Arzneimittel in der Umwelt

 
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Arzneimittel
     in der Umwelt

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Inhalt

Vorwort                                                                  3

Zusammenfassung                                                          5

Abstract                                                                 6

1. Kurzfassung der Forderungen und Empfehlungen des BUND                 7

2. Worum geht es? Ein Problemaufriss                                     8

3. Wie relevant ist das Problem? Die Zeit zum Handeln ist längst reif   13

4. Wo ansetzen? Maßnahmen zur Vermeidung oder Minimierung
   der Umweltbelastung durch Arzneimittel                               20

5. Fazit                                                                34

6. Glossar                                                              35

7. Nachweise                                                            36

8. Impressum                                                            44

    2 BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt
Vorwort

Die Welt steht vor immensen ökologischen, gesell-        Sollen die Ausrottung von immer mehr Arten
schaftlichen und sozialen Herausforderungen. Der         beendet und unsere Naturräume geschützt wer-
BUND sucht und gestaltet dafür Lösungen, die             den, dann muss endlich der Flächenverbrauch für
ökologischen und sozialen Kriterien gerecht wer-         immer mehr Straßen-, Gewerbe- und Siedlungs-
den. Als Umwelt- und Naturschutzverband kämpft           flächen beendet und die Landwirtschaft natur-
er insbesondere für die Einhaltung der 1,5 Grad-         und tierwohlverträglich werden. Der Rohstoffver-
Obergrenze in der Klimakrise und für Klimagerech-        brauch muss im Laufe dieses Jahrhunderts dra-
tigkeit, für die Beendigung des Artensterbens, und       stisch, z. B. um einen Faktor 10 oder mehr, redu-
den Schutz und die Wertschätzung von Natur und           ziert werden – eine schnelle und massive Absen-
biologischer Vielfalt. Wir fordern eine tatsächlich      kung würde helfen die Klimakrise zu bewältigen,
nachhaltige Landwirtschaft ohne Gentechnik, den          den Biodiversitätsverlust zu stoppen und den
sofortigen Atomausstieg, und eine Minderung des          kommenden Generationen in allen Ländern glei-
Ressourcenverbrauchs. Kampagnen des BUND zie-            che Entwicklungschancen zu ermöglichen.
len auf ein Ende der Vermüllung und Vergiftung
unserer Umwelt, unter anderem mit Pestiziden,            Stofflich und energetisch muss unser Wirtschafts-
zahllosen Schadstoffen und Mikroplastik. Als             system schlanker werden. Das ist eine große Her-
Nachhaltigkeitsverband setzt sich der BUND für           ausforderung, aber es ist machbar. Jedoch wird die
soziale wie ökologische Gerechtigkeit, Armuts-           Bewältigung dieser Aufgabe unmöglich, wenn die
bekämpfung, Menschenrechte und Demokratie                Politik weiterhin dem Wirtschaftswachstum Vor-
ein. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben,        rang vor der Bewahrung unserer Lebensgrundlagen
das haben uns unsere Erfahrungen gelehrt.                gibt. Wachstumspolitik, ob erfolgreich oder nicht,
                                                         ist der Treiber für Schäden an Natur und Umwelt –
Diese Ziele sind nur zu erreichen, wenn nicht nur        beispielsweise durch den Ausbau von Infrastruktur
alle umwelt- und sozialverträglichen Möglichkei-         mit exzessivem Flächenverbrauch (Flughäfen,
ten zur Steigerung der Effizienz bei der                 Straßen, Flussausbau), die Förderung einer exporto-
Ressourcennutzung ausgeschöpft werden. Zur               rientierten Landwirtschaft mit viel zu hohem Tier-
absoluten Reduzierung unserer Ressourcenentnah-          bestand und vielem anderen mehr. Sie fordert und
me aus der Umwelt brauchen wir außerdem Suffi-           fördert Niedriglohnsektoren, Einkommenspolarisie-
zienz: wir müssen nicht nur anders, sondern auch         rung und eine globale Raubwirtschaft. Demokrati-
weniger konsumieren. Eine nachhaltige Änderung           sche Entscheidungen und Bürger*innenmitsprache
der Lebensweise aller Bürger*innen ist aber keine        werden durch Beschleunigungsgesetze und die
individuelle Verantwortung, sondern eine gemein-         Schwächung von Bürgerbeteiligung eingeschränkt,
same und gesellschaftliche. Zur Förderung des            um die Wachstumsziele nicht zu gefährden.
Gemeinwohls brauchen wir mehr Mitwirkungs-
rechte der Zivilgesellschaft, vor allem aber förderli-   Die notwendige sozial-ökologische Transformation
che politische Rahmenbedingungen. So fordert der         bietet die Chance zu einem gerechten und weniger
BUND seit langem, durch Energiesparen den End-           durch Egoismen, Konkurrenz und Ausbeutung
energieverbrauch mindestens um die Hälfte zu             bestimmten Leben im Einklang mit den planetaren
senken, damit der Rest aus erneuerbaren Energien         Systemen. Wie notwendig eine solche Wende zum
bereitgestellt werden kann – Studien des Umwelt-         guten Leben ist, haben viele Mitbürger*innen
bundesamtes geben diesen Forderungen Recht.              erkannt, nicht zuletzt in der Pandemiekrise seit
                                                         2020. Viele Arbeitsverhältnisse und Lebensweisen

                                                                       BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt   3
werden sich ändern und ändern müssen, durch neue
Technologien ebenso wie durch eine neue, nachhal-
tige Gestaltung für gute Erwerbs- wie Nichterwerbs-
arbeit. Das erfordert nicht nur neue Berufsbilder und
Qualifikationen, sondern auch, dass Status, Bezah-
lung und soziale Sicherung in vielen Bereichen von
Wirtschaft und Verwaltung verbessert werden.

Der BUND steht nicht nur für die ökologische,
sondern auch für soziale, institutionelle und
ökonomische Nachhaltigkeit – deshalb enthalten
unsere Positionen immer auch Ansätze, die zu
sozialer Gerechtigkeit, zu guter Arbeit und zu
zukunftsfähigem Wirtschaften beitragen. Dabei
blickt der BUND immer über den Tellerrand und
entwickelt Perspektiven zusammen mit den Part-
nerorganisationen in unserem internationalen
Netzwerk, Friends of the Earth Europe und Friends
of the Earth International und anderen Organisa-
tionen der Zivilgesellschaft.

Es gibt Alternativen zu einer Politik, die mit immer
höherer Geschwindigkeit in die Sackgasse fährt!
Solche Alternativen zeigt der BUND in den BUND-
Positionen, die von den Bundesarbeitskreisen und
vom Wissenschaftlichen Beirat des BUND erarbei-
tet sowie vom Bundesvorstand beschlossen wer-
den. In den Bundesarbeitskreisen wird akademi-
sche und nichtakademische Expertise zusammen-
geführt, im wissenschaftlichen Beirat werden die
Positionen von Expert*innen aus 20 Themenberei-
chen gemeinsam geprüft – der BUND praktiziert
seit Jahrzehnten das Prinzip der transdisziplinären
Wissenschaft. So basieren alle BUND-Positionen
auf mehrfach und interdisziplinär geprüften aktu-
ellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und zeigen
politische und gesellschaftliche Lösungswege auf.
Jede dieser Positionen, auch die hier vorliegende,
ist ein wichtiger Baustein im Gesamtbild des sozi-
al-ökologischen Umbaus hin zu einer nachhaltigen
Wirtschafts- und Lebensweise.

