Arbeitslosengeld - wie lange man dafür arbeiten muss

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Arbeitslosengeld - wie lange man dafür arbeiten muss
IAB Kurzbericht
Aktuelle Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
                                                                                                                         19/2012

  In aller Kürze                         Leistungsansprüche bei kurzen Beschäftigungszeiten

                                         Arbeitslosengeld – wie lange
„„ Um einen Anspruch auf Arbeits­
losengeld I zu erwerben, muss eine
Person innerhalb der letzten 24 Mo­
nate (Rahmenfrist) mindestens
zwölf Mo­ nate (Anwartschaftszeit)
beschäftigt gewesen sein.
                                         man dafür arbeiten muss
                                         von Elke Jahn und Gesine Stephan
„„ Mit diesen Anspruchsvorausset­
zungen liegt Deutschland etwa im
Mittelfeld der EU-15-Länder. Aus
                                         Rahmenfrist und Anwartschaftszeit sind                  einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu
theoretischer Sicht gibt es für eine
Verlängerung der Rahmenfrist und         wichtige Gestaltungselemente in der                     erwerben. Allerdings gilt diese Regel erst
eine Verkürzung der Anwartschafts­       Arbeitslosenversicherung. Da der Anteil                 seit Februar 2006. Vorher hatte ein Ar-
dauer Pro- und Contra-Argumente.         flexibler Erwerbsformen immer weiter                    beitnehmer 36 Monate Zeit, die Anwart-
„„ Um Effekte möglicher Regelungs­       steigt, ist die Absicherung der Kurzzeit-               schaftszeit von zwölf Monaten zu erfüllen.
änderungen zu untersuchen, wird          beschäftigten bei Arbeitslosigkeit in den                  Eine verkürzte Anwartschaftszeit von
hier der erste Abgang aus Beschäf­       Fokus der Politik gerückt. Wie sich Ver-                sechs Monaten sieht das Gesetz vor für Ar-
tigung im Jahr 2010 analysiert.          änderungen von Rahmenfrist und An-                      beitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse von
„„ Innerhalb von 90 Tagen danach         wartschaftsdauer für diese Gruppe aus-                  Vornherein auf nicht mehr als zehn Wochen
erhielten 43 Prozent der Per­   sonen    wirken, wird im Folgenden theoretisch                   (bis Juli 2012: sechs) befristet waren und
Arbeitslosengeld I und 18 Prozent        und empirisch untersucht.                               deren Verdienste in den zwölf Monaten vor
Ar­beitslosengeld II. Knapp die Hälfte
                                                                                                 Anspruchsentstehung eine jährliche Ent-
der Letzteren war bereits während
                                         Die Anwartschaftszeit gibt an, wie viele Mo-            geltgrenze nicht übersteigen.2 Von dieser
der Erwerbstätigkeit auf Leistungen
der Grundsicherung angewiesen.           nate insgesamt eine Person innerhalb einer              Regel profitiert aber nur ein geringer Teil
                                         Rahmenfrist in Versicherungspflichtverhält-             der „instabil“ Beschäftigten. Gründe hierfür
„„ Wäre im Jahr 2010 die Rahmen­
frist von zwei auf drei Jahre verlän­    nissen1 gestanden haben muss, um einen                  können sein, dass die Befristungen länger
gert worden, hätten etwa 50.000          Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erwerben.              dauerten, der Arbeitsvertrag ohne eine ex-
Personen zusätzlich Leistungen             In Deutschland muss ein Arbeitnehmer                  plizite Befristungsklausel abgeschlossen
aus der Arbeitslosenversicherung         derzeit mindestens zwölf Monate innerhalb               wurde oder die Entlohnung zu hoch war.
er­halten.                               der letzten 24 Monate in Versicherungs-                    Die Folge ist, dass es für Kurzzeitbe-
„„ Bei einer Rahmenfrist von zwei        pflichtverhältnissen beschäftigt gewesen                schäftigte mitunter nicht einfach ist, einen
Jahren in Kombination mit einer          sein, um im Falle einer Arbeitslosmeldung               Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu erwer-
Verkürzung der Anwartschaftszeit                                                                 ben, obwohl sie Beiträge zur Arbeitslo-
von zwölf auf vier Monate hätten         1
                                           Zu diesen zählen neben sozialversicherungspflichti-
                                         ger Beschäftigung auch andere Zeiten nach §§ 24 bis     senversicherung zahlen. Findet sich nicht
vermutlich etwa 250.000 Personen
                                         28a SGB III, z. B. des Krankengeldbezugs.               schnell ein Anschlussjob, müssen sie unter
zusätzlich Leis­tungen bezogen – im      2
                                           Die Entgeltgrenze entspricht der Höhe der Bezugs-
Schnitt aber nur für kurze Zeit.         größe nach § 18 SGB IV. Im Jahr 2011 betrug die Be-
                                                                                                 Umständen von Arbeitslosengeld II leben.
                                         zugsgröße West 30.660 Euro und Ost 26.040 Euro.         Dies hat auch Wirkungen auf die Renten-
Arbeitslosengeld - wie lange man dafür arbeiten muss
ansprüche: Arbeitslosengeld I führt zu Rentenbei-                               hätten. Gesondert betrachtet werden Beschäftigte
                                                     tragszeiten, die sich an 80 Prozent des bisherigen                              aus der Zeitarbeitsbranche, in der die Fluktuation
                                                     Brutto-Arbeitseinkommens bemessen. Für Bezieher                                 besonders hoch ist.3
                                                     von Arbeitslosengeld II sind hingegen seit Anfang
                                                     2011 keine Rentenversicherungsbeiträge mehr von
                                                                                                                                     „„ Internationaler Vergleich
                                                     der Bundesagentur für Arbeit zu leisten.
                                                        Um den Zugang zum Arbeitslosengeld I für Kurz-                               Wichtige Parameter eines Systems der Arbeitslosen-
                                                     zeitbeschäftigte zu erleichtern, könnte man erwä-                               versicherung sind u. a. die Höhe und Dauer der Leis-
                                                     gen, die Rahmenfrist zu verlängern oder die Anwart-                             tungen, die Dokumentation von Suchanstrengungen,
                                                     schaftszeit zu verkürzen. In beiden Fällen wäre es                              Sanktionen sowie Rahmenfrist und Anwartschafts-
                                                     einfacher, die Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen.                            zeit. Die folgende Betrachtung beschränkt sich auf
                                                        Zur besseren Einordnung der deutschen Rege-                                  die beiden Letzteren: Sie variieren im internationa-
                                                     lungen richtet dieser Kurzbericht zunächst einen                                len Vergleich deutlich (vgl. Abbildung 1). Im Mittel
                                                     Blick auf die EU-Länder und zeigt, wie dort An-                                 der EU-15-Länder liegt die Rahmenfrist bei 25 Mo-
                                                     wartschaftszeit und Rahmenfrist geregelt sind. Der                              naten, die Anwartschaftsdauer bei zehn Monaten. In
                                                     leichtere Zugang zum Arbeitslosengeld I hätte nicht                             Deutschland, Österreich und Italien müssen Arbeit-
                                                     nur zur Folge, dass die Zahl der Empfänger steigt                               nehmer mindestens zwölf Monate in den vergan-
                                                    – wie im zweiten Abschnitt erörtert wird –, sondern                              genen 24 Monaten beschäftigt gewesen sein, um
                                                     er kann auch gesamtwirtschaftliche Wirkungen                                    einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu erwerben.
                                                     haben. Schließlich wird untersucht, wie viele Per-                                 Nur in Dänemark und Spanien finden sich deutlich
                                                     sonen im Jahr 2010 beim ersten Abgang aus einer                                 längere Rahmenfristen. Die vergleichsweise großzü-
                                                     versicherungspflichtigen Beschäftigung bei alterna-                             gige Regelung in Dänemark mit 36 Monaten ist Teil
                                                     tiven Kombinationen von Rahmenfrist und Anwart-                                 des Flexicurity-Konzepts, das gleichzeitig kaum eine
                                                     schaftszeit Anspruch auf Arbeitslosengeld I gehabt                              Absicherung des Beschäftigungsverhältnisses durch
                                                                                                                                     einen gesetzlichen Kündigungsschutz vorsieht. In
                                                                                                                                     Spanien haben abhängig Beschäftigte sogar 72 Mo-
     Abbildung 1                                                                                                                     nate Zeit, die Anwartschaftszeit von zwölf Monaten
     Anwartschaftszeit und Rahmenfrist in den                                                                                        zu erfüllen. Hintergrund der langen Rahmenfrist dort
     EU-15-Mitgliedsstaaten 2011                                                                                                     ist, dass ca. ein Drittel aller spanischen Arbeitnehmer
                             80                                                                                                      befristet beschäftigt ist.
                                                                                                         Spanien                        Die Anwartschaftszeit beträgt in den Niederlan-
                             70                                                                                                      den, Luxemburg und Schweden sechs Monate. Al-
                                                                              Durchschnitt EU 15

