Archigram in Monte Carlo - Heft 19 - René Furer - René Furer
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Heft 19 Das felsige Fürstentum der Grimaldi ist der Gründungs- ort des mittelmeerischen Tourismus. Das begann 1878 mit dem Bau des Casinos von Charles Garnier. Die Bahnlinie von Paris (PLM) war dafür die Voraussetzung. Inzwischen ist daraus bekanntlich ein grosser Erfolg ge- worden. Der entsprechende Ruf blieb nicht aus. Archigram in Monte Carlo 1 Was hier gezeigt und beschrieben wird, hat sich um 1970, vor vierzig Jahren, im nördlichen und nebligen London abgespielt. Die berühmt gewordene Architektengruppe Archigram gewann 1969 den Wettbewerb für ein sport- lich und festlich nutzbares Hallenstadion. Peter Cook und Ron Herron beteiligten sich 1971 in der Folge auch am Wettbewerb für ein Sommer-Casino. Es ist dann bei den Entwürfen geblieben. Monaco entschied sich für den Bau des neuen Kongresszentrums, das jetzt dem Palais Garnier auf der Meerseite vorgelagert ist. René Furer
Die Überbauung zeigt mit ihrem Umriss und auch im Aufriss die augenfällige Grösse und die Grenzen des Stadtstaates. Das kommt im Titelbild aus dem Jahre 1979 zum Vorschein. Das Ganze wird von der Landschaft immer noch deutlich überragt. Sie besorgt nicht nur den Himmelanschluss, sondern auch die Einbettung des beträchtlichen Menschenwerks. 2 3
Archigram beteiligt sich in Monte Carlo nicht am Städtebau, sondern es strebt bloss die Aufwertung von zwei ufernahen Aussenräumen an. Alles wickelt sich bodennah ab. Der Gärtner behält mit seinem Werk den Vorrang vor den baulichen Massnahmen. Kenzo Tange: Überbauung der Tokyo-Bucht, 1964 Tony Garnier: Une Cité Industrielle, 1904 Archigram wirkt seit 1960 massgebend am Heraufbeschwören der beruflichen Zukunft mit. Die Plug-in City von sixty-four ist ein Zeitgenosse des Tokyo-Plans von Kenzo Tange. Es ist auch eines der einflussreichsten 4 Bilder aus der zweiten Hälfte des 20.Jh. Die 5 Grundausrüstung mit einer Megastruktur tritt hier als Diagonalrahmen auf, zu dem neben dem Tragwerk auch die Erreichbarkeit und das Besorgen gehören. Die Gebäudehülle ergänzt diese Medien als Membrane. Damit ist die Voraussetzung für die Steckerstadt gegeben. Edison takes Command. 50 Jahre nach der Cité Industrielle von Tony Garnier sind clip-on und plug-in eine weitere Auseinandersetzung mit dem elektrotechnischen Zeitalter. Als Nachkriegs- waren des Wohnens kamen um 1950 der Staubsauger und die Waschmaschine, der Kochherd und der Kühlschrank. So kam es auch zu dieser fabelhaften Fuge, die als Nahtstelle zwischen der Grund- und der Zusatzausrüstung heute durch ein Bauwerk geht. Was taugt beispielsweise eines dieser neuartigen Forschungsgebäude, wenn es als Betrieb nicht die Möglichkeit von ganz verschiedenen Versuchen einräumt?
Peter Cook und seine Kollegen sind nicht bloss Könner, sondern auch Kenner. Das wickelt sich alles über ein Breitband ab. Sie sind nicht nur in den Mondjahren zuhause. Auch der Hochzeitsturm von Joseph Maria Olbrich in Darmstadt vermag ihre Begeisterung zu wecken. So überlagert sich das Cape Kennedy mit der Mathildenhöhe von 1907. 6 7 “Montreal Entertainments Tower Project (Peter Cook for Taylor Woodrow, 1963). Elaborately modelled and obsessively drawn out in detail, this 600-foot fantasy was firmly grounded in a serious proposal to prefabricate the central core for use as a TV transmitter tower all over the world. To make the ludique version proposed for the Montreal Expo of 1967, Peter Cook has hung it with the most admired architectural goodies of the time, from lattice domes to diagonal elevator ducts.” Reyner Banham, Megastructure, S. 91, London 1976.
