Arbeitslosengeld - wie lange man dafür arbeiten muss
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IAB Kurzbericht Aktuelle Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 19/2012 In aller Kürze Leistungsansprüche bei kurzen Beschäftigungszeiten Arbeitslosengeld – wie lange Um einen Anspruch auf Arbeits losengeld I zu erwerben, muss eine Person innerhalb der letzten 24 Mo nate (Rahmenfrist) mindestens zwölf Mo nate (Anwartschaftszeit) beschäftigt gewesen sein. man dafür arbeiten muss von Elke Jahn und Gesine Stephan Mit diesen Anspruchsvorausset zungen liegt Deutschland etwa im Mittelfeld der EU-15-Länder. Aus Rahmenfrist und Anwartschaftszeit sind einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu theoretischer Sicht gibt es für eine Verlängerung der Rahmenfrist und wichtige Gestaltungselemente in der erwerben. Allerdings gilt diese Regel erst eine Verkürzung der Anwartschafts Arbeitslosenversicherung. Da der Anteil seit Februar 2006. Vorher hatte ein Ar- dauer Pro- und Contra-Argumente. flexibler Erwerbsformen immer weiter beitnehmer 36 Monate Zeit, die Anwart- Um Effekte möglicher Regelungs steigt, ist die Absicherung der Kurzzeit- schaftszeit von zwölf Monaten zu erfüllen. änderungen zu untersuchen, wird beschäftigten bei Arbeitslosigkeit in den Eine verkürzte Anwartschaftszeit von hier der erste Abgang aus Beschäf Fokus der Politik gerückt. Wie sich Ver- sechs Monaten sieht das Gesetz vor für Ar- tigung im Jahr 2010 analysiert. änderungen von Rahmenfrist und An- beitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse von Innerhalb von 90 Tagen danach wartschaftsdauer für diese Gruppe aus- Vornherein auf nicht mehr als zehn Wochen erhielten 43 Prozent der Per sonen wirken, wird im Folgenden theoretisch (bis Juli 2012: sechs) befristet waren und Arbeitslosengeld I und 18 Prozent und empirisch untersucht. deren Verdienste in den zwölf Monaten vor Arbeitslosengeld II. Knapp die Hälfte Anspruchsentstehung eine jährliche Ent- der Letzteren war bereits während Die Anwartschaftszeit gibt an, wie viele Mo- geltgrenze nicht übersteigen.2 Von dieser der Erwerbstätigkeit auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen. nate insgesamt eine Person innerhalb einer Regel profitiert aber nur ein geringer Teil Rahmenfrist in Versicherungspflichtverhält- der „instabil“ Beschäftigten. Gründe hierfür Wäre im Jahr 2010 die Rahmen frist von zwei auf drei Jahre verlän nissen1 gestanden haben muss, um einen können sein, dass die Befristungen länger gert worden, hätten etwa 50.000 Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erwerben. dauerten, der Arbeitsvertrag ohne eine ex- Personen zusätzlich Leistungen In Deutschland muss ein Arbeitnehmer plizite Befristungsklausel abgeschlossen aus der Arbeitslosenversicherung derzeit mindestens zwölf Monate innerhalb wurde oder die Entlohnung zu hoch war. erhalten. der letzten 24 Monate in Versicherungs- Die Folge ist, dass es für Kurzzeitbe- Bei einer Rahmenfrist von zwei pflichtverhältnissen beschäftigt gewesen schäftigte mitunter nicht einfach ist, einen Jahren in Kombination mit einer sein, um im Falle einer Arbeitslosmeldung Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu erwer- Verkürzung der Anwartschaftszeit ben, obwohl sie Beiträge zur Arbeitslo- von zwölf auf vier Monate hätten 1 Zu diesen zählen neben sozialversicherungspflichti- ger Beschäftigung auch andere Zeiten nach §§ 24 bis senversicherung zahlen. Findet sich nicht vermutlich etwa 250.000 Personen 28a SGB III, z. B. des Krankengeldbezugs. schnell ein Anschlussjob, müssen sie unter zusätzlich Leistungen bezogen – im 2 Die Entgeltgrenze entspricht der Höhe der Bezugs- Schnitt aber nur für kurze Zeit. größe nach § 18 SGB IV. Im Jahr 2011 betrug die Be- Umständen von Arbeitslosengeld II leben. zugsgröße West 30.660 Euro und Ost 26.040 Euro. Dies hat auch Wirkungen auf die Renten-
ansprüche: Arbeitslosengeld I führt zu Rentenbei- hätten. Gesondert betrachtet werden Beschäftigte tragszeiten, die sich an 80 Prozent des bisherigen aus der Zeitarbeitsbranche, in der die Fluktuation Brutto-Arbeitseinkommens bemessen. Für Bezieher besonders hoch ist.3 von Arbeitslosengeld II sind hingegen seit Anfang 2011 keine Rentenversicherungsbeiträge mehr von Internationaler Vergleich der Bundesagentur für Arbeit zu leisten. Um den Zugang zum Arbeitslosengeld I für Kurz- Wichtige Parameter eines Systems der Arbeitslosen- zeitbeschäftigte zu erleichtern, könnte man erwä- versicherung sind u. a. die Höhe und Dauer der Leis- gen, die Rahmenfrist zu verlängern oder die Anwart- tungen, die Dokumentation von Suchanstrengungen, schaftszeit zu verkürzen. In beiden Fällen wäre es Sanktionen sowie Rahmenfrist und Anwartschafts- einfacher, die Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen. zeit. Die folgende