die zu beachten sind:
dern auf Stichproben begrenzt (s. Kapitel 5). Für den

3   Die aufgeführten Anforderungen an eine Erprobung mittels Beobachter greifen im Wesentlichen die Methode von McClure et al. (2018) zur Erprobung des
    IdentiFlight Systems auf. Sie wurden durch Expertenbeiträge aus dem Fachgespräch leicht angepasst und konkretisiert.

                                                                         Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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     |   K apitel 4

»» Anforderungen                                                                     »» Empfehlungen
     Die Position des Beobachters bzw. der Beobachter                                    Werden Position und Flughöhe des Flugobjektes
     ist so zu wählen, dass das Gelände um die (geplante)                                automatisch vom Erprobungssystem erfasst, ist
     WEA bzw. um den Windpark (WP) gut überblickt                                        die Verwendung eines Laser-Rangefinders durch
     werden kann. Es ist erforderlich, dass zumindest der                                den Beobachter hilfreich, um Daten des Zweitsys-
     zielartenspezifische Reaktionsbereich (s. Definition in                             tems zu validieren und weitere Daten über die Flug-
     Kapitel 6.2) und darüber hinaus der gesamte Erfas-                                  objekte zu erheben, die vom Erprobungssystem
     sungsbereich des zu erprobenden Systems einseh-                                     nicht erfasst wurden (Falsch-Negativ-Rate).
     bar ist, insbesondere auch um die Detektionsreich-
                                                                                         Da eine Vielzahl von Daten gleichzeitig zu erheben
     weite zu ermitteln. Handelt es sich um ein schlecht
                                                                                         und zu dokumentieren ist, wird die Erhebung durch
     einsehbares Gelände oder um einen größeren
                                                                                         zwei Beobachter pro Beobachtungsstandort emp-
     Bereich mit mehreren WEA, wird der Einsatz von wei-
                                                                                         fohlen. Zudem kann die Erfassung der Witterungs-
     teren Beobachtern, von einer zweiten Position aus,
                                                                                         bedingungen auch mit Hilfe einer Wetterstation
     erforderlich.4
                                                                                         erfolgen.
     Um die am Erprobungstag vorherrschenden Wit-
                                                                                         Zur weiteren Vereinfachung der Datenerhebung,
     terungs- und Lichtverhältnisse nachvollziehbar zu
                                                                                         können die Informationen zunächst auch mit
     dokumentieren, sollte eine fotografische Dokumen-
                                                                                         einem Diktiergerät aufgenommen werden. Dabei
     tation mit Zeitstempel in engen Zeitintervallen (alle
                                                                                         ist darauf zu achten, dass die Zeitangaben so
     15 Minuten während des Beobachtungsintervalls,
                                                                                         präzise vorgenommen werden, dass die Ereignisse
     in Blickrichtung des Beobachters und vertikal) mit
                                                                                         später exakt dokumentiert werden können.
     einer Handkamera (bspw. einer GoPro) erfolgen (s.
     Anhang 10.3).
                                                                                     Es ist davon auszugehen, dass die durch geschulte
     Die zum Zeitpunkt des Flugereignisses aufgenom-                                 Beobachter erreichte Erfassungsrate während der
     menen Daten sind mit einem Zeitstempel zu ver-                                  Erprobungsintervalle keine 100 Prozent beträgt (s.
     sehen, damit eine genaue Zuordnung zum durch                                    auch McClure et al. 2018). Da die Durchführung von
     das Erprobungssystem dokumentierten Fluger-                                     Raumnutzungsanalysen durch Beobachter in der aktu-
     eignis möglich ist (erforderlich: Uhrzeiteneichung                              ellen Planungspraxis dennoch als „valide“ Methode
     zwischen Erprobungs- und Zweitsystem).                                          akzeptiert ist, wird auch bei einer Systemerpro-
                                                                                     bung davon ausgegangen, dass die Beobachtung als
     Wird die Erfassung der Position und der Flughöhe
                                                                                     Methode belastbare Ergebnisse liefert.
     des Flugobjektes nicht automatisch vom Erpro-
     bungssystem vorgenommen, ist die Verwendung
     eines Laser-Rangefinders durch den Beobachter
     erforderlich.

     Für eine standardisierte Dokumentation (Sicht-
     bedingungen, Flugaktivität) sind vorgefertigte
     Protokollbögen zu verwenden (Vorschläge dafür s.
     Anhang 10.2 und 10.3).

4    So kann ermittelt werden, ob die geleistete Erfassungsreichweite des Erprobungssystems ausreichen würde, um eine rechtzeitige Abschaltung der WEA zu
     ermöglichen (s. Kapitel 6.2).

Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
K apitel 4
                                                                                                                                                              |     11

4.2 Einsatz technischer Zweitsysteme

Durch den Einsatz technischer Zweitsysteme (insbe-                                         Der Einsatz von GPS-gestützten Geofences (virtu-
sondere Telemetrie, Radarsysteme zur Erprobung von                                    elle Grenzzäune) zur Begrenzung der Flugdatenerfas-
Kamerasystemen, mehrere Kamerasysteme, Kame-                                          sung auf das für die Erprobung relevante WEA- bzw.
rasysteme zur Erprobung von Radarsystemen) ist es                                     WP-Umfeld kann eine Möglichkeit darstellen, um mit
möglich, über einen längeren Zeitraum kontinuierlich                                  der eingeschränkten Batterieleistung beziehungs-
und mit vergleichsweise großer Reichweite Flugereig-                                  weise Lebensdauer umzugehen.
nisse im WEA- bzw. WP-Umfeld zu erheben. Eine Flug-
objektklassifizierung kann mit diesen Systemen in der
                                                                                      Radarsysteme zur Erprobung von
Regel jedoch nicht ad-hoc erfolgen.
                                                                                      Kamerasystemen

                                                                                      Durch die radargestützte Ermittlung der Flugobjekt-
Telemetrie
                                                                                      position könnte die Erfassungsreichweite und -rate
Werden Einzelvögel vor Ort besendert, können (bei                                     von Kamerasystemen erprobt werden. Zur Erprobung
Einsatz entsprechender geeigneter Sender und deren                                    der Flugobjektklassifikation bzw. der Ermittlung von
Programmierung) genaue, lückenlose und artspezi-                                      artspezifischen Daten ist Radar als Zweitsystem nur
fische Daten über deren Position und das Flugver-                                     bedingt geeignet, da derzeit eine Klassifizierung von
halten erhoben werden. Die Erhebungen sind von                                        Arten bzw. Artengruppen nur aufgrund ihrer Größe
Witterungs- und Lichtverhältnissen unabhängig. Alle                                   möglich ist. Eine artspezifische Identifikation über Flü-
anderen Vögel, die keinen Sender tragen, bleiben im                                   gelschlagmuster befindet sich derzeit in der Entwick-
Rahmen der Telemetrierung demnach unberücksich-                                       lung, weshalb dieser Ansatz als Zweitsystem derzeit
tigt, weshalb nur ein Teil der Daten des Erprobungs-                                  nicht geeignet ist und ebenfalls einer Erprobung unter-
systems mit Hilfe der Telemetriedaten überprüft wer-                                  zogen werden müsste.
den kann.                                                                                  Radarsysteme ermöglichen eine nahezu lücken-
    Der Fang und die Besenderung der planungsrele-                                    lose – bei entsprechender Einsehbarkeit – weiträu-
vanten Individuen am betroffenen Standort können                                      mige Flugobjekterfassung unabhängig von Sicht- und
sich als schwierig erweisen und sind immer mit einem                                  Lichtverhältnissen. Allerdings können räumliche Erfas-
Verletzungsrisiko der Vögel verbunden.5 Zudem ist                                     sungslücken durch „Clutter“6 entstehen. Das durch
die Leistungsfähigkeit (Dichte der Erfassungs- und                                    Reflexionen an Boden- oder Vegetationsoberflä-
Übertragungsintervalle              versus       Anwendungsdauer)                     chen verursachte Clutter lässt sich erst beim Einsatz
abhängig von der Batterieleistung und/oder vom ver-                                   des Radars am Standort feststellen. Bei Regen und
fügbaren Sonnenlicht (bspw. Aktivitätszeit, Beschat-                                  Schneefall kann das an Tropfen bzw. Flocken reflek-
tung durch Gefieder oder Bewaldung, Witterung). Dies                                  tierte Radarecho die Erfassung von Vögeln maskieren
schränkt den Einsatz von Telemetrierungen ein.                                        (Wetterclutter).

5   Nach Auffassung der LAG VSW ist die Besenderung von Individuen gefährdeter Vogelarten kein geeignetes Instrument für die Praxis, da Spezialkenntnisse
    erforderlich seien, um eine Verletzung und ggf. Tötung der Tiere zu vermeiden. Im Falle einer Systemerprobung würde es sich um Grundlagenforschung handeln
    und kann somit in Betracht gezogen werden (vgl. Langgemach und Meyburg 2011; schriftlicher Kommentar Torsten Langgemach).
6   Unter Clutter versteht man Ziele, die durch das Radargerät erfasst werden, jedoch unerwünscht sind, da sie die Entdeckungswahrscheinlichkeit der eigentlichen
    Ziele (hier: Vögel) herabsetzen.

                                                                           Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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     |   K apitel 4

Kamerasysteme zur Erprobung von                                                    Mehrere parallel zu erprobende
Radarsystemen                                                                      Kamera­s ysteme am gleichen Standort

Kamerasysteme als Zweitsystem ermöglichen die                                      Durch die Installation mehrerer Kamerasysteme am
Überprüfung der Flugobjektklassifikation durch die                                 gleichen Standort wird eine gute Vergleichbarkeit unter
nachträgliche Auswertung des Bildmaterials. Auf-                                   ähnlichen Bedingungen ermöglicht. Allerdings werden
grund einer geringeren Erfassungsreichweite wäre                                   Situationen, welche dann von allen Systemen gleicher-
ausschließlich die optische Abdeckung des Umfeldes                                 maßen „übersehen“ werden, demzufolge nicht doku-
einzelner WEA möglich. Gegebenenfalls könnten sie an                               mentiert und können nicht nachvollzogen werden.
der Grenze des artspezifischen Reaktionsbereichs (s.
Kapitel 6.2) oder des Radarerfassungsbereichs posi-
tioniert werden. Flugereignisse könnten so allerdings
nur in einem Teilbereich erfasst werden. Durch eine
Erhöhung der Kameraanzahl wäre eine Ausweitung
der abgedeckten Fläche zwar denkbar, eine Erprobung
eines Radarsystems über die gesamte Fläche eines
Windparks wäre so jedoch kaum möglich.