    4 BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt
Zusammenfassung

Arzneimittel sind physiologisch hochaktive Verbin-        tem für Arzneimittel, um Ärzt*innen zu ermöglichen,
dungen, die insbesondere durch die Ausscheidungen         die am wenigsten umweltbelastenden Medikamente
von Menschen und Tieren in Gewässer und Boden             zu verabreichen. Maßnahmen an der Quelle, um Ein-
gelangen. In zunehmenden Maße werden sie in der           träge ins Abwasser zu vermeiden, und der schritt-
Umwelt nachgewiesen, häufig auch in Konzentra-            weise Ausbau zumindest großer Kläranlagen, um die
tionen, die für den Menschen und andere Lebewesen         Belastung der Gewässer zu senken, sind ebenso vor-
nicht unschädlich sind. Die Verbrauchsmengen von          zusehen wie eine Sammlung von Arzneimittelresten
Arzneimitteln steigen, vor allem wegen der demo-          durch Apotheken, umfassende Information von
grafischen Entwicklung. Maßnahmen zur Reduktion           Ärzt*innen, Pflegekräften und Verbraucher*innen
der Umweltbelastung sind deshalb erforderlich.            sowie ein Werbeverbot für nicht rezeptpflichtige Arz-
                                                          neimittel und der Ausbau der Gesundheitspräventi-
Die verbreitete Anwendung von Antibiotika in der          on. Monitoringprogramme für Wasser und Boden
Nutztierhaltung stellt ein besonderes Problem dar;        in Bezug auf Arzneimittel und Resistenzen und
denn dadurch wird die Entstehung (multi)resistenter       Anforderungen an die Produktion von Arzneimitteln
Keime begünstigt. Antibiotikarückstände in Wasser         nach dem Stand der Technik sowie eine Förderung
und Boden können sogar zur Bildung und Verbrei-           der Forschung zur Entwicklung umweltverträglicher
tung von Resistenzen beitragen. Da kaum neue              Wirkstoffe ergänzen die Palette. Gemäß dem Verur-
Wirkstoffklassen entwickelt und zugelassen werden,        sacherprinzip sind die Hersteller und Vertreiber von
stellt insbesondere die Verabreichung von Reserve-        Arzneimitteln an der Finanzierung dieser Maßnah-
und Breitbandantibiotika an Tiere ein großes Pro-         men zu beteiligen.
blem für die Behandlung von Infektionen beim
Menschen dar. Die verbreitete Massentierhaltung ist
ohne den intensiven Einsatz von Tierarzneimitteln
nicht denkbar. Nicht nur aus Gründen des Tierwohls
ist deshalb eine grundsätzliche Änderung der Hal-
tungsbedingungen notwendig.

Seit 2006 ist die Bewertung von Umweltrisiken Teil
der Zulassung von Arzneimitteln, - ein deutlicher
Fortschritt. Allerdings ist das Verfahren defizitär und
– bei Humanarzneimitteln – zahnlos. Kombinati-
onswirkungen werden ebenso wenig berücksichtigt
wie spezielle Wirkmechanismen und die Resistenz-
bildung bei Antibiotika. Altarzneimittel, die vor 2006
zugelassen wurden, sind nach wie vor ungeprüft auf
dem Markt.

Zur Verbesserung der Situation ist ein umfassendes
Maßnahmenpaket erforderlich. Dies muss die Stär-
kung der Umweltprüfung im Rahmen der Zulassung
ebenso umfassen wie ein Umweltklassifikationssys-

                                                                        BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt   5
Abstract

Medicinal products are physiologically highly active     administer the least environmentally harmful drugs.
substances that enter the water and soil, particularly   Measures implemented at source to avoid discharges
through human and animal excretion. They are             into wastewater and the gradual expansion of min-
being detected in the environment to a greater and       imum at large wastewater treatment plants to reduce
greater extent, often in concentrations that are not     water pollution must be included in planning, as
harmless to humans and other living organisms. The       the collection of drug residues by pharmacies, com-
consumption of pharmaceuticals is increasing, main-      prehensive information for doctors, nurses and con-
ly due to the aging of the population. Consequently,     sumers, a ban on advertising non-prescription drugs
measures to reduce environmental pollution are           and the expansion of preventive health care. Mon-
therefore necessary.                                     itoring programmes for the water and soil with
                                                         regard to pharmaceuticals and resistances and
The widespread use of antibiotics in farm animal         requirements for the production of pharmaceuticals
husbandry poses a particular problem, as it may pro-     according to the best available techniques (BAT) as
mote the development of (multi)resistant bacteria.       well as the promotion of research into the develop-
Antibiotic residues in water and soil can even con-      ment of environmentally compatible active ingredi-
tribute to the formation and spread of resistance.       ents complete the range of measures. In accordance
Since almost no new classes of antibiotic substances     with the polluter-pays principle, the manufacturers
are being developed and approved, the administra-        and distributors of pharmaceuticals must be involved
tion of reserve and broad-spectrum antibiotics to        in financing these measures.
animals in particular is posing a major problem for
the treatment of human infections. Widespread mass
animal husbandry is inconceivable without the
intensive use of veterinary medicines. A fundamental
change in husbandry conditions is thus necessary,
not only to promote animal welfare.

Since 2006, the assessment of environmental risks
has been part of the approval process for medicinal
products, – a significant advance. However, the pro-
cedure is deficient and – in the case of medicinal
products for human use – toothless. Combination
effects are not being taken into account, nor are
special modes of action or the development of resis-
tance to antibiotics. Existing medicinal products that
were approved before 2006 are still on the market
without being assessed for environmental risks.

A comprehensive package of measures is needed to
improve the situation. This must include the
strengthening of environmental assessment as part
of the approval process, as well as an environmental
classification system for drugs to enable doctors to

    6 BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt
1. Kurzfassung der Forderungen
   und Empfehlungen des BUND

Arzneimittel-Wirkstoffe werden in zunehmendem         • Ein generelles Werbeverbot auch für nicht ver-
Maße in der Umwelt nachgewiesen, teilweise in           schreibungspflichtige Arzneimittel soll eingeführt
bedenklichen Konzentrationen. Der BUND empfiehlt        werden.
deshalb ein umfassendes Maßnahmenpaket, um die
Belastung der Umwelt durch Arzneimittel zu redu-      • Für die Nutztierhaltung und die landwirtschaft-
zieren. Hierzu zählen vor allem:                        liche Verwertung von Wirtschaftsdünger müssen
                                                        strenge Regeln gelten, die auch flächendeckend
• Die rechtliche Verankerung der Umweltprüfung          überwacht werden.
  von Arzneimitteln ist zu stärken. Altmedikamente
  sind zu bewerten und bei vorhandenen Risiken        • Medikamentenreste dürfen nicht ins Abwasser
  vom Markt zu nehmen.                                  sondern sollten von Apotheken gesammelt wer-
                                                        den. Verbraucher*innen müssen darüber infor-
• Das Monitoring von Arzneimittel-Wirkstoffen           miert werden.
  und antibiotikaresistenten Keimen in der Umwelt
  ist zu entwickeln und auszubauen.                   • Abwasserteilströme mit besonders hoher Belas-
                                                        tung sind vor Einleitung in die Kanalisation zu
• Die Entwicklung umweltverträglicher Wirkstoffe        behandeln. Bei Kontrastmitteln sind die Ausschei-
  muss ein Forschungsschwerpunkt werden und ist         dungen der Patient*innen getrennt, z. B. in Urin-
  durch Anreize zu fördern („Green Pharmacy“).          beuteln, aufzufangen und zu entsorgen.

• Für die Herstellung von Arzneimitteln müssen        • Bei höherer Belastung sind schrittweise Klär-
  international und national strenge Umweltanfor-       anlagen (4. Reinigungsstufe) auszubauen, damit
  derungen gelten.                                      sie effektiv die Arzneimittelkonzentrationen in
                                                        Abwassereinleitungen reduzieren.
• Ärzt*innen, Apotheker*innen, Pflegekräfte und
  Landwirt*innen sollen gezielt über Maßnahmen        • Durch Ausbau der Gesundheitsprävention und
  zur Senkung des Arzneimittelverbrauchs fortge-        -vorsorge soll zukünftig der weitere Anstieg des
  bildet werden.                                        Arzneimittelverbrauchs verhindert werden.

• Sowohl die Nutztierhaltung als auch Aquakultu-      • An der Finanzierung der Maßnahmen müssen
  ren sind so zu verändern, dass die Belastung der      Hersteller und die anderen Verursacher angemes-
  Gewässer und Böden geringer wird und Belange          sen beteiligt werden (Verursacherprinzip).
  des Tierschutzes erfüllt werden. Verbindliche
  Transformation der Tierhaltung zu mehr Tierwohl,
  mehr Umweltschutz und weniger Tierarzneimit-
  teln. Biologische Haltungsbedingungen erfordern
  einen geringeren Medikamenteneinsatz.

