Eine beschäftigungsfreundliche Reform der 620-DM-Arbeitsverhältnisse

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ARBEITSLOSIGKEIT

                                       Clemens Fuest, Bernd Huber

    Eine beschäftigungsfreundliche Reform
        der 620-DM-Arbeitsverhältnisse
  Gegenwärtig wird eine Abschaffung bzw. Einschränkung der 620-DM-Beschäftigungs-
     verhältnisse diskutiert. Dr. Clemens Fuest und Professor Bernd Huber analysieren
  die möglichen Auswirkungen für den Arbeitsmarkt und das Sozialsystem und schlagen
                  alternativ eine beschäftigungsfreundliche Reform dieser
                                Beschäftigungsverhältnisse vor.

Z    ur Zeit wird um die 620-DM-Jobs eine heftige
     Kontroverse geführt. Die Befürworter dieser Be-
schäftigungsform sehen darin ein vorteilhaftes Instru-
                                                           D Grundsätzlich sind die 620-DM-Beschäftigungs-
                                                           verhältnisse als ein positives Element des Arbeits-
                                                           marktes zu betrachten, da sie gerade im Bereich ge-
ment der Arbeitsmarktpolitik, das durch seine Flexi-       ring qualifizierter Arbeit zusätzliche Beschäftigungs-
bilität und die geringe Abgabenbelastung neue              möglichkeiten eröffnen. Das zentrale Problem der
Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet und so den            gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen liegt aber
etablierten Arbeitsmarkt entlastet. Als Beleg für diese    darin, daß Beschäftigungsverhältnisse bei einem
These kann die deutliche Zunahme dieser Beschäfti-         Überschreiten der Sozialversicherungsfreigrenze von
gungsverhältnisse in den letzten Jahren gelten. Die        620 DM mit sprunghaft steigenden Abgaben belegt
Gegner sehen aber gerade darin eine bedenkliche            werden - es ergeben sich Grenzsteuerbelastungen
Substitution der konventionellen sozialversicherungs-      von über 100%. Daraus resultiert eine gravierende
pflichtigen Beschäftigung, mit der den Sozialkassen        Störung des Marktes für Teilzeitarbeit, die vor allem
Beitragseinnahmen entgehen und letztlich die Stabili-      eine volkswirtschaftlich dringend erwünschte Zunah-
tät der Sozialversicherungssysteme gefährdet wird.
                                                           me der Beschäftigung verhindert.
Deswegen wird von dieser Seite auch die Abschaf-
fung bzw. Einschränkung der 620-DM-Beschäftigung           D Ziel einer Reform muß es sein, diese zentrale Schwä-
gefordert, während umgekehrt die Befürworter für ei-       che des bestehenden Systems zu überwinden. Der vor-
ne Beibehaltung plädieren und dabei vor allem auf die      liegende Beitrag entwickelt ein Reformmodell, das ei-
Gefahr hinweisen, die geringfügige Beschäftigung           nen stetigen Übergang von sozialversicherungsfreier zu
durch eine Sozialversicherungspflicht in die Schatten-     Sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gewähr-
wirtschaft abzudrängen!                                    leistet und Grenzbelastungen über 100% vermeidet.
                                                           Von einer solchen Reform ist eine Zunahme der Be-
   Im vorliegenden Beitrag geht es daher darum, die        schäftigung zu erwarten. Zugleich ergeben sich Steuer-
Rolle der 620-DM-Beschäftigung für den Arbeitsmarkt        mehreinnahmen, die sich nach unserer Rechnung auf
und das Sozialsystem zu untersuchen und Reformop-          ca. 2 Mrd. DM pro Jahr belaufen würden. Die derzeit
tionen zu diskutieren. Dabei zeigt sich, daß es mit ei-    vielfach geforderte Abschaffung oder Einschränkung1
nem einfachen Ja oder,Nein zu den 620-DM-Jobs              der Sozialversicherungsfreiheit für geringfügige Be-
nicht getan ist, sondern eine differenzierte Beurteilung   schäftigung hätte im Gegensatz dazu erhebliche nega-
erforderlich ist. Im einzelnen lassen sich unsere Er-      tive Beschäftigungseffekte und würde die öffentlichen
gebnisse wie folgt zusammenfassen:                         Einnahmen per saldo allenfalls geringfügig erhöhen.

                                                              Staatliche Begünstigung von 620-DM-Jobs
  Prof. Dr. Bernd Huber, 38, lehrt Finanzwissen-              Die deutliche Zunahme der 620-DM-Beschäftigung
  schaft an der Universität München; Dr. Clemens           erklärt sich vor allem aus den besonderen Vergünsti-
  Fuest, 30, ist wissenschaftlicher Assistent an           gungen bei Sozialabgaben und Steuern, die der
  diesem Lehrstuhl.                                        Gesetzgeber für diese Beschäftigungsverhältnisse

WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI                                                                                    64.5
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geschaffen hat. Im Rahmen der Sozialversicherung ist                       Bruttolohn, Nettolohn und effektiver Nettolohn
vor allem die Regelung wichtig, daß eine sogenannte                           einer Teilzeitbeschäftigung von 620 DM
geringfügige Beschäftigung sozialversigherungsfrei
                                                                       Bruttolohn                                            620,00 DM
bleibt, wenn - neben anderen, allerdings harmlosen
Voraussetzungen - der (regelmäßige) Monatslohn un-                     Sozialversicherungsbeiträge
                                                                       (0,211 x 620,00 DM)                                   130,82 DM
ter 620 DM (Ostdeutschland 520 DM) liegt2. Daneben
ist auch noch für andere Formen der Teilzeitbeschäfti-                 Lohnsteuer                                            116,50 DM

gung Sozialversicherungsfreiheit gegeben. Zusätzlich                   Nettolohn               ^                             372,68 DM
werden geringfügige Beschäftigungsverhältnisse                         Wert der Versicherungsleistung
durch das Steuerrecht begünstigt: Hier eröffnet der                    (0,15x620,00 DM)                                      93,00 DM
Gesetzgeber nämlich bei einem Monatslohn bis                           Effektiver Nettolohn                                  465,68 DM
620 DM die Möglichkeit, statt des normalen Lohn-
steuerabzugs eine Pauschalsteuer als Abgeltung-
steuer zu entrichten. Diese Pauschalsteuer liegt ge-                      Sobald die Geringfügigkeitsgrenze nun marginal
genwärtig bei einem Satz von gut 20%3 und ist vom                      überschritten wird, ändert sich die Situation grundle-
Arbeitgeber abzuführen.                                                gend: Das Beschäftigungsverhältnis wird sozialversi-
                                                                       cherungspflichtig und unterliegt zudem der Einkom-
   Diese Regelungen machen geringfügige Beschäfti-                     mensteuer. Für den Arbeitgeber bedeutet dies, daß
gungsverhältnisse sowohl für Arbeitgeber als auch                      statt der Pauschalsteuer in Höhe von 20% der Arbeit-
Arbeitnehmer zu einer besonders attraktiven Beschäf-                   geberanteil von 21,1% (1998) zur-Sozialversicherung
tigungsform, mit der die hohe Abgabenbelastung kon-                    abzuführen ist. Aus Sicht des Arbeitgebers bleiben die
ventioneller Beschäftigung abgemildert werden kann.                    Arbeitskosten also - grosso modo - konstant. Damit
Hinzu kommt aus der Sicht der Arbeitgeber, daß die                     erzielt die Ehefrau für die bisherige Beschäftigung den
unbürokratischen 620-DM-Verträge eine flexible An-                     gleichen Bruttolohn wie vorher4. Wie die Tabelle zeigt,
passung an Beschäftigungsschwankungen erlauben.                        erleidet sie aber erhebliche Einbußen beim Nettolohn.
Diesen durchaus positiven Wirkungen steht aber ein
gravierendes Problem gegenüber: Eine Teilzeitbe-                              Grenzabgabenbelastung von über 100%
schäftigung jenseits der 620-DM-Grenze wird massiv
                                                                          Zum einen ist aus diesem Bruttolohn von 620 DM
diskriminiert. Soweit nämlich der (regelmäßige) Mo-
                                                                       der Arbeitnehmerbeitrag von 21,1% zur Sozialver-
natslohn diese Grenze marginal überschreitet, kommt
                                                                       sicherung abzuführen, zum zweiten sind Steuern zu
es zu impliziten Grenzsteuerbelastungen, die über
                                                                       entrichten (siehe Tabelle). Legt man für die Ehefrau
100% liegen. Dadurch wird Teilzeitbeschäftigten, die
                                                                       Lohnsteuerklasse V zugrunde, ergibt sich eine Lohn-
gern mehr als 620 DM verdienen möchten, Mehrarbeit
                                                                       steuerzahlung von 116,50 DM5. Insgesamt sinkt der
geradezu verboten.
                                                                       Nettolohn durch Sozialabgaben und Steuern nun auf
   Dies läßt sich exemplarisch am Fall der teilzeitbe-                 372,68 DM. Dies hat aber absurde Konsequenzen für
schäftigten Hausfrauen verdeutlichen, die mit einem                    die individuellen Arbeitsangebotsanreize: Wenn ein
Anteil von etwa 40% die größte Gruppe bei den ge-                      Teilzeitbeschäftigter mehr arbeitet und dabei die 620
ringfügig Beschäftigten bilden. Als Beispiel betrach-                  DM-Grenze überschreitet, erleidet er einen Einkom-
ten wir den Fall einer verheirateten Frau, die einer ge-               mensverlust. Mehrarbeit wird vom Fiskus also gera-
ringfügigen Beschäftigung mit Pauschalbesteuerung                      dezu bestraft! So würde der Nettolohn im Ergebnis
nachgeht und dabei einen monatlichen Nettolohn von                     sinken, wenn sich durch Mehrarbeit der Bruttolohn
620 DM bezieht. Die Netto-Arbeitskosten des Unter-                     von 620 DM z.B. auf 800 DM erhöht. Kurz: Für Teilzeit-
nehmens für dieses Beschäftigungsverhältnis betra-                     beschäftigte kommt es jenseits der 620-DM-Grenze
gen inklusive 20% Pauschalsteuer 744 DM.                               zu Grenzabgabenbelastungen von mehr als 100%.