4.3 Sicherung einer ausreichenden Stichprobenzahl

Einsatz GPS-besenderter Drohnen                                                    Einsatz von in Gefangenschaft
                                                                                   lebenden Greifvögeln
Durch den Einsatz einer GPS-besenderten Drohne kann
in vergleichsweise kurzer Zeit eine hohe Stichproben-                              Der Einsatz trainierter Greifvögel durch einen Falkner
zahl (erfasste Flugbewegungen im WEA-Umfeld) durch                                 kann für die Erprobung der Flugobjektklassifikation,
die Simulation unterschiedlicher Flugmanöver erreicht                              die zielartspezifische Datenfilterung, die Erkennung
werden. So können erste Erkenntnisse über die Erfas-                               von Körpergröße und/oder weiterer artspezifischer
sungsrate und Reichweite in Abhängigkeit zur Körper-                               Charakteristika nützliche Erkenntnisse liefern. Es
größe und Flugbewegung eines Flugobjektes gewonnen                                 muss aber davon ausgegangen werden, dass sich das
werden. Insbesondere kann die Erfassungsgenauigkeit                                Flugverhalten und die Fluggeschwindigkeiten dieser
der Flugobjektposition durch das Erprobungssystem                                  „zahmen“ Vögel von dem der wildlebenden Greifvögel
mit Hilfe von Drohnen verifiziert werden. Die Übertrag-                            unterscheiden. Demzufolge ist eine Festlegung der
barkeit der Drohnenortungen auf Vögel, hinsichtlich                                artspezifischen Reaktionsbereiche (s. Kapitel 6.2) mit-
der Erfassungsreichweite und -rate, ist aber nur ein-                              tels Testflügen von in Gefangenschaft lebenden Greif-
geschränkt möglich, da Drohnen zum Beispiel deut-                                  vögeln nicht möglich. Testflüge an in Betrieb befindli-
lich andere (standardisierte) Flugeigenschaften zeigen.                            chen WEA bergen zudem das Risiko, dass das Leben
Drohnen können aufgrund des Metallanteils von Radar-                               der Tiere gefährdet wird, weshalb in diesem Fall – aus
systemen immer deutlich besser als Vögel erkannt wer-                              Tierschutzgründen – vom Einsatz trainierter Greifvö-
den. Einzelne Teilnehmer des Fachgesprächs hielten                                 gel abzusehen ist.
den Drohneneinsatz daher nicht für eine belastbare
Lösung für eine abschließende Systemerprobung.

Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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                                                                     KAPITEL 5

Untersuchungszeitraum und -design
Der Untersuchungszeitraum und die Zeitpunkte sind                                       1) Liegen bereits aktuelle standortspezifische Erhe-
so zu wählen, dass eine ausreichende Stichproben-                                           bungen über die Raumnutzung vor, kann auf deren
zahl (erfasste Flugaktivitäten am Standort) erreicht                                        Basis mit Hilfe einer „Power Analyse“ (vgl. Johnson
wird und das größtmögliche Spektrum an „Risikositu-                                         et al. 2015) der in diesem Zeitraum erforderliche
ationen“ abgedeckt ist. Für eine sinnvolle Abgrenzung                                       Untersuchungsaufwand ermittelt werden.
des Untersuchungszeitraums spielen daher mehrere
                                                                                        2) Liegen keine ausreichenden Informationen zur
Punkte eine Rolle:
                                                                                            Raumnutzung vor, ist die Erprobung zunächst an
    Vorkommen der Zielart(en) bzw. kollisionsge-                                            24 bis 30 Tagen während der Brut- und Aufzucht-
    fährdeter Arten am Standort zum Zeitpunkt der                                           zeit durchzuführen (vgl. McClure et al. 2018). An
    Erprobung,                                                                              den Erprobungstagen sind innerhalb von acht bis
                                                                                            zehn Stunden vier Beobachtungsintervalle vorzu-
    Erprobung insbesondere zu Zeiten mit hoher Flug-
                                                                                            sehen (ebd.), zwischen denen jeweils eine Pause
    aktivität der Zielart(en) bzw. kollisions­gefährdeter
                                                                                            eingeschoben wird. Über den Tag verteilt sind
    Arten,
                                                                                            so 420 Beobachtungsminuten zu leisten. Wird in
    Berücksichtigung verschiedener phänologisch und                                         diesem Untersuchungszeitraum die erforderliche
    witterungsbedingter Flugverhalten.                                                      Stichprobenzahl (= Flugereignisse) nicht erreicht,
                                                                                            wird eine Ausweitung der Erprobung auf weitere

»» Anforderungen                                                                            Erprobungstage innerhalb der gleichen Brut-
                                                                                            bzw. Aufzuchtperiode 7 empfohlen.

