Antwort der Bundesregierung - Deutscher Bundestag
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Deutscher Bundestag Drucksache 19/32695 19. Wahlperiode 25.10.2021 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/32563 – Fragen zum Bau neuer Lager auf den griechischen Inseln Vorbemerkung der Fragesteller In der Nacht vom 8. auf den 9. September 2020 brannte das Lager Moria auf der Insel Lesbos ab. Rund 12 000 Geflüchtete mussten vor den Flammen fliehen; viele von ihnen harrten daraufhin wochenlang ohne Unterstützung auf den umliegenden Straßen aus. Zum Zeitpunkt des Brandes saßen auf den Ägäisinseln Lesbos, Samos, Kos, Leros und Chios insgesamt mehr als 40 000 Schutzsuchende fest. Die meisten hat die griechische Regierung seither aufs Festland gebracht. Wenige Tausend Menschen wurden von anderen EU- Staaten aufgenommen. Nach Deutschland kamen infolge des Brandes auf Moria 2 750 Geflüchtete. Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller ist dies in Anbetracht der vielen notleidenden Menschen eine beschämend niedri- ge Zahl, insbesondere wenn in Betracht gezogen wird, dass etliche deutsche Städte und Kommunen gegenüber dem Bund immer wieder ihre Aufnahmebe- reitschaft zum Ausdruck gebracht hatten. Nach dem Brand wurde auf Lesbos für die obdachlos gewordenen Geflüchteten ein provisorisches Zeltlager auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz gebaut. Dort herrschen allerdings noch weitaus schlechtere Bedingungen als im Lager Moria, das ebenfalls über Jahre in der Kritik gestanden hatte. Die Menschen im Übergangslager Kara Tepe waren insbesondere im vergangenen Winter Wind und Wetter schutzlos ausge- liefert; es fehlt ihnen an Nahrung, Strom und sauberem Trinkwasser. Sie dür- fen das Lager überdies nur stundenweise verlassen; Journalistinnen und NGOs wurde die Berichterstattung untersagt („Ein Jahr nach dem Brand von Moria – Griechenland macht dicht“, dpa vom 7. September 2021, „EU-Kommission: Neues Flüchtlingslager auf Lesbos erst im September 2021“, AFP vom 3. De- zember 2020 sowie https://taz.de/Arzt-ueber-das-Lager-Kara-Tepe-auf-Lesbo s/!5760664/). Zusätzlich begann die griechische Regierung Ende 2020 mit Unterstützung der EU-Kommission mit der Planung fünf neuer „Aufnahmezentren“ auf den Inseln Lesbos, Samos, Kos, Leros und Chios. Die EU stellte hierfür insgesamt 276 Mio. Euro zur Verfügung; erstmals will sie auch einen Teil der Verwal- tung der neuen Lager übernehmen. Das erste Lager auf der Insel Samos soll am 18. September 2021 eröffnet werden. Im Dezember 2020 hatte die EU- Kommission angekündigt, dass auf Lesbos ein „neues, qualitativ hochwertiges Aufnahmezentrum“ „im Einklang mit EU-Recht unter Berücksichtigung inter- nationaler Standards“ entstehen werde. Die Lager sollten über Brandschutz- Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 22. Oktober 2021 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.
Drucksache 19/32695 –2– Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode systeme verfügen und „menschenwürdige Lebensbedingungen“ bieten. Ei- gentlich war die Fertigstellung des Lagers auf Lesbos für September 2021 vor- gesehen; bislang wurde aber nicht einmal mit den Bauarbeiten begonnen („EU-Kommission: Neues Flüchtlingslager auf Lesbos erst im September 2021“, AFP vom 3. Dezember 2020, https://www.zeit.de/politik/ausland/202 1-03/griechenland-fluechtlinge-fluechtlingslager-eu-gelder-migration?utm_ref errer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F, https://www.proasyl.de/new s/vergessenes-elend-ein-jahr-nach-dem-brand-in-moria/). Eine Gruppe von 45 Hilfs- und Solidaritätsorganisationen wirft der griechi- schen Regierung vor, dass sie ein Jahr nach dem Brand in Moria nichts dazu- gelernt habe. Die dortigen Behörden verfolgten weiterhin eine „schändliche Politik zur Abschreckung“ von Schutzsuchenden. Die neuen Lager würden darauf abzielen, die Bewohnerinnen und Bewohner zu isolieren und ihre Be- wegungsfreiheit einzuschränken („Hilfsorganisationen kritisieren neue Lager auf griechischen Inseln“, dpa vom 8. September 2021). 1. Was ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Grund dafür, dass das neue Lager auf der Insel Lesbos bislang noch nicht gebaut wurde, obwohl seine Fertigstellung ursprünglich für September 2021 angekündigt worden war (https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/qanda_20_ 2284)? Die griechische Regierung hat zur Begründung des zeitlichen Rückstands ins- besondere auf Verzögerungen bei der Festlegung eines geeigneten Standorts so- wie auf die danach notwendigen Laufzeiten hinsichtlich der Durchführung des Ausschreibungsverfahrens und der Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Bau verwiesen. 