1
   Die neue Bundesregierung plant zur Zeit, die Sozialversicherungs-   4
                                                                         Wir nehmen damit an, daß die Inzidenz der zusätzlichen Steuern
freigrenze auf 300 DM zu senken und zwischen 300 und 620 DM eine       und Abgaben vollständig bei den Arbeitnehmern liegt. Diese Annah-
beschränkte Sozialversicherungspflicht einzuführen.                    me ist dann sinnvoll, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, statt
2
  Einen Überblick über die geltenden gesetzlichen Regelungen und       einer Ausweitung des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses zu-
statistische Erhebungen zur geringfügigen Beschäftigung bietet         sätzliche 620-DM-Kräfte einzustellen. Aus partialanalytischer Sicht
Helmut R u d o l p h : „Geringfügige Beschäftigung" mit steigender     muß in diesem Fall die Inzidenz von Steuern und Abgaben beim Be-
Tendenz, IAB Werkstattbericht Nr. 9, 21. 8. 1998.                      schäftigten liegen. Auch empirische Untersuchungen zur Inzidenz der
                                                                       Pauschalsteuer kommen zu dem Ergebnis einer fast vollständigen
3
  Inklusive Solidaritätszuschlag lag der Pauschalsteuersatz 1997 bei   Überwälzung auf die Arbeitnehmer; vgl. Johannes S c h w a r z e : Wer
22,9%. Der Einfachheit halber gehen wir im folgenden bei unseren       trägt die pauschale Lohnsteuer bei geringfügiger Beschäftigung?,
Berechnungen von einem Pauschalsteuersatz von 20% aus.                 DIW Diskussionspapier Nr. 154, 1997.

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   Man muß nun allerdings beachten, daß der Ein-                         Auch wenn diese Korrekturrechnung den Nettoein-
kommensverlust überzeichnet wird, wenn man nicht                      kommensverlust etwas abmildert, ändert dies aber
berücksichtigt, daß die Zahlung von Sozialversiche-                   nichts daran, daß eine Überschreitung der 620-DM-
rungsbeiträgen auch Sozialversicherungsansprüche                      Grenze mit Grenzabgabenbelastungen von mehr als
begründet, deren (Bar-)Wert grundsätzlich mit den                     100% verbunden ist. Die Konsequenzen für das
Beitragszahlungen zu verrechnen ist. Ein Netto-                       Arbeitsangebotsverhalten sind klar: Teilzeitbeschäf-
einkommensverlust ergibt sich nur insoweit, als die                   tigte werden maximal bis zu einem Lohn von 620 DM
entrichteten Beiträge den Wert der Versicherungs-                     Arbeit anbieten; ein höheres Arbeitsangebot unter-
ansprüche überschreiten. Dies ist im einzelnen                        bleibt aufgrund der dann auftretenden Einkommens-
schwer zu bestimmen; für das Beispiel der teilzeit-                   verluste. Durch die absurd hohe Abgabenbelastung
beschäftigten Ehefrau erscheint aber folgende                         jenseits von 620 DM wird damit eine volkswirtschaft-
Rechnung angemessen: Vom Gesamtbeitrag von                            lich eigentlich wünschenswerte Ausdehnung von
42,2% des Bruttolohns entfallen 15,4% auf Kran-                       Einkommen und Beschäftigung nachhaltig verhindert.
ken- und Pflegeversicherung. Dieser Beitrag" hat ei-                  Insoweit schaffen die gegenwärtigen Regelungen ge-
nen reinen Steuercharakter, da die Ehefrau in den                     radezu eine „Niedrigbeschäftigungsfalle", in der die
meisten Fällen bereits durch die Sozialversicherung                   Teilzeitbeschäftigung sich im 620-DM-Bereich ab-
des Mannes gegen das Krankheits- und Pflegerisiko                     spielt, weil höhere Einkommenssegmente von den
abgesichert ist.                                                      Arbeitnehmern aufgrund der fiskalischen Diskriminie-
                                                                      rung gemieden werden.
    Bei dem verbleibenden Beitrag von 26,8% zur Ren-
ten- und Arbeitslosenversicherung liegen die Dinge                              Ist die Niedrigbeschäftigungsfalle
komplizierter. Der Wert der Versicherungsansprüche                                   empirisch nachweisbar? ,
liegt auch hier niedriger als die gezahlten Beiträge.                    Das Phänomen der Niedrigbeschäftigungsfalle läßt
Das ist vor allem auf die erheblichen versicherungs-                  sich auch empirisch nachweisen7. Um dies zu zeigen,
fremden Leistungen, die aus diesen Beiträgen finan-                   konzentrieren wir uns - wie schon im obigen Beispiel
ziert werden, die niedrige Rendite eines umlagefinan-                 - auf die Gruppe der teilzeitbeschäftigten Ehefrauen,
zierten Rentenyersicherungssystems und auch die                       bei denen der Ehemann Hauptverdiener ist. Die
grundsätzlich problematische Zwangsmitgliedschaft                     Datenlage ist allerdings schwierig. Zunächst müssen
in diesen Versicherungssystemen zurückzuführen. Es                    wir auf das Jahr 1992 zurückgreifen, für das letztma-
ist allerdings schwierig, den impliziten Steueranteil der             lig die Lohnsteuerstatistik vorliegt. Darüber hinaus
Beiträge zu quantifizieren, und eine gewisse Willkür                  kommen die existierenden Erhebungen über den Um-
daher unvermeidlich. Folgt man den Ergebnissen von                    fang der geringfügigen Beschäftigung zu höchst un-
Bofinger/Fasshauer (1998), erscheint es angemessen,                   terschiedlichen Resultaten. Die niedrigste Zahl an
von den gut 27% Gesamtbeitrag 15% als einkom-                         ausschließlich geringfügig Beschäftigten für das Jahr
mensäquivalente Versicherungsleistungen anzuse-                       1992 weist hier der Mikrozensus aus, mit ca. 1,1 Mill.
hen6. In Tabelle 1 ergibt sich dann ein effektiver Netto-             Fällen, die höchste Zahl nennt das Sozioökonomische
lohn von 465,68 DM.
                                                                      6
                                                                        Vgl. Peter B o f i n g e r , Stefan F a s s h a u e r : Reduzierung der
5                                                                     Sozialabgaben statt Kombilohn, in: WIRTSCHAFTSDIENST, 78. Jg.
  Bei der Einkommensteuerveranlagung können sich hier natürlich       (1998), H. 9, S. 519-528.
noch Nach- oder Rückzahlungen ergeben, so daß der hier genannte
                                                                      7
Betrag nur als Richtwert dienen kann. Wir beziehen uns hier auf die     Vgl. hierzu auch die Analyse bei Clemens F u e s t , Bernd H u b e r ,
Lohnsteuerklasse V, weil üblicherweise der Ehemann als Hauptver-      Regina R i p h a h n : Arbeitsmarktwirkungen der geringfügigen Be-
diener Lohnsteuerklasse III wählen wird.                              schäftigungsverhältnisse, München 1998.

