Eine beschäftigungsfreundliche Reform der 620-DM-Arbeitsverhältnisse
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ARBEITSLOSIGKEIT Clemens Fuest, Bernd Huber Eine beschäftigungsfreundliche Reform der 620-DM-Arbeitsverhältnisse Gegenwärtig wird eine Abschaffung bzw. Einschränkung der 620-DM-Beschäftigungs- verhältnisse diskutiert. Dr. Clemens Fuest und Professor Bernd Huber analysieren die möglichen Auswirkungen für den Arbeitsmarkt und das Sozialsystem und schlagen alternativ eine beschäftigungsfreundliche Reform dieser Beschäftigungsverhältnisse vor. Z ur Zeit wird um die 620-DM-Jobs eine heftige Kontroverse geführt. Die Befürworter dieser Be- schäftigungsform sehen darin ein vorteilhaftes Instru- D Grundsätzlich sind die 620-DM-Beschäftigungs- verhältnisse als ein positives Element des Arbeits- marktes zu betrachten, da sie gerade im Bereich ge- ment der Arbeitsmarktpolitik, das durch seine Flexi- ring qualifizierter Arbeit zusätzliche Beschäftigungs- bilität und die geringe Abgabenbelastung neue möglichkeiten eröffnen. Das zentrale Problem der Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet und so den gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen liegt aber etablierten Arbeitsmarkt entlastet. Als Beleg für diese darin, daß Beschäftigungsverhältnisse bei einem These kann die deutliche Zunahme dieser Beschäfti- Überschreiten der Sozialversicherungsfreigrenze von gungsverhältnisse in den letzten Jahren gelten. Die 620 DM mit sprunghaft steigenden Abgaben belegt Gegner sehen aber gerade darin eine bedenkliche werden - es ergeben sich Grenzsteuerbelastungen Substitution der konventionellen sozialversicherungs- von über 100%. Daraus resultiert eine gravierende pflichtigen Beschäftigung, mit der den Sozialkassen Störung des Marktes für Teilzeitarbeit, die vor allem Beitragseinnahmen entgehen und letztlich die Stabili- eine volkswirtschaftlich dringend erwünschte Zunah- tät der Sozialversicherungssysteme gefährdet wird. me der Beschäftigung verhindert. Deswegen wird von dieser Seite auch die Abschaf- fung bzw. Einschränkung der 620-DM-Beschäftigung D Ziel einer Reform muß es sein, diese zentrale Schwä- gefordert, während umgekehrt die Befürworter für ei- che des bestehenden Systems zu überwinden. Der vor- ne Beibehaltung plädieren und dabei vor allem auf die liegende Beitrag entwickelt ein Reformmodell, das ei- Gefahr hinweisen, die geringfügige Beschäftigung nen stetigen Übergang von sozialversicherungsfreier zu durch eine Sozialversicherungspflicht in die Schatten- Sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gewähr- wirtschaft abzudrängen! leistet und Grenzbelastungen über 100% vermeidet. Von einer solchen Reform ist eine Zunahme der Be- Im vorliegenden Beitrag geht es daher darum, die schäftigung zu erwarten. Zugleich ergeben sich Steuer- Rolle der 620-DM-Beschäftigung für den Arbeitsmarkt mehreinnahmen, die sich nach unserer Rechnung auf und das Sozialsystem zu untersuchen und Reformop- ca. 2 Mrd. DM pro Jahr belaufen würden. Die derzeit tionen zu diskutieren. Dabei zeigt sich, daß es mit ei- vielfach geforderte Abschaffung oder Einschränkung1 nem einfachen Ja oder,Nein zu den 620-DM-Jobs der Sozialversicherungsfreiheit für geringfügige Be- nicht getan ist, sondern eine differenzierte Beurteilung schäftigung hätte im Gegensatz dazu erhebliche nega- erforderlich ist. Im einzelnen lassen sich unsere Er- tive Beschäftigungseffekte und würde die öffentlichen gebnisse wie folgt zusammenfassen: Einnahmen per saldo allenfalls geringfügig erhöhen. Staatliche Begünstigung von 620-DM-Jobs Prof. Dr. Bernd Huber, 38, lehrt Finanzwissen- Die deutliche Zunahme der 620-DM-Beschäftigung schaft an der Universität München; Dr. Clemens erklärt sich vor allem aus den besonderen Vergünsti- Fuest, 30, ist wissenschaftlicher Assistent an gungen bei Sozialabgaben und Steuern, die der diesem Lehrstuhl. Gesetzgeber für diese Beschäftigungsverhältnisse WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI 64.5