2. Wann werden die neuen Aufnahmelager auf den Inseln Lesbos, Kos, Leros und Chios nach Kenntnis der Bundesregierung fertiggestellt und in Betrieb genommen, und für wie viele Schutzsuchende sind diese jeweils ausge- legt? Nach Auskunft der griechischen Regierung sollen die Aufnahmezentren auf Kos und Leros am 6. beziehungsweise am 8. November eröffnet werden. Der Bau der neuen Aufnahmezentren auf Lesbos und Chios hat noch nicht begon- nen, die griechische Regierung rechnet mit einer Bauzeit von etwa acht Mona- ten. Es sind folgende Kapazitäten vorgesehen: Kos und Leros jeweils etwa 2 000 Personen, Chios 1 800 Personen, Lesbos mindestens 5 000 Personen. 3. Wie viele Schutzsuchende halten sich aktuell nach Kenntnis der Bundes- regierung auf den griechischen Inseln auf, und wie viele von ihnen wurden bereits als Flüchtlinge anerkannt (bitte auch nach den wichtigsten Her- kunftsstaaten aufschlüsseln)? Was ist der Bundesregierung über die momentane humanitäre Situation der Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln bekannt, und welche Schlussfolgerungen zieht sie insbesondere daraus, dass Journalistinnen und Journalisten der Besuch des Übergangslagers Kara Tepe auf der Insel Lesbos untersagt ist (https://taz.de/Ein-Jahr-nach-Brand-in-Moria/!5795 520/)? Auf den griechischen Ägäis-Inseln halten sich nach Angaben der griechischen Behörden vom 23. September 4 591 Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten auf. Eine Aufschlüsselung nach Herkunftsländern liegt der Bundesregierung
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode –3– Drucksache 19/32695 nicht vor. Die Bundesregierung hat keine Kenntnis, wie viele von ihnen bereits als Flüchtlinge anerkannt sind. Die humanitäre Situation in den Aufnahmezentren auf den Inseln hat sich in den letzten Monaten deutlich verbessert, insbesondere, seitdem keines dieser Zentren mehr überbelegt ist. Zur Verbesserung haben auch Ausbauarbeiten im Aufnahmezentrum Kara Tepe/Mavrovouni auf Lesbos sowie die Eröffnung des Aufnahmezentrums Zervou auf Samos beigetragen. Nach Auskunft griechischer Behörden ist der Besuch des Übergangslagers Kara Tepe für Journalistinnen und Journalisten nicht grundsätzlich untersagt. Neben einer Anmeldepflicht gebe es dort jedoch wegen der Coronapandemie Besuchsbeschränkungen. 4. Wie soll nach Kenntnis der Bundesregierung sichergestellt werden, dass die neuen Lager „im Einklang mit EU-Recht“ und „unter Berücksichti- gung internationaler Standards“ betrieben werden (siehe Vorbemerkung der Fragesteller), und welche Möglichkeiten sieht sie, deren Einhaltung zu überwachen, und welche Beschwerde- und Sanktionsmöglichkeiten gibt es ggf. für Bewohner der Lager oder andere Personen, die Verstöße gegen solche Standards beobachten? Die griechischen Behörden arbeiten bei der Planung und Gestaltung der neuen Aufnahmezentren eng mit der Kommission der Europäischen Union (EU) zu- sammen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass jeder EU-Mitgliedstaat sei- ner Verpflichtung zur Einhaltung internationaler sowie europäischer rechtlicher Standards nachkommt, gerade auch mit Blick auf die angemessene Unterbrin- gung und Versorgung von Asylsuchenden. Als Hüterin der Verträge wacht die EU-Kommission über die Einhaltung des europäischen Rechts in den Mitglied- staaten der EU. 5. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, dass das neu gebaute Lager auf Samos „mitten im Nirgendwo“ liege und von drei Zaunreihen und Sta- cheldraht umgeben sei, und inwieweit läuft dies dem Ziel einer menschen- würdigen Unterbringung zuwider (https://www.proasyl.de/news/vergessen es-elend-ein-jahr-nach-dem-brand-in-moria/)? Können die Flüchtlinge das Lager nach Kenntnis der Bundesregierung je- derzeit verlassen, oder sollen sie dort interniert werden? Was ist der Bundesregierung über die das Lager umgebende Infrastruktur bekannt, gibt es beispielsweise eine Anbindung an öffentliche Verkehrs- systeme, Zugang zu Ärzten, Apotheken, Anwälten usw.? Das neu gebaute Aufnahmezentrum auf Samos in Zervou ist etwa 6 Kilometer vom Zentrum der Inselhauptstadt Vathy entfernt. Das Aufnahmezentrum wurde in Abstimmung mit der EU-Kommission errichtet. Die Bewohner und Bewoh- nerinnen können das Aufnahmezentrum tagsüber verlassen, sofern sie sich nicht in Abschiebegewahrsam befinden. Die griechischen Behörden haben eine mehrmals täglich verkehrende Busverbindung zwischen der Inselhauptstadt Vathy und dem Aufnahmezentrum eingerichtet; medizinische Versorgung und Ärzte sind auch innerhalb des Aufnahmezentrums erreichbar.