    Josef Bejcek

    Wettbewerbspolitische Theorien und ihre Umsetzung
    im Kartellrecht
    Ausgehend von einer Analyse verschiedener wettbewerbspolitischer Ansätze kommentiert der Verfasser Besonderheiten
    des tschechischen Kartellrechts. Besonderen Wert legt er auf die Behandlung der in der Praxis relevanten Fragen.
    1998, 65 S., brosch., 28- DM, 204- öS, 26- sFr, ISBN 3-7890-5392-9
    (Schriften der Ernst von Caemmerer-Gedächtnisstiftung, Bd. 3)

    3 NOMOS Verlagsgesellschaft • 76520 Baden-Baden
WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI                                                                                                                647
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           Verteilung der Beschäftigten über die                     der Ehefrauen bis zur Einkommensgrenze für gering-
                    Einkommensklassen                                fügige Beschäftigung und darüber relevant. Im Jahr
                    (Zuverdienende Ehefrauen, 1992)                  1992 lag die Geringfügigkeitsgrenze bei monatlich
    1400                                                             500 DM (für Westdeutschland), also maximal 6000
                                                                     DM Jahreseinkommen. Die in der Lohnsteuerstatistik
    1200
                                                                     ausgewiesenen Einkommensgruppen umfassen je-
& 1000                                                               doch Jahreseinkommen von 1-5000 DM, dann 5000-
o
° 800
                                                                     7500 DM usw. Im folgenden rechnen wir nur die Lohn-
c                                                                    steuerfälle der Gruppe mit einem Bruttoeinkommen
1 600                                                                pro Jahr bis-zu 5000 DM dem Bereich der geringfügi-
N
C
                                                                     gen Beschäftigung zu. Die Anzahl der Ehefrauen mit
< 400                                                                einem Einkommen unterhalb der Sozialversicherungs-
    200                                                              freigrenze berechnen wir also, indem wir den in der
                                                                     Lohnsteuerklasse V angegebenen Fällen von 1-5000
       0    1-5000 zzgl.    5000-10000   10000-15000   15000-20000
             geringfügig
                                                                     DM Bruttoeinkommen die Anzahl der ausschließlich
           • Beschäftigte                                            geringfügig beschäftigten Ehefrauen zuschlagen, bei
                                                                     denen von der Pauschalbesteuerung Gebrauch ge-
           Jahreseinkommen (aus abhängiger Beschäftigung)
                                                                     macht wird. Damit ergibt sich die durch das Schaubild
                                                                     illustrierte Verteilung über die Einkommensklassen.
Panel (SOEP), mit knapp 3 Mill. Unter den ausschließ-
lich geringfügig Beschäftigten sind nach übereinstim-                    Konzentration bis zur Geringfügigkeitsgrenze
mender Einschätzung ca. 40% Ehefrauen. Die Zahl                         Es zeigt sich sehr deutlich, daß die erwerbstätigen
der Ehefrauen unter den ausschließlich geringfügig                   Ehefrauen sich im Einkommenssegment bis zur Ge-
Beschäftigten lag im Jahr 1992 demnach zwischen                      ringfügigkeitsgrenze konzentrieren, während die Zahl
ca. 440000 und 1,2 Mill. Wir verwenden im folgenden                  der Beschäftigten, die oberhalb dieser Einkommens-
der Einfachheit halber den Mittelwert aus diesen bei-                grenze liegen und folglich die Regelungen für gering-
den Erhebungen, gehen also von 820000 Fällen im                      fügige Beschäftigung nicht in Anspruch nehmen kön-
Jahr 1992 aus.                                                       nen, weitaus geringer ist. Es bestätigt sich damit, daß
                                                                     die gegenwärtigen Regelungen eine Niedrigbeschäfti-
   Um nun die Verteilung dieser Frauen über die rele-
                                                                     gungsfalle verursachen - bei aller angesichts der pro-
vanten Einkommensklassen zu ermitteln, verwenden
                                                                     blematischen Datenlage gebotenen Vorsicht.
wir außerdem, wie oben bereits erwähnt, die Lohn-
steuerstatistik. Dabei gehen wir wie folgt vor: Zu-                     Zusammenfassend kann man also festhalten: Die
nächst sind in der Lohnsteuerstatistik nur jene unter                620-DM-Verträge stellen ein flexibles Beschäfti-
den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen er-                    gungsinstrument dar, das wegen seiner niedrigen
faßt, bei denen nicht-von der Option der Pauschalbe-                 Abgabenbelastung vor allem für Teilzeitbeschäftigte
steuerung Gebrauch gemacht wird. Umgekehrt wird                      mit geringer Entlohnung äußerst attraktiv ist. Zugleich
in den vorliegenden Erhebungen zur geringfügigen                     erzeugen die gegenwärtigen gesetzlichen Regelun-
Beschäftigung die Anzahl derjenigen Ehefrauen, die                   gen aber eine Niedrigbeschäftigungsfalle, weil Ein-
Lohnsteuer abführen, nicht ausgewiesen. Um eine                      kommen oberhalb der 620-DM-Grenze extrem diskri-
Doppelzählung zu vermeiden, ist eine Schätzung über                  miniert werden. Da Arbeitseinkommen oberhalb von
die Anzahl der Fälle, bei denen statt der Pauschal-                  620 DM wegen der hohen Grenzabgabenbelastung
steuer Lohnsteuer abgeführt wird, unentbehrlich. Im                  unattraktiv sind, konzentriert sich die Teilzeitbeschäf-
folgenden nehmen wir an, daß dies bei 20% der                        tigung auf den 620-DM-Bereich. Das ökonomisch
ausschließlich geringfügig beschäftigten Ehefrauen                   Bedenkliche liegt darin, daß damit eine - an sich
der Fall ist8.                                                       wünschenswerte - Erhöhung des Arbeitsangebotes
                                                                     der Teilzeitbeschäftigten verhindert wird9. Es ist daher
    Darüber hinaus ist aus der Lohnsteuerstatistik nicht
unmittelbar zu ersehen, wie hoch die Zahl der Ehe-
                                                                     8
                                                                       Diese Zahl wurde den Autoren bei einer telefonischen Anfrage beim
frauen ist, bei denen der Ehemann der Hauptverdiener                 Bundesfinanzministerium genannt. Es handelt sich allerdings um eine
ist. Dennoch können wir zumindest den größten Teil                   inoffizielle Schätzung.
dieser Gruppe dadurch erfassen, daß wir uns auf die                  9
                                                                       Dieses Argument findet sich bereits in Norbert B e r t h o l d : 620
                                                                     DM-Jobs: Insel der Flexibilität im Meer der Regulierungen, Volks-
Frauen in der Lohnsteuerklasse V konzentrieren.                      wirtschaftliche Korrespondenz der Adolf-Weber-Stiftung, 37. Jg., Nr.
Schließlich ist für unsere Fragestellung die Verteilung              2/1998.