                                                                                                                                     lerdings müssen niederländische Arbeitnehmer die
                             60                                                                                                      Anwartschaftszeit innerhalb von neun und luxem-
                                                                                                                                     burgische innerhalb von zwölf Monaten erfüllen.
    Rahmenfrist in Monaten

                             50                                                                                                      Schweden hat sogar eine Rahmenfrist von sechs
                                                                                                                                     Monaten, sodass die Arbeitnehmer dort vorher ohne
                             40
                                                                                                         Dänemark                    Unterbrechung beschäftigt gewesen sein müssen,
                                                                                                                                     um einen Anspruch auf Lohnersatzleistung zu erhal-
                                           Frankreich            Finnland
                             30                                                                                       Belgien        ten. Hinzu kommt, dass schwedische Arbeitnehmer
                                                                                                                                     vorher mindestens zwölf Monate Beiträge zur Ar-
                                          Großbritannien         Griechenland                                       Portugal
                                                                                                   Deutschland
                             20
                                                                                                   Österreich
                                                                                                                                     beitslosenversicherung geleistet haben müssen. Am
                                                                                                   Italien                           kürzesten ist die Anwartschaftsdauer in Frankreich:
                                              Luxemburg              Irland
                             10              Niederlande                                                                             Dort erwerben Beschäftigte bereits nach vier Mona-
                                               Schweden
                                                                                                                                     ten einen Anspruch auf Arbeitslosengeld.
                             0
                                  0   2        4           6        8                     10        12         14    16         18
                                                           Anwartschaftszeit in Monaten                                              3
                                                                                                                                       In dem für die Analyse verwendeten Datensatz liegen keine
                                                                                                                                     Informationen über den Vertragstyp vor. Deshalb kann eine Un-
     Quelle: Venn 2012 (Zur besseren Vergleichbarkeit wurden alle Werte auf Monate umgerechnet und
                                                                                                                                     terscheidung zwischen auf Dauer ausgerichteten und befristeten
     gerundet. In Finnland, Irland, Schweden und Österreich müssen Arbeitslose vor dem ersten Anspruch
     mindestens 10 bis 24 Monatsbeiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben.)
                                                                                                                                     Arbeitsverträgen nicht getroffen werden. Leiharbeitnehmer hin-
                                                                                                © IAB                                gegen lassen sich über die Branche „Arbeitnehmerüberlassung“
                                                                                                                                     identifizieren.