ARBEITSLOSIGKEIT geschaffen hat. Im Rahmen der Sozialversicherung ist Bruttolohn, Nettolohn und effektiver Nettolohn vor allem die Regelung wichtig, daß eine sogenannte einer Teilzeitbeschäftigung von 620 DM geringfügige Beschäftigung sozialversigherungsfrei Bruttolohn 620,00 DM bleibt, wenn - neben anderen, allerdings harmlosen Voraussetzungen - der (regelmäßige) Monatslohn un- Sozialversicherungsbeiträge (0,211 x 620,00 DM) 130,82 DM ter 620 DM (Ostdeutschland 520 DM) liegt2. Daneben ist auch noch für andere Formen der Teilzeitbeschäfti- Lohnsteuer 116,50 DM gung Sozialversicherungsfreiheit gegeben. Zusätzlich Nettolohn ^ 372,68 DM werden geringfügige Beschäftigungsverhältnisse Wert der Versicherungsleistung durch das Steuerrecht begünstigt: Hier eröffnet der (0,15x620,00 DM) 93,00 DM Gesetzgeber nämlich bei einem Monatslohn bis Effektiver Nettolohn 465,68 DM 620 DM die Möglichkeit, statt des normalen Lohn- steuerabzugs eine Pauschalsteuer als Abgeltung- steuer zu entrichten. Diese Pauschalsteuer liegt ge- Sobald die Geringfügigkeitsgrenze nun marginal genwärtig bei einem Satz von gut 20%3 und ist vom überschritten wird, ändert sich die Situation grundle- Arbeitgeber abzuführen. gend: Das Beschäftigungsverhältnis wird sozialversi- cherungspflichtig und unterliegt zudem der Einkom- Diese Regelungen machen geringfügige Beschäfti- mensteuer. Für den Arbeitgeber bedeutet dies, daß gungsverhältnisse sowohl für Arbeitgeber als auch statt der Pauschalsteuer in Höhe von 20% der Arbeit- Arbeitnehmer zu einer besonders attraktiven Beschäf- geberanteil von 21,1% (1998) zur-Sozialversicherung tigungsform, mit der die hohe Abgabenbelastung kon- abzuführen ist. Aus Sicht des Arbeitgebers bleiben die ventioneller Beschäftigung abgemildert werden kann. Arbeitskosten also - grosso modo - konstant. Damit Hinzu kommt aus der Sicht der Arbeitgeber, daß die erzielt die Ehefrau für die bisherige Beschäftigung den unbürokratischen 620-DM-Verträge eine flexible An- gleichen Bruttolohn wie vorher4. Wie die Tabelle zeigt, passung an Beschäftigungsschwankungen erlauben. erleidet sie aber erhebliche Einbußen beim Nettolohn. Diesen durchaus positiven Wirkungen steht aber ein gravierendes Problem gegenüber: Eine Teilzeitbe- Grenzabgabenbelastung von über 100% schäftigung jenseits der 620-DM-Grenze wird massiv Zum einen ist aus diesem Bruttolohn von 620 DM diskriminiert. Soweit nämlich der (regelmäßige) Mo- der Arbeitnehmerbeitrag von 21,1% zur Sozialver- natslohn diese Grenze marginal überschreitet, kommt sicherung abzuführen, zum zweiten sind Steuern zu es zu impliziten Grenzsteuerbelastungen, die über entrichten (siehe Tabelle). Legt man für die Ehefrau 100% liegen. Dadurch wird Teilzeitbeschäftigten, die Lohnsteuerklasse V zugrunde, ergibt sich eine Lohn- gern mehr als 620 DM verdienen möchten, Mehrarbeit steuerzahlung von 116,50 DM5. Insgesamt sinkt der geradezu verboten. Nettolohn durch Sozialabgaben und Steuern nun auf Dies läßt sich exemplarisch am Fall der teilzeitbe- 372,68 DM. Dies hat aber absurde Konsequenzen für schäftigten Hausfrauen verdeutlichen, die mit einem die individuellen Arbeitsangebotsanreize: Wenn ein Anteil von etwa 40% die größte Gruppe bei den ge- Teilzeitbeschäftigter mehr arbeitet und dabei die 620 ringfügig Beschäftigten bilden. Als Beispiel betrach- DM-Grenze überschreitet, erleidet er einen Einkom- ten wir den Fall einer verheirateten Frau, die einer ge- mensverlust. Mehrarbeit wird vom Fiskus also gera- ringfügigen Beschäftigung mit Pauschalbesteuerung dezu bestraft! So würde der Nettolohn im Ergebnis nachgeht und dabei einen monatlichen Nettolohn von sinken, wenn sich durch Mehrarbeit der Bruttolohn 620 DM bezieht. Die Netto-Arbeitskosten des Unter- von 620 DM z.B. auf 800 DM erhöht. Kurz: Für Teilzeit- nehmens für dieses Beschäftigungsverhältnis betra- beschäftigte kommt es jenseits der 620-DM-Grenze gen inklusive 20% Pauschalsteuer 744 DM. zu Grenzabgabenbelastungen von mehr als 100%. 