648                                                                                          WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI
ARBEITSLOSIGKEIT

auch nicht ganz zutreffend, den Boom der geringfügi-                    und Steuereinnahmen deutlich geschmälert. Zudem
gen Beschäftigungsverhältnisse als arbeitsmarktpoli-                    ist hier auch noch der Wert der zusätzlich geschaffe-
tischen Erfolg anzusehen; in Wirklichkeit stellt er zu                  nen Sozialversicherungsansprüche zu berücksichti-
einem erheblichen Teil einfach eine Marktreaktion auf                   gen. Der fiskalische Gesamteffekt einer Abschaffung
die derzeit geltenden, aus ökonomischer Sicht absur-                    der Sozialversicherungsfreiheit läßt sich wie folgt grob
den staatlichen Regelungen dar.                                         abschätzen: Man nehme an, die Gesamtzahl der ge-
                                                                        ringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, bei denen
       Folgen einer Sozialversicherungspflicht                          Lohn- oder Pauschalsteuer abgeführt wird, liege der-
   Eine Reform der 620-DM-Beschäftigung muß vor                         zeit bei 4 Mill.11 und der Durchschnittsverdienst liege
allem darauf abzielen, die derzeit vorliegende Niedrig-                 an der Versicherungsfreigrenze (West) von 620 DM
beschäftigungsfalle zu beseitigen. Eine Möglichkeit                     pro Monat12. Wie im Beispiel in der Tabelle nehmen wir
besteht darin, die geringfügigen Beschäftigungsver-                     an, daß den Sozialabgaben in Höhe von 42,2%
hältnisse der Sozialversicherungspflicht (und der übli-                 Ansprüche in Höhe von 15% des Arbeitseinkommens
chen Besteuerung) zu unterwerfen. Dabei ist diesem                      gegenüberstehen.
Ansatz zwar zuzubilligen, daß er insoweit konsequent                       Entscheidend für den fiskalischen Effekt einer Ein-
ist, als tatsächlich das Problem der Niedrigbeschäfti-                  beziehung in die Sozialversicherung ist nun, in wel-
gungsfalle gelöst wird: bei einer generellen Sozialver-                 chem Ausmaß eine solche Reform die Anzahl der ge^
sicherungspflicht kommt es naturgemäß nicht mehr                        ringfügigen Beschäftigungsverhältnisse reduzieren
zu Grenzabgabenbelastungen von mehr als 100%,                           bzw. in die Schattenwirtschaft abdrängen würde. We-
wenn der Bruttolohn von 620 DM überschritten wird.                      gen der massiven Mehrbelastung und der vor allem
   Diese Lösung weist jedoch gravierende Nachteile                      bei der wichtigen Gruppe der Hausfrauen hohen Ar-
auf: Die Abgabenbelastung für geringfügige Be-                          beitsangebotselastizität erscheint es angemessen,
schäftigungsverhältnisse steigt - wie oben gesehen -                    von einem Rückgang der Beschäftigungsverhältnisse
dramatisch an. Auch dieses Arbeitsmarktsegment                          um die Hälfte auszugehen. In diesem Szenario ergibt
würde dann unter der hohen Abgaben- und Steuer-                         sich ein fiskalischer Ertrag in Höhe von gut 1 Mrd. DM
belastung leiden, die schon den sonstigen Arbeits-                      pro Jahr. Fällt der Beschäftigungsrückgang höher aus,
markt stranguliert. Die Folge dürfte ein deutlicher                     kann sich sogar ein Nettoverlust ergeben. Es spricht
Rückgang der geringfügigen Beschäftigung seiri>Zum                      daher viel dafür, daß am Ende ein unbedeutender fis-
einen ist gerade bei gering qualifizierter Arbeit mit ei-               kalischer Gewinn mit einem dramatischen Beschäfti-