2                    IAB-Kurzbericht 19/2012
„„ Die Theorie: Effekte veränderter                     der Anreiz, kürzere Beschäftigungsverhältnisse auf-
   Zugangsbedingungen                                   zunehmen, da diese nun einen Anspruch auf Lohn­
                                                        ersatzleistungen begründen können.
Grundlegende Idee hinter der Festsetzung einer An-        Diesen Vorteilen steht entgegen, dass für man-
wartschaftszeit und Rahmenfrist ist es, die Ausga-      che Arbeitslose ein Anreiz entsteht, erst nach dem
ben der Arbeitslosenversicherung zu begrenzen und       Auslaufen des (kurzen) Anspruchs intensiv nach ei-
möglichen Missbrauch zu verhindern. Generell hat        ner Erwerbstätigkeit zu suchen. Denn die finanzielle
eine Verlängerung der Rahmenfrist zur Folge, dass       Absicherung durch einen Leistungsanspruch kann
der Anteil der Arbeitslosen mit Leistungsanspruch       bewirken, dass der Anspruchslohn4 steigt und die
zunimmt, weil Arbeitnehmer länger Zeit haben, die       Zeit sich verlängert, bis eine neue Stelle angenom-
nötige Anwartschaftszeit zu erfüllen. In die gleiche    men wird. Neuere Studien weisen für Deutschland
Richtung zielt eine Verkürzung der Anwartschafts-       empirisch nach, dass mit einer längeren Anspruchs-
zeit: Sinkt sie bei konstanter Rahmenfrist, nimmt       dauer auch die Dauer der Arbeitslosigkeit steigt (z. B.
die Wahrscheinlichkeit zu, dass Arbeitslose die An-     Schmieder et al. 2012a, b). Darüber hinaus kann es
spruchskriterien erfüllen – der Anteil der Anspruchs-   zu Mitnahmeeffekten kommen, wenn Personen, die
berechtigten steigt.                                    dem Arbeitsmarkt nur eingeschränkt zur Verfügung
   Die Änderung der Anspruchskriterien hat jedoch       stehen, nun anspruchsberechtigt werden. Auch ist
noch eine Reihe weiterer Wirkungen, die in Tabel-       nicht auszuschließen, dass die Hemmschwelle, einen
le 1 zusammengefasst und im Folgenden ausführ-          Arbeitnehmer zu entlassen, für Arbeitgeber sinkt:
lich dargestellt werden.                                Bei großzügigeren Anspruchsvoraussetzungen kön­
                                                        nen sie eher davon ausgehen, dass der entlassene
Wirkung auf die Arbeitslosen                            Arbeitnehmer sozial abgesichert ist.
Eine großzügigere Ausgestaltung von Rahmen-
                                                        4
                                                         Der Anspruchslohn, auch Reservationslohn genannt, bezeichnet
frist und Anwartschaftszeit zahlt sich für neue         den Lohn, bei dem ein Arbeitnehmer gerade noch bereit ist, eine
Anspruchsberechtigte nur dann aus, wenn ihr An-         Arbeit anzunehmen.
spruch auf Arbeitslosengeld I über dem auf Grund-
sicherung ihrer Bedarfsgemeinschaft liegt oder ihre
Bedarfsgemeinschaft keinen Anspruch auf Grund­
                                                            Tabelle 1
sicherungsleistungen gehabt hätte.
   Hingegen gibt es bei vorherigen Aufstockern zum          Die wichtigsten Argumente für und gegen eine Verlängerung
                                                            der Rahmenfrist und eine Verkürzung der Anwartschaftszeit
Erwerbseinkommen keine Effekte auf das Haushalts-
einkommen (und damit auf die soziale Absicherung),                                        Pro                               Contra
wenn die Schutzfunktion der Arbeitslosenversiche-            Effekte für Kunden nur       „„   Chance auf eine bessere      „„   Steigende Suchdauer nach
                                                             dann, wenn der Anspruch           Passung von Arbeitslosen          einer neuen Beschäftigung
rung ausgeweitet wird.                                       neu erworben wurde und            und Arbeitsplätzen                aufgrund höheren
   Unter der Voraussetzung, dass der Arbeitslosen-           a) der Arbeitslosengeld-          (aufgrund längerer                Anspruchslohns
                                                                anspruch über dem              Suchdauer)                        Mögliche Mitnahmeeffekte
geldanspruch über dem Grundsicherungsanspruch                                                                               „„
                                                                Grundsicherungsniveau     „„   Niedrigeres Armutsrisiko          (bei Meldung trotz
der Bedarfsgemeinschaft liegt, ist davon auszugehen,            der Bedarfsgemein-        „„   Bessere Planungssicherheit        fehlender Verfügbarkeit)
dass das Armutsrisiko des anspruchsberechtig­    ten            schaft liegt oder                                           „„   Hemmschwelle für arbeit-
                                                                                          „„   Aufnahme kurzer
                                                             b) auf Grundsicherung kein        Arbeitsverhältnisse wird          geberseitige Entlassungen
Personenkreises zurückgeht und die Planungssicher-              Anspruch besteht.                                                sinkt (z. B. saisonal), da
                                                                                               attraktiver
heit steigt. Hiervon profitieren vor allem Personen,                                                                             verbesserte Absicherung
die tätigkeitsbedingt – wie etwa Saison- oder Ge-            Wirkung auf die              „„   Vereinfachungen              „„   Mehr Anspruchsberechtigte
legenheitsarbeiter – nur geringe Anteile des Jahres          Arbeitslosenversicherung          gegenüber der jetzigen       „„   Höhere Ausgaben
                                                                                               Regelung einer kurzen             für Arbeitslosengeld
erwerbstätig sind. Das Entstehen eines Anspruchs                                               Anwartschaftszeit
                                                                                                                            „„   Steigende Verwaltungskosten
auf Arbeitslosengeld I hat für diese Arbeitslosen
                                                                                                                            „„   Lastverschiebung von
außer­dem den Vorteil, dass sie länger nach einer ge-                                                                            Bund/Kommunen zur BA
eigneten Stelle Ausschau halten können und nicht
                                                             Gesamtwirtschaftliche        „„   Niedrigeres Armutsrisiko     „„   Risiko höherer
jede Beschäftigung annehmen müssen, um ihr Exis­             Wirkungen                                                           Arbeitslosenquote
                                                                                          „„   Niedrigeres Risiko,
tenzminimum zu decken. Die Folge könnte sein, dass                                             Grundsicherungs-
                                                                                               leistungen zu beziehen
sich die Passung zwischen Arbeitslosen und Arbeits-
plätzen verbessert sowie die Qualität und Dauer von         Quelle: Eigene Zusammenstellung.                                                            © IAB
Beschäftigungsverhältnissen zunimmt. Zudem steigt