• Ein einzuführendes Umweltklassifikationssystem
  soll es Ärzt*innen zukünftig ermöglichen, umwelt-
  verträgliche Alternativpräparate zu verschreiben.

                                                                    BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt   7
2. Worum geht es?
   Ein Problemaufriss

2.1 Arzneimittelwirkstoffe in der Umwelt
Seit Mitte der 1980er-Jahre berichten Wissenschaft-    Die häufigsten Eintragsquellen waren kommunales
lerinnen und Wissenschaftler vermehrt über Arznei-     Abwasser, Krankenhäuser, Wirtschaftsdünger aus der
mittelfunde in der Umwelt. Als endokrine Substan-      Landwirtschaft, Aquakultur und Arzneimittel-Pro-
zen in den 1990er-Jahren verstärkt in den              duktionsstätten. Der am häufigsten vorkommende
Blickpunkt rückten, wandte sich die Diskussion auch    Wirkstoff, das Schmerzmittel Diclofenac, konnte in
hormonellen Medikamenten u.a. zur Schwanger-           50 Ländern, oftmals in ökotoxikologisch relevanten
schaftsverhütung und deren Umweltwirkungen zu.         Konzentrationen nachgewiesen werden. Die UBA-
Hinzu kam die Besorgnis über häufigere Funde von       Studie verdeutlicht, dass Medikamente in der
Antibiotika-resistenten Keimen, die mit dem Ver-       Umwelt ein globales Problem darstellen, und zwar
brauch von Antibiotika in der Human- und Tierme-       nicht nur in Industrieländern, sondern in zuneh-
dizin in Verbindung gebracht werden (PAN 2015).        mendem Maß auch in Ländern des Globalen Südens
Obwohl Arzneimittel-Wirkstoffe biologisch nicht        (UBA 2016). Dabei ist zu beachten, dass inzwischen
weniger wirksam sind als die Wirkstoffe von agrari-    in Indien und China die wichtigsten Produktions-
schen und nicht-agrarischen Pestiziden, erfährt das    stätten für Pharmaka liegen.
Thema eine geringere öffentliche Aufmerksamkeit,
da Arzneimittel üblicherweise mit Gesundheit asso-     Im Dezember 2014 stimmten alle UN-Länder dafür,
ziiert werden.                                         Arzneimittelrückstände in der Umwelt als eines von
                                                       acht prioritären politischen Themen in das Chemi-
Für eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes       kalienprogramm der Vereinten Nationen (SAICM)
(UBA) zur Aufnahme des Themas „Arzneimittel in         aufzunehmen, um nach globalen Lösungen zu
der Umwelt“ in den „Strategischen Ansatz für ein       suchen (SAICM 2020). Auch die nachhaltigen Ent-
internationales Chemikalienmanagement“ (Strategic      wicklungsziele der Vereinten Nationen (Sustainable
Approach to an International Chemicals Manage-         Development Goals – SDGs) bieten einen Ansatz-
ment - SAICM) des Umweltprogramms der Vereinten        punkt, um auf globaler Ebene nachhaltige Lösungen
Nationen (UNEP) wurden über 1.000 Publikationen        bei Versorgung und Verbrauch von Arzneimitteln
und Datenquellen ausgewertet (UBA 2016). Die aus       anzustreben (SDG 3 – Gesundes Leben für alle,
der o.g. Studie entwickelte Datenbank des UBA, die     SDG 6 – Wasser und Sanitärversorgung für alle,
ständig aktualisiert wird, enthält mittlerweile über   SDG 14 – Bewahrung der Meere und SDG 15 – Land-
178.000 Einträge aus ca. 1.500 Publikationen. Zur-     ökosysteme schützen) (UN 2015).
zeit liegen demnach Daten über Wirkstoffe oder
deren Transformationsprodukte aus 75 Ländern aller     Die gemessenen Konzentrationen der Arzneimittel-
Weltregionen vor. Insgesamt konnten weltweit 771       wirkstoffe in der Umwelt liegen in der Regel unter-
unterschiedliche pharmazeutische Substanzen in         halb der therapeutischen Dosen der einzelnen Prä-
Umweltmedien nachgewiesen werden, davon in             parate (Humanarzneimittel) bzw. der für sie
Deutschland 269, in den Ländern der EU insgesamt       festgelegten, maximal zulässigen Rückstandsmen-
596 Wirkstoffe. Die meisten Substanzen fanden sich     gen in Nahrungsmitteln (Tierarzneimittel) (BMJ
im Ablauf von Kläranlagen. In Oberflächenwasser,       2009, EU 2009). Für die Umwelt bedeutet dies aber
Grund- und Trinkwasser wurden weltweit 528 und         keineswegs eine Entwarnung. So sahen sich z. B. die
in Deutschland 159 Wirkstoffe oberhalb der Nach-       Berliner Wasserbetriebe veranlasst, gemeinsam mit
weisgrenzen gemessen. 19 Arzneimittelwirkstoffe        dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales
wurden in der aquatischen Umwelt in allen fünf UN-     (LAGESO) wegen jahrelanger Überschreitungen des
Regionen nachgewiesen (UBA 2020).                      gesundheitlichen Orientierungswertes von Valsar-

    8 BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt
tansäure im Trinkwasser, die Ärzteschaft zum         2.2 Humanmedizin
Ersatz durch weniger belastende Mittel aufzu-        Exakte Verbrauchsmengen der in Deutschland in der
rufen (DGK 2017, Schimmelpfennig und Dünn-           Humanmedizin eingesetzten Arzneistoffe liegen
bier 2019).                                          nicht vor. In verschiedenen Forschungsvorhaben
                                                     wurde immer wieder versucht, einigermaßen verläss-
Obwohl Arzneimittel zu den humantoxikologisch        liche Daten zu gewinnen. Da keine offiziellen Sta-
am besten untersuchten Stoffen zählen, sind die      tistiken geführt werden, ist dies aus vielerlei Gründen
ökotoxikologischen Folgen der vergleichsweise        schwierig (siehe Ausführungen hierzu in TAB 2019).
geringen, dafür aber kontinuierlichen Belastung      Bergmann et al. ermittelten, dass in Deutschland im
der Gewässer, der Sedimente und der Böden mit        Jahr 2001 insgesamt 37.915 t der zugelassenen
Arzneimittelwirkstoffen bzw. deren Abbaustoffe       2.671 Arzneiwirkstoffe verkauft wurden. Im Jahr
weitgehend unbekannt.                                1999 waren es noch 28.878 t bei 2.754 Wirkstoffen
                                                     gewesen. Die meistverkauften Wirkstoffgruppen sind
Arzneimittel sind zuzulassen. Die Bedingungen        demnach (für das Jahr 2001) die Analgetika
für die Zulassung werden auf EU-Ebene durch          (Schmerzmittel) (1.837 t), die Antirheumatika
die Richtlinie 2001/83/EG für Humanarzneimit-        (633 t), die Antibiotika (496 t), die Antiepileptika
tel (EU 2001) und die Verordnung 2019/6 für          (204 t) und die Beta(ß)-Rezeptorenblocker (160 t)
Tierarzneimittel (EU 2019) geregelt. Rein natio-     (Bergmann et al. 2011). Neuere belastbare Zahlen
nale Zulassungen sind heute selten. Humanarz-        sind nicht verfügbar. Diese Zahlen suggerieren eine
neimittel werden meist in der ganzen EU zentral      Exaktheit, die nicht existiert. Deshalb werden heute
oder dezentral zugelassen. Die Zulassung gilt in     meist Schätzwerte verwendet. So geht das Umwelt-
der Regel unbefristet. Seit einer Änderung der       bundesamt (UBA) für das Jahr 2012 von einem Jah-
Richtlinien im Jahr 2004, die 2006 umgesetzt         resverbrauch an Humanarzneimitteln in Deutschland
wurde, ist eine Umweltprüfung vorgeschrieben,        von ca. 30.000 t aus, wobei mit ca. 2.300 Wirkstof-
allerdings nur für Präparate, deren Zulassung        fen in rund 31.000 Medikamenten gerechnet wird.
seitdem beantragt wurde. Vorher zugelassene          Etwa 1.100 der Wirkstoffe werden dabei per se als
Arzneien sind ohne Umweltprüfung auf dem             nicht umweltrelevant angesehen. Sie zählen zu den
Markt. Ca. 47 % der in Deutschland zugelasse-        Elektrolyten, Mineralien, Peptiden, Vitaminen, bei
nen Arzneimittel sind rezeptpflichtig; die übrigen   denen angesichts ihrer geringen Beständigkeit (Per-
sind apothekenpflichtig oder freiverkäuflich         sistenz) und Toxizität keine schädlichen Wirkungen
(ABDA 2019).                                         in der Umwelt zu erwarten sind. Eine Umweltbe-
                                                     wertung im Rahmen der Zulassung findet deshalb
                                                     nicht statt. Somit existieren laut UBA ca. 1.200
                                                     potentiell umweltrelevante Humanarzneimittelwirk-
                                                     stoffe mit einem Jahresverbrauch von ca. 8.100 t
                                                     (UBA 2014, 2018a).