Drucksache 19/32695 –4– Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 6. Unterstützt die Bundesregierung die griechischen Behörden bei der Ein- richtung der neuen Lager direkt, und was beinhaltet diese Unterstützung ggf. konkret? Inwieweit und in welchem Umfang unterstützt die Bundesregierung Grie- chenland insbesondere finanziell? Die Bundesregierung unterstützt die griechischen Behörden bei der Einrichtung der neuen Aufnahmezentren personell über die Task Force Migration Manage- ment beziehungsweise das Referat für Migrationsmanagement der General- direktion Migration und Inneres der Europäischen Kommission sowie über die Unterstützungsmaßnahmen des Europäischen Unterstützungsbüros für Asyl- fragen. So sind zurzeit vier nationale Sachverständige des Bundesamts für Mig- ration und Flüchtlinge bei der Europäischen Kommission in Athen, Brüssel, Lesbos und Kos eingesetzt. 7. Was beinhaltet nach Kenntnis der Bundesregierung die teilweise Verwal- tung der neuen Lager auf den griechischen Inseln durch die EU, welche EU-Institutionen und Agenturen sollen hieran konkret mit wie viel Perso- nal beteiligt werden, und sollen auch deutsche Beamtinnen und Beamte zur Unterstützung dieser Lager nach Griechenland entsandt werden? Falls ja, in welchem Umfang soll dies geschehen, und welche Aufgaben sollen die Beamten dort übernehmen? Die Europäische Kommission koordiniert den Aufbau sogenannter Mehr- zweck-Unterbringungseinrichtungen (Multi Purpose Reception and Identifica- tion Center) auf den griechischen Inseln. Da sich der Bau des neuen Aufnahme- zentrums in Lesbos verzögert, wurde das neue Aufnahmezentrum in Samos als ein solches Mehrzweck-Zentrum konzipiert. Für die Leitung und Verwaltung dieser Zentren ist der Reception and Identification Service in Griechenland zu- ständig. Die griechische Regierung wird bei dem Betrieb von EU-Agenturen wie dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen, Frontex und Euro- pol sowie von Nichtregierungsorganisationen und internationalen Organisatio- nen wie der Internationalen Organisation für Migration und dem Flüchtlings- kommissariat der Vereinten Nationen unterstützt. Der Bundesregierung liegen keine Informationen vor, mit wieviel Personal sich die EU-Institutionen und Agenturen beteiligen. Bislang wurden über das Europäische Unterstützungs- büro für Asylfragen keine deutschen Expertinnen und Experten speziell zur Unterstützung der Aufnahmezentren in Griechenland angefordert. 8. Wie viele Beamtinnen und Beamte wurden seit 2019 aus Deutschland auf die griechischen Inseln entsandt, und welchen Behörden gehörten sie an (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Welche Aufgaben übernehmen diese Beamtinnen und Beamten in Grie- chenland? Im Jahr 2019 unterstützte die Bundesregierung (hier das Bundesamt für Migra- tion und Flüchtlinge) im Rahmen des zwischen dem Europäischen Unterstüt- zungsbüro für Asylfragen und Griechenland beschlossenen Operationsplans mit 82 Mitarbeitenden in 92 Einsätzen (Schwerpunkt: Umsetzung der EU-Türkei- Erklärung) auf allen fünf Inseln im Bereich der Asylantragsbearbeitung. Im Jahr 2020 unterstützte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit drei Mitarbeitenden in vier Einsätzen auf Lesbos, Chios und Kos und der Ent- sendung von zwei zusätzlichen Experten (Ingenieure) des Technischen Hilfs-
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode –5– Drucksache 19/32695 werks bei der Erkundung möglicher Standorte für das Pilot-Zentrum auf Lesbos. Pandemiebedingt erfolgte eine Aussetzung aller Experteneinsätze des Europäi- schen Unterstützungsbüros für Asylfragen von März bis September 2020. Im Jahr 2021 hat das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen keine Be- darfe für die Inseln abgefragt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat dem Unterstützungsbüro drei Entscheiderinnen und Entscheider zur Ver- fügung gestellt, welche für Qualitätssicherungstätigkeiten nach Athen entsandt wurden. 9. Sind aktuell deutsche Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte im Rahmen von Frontex in Griechenland tätig, und wenn ja, wie viele? Mit Stand 27. September 2021 werden 50 deutsche Polizeibeamtinnen und -be- amte im Rahmen von Frontex-Operationen in Griechenland eingesetzt.
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