Betrachtung beschränkt sich auf Zur besseren Einordnung der deutschen Rege- die beiden Letzteren: Sie variieren im internationa- lungen richtet dieser Kurzbericht zunächst einen len Vergleich deutlich (vgl. Abbildung 1). Im Mittel Blick auf die EU-Länder und zeigt, wie dort An- der EU-15-Länder liegt die Rahmenfrist bei 25 Mo- wartschaftszeit und Rahmenfrist geregelt sind. Der naten, die Anwartschaftsdauer bei zehn Monaten. In leichtere Zugang zum Arbeitslosengeld I hätte nicht Deutschland, Österreich und Italien müssen Arbeit- nur zur Folge, dass die Zahl der Empfänger steigt nehmer mindestens zwölf Monate in den vergan- – wie im zweiten Abschnitt erörtert wird –, sondern genen 24 Monaten beschäftigt gewesen sein, um er kann auch gesamtwirtschaftliche Wirkungen einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu erwerben. haben. Schließlich wird untersucht, wie viele Per- Nur in Dänemark und Spanien finden sich deutlich sonen im Jahr 2010 beim ersten Abgang aus einer längere Rahmenfristen. Die vergleichsweise großzü- versicherungspflichtigen Beschäftigung bei alterna- gige Regelung in Dänemark mit 36 Monaten ist Teil tiven Kombinationen von Rahmenfrist und Anwart- des Flexicurity-Konzepts, das gleichzeitig kaum eine schaftszeit Anspruch auf Arbeitslosengeld I gehabt Absicherung des Beschäftigungsverhältnisses durch einen gesetzlichen Kündigungsschutz vorsieht. In Spanien haben abhängig Beschäftigte sogar 72 Mo- Abbildung 1 nate Zeit, die Anwartschaftszeit von zwölf Monaten Anwartschaftszeit und Rahmenfrist in den zu erfüllen. Hintergrund der langen Rahmenfrist dort EU-15-Mitgliedsstaaten 2011 ist, dass ca. ein Drittel aller spanischen Arbeitnehmer 80 befristet beschäftigt ist. Spanien Die Anwartschaftszeit beträgt in den Niederlan- 70 den, Luxemburg und Schweden sechs Monate. Al- Durchschnitt EU 15 lerdings müssen niederländische Arbeitnehmer die 60 Anwartschaftszeit innerhalb von neun und luxem- burgische innerhalb von zwölf Monaten erfüllen. Rahmenfrist in Monaten 50 Schweden hat sogar eine Rahmenfrist von sechs Monaten, sodass die Arbeitnehmer dort vorher ohne 40 Dänemark Unterbrechung beschäftigt gewesen sein müssen, um einen Anspruch auf Lohnersatzleistung zu erhal- Frankreich Finnland 30 Belgien ten. Hinzu kommt, dass schwedische Arbeitnehmer vorher mindestens zwölf Monate Beiträge zur Ar- Großbritannien Griechenland Portugal Deutschland 20 Österreich beitslosenversicherung geleistet haben müssen. Am Italien kürzesten ist die Anwartschaftsdauer in Frankreich: Luxemburg Irland 10 Niederlande Dort erwerben Beschäftigte bereits nach vier Mona- Schweden ten einen Anspruch auf Arbeitslosengeld. 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Anwartschaftszeit in Monaten 3 In dem für die Analyse verwendeten Datensatz liegen keine Informationen über den Vertragstyp vor. Deshalb kann eine Un- Quelle: Venn 2012 (Zur besseren Vergleichbarkeit wurden alle Werte auf Monate umgerechnet und terscheidung zwischen auf Dauer ausgerichteten und befristeten gerundet. In Finnland, Irland, Schweden und Österreich müssen Arbeitslose vor dem ersten Anspruch mindestens 10 bis 24 Monatsbeiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben.) Arbeitsverträgen nicht getroffen werden. Leiharbeitnehmer hin- © IAB gegen lassen sich über die Branche „Arbeitnehmerüberlassung“ identifizieren. 2 IAB-Kurzbericht 19/2012
Die Theorie: Effekte veränderter der Anreiz, kürzere Beschäftigungsverhältnisse auf- Zugangsbedingungen zunehmen, da diese nun einen Anspruch auf Lohn ersatzleistungen begründen können. Grundlegende Idee hinter der Festsetzung einer An- Diesen Vorteilen steht entgegen, dass für man- wartschaftszeit und Rahmenfrist ist es, die Ausga- che Arbeitslose ein Anreiz entsteht, erst nach dem ben der Arbeitslosenversicherung zu begrenzen und Auslaufen des (kurzen) Anspruchs intensiv nach ei- möglichen Missbrauch zu verhindern. Generell hat ner Erwerbstätigkeit zu suchen. Denn die finanzielle eine Verlängerung der Rahmenfrist zur Folge, dass Absicherung durch einen Leistungsanspruch kann der Anteil der Arbeitslosen mit Leistungsanspruch bewirken, dass der Anspruchslohn4 steigt und die zunimmt, weil Arbeitnehmer länger Zeit haben, die Zeit sich verlängert, bis eine neue Stelle angenom- nötige Anwartschaftszeit zu erfüllen. In die gleiche men wird. Neuere Studien weisen für Deutschland Richtung zielt eine Verkürzung der Anwartschafts- empirisch nach, dass mit einer längeren Anspruchs- zeit: Sinkt sie bei konstanter Rahmenfrist, nimmt dauer auch die Dauer der Arbeitslosigkeit steigt (z. B. die Wahrscheinlichkeit zu, dass Arbeitslose die An- Schmieder et al. 2012a, b). Darüber hinaus kann es spruchskriterien erfüllen – der Anteil der Anspruchs- zu Mitnahmeeffekten kommen, wenn Personen, die berechtigten steigt. dem Arbeitsmarkt nur eingeschränkt