                                                     Angesichts des zunehmenden Durchschnittsalters
                                                     der Bevölkerung wird mit einem steigenden Arznei-
                                                     mittelverbrauch gerechnet. So wird bis 2045 mit
                                                     einer weiteren Zunahme des Arzneimittelverbrauchs
                                                     um 43 % bis 69 % gerechnet, wobei insbesondere
                                                     ein weiterer Anstieg bei rezeptfreien Arzneimitteln

                                                                    BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt   9
erwartet wird (Civity Management Consultants            same Substanzen, beispielsweise zur Brunstsynchro-
2017).                                                  nisation bei Sauen (PAN 2015).

Da die Arzneimittelwirkstoffe zum großen Teil mit       Tierarzneimittel werden überwiegend im landwirt-
den menschlichen Ausscheidungen in das Abwasser         schaftlichen Bereich für die Behandlung von Nutz-
gelangen und meist in den Kläranlagen nur unvoll-       tieren wie Rindern, Schweinen, Hühnern, Puten,
ständig eliminiert werden, erfolgt ein steter Eintrag   Schafen, Ziegen und Pferden eingesetzt. Wie der
von Arzneimittelwirkstoffen in die Umwelt, wenn         Mensch scheiden auch Tiere die meisten Wirkstoffe
auch in relativ geringen Konzentrationen. Nach          unverändert oder in metabolisierter Form wieder aus.
Schätzungen der pharmazeutischen Industrie sind         Präparate für Heimtiere wie Hunde und Katzen wer-
die Hauptquellen für Humanarzneimittel im Ober-         den in geringerem Umfang eingesetzt und unter-
flächenwasser Patientenausscheidungen (88 %),           liegen deshalb in den meisten Fällen keiner Umwelt-
unsachgemäße Entsorgung über Toilette und Spüle         bewertung. Ausnahmen sind Antiparasitika, die bei
(10 %) und Herstellungsprozesse (2 %). Bezüglich        Heimtieren äußerlich gegen Flöhe, Zecken und Mil-
der unsachgemäßen Entsorgung geht das UBA               ben eingesetzt werden. Wirkstoffe wie Fipronil oder
davon aus, dass bis zu 47 % der Verbraucherinnen        Imidacloprid sind im ng/l-Bereich toxisch und kön-
und Verbraucher ihre Arzneimittelreste immer oder       nen im Kontakt mit Wasser Schäden hervorrufen.
gelegentlich unsachgemäß entsorgen (UBA 2018a).         Die EMA diskutiert aktuell, solche Medikamente
                                                        einer Umweltbewertung zu unterziehen (EMA 2020).

2.3 Tiermedizin                                         Reste von Tierarzneimitteln in tierischen Ausschei-
Als Tierarzneimittel sind in Deutschland etwa 430       dungen werden als Gülle oder Mist auf landwirt-
Wirkstoffe in 2.295 Präparaten zugelassen, von          schaftliche Flächen ausgebracht. Boden ist damit
denen 270 als potenziell umweltrelevant eingestuft      das wichtigste Zielkompartiment. Je nach Beschaf-
werden können, da sie nicht zu den von der Umwelt-      fenheit des Bodens können die Arzneimittelreste in
bewertung ausgeschlossenen Stoffen (s. o.) gehören.     das Grundwasser versickern oder durch Abschwem-
Ein Teil der zugelassenen Tierarzneimittelwirkstoffe    mung bei Starkregenereignissen in Oberflächenge-
ist ebenfalls als Humanarzneimittelwirkstoffe zuge-     wässer gelangen. Bei Weidetieren ist darüber hinaus
lassen, so dass bei Funden im Gewässer und im           der Einfluss von Antiparasitika auf die Dungfauna
Boden die Quelle nicht immer eindeutig zugeordnet       (Käfer und Fliegen) zu beachten, ohne die sich der
werden kann. Die wichtigste Wirkstoffgruppe in der      Kot nicht zersetzen kann.
Tiermedizin sind Antibiotika (siehe Abschnitt 2.4).
                                                        Speziell ist die Anwendung von Arzneimitteln in
Im Jahr 2019 betrug die an Tierärzte abgegebene         Aquakulturen, die häufig in direktem Kontakt mit
Antibiotikamenge 670 t (BVL 2020). Zu den anderen       Oberflächengewässern stehen. Durch Tauchbäder oder
Wirkstoffgruppen liegen keine verlässlichen Daten       Futter werden die Mittel appliziert. Futtermittelreste,
vor (TAB 2019). Weitere häufig in der Tiermedizin       Fischkot und gebrauchte Tauchbäder/-becken belas-
verwendete Arzneimittel sind Mittel gegen Parasiten     ten Teiche, Flüsse oder Küstengewässer (BUND 2013,
(Antiparasitika), zur Behandlung von Entzündungen       PAN 2018). Auch Bienen werden mit Arzneimitteln
(Antiphlogistika) und lokale Therapeutika für Haut,     gegen die Varroa-Milbe behandelt (LAVES 2019).
Euter und Augen sowie Mittel zur Behandlung von         In der Regel lässt sich dieser Schädling allerdings
Pilzinfektionen (Antimykotika) und hormonell wirk-      durch milde Methoden wirksam bekämpfen.