    Unter den Experten und Expertinnen des Fach-
    gesprächs herrschte Einigkeit darüber, dass die                                  Grundsätzlich verkürzt sich der erforderliche Untersu-
    Erprobung während der Brut- und Aufzuchtperiode                                  chungszeitraum mit steigender Anzahl der am Standort
    vorzunehmen ist, deren genaue zeitliche Abgrenzung                               vorkommenden Flugereignissen bzw. Risikosituationen,
    für die jeweilige(n) Zielart(en) den Empfehlungen der                            wobei der Erprobungszeitraum von 24 bis 30 Tagen
    Länder zu entnehmen ist.                                                         nicht unterschritten werden soll. Umgekehrt erhöht
                                                                                     sich die Anzahl an Stichproben innerhalb eines definier-
    Da eine Dauererprobung über einen längeren Zeit-
                                                                                     ten Untersuchungszeitraums, wenn nicht nur einzelne
    raum bei Einsatz eines Beobachters aufgrund des
                                                                                     Zielarten, sondern ein möglichst breites Spektrum an
    Aufwandes nicht möglich ist, ist die erforderliche
                                                                                     Arten bei der Erprobung berücksichtigt werden.
    Anzahl der Beobachtungstage im Untersuchungs-
                                                                                          Es lässt sich daher schlussfolgern, dass grundsätz-
    zeitraum zu ermitteln. Für die Festlegung der
                                                                                     lich ein gewisses Konfliktmaß (= Häufigkeit von Flugak-
    erforderlichen Erprobungstage für den jeweiligen
                                                                                     tivität der Zielarten am Standort) gegeben sein sollte,
    Standort bestehen zwei Optionen:
                                                                                     um Kamera- und Radarsysteme erproben zu können.

7   Ist eine Erprobung einer Anlagengenehmigung vorgelagert bzw. verschafft sie dieser bei positivem Ausgang eine Genehmigungsfähigkeit, wird durch die
    Begrenzung auf eine Brut- und Aufzuchtperiode einer aus fachlichen Gründen nicht zwingend erforderlichen Planungsverzögerung vorgebeugt.

                                                                          Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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                             Erprobungskriterien

6.1 Abdeckungsrate und allgemeine Standorteignung

ZIEL: Um die Leistungsfähigkeit eines Systems zu untersuchen, ist es zunächst e­ rforderlich,
die erreichbare Abdeckung und die den Abdeckungsgrad beeinflussenden Faktoren für den
jeweiligen Standort zu dokumentieren.

Kann eine ausreichende Abdeckungsrate nicht erreicht                               im System enthaltenen Kameras oder Radaranten-
werden, ist eine Systemanwendung am jeweiligen                                     nen nur ein gewisser Winkel abgedeckt werden. 8 Soll
Standort gegebenenfalls nicht zu empfehlen. Ein allge-                             eine breitere Abdeckung erfolgen, kann eine Erhö-
meingültiger Schwellenwert im Sinne einer „Mindest-                                hung der Kamera- bzw. Antennenanzahl, eine gewisse
abdeckungsrate“ existiert derzeit nicht. Ob es sinnvoll                            Überlappung der einzelnen Komponenten oder die
ist, einen solchen Schwellenwert festzulegen, wäre im                              Anpassung         der     Komponentenausrichtung                Abhilfe
weiteren Prozess zu diskutieren. Die für eine ausrei-                              schaffen.
chende Verminderungsleistung (Reduzierung von Kol-
lisionen) erforderliche Abdeckung muss – unabhängig
                                                                                   Standortspezifische Gegebenheiten
von einem allgemeinen Schwellenwert – immer im Ein-
                                                                                   (räumliche Abdeckung)
zelfall festgelegt werden.
     Die Abdeckung kann aus mehreren Gründen von                                   Am und um den Standort herum aufragende Struk-
der theoretisch maximal möglichen räumlichen Abde-                                 turen, wie bspw. Wälder, Felsen, Hügel, Gebäude
ckung (360° horizontal als auch vertikal, im Bereich                               oder die WEA selbst, können den Erfassungsbereich
über der WEA) sowie zeitlichen Abdeckung (Radar:                                   einschränken. Weder Radar- noch Kamerasysteme
dauerhaft, Kamera: bei Tageslicht) abweichen.                                      (noch Beobachter) können diese Strukturen durch-
                                                                                   dringen. Diese Einschränkung kann lediglich durch
                                                                                   eine Erhöhung der Anzahl der Beobachter bezie-
Systemspezifische räumliche
                                                                                   hungsweise der Systeme reduziert werden. Auch
Abdeckung
                                                                                   ist es möglich, dass eine direkt über Baumkronen
Die räumliche Abdeckung ist zu einem wesentlichen                                  oder über dem Untergrund angrenzende Schicht
Teil von den Systemkomponenten und der Konfigu-                                    vom      Detektionssystem           nicht     optimal      abgedeckt
ration abhängig. So kann möglicherweise von den                                    werden kann.

8    Ist eine WEA-unabhängige Systemerprobung vorgesehen, können die Erprobungskriterien grundsätzlich auch in dem von der einzelnen Systemkomponente
     abgedeckten Teilbereich ermittelt werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich je nach Blickrichtung variierende Bedingungen (Kamerasysteme:
     insbesondere Sonnenstand) auf die ermittelten Ergebnisse auswirken. Die Voraussetzungen müssen deshalb genau dokumentiert werden.

Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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   Da in ausgeblendeten Bereichen keine Vögel                    »» Anforderungen
erfasst werden können, ist die Ermittlung der einseh-
baren Flächen essenziell für die Beurteilung der Stand-          Zur Erprobung des Kriteriums „Abdeckungsrate und
orteignung. Diese Ermittlung (i. S. einer Sichtbarkeits-         allgemeine Standorteignung“ sind die räumliche und
analyse) kann mit Hilfe digitaler Geländemodelle und             die zeitliche Abdeckung für den jeweiligen Standort
von Luftbildern erfolgen.                                        und die diese beeinflussenden standort- und system-
   Werden Radarsysteme eingesetzt, ist (vom Herstel-             spezifischen Gegebenheiten genau darzustellen und
ler) zu Beginn des Einsatzes eine Clutter-Analyse des            zu dokumentieren. Nachfolgende Punkte sind hierfür
jeweiligen Standorts durchzuführen. Ergebnis ist eine            zu berücksichtigen:
Clutter-Karte, in der Umfang und Lage der standort-
spezifischen Radarschatten abgebildet sind.                          Für die Dokumentation ist ein einheitliches
   Um den Anteil von Sichtverschattungen zu reduzie-                 Datenblatt (siehe zum Beispiel Anhang 10.2) zu
ren und die räumliche Abdeckung durch das System zu                  verwenden.
optimieren, sollte die optimale Systemposition ermit-
                                                                     Genaue Dokumentation der allgemeinen System-
telt werden (s. „Maßnahmen zur Optimierung“).
                                                                     und Standorteigenschaften sowie der standortspe-
                                                                     zifischen Systemanbringung und -konfiguration.
Systemausfälle (zeitliche Abdeckung)
                                                                     Kartografische Darstellung der standortspezi-
Neben den sich im Tagesverlauf verändernden Wit-                     fischen Sichtverschattung und der systemspezi-
terungs- und Sichtverhältnissen, können beson-                       fischen räumlichen Abdeckung mittels 3D-Gelän-
dere Gegebenheiten am Standort dazu führen, dass                     demodellierung innerhalb der Systemreichweite,
­temporär keine oder nur eine eingeschränkte Erfas-                  jedoch mindestens im zielartenspezifischen
sung von Flugobjekten möglich ist (insbesondere Sys-                 Reaktionsbereich (s. Kapitel 6.2).
temausfälle). Dabei gilt es, die Zeiträume und Ursa-
                                                                     Dokumentation von Systemausfällen (zeitliche
chen genau zu dokumentieren, die zu einer zeitlichen
                                                                     Abdeckung), Ausfalldauer und deren Ursachen.
Funktionseinschränkung geführt haben.
   Anzahl und Dauer von Systemausfällen geben Hin-                   Dokumentation ergriffener Optimierungs-
weise auf die Zuverlässigkeit und Funktionsfähigkeit.                maßnahmen und der dadurch erzeugten
Es wird zu beurteilen sein, welcher Grad an Ausfällen                Optimierungswirkung.
hinnehmbar ist. Systemausfälle sollten in der Regel
                                                                     Ableitung von allgemeinen Hinweisen, ausgehend
zu einer Abschaltung der WEA führen (die ggf. in der
                                                                     von gemachten Erfahrungen bei der Anbringung
Genehmigung festzulegen ist).
                                                                     und Konfiguration des Erprobungssystems, die
                                                                     eine künftige Einschätzung über die standortspezi-
Maßnahmen zur Optimierung der                                        fische Eignung einer Systemanwendung bereits im
­räumlichen und zeitlichen Abdeckung                                 Vorfeld unterstützen.

Ist die räumliche und zeitliche Abdeckung auf dem jewei-
ligen Standort eingeschränkt, sind Maßnahmen zur Opti-
mierung zu prüfen. Diese Maßnahmen können beispiels-
weise die Anbringung in größerer Höhe (zum Beispiel am
WEA-Turm oder auf einem gesonderten System-Turm),
die Verbesserung der Wetterbeständigkeit des Systems,
die Optimierung der Systemausrichtung, die Erhöhung
der Antennen- bzw. Kameraanzahl oder die Anpassung
der Systemposition am Standort umfassen.

                                                       Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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     |   K apitel 6

6.2 Erfassungsreichweite

ZIEL: Um die Leistungsfähigkeit eines Systems zu erproben, ist es erforderlich,
die Entfernung, bis zu der eine sichere Erfassung von Flugobjekten in Abhängigkeit von
Körpergröße, Flugverhalten, Anflugwinkel und vorherrschenden Witterungs- und
Lichtverhältnissen möglich ist, zu ermitteln. Sie ist entscheidend für eine rechtzeitige und
somit wirksame Betriebsregulierung (Abschaltung).

Dabei ist zu klären, ob der erforderliche Radius des                                    eine automatische Flugobjektklassifikation vorsehen,
zielartenspezifischen Reaktionsbereichs durch die                                       muss der daraus entstehende Zeitaufwand ebenfalls
systemspezifische             Erfassungsreichweite             abgedeckt                berücksichtigt werden. Da eine Kollision bereits mit
werden kann. Dieser ergibt sich aus der artspezi-                                       dem Eintreten des Vogels in den Rotorbereich und
fischen Fluggeschwindigkeit (ground speed, mixed                                        somit an den Rotorblattspitzen möglich ist, ist die
behaviour) einer Art (vgl. Bruderer und Boldt 2001,                                     Länge des Rotorblattes des eingesetzten WEA-Typs
Tab. 4), der WEA-Typ-spezifischen Zeitdauer bis zum                                     zudem zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich folgende
Austrudeln des Rotors sowie der Dauer bis zur Sig-
                    9
                                                                                        Berechnung des artspezifischen Reaktionsbereichs:
nalübermittlung bzw. -verarbeitung. Für Systeme, die

         r Reaktion
                           = [(v ) × (t [Art]                  Klass
                                                                        +t        Signal
                                                                                            +t       Trudel
                                                                                                              )] + r          Rotor

         rReaktion =	Radius der erforderlichen Systemreichweite ab WEA, um rechtzeitig für eine gegebene Ziel-
                          art, unter konservativen Annahmen, eine Systemreaktion (hier: Abschaltung) auszulösen.
         V [Art]        =	Artspezifische Fluggeschwindigkeit [vgl. Bruderer u. Boldt 2001, S. 186 f, Tab. 4, Maximal-
                          wert des „ground speeds“ (Vg), „mixed behaviour“ (=~)].
         tKlass         = 	Dauer von der Erkennung bis zur abgeschlossenen Flugobjektklassifikation.
         t Signal       =	Dauer bis zur Signalübermittlung und -verarbeitung.
         tTrudel        =	Dauer bis zum Austrudeln des Rotors in Abhängigkeit vom WEA-Typ.
         rRotor         =	Rotorblattlänge in Abhängigkeit des eingesetzten WEA-Typs.