ner Zunahme der Schwarzarbeit zu rechnen; zum                           gungsrückgang erkauft wird13.
zweiten werden viele Teilzeitbeschäftigte ganz auf ein
Arbeitsangebot verzichten und statt dessen Freizeit                                  Ein beschäftigungsfreundliches
konsumieren. Simulationsstudien weisen darauf hin,                                          Reform konzept
daß diese Beschäftigungseffekte dramatisch sein                            Dies bedeutet allerdings nun nicht, daß bei den
dürften: So führt bei den Hausfrauen - der größten                      geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen alles so
Gruppe der geringfügig Beschäftigten - eine volle                       bleiben kann, wie es ist. Vielmehr macht die Arbeits-
Beitrags- und Steuerpflicht dazu, daß sich ca. 60%                      marktstörung durch die Niedrigbeschäftigungsfalle
ganz aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen10.                               eine Reform des gegenwärtigen Systems dringend
                                                                        notwendig. Ziel einer Reform muß es dabei sein, die
        Fiskalische Folgen einer Abschaffung
   Deswegen dürfte sich auch unter fiskalischen
                                                                        12
Gesichtspunkten die Abschaffung der 620-DM-Jobs                             Die Bundesregierung schätzt, daß das durchschnittliche Monats-
                                                                        einkommen bei geringfügig Beschäftigten insgesamt sogar leicht
als Schildbürgerstreich erweisen: Durch den Beschäf-                    über der Freigrenze liegt (vgl. Bundestagsdrucksache 13/9313 vom
tigungsrückgang würden die zusätzlichen Beitrags-                       28. 11. 1997, S. 9). Dies erklärt sich nicht nur durch die Existenz
                                                                        illegaler Mehrarbeit, sondern auch damit, daß im Sinne des Sozialge-
                                                                        setzbuches kurzfristig Beschäftigte die Verdienstgrenzen legal über-
                                                                        schreiten können. Darüber hinaus können die hohen Durchschnitts-
                                                                        verdienste als weiterer empirischer Anhaltspunkt dafür betrachtet
10
  Vgl. Johannes S c h w a r z e : Die Reform der geringfügigen Be-      werden, daß die Freigrenze für viele Teilzeitbeschäftigte eine binden-
schäftigung und das Arbeitsangebot verheirateter Frauen. DIW-Dis-       de Restriktion darstellt und unsere These der Existenz einer Niedrig-
kussionspapier Nr. 165, 1998, erscheint in: Jahrbuch für Wirtschafts-   beschäftigungsfalle zutrifft.
wissenschaften 3/98.                                                    13
                                                                          Kritisch zur pauschalen Einbeziehung der 620-DM-Jobs in die
11
   Die aktuellen Schätzungen bewegen sich zwischen 2,2 und 5,6 Mil-     Sozialversicherungspflicht äußert sich - allerdings aus anderen Grün-
lionen dieser Beschäftigungsverhältnisse; vgl. den Bericht „Rasche      den - auch Rainer E r b e : Brauchen wir eine Neuregelung der „620-
Entscheidung über 620-DM-Jobs", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung      DM-Jobs"?, in: WIRTSCHAFTSDIENST, 78. Jg. (1998), H. 2, S. 97-
vom 27. Oktober 1998, S. 17.                                            103.

WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI                                                                                                               649
ARBEITSLOSIGKEIT