1 Die neue Bundesregierung plant zur Zeit, die Sozialversicherungs- 4 Wir nehmen damit an, daß die Inzidenz der zusätzlichen Steuern freigrenze auf 300 DM zu senken und zwischen 300 und 620 DM eine und Abgaben vollständig bei den Arbeitnehmern liegt. Diese Annah- beschränkte Sozialversicherungspflicht einzuführen. me ist dann sinnvoll, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, statt 2 Einen Überblick über die geltenden gesetzlichen Regelungen und einer Ausweitung des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses zu- statistische Erhebungen zur geringfügigen Beschäftigung bietet sätzliche 620-DM-Kräfte einzustellen. Aus partialanalytischer Sicht Helmut R u d o l p h : „Geringfügige Beschäftigung" mit steigender muß in diesem Fall die Inzidenz von Steuern und Abgaben beim Be- Tendenz, IAB Werkstattbericht Nr. 9, 21. 8. 1998. schäftigten liegen. Auch empirische Untersuchungen zur Inzidenz der Pauschalsteuer kommen zu dem Ergebnis einer fast vollständigen 3 Inklusive Solidaritätszuschlag lag der Pauschalsteuersatz 1997 bei Überwälzung auf die Arbeitnehmer; vgl. Johannes S c h w a r z e : Wer 22,9%. Der Einfachheit halber gehen wir im folgenden bei unseren trägt die pauschale Lohnsteuer bei geringfügiger Beschäftigung?, Berechnungen von einem Pauschalsteuersatz von 20% aus. DIW Diskussionspapier Nr. 154, 1997. 646 WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI
ARBEITSLOSIGKEIT Man muß nun allerdings beachten, daß der Ein- Auch wenn diese Korrekturrechnung den Nettoein- kommensverlust überzeichnet wird, wenn man nicht kommensverlust etwas abmildert, ändert dies aber berücksichtigt, daß die Zahlung von Sozialversiche- nichts daran, daß eine Überschreitung der 620-DM- rungsbeiträgen auch Sozialversicherungsansprüche Grenze mit Grenzabgabenbelastungen von mehr als begründet, deren (Bar-)Wert grundsätzlich mit den 100% verbunden ist. Die Konsequenzen für das Beitragszahlungen zu verrechnen ist. Ein Netto- Arbeitsangebotsverhalten sind klar: Teilzeitbeschäf- einkommensverlust ergibt sich nur insoweit, als die tigte werden maximal bis zu einem Lohn von 620 DM entrichteten Beiträge den Wert der Versicherungs- Arbeit anbieten; ein höheres Arbeitsangebot unter- ansprüche überschreiten. Dies ist im einzelnen bleibt aufgrund der dann auftretenden Einkommens- schwer zu bestimmen; für das Beispiel der teilzeit- verluste. Durch die absurd hohe Abgabenbelastung beschäftigten Ehefrau erscheint aber folgende jenseits von 620 DM wird damit eine volkswirtschaft- Rechnung angemessen: Vom Gesamtbeitrag von lich eigentlich wünschenswerte Ausdehnung von 42,2% des Bruttolohns entfallen 15,4% auf Kran- Einkommen und Beschäftigung nachhaltig verhindert. ken- und Pflegeversicherung. Dieser Beitrag" hat ei- Insoweit schaffen die gegenwärtigen Regelungen ge- nen reinen Steuercharakter, da die Ehefrau in den radezu eine „Niedrigbeschäftigungsfalle", in der die meisten Fällen bereits durch die Sozialversicherung Teilzeitbeschäftigung sich im 620-DM-Bereich ab- des Mannes gegen das Krankheits- und Pflegerisiko spielt, weil höhere Einkommenssegmente von den abgesichert ist. Arbeitnehmern aufgrund der fiskalischen Diskriminie- rung gemieden werden. Bei dem verbleibenden Beitrag von 26,8% zur Ren- ten- und Arbeitslosenversicherung liegen die Dinge Ist die Niedrigbeschäftigungsfalle komplizierter. Der Wert der Versicherungsansprüche empirisch nachweisbar? , liegt auch hier niedriger als die gezahlten Beiträge. Das Phänomen der Niedrigbeschäftigungsfalle läßt Das ist vor allem auf die erheblichen versicherungs- sich auch empirisch nachweisen7. Um dies zu zeigen, fremden Leistungen, die aus diesen Beiträgen finan- konzentrieren wir uns - wie schon im obigen Beispiel ziert werden, die niedrige Rendite eines umlagefinan- - auf die Gruppe der teilzeitbeschäftigten Ehefrauen, zierten Rentenyersicherungssystems und auch die bei denen der Ehemann Hauptverdiener ist. Die grundsätzlich problematische Zwangsmitgliedschaft Datenlage ist allerdings schwierig. Zunächst müssen in diesen Versicherungssystemen zurückzuführen. Es wir auf das Jahr 1992 zurückgreifen, für das letztma- ist allerdings schwierig, den impliziten Steueranteil der lig die Lohnsteuerstatistik vorliegt. Darüber hinaus Beiträge zu quantifizieren, und eine gewisse Willkür kommen die existierenden Erhebungen über den Um- daher unvermeidlich. Folgt man den Ergebnissen von fang der geringfügigen Beschäftigung zu höchst un- Bofinger/Fasshauer (1998), erscheint es angemessen, terschiedlichen Resultaten. Die niedrigste Zahl an von den gut 27% Gesamtbeitrag 15% als einkom- ausschließlich geringfügig