   10 BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt
2.4 Spezialfall Antibiotika-Resistenzen                Erreger (MRE) auf der Tagesordnung. Die EU-Kom-
Eines der vordinglichsten Probleme, das in der WHO,    mission (One Health Action Plan against AMR) und
der UN und auch bei Politikgipfeln wie G7 und G20      die Bundesregierung (Deutsche Antibiotika-Resis-
auf der Tagesordnung steht, ist die Zunahme des        tenzstrategie - DART 2020) haben Antibiotika-Resis-
Vorkommens multiresistenter Erreger (z. B. Methi-      tenz-Strategien verabschiedet (EK 2017, BMG et al.
cillin-resistenter Staphylococcus aureus - MRSA) und   2019). Allerdings befasst sich DART nicht mit der
die damit verbundene Gefahr, eine Vielzahl von         Rolle der Umwelt als Reservoir und Überträger von
Infektionskrankheiten nicht mehr wirksam behan-        Antibiotika-Resistenzen.
deln zu können. Tatsächlich rechnet das Robert
Koch-Institut (RKI) für Deutschland schon heute mit    Wegen der besonderen Resistenz-Problematik wer-
jährlich ca. 10.000–15.000 Todesfällen bei             den seit einigen Jahren separat die Abgabemengen
400.000–600.000 nosokomialen Infektionen (sog.         von Antibiotika erhoben, die im Jahr 2016 bei
Krankenhausinfektionen), die allerdings zurzeit nur    Humanarzneimitteln um 666 t/Jahr (UBA 2018b),
zum kleineren Teil von multiresistenten Bakterien      bei Tierarzneimitteln 670 t/Jahr betrugen (BVL
verursacht werden. Innerhalb der Europäischen Uni-     2020). In Deutschland hat sich die für die Tierme-
on (EU) wird mit ca. 90.000 Todesfällen pro Jahr       dizin abgegebene Menge an Antibiotika zwischen
nach nosokomialen Infektionen gerechnet (RKI           den Jahren 2011 und 2019 von 1.706 auf 670 Ton-
2019). Die häufigsten in Deutschland festgestellten    nen mehr als halbiert (minus 65 %). Gegenüber dem
Bakterien sind Escherichia coli, Staphylococcus        Jahr 2017 ging die Gesamtmenge der abgegebenen
aureus, Clostridium difficile, Enterococcus faecalis   Antibiotika allerdings lediglich um 40 Tonnen
und Enterococcus faecium (NRZ 2017).                   (5,5 %) zurück. Das ergab die Auswertung der seit
                                                       2011 erhobenen Abgabemengendaten für Antibio-
Antibiotika-resistente Bakterien werden nicht nur in   tika in der Tiermedizin durch das Bundesamt für
Gesundheitseinrichtungen und Tierställen sondern       Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL
auch in der Umwelt, insbesondere in Abwasser, Ober-    2015, 2019 und 2020).
flächengewässern, Badegewässern und Böden nach-
gewiesen. Diese Kontaminationen resultieren aus        Nachdem zwischenzeitlich die Abgabemenge der
direkten Einträgen resistenter Bakterien über Gülle,   Fluorchinolone in Tierarzneimitteln gestiegen war,
Abwasser, Mist, Klärschlamm usw. (UBA 2018b).          die als Grundlage für Reserve-Antibiotika in der
                                                       Humanmedizin eine bedeutsame Rolle spielen, sind
Mittlerweile ist insbesondere im Hinblick auf Anti-    nun alle Wirkstoffgruppen z. T. deutlich hinter den
biotika-Resistenzen der One Health-Ansatz der Welt-    Abgabemengen von 2011 zurückgefallen. Das BVL
gesundheitsorganisation (WHO) Konsens (WHO             vermutet, dass ein neu in die Tierärztliche Hausapo-
2015). Er besagt nicht nur, dass Human- und Tier-      thekenverordnung aufgenommenes Standardverfah-
medizin gemeinsam betrachtet, sondern auch, dass       ren bei der Abgabe dieser Stoffgruppe für den Rück-
aufgrund der weiter fortschreitenden Globalisierung    gang verantwortlich ist. Gegenüber dem ersten
Industrieländer, Schwellenländer und auch weniger      Erfassungsjahr 2011 haben die Abgaben des Poly-
entwickelte Länder gleichermaßen einbezogen wer-       peptids Colistin um ca. 42 % und die Menge der
den müssen (Heudorf 2016). Die WHO hat einen           Makrolide um rund 66 % abgenommen (TAB 2019).
Globalen Aktionsplan zur Bekämpfung der Antibio-       Während 2018 noch eine leichte Zunahme bei der
tika-Resistenzen vorgelegt. Auch auf den letzten       Abgabe von Makrolid- und Polypeptidantibiotika
G7- bzw. G20-Gipfeln standen die multiresistenten      registriert wurde, ist 2019 auch bei diesen beiden

                                                                     BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt   11
Wirkstoffklassen rückläufig. Beide sind Wirkstoff-
klassen, die von den von der WHO und der Weltor-
ganisation für Tiergesundheit (OIE) als besonders
bedeutend für die Therapie beim Menschen einge-
stuft wurden (BVL 2019, 2020). Die neue Tierarz-
neimittelverordnung 2019/6 der EU sieht in
Art. 37(3) vor, dass antimikrobielle Wirkstoffe als
Tierarzneimittel nicht mehr zugelassen werden,
wenn sie für die Behandlung bestimmter Infektionen
beim Menschen vorbehalten sind. Aktuell besteht
die Gefahr, dass diese Bestimmung durch die EU-
Kommission unterlaufen wird, die in einem Entwurf
für eine Durchführungsverordnung u. a. vorsieht,
dass einige Reserveantibiotika als essentiell für die
Tiergesundheit erklärt werden und weiterhin ver-
wendet werden können (Häusling 2020).

Früher waren antibiotisch wirksame Substanzen als
sog. antibiotische Leistungsförderer bei bestimmten
Tierarten zugelassen. Aufgrund einer möglichen
Übertragbarkeit von Resistenzen und der möglichen
Förderung der Entstehung von resistenten Bakterien
sind antibiotische Leistungsförderer seit dem
01.01.2006 EU-weit verboten, in den USA und Asien
jedoch nach wie vor erlaubt (LGL 2020, PAN 2015).

Als Futtermittelzusatzstoffe mit antibiotischer bzw.
antiparasitärer Wirkung sind noch Kokzidiostatika
gegen parasitäre Einzeller, die Magen-Darm-Erkran-
kungen verursachen, zugelassen. Futtermittelzusatz-
stoffe unterliegen nicht dem Arzneimittelrecht. Aller-
dings ist eine Umweltbewertung durch die
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit
(European Food Safety Authority – EFSA) vorgese-
hen (FEEDAP 2019).

   12 BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt
3. Wie relevant ist das Problem?
                                        Die Zeit zum Handeln ist längst reif

                                     3.1 Einträge in die Umwelt                              sorgung von Arzneimittelwirkstoffen sind zusätzlich
                                     Human- wie veterinärmedizinische Arzneimittelwirk-      zu berücksichtigen.
                                     stoffe werden – wenn überhaupt – in vielen Fällen
                                     nur unvollständig abgebaut. Unterschiede im Vor-        Demgemäß findet man in Boden, Abwasser, Ober-
                                     kommen der Human- und Tierarzneimittel sind vor         flächenwasser, Sedimente, Grundwasser, ja selbst in
                                     allem auf die unterschiedlichen Eintragspfade in die    Spuren auch in Trinkwasser Reste von Arzneimittel-
                                     Umwelt zurückzuführen. Arzneimittel für den Men-        wirkstoffen. Einen Überblick gibt der Bericht des
                                     schen gelangen über die Kanalisation und die Klär-      Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deut-
                                     werke in Oberflächengewässer. Über das weiterhin        schen Bundestag (TAB 2019).
                                     erlaubte Ausbringen von Klärschlamm werden land-
                                     wirtschaftlich genutzte Böden belastet. Auch die        3.2 Arzneimittel im Wasserrecht
                                     neue Klärschlamm-Verordnung erlaubt das Ausbrin-        Eine rechtliche Verpflichtung zur Minderung und
                                     gen auf oder in Böden bei weniger als 50.000 Ein-       Vermeidung von Mikroschadstoffen wie den Arznei-
                                     wohnerwerten (EW = Bewohnerzahl im Einzugsge-           mittelwirkstoffen könnte sich aus der Europäischen
                                     biet einer Kläranlage). Lediglich bei höheren EW wird   Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG (WRRL) (EU
                                     die Verwertung ab 2029 (bei mehr als 100.000 EWR)       2000) ergeben. Relevant sind Schadstoffe gemäß
                                     bzw. 2032 (bei mehr als 50.000 EW) untersagt            Punkt 4 Anhang VIII WRRL1, die die Flussgebiets-
                                     (BMUB 2017). Klärschlamm ist in der Abwasserrei-        behörden im Rahmen der Ermittlung Zustands-und
                                     nigung eine Schadstoffsenke für schwer abbaubare        damit Maßnahmen-relevanter Belastungen von
                                     Stoffe. Er enthält deshalb nicht nur wertvolle Nähr-    Oberflächengewässern gemäß Anhang II WRRL
                                     stoffe sondern auch ein unbekannt hohe Zahl von         berücksichtigen müssen. Die WRRL-Tochterrichtli-
                                     Schadstoffen. So weist eine UBA-Studie im Klär-         nien ergänzen diese Anforderungen: Gemäß Artikel
                                     schlamm 3 bis 21 mg/kg Trockensubstanz (TS)             6 der Richtlinie 2006/118/EG (EU 2006a) sind die
                                     Ciprofloxacin, 0,75 bis 8,9 mg/kg TS Levofloxacin,      Stoffe gemäß Punkt 4 Anhang VIII WRRL auch für
                                     0,054 bis 1,1 mg/kg TS Carbamazepin, 0,023 bis          den Grundwasserschutz zu beachten und ihre Ein-
                                     0,16 mg/kg TS Clarithromycin, 0,0056 bis 1,1            träge entsprechend zu verhindern bzw. zu begren-
                                     mg/kg TS 17-β-Östradiol, 0,074 bis 2,1 mg/kg TS         zen. Artikel 8b der Richtlinie 2013/39/EU (EU 2013)
                                     Diclofenac und 0,044 bis 1,1 mg/kg TS Metoprolol        gibt die Erstellung und regelmäßige Fortschreibung
                                     nach (UBA 2019b).                                       einer EU-weiten Beobachtungsliste für die Ermitt-
                                                                                             lung zusätzlicher prioritärer Stoffe vor (s. u.), wäh-
                                     Die meisten Tierarzneimittel erreichen mit Gülle und    rend Artikel 8 c spezifische Bestimmungen für phar-
                                     Mist aus der intensiven Tierproduktion landwirt-        mazeutische Stoffe enthält (v. a. strategischer Ansatz
                                     schaftliche Flächen unbehandelt, von wo aus sie ver-    mit Maßnahmen).
                                     sickern und in die Vorfluter ausgeschwemmt werden
                                     können. Wenn Pflanzen Mikroschadstoffe aufneh-          Auch mit der überarbeiteten Grundwasserrichtlinie
1 4. Stoffe und Zubereitungen oder   men, können sie auch in die Nahrungskette gelan-        2006/118/EG ist zumindest ein Verfahren zur Beob-
 deren Abbauprodukte, deren                                                                  achtung von Stoffe genannt, zu denen bisher wenige
                                     gen. In Bezug auf Antibiotika ist z. B. bei Getreide
 karzinogene oder mutagene
 Eigenschaften bzw. steroidogene,    nachgewiesen, dass eine Aufnahme über die Wurzeln       Daten vorliegen und für die ggf. EU-weite Quali-
 thyreoide, reproduktive oder                                                                tätsnormen oder flussgebietsspezifische Schwellen-
                                     erfolgt (Freitag et al. 2008). Arzneimittel, die in
 andere Funktionen des
 endokrinen Systems                  Aquakulturen Anwendung finden, gelangen direkt          werte abzuleiten sind. In Deutschland sollten die
 beeinträchtigenden                                                                          betreffenden WRRL-Bestimmungen in der nationa-
                                     in die Oberflächengewässer und in die Sedimente.
 Eigenschaften im oder durch das
 Wasser erwiesen sind                Weitere Eintragspfade wie die Produktion und Ent-       len Grundwasser- und Oberflächengewässerverord-