                     Schaubild 2                           dabei so zu wählen, daß der Arbeitnehmer bei der
       Nettolohnkurve bei Teilzeitbeschäftigung            Sozialversicherungsfreigrenze von 1650 DM den glei-
                         (Monatslohn)                      chen Nettolohn wie bei sozialversicherungsfreier
Nettolohn
                                                           Beschäftigung erreicht. Legt man dabei die - hier be-
      /\
                                                           sonders relevante - Gruppe der verheirateten Frauen
1135                                                       zugrunde, ergibt sich ein Wert von s = 0,514. Bei die-
                                                           sen Parameterwerten läßt sich dann die Nettolohn-
                                                           kurve bei geringfügiger Beschäftigung durch Schau-
                                                           bild 2 darstellen.
620
                              Vor der
                              Reform                                          Zwei Reformaspekte
                                                             Bevor die Wirkungen dieses Reformvorschlages
                                                           auf Arbeitsmarkt und staatliche Einnahmen näher dis-
                                                           kutiert werden, sei auf zwei - auf den ersten Blick
                   620                   1650 Bruttolohn   überraschende - Aspekte dieser Reform eingegan-
                                                           gen.
Vorteile der gegenwärtigen 620-DM-Regelung zu er-          D Die hier vorgeschlagene deutliche Anhebung der
halten, aber das Auftreten der schädlichen Niedrigbe-      Sozialversicherungsfreigrenze steht im krassen Ge-
schäftigungsfalle zu vermeiden. Dazu ist es vor allem      gensatz zur öffentlichen Debatte, die sich auf eine
erforderlich, einen stetigen Übergang von sozialversi-     Senkung dieser Grenze konzentriert. Dabei ist aber
cherungsfreier zu Sozialversicherungspflichtiger Be-       folgendes zu bedenken: Da die Abschaffung oder
schäftigung zu gewährleisten, so daß Grenzabgaben-         Einschränkung der 620-DM-Beschäftigung - wie
belastungen von über 100% wie bei der gegenwär-            oben diskutiert - negativ zu beurteilen ist, sollte die
tiger! 620-DM-Grenze nicht auftreten. Wie läßt sich        Politik darauf setzen, die zentrale Schwäche der ge-
dies erreichen?                                            genwärtigen Regelung, also vor allem die Niedrigbe-
                                                           schäftigungsfalle, zu beseitigen. Dann ist aber eine
   Wir schlagen dazu eine Reform vor, die im Kern fol-
                                                           Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze unabdingbar,
gendes vorsieht: Erstens muß die bestehende Gering-
                                                           um Markteinkommen jenseits von 620 DM wieder at-
fügigkeitsgrenze von 620 DM gelockert und eine sozi-
                                                           traktiv zu machen.
alversicherungsfreie Beschäftigung oberhalb dieser
Marke ermöglicht werden. Gleichzeitig werden Ein-             Dem könnte man entgegenhalten, daß diese Anhe-
kommen über 620 DM so besteuert, daß nach einem            bung der Freigrenze zu einer weiteren Verminderung
längeren Einkommensintervall die gleiche Abgaben-          Sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung führt
belastung wie bei Sozialversicherungspflichtiger Be-       und damit zu einer Erosion des Sozialsystems
schäftigung erreicht wird. Dadurch wird insgesamt ein      beiträgt. Dies ist aber nicht der Fall: Gerade wegen
gleitender Übergang zwischen den Beschäftigungs-           des Problems der Niedrigbeschäftigungsfalle findet ja,
formen gewährleistet und eine „Beschäftigungsfalle"        wie oben gezeigt wurde, in dem Segment oberhalb
vermieden.                                                 von 620 DM kaum Beschäftigung statt; größere Sub-
   Konkret läßt sich dieses Reformkonzept durch            stitutionsprozesse sind deswegen nicht zu erwarten.
folgendes Modell umsetzen:                                 Zudem ist zu bedenken, daß durch den Steuersatz
                                                           von 50% eine solche Substitution mit steigenden Ein-
D Die Sozialversicherungsfreigrenze wird von 620
                                                           kommen progressiv unattraktiv wird.
DM auf 1650 DM angehoben. Für Monatslöhne bis
620 DM gelten die bisherigen Regelungen weiter.            D Auch der hohe Grenzsteuersatz von 50% für Ein-
D Für Arbeitslöhne oberhalb von 620 DM wird grund-         kommen oberhalb von 620 DM muß zunächst überra-
sätzlich eine Pauschalsteuer von 20% auf den               schen. Hier muß man aber berücksichtigen, daß die
Monatslohn erhoben. Zusätzlich wird der Teil des           Grenzbelastung bisher über 100% liegt; es kommt al-
Monatslohnes, der 620 DM überschreitet, mit einer          so zu einer eindeutigen Verbesserung der Arbeitsan-
Steuer belegt, die ebenfalls als Pauschalsteuer konzi-
                                                           14
piert ist. Bezeichnet man diesen Steuersatz mit s, er-       Geht man bei Sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung wieder-
                                                           um von Lohnsteuerklasse V aus, ergibt sich bei einem Monatslohn
gibt sich der Nettolohn des Arbeitnehmers in Abhän-        von 1650 DM eine Lohnsteuerzahlung von 396,66 DM. Als effektiver
gigkeit vom Bruttolohn Yb, dann also Nettolohn =           Nettolohn ergeben sich beim gleichen Berechnungsmodus wie oben
                                                           1150 DM. Bei sozialversicherungsfreier Beschäftigung nach unserem
620 + s(Yb - 620) für Yb > 620. Der Steuersatz s ist       Reformmodell erzielt man bei s = 0,5 dann 1135 DM.

650                                                                               WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI
ARBEITSLOSIGKEIT

gebotsanreize. Die Notwendigkeit, einen so hohen                   daß diese Schätzungen naturgemäß mit einer gewis-
Grenzsteuersatz zu erheben, ergibt sich daraus, daß                sen Unsicherheit behaftet sind, weil die Anpassungs-
bis zur neuen Grenze von 1650 DM die gleiche Be-                   reaktionen quantitativ eben nur sehr schwer abzu-
lastung wie bei Sozialversicherungspflichtiger Be-                 schätzen sind. Dennoch spricht einiges dafür, daß
schäftigung erreicht werden soll. Kurz: sie ist letztlich          unser Reformvorschlag auch aus fiskalischer Sicht
eine Folge der hohen Abgaben- und Steuerbelastung,                 mehr Vorteile verspricht als die Lösung, die Sozialver-
die auf dem Faktor Arbeit liegt.                                   sicherungsfreiheit aufzuheben.