Beschäftigten für das Jahr mensäquivalente Versicherungsleistungen anzuse- 1992 weist hier der Mikrozensus aus, mit ca. 1,1 Mill. hen6. In Tabelle 1 ergibt sich dann ein effektiver Netto- Fällen, die höchste Zahl nennt das Sozioökonomische lohn von 465,68 DM. 6 Vgl. Peter B o f i n g e r , Stefan F a s s h a u e r : Reduzierung der 5 Sozialabgaben statt Kombilohn, in: WIRTSCHAFTSDIENST, 78. Jg. Bei der Einkommensteuerveranlagung können sich hier natürlich (1998), H. 9, S. 519-528. noch Nach- oder Rückzahlungen ergeben, so daß der hier genannte 7 Betrag nur als Richtwert dienen kann. Wir beziehen uns hier auf die Vgl. hierzu auch die Analyse bei Clemens F u e s t , Bernd H u b e r , Lohnsteuerklasse V, weil üblicherweise der Ehemann als Hauptver- Regina R i p h a h n : Arbeitsmarktwirkungen der geringfügigen Be- diener Lohnsteuerklasse III wählen wird. schäftigungsverhältnisse, München 1998. Josef Bejcek Wettbewerbspolitische Theorien und ihre Umsetzung im Kartellrecht Ausgehend von einer Analyse verschiedener wettbewerbspolitischer Ansätze kommentiert der Verfasser Besonderheiten des tschechischen Kartellrechts. Besonderen Wert legt er auf die Behandlung der in der Praxis relevanten Fragen. 1998, 65 S., brosch., 28- DM, 204- öS, 26- sFr, ISBN 3-7890-5392-9 (Schriften der Ernst von Caemmerer-Gedächtnisstiftung, Bd. 3) 3 NOMOS Verlagsgesellschaft • 76520 Baden-Baden WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI 647
ARBEITSLOSIGKEIT Verteilung der Beschäftigten über die der Ehefrauen bis zur Einkommensgrenze für gering- Einkommensklassen fügige Beschäftigung und darüber relevant. Im Jahr (Zuverdienende Ehefrauen, 1992) 1992 lag die Geringfügigkeitsgrenze bei monatlich 1400 500 DM (für Westdeutschland), also maximal 6000 DM Jahreseinkommen. Die in der Lohnsteuerstatistik 1200 ausgewiesenen Einkommensgruppen umfassen je- & 1000 doch Jahreseinkommen von 1-5000 DM, dann 5000- o ° 800 7500 DM usw. Im folgenden rechnen wir nur die Lohn- c steuerfälle der Gruppe mit einem Bruttoeinkommen 1 600 pro Jahr bis-zu 5000 DM dem Bereich der geringfügi- N C gen Beschäftigung zu. Die Anzahl der Ehefrauen mit < 400 einem Einkommen unterhalb der Sozialversicherungs- 200 freigrenze berechnen wir also, indem wir den in der Lohnsteuerklasse V angegebenen Fällen von 1-5000 0 1-5000 zzgl. 5000-10000 10000-15000 15000-20000 geringfügig DM Bruttoeinkommen die Anzahl der ausschließlich • Beschäftigte geringfügig beschäftigten Ehefrauen zuschlagen, bei denen von der Pauschalbesteuerung Gebrauch ge- Jahreseinkommen (aus abhängiger Beschäftigung) macht wird. Damit ergibt sich die durch das Schaubild illustrierte Verteilung über die Einkommensklassen. Panel (SOEP), mit knapp 3 Mill. Unter den ausschließ- lich geringfügig Beschäftigten sind nach übereinstim- Konzentration bis zur Geringfügigkeitsgrenze mender Einschätzung ca. 40% Ehefrauen. Die Zahl Es zeigt sich sehr deutlich, daß die erwerbstätigen der Ehefrauen unter den ausschließlich geringfügig Ehefrauen sich im Einkommenssegment bis zur Ge- Beschäftigten lag im Jahr 1992 demnach zwischen ringfügigkeitsgrenze konzentrieren, während die Zahl ca. 440000 und 1,2 Mill. Wir verwenden im folgenden der Beschäftigten, die oberhalb dieser Einkommens- der Einfachheit halber den Mittelwert aus diesen bei- grenze liegen und folglich die Regelungen für gering- den Erhebungen, gehen also von 820000 Fällen im fügige Beschäftigung nicht in Anspruch nehmen kön- Jahr 1992 aus. nen, weitaus geringer ist. Es bestätigt sich damit, daß die gegenwärtigen Regelungen eine Niedrigbeschäfti- Um nun die Verteilung dieser Frauen über die rele- gungsfalle verursachen - bei aller angesichts der pro- vanten Einkommensklassen zu ermitteln, verwenden blematischen Datenlage gebotenen Vorsicht. wir außerdem, wie oben bereits erwähnt, die Lohn- steuerstatistik. Dabei gehen wir wie folgt vor: Zu- Zusammenfassend kann man also festhalten: Die nächst sind in der Lohnsteuerstatistik nur jene unter 620-DM-Verträge stellen ein flexibles Beschäfti- den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen er- gungsinstrument dar, das wegen seiner niedrigen faßt, bei denen nicht-von der Option der Pauschalbe- Abgabenbelastung