                                                                                                                             IAB-Kurzbericht 19/2012            3
Wirkung auf die Arbeitslosenversicherung                   schaftszeit vorsieht – vereinfacht werden könnte.
                              Da die diskutierten Änderungen den Anteil der An-          Hierzu gehört vor allem die Prüfung, ob und wie
                              spruchsberechtigten erhöhen, steigen voraussicht-          lange Arbeitsverträge befristet waren, und welches
                              lich die Ausgaben für Lohnersatzleistungen. Weil           Einkommen in den letzten zwölf Monaten vor dem
                              auch die Zahl der Anträge auf Arbeitslosengeld zu-         Anspruch erzielt wurde.
                              nehmen wird, ist darüber hinaus mit einem Anstieg
                              der Verwaltungskosten zu rechnen. Die finanziellen         Gesamtwirtschaftliche Wirkungen
                              Mittel hierfür könnten z. B. durch eine Beitrags-          Großzügige Bestimmungen bei den Anspruchskrite­­
                              satzerhöhung aufgebracht werden. Insgesamt käme            rien können das Armutsrisiko bzw. das Risiko,
                              es zu einer Lastenverschiebung vom Bund bzw. den           Grund­­sicherung zu beantragen, senken. Dies kann
                              Kommunen zur Bundesagentur für Arbeit, da ein Teil         insbesondere in Krisenzeiten auch einen konsum­
                              der bisherigen Empfänger von Arbeitslosengeld II           stabili­sierenden Effekt haben. Gleichzeitig steigen
                              nun Anspruch auf Arbeitslosengeld I hätte.                 die Ausgaben. Erfolgt die Gegenfinanzierung durch
                                 Für Erwerbslose nimmt der Anreiz zur Arbeitslos­        einen höheren Beitragssatz, steigen einerseits die
                              meldung infolge der erweiterten Anspruchsberechti­         Sozialabgaben für alle beschäftigten Arbeitnehmer
                              gung zu. Es könnten sich nun auch Arbeits­lose bei der     (mit der Folge, dass ihre Nettoeinkommen sinken).
                              Arbeitsagentur melden, die bereits eine Anschluss-         Andererseits steigen die Lohnnebenkosten der Ar-
                              beschäftigung in Aussicht haben, um sehr kurze Fris­       beitgeber. Dadurch nehmen die Kosten des Pro-
                              ten zwischen zwei kurzen Beschäftigungsverhält-            duktionsfaktors Arbeit für alle Branchen und Qua-
                              nissen zu überbrücken. Dies gilt auch für die bereits      lifikationsstufen zu, wodurch die Nachfrage nach
                              erwähnten Personengruppen, die dem Arbeitsmarkt            Arbeitskräften insgesamt zurückgehen dürfte.
                              an sich nicht ganzjährig zur Verfügung stehen.                Die Gesamtwirkung solcher Änderungen auf die
                                 Ein Vorteil der Verkürzung der Anwartschaftszeit        Zahl der registrierten Arbeitslosen setzt sich wie
                              wäre, dass die bisherige Regelung – die in wenigen         folgt zusammen: Erstens erwerben Personen zu-
                              Sonderfällen zurzeit bereits eine kurze Anwart-            sätzlich einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Bei
                                                                                         ihnen kann die Dauer der Suche nach einer neuen
                                                                                         Stelle (und damit die durchschnittliche Dauer der
      i    Die Datengrundlage                                                            Arbeitslosigkeit) zunehmen. Zweitens steigt der An-
                                                                                         reiz, auch kürzere Arbeitsverhältnisse zu akzeptieren.
    Die Auswertungen basieren auf den Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) des
    IAB in der Version V09.01. Datenbasis ist eine 10-Prozent-Stichprobe aller Per-      Drittens können aufgrund der gestiegenen Arbeits-
    sonen, die im Zeitraum 12/2009 bis 11/2010 ein Versicherungspflichtverhältnis        kosten Arbeitsplätze entfallen. Insgesamt besteht
    beendet haben, für das eine Beschäftigungsmeldung abgegeben wurde. Pro               das Risiko, dass die Zahl der registrierten Arbeits­
    Person wird nur die erste Meldung im Beobachtungszeitraum untersucht. Dies
                                                                                         losen und damit die Arbeitslosenquote steigt.
    unterscheidet sich vom Fallkonzept der Statistik der Bundesagentur für Arbeit,
    bei dem eine Person im Jahresverlauf durchaus mehrmals gezählt werden kann.
    Der aktuelle Datenrand liegt bei den Beschäftigungsmeldungen am 31.12.2010,          Flexible Beschäftigung
    bei den Meldungen von Zeiten der Arbeitsuche, des Leistungsbezugs und von            In dem diskutierten Kontext der Anspruchsvorausset-
    Maßnahmeteilnahmen am 14.7.2011.                                                     zungen der Arbeitslosenversicherung nimmt flexi­ble
    Der hier untersuchte Datensatz aus der 10-Prozent-Stichprobe umfasst etwa            Beschäftigung eine Sonderrolle ein. Dabei sind vor
    315.000 Personen, dabei wurde folgende Auswahl getroffen:
                                                                                         allem Leiharbeitnehmer und befristet Beschäftigte
    „„ Berücksichtigt werden nur Abgänge aus Beschäftigung, bei denen für den
                                                                                         von Interesse, da sie einen überproportional hohen
    Folgemonat kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gemeldet
    wurde. Für die untersuchte Fragestellung sind Abgänge aus Mini-Jobs sowie            Anteil der Anpassungslast bei Veränderung der kon-
    Job-to-Job-Integrationen von untergeordnetem Interesse.                              junkturellen Lage tragen (Bundesagentur für Arbeit
    „„ Die Auswertung beschränkt sich auf Personen, die zum Zeitpunkt der jeweils        2012). Im Juni 2011 wurden erstmals über 900.000
    interessierenden Meldung zwischen 15 und 64 Jahre alt waren.                         Leiharbeitnehmer registriert. Etwa die Hälfte der
    „„ Ausgeschlossen werden Jahresmeldungen mit Anschlussmeldung, Abmel­­dun-
                                                                                         Leiharbeits­
                                                                                                    verhältnisse endet nach weniger als
    gen aufgrund von Erziehungszeiten, Tod, Krankenkassen- oder Beitrags­        grup­
    pen­wechseln, Unterbrechungsmeldungen wegen des Bezugs von Entgeltersatz­
                                                                                         drei Monaten. Weit über zwei Millionen Arbeits-
    leistungen (z. B. Krankengeld) sowie Abgänge aus Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,       kräfte sind heute befristet beschäftigt; von 1996
    Arbeitsgelegenheiten oder aus Arbeitsverhältnissen, die mit dem Beschäfti­           bis 2010 stieg der Anteil befristeter Arbeitsverhält-
    gungszuschuss gefördert wurden. Zudem werden Meldungen mit einem Tages­              nisse von unter 5 auf etwa 9 Prozent der Gesamt-
    ent­gelt von Null nicht berücksichtigt, da diese i. d. R. Unterbrechungsmeldungen
                                                                                         beschäftigung (Hohendanner 2010). Vor zehn Jahren
    kennzeichnen. Davon abgesehen gehen auch Meldungen sehr kurzer und sehr
    gering entlohnter Beschäftigungsverhältnisse in die Auswertungen ein.                war weniger als jede dritte Neueinstellung befristet,
                                                                                         mittlerweile ist es fast jede zweite.

4     IAB-Kurzbericht 19/2012
Diese Gruppen können in einer Gesamtbetrachtung
                                                             Abbildung 2
einerseits als Nettozahler gesehen werden, wenn
                                                             Verteilung der Zugangszeitpunkte in Lohnersatzleistungen
sie trotz Beitragszahlungen von den Leistungen
                                                             relativ zum Zeitpunkt des Abgangs aus Beschäftigung
der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen sind.            2010, kumulierte Anteile in Prozent
Das ist der Fall, wenn es ihnen trotz gelegentlicher
Phasen der Erwerbstätigkeit nicht gelingt, die An-                                                      50       Alle Abgänge aus versicherungspflichtiger Beschäftigung

                                                             Anteil an den Abgängen aus Beschäftigung
                                                                                                        45
wartschaftszeit innerhalb der Rahmenfrist zu erfül-
                                                                                                        40             Arbeitslosengeld II
len. Andererseits könnten sie als Nettoempfänger                                                                       Arbeitslosengeld I
                                                                                                        35
Leistungen der Arbeitslosenversicherung überpro-
                                                                                                        30
portional in Anspruch nehmen, wenn ihr Arbeitslo-                                                       25
sigkeitsrisiko deutlich höher ausfällt als bei anderen                                                  20
Beschäftigtengruppen. Aus theo­retischer Sicht las-                                                     15
sen sich hierzu keine eindeutigen Prognosen treffen.                                                    10
                                                                                                        5
                                                                                                        0
„„ Die Empirie: Analyse von Abgängen                                                                         früher -11 -10 -9    -8    -7   -6   -5   -4   -3   -2   -1   1   2   3   4   5    6
                                                                                                               Monat des Zugangs in Lohnersatzleistungen relativ zum Abgang aus Beschäftigung
   aus Beschäftigung
Wie setzt sich der Personenkreis zusammen, der aus                                                      50         Abgänge aus der Arbeitnehmerüberlassungsbranche
                                                             Anteil an den Abgängen aus Beschäftigung