                                                                                                            BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt   13
nung (GwV bzw. OGewV) v. a. um flussgebietsspezi-       ähnlicher Größenordnung, sind aber Jahresmittel-
fische Stoffe präzisiert werden. Für mehrere Schad-     werte.
stoffe gibt es bereits sowohl auf europäischer als
auch auf nationaler Ebene geltende Umweltquali-         Auf EU-Ebene existiert eine zwischenzeitlich aktua-
tätsnormen (UQN). Bisher wurden allerdings für Arz-     lisierte Beobachtungsliste von Stoffen mit Relevanz
neimittelwirkstoffe weder EU-weit noch national         für Oberflächengewässer, die als Kandidaten für
UQN festgelegt. Das Umweltbundesamt hat aus ver-        prioritäre Stoffe gelten und deshalb in Monitoring-
schiedenen Quellen stammende Daten gesammelt            programme einbezogen werden sollen (EK 2020).
und UQN-Vorschläge abgeleitet (UBA 2018a, siehe         Hierunter finden sich auch die Arzneimittel-Wirk-
Tab.1).                                                 stoffe Metaflumizon, Venlafaxin (und sein Meta-
                                                        bolit O-Desmethylvenlafaxin), die Antibiotika Amo-
Die seit dem 01.04.2020 geltende Schweizer Gewäs-       xicillin, Ciprofloxacin, Sulfamethoxazol und
serschutzverordnung hat für oberirdische Gewässer       Trimethoprim sowie die Antimykotika Clotrimazol,
erstmals Grenzwerte für drei Arzneimittel festgelegt.   Fluconazol und Miconazol. Im Rahmen der EU-weit
Der erste Wert bezieht sich auf eine kurzzeitige        gemeinsamen Umsetzungsstrategie wurde entspre-
Messung; der zweite Wert soll eine längerdauernde       chend der aktuellen Grundwasserrichtlinie (EU
Belastung beurteilen und ist als Mittelwert über        2006a) zudem ein freiwilliges Watch-List-Verfahren
einen Zeitraum von zwei Wochen zu ermitteln:            für den Grundwasserschutz vorbereitet. Relevante
Azithromycin 0,18 µg/l bzw. 0,019 µg/l, Clarithro-      Stoffe, die häufiger in Deutschland und weiteren
mycin 0,19 bzw. 0,12 µg/l und Diclofenac 0,05 µg/l      teilnehmenden Mitgliedstaaten gefunden wurden,
langdauernd (Schweizer Bundesrat 2020). Die vom         sind Sulfamethoxazol, Erythromycin sowie Sulfon-
UBA vorgeschlagenen UQN bewegen sich in einer           amide in Gebieten mit intensiver Viehhaltung.

         Stoffname                                                        UQN [μg/l]

         17-α Ethinylöstradiol                                            0,000035

         17-β Östradiol                                                   0,0004

         Azithromycin                                                     0,09

         Bezafibrat                                                       2,3

         Carbamazepin                                                     0,5

         Clarithromycin                                                   0,13

         Diclofenac                                                       0,05

         Erythromycin                                                     0,2

         Ibuprofen                                                        0,01

         Metoprolol                                                       43

         Sulfamethoxazol                                                  0,6

Tab.1: Umweltqualitätsnorm (UQN): Vorschläge für einen Jahresmittelwert für einzelne Arzneimittel-
wirkstoffe (UBA 2018a)

   14 BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt
Bereits heute werden die vorgeschlagenen UQN an          Das Umweltbundesamt hat für mehr als 30 Arznei-
verschiedenen Messstellen insbesondere für die           mittelwirkstoffe und Metaboliten inzwischen
Schmerzmittel Diclofenac und Ibuprofen z. T. deut-       gesundheitliche Orientierungswerte (GOW) für Trink-
lich überschritten. Vereinzelte Überschreitungen         wasser abgeleitet (UBA 2019a). Bei diesen Stoffen
wurden auch für das Antiepileptikum Carbamazepin,        werden aufgrund meist noch unvollständiger toxi-
das Antibiotikum Clarithromycin, das natürliche Hor-     kologischer Daten Maximalkonzentrationen abge-
mon 17-β-Östradiol und dessen synthetisches Deri-        leitet, bei denen auf Dauer keine gesundheitliche
vat 17-α-Ethinylöstradiol festgestellt (LAWA 2016,       Belastung zu erwarten ist.
UBA 2018a).
                                                         3.3 Kritische Stoffeigenschaften der Arznei-
Für das Antibiotikum Sulfamethoxazol wurden im               mittelwirkstoffe
Ablauf kommunaler Kläranlagen Konzentrationen            Für die Umwelt sind langlebige (persistente) Stoffe,
im Bereich der vorgeschlagenen UQN gemessen. Bei         die nach ihrem Eintrag nicht mehr entfernt werden
Niedrigwasserabflüssen und hohem Abwasseranteil          und sich in Organismen anreichern oder weiträumig
in Gewässern sind daher Überschreitungen des UQN-        verbreiten können, ein zentrales Problem (BUND
Vorschlags möglich (LAWA 2016, UBA 2018a). Infol-        2019a). Verbindet sich die Persistenz mit Bioakku-
ge des Klimawandels sind häufiger lang andauernde        mulierbarkeit und (Öko-)Toxizität spricht man von
Trockenperioden zu erwarten, die wie in den Som-         PBT-Stoffen, die in der Chemikalienbewertung
mern 2018 und 2019 zu extremen Niedrigwasser-            inzwischen eine herausragende Stellung haben und
ständen auch in den großen Fließgewässern geführt        möglichst nicht mehr verwendet werden sollen.
haben. Überschreitungen der UQN werden dann ver-
mehrt zu beobachten sein.                                Auch Stoffe, die sehr persistent und sehr bioakku-
                                                         mulierend sind (vPvB-Stoffe), gelten als besonders
Nach Auffassung des UBA würde allerdings eine aus-       besorgniserregend. In Kombination mit hoher Mobi-
schließliche Fixierung auf UQN der Gesamtproble-         lität im Wasserkreislauf (PMT- und vPvM-Stoffe)
matik nicht gerecht, da neben dem Schutz der aqua-       sind persistente Stoffe ebenfalls als sehr problema-
tischen Ökosysteme und der Trinkwassergewinnung          tisch für die Umwelt anzusehen (UBA 2018c). Sehr
auch Meere, Sedimente und Böden generell vor einer       kritisch werden auch krebserzeugende, mutagene
weiteren Schadstoffbelastung zu schützen sind (UBA       und fruchtschädigende Stoffe (CMR-Stoffe) beur-
2018a).                                                  teilt. Dies gilt besonders für bestimmte Zytostatika.
                                                         Besonders relevant sind außerdem endokrin wirksa-
Auch in der Grundwasser–Verordnung (GwV) exis-           me Substanzen. Zahlreiche Hormone, insbesondere
tiert für Arzneimittel bislang kein Schwellenwert. Bei   Sexualhormone und Hormone für die Schilddrüse,
Untersuchungen in 15 Bundesländern im Jahr 2013          sind viel verwendete Arzneimittelwirkstoffe, die