Montreal Entertainments Tower Project: Der Grundriss ergänzt den Aufriss der vorausgehenden Seite. 9 Es handelt sich um eine Anlagerung im grossen Stil von Aufenthaltsorten um einen Verkehrsknoten. Es ist auch eine Vergegenwärtigung des futuristischen Bahnhof-Entwurfs von Antonio Sant’ Elia für Mailand. Seine frontale Perspektive dazu findet sich in diesem Heft auf der Seite 32.
Richard Buckminster Fuller (1895 – 1983) ist der geistige Vater von Archigram. Der Entwurf des Dymaxion-Hauses entstand atemraubend früh 1927, das als Völkerbund-Jahr in der Erinnerung haften bleibt. Die Fachwelt tat sich zunächst schwer mit der Aufnahme des Einmasters. Die Vorstellungen dieses schöpferischen Menschen waren überhaupt fordernd, und entsprechend gewöhnungsbedürftig. 11 Heute reden alle über seine Arche Noah, die „Raumschiff Erde“ hiess. Sie tun das bloss mit etwas anderen Worten. Auch das gehört mit zu seiner Tragweite: Als Fullereme sind seine geometrischen Erfindungen auch für die Chemie folgenreich.
Die Anregungen des Blech verarbeitenden Bucky überlagern sich mit der Raumkapsel zur Neuformulierung einer gedrungenen Wohnung für das Existenzminimum. Raumkapsel 12 13 Die Nasszelle vom Spengler ist der Ernstfall von einer Tropfentrommel mit beständigem Widerhall.
Alan Dunn stellte mit seinem Humor eine Verbindung zwischen Nachdem sich die Behälter-Technik verselbständigt hat, ist die Buckys Vorstellungen und der arktischen Urhütte her. Dringlichkeit für einen zusätzlichen Lagerschutz gewichen. 14 15 Der Bilderbogen huldigt Buckminster Fuller mit einem Brückenschlag zwischen der Neuen und der Alten Welt. Das untere Fries beschwört die Rally-Kurven von Monte Carlo. Das obere Fries zeigt den Hafen von Long Beach. Dort fand neben der Queen Mary auch das grösste Wasserflugzeug unter einer geodätischen Kuppel die Geborgenheit.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs löste mit Hiroshima diesen grundlegenden Bewusstseinswandel aus: Unsere Welt ist endlich geworden, zu einer Verwaltungsaufgabe. Dabei geht es um nicht weniger als den Platz des Raumschiffs Erde im kosmischen Zeitalter. Auch die Natur hat ihre umfassende Allmacht als unser Gegenspieler verloren, nachdem es sich gezeigt hat, dass sogar ihre Zerstörung menschenmöglich ist. 16 17
18 19 Das Maulwurf-Konzept des künstlichen Hügels macht aus dem Verhältnis zwischen innen und aussen durchgehend ein Darunter und Darüber. Der Park besorgt so die Einordnung des Hallenbaus. Die Pläne zeigen das Fortschreiten vom Entwurf hin zu seiner Baubarkeit. In den Schnitten kommt die Grundausrüstung zum Vorschein, während der Katalog daneben die Mittel zum Einrichten des benützergerechten Betriebs auflistet.
20 21 Der Bogen bringt die drei Hauptsachen in eine Zusammenschau, die in der Mitte von Monte Carlo auf der Meerseite zählen. Neben dem Palais Garnier ist es das neue Kongressgebäude davor und darunter. Sein Dach, das Victor Vasarely schmückte, ist dazwischen zugleich Esplanade und ein möglicher Heli-Landeplatz. Die weisse Taube auf dem dunklen Grund wirkt, zusammen mit den Loggien vor den Gästezimmern, als Massfigur. Sie machen die beträchtliche Weite der Terrasse fassbar.
Die Halle ist unter anderem für den Motorsport en miniature auslegbar. 22 23 Karting ist eine ausgesprochene Bubensache; aber die Teilnehmer Ohrenbetäubend laut dröhnend ist dürfen auch schon das Schauspiel in jedem Fall. etwas grösser sein. Diese Duldsamkeit ist von der Modelleisenbahn her bekannt.
Die beiden Pläne und die zugeordneten Bilder zeigen, wie im gleichen Rahmen verschiedene Veranstaltungen möglich sind. 24 25 Da kann allerhand über die Bühne gehen und als Samstagabend- Programm mit Telekom eine weltweite Verbreitung finden.
26 27 Das kam erst im darauffolgenden Jahrzehnt: Michel Andrault und Pierre Parat bauten von 1981 – 84 mit Jean Prouvé zusammen die Mehrzweck-Sporthalle in Paris-Bercy. Mit Auftritten der Weltklasse sprudelt darin das Leben.