vor allem für Teilzeitbeschäftigte steuerung Gebrauch gemacht wird. Umgekehrt wird mit geringer Entlohnung äußerst attraktiv ist. Zugleich in den vorliegenden Erhebungen zur geringfügigen erzeugen die gegenwärtigen gesetzlichen Regelun- Beschäftigung die Anzahl derjenigen Ehefrauen, die gen aber eine Niedrigbeschäftigungsfalle, weil Ein- Lohnsteuer abführen, nicht ausgewiesen. Um eine kommen oberhalb der 620-DM-Grenze extrem diskri- Doppelzählung zu vermeiden, ist eine Schätzung über miniert werden. Da Arbeitseinkommen oberhalb von die Anzahl der Fälle, bei denen statt der Pauschal- 620 DM wegen der hohen Grenzabgabenbelastung steuer Lohnsteuer abgeführt wird, unentbehrlich. Im unattraktiv sind, konzentriert sich die Teilzeitbeschäf- folgenden nehmen wir an, daß dies bei 20% der tigung auf den 620-DM-Bereich. Das ökonomisch ausschließlich geringfügig beschäftigten Ehefrauen Bedenkliche liegt darin, daß damit eine - an sich der Fall ist8. wünschenswerte - Erhöhung des Arbeitsangebotes der Teilzeitbeschäftigten verhindert wird9. Es ist daher Darüber hinaus ist aus der Lohnsteuerstatistik nicht unmittelbar zu ersehen, wie hoch die Zahl der Ehe- 8 Diese Zahl wurde den Autoren bei einer telefonischen Anfrage beim frauen ist, bei denen der Ehemann der Hauptverdiener Bundesfinanzministerium genannt. Es handelt sich allerdings um eine ist. Dennoch können wir zumindest den größten Teil inoffizielle Schätzung. dieser Gruppe dadurch erfassen, daß wir uns auf die 9 Dieses Argument findet sich bereits in Norbert B e r t h o l d : 620 DM-Jobs: Insel der Flexibilität im Meer der Regulierungen, Volks- Frauen in der Lohnsteuerklasse V konzentrieren. wirtschaftliche Korrespondenz der Adolf-Weber-Stiftung, 37. Jg., Nr. Schließlich ist für unsere Fragestellung die Verteilung 2/1998. 648 WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI
ARBEITSLOSIGKEIT auch nicht ganz zutreffend, den Boom der geringfügi- und Steuereinnahmen deutlich geschmälert. Zudem gen Beschäftigungsverhältnisse als arbeitsmarktpoli- ist hier auch noch der Wert der zusätzlich geschaffe- tischen Erfolg anzusehen; in Wirklichkeit stellt er zu nen Sozialversicherungsansprüche zu berücksichti- einem erheblichen Teil einfach eine Marktreaktion auf gen. Der fiskalische Gesamteffekt einer Abschaffung die derzeit geltenden, aus ökonomischer Sicht absur- der Sozialversicherungsfreiheit läßt sich wie folgt grob den staatlichen Regelungen dar. abschätzen: Man nehme an, die Gesamtzahl der ge- ringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, bei denen Folgen einer Sozialversicherungspflicht Lohn- oder Pauschalsteuer abgeführt wird, liege der- Eine Reform der 620-DM-Beschäftigung muß vor zeit bei 4 Mill.11 und der Durchschnittsverdienst liege allem darauf abzielen, die derzeit vorliegende Niedrig- an der Versicherungsfreigrenze (West) von 620 DM beschäftigungsfalle zu beseitigen. Eine Möglichkeit pro Monat12. Wie im Beispiel in der Tabelle nehmen wir besteht darin, die geringfügigen Beschäftigungsver- an, daß den Sozialabgaben in Höhe von 42,2% hältnisse der Sozialversicherungspflicht (und der übli- Ansprüche in Höhe von 15% des Arbeitseinkommens chen Besteuerung) zu unterwerfen. Dabei ist diesem gegenüberstehen. Ansatz zwar zuzubilligen, daß er insoweit konsequent Entscheidend für den fiskalischen Effekt einer Ein- ist, als tatsächlich das Problem der Niedrigbeschäfti- beziehung in die Sozialversicherung ist nun, in wel- gungsfalle gelöst wird: bei einer generellen Sozialver- chem Ausmaß eine solche Reform die Anzahl der ge^ sicherungspflicht kommt es naturgemäß nicht mehr ringfügigen Beschäftigungsverhältnisse reduzieren zu Grenzabgabenbelastungen von mehr als 100%, bzw. in die Schattenwirtschaft abdrängen würde. We- wenn der Bruttolohn von 620 DM überschritten wird. gen der massiven Mehrbelastung und der vor allem Diese Lösung weist jedoch gravierende Nachteile bei der wichtigen Gruppe der Hausfrauen hohen Ar- auf: Die Abgabenbelastung für geringfügige Be- beitsangebotselastizität erscheint es angemessen, schäftigungsverhältnisse steigt - wie oben gesehen - von einem Rückgang der Beschäftigungsverhältnisse dramatisch an. Auch dieses Arbeitsmarktsegment um