9    Gemeint ist eine Reduzierung der Rotorgeschwindigkeit auf eine Umdrehungszahl, die für Vögel kein Risiko mehr birgt, um mit den Rotorblättern zu kollidieren. Ein
     allgemeingültiger Schwellenwert existiert derzeit nicht. Hier besteht Klärungsbedarf.

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                                                                                         eines Sicherheitsaufschlags ein zu kompliziertes Hilfs-
Bedeutung der artspezifischen
                                                                                         konstrukt. Wenn die maximale Fluggeschwindigkeit
Fluggeschwindigkeit
                                                                                         zugrunde gelegt werde, könne eine Diskussion über
Die Fluggeschwindigkeit eines Vogels ist für die Beur-                                   die Höhe des „richtigen“ pauschalen Sicherheitszu-
teilung der Erfassungsreichweite entscheidend. Hohe                                      schlag vermieden werden (schriftlicher Kommentar
Fluggeschwindigkeiten erfordern zum einen eine                                           des AK Naturschutz und Windenergie des BWE vom
kurze Reaktionszeit des Erprobungssystems bis zum                                        22. Januar 2019).
Austrudeln des Rotors. Zum anderen muss die erfor-                                           Nicht nur bei der Ermittlung des Reaktionsberei-
derliche Erfassungsreichweite des Systems entspre-                                       ches im Rahmen einer Erprobung, sondern auch mit
chend größer sein, um den Vogel rechtzeitig zu erfas-                                    Blick auf einen möglichen künftigen Systemeinsatz in
sen. Mit abnehmender systemspezifischer Reaktions-                                       der Praxis verbleibt an dieser Stelle Klärungsbedarf.
zeit würde sich die erforderliche Erfassungsreichweite                                   Bis zur Klärung dieses Sachverhaltes wird empfoh-
somit reduzieren. In Bruderer und Boldt (2001, Tab.                                      len, die Erprobung unter konservativen Annahmen
4) werden artspezifische Fluggeschwindigkeiten für                                       durchzuführen.
unterschiedliche Flugverhalten von Thermikseglern                                            Darüber hinaus sehen manche zu erprobenden
aufgeführt, die wissenschaftlich und standardisiert                                      Systeme eine Unterscheidung zwischen Risikosituatio-
unter Einsatz eines Radarsystems ermittelt wurden.                                       nen in Echtzeit vor, durch die eine Verringerung des
     Eine Vielzahl der Experten argumentierte im Fach-                                   artspezifischen Reaktionsbereichs möglich wäre: der
gespräch, dass es ausreichend sei, bei der Ermittlung                                    Vogel befindet sich, anders als im Extremfall, nicht im
des zielartenspezifischen Reaktionsbereichs jeweils                                      geradlinigen direkten Anflug auf die WEA, sondern
die mittlere Fluggeschwindigkeit unter Berücksich-                                       kreist beispielsweise im Abstand von hundert Metern
tigung eines breiten Spektrums von Flugverhalten                                         von der WEA. Denkbar wären auch Fälle, in denen der
(mixed behaviour = Berücksichtigung von Gleitflug und                                    Vogel zwar geradlinig, jedoch „schräg“ an der WEA
aktivem Flug) heranzuziehen. Diese würde die Fluger-                                     vorbeifliegt und sich somit nicht auf Kollisionskurs
eignisse am Standort überwiegend abdecken.10 Jedoch                                      befindet.
könne ein „Sicherheitsaufschlag“ vorgesehen werden,                                          Sieht ein Detektionssystem den Einsatz einer akus-
um einzelnen Sondersituationen mit sehr hohen Flug-                                      tischen Warnung bzw. Vergrämung als Vorstufe zur
geschwindigkeiten              bzw.      Höchstgeschwindigkeiten                         bedarfsgerechten Betriebsregulierung vor, muss die
Rechnung zu tragen. Zur Berücksichtigung des Ein-                                        Erkennungsreichweite über den artspezifischen Reak-
flusses der Windgeschwindigkeit auf die gemessene                                        tionsbereich hinaus entsprechend erhöht werden (s.
Fluggeschwindigkeit seien die „ground speed“ Werte                                       Kapitel 7).
zu verwenden (Wert ‚Vg‘, vgl. Bruderer und Boldt 2001,
Tab. 4).
     Im Rahmen eines weiteren KNE-Fachgesprächs11
forderten die Teilnehmer hingegen, dass bei der
Ermittlung        des     artspezifischen           Reaktionsbereichs
„eine maximal gemessene (aber realistische) Flugge-
schwindigkeit für die jeweilige Zielart angenommen
werden“ müsse. Die Verwendung der mittleren Flug-
geschwindigkeit sei wenig plausibel, die Annahme

10   Als Begründung wurde gesagt, dass zur Senkung des signifikant erhöhten Tötungsrisikos eine Verminderung des Kollisionsrisikos erforderlich sei. Ein „Null-Risiko“
     sei hingegen nicht zu fordern.
11   Fachgespräch des KNE „Wirtschaftliche und technische Aspekte der bedarfsgerechten Betriebsregulierung“ am 11.12.2019 in Kassel. Hieran nahmen Projektierer,
     Betreiber und Vertreter bzw. Vertreterinnen des BWE Bundesverbandes und einzelner Landesverbände teil.