                                                                                                        45
versicherungspflichtiger Beschäftigung in Arbeitslo-                                                                   Arbeitslosengeld II
                                                                                                        40
sigkeit übergeht? Wie hoch wäre die Zahl der zusätz-                                                                   Arbeitslosengeld I
                                                                                                        35
lichen Personen gewesen, die bei einer Verlängerung                                                     30
der Rahmenfrist bzw. Verkürzung der Anwart-                                                             25
schaftszeit nach dem Ende einer Beschäftigung ei-                                                       20
nen Anspruch auf Arbeitslosengeld I gehabt hätten?                                                      15
Im Folgenden wird jeweils der erste Abgang einer                                                        10

Person aus einer versicherungspflichtigen Beschäf-                                                       5

tigung im Zeitraum 12/2009 bis 11/2010 untersucht,                                                       0
                                                                                                             früher -11 -10 -9     -8   -7   -6   -5   -4   -3   -2   -1   1   2   3   4   5    6
wenn diese anschließend mindestens einen Monat                                                                 Monat des Zugangs in Lohnersatzleistungen relativ zum Abgang aus Beschäftigung

ohne Beschäftigung war (vgl. Infokasten links).                   Lesehilfe: Der Monat -2 (-1) auf der Zeitachse umfasst Zugänge bis 30 (0) Tage vor Beginn der Arbeits-
                                                                  losigkeit. Der Monat 1 (2) umfasst Zugänge bis 30 (60) Tage nach Beginn der Arbeitslosigkeit.

Anteil der Leistungsbezieher an den                               Anmerkungen: Aufstocker sind sowohl bei den Arbeitslosengeld-I-Beziehern als auch bei den
                                                                  Arbeitslosengeld-II-Beziehern eingeordnet. Die Abgrenzung der Stichprobe ist im Infokasten
Abgängen aus Beschäftigung                                        links beschrieben.
                                                                  Quelle: IAB-Auswertungen auf Basis der IEB.                                             © IAB
Zunächst wird untersucht, ob Personen innerhalb von
90 Tagen nach dem Ende einer sozialversicherungs-
pflichtigen Beschäftigung Leistungen bezogen ha-         geld-II-Empfänger bereits mindestens einen Monat
ben (das bedeutet nicht, dass sie diese Leistung auch    vor dem Ende der Beschäftigung Arbeitslosengeld II.
am Ende des 90-Tage-Zeitraums noch beziehen). Die        Diese Personen sind also keine „Neuzugänge“ im Ar-
90-Tage-Abgrenzung wird gewählt, da bei Arbeitslo-       beitslosengeld II, sondern haben bereits zuvor das
sengeld-I-Bezug im Falle einer Eigenkündigung eine       Erwerbseinkommen aufgestockt oder aus anderen
Sperrzeit von drei Monaten greifen kann. Aufsto-         Gründen Grundsicherungsleistungen bezogen.
cker werden im Folgenden sowohl bei den Arbeits-           In der Arbeitnehmerüberlassungsbranche bezogen
losengeld-I- als auch bei den Arbeitslosengeld-II-       sogar 40 Prozent der Abgänger aus Beschäftigung
Beziehern ausgewiesen.                                   bzw. mehr als die Hälfte aller Leistungsempfänger
   Innerhalb von 90 Tagen nach Ende der Beschäf-         innerhalb von 90 Tagen Arbeitslosengeld II. Jedoch
tigung bezogen 43 Prozent der Abgänger Arbeits-          erhielten 21 Prozent dieser Arbeitslosengeld-II-Emp-
losengeld I und 18 Prozent Arbeitslosengeld II (vgl.     fänger (also wiederum mehr als die Hälfte der spä-
Abbildung 2). Darunter waren 5 Prozentpunkte             teren Bezieher) bereits mindestens einen Monat vor
Leis­tungsaufstocker, bekamen also Arbeitslosen-         Beschäftigungsende Leistungen der Grundsiche­rung.
geld I und II. Damit erhielt ein knappes Drittel aller
Leistungsbezieher Arbeitslosengeld II.5                  5
                                                           Wenn betrachtet wird, wer innerhalb von 10 Tagen Leistungen
                                                         bezogen hat, so beträgt der Anteil der ALG-II-Bezieher 24 %. Von
   Allerdings erhielten 8 Prozent der Stichprobe und     diesen erhielten 68 % bereits mindestens einen Monat vorher
somit knapp die Hälfte der späteren Arbeitslosen-        Arbeits­losengeld II.