zur Verfügung Die Änderung der Anspruchskriterien hat jedoch stehen, nun anspruchsberechtigt werden. Auch ist noch eine Reihe weiterer Wirkungen, die in Tabel- nicht auszuschließen, dass die Hemmschwelle, einen le 1 zusammengefasst und im Folgenden ausführ- Arbeitnehmer zu entlassen, für Arbeitgeber sinkt: lich dargestellt werden. Bei großzügigeren Anspruchsvoraussetzungen kön nen sie eher davon ausgehen, dass der entlassene Wirkung auf die Arbeitslosen Arbeitnehmer sozial abgesichert ist. Eine großzügigere Ausgestaltung von Rahmen- 4 Der Anspruchslohn, auch Reservationslohn genannt, bezeichnet frist und Anwartschaftszeit zahlt sich für neue den Lohn, bei dem ein Arbeitnehmer gerade noch bereit ist, eine Anspruchsberechtigte nur dann aus, wenn ihr An- Arbeit anzunehmen. spruch auf Arbeitslosengeld I über dem auf Grund- sicherung ihrer Bedarfsgemeinschaft liegt oder ihre Bedarfsgemeinschaft keinen Anspruch auf Grund Tabelle 1 sicherungsleistungen gehabt hätte. Hingegen gibt es bei vorherigen Aufstockern zum Die wichtigsten Argumente für und gegen eine Verlängerung der Rahmenfrist und eine Verkürzung der Anwartschaftszeit Erwerbseinkommen keine Effekte auf das Haushalts- einkommen (und damit auf die soziale Absicherung), Pro Contra wenn die Schutzfunktion der Arbeitslosenversiche- Effekte für Kunden nur Chance auf eine bessere Steigende Suchdauer nach dann, wenn der Anspruch Passung von Arbeitslosen einer neuen Beschäftigung rung ausgeweitet wird. neu erworben wurde und und Arbeitsplätzen aufgrund höheren Unter der Voraussetzung, dass der Arbeitslosen- a) der Arbeitslosengeld- (aufgrund längerer Anspruchslohns anspruch über dem Suchdauer) Mögliche Mitnahmeeffekte geldanspruch über dem Grundsicherungsanspruch Grundsicherungsniveau Niedrigeres Armutsrisiko (bei Meldung trotz der Bedarfsgemeinschaft liegt, ist davon auszugehen, der Bedarfsgemein- Bessere Planungssicherheit fehlender Verfügbarkeit) dass das Armutsrisiko des anspruchsberechtig ten schaft liegt oder Hemmschwelle für arbeit- Aufnahme kurzer b) auf Grundsicherung kein Arbeitsverhältnisse wird geberseitige Entlassungen Personenkreises zurückgeht und die Planungssicher- Anspruch besteht. sinkt (z. B. saisonal), da attraktiver heit steigt. Hiervon profitieren vor allem Personen, verbesserte Absicherung die tätigkeitsbedingt – wie etwa Saison- oder Ge- Wirkung auf die Vereinfachungen Mehr Anspruchsberechtigte legenheitsarbeiter – nur geringe Anteile des Jahres Arbeitslosenversicherung gegenüber der jetzigen Höhere Ausgaben Regelung einer kurzen für Arbeitslosengeld erwerbstätig sind. Das Entstehen eines Anspruchs Anwartschaftszeit Steigende Verwaltungskosten auf Arbeitslosengeld I hat für diese Arbeitslosen Lastverschiebung von außerdem den Vorteil, dass sie länger nach einer ge- Bund/Kommunen zur BA eigneten Stelle Ausschau halten können und nicht Gesamtwirtschaftliche Niedrigeres Armutsrisiko Risiko höherer jede Beschäftigung annehmen müssen, um ihr Exis Wirkungen Arbeitslosenquote Niedrigeres Risiko, tenzminimum zu decken. Die Folge könnte sein, dass Grundsicherungs- leistungen zu beziehen sich die Passung zwischen Arbeitslosen und Arbeits- plätzen verbessert sowie die Qualität und Dauer von Quelle: Eigene Zusammenstellung. © IAB Beschäftigungsverhältnissen zunimmt. Zudem steigt IAB-Kurzbericht 19/2012 3
Wirkung auf die Arbeitslosenversicherung schaftszeit vorsieht – vereinfacht werden könnte. Da die diskutierten Änderungen den Anteil der An- Hierzu gehört vor allem die Prüfung, ob und wie spruchsberechtigten erhöhen, steigen voraussicht- lange Arbeitsverträge befristet waren, und welches lich die Ausgaben für Lohnersatzleistungen. Weil Einkommen in den letzten zwölf Monaten vor dem auch die Zahl der Anträge auf Arbeitslosengeld zu- Anspruch erzielt wurde. nehmen wird, ist darüber hinaus mit einem Anstieg der Verwaltungskosten zu rechnen. Die finanziellen Gesamtwirtschaftliche Wirkungen Mittel hierfür könnten z. B. durch eine Beitrags- Großzügige Bestimmungen bei den Anspruchskrite satzerhöhung aufgebracht werden. Insgesamt käme rien können das Armutsrisiko bzw. das Risiko, es zu einer Lastenverschiebung vom Bund bzw. den Grundsicherung zu beantragen, senken. Dies kann Kommunen zur Bundesagentur für Arbeit, da ein Teil insbesondere in Krisenzeiten auch einen konsum der bisherigen Empfänger von Arbeitslosengeld II stabilisierenden Effekt haben. Gleichzeitig steigen nun Anspruch auf Arbeitslosengeld I hätte. die Ausgaben. Erfolgt die Gegenfinanzierung durch Für Erwerbslose nimmt der Anreiz zur Arbeitslos einen höheren Beitragssatz, steigen einerseits die meldung infolge der erweiterten Anspruchsberechti Sozialabgaben für alle beschäftigten Arbeitnehmer gung zu. Es könnten sich nun auch Arbeitslose bei der (mit der Folge, dass ihre Nettoeinkommen sinken). Arbeitsagentur