                                                                             Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
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                                                                                           2. Das zu erprobende System ermittelt die tatsäch-
Rahmenbedingungen, die die
                                                                                               liche Position des Flugobjektes (insbesondere
Erfassungsreichweite beeinflussen
                                                                                               die meisten Kamerasysteme) nicht automa-
Grundsätzlich          kann      die     Erfassungsreichweite              in                  tisch.
Abhängigkeit der vorherrschenden Bedingungen vari-                                             In diesem Fall hat die Datenerhebung vollständig
ieren. Die Reichweite von Kamerasystemen wird ins-                                             durch das Zweitsystem (zum Beispiel Beobach-
besondere von Licht- und Sichtverhältnissen, Witte-                                            ter mit Laser-Rangefinder) zu erfolgen.
rung, Bewölkung, Sonnenstand, Flügelspannweite des                                             Alternativ oder ergänzend kann in diesem
Flugobjektes, Flugverhalten, Anflugwinkel und Verweil-                                         Fall für die Erprobung der Erfassungsreichweite
dauer im Systemsichtfeld beeinflusst. Bei Radarsyste-                                          der Einsatz technischer Zweitsysteme (bspw.
men können sich ebenfalls Flugobjektgröße, Flugver-                                            Radar, Telemetrie) sinnvoll sein. Unter der Ver-
halten, Anflugwinkel und Niederschlag auf die Erfas-                                           wendung einer unbemannten Drohne mit GPS
sungsreichweite des Systems auswirken.                                                         kann zumindest eine Ersterprobung durchge-
                                                                                               führt werden. Details über die unterschiedlichen
                                                                                               Zweitsysteme sind in Kapitel 4 ausgeführt.
»» Anforderungen                                                                           Bei der Erprobung sind Licht-, Sicht- und Witte-
                                                                                           rungsbedingungen, Bewölkung, Sonnenstand
     Für die Dokumentation ist ein einheitliches
                                                                                           vor Ort zu erfassen und per Handkamera inklusive
     Datenblatt (siehe zum Beispiel Anhang 10.3) zu
                                                                                           Zeitstempel (bspw. GoPro) zu dokumentieren (s.
     verwenden.
                                                                                           Kapitel 4.1 und Anhang 10.3).
     Bei der Erprobung der Erfassungsreichweite ist
                                                                                           Aus der Gesamtheit aller Stichproben ist dann die
     zwischen zwei Fällen zu unterscheiden:
                                                                                           sichere Erfassungsreichweite (der Bereich, in dem
     1. Das zu erprobende System ermittelt die Position                                    die Erfassungsrate den für das jeweilige Erpro-
         des Flugobjektes (insbesondere Radarsysteme,                                      bungssystem höchstmöglichen Wert erreicht) zu
         Stereokamerasysteme) automatisch.                    12
                                                                                           ermitteln.
         In diesem Fall ist die maximale Erfassungsreich-
                                                                                           Durch die weitere Bestimmung des Flugobjektes
         weite pro Flugereignis bzw. Flugobjekt durch
                                                                                           und dessen Verhalten durch einen Beobachter (s.
         die Auswertung der Systemdaten selbst zu
                                                                                           Kapitel 6.3 und 6.4), sind artspezifische Erfassungs-
         ermitteln. Die Überprüfung der Genauigkeit der
                                                                                           reichweiten abzuleiten.
         automatischen Positionsbestimmung durch das
         zu erprobende System hat durch eine GPS-be-                                       Zur Beantwortung der Frage, ob die Erfassungs-
         senderte Drohne zu erfolgen. Die Testflüge sind                                   reichweite, unter konservativen Annahmen,
         gleichmäßig auf den artspezifischen Reaktions-                                    ausreichend ist, um eine WEA-Abschaltung sicher
         bereich zu verteilen.                                                             durchführen zu können, ist die ermittelte artspezi-
         Das Zweitsystem (zum Beispiel: Beobachter mit                                     fische Erfassungsreichweite mit dem errechneten
         Laser-Rangefinder) übernimmt darüber hinaus                                       artspezifischen Radius des Reaktionsbereichs zu
         die Erfassung von Flugobjekten und deren Flug-                                    vergleichen (s. weiter oben in Kapitel 6.2).
         weg bzw. Position, die nicht vom Erprobungssys-
         tem erfasst wurden (Falsch-Negativ-Rate).

12   Neben den Systemen, die eine tatsächliche Bestimmung der Flugobjektposition durchführen (Radar- oder Stereokamerasysteme), existieren Kamerasysteme, die
     auf der Grundlage der „Größe“ der Pixelwolke und der definierten Flügelspannweite der jeweiligen Zielart eine Abschätzung der Erfassungsreichweite für einzelne
     Flugereignisse vornehmen.

Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
K apitel 6
                                                                                                                                       |   19

6.3 Erfassungsrate

ZIEL: Die Erprobung der Erfassungsrate ist erforderlich, um eine Aussage
darüber treffen zu können, wie viele der tatsächlich vorkommenden Flugobjekte
durch das System erfasst werden.