die Hälfte auszugehen. In diesem Szenario ergibt würde dann unter der hohen Abgaben- und Steuer- sich ein fiskalischer Ertrag in Höhe von gut 1 Mrd. DM belastung leiden, die schon den sonstigen Arbeits- pro Jahr. Fällt der Beschäftigungsrückgang höher aus, markt stranguliert. Die Folge dürfte ein deutlicher kann sich sogar ein Nettoverlust ergeben. Es spricht Rückgang der geringfügigen Beschäftigung seiri>Zum daher viel dafür, daß am Ende ein unbedeutender fis- einen ist gerade bei gering qualifizierter Arbeit mit ei- kalischer Gewinn mit einem dramatischen Beschäfti- ner Zunahme der Schwarzarbeit zu rechnen; zum gungsrückgang erkauft wird13. zweiten werden viele Teilzeitbeschäftigte ganz auf ein Arbeitsangebot verzichten und statt dessen Freizeit Ein beschäftigungsfreundliches konsumieren. Simulationsstudien weisen darauf hin, Reform konzept daß diese Beschäftigungseffekte dramatisch sein Dies bedeutet allerdings nun nicht, daß bei den dürften: So führt bei den Hausfrauen - der größten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen alles so Gruppe der geringfügig Beschäftigten - eine volle bleiben kann, wie es ist. Vielmehr macht die Arbeits- Beitrags- und Steuerpflicht dazu, daß sich ca. 60% marktstörung durch die Niedrigbeschäftigungsfalle ganz aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen10. eine Reform des gegenwärtigen Systems dringend notwendig. Ziel einer Reform muß es dabei sein, die Fiskalische Folgen einer Abschaffung Deswegen dürfte sich auch unter fiskalischen 12 Gesichtspunkten die Abschaffung der 620-DM-Jobs Die Bundesregierung schätzt, daß das durchschnittliche Monats- einkommen bei geringfügig Beschäftigten insgesamt sogar leicht als Schildbürgerstreich erweisen: Durch den Beschäf- über der Freigrenze liegt (vgl. Bundestagsdrucksache 13/9313 vom tigungsrückgang würden die zusätzlichen Beitrags- 28. 11. 1997, S. 9). Dies erklärt sich nicht nur durch die Existenz illegaler Mehrarbeit, sondern auch damit, daß im Sinne des Sozialge- setzbuches kurzfristig Beschäftigte die Verdienstgrenzen legal über- schreiten können. Darüber hinaus können die hohen Durchschnitts- verdienste als weiterer empirischer Anhaltspunkt dafür betrachtet 10 Vgl. Johannes S c h w a r z e : Die Reform der geringfügigen Be- werden, daß die Freigrenze für viele Teilzeitbeschäftigte eine binden- schäftigung und das Arbeitsangebot verheirateter Frauen. DIW-Dis- de Restriktion darstellt und unsere These der Existenz einer Niedrig- kussionspapier Nr. 165, 1998, erscheint in: Jahrbuch für Wirtschafts- beschäftigungsfalle zutrifft. wissenschaften 3/98. 13 Kritisch zur pauschalen Einbeziehung der 620-DM-Jobs in die 11 Die aktuellen Schätzungen bewegen sich zwischen 2,2 und 5,6 Mil- Sozialversicherungspflicht äußert sich - allerdings aus anderen Grün- lionen dieser Beschäftigungsverhältnisse; vgl. den Bericht „Rasche den - auch Rainer E r b e : Brauchen wir eine Neuregelung der „620- Entscheidung über 620-DM-Jobs", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung DM-Jobs"?, in: WIRTSCHAFTSDIENST, 78. Jg. (1998), H. 2, S. 97- vom 27. Oktober 1998, S. 17. 103. WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI 649
ARBEITSLOSIGKEIT Schaubild 2 dabei so zu wählen, daß der Arbeitnehmer bei der Nettolohnkurve bei Teilzeitbeschäftigung Sozialversicherungsfreigrenze von 1650 DM den glei- (Monatslohn) chen Nettolohn wie bei sozialversicherungsfreier Nettolohn Beschäftigung erreicht. Legt man dabei die - hier be- /\ sonders relevante - Gruppe der verheirateten Frauen 1135 zugrunde, ergibt sich ein Wert von s = 0,514. Bei die- sen Parameterwerten läßt sich dann die Nettolohn- kurve bei geringfügiger Beschäftigung durch Schau- bild 2 darstellen. 