melden, die bereits eine Anschluss- Andererseits steigen die Lohnnebenkosten der Ar- beschäftigung in Aussicht haben, um sehr kurze Fris beitgeber. Dadurch nehmen die Kosten des Pro- ten zwischen zwei kurzen Beschäftigungsverhält- duktionsfaktors Arbeit für alle Branchen und Qua- nissen zu überbrücken. Dies gilt auch für die bereits lifikationsstufen zu, wodurch die Nachfrage nach erwähnten Personengruppen, die dem Arbeitsmarkt Arbeitskräften insgesamt zurückgehen dürfte. an sich nicht ganzjährig zur Verfügung stehen. Die Gesamtwirkung solcher Änderungen auf die Ein Vorteil der Verkürzung der Anwartschaftszeit Zahl der registrierten Arbeitslosen setzt sich wie wäre, dass die bisherige Regelung – die in wenigen folgt zusammen: Erstens erwerben Personen zu- Sonderfällen zurzeit bereits eine kurze Anwart- sätzlich einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Bei ihnen kann die Dauer der Suche nach einer neuen Stelle (und damit die durchschnittliche Dauer der i Die Datengrundlage Arbeitslosigkeit) zunehmen. Zweitens steigt der An- reiz, auch kürzere Arbeitsverhältnisse zu akzeptieren. Die Auswertungen basieren auf den Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) des IAB in der Version V09.01. Datenbasis ist eine 10-Prozent-Stichprobe aller Per- Drittens können aufgrund der gestiegenen Arbeits- sonen, die im Zeitraum 12/2009 bis 11/2010 ein Versicherungspflichtverhältnis kosten Arbeitsplätze entfallen. Insgesamt besteht beendet haben, für das eine Beschäftigungsmeldung abgegeben wurde. Pro das Risiko, dass die Zahl der registrierten Arbeits Person wird nur die erste Meldung im Beobachtungszeitraum untersucht. Dies losen und damit die Arbeitslosenquote steigt. unterscheidet sich vom Fallkonzept der Statistik der Bundesagentur für Arbeit, bei dem eine Person im Jahresverlauf durchaus mehrmals gezählt werden kann. Der aktuelle Datenrand liegt bei den Beschäftigungsmeldungen am 31.12.2010, Flexible Beschäftigung bei den Meldungen von Zeiten der Arbeitsuche, des Leistungsbezugs und von In dem diskutierten Kontext der Anspruchsvorausset- Maßnahmeteilnahmen am 14.7.2011. zungen der Arbeitslosenversicherung nimmt flexible Der hier untersuchte Datensatz aus der 10-Prozent-Stichprobe umfasst etwa Beschäftigung eine Sonderrolle ein. Dabei sind vor 315.000 Personen, dabei wurde folgende Auswahl getroffen: allem Leiharbeitnehmer und befristet Beschäftigte Berücksichtigt werden nur Abgänge aus Beschäftigung, bei denen für den von Interesse, da sie einen überproportional hohen Folgemonat kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gemeldet wurde. Für die untersuchte Fragestellung sind Abgänge aus Mini-Jobs sowie Anteil der Anpassungslast bei Veränderung der kon- Job-to-Job-Integrationen von untergeordnetem Interesse. junkturellen Lage tragen (Bundesagentur für Arbeit Die Auswertung beschränkt sich auf Personen, die zum Zeitpunkt der jeweils 2012). Im Juni 2011 wurden erstmals über 900.000 interessierenden Meldung zwischen 15 und 64 Jahre alt waren. Leiharbeitnehmer registriert. Etwa die Hälfte der Ausgeschlossen werden Jahresmeldungen mit Anschlussmeldung, Abmeldun- Leiharbeits verhältnisse endet nach weniger als gen aufgrund von Erziehungszeiten, Tod, Krankenkassen- oder Beitrags grup penwechseln, Unterbrechungsmeldungen wegen des Bezugs von Entgeltersatz drei Monaten. Weit über zwei Millionen Arbeits- leistungen (z. B. Krankengeld) sowie Abgänge aus Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, kräfte sind heute befristet beschäftigt; von 1996 Arbeitsgelegenheiten oder aus Arbeitsverhältnissen, die mit dem Beschäfti bis 2010 stieg der Anteil befristeter Arbeitsverhält- gungszuschuss gefördert wurden. Zudem werden Meldungen mit einem Tages nisse von unter 5 auf etwa 9 Prozent der Gesamt- entgelt von Null nicht berücksichtigt, da diese i. d. R. Unterbrechungsmeldungen beschäftigung (Hohendanner 2010). Vor zehn Jahren kennzeichnen. Davon abgesehen gehen auch Meldungen sehr kurzer und sehr gering entlohnter Beschäftigungsverhältnisse in die Auswertungen ein. war weniger als jede dritte Neueinstellung befristet, mittlerweile ist es fast jede zweite. 4 IAB-Kurzbericht 19/2012