Dabei sind falsch-negativ Fälle (Flugobjekte, die durch           »» Anforderungen
das System „übersehen“ werden) von falsch-positiv
Fällen (Flugobjekte, die nicht existieren oder kein Vogel             Für die Dokumentation der vorherrschenden
sind, aber durch das System als relevant registriert                  Bedingungen vor Ort und des Flugobjektes
werden) voneinander zu trennen. Eine Unterscheidung                   bzw. dessen Flugverhalten ist ein einheitliches
zwischen den Arten bzw. die Zielartenerkennung spielt                 Datenblatt (siehe zum Beispiel Anhang 10.3) zu
an dieser Stelle noch keine Rolle (s. Kapitel 6.4). Die               verwenden.
jeweiligen Richtig-Fälle sind zu dokumentieren (Erfas-
                                                                      Bei der Ermittlung der Erfassungsrate sowie der
sungsrate). Wie die Erfassungsreichweite wird auch die
                                                                      Falsch-Positiv- und Falsch-Negativ-Rate ist den in
Erfassungsrate von den vorherrschenden Bedingun-
                                                                      den Kapiteln 4.1 und 6.2 beschriebenen Vorge-
gen (Radarsysteme: insbesondere Witterung, Kamera-
                                                                      hensweisen bei der Datenerhebung zu folgen.
systeme: Bewölkung, Sonnenstand, Sichtverhältnisse)
und durch das betrachtete Flugobjekt (insbesondere                    Situationen, in denen das Flugobjekt nicht erfasst
Flugverhalten, Körpergröße, Anflugwinkel) beeinflusst.                wurde, sind unter Berücksichtigung der jeweils
                                                                      vorherrschenden Bedingungen sowie des Flugver-
                                                                      haltens zu dokumentieren (s. Anhang 10.3).

                                                        Anforderungsprofil „Erprobung“ – © 2019 Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende
20
     |   K apitel 6

6.4 Klassifizierung des Flugobjektes

ZIEL: Sieht das Erprobungssystem eine automatische Klassifizierung des erfassten
Vogels vor (bspw. Größenklassen, Artengruppen, [Ziel-]Art), ist diese zu
überprüfen. Sie stellt die Grundlage für eine art- bzw. artengruppenspezifische
bedarfsgerechte Abschaltung dar.

Die Überprüfung kann gegebenenfalls nur für einen                                  »» Anforderungen
Teil des Erfassungsbereichs des Erprobungssystems
erfolgen, was die Validität der Ergebnisse aber nicht                                   Die Erprobung des Kamera- bzw. Radarsystems
grundsätzlich einschränken muss.                                                        hinsichtlich der korrekten Klassifizierung hat durch
                                                                                        den Vergleich der Systemdaten mit den Beobach-
                                                                                        tungsdaten zu erfolgen.
Validierung der automatisierten
standortspezifischen                                                                    Alle richtig sowie falsch zugeordneten Fälle sind
Systemdatenanalyse                                                                      zu dokumentieren. Die Gründe (bspw. Sichtver-
                                                                                        hältnisse, Flugverhalten, Anflugwinkel) für falsche
Bei der Fokussierung auf relevante Flugobjekte am
                                                                                        Klassifizierungen sind nachvollziehbar im Einzelfall
jeweiligen Standort muss über Parameter und Schwel-
                                                                                        zu beschreiben.
lenwerte entschieden werden, um genau diese Objekte
herausfiltern zu können (insbesondere bestimmte                                         Können Ursachen für mehrfach auftretende falsche
Größenklassen, Flugverhalten, Fluggeschwindigkeit,                                      Klassifizierungen sicher identifiziert werden, sind dar-
Flügelschlagfrequenz). Gegebenenfalls ist das System                                    auf aufbauend Hinweise für die Weiterentwicklung
in Bezug auf die Datenanalyse nachzujustieren bzw.                                      des Erprobungssystems zu formulieren.
zu optimieren. Eine abschließende Systemerprobung
                                                                                        Die für die Durchführung der automatischen Klas-
hat auf der Basis der finalen Systemkonfiguration zu
                                                                                        sifizierung durch das Erprobungssystem erforder-
erfolgen.
                                                                                        liche Zeitdauer (in Sekunden) ist zu dokumentieren
                                                                                        (s. Kapitel 6.2).

                                                                                        Es ist erforderlich, die für die Datenanalyse und
                                                                                        somit für die Fokussierung auf die vorkommenden
                                                                                        Zielarten gesetzten Parameter und Schwellenwerte
                                                                                        genau zu dokumentieren. Wurden Maßnahmen zur
                                                                                        Optimierung der Datenanalyse ergriffen, sind die
                                                                                        Anpassungen und der Optimierungserfolg detail-
                                                                                        liert zu beschreiben.

                                                                                        Sonderfall: Liegen keine Beobachtungsdaten bzw.
                                                                                        Zweitsystemdaten vor, hat bei der Erprobung von
                                                                                        Kamerasystemen eine Überprüfung der vorge-
                                                                                        nommenen Klassifizierung durch die Sichtung der
                                                                                        Videosequenzen zu erfolgen. Diese ist von einem
                                                                                        erfahrenen Ornithologen durchzuführen. Kann das
                                                                                        Flugobjekt nicht durch manuelle Auswertung der
                                                                                        Aufzeichnungen bestimmt werden, sind die Gründe
                                                                                        dafür genau darzulegen.

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