620 Vor der Reform Zwei Reformaspekte Bevor die Wirkungen dieses Reformvorschlages auf Arbeitsmarkt und staatliche Einnahmen näher dis- kutiert werden, sei auf zwei - auf den ersten Blick 620 1650 Bruttolohn überraschende - Aspekte dieser Reform eingegan- gen. Vorteile der gegenwärtigen 620-DM-Regelung zu er- D Die hier vorgeschlagene deutliche Anhebung der halten, aber das Auftreten der schädlichen Niedrigbe- Sozialversicherungsfreigrenze steht im krassen Ge- schäftigungsfalle zu vermeiden. Dazu ist es vor allem gensatz zur öffentlichen Debatte, die sich auf eine erforderlich, einen stetigen Übergang von sozialversi- Senkung dieser Grenze konzentriert. Dabei ist aber cherungsfreier zu Sozialversicherungspflichtiger Be- folgendes zu bedenken: Da die Abschaffung oder schäftigung zu gewährleisten, so daß Grenzabgaben- Einschränkung der 620-DM-Beschäftigung - wie belastungen von über 100% wie bei der gegenwär- oben diskutiert - negativ zu beurteilen ist, sollte die tiger! 620-DM-Grenze nicht auftreten. Wie läßt sich Politik darauf setzen, die zentrale Schwäche der ge- dies erreichen? genwärtigen Regelung, also vor allem die Niedrigbe- schäftigungsfalle, zu beseitigen. Dann ist aber eine Wir schlagen dazu eine Reform vor, die im Kern fol- Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze unabdingbar, gendes vorsieht: Erstens muß die bestehende Gering- um Markteinkommen jenseits von 620 DM wieder at- fügigkeitsgrenze von 620 DM gelockert und eine sozi- traktiv zu machen. alversicherungsfreie Beschäftigung oberhalb dieser Marke ermöglicht werden. Gleichzeitig werden Ein- Dem könnte man entgegenhalten, daß diese Anhe- kommen über 620 DM so besteuert, daß nach einem bung der Freigrenze zu einer weiteren Verminderung längeren Einkommensintervall die gleiche Abgaben- Sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung führt belastung wie bei Sozialversicherungspflichtiger Be- und damit zu einer Erosion des Sozialsystems schäftigung erreicht wird. Dadurch wird insgesamt ein beiträgt. Dies ist aber nicht der Fall: Gerade wegen gleitender Übergang zwischen den Beschäftigungs- des Problems der Niedrigbeschäftigungsfalle findet ja, formen gewährleistet und eine „Beschäftigungsfalle" wie oben gezeigt wurde, in dem Segment oberhalb vermieden. von 620 DM kaum Beschäftigung statt; größere Sub- Konkret läßt sich dieses Reformkonzept durch stitutionsprozesse sind deswegen nicht zu erwarten. folgendes Modell umsetzen: Zudem ist zu bedenken, daß durch den Steuersatz von 50% eine solche Substitution mit steigenden Ein- D Die Sozialversicherungsfreigrenze wird von 620 kommen progressiv unattraktiv wird. DM auf 1650 DM angehoben. Für Monatslöhne bis 620 DM gelten die bisherigen Regelungen weiter. D Auch der hohe Grenzsteuersatz von 50% für Ein- D Für Arbeitslöhne oberhalb von 620 DM wird grund- kommen oberhalb von 620 DM muß zunächst überra- sätzlich eine Pauschalsteuer von 20% auf den schen. Hier muß man aber berücksichtigen, daß die Monatslohn erhoben. Zusätzlich wird der Teil des Grenzbelastung bisher über 100% liegt; es kommt al- Monatslohnes, der 620 DM überschreitet, mit einer so zu einer eindeutigen Verbesserung der Arbeitsan- Steuer belegt, die ebenfalls als Pauschalsteuer konzi- 14 piert ist. Bezeichnet man diesen Steuersatz mit s, er- Geht man bei Sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung wieder- um von Lohnsteuerklasse V aus, ergibt sich bei einem Monatslohn gibt sich der Nettolohn des Arbeitnehmers in Abhän- von 1650 DM eine Lohnsteuerzahlung von 396,66 DM. Als effektiver gigkeit vom Bruttolohn Yb, dann also Nettolohn = Nettolohn ergeben sich beim gleichen Berechnungsmodus wie oben 1150 DM. Bei sozialversicherungsfreier Beschäftigung nach unserem 620 + s(Yb - 620) für Yb > 620. Der Steuersatz s ist Reformmodell erzielt man bei s = 0,5 dann 1135 DM. 650 WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI
ARBEITSLOSIGKEIT gebotsanreize. Die Notwendigkeit, einen so hohen daß diese Schätzungen naturgemäß mit einer gewis- Grenzsteuersatz zu erheben, ergibt sich daraus, daß sen Unsicherheit behaftet sind, weil die Anpassungs- bis zur neuen Grenze von 1650 DM die gleiche Be- reaktionen quantitativ eben nur sehr schwer abzu- lastung wie bei Sozialversicherungspflichtiger Be- schätzen sind. Dennoch spricht einiges dafür, daß schäftigung erreicht werden soll. Kurz: sie ist letztlich unser Reformvorschlag auch aus fiskalischer Sicht eine Folge der hohen Abgaben- und Steuerbelastung, mehr Vorteile verspricht als die Lösung, die Sozialver- die auf dem Faktor Arbeit liegt. sicherungsfreiheit aufzuheben. Beschäftigungswirkungen des Reformvorschlags Fazit Durch die hier vorgeschlagene