28 29 Im Rahmen der umfassenden Stadterneuerung der Fünften Republik kam der Nachfolgebau für das Velodrome d‘Hiver an die Stelle des ausgelagerten Weinmarktes nach Bercy. 24 Sportarten und eine Vielfalt von Unterhaltung können hier eingerichtet werden. Inzwischen bekam Bercy im Quartier Tolbiac am linken Seine-Ufer mit der Bibliothèque de France ein noch mächtigeres Gegenüber.
So weit brachten es die beiden Schüler von Eugène Beaudouin. Sie sind auch die Erbauer der Kathedrale von Siracusa. 30 31 So weit kam Archigram ein Jahrzehnt früher mit der Planung des Hallenstadions für Monte Carlo.
Die beiden Der Nachhall Entwürfe für Milano seiner jugendlichen Centrale und das Zeichnungen ist Wasserkraftwerk hundert Jahre nach verblüffen mit ihrer ihrer Entstehung Grösse und der immer noch Grossartigkeit. vernehmbar. Mit Franz Marc gehört Antonio Sant‘Elia zu den Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Beim Marsch auf Triest endete 1916 sein zeichnerisches Werk im Alter von 28 Jahren.
Das sind zwei weitere Beispiele für die Ausstrahlung von künstlerisch genährten Bauzeichnungen. 1 2 34 35 Man führe sich das vor Augen: Bei der Besinnung aus der Gegenwart, zuerst auf G.B. Piranesi (*1720), dann auf Filarete (*1400), öffnen sich zwei riesige Zeitfenster von je 300 Jahren. Bei Piranesi (1) werden darin seine Hinwendung zum Alten Rom und den düsteren Kerkern sichtbar. Von Filarete (2) gibt es die Feinschmeckerkost, die Sforzinda heisst. Ihm verdanken wir den frühen Entwurf zu einer Idealstadt der Renaissance.
Ron Herron verschmelzt sein Sommercasino auf dem ausgesetzten Kap mit dem Garten, der stimmungsmässig ein Strandbad ist. In der betont lockeren Anlage ist die leichte Brise des Meerwindes willkommen, die sich mit dem gedämpften Zebralicht unter den Sonnenschirm-Pinien (pins parasol) als Schattenspender verbindet. 36 37
38 39 Der Eingang für die Glücklichen ist der zeremonielle Ort des Kommens und Gehens, des Sehens und Gesehenwerdens. Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit, beim Übergang aus der Öffentlichkeit in die Geborgenheit, werden die beiden dialogisch aufeinander bezogenen Rollen als solche genüsslich wahrgenommen.
Für die Darstellungen von Archigram braucht es einen Verschleiss-Stapel von Wochenblättern wie Paris-Match. Eine Schere und der Klebstoff dienen der Verarbeitung. 40 41 Vor dem Hintergrund eines chinesischen Bauernhauses im Löss wird vom „Sommersport“ des Ron Herron zum „Chamäleon“ des Peter Cook übergeleitet.
43 Das Glücksspiel wickelt sich rückwärtig in einem grottenartigen Untererdgeschoss ab. Der Nachtklub geht eine Verbindung mit einem besonderen Uferspaziergang ein. Der Festsaal ist ein zeltartiger Leichtbau, der sich je nach Fall mit Kulissen aufmöbeln lässt. Über den gelben Sonnenschirm gibt es in der Folge noch etwas mehr zu sagen. 42
44 45 Wir sind da im legendären Las Vegas des 20. Jh. Das ist ein Volltreffer : Peter Cook beschattet die Vorfahrt mit Sonnenschirmen. Dahinter führen Arkaden um einen Gartenhof weiter. Auf der Querachse wird dann die Meerseite ausgezeichnet.
46 47 Es handelt sich um Strandhäuser in Eastbourne. Peter Cook hat sie schon damals als Teil der eigenen Kultur gesehen. Das unverkennbare Thema der Häuslichkeit zeigt sich selber für Abwandlungen ebenso duldsam.
Bournemouth Steps: Der Entwurf von Peter Cook für das englische Meerbad ist ein Heimbringsel. 48 49 Das Centre Pompidou wurde zum Inbegriff für die moderne Formulierung des Palastes. Seine Erbauer vollzogen mit ihrer Herkunft einen Brückenschlag zwischen Ligurien und London. Für den geneigten Platz davor finden sich in Siena und in Pisa weltberühmte Vorbilder.