Diese Gruppen können in einer Gesamtbetrachtung Abbildung 2 einerseits als Nettozahler gesehen werden, wenn Verteilung der Zugangszeitpunkte in Lohnersatzleistungen sie trotz Beitragszahlungen von den Leistungen relativ zum Zeitpunkt des Abgangs aus Beschäftigung der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen sind. 2010, kumulierte Anteile in Prozent Das ist der Fall, wenn es ihnen trotz gelegentlicher Phasen der Erwerbstätigkeit nicht gelingt, die An- 50 Alle Abgänge aus versicherungspflichtiger Beschäftigung Anteil an den Abgängen aus Beschäftigung 45 wartschaftszeit innerhalb der Rahmenfrist zu erfül- 40 Arbeitslosengeld II len. Andererseits könnten sie als Nettoempfänger Arbeitslosengeld I 35 Leistungen der Arbeitslosenversicherung überpro- 30 portional in Anspruch nehmen, wenn ihr Arbeitslo- 25 sigkeitsrisiko deutlich höher ausfällt als bei anderen 20 Beschäftigtengruppen. Aus theoretischer Sicht las- 15 sen sich hierzu keine eindeutigen Prognosen treffen. 10 5 0 Die Empirie: Analyse von Abgängen früher -11 -10 -9 -8 -7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 1 2 3 4 5 6 Monat des Zugangs in Lohnersatzleistungen relativ zum Abgang aus Beschäftigung aus Beschäftigung Wie setzt sich der Personenkreis zusammen, der aus 50 Abgänge aus der Arbeitnehmerüberlassungsbranche Anteil an den Abgängen aus Beschäftigung 45 versicherungspflichtiger Beschäftigung in Arbeitslo- Arbeitslosengeld II 40 sigkeit übergeht? Wie hoch wäre die Zahl der zusätz- Arbeitslosengeld I 35 lichen Personen gewesen, die bei einer Verlängerung 30 der Rahmenfrist bzw. Verkürzung der Anwart- 25 schaftszeit nach dem Ende einer Beschäftigung ei- 20 nen Anspruch auf Arbeitslosengeld I gehabt hätten? 15 Im Folgenden wird jeweils der erste Abgang einer 10 Person aus einer versicherungspflichtigen Beschäf- 5 tigung im Zeitraum 12/2009 bis 11/2010 untersucht, 0 früher -11 -10 -9 -8 -7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 1 2 3 4 5 6 wenn diese anschließend mindestens einen Monat Monat des Zugangs in Lohnersatzleistungen relativ zum Abgang aus Beschäftigung ohne Beschäftigung war (vgl. Infokasten links). Lesehilfe: Der Monat -2 (-1) auf der Zeitachse umfasst Zugänge bis 30 (0) Tage vor Beginn der Arbeits- losigkeit. Der Monat 1 (2) umfasst Zugänge bis 30 (60) Tage nach Beginn der Arbeitslosigkeit. Anteil der Leistungsbezieher an den Anmerkungen: Aufstocker sind sowohl bei den Arbeitslosengeld-I-Beziehern als auch bei den Arbeitslosengeld-II-Beziehern eingeordnet. Die Abgrenzung der Stichprobe ist im Infokasten Abgängen aus Beschäftigung links beschrieben. Quelle: IAB-Auswertungen auf Basis der IEB. © IAB Zunächst wird untersucht, ob Personen innerhalb von 90 Tagen nach dem Ende einer sozialversicherungs- pflichtigen Beschäftigung Leistungen bezogen ha- geld-II-Empfänger bereits mindestens einen Monat ben (das bedeutet nicht, dass sie diese Leistung auch vor dem Ende der Beschäftigung Arbeitslosengeld II. am Ende des 90-Tage-Zeitraums noch beziehen). Die Diese Personen sind also keine „Neuzugänge“ im Ar- 90-Tage-Abgrenzung wird gewählt, da bei Arbeitslo- beitslosengeld II, sondern haben bereits zuvor das sengeld-I-Bezug im Falle einer Eigenkündigung eine Erwerbseinkommen aufgestockt oder aus anderen Sperrzeit von drei Monaten greifen kann. Aufsto- Gründen Grundsicherungsleistungen bezogen. cker werden im Folgenden sowohl bei den Arbeits- In der Arbeitnehmerüberlassungsbranche bezogen losengeld-I- als auch bei den Arbeitslosengeld-II- sogar 40 Prozent der Abgänger aus Beschäftigung Beziehern ausgewiesen. bzw. mehr als die Hälfte aller Leistungsempfänger Innerhalb von 90 Tagen nach Ende der Beschäf- innerhalb von 90 Tagen Arbeitslosengeld II. Jedoch tigung bezogen 43 Prozent der Abgänger Arbeits- erhielten 21 Prozent dieser Arbeitslosengeld-II-Emp- losengeld I und 18 Prozent Arbeitslosengeld II (vgl. fänger (also wiederum mehr als die Hälfte der spä- Abbildung 2). Darunter waren 5 Prozentpunkte teren Bezieher) bereits mindestens einen Monat vor Leistungsaufstocker, bekamen also Arbeitslosen- Beschäftigungsende Leistungen der Grundsicherung. geld I und II. Damit erhielt ein knappes Drittel aller Leistungsbezieher Arbeitslosengeld II.5 5 Wenn betrachtet wird, wer innerhalb von 10 Tagen Leistungen bezogen hat, so beträgt der Anteil der ALG-II-Bezieher 24 %. Von Allerdings erhielten 8 Prozent der Stichprobe und diesen erhielten 68 % bereits mindestens einen Monat vorher somit knapp die Hälfte der späteren Arbeitslosen- Arbeitslosengeld II. IAB-Kurzbericht 19/2012 5
Tabelle 2 Hier zeigt sich noch stärker als für die Gesamtgrup- Struktur der Abgänge aus Beschäftigung pe der Beschäftigten, dass soziale Problemlagen oft Abgänge im Zeitraum 12/2009 bis 11/2010, Anteile einzelner Personengruppen in Prozent schon vor dem Ende einer Beschäftigung bestanden. Alle Branchen darunter: Personen, die bereits während der Erwerbstätig- Arbeitnehmerüberlassung keit mit Arbeitslosengeld II aufstocken mussten, kein kein Alg I* Alg II* Alg I* Alg II* würden von einer großzügigeren Ausgestaltung der Bezug* Bezug* Frauen 48 39 37 30 27 23 Anspruchskriterien nicht profitieren, da sie trotz An- Ausländer 19 9 18 21 11 17 spruch auf Arbeitslosengeld I weiterhin aufstocken Letzte Beschäftigung in müssten.6 16 27 31 14 25 24 Ostdeutschland nach Altersgruppen 16-24 Jahre 25 15 18 43 21 23 Struktur der Abgänge aus Beschäftigung 25-34 Jahre 28 25 33 25 28 35 Arbeitslosengeld-I-Empfänger