                                                                                                                                                                      IAB-Kurzbericht 19/2012       5
Tabelle 2                                                                                        Hier zeigt sich noch stärker als für die Gesamtgrup-
    Struktur der Abgänge aus Beschäftigung                                                           pe der Beschäftigten, dass soziale Problemlagen oft
    Abgänge im Zeitraum 12/2009 bis 11/2010, Anteile einzelner Personengruppen in Prozent            schon vor dem Ende einer Beschäftigung bestanden.
                                                Alle Branchen
                                                                              darunter:                Personen, die bereits während der Erwerbstätig-
                                                                      Arbeitnehmerüberlassung
                                                                                                     keit mit Arbeitslosengeld II aufstocken mussten,
                                         kein                          kein
                                                   Alg I*   Alg II*             Alg I* Alg II*       würden von einer großzügigeren Ausgestaltung der
                                        Bezug*                        Bezug*
    Frauen                                48         39         37      30       27      23          Anspruchskriterien nicht profitieren, da sie trotz An-
    Ausländer                             19          9         18      21        11        17       spruch auf Arbeitslosengeld I weiterhin aufstocken
    Letzte Beschäftigung in                                                                          müssten.6
                                          16         27         31      14        25        24
    Ostdeutschland
    nach Altersgruppen
    16-24 Jahre                           25         15         18      43        21        23       Struktur der Abgänge aus Beschäftigung
    25-34 Jahre                           28         25         33      25        28        35       Arbeitslosengeld-I-Empfänger sind – unter den Ab-
    35-44 Jahre                           19         23         25      15        20        21       gängen aus Beschäftigung – tendenziell älter als Ar-
    45-54 Jahre                           16         23         19      13        22        17       beitslosengeld-II-Empfänger (vgl. Tabelle 2). Ebenso
    55-64 Jahre                           12         13          5       5         9         4       beziehen Arbeitslose mit nicht deutscher Staats­
    nach Beschäftigungsstatus
                                                                                                     ange­hörigkeit relativ häufiger Arbeitslosengeld II als
    Einfache Arbeiter (Vollzeit)          28         29         45      65        53        71
                                                                                                     Arbeitslosengeld I. Ein knappes Drittel war zuletzt
    Facharbeiter/Meister (Vollzeit)       13         25         14      13        24        12
                                                                                                     in Ostdeutschland beschäftigt und fast die Hälfte
    Angestellte (Vollzeit)                32         29         13       9        14         5
                                                                                                     der Arbeitslosengeld-II-Empfänger sind einfache
    Auszubildende                           1         1          1       0         0         0
    Teilzeitbeschäftigte                  26         17         26      13         8        11
                                                                                                     Arbeiter. Personen, die vorher teilzeitbeschäftigt
    nach Qualifikation                                                                               waren, erhalten ebenfalls relativ häufiger Arbeitslo-
    Ohne Ausbildung                       24         18         37      43        21        41       sengeld II als Arbeitslosengeld I. Über ein Drittel hat
    Berufsausbildung/Abitur               53         73         60      51        75        58       keinen Ausbildungsabschluss.
    Uni-/FH-Abschluss                     12          9          3       4         4         2          Besonders auffällig ist: Mehr als ein Viertel der
    nach Branchen                                                                                    Arbeitslosengeld-II-Empfänger war zuvor in der Ar-
    Verarbeitendes Gewerbe                14         15          6       –         –         –       beitnehmerüberlassung tätig (27 %). Arbeitslosen-
    Land und Forst, Fischerei,
    Bergbau
                                            4         2          2       –         –         –       geld-II-Empfänger finden sich aber auch vergleichs-
    Energie, Wasser, Abfall                 0         1          1       –         –         –       weise häufig in der Branche Sonstige wirtschaftliche
    Baugewerbe                              5        12          8       –         –         –       Dienstleistungen (12 %) und im Gastgewerbe (10 %).
    Handel (einschl. Reparatur Kfz)       13         15         12       –         –         –          Die Auswertung der Personenmerkmale von Ar-
    Verkehr und Lagerei                     5         6          6       –         –         –       beitslosengeld-II-Empfängern, die vorher in der Ar-
    Gastgewerbe                             8         7         10       –         –         –       beitnehmerüberlassungsbranche tätig waren, bestä-
     Information und Kommunikation          3         2          2       –         –         –       tigt ebenfalls, dass diese Personen vorher vor allem
     Finanzen und Versicherungen            3         1          0       –         –         –
                                                                                                     einfache Tätigkeiten ausgeübt haben (71 %) und
     Grundstücks- und
                                            1         1          1       –         –         –       häufig über keine Ausbildung verfügten (41 %, vgl.
     Wohnungswesen
     Freiberufl. wissenschaftl. und
                                            5         5          2       –         –         –
                                                                                                     Tabelle 2).
     techn. Dienstleistungen
                                                                                                        Die Verdienste der Arbeitslosengeld-I-Bezieher
     Arbeitnehmerüberlassungs-
                                            9        10         27     100       100      100        waren in der letzten Beschäftigung deutlich höher
     branche
     Sonstige wirtschaftliche
                                            6         7         12       –         –         –       als bei Personen, die Arbeitslosengeld II erhalten.
     Dienstleistungen
                                                                                                     Tatsächlich haben 50 Prozent der späteren Arbeits-
     Öffentliche Verwaltung                 4         2          1       –         –         –
     Erziehung und Unterricht               5         3          2       –         –         –
                                                                                                     losengeld-II-Bezieher in ihrer letzten Beschäftigung
     Gesundheits- und Sozialwesen          11         6          5       –         –         –       weniger als 1.054 Euro pro Monat und 80 Prozent
     Kunst, Unterhaltung                                                                             weniger als 1.557 Euro pro Monat verdient (vgl.
                                            2         1          1       –         –         –
     und Erholung                                                                                    Tabelle 3). Von den späteren Arbeitslosengeld-I-
     Sonstige Dienstleistungen
     und private Haushalte
                                            3         3          3       –         –         –       Beziehern verdienten hingegen 50 Prozent weniger
     Beobachtungen                     135.962 136.652       57.714 12.647 13.488         15.561     als 1.661 Euro pro Monat und 80 Prozent weniger
    * Innerhalb von 90 Tagen nach dem Abgang aus Beschäftigung.                                      als 2.465 Euro pro Monat. In der Arbeitnehmerüber-
    Anmerkungen: Aufstocker sind sowohl bei den Arbeitslosengeld-I-Beziehern als auch bei den        lassungsbranche liegen die Verdienste niedriger.
    Arbeitslosengeld-II-Beziehern eingeordnet. Die Abgrenzung der Stichprobe ist in dem Infokasten
    zur Datengrundlage (Seite 4) beschrieben.
    Lesehilfe: Von den Personen ohne Leistungsbezug waren 48 % Frauen. Bei den Abgängen
    mit ALG-I-Bezug sind es 39 %, bei denen mit ALG-II-Bezug sind es 37 %. Das impliziert,           6
                                                                                                       Weitere Informationen zum Wechsel zwischen kurzen Beschäf-
    dass Frauen unterproportional Leistungen beziehen.                                               tigungszeiten und Leistungsbezug nach dem SGB II finden sich in
    Quelle: IAB-Auswertungen auf Basis der IEB.                                             © IAB    Koller/Rudolph (2011).