mit Konzentrationen über 0,1 μg/l nachgewiesen
wurden 16 Arzneimittelwirkstoffe im Grundwasser          Organismen in der Umwelt wie Fische und Schne-
                                                         cken beeinflussen können.
(Bergmann et al. 2011, LAWA 2016). Diskutiert wird

von 0,1 μg/l für agrarische und nichtagrarische Pes-
eine Übernahme des allgemeinen Schwellenwerts            Auch wenn die o. g. Eigenschaft(skombination)en
                                                         nicht vorhanden sind, sind die meisten Arzneimit-
tizide auch für Arzneimittelwirkstoffe und deren         telwirkstoffe physiologisch hochaktive Substanzen,
Metaboliten, zumal sich für viele Stoffe keine Wirk-     die schädigend auf die Umwelt wirken können und
schwellen festlegen lassen.                              deren Eintrag deshalb minimiert werden muss. Dies

                                                                       BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt   15
gilt für Human- und Tierarzneimittel. Von letzteren      3.4 Umweltbewertung im Zulassungsverfahren
ist der prominenteste Umweltschaden durch Arznei-        Seit 2006 schreibt das EU-Recht vor, dass bei
mittel bekannt: In Indien und Pakistan trat ein Gei-     Human- und Tierarzneimitteln die Umweltwirkun-
ersterben auf. Die Geier hatten verendete Kühe           gen im Rahmen der Zulassung zu bewerten sind.
gefressen, die mit dem entzündungshemmenden              Dabei werden nur die Wirkstoffe bewertet, nicht die
Mittel Diclofenac behandelt wurden (Prakash et al        zahlreichen Formulierungshilfsstoffe. Die Bewertung
2012). Diclofenac wirkt auch schädlich auf Leber,        erfolgt zweistufig: Zunächst wird ermittelt, ob unter
Kiemen und Nieren von Fischen. Qiuguo Fu et al.          der Annahme, dass der Wirkstoff nicht im Körper
fanden heraus, dass dieser Wirkstoff in Flohkrebsen      verstoffwechselt und auch im weiteren Verlauf nicht
zum noch toxischeren Methylester biotransformiert        abgebaut wird, einen Schwellenwert überschreitet
wird (Fu et al. 2020). Weitere Beispiele für beobach-    (Phase 1). Für Humanarzneimittel beträgt dieser
tete schädigende Einflüsse auf die Umwelt sind Aus-      Schwellenwert z. B. 0,01 µg/l in Oberflächenwasser.
wirkungen auf Dunginsekten und Fische durch              Nur wenn die Exposition diesen Wert überschreitet,
Antiparasitika sowie Veränderungen der Zusammen-         sind weitere Untersuchungen zur Persistenz und
setzung von Mikroorganismen-Gemeinschaften in            Ökotoxizität erforderlich (Phase 2). Übersteigt die
Böden durch Antibiotika (Fornefeld und Smalla            erwartete Umweltkonzentration (PEC-Wert) die
2018). Richmond et al. zeigten in einer australischen    Wirkschwelle (PNEC-Wert), besteht ein Risiko und
Untersuchung, dass sich diverse Pharmawirkstoffe         sind Maßnahmen zur Minderung erforderlich. Liegen
in aquatischen Nahrungsnetzen anreichern, was zu         Hinweise vor, dass die Substanz sich in Lebewesen
hohen Konzentrationen in einigen Organismen füh-         anreichern kann (Bioakkumulation), ist eine PBT-
ren kann (Richmond et al. 2018).                         Bewertung erforderlich mit dem Ziel, PBT-Stoffe als
                                                         Wirkstoffe möglichst zu vermeiden. Für Antibiotika
Empfindliche Arten wirbelloser Tiergruppen (z. B.        und Hormone gilt der Schwellenwert nicht und ist
Eintagsfliegen, Steinfliegen, Köcherfliegen) in Fließ-   eine gesonderte Bewertung veranlasst (tailored risk
gewässern verschwinden schon bei äußerst niedrigen       assessment). Insbesondere werden weitergehende
Konzentrationen von Mikroschadstoffen. Viele Arz-        ökotoxikologische Untersuchungen gefordert (z. B.
neimittel zählen zu den Mikroschadstoffen, die           Blaualgentests bei Antibiotika oder ein Full-Lifecy-
durch eine weitergehende Abwasserreinigung redu-         cle-Test mit Fischen).
ziert werden können (siehe Abschnitt 4.5.3, Triebs-      Die Bewertung der Entwicklung von Resistenzen in
korn 2017). Eine Reduktion der Mikroschadstoffe in       Umweltmedien spielt bisher bei Antibiotika ebenso
Gewässern ist notwendig (BUND 2017, UBA 2018a).          wenig eine Rolle wie die Frage, ob der Schwellenwert
                                                         nicht auch bei anderen Wirkstoffgruppen wie Anti-
                                                         parasitika, Antimykotika, Zytostatika und Neuro-
                                                         pharmaka ungeeignet ist (EMA 2018). Auch für Tier-
                                                         arzneimittel existiert ein Leitfaden zur
                                                         Umweltbewertung (EMA 2006).