sind – unter den Ab- 35-44 Jahre 19 23 25 15 20 21 gängen aus Beschäftigung – tendenziell älter als Ar- 45-54 Jahre 16 23 19 13 22 17 beitslosengeld-II-Empfänger (vgl. Tabelle 2). Ebenso 55-64 Jahre 12 13 5 5 9 4 beziehen Arbeitslose mit nicht deutscher Staats nach Beschäftigungsstatus angehörigkeit relativ häufiger Arbeitslosengeld II als Einfache Arbeiter (Vollzeit) 28 29 45 65 53 71 Arbeitslosengeld I. Ein knappes Drittel war zuletzt Facharbeiter/Meister (Vollzeit) 13 25 14 13 24 12 in Ostdeutschland beschäftigt und fast die Hälfte Angestellte (Vollzeit) 32 29 13 9 14 5 der Arbeitslosengeld-II-Empfänger sind einfache Auszubildende 1 1 1 0 0 0 Teilzeitbeschäftigte 26 17 26 13 8 11 Arbeiter. Personen, die vorher teilzeitbeschäftigt nach Qualifikation waren, erhalten ebenfalls relativ häufiger Arbeitslo- Ohne Ausbildung 24 18 37 43 21 41 sengeld II als Arbeitslosengeld I. Über ein Drittel hat Berufsausbildung/Abitur 53 73 60 51 75 58 keinen Ausbildungsabschluss. Uni-/FH-Abschluss 12 9 3 4 4 2 Besonders auffällig ist: Mehr als ein Viertel der nach Branchen Arbeitslosengeld-II-Empfänger war zuvor in der Ar- Verarbeitendes Gewerbe 14 15 6 – – – beitnehmerüberlassung tätig (27 %). Arbeitslosen- Land und Forst, Fischerei, Bergbau 4 2 2 – – – geld-II-Empfänger finden sich aber auch vergleichs- Energie, Wasser, Abfall 0 1 1 – – – weise häufig in der Branche Sonstige wirtschaftliche Baugewerbe 5 12 8 – – – Dienstleistungen (12 %) und im Gastgewerbe (10 %). Handel (einschl. Reparatur Kfz) 13 15 12 – – – Die Auswertung der Personenmerkmale von Ar- Verkehr und Lagerei 5 6 6 – – – beitslosengeld-II-Empfängern, die vorher in der Ar- Gastgewerbe 8 7 10 – – – beitnehmerüberlassungsbranche tätig waren, bestä- Information und Kommunikation 3 2 2 – – – tigt ebenfalls, dass diese Personen vorher vor allem Finanzen und Versicherungen 3 1 0 – – – einfache Tätigkeiten ausgeübt haben (71 %) und Grundstücks- und 1 1 1 – – – häufig über keine Ausbildung verfügten (41 %, vgl. Wohnungswesen Freiberufl. wissenschaftl. und 5 5 2 – – – Tabelle 2). techn. Dienstleistungen Die Verdienste der Arbeitslosengeld-I-Bezieher Arbeitnehmerüberlassungs- 9 10 27 100 100 100 waren in der letzten Beschäftigung deutlich höher branche Sonstige wirtschaftliche 6 7 12 – – – als bei Personen, die Arbeitslosengeld II erhalten. Dienstleistungen Tatsächlich haben 50 Prozent der späteren Arbeits- Öffentliche Verwaltung 4 2 1 – – – Erziehung und Unterricht 5 3 2 – – – losengeld-II-Bezieher in ihrer letzten Beschäftigung Gesundheits- und Sozialwesen 11 6 5 – – – weniger als 1.054 Euro pro Monat und 80 Prozent Kunst, Unterhaltung weniger als 1.557 Euro pro Monat verdient (vgl. 2 1 1 – – – und Erholung Tabelle 3). Von den späteren Arbeitslosengeld-I- Sonstige Dienstleistungen und private Haushalte 3 3 3 – – – Beziehern verdienten hingegen 50 Prozent weniger Beobachtungen 135.962 136.652 57.714 12.647 13.488 15.561 als 1.661 Euro pro Monat und 80 Prozent weniger * Innerhalb von 90 Tagen nach dem Abgang aus Beschäftigung. als 2.465 Euro pro Monat. In der Arbeitnehmerüber- Anmerkungen: Aufstocker sind sowohl bei den Arbeitslosengeld-I-Beziehern als auch bei den lassungsbranche liegen die Verdienste niedriger. Arbeitslosengeld-II-Beziehern eingeordnet. Die Abgrenzung der Stichprobe ist in dem Infokasten zur Datengrundlage (Seite 4) beschrieben. Lesehilfe: Von den Personen ohne Leistungsbezug waren 48 % Frauen. Bei den Abgängen mit ALG-I-Bezug sind es 39 %, bei denen mit ALG-II-Bezug sind es 37 %. Das impliziert, 6 Weitere Informationen zum Wechsel zwischen kurzen Beschäf- dass Frauen unterproportional Leistungen beziehen. tigungszeiten und Leistungsbezug nach dem SGB II finden sich in Quelle: IAB-Auswertungen auf Basis der IEB. © IAB Koller/Rudolph (2011). 6 IAB-Kurzbericht 19/2012
Wie hätten sich eine Verlängerung der Rahmenfrist und/oder eine Verkürzung i Die Schätzung eines erweiterten Anspruchs im Jahr 2010 der Anwartschaftsdauer ausgewirkt? Für die Schätzung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld I im Fall einer Ar- Auf Basis von Individualdaten lassen sich die direk beitslosmeldung wird zunächst ermittelt, wie viele Tage Personen innerhalb ten „Erstrundeneffekte“ einer Veränderung von Rah- der Rahmenfrist in Versicherungspflichtverhältnissen gemeldet waren. Dabei menfristen und Anwartschaftszeiten abschätzen. Pro ist zu berücksichtigen, dass eine Rahmenfrist nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hineinragen kann: Wurden innerhalb der letzten zwei (drei) Jahre Person wird nur die erste Meldung im Beobachtungs- Leistungen in Anspruch genommen, so beginnt die aktuelle Rahmenfrist mit zeitraum untersucht (vgl. Infokasten rechts). Dies der letzten Leistungsepisode (oder einem Ruhezeitraum) innerhalb der letzten geschieht im Folgenden für ausgewählte