6     IAB-Kurzbericht 19/2012
Wie hätten sich eine Verlängerung
der Rahmenfrist und/oder eine Verkürzung
                                                        i        Die Schätzung eines erweiterten Anspruchs im Jahr 2010
der Anwartschaftsdauer ausgewirkt?                          Für die Schätzung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld I im Fall einer Ar-
Auf Basis von Individualdaten lassen sich die direk­        beitslosmeldung wird zunächst ermittelt, wie viele Tage Personen innerhalb
ten „Erstrundeneffekte“ einer Veränderung von Rah-          der Rahmenfrist in Versicherungspflichtverhältnissen gemeldet waren. Dabei
menfristen und Anwartschaftszeiten abschätzen. Pro          ist zu berücksichtigen, dass eine Rahmenfrist nicht in eine vorangegangene
                                                            Rahmenfrist hineinragen kann: Wurden innerhalb der letzten zwei (drei) Jahre
Person wird nur die erste Meldung im Beobachtungs-
                                                            Leistungen in Anspruch genommen, so beginnt die aktuelle Rahmenfrist mit
zeitraum untersucht (vgl. Infokasten rechts). Dies          der letzten Leistungsepisode (oder einem Ruhezeitraum) innerhalb der letzten
geschieht im Folgenden für ausge­wählte Varianten,          zwei (bzw. drei) Jahre, der ein erstmaliger oder neu erfüllter Anspruch auf Ar-
die Anfang 2012 im politischen Raum diskutiert wur-         beitslosengeld zugrunde lag. Vereinfachend wird dies hier als Beginn der letz-
den. Mögliche Verhaltens­effekte und längerfristige         ten Leistungsepisode innerhalb der letzten zwei (bzw. drei) Jahre nachgebildet,
                                                            die mehr als eine Woche nach einer anderen Leistungsperiode begann. Wei-
Effekte werden dabei allerdings nicht berücksichtigt.
                                                            terhin können Restansprüche innerhalb von vier Jahren seit ihrer Entstehung
Zudem nimmt ein vergleichsweise hoher Anteil der            geltend gemacht werden.
Personen trotz der mindestens einmonatigen Unter-
brechung bis zum nächsten Beschäftigungsverhält-
nis keine Leistungen in Anspruch – auch wenn ein            Tabelle 3
solcher infolge der geänderten Anspruchsvorausset-          Brutto-Monatsentgelte vor dem Abgang aus Beschäftigung
zungen bei der Arbeitslosmeldung bestanden hätte.           in Euro
Daher wird die geschätzte Zahl der Anspruchsbe-
                                                                                                                                     darunter:
rechtigten mit dem Anteil der tatsächlichen Inan-                                             Alle Branchen
                                                                                                                             Arbeitnehmerüberlassung
spruchnahme innerhalb von 90 Tagen gewichtet.                                   kein Bezug*      Alg I*        Alg II*   kein Bezug*    Alg I*       Alg II*
   Insgesamt lassen die gewichteten Zahlen vermu-            Mittelwert          1.607          1.857         1.125       1.172        1.431        1.036
ten, dass eine Rahmenfrist von drei Jahren in Kombi-         Perzentile
nation mit einer Anwartschaftsdauer von zwölf Mo-             20. Perzentil        604          1.057          590          709          959          647
naten im Jahr 2010 dazu geführt hätte, dass etwa              50. Perzentil      1.293          1.661         1.054       1.116        1.273        1.024

50.000 zusätzliche Personen in diesem Zeitraum                80. Perzentil      2.316          2.465         1.557       1.518        1.783        1.330

Arbeitslosengeld I bezogen hätten – dies entspricht         * Innerhalb von 90 Tagen nach dem Abgang aus Beschäftigung.
einem Anstieg des Anteils der entsprechenden Leis­          Anmerkung: Aufstocker sind sowohl bei den Arbeitslosengeld-I-Beziehern als auch bei den Ar­
                                                            beitslosengeld-II-Beziehern eingeordnet. Zur Abgrenzung der Stichprobe vgl. Infokasten auf S. 4.
tungs­bezieher an allen Abgängen um 2 Prozent (vgl.         Lesehilfe: Ein 50. Perzentil von 1.293 Euro gibt an, dass 50 Prozent aller Personen in der Gruppe
Tabelle 4).                                                 brutto nicht mehr als 1.293 Euro pro Monat verdienten.
                                                            Quelle: IAB-Auswertungen auf Basis der IEB.                                                  © IAB
   Verkürzt man die Anwartschaftszeit bei einer Rah-
menfrist von drei Jahren auf sechs Monate, hätten
etwa 200.000 Personen (6 %) zusätzlich Arbeits­
losengeld I erhalten.                                       Tabelle 4

   Eine Rahmenfrist von zwei Jahren in Kombina­             Geschätzter zusätzlicher Arbeitslosengeld-I-Bezug nach dem ersten
tion mit einer Anwartschaftsdauer von vier Mona-            Abgang aus Beschäftigung im Zeitraum 12/2009 bis 11/2010
                                                            Personen in 1.000
ten hätte hingegen knapp 250.000 (8 %) zusätzliche
Leistungsbezieher bedeutet. Unter diesen wären                                            Alle Branchen
                                                                                                                                     darunter:
                                                                                                                             Arbeitnehmerüberlassung
40.000 aus der Arbeitnehmerüberlassungsbranche
                                                             Anwart-                                               Rahmenfrist
gewesen. Würde das bisherige Verhältnis von Bei-
                                                             schaftszeit            2 Jahre               3 Jahre           2 Jahre              3 Jahre
trags- zu Anspruchszeiten (2:1) erhalten bleiben,
                                                                                                              Zuwachs in 1.000
hätten die zusätzlichen Leistungsbezieher bei der
                                                             12 Monate                                     + 52                                     +9
letztgenannten Variante im Mittel allerdings nur
                                                             6 Monate               + 168                 + 202               + 24                 + 34
einen Anspruch von fünf Monaten erworben – der               4 Monate               + 247                 + 275               + 39                 + 48
Effekt auf das Volumen an Arbeitslosen in Personen-                                               Zuwachs in Prozent (an allen Abgängen)
jahren hätte damit deutlich unter demjenigen auf             12 Monate                                        +2                                    +2
die betroffene Personenzahl gelegen.                         6 Monate                    +5                   +6                 +6                 +9
   Bei allen untersuchten Varianten bezog etwa ein           4 Monate                    +8                   +9              + 10                 + 12
Drittel der geschätzten zusätzlichen Arbeitslosen-          Anmerkung: Für die Berechnungen wurden die vorhergesagten Ansprüche mit dem bis­
                                                            herigen Anteil tatsächlicher Inanspruchnahme innerhalb von 90 Tagen an den geschätz-
geld-I-Empfänger unter den aktuellen Regelungen
                                                            ten Ansprüchen gewichtet. Zur Abgrenzung der Stichprobe vgl. Infokasten auf Seite 4.
innerhalb von 90 Tagen nach Ende der Beschäfti-             Quelle: IAB-Auswertungen auf Basis der IEB.                                                    © IAB
gung Arbeitslosengeld II. In der Arbeitnehmerüber-