Reform wird die Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der Situation geringfügig Beschäftigter nachhaltig verbes- hier skizzierte Reformvorschlag das Problem der zur sert. Statt wie bisher massive Einkommehseinbußen Zeit bestehenden Niedrigbeschäftigungsfalle löst und zu erleiden, können Teilzeitbeschäftigte jetzt durch gegenüber einer Abschaffung oder Einschränkung der Mehrarbeit die 620-DM-Grenze überschreiten und da- Sozialversicherungsfreiheit für geringfügige" Beschäf- mit ihr Nettoeinkommen erhöhen. Dadurch wird die tigung erhebliche Vorteile hat. Erstens ist es nicht un- Möglichkeit gestärkt, durch eigene Erwerbsarbeit den realistisch zu erwarten, daß der mit unserem Reform- Lebensunterhalt zu bestreiten. vorschlag verbundene fiskalische Gewinn höher ist. Damit wird zugleich ein volkswirtschaftlich wün- Zweitens - und das ist entscheidend - geht die Stei- schenswerter Anstieg der Beschäftigung möglich, der gerung der öffentlichen Einnahmen in unserem Re- bisher durch die Niedrigbeschäftigungsfalle verhin- formmodell mit einer Zunahme der gesamtwirtschaft- dert wurde. Wie stark die Beschäftigung steigt, hängt lichen Beschäftigung und einer Besserstellung der vor allem davon ab, in welchem Ausmaß die Teilzeit- geringfügig Beschäftigten einher. Bei der Abschaffung beschäftigten von den verbesserten Einkommenser- der Sozialversicherungsfreiheit hingegen sinkt die zielungsmöglichkeiten Gebrauch machen. Dies ist Beschäftigung erheblich, und die geringfügig Be- naturgemäß schwer abzuschätzen; schon eine vor- schäftigten erleiden massive Einkommensverluste sichtige Rechnung zeigt aber, daß hier ein erhebli- oder werden in die Schattenwirtschaft abgedrängt. ches Potential liegt: Unterstellt man, daß von den etwa 4 Mill. geringfügig Beschäftigten außerhalb der Darüber hinaus eröffnet unser Reformvorschlag Schattenwirtschaft die Hälfte ihren Monatslohn von aber auch eine grundlegend neue arbeitsmarktpoliti- 620 DM auf 750 DM erhöhen, würde dadurch ein zu- sche Perspektive. Derzeit wird diskutiert, durch sätzliches Arbeitseinkommen von 260 Mill. DM er- Lohnsubventionen in unterschiedlichen Formen (ein zielt. Geht man von einem Stundenlohn von 15 DM Beispiel ist der Kombilohn) die Beschäftigungs- aus, dann entspricht dieser Beschäftigungsanstieg chancen gering qualifizierter Menschen zu verbes- einer Schaffung von zusätzlichen rund 100000 Voll- sern. Unser Reformvorschlag leistet ähnliches, ohne zeitarbeitsplätzen. daß Lohnsubventionen, die ja vielfältige administrati- ve Probleme aufwerfen, eingeführt werden müssen. Fiskalische Wirkungen des Reformvorschlags Es ist bekannt, daß der Anteil der gering qualifizier- Neben der Beschäftigungssteigerung wäre die Um- ten Arbeitnehmer unter den geringfügig Beschäftigten setzung unseres Reformvorschlags auch aus fiskali- besonders hoch ist. Gleichzeitig wird das Angebot an scher Sicht attraktiv. Wenn wir - wie zuvor - anneh- Vollzeitarbeitsplätzen für diese Gruppe immer gerin- men, daß in Reaktion auf die Reform die Hälfte aller ger, was sich in einer entsprechend hohen Arbeits- geringfügig Beschäftigten ihr monatliches Arbeitsein- losigkeit gering qualifizierter Menschen niederschlägt. kommen von 620 DM auf 750 DM steigern, dann führt Eine Ursache der schlechten Beschäftigungschancen dies zu Steuermehreinnahmen von gut 2 Mrd. DM pro niedrig Qualifizierter liegt in der schon bei niedrigen Jahr15. Im Vergleich dazu sind die zu erwartenden Einkommen sehr hohen Abgabenbelastung. Durch Mehreinnahmen, die sich aus einer Abschaffung der unseren Reformvorschlag wird zwischen geringfügi- Sozialversicherungsfreiheit ergeben würden, - nach ger Beschäftigung einerseits, die derzeit an der 620 unserer Rechnung etwa 1 Mrd. DM (siehe oben) - DM-Grenze abbricht, und voll sozialversicherungs- deutlich geringer. Nun muß man in Rechnung stellen, pflichtigen Arbeitsplätzen andererseits ein neues Arbeitsmarktsegment eröffnet, in dem wegen der mo- 15 deraten Abgabenbelastung auch gering qualifizierte Es wäre denkbar, diese Mehreinnahmen den Sozialversicherungen zuzuführen. Arbeitsanbieter gute Chancen haben. WIRTSCHAFTSDIENST 1998/XI 651
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