Auf dem Heimweg von Monte Carlo nach London war Archigram 1972 in Basel Gast von Diego und Gilli Stampa. Sie zeigten die Entwürfe in ihrer Galerie. „Die abgepackte und tiefgekühlte Fertigmahlzeit ist wichtiger als Palladio. Sie entspricht gegenwärtig einem menschlichen Bedürfnis, und sie drückt die leistungsfähige Deckung dieses Bedarfs aus.“ Der Nescafé und die Beutelsuppe gehören zur Verwandtschaft der Augenblicks-Stadt, Peter Cook in Perspecta 11 die verschlafene Orte mit ihrem Überfall zu neuem Leben erweckt. Damit fordert er die Offenheit zum Leben und der Welt. Ein Beruf, der bloss in seinem eigenen Saft schmort, wird zum Ungeheuer. 50 51
Hier handelt es sich um eine abschliessende Sicht auf den Kurort, die im Vordergrund ihren Schwerpunkt hat. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Schar der Fahnenmasten, die an der Wasserkante das weite Davor vom engen Dahinter trennt. Die „Allee“ weckt nicht bloss die festliche Schmuckerwartung der Flaggen, sondern sie schafft auch einen künstlichen Horizont — Dieser Beschrieb ist nichts anderes als ein Kommentar zu den Archigram- Entwürfen, die in einer vergleichbaren Lage eine ebenso vordergründige Rolle übernehmen. 52 53
Warren Chalk Peter Cook Die Dennis Crompton 54 fabelhaften 55 David Greene Sechs Ron Herron Mike Webb
Impressum Heft 19 weitere Hefte von René Furer Archigram Heft 1 Entwurfsfaktoren Der Bauzyklus ISBN 978-3-9523262-0-6 in Heft 2 Herzog & de Meuron Rehab Burgfeld ISBN 978-3-9523262-1-3 No.03 Lord Norman Foster Millau Monte Carlo ISBN 978-3-9523262-2-0 Heft 4 Rudolf Gabarel Waldfriedhof Davos ISBN 978-3-9523262-3-7 Heft 5 Gigon/Guyer Kalkriese ISBN 978-3-9523262-4-4 Heft 6 Haerle Hubacher Eigenheim Stapel Heftübersicht ISBN 978-3-9523262-5-1 www.renefurer.ch Heft 7 K. Moser, O.R. Salvisberg Zwei Eingänge ISBN 978-3-9523262-6-8 über den Verfasser Heft 8 Herzog & de Meuron Allianz-Arena René Furer war von 1968–1994 Dozent ISBN 978-3-9523262-7-5 für Architekturtheorie an der ETH Zürich. Heft 9 Bob Gysin + Partner BGP Ein Glashaus ISBN 978-3-9523262-8-2 56 Text und Bilder Heft 10 Märkte im Orient René Furer ISBN 978-3-9523262-9-9 Heft 11 Wohnungsbau Die Schweiz im 20. Jh. Kontakt ISBN 978-3-9523419-0-2 furer@bluewin.ch Heft 12 T heo Hotz Sihlcity René Furer ISBN 978-3-9523419-1-9 Bodenacherstraße 101 Heft 13 C hristoph Haerle Rieselbrunnen CH-8121 Benglen ISBN 978-3-9523419-2-6 Heft 14 a rchitextur verfeinert – vergröbert Gestaltung ISBN 978-3-9523419-3-3 Grafilu Heft 15 A tlas – Oasen ISBN 978-3-9523419-4-0 Druck Heft 16 Die Geburt der Allee Vögeli AG, Langnau ISBN 978-3-9523419-5-7 Heft 17 G roßgeräte in der Landschaft Copyright © 2010 René Furer, Benglen ZH ISBN 978-3-9523419-6-4 Alle Rechte vorbehalten, Nachdruck, Aufnahme Heft 18 R eyner Banham Behälter in elektronische Datenbanken, Mailboxen ISBN 978-3-9523419-7-1 sowie sonstige Vervielfältigungen, auch Heft 19 A rchigram in Monte Carlo auszugsweise und in Ausschnitten, nur mit ISBN 978-3-9523419-8-8 schriftlicher Genehmigung des Herausgebers. Heft 20 L e Palais Idéal du Facteur Ferdinand Cheval à Hauterives ISBN 978-3-9523419-8-8 ISBN 978-3-9523419-9-5
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