Varianten, zwei (bzw. drei) Jahre, der ein erstmaliger oder neu erfüllter Anspruch auf Ar- die Anfang 2012 im politischen Raum diskutiert wur- beitslosengeld zugrunde lag. Vereinfachend wird dies hier als Beginn der letz- den. Mögliche Verhaltenseffekte und längerfristige ten Leistungsepisode innerhalb der letzten zwei (bzw. drei) Jahre nachgebildet, die mehr als eine Woche nach einer anderen Leistungsperiode begann. Wei- Effekte werden dabei allerdings nicht berücksichtigt. terhin können Restansprüche innerhalb von vier Jahren seit ihrer Entstehung Zudem nimmt ein vergleichsweise hoher Anteil der geltend gemacht werden. Personen trotz der mindestens einmonatigen Unter- brechung bis zum nächsten Beschäftigungsverhält- nis keine Leistungen in Anspruch – auch wenn ein Tabelle 3 solcher infolge der geänderten Anspruchsvorausset- Brutto-Monatsentgelte vor dem Abgang aus Beschäftigung zungen bei der Arbeitslosmeldung bestanden hätte. in Euro Daher wird die geschätzte Zahl der Anspruchsbe- darunter: rechtigten mit dem Anteil der tatsächlichen Inan- Alle Branchen Arbeitnehmerüberlassung spruchnahme innerhalb von 90 Tagen gewichtet. kein Bezug* Alg I* Alg II* kein Bezug* Alg I* Alg II* Insgesamt lassen die gewichteten Zahlen vermu- Mittelwert 1.607 1.857 1.125 1.172 1.431 1.036 ten, dass eine Rahmenfrist von drei Jahren in Kombi- Perzentile nation mit einer Anwartschaftsdauer von zwölf Mo- 20. Perzentil 604 1.057 590 709 959 647 naten im Jahr 2010 dazu geführt hätte, dass etwa 50. Perzentil 1.293 1.661 1.054 1.116 1.273 1.024 50.000 zusätzliche Personen in diesem Zeitraum 80. Perzentil 2.316 2.465 1.557 1.518 1.783 1.330 Arbeitslosengeld I bezogen hätten – dies entspricht * Innerhalb von 90 Tagen nach dem Abgang aus Beschäftigung. einem Anstieg des Anteils der entsprechenden Leis Anmerkung: Aufstocker sind sowohl bei den Arbeitslosengeld-I-Beziehern als auch bei den Ar beitslosengeld-II-Beziehern eingeordnet. Zur Abgrenzung der Stichprobe vgl. Infokasten auf S. 4. tungsbezieher an allen Abgängen um 2 Prozent (vgl. Lesehilfe: Ein 50. Perzentil von 1.293 Euro gibt an, dass 50 Prozent aller Personen in der Gruppe Tabelle 4). brutto nicht mehr als 1.293 Euro pro Monat verdienten. Quelle: IAB-Auswertungen auf Basis der IEB. © IAB Verkürzt man die Anwartschaftszeit bei einer Rah- menfrist von drei Jahren auf sechs Monate, hätten etwa 200.000 Personen (6 %) zusätzlich Arbeits losengeld I erhalten. Tabelle 4 Eine Rahmenfrist von zwei Jahren in Kombina Geschätzter zusätzlicher Arbeitslosengeld-I-Bezug nach dem ersten tion mit einer Anwartschaftsdauer von vier Mona- Abgang aus Beschäftigung im Zeitraum 12/2009 bis 11/2010 Personen in 1.000 ten hätte hingegen knapp 250.000 (8 %) zusätzliche Leistungsbezieher bedeutet. Unter diesen wären Alle Branchen darunter: Arbeitnehmerüberlassung 40.000 aus der Arbeitnehmerüberlassungsbranche Anwart- Rahmenfrist gewesen. Würde das bisherige Verhältnis von Bei- schaftszeit 2 Jahre 3 Jahre 2 Jahre 3 Jahre trags- zu Anspruchszeiten (2:1) erhalten bleiben, Zuwachs in 1.000 hätten die zusätzlichen Leistungsbezieher bei der 12 Monate + 52 +9 letztgenannten Variante im Mittel allerdings nur 6 Monate + 168 + 202 + 24 + 34 einen Anspruch von fünf Monaten erworben – der 4 Monate + 247 + 275 + 39 + 48 Effekt auf das Volumen an Arbeitslosen in Personen- Zuwachs in Prozent (an allen Abgängen) jahren hätte damit deutlich unter demjenigen auf 12 Monate +2 +2 die betroffene Personenzahl gelegen. 6 Monate +5 +6 +6 +9 Bei allen untersuchten Varianten bezog etwa ein 4 Monate +8 +9 + 10 + 12 Drittel der geschätzten zusätzlichen Arbeitslosen- Anmerkung: Für die Berechnungen wurden die vorhergesagten Ansprüche mit dem bis herigen Anteil tatsächlicher Inanspruchnahme innerhalb von 90 Tagen an den geschätz- geld-I-Empfänger unter den aktuellen Regelungen ten Ansprüchen gewichtet. Zur Abgrenzung der Stichprobe vgl. Infokasten auf Seite 4. innerhalb von 90 Tagen nach Ende der Beschäfti- Quelle: IAB-Auswertungen auf Basis der IEB. © IAB gung Arbeitslosengeld II. In der Arbeitnehmerüber- IAB-Kurzbericht 19/2012 7
lassungsbranche ist dies sogar für mehr als die Hälf- folge einer Verlängerung der Rahmenfrist oder einer te der zusätzlichen Arbeitslosengeld-I-Bezieher der Verkürzung der Anwartschaftsdauer zusätzlich An- Fall (vgl. Tabelle 5). spruch auf Arbeitslosengeld I erworben hätten. Je nach Variante erhielten 40 bis 45 Prozent die- Aus theoretischer Sicht gibt es Gründe für und ser Arbeitslosengeld-II-Empfänger – dies entspricht gegen eine Verlängerung der Rahmenfrist bzw. eine einem Siebtel der zusätzlichen Empfänger – bereits Verkürzung der Anwartschaftsdauer – ihre Gewich- mindestens einen Monat vor Ende der Beschäftigung tung ist letztlich eine politische Entscheidung. PD Dr. Elke Jahn Grundsicherungsleistungen. Bei diesem