                                                                                                                                 IAB-Kurzbericht 19/2012           7
lassungsbranche ist dies sogar für mehr als die Hälf-  folge einer Verlängerung der Rahmenfrist oder einer
                                     te der zusätzlichen Arbeitslosengeld-I-Bezieher der    Verkürzung der Anwartschaftsdauer zusätzlich An-
                                     Fall (vgl. Tabelle 5).                                 spruch auf Arbeitslosengeld I erworben hätten.
                                       Je nach Variante erhielten 40 bis 45 Prozent die-       Aus theoretischer Sicht gibt es Gründe für und
                                     ser Arbeitslosengeld-II-Empfän­ger – dies entspricht   gegen eine Verlängerung der Rahmenfrist bzw. eine
                                     einem Siebtel der zusätzlichen Empfänger – bereits     Verkürzung der Anwartschaftsdauer – ihre Gewich-
                                     mindestens einen Monat vor Ende der Beschäftigung      tung ist letztlich eine politische Entscheidung.
PD Dr. Elke Jahn                     Grundsicherungsleistungen. Bei diesem Personen-           Eines zeigen unsere Befunde jedoch deutlich: Die
ist wissenschaftliche                kreis wäre durch den Bezug von Arbeitslosengeld I      Arbeitslosenversicherung kann die soziale Absiche-
Mitarbeiterin im Forschungs-
                                     die Bedürftigkeit nicht beendet worden. Hingegen       rung von Randbelegschaften nur begrenzt gewähr-
bereich „Arbeitsförderung
und Erwerbstätigkeit“ im IAB.        hängt es bei Personen, die erst nach Beschäftigungs-   leisten. Ein beträchtlicher Anteil derjenigen Personen,
elke.jahn@iab.de                     ende Arbeitslosengeld II bezogen haben, in jedem       die derzeit nach einer Beschäftigung Arbeitslosen-
                                     Einzelfall von der Lage der Bedarfsgemeinschaft ab,    geld II erhalten, hat schon zuvor Leistungen der
                                     ob die Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld I ihre     Grundsicherung bezogen. Auch nach einer Reform,
                                     Bedürftigkeit beendet hätte. Insgesamt liegt der An-   die die Anwartschaftsdauer verkürzt oder die Rah-
                                     teil der zu erwartenden Aufstocker zum Arbeitslosen-   menfrist verlängert, müsste ein Siebtel bis ein Drittel
                                     geld I bei den zusätzlichen Beziehern damit zwischen   der zusätzlichen Arbeitslosengeld-I-Bezieher voraus-
                                     einem Siebtel und einem Drittel (vgl. Tabelle 5).      sichtlich mit Arbeitslosengeld II aufstocken.
                                                                                               Auch zeigen die Berechnungen, dass alleine infol-
                                     „„ Fazit                                               ge einer Verlängerung der Rahmenfrist auf drei Jah-
Prof. Dr. Gesine Stephan
                                     Für Randbelegschaften wie Leiharbeiter und befristet re vergleichsweise wenige Personen nach dem Ende
ist Leiterin des Forschungs-         Beschäftigte ist die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt einer Beschäftigung zusätzlich Arbeitslosengeld I
bereichs „Arbeitsförderung           mit Belastungen und Risiken verbunden. Wenn sie        bezogen hätten. Verkürzt man hingegen nur die An-
und Erwerbstätigkeit“ im IAB.
                                     ihren Job verlieren, können sie oft keine Ansprüche wartschaftszeit auf vier Monate, so hätten zusätz-
gesine.stephan@iab.de
                                     an die Arbeitslosenversicherung geltend machen. lich 250.000 Personen Arbeitslosengeld I erhalten
                                     Daher liegt es nahe zu fragen, wie viele Personen in- – im Mittel jedoch nur für eine relativ kurze Zeit.

    Tabelle 5                                                                                         Literatur
                                                                                                      Bundesagentur für Arbeit (2012): Arbeitsmarktberichter-
    Anteil der bisherigen Arbeitslosengeld-II-Bezieher an den geschätzten
                                                                                                        stattung: Zeitarbeit in Deutschland – Aktuelle Entwick-
    zusätzlichen Arbeitslosengeld–I-Beziehern, in Prozent
                                                                                                        lungen, Nürnberg.
                                                                        darunter:                     Hohendanner, C. (2010): Befristete Arbeitsverträge zwi-
                                  Alle Branchen                                                         schen Auf- und Abschwung: Unsichere Zeiten, unsichere
                                                                Arbeitnehmerüberlassung
                                                       Rahmenfrist                                      Verträge?, IAB-Kurzbericht Nr. 14, Nürnberg.
     Anwart-
     schaftszeit           2 Jahre           3 Jahre            2 Jahre           3 Jahre             Koller, L.; Rudolph, H. (2011): Arbeitsaufnahmen von SGB-
                                                                                                        II-Leistungsempfängern: Viele Jobs von kurzer Dauer,
                      Anteil bisheriger ALG-II-Bezieher (innerhalb von 90 Tagen nach Abgang)
                                                                                                        IAB-Kurzbericht Nr. 14, Nürnberg.
      12 Monate                                   31                                 53
        6 Monate             34                   36                 53              56               Schmieder, J. F.; von Wachter, T.; Bender, S. (2012a): The
        4 Monate             35                   36                 55              57
                                                                                                        Long-Term Effects of UI Extensions on Employment,
                                                                                                        American Economic Review Papers and Proceedings
                      darunter: ALG II schon einen Monat vor Beschäftigungsende
                                                                                                        102, 514-519.
      12 Monate                                   45                                 49
                                                                                                      Schmieder, J. F.; von Wachter, T.; Bender, S. (2012b): The
        6 Monate             40                   42                 42              46
                                                                                                        Effects of Extended Unemployment Insurance over the
        4 Monate             41                   43                 42              46                 Business Cycle: Evidence from Regression Discontinuity
    Anmerkungen: Für die Berechnungen wurden die vorhergesagten Ansprüche mit dem                       Estimates Over Twenty Years, Quarterly Journal of Eco-
    bisherigen Anteil tatsächlicher Inanspruchnahme innerhalb von 90 Tagen an den ge-                   nomics 127, 701-752.
    schätzten Ansprüchen gewichtet. Die Abgrenzung der Stichprobe ist in dem Infokasten
    zur Datengrundlage (Seite 4) beschrieben.                                                         Venn, D. (2012): Eligibility Criteria for Unemployment Bene-
    Quelle: IAB-Auswertungen auf Basis der IEB.                                             © IAB
                                                                                                        fits: Quantitative Indicators for OECD and EU Countries,
                                                                                                        OECD Social, Employment and Migration Working Papers
                                                                                                        131, OECD, Paris.

    Impressum  IAB-Kurzbericht Nr. 19, November 2012  Herausgeber: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, 90327 Nürn­berg
     Redaktion: Elfriede Sonntag, Martina Dorsch  Graphik & Gestaltung: Monika Pickel  Druck: Vormals Manzsche Buch­druckerei und Verlag, Regensburg  Rechte:
    Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des IAB  Bezug: IAB-Bestellservice, c/o W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG, Auf dem Esch 4, 33619 Biele­
    feld; Tel. 0180-100-2707 (im deutschen Festnetz 3,9 ct/min, Mobilfunkpreise höchstens 42 ct/min); Fax: 0180-100-2708; E-Mail: iab-bestellservice@wbv.de  IAB im
    Internet: www.iab.de. Dort finden Sie u. a. diesen Kurzbericht zum kostenlosen Download  Anfragen: iab.anfragen@iab.de oder Tel. 0911/179-5942  ISSN 0942-167X

8     IAB-Kurzbericht 19/2012
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