Beschäftigungswirkungen des Reformvorschlags                                                Fazit
   Durch die hier vorgeschlagene Reform wird die                      Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der
Situation geringfügig Beschäftigter nachhaltig verbes-             hier skizzierte Reformvorschlag das Problem der zur
sert. Statt wie bisher massive Einkommehseinbußen                  Zeit bestehenden Niedrigbeschäftigungsfalle löst und
zu erleiden, können Teilzeitbeschäftigte jetzt durch               gegenüber einer Abschaffung oder Einschränkung der
Mehrarbeit die 620-DM-Grenze überschreiten und da-                 Sozialversicherungsfreiheit für geringfügige" Beschäf-
mit ihr Nettoeinkommen erhöhen. Dadurch wird die                   tigung erhebliche Vorteile hat. Erstens ist es nicht un-
Möglichkeit gestärkt, durch eigene Erwerbsarbeit den               realistisch zu erwarten, daß der mit unserem Reform-
Lebensunterhalt zu bestreiten.                                     vorschlag verbundene fiskalische Gewinn höher ist.
   Damit wird zugleich ein volkswirtschaftlich wün-                Zweitens - und das ist entscheidend - geht die Stei-
schenswerter Anstieg der Beschäftigung möglich, der                gerung der öffentlichen Einnahmen in unserem Re-
bisher durch die Niedrigbeschäftigungsfalle verhin-                formmodell mit einer Zunahme der gesamtwirtschaft-
dert wurde. Wie stark die Beschäftigung steigt, hängt              lichen Beschäftigung und einer Besserstellung der
vor allem davon ab, in welchem Ausmaß die Teilzeit-                geringfügig Beschäftigten einher. Bei der Abschaffung
beschäftigten von den verbesserten Einkommenser-                   der Sozialversicherungsfreiheit hingegen sinkt die
zielungsmöglichkeiten Gebrauch machen. Dies ist                    Beschäftigung erheblich, und die geringfügig Be-
naturgemäß schwer abzuschätzen; schon eine vor-                    schäftigten erleiden massive Einkommensverluste
sichtige Rechnung zeigt aber, daß hier ein erhebli-                oder werden in die Schattenwirtschaft abgedrängt.
ches Potential liegt: Unterstellt man, daß von den
etwa 4 Mill. geringfügig Beschäftigten außerhalb der                 Darüber hinaus eröffnet unser Reformvorschlag
Schattenwirtschaft die Hälfte ihren Monatslohn von                 aber auch eine grundlegend neue arbeitsmarktpoliti-
620 DM auf 750 DM erhöhen, würde dadurch ein zu-                   sche Perspektive. Derzeit wird diskutiert, durch
sätzliches Arbeitseinkommen von 260 Mill. DM er-                   Lohnsubventionen in unterschiedlichen Formen (ein
zielt. Geht man von einem Stundenlohn von 15 DM                    Beispiel ist der Kombilohn) die Beschäftigungs-
aus, dann entspricht dieser Beschäftigungsanstieg                  chancen gering qualifizierter Menschen zu verbes-
einer Schaffung von zusätzlichen rund 100000 Voll-                 sern. Unser Reformvorschlag leistet ähnliches, ohne
zeitarbeitsplätzen.                                                daß Lohnsubventionen, die ja vielfältige administrati-
                                                                   ve Probleme aufwerfen, eingeführt werden müssen.
  Fiskalische Wirkungen des Reformvorschlags
                                                                      Es ist bekannt, daß der Anteil der gering qualifizier-
   Neben der Beschäftigungssteigerung wäre die Um-                 ten Arbeitnehmer unter den geringfügig Beschäftigten
setzung unseres Reformvorschlags auch aus fiskali-                 besonders hoch ist. Gleichzeitig wird das Angebot an
scher Sicht attraktiv. Wenn wir - wie zuvor - anneh-               Vollzeitarbeitsplätzen für diese Gruppe immer gerin-
men, daß in Reaktion auf die Reform die Hälfte aller               ger, was sich in einer entsprechend hohen Arbeits-
geringfügig Beschäftigten ihr monatliches Arbeitsein-              losigkeit gering qualifizierter Menschen niederschlägt.
kommen von 620 DM auf 750 DM steigern, dann führt                  Eine Ursache der schlechten Beschäftigungschancen
dies zu Steuermehreinnahmen von gut 2 Mrd. DM pro                  niedrig Qualifizierter liegt in der schon bei niedrigen
Jahr15. Im Vergleich dazu sind die zu erwartenden                  Einkommen sehr hohen Abgabenbelastung. Durch
Mehreinnahmen, die sich aus einer Abschaffung der                  unseren Reformvorschlag wird zwischen geringfügi-
Sozialversicherungsfreiheit ergeben würden, - nach                 ger Beschäftigung einerseits, die derzeit an der 620
unserer Rechnung etwa 1 Mrd. DM (siehe oben) -                     DM-Grenze abbricht, und voll sozialversicherungs-
deutlich geringer. Nun muß man in Rechnung stellen,                pflichtigen Arbeitsplätzen andererseits ein neues
                                                                   Arbeitsmarktsegment eröffnet, in dem wegen der mo-
15
                                                                   deraten Abgabenbelastung auch gering qualifizierte
   Es wäre denkbar, diese Mehreinnahmen den Sozialversicherungen
zuzuführen.                                                        Arbeitsanbieter gute Chancen haben.

WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI                                                                                              651
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