Personen- Eines zeigen unsere Befunde jedoch deutlich: Die ist wissenschaftliche kreis wäre durch den Bezug von Arbeitslosengeld I Arbeitslosenversicherung kann die soziale Absiche- Mitarbeiterin im Forschungs- die Bedürftigkeit nicht beendet worden. Hingegen rung von Randbelegschaften nur begrenzt gewähr- bereich „Arbeitsförderung und Erwerbstätigkeit“ im IAB. hängt es bei Personen, die erst nach Beschäftigungs- leisten. Ein beträchtlicher Anteil derjenigen Personen, elke.jahn@iab.de ende Arbeitslosengeld II bezogen haben, in jedem die derzeit nach einer Beschäftigung Arbeitslosen- Einzelfall von der Lage der Bedarfsgemeinschaft ab, geld II erhalten, hat schon zuvor Leistungen der ob die Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld I ihre Grundsicherung bezogen. Auch nach einer Reform, Bedürftigkeit beendet hätte. Insgesamt liegt der An- die die Anwartschaftsdauer verkürzt oder die Rah- teil der zu erwartenden Aufstocker zum Arbeitslosen- menfrist verlängert, müsste ein Siebtel bis ein Drittel geld I bei den zusätzlichen Beziehern damit zwischen der zusätzlichen Arbeitslosengeld-I-Bezieher voraus- einem Siebtel und einem Drittel (vgl. Tabelle 5). sichtlich mit Arbeitslosengeld II aufstocken. Auch zeigen die Berechnungen, dass alleine infol- Fazit ge einer Verlängerung der Rahmenfrist auf drei Jah- Prof. Dr. Gesine Stephan Für Randbelegschaften wie Leiharbeiter und befristet re vergleichsweise wenige Personen nach dem Ende ist Leiterin des Forschungs- Beschäftigte ist die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt einer Beschäftigung zusätzlich Arbeitslosengeld I bereichs „Arbeitsförderung mit Belastungen und Risiken verbunden. Wenn sie bezogen hätten. Verkürzt man hingegen nur die An- und Erwerbstätigkeit“ im IAB. ihren Job verlieren, können sie oft keine Ansprüche wartschaftszeit auf vier Monate, so hätten zusätz- gesine.stephan@iab.de an die Arbeitslosenversicherung geltend machen. lich 250.000 Personen Arbeitslosengeld I erhalten Daher liegt es nahe zu fragen, wie viele Personen in- – im Mittel jedoch nur für eine relativ kurze Zeit. Tabelle 5 Literatur Bundesagentur für Arbeit (2012): Arbeitsmarktberichter- Anteil der bisherigen Arbeitslosengeld-II-Bezieher an den geschätzten stattung: Zeitarbeit in Deutschland – Aktuelle Entwick- zusätzlichen Arbeitslosengeld–I-Beziehern, in Prozent lungen, Nürnberg. darunter: Hohendanner, C. (2010): Befristete Arbeitsverträge zwi- Alle Branchen schen Auf- und Abschwung: Unsichere Zeiten, unsichere Arbeitnehmerüberlassung Rahmenfrist Verträge?, IAB-Kurzbericht Nr. 14, Nürnberg. Anwart- schaftszeit 2 Jahre 3 Jahre 2 Jahre 3 Jahre Koller, L.; Rudolph, H. (2011): Arbeitsaufnahmen von SGB- II-Leistungsempfängern: Viele Jobs von kurzer Dauer, Anteil bisheriger ALG-II-Bezieher (innerhalb von 90 Tagen nach Abgang) IAB-Kurzbericht Nr. 14, Nürnberg. 12 Monate 31 53 6 Monate 34 36 53 56 Schmieder, J. F.; von Wachter, T.; Bender, S. (2012a): The 4 Monate 35 36 55 57 Long-Term Effects of UI Extensions on Employment, American Economic Review Papers and Proceedings darunter: ALG II schon einen Monat vor Beschäftigungsende 102, 514-519. 12 Monate 45 49 Schmieder, J. F.; von Wachter, T.; Bender, S. (2012b): The 6 Monate 40 42 42 46 Effects of Extended Unemployment Insurance over the 4 Monate 41 43 42 46 Business Cycle: Evidence from Regression Discontinuity Anmerkungen: Für die Berechnungen wurden die vorhergesagten Ansprüche mit dem Estimates Over Twenty Years, Quarterly Journal of Eco- bisherigen Anteil tatsächlicher Inanspruchnahme innerhalb von 90 Tagen an den ge- nomics 127, 701-752. schätzten Ansprüchen gewichtet. Die Abgrenzung der Stichprobe ist in dem Infokasten zur Datengrundlage (Seite 4) beschrieben. Venn, D. (2012): Eligibility Criteria for Unemployment Bene- Quelle: IAB-Auswertungen auf Basis der IEB. © IAB fits: Quantitative Indicators for OECD and EU Countries, OECD Social, Employment and Migration Working Papers 131, OECD, Paris. Impressum IAB-Kurzbericht Nr. 19, November 2012 Herausgeber: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, 90327 Nürnberg Redaktion: Elfriede Sonntag, Martina Dorsch Graphik & Gestaltung: Monika Pickel Druck: Vormals Manzsche Buchdruckerei und Verlag, Regensburg Rechte: Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des IAB Bezug: IAB-Bestellservice, c/o W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG, Auf dem Esch 4, 33619 Biele feld; Tel. 0180-100-2707 (im deutschen Festnetz 3,9 ct/min, Mobilfunkpreise höchstens 42 ct/min); Fax: 0180-100-2708; E-Mail: iab-bestellservice@wbv.de IAB im Internet: www.iab.de. Dort finden Sie u. a. diesen Kurzbericht zum kostenlosen Download Anfragen: iab.anfragen@iab.de oder Tel. 0911/179-5942 ISSN 0942-167X 8 IAB-Kurzbericht 19/2012
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