   16 BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt
Wirkstoffgruppen mit besonderer ökotoxikologischer Relevanz

Antibiotika werden zur Bekämpfung bakterieller Krankheitserreger verwendet. Deshalb reagieren Bakterien
und bakterielle Lebensgemeinschaften (Mikrobiome) besonders empfindlich. Tests mit Cyanobakterien
(Blaualgen) können geeignet sein, das ökotoxikologische Potenzial abzuschätzen (EMA 2018). Ein beson-
deres Risiko stellt die Verbreitung und Entstehung von Antibiotika-Resistenzen in der Umwelt dar, welches
deshalb zwingend in die Umweltrisikobewertung einzubeziehen ist.
Antimykotika wirken gegen Pilzerkrankungen. Das Antimykotikum Clotrimazol wirkt bereits bei 350 pg/l
algentoxisch (TAB 2019). Eine Anwendung der PEC-Schwellenwerte in Phase 1 der Umweltrisikobewertung
ist deshalb nicht möglich.
Antiparasitika wirken gegen Parasiten innerhalb und äußerlich bei Nutztieren. Meist sind die bekämpften
Parasiten Insekten, weshalb sie eine ausgeprägte insektizide Wirkung haben. Manche Wirkstoffe finden
auch als Biozide und im Pflanzenschutz als Insektizide Verwendung. Ein Beispiel für adverse Effekte in
der Umwelt ist die Wirkung von Ivermectin gegen Dunginsekten bei sehr niedrigen Konzentrationen
(Liebig et al 2010).
Hormone werden in der Human- und Tiermedizin z. B. zur Empfängnisverhütung verabreicht. Sie wirken
auf Wasserorganismen bereits bei extrem niedrigen Konzentrationen. So ruft 17-α-Ethinylestradiol (EE2)
bereits bei einer Konzentration von 0,1 ng/l Verweiblichungseffekte bei manchen Fischarten hervor
(Purdom et al. 1994). Im Laborversuch führten 0,2 ng/l EE2 zu 100 %igen Reproduktionsverlust bei einer
Karpfenart (Zha et al. 2008). Bei Schnecken tritt Imposex auf – die Entwicklung von Geschlechtsorganen,
die gegensätzlich zum eigentlichen Geschlecht sind (SRU 2007). Eine Beurteilung des ökotoxikologischen
Potenzials ist z. B. mit dem „Full Lifecycle-Test“ mit Fischen möglich. Auch von Gestagenen wird berichtet,
dass sie im Nanogramm-Bereich die Entwicklung von Amphibien beeinträchtigen (Säfholm 2014). Nicht
nur Sexualhormone sind von hoher ökotoxikologischer Relevanz sondern z. B. auch Schilddrüsenhormone,
die ebenfalls die Larvenentwicklung bei Amphibien beeinflussen. Bei der Bewertung von Hormonen ist
zu beachten, dass zahlreiche Chemikalien (ungewollt) hormonell schädliche Wirkungen haben. Sie sind
endokrine Disruptoren. Die Wirkungen von Chemikalien mit gewollter und ungewollter hormoneller Wir-
kung können sich in der Umwelt addieren oder sogar gegenseitig verstärken.
Zytostatika wie 5-Fluoruracil, Cyclophosphamid oder cis-Platin werden in der Krebstherapie als Chemo-
therapeutika eingesetzt. Viele Wirkstoffe haben eine gentoxische Wirkung. Für einige Zytostatika werden
niedrige Wirkkonzentrationen kleiner als 1 µg/l berichtet (Filipic et al. 2013) z. B. bei Tests, die das gen-
toxische Potenzial bei Fischen erfassen (z. B. Mikrokerntest).
Neuropharmaka werden – auch angesichts der Verbreitung neurodegenerativer Erkrankungen – zuneh-
mend verschrieben (UBA 2018d). Sie können z. B. die Reproduktion oder das Schwarmverhalten von
Fischen stören, was deren Überlebensfähigkeit massiv beeinträchtigt. Im Projekt NEUROBOX werden
aktuell Testverfahren entwickelt, die diese ökologischen Parameter erfassen (Kuckelkorn et al. 2020).

                                                                        BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt   17
Auch Röntgenkontrastmittel (jodhaltige organische       3.5 Kombinationswirkungen
Chemikalien) werden durch den Bewertungsansatz          Ein deutliches Defizit der Umweltbewertung im Rah-
der EMA nicht erfasst. Sie sind bestimmungsgemäß        men der Zulassung ist auch die Vernachlässigung
ungiftig, nicht bioakkumulierend und werden vom         von Kombinationseffekten. Humanarzneimittel errei-
Körper sehr rasch wieder ausgeschieden. Sie sind        chen die Kläranlagen und anschließend die Vorfluter
allerdings extrem persistent und hochmobil. Weder       als Stoffgemisch zahlreicher Wirkstoffe, deren Wir-
durch Kläranlagen noch durch Uferfiltration werden      kung sich addieren, potenzieren oder vermindern
sie wirksam zurückgehalten. Sie sind daher ein Para-    kann. Selbst bei Kombinationspräparaten mit meh-
debeispiel für vPvM-Stoffe (very persistent, very       reren Wirkstoffen ignorieren die Leitfäden der EMA
mobile), die aus Sicht des Umweltbundesamtes als        ein Zusammenwirken. Das Risiko wird tendenziell
besonders besorgniserregende Stoffe gemäß EU-           unterschätzt. Auch im Forschungsprogramm Phar-
Chemikalienverordnung REACH zu betrachten sind          mas, bei dem Abläufe von Kläranlagen mit mehreren
(UBA 2018c). Was für Röntgenkontrastmittel gilt,        Arzneimittelwirkstoffen untersucht wurden, konnte
trifft ebenso für Kontrastmittel in der Kernspinreso-   gezeigt werden, dass sich die Wirkungen addieren
nanz (MRT) zu. Gadoliniumchelate sind ebenfalls         (TAB 2019). In der EU gibt es etliche wissenschaftlich
sehr persistent und mobil. Die so genannte Gadoli-      fundierte Ansätze, additive Wirkungen von Stoffen
nium-Anomalie im Abfluss von Kläranlagen gilt           zu berücksichtigen (Altenburger et al. 2018, Korten-
inzwischen als Indikator für den Abwassereinfluss       kamp et al. 2009). Diese sollten angewandt werden.
von Oberflächen- und Grundwasser (Bayer. LfU
2020).                                                  3.6 Spezialfall Antibiotika-Resistenzen
                                                        Jüngere Untersuchungen haben gezeigt, dass Über-
Letztlich ignoriert der Leitfaden der EMA (EMA          gänge von resistenten Bakterien von Tieren auf den
2018) auch, dass Nanomaterialien in der Medizin an      Menschen offenkundig sind. So korrelieren Funde
Bedeutung gewinnen sowohl als Wirkstoffe als auch       von MRSA bzw. ESBL bei Mitarbeitern von landwirt-
als Carriers und Drug delivery systems. Die Risiken     schaftlichen Betrieben mit MRSA- bzw. ESBL-posi-
von Nanomaterialien für Mensch und Umwelt sind          tiven Funden bei den Tieren. Bemerkenswert scheint,
noch nicht ausreichend geklärt. Nicht nur die che-      dass diese Korrelation insbesondere Schweinemast-
mische Zusammensetzung sondern auch Größe,              betriebe betraf, während die untersuchten Rinder-
Form, Ladung etc. der Nanopartikel beeinflussen das     und Geflügelbetriebe sogar MRSA-frei bzw. nur
Wirkpotenzial. Für die Bewertung von Nanomate-          gering mit ESBL belastet waren (Dittmann et al.
rialien sind daher weitergehende Informationen zur      2016). Neuere Untersuchungen von Greenpeace
physikalisch-chemischen Charakterisierung erforder-     zeigten, dass von 15 untersuchten Schweinegülle-
lich, um sowohl ihr Verhalten im Organismus als         Proben neun ESL-bildende Erreger und elf Colistin-
auch in der Umwelt beurteilen zu können (Stein-         resistente Keime enthielten (Greenpeace 2020).
häuser und Sayre 2017).                                 Aktuelle Untersuchungen des Julius Kühn-Instituts
                                                        (JKI) weisen nach, dass frische und zwar insbeson-
                                                        dere fertig geschnittene und für den Verkauf in Folie
                                                        verpackte Salate häufig nicht nur mit hygienisch
                                                        problematischen, sondern auch mit antibiotikaresis-

   18 BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt
tenten Bakterien belastet sind, was auf die Düngung      ka-Resistenzen durch horizontalen Gentransfer zwi-
mit Gülle zurückzuführen ist (BfR und JKI 2018).         schen unterschiedlichen Bakterien ausgetauscht wer-
Da die unmittelbare Beaufschlagung von Nahrungs-         den.
pflanzen mit Gülle verboten ist, weist dieser Befund
auf eine Aufnahme der Keime über die Wurzeln hin.        Ein Überblick über Antibiotika und Antibiotika-
                                                         Resistenzen in der Umwelt findet sich bei Schröder
Die Eintragspfade antibiotikaresistenter Bakterien       et al. (2020).
aus Human- und Tiermedizin entsprechen denen
der Antibiotika. Ein sehr wichtiger zusätzlicher Ein-    Ein besonderer Fall wurde 2018 bekannt: Vielen Fut-
tragspfad für resistente Keime aus der Tierhaltung       termitteln wurde ein Zusatzstoff mit lebensfähigen
in die Umwelt ist die Abluft aus Tierstallungen, die     Bakterien zugefügt, die Riboflavin (Vitamin B2) pro-
weiträumig über die Umgebung verstreut wird (von         duzieren. Diese Bakterien waren mit vier Resistenzen
Salvati et al. 2015, Gärtner et al. 2016). Auch bei      gegen Antibiotika ausgestattet. Drei davon wurden
der Verteilung von Gülle und Mist auf den Feldern        mit Hilfe von Gentechnik in das Erbgut der Bakterien
können resistente Keime über die Atemwege aufge-         eingeschleust. Nach Einschätzung der Europäischen
nommen werden (Kabelitz et al 2020). Über den            Lebensmittelbehörde EFSA geht von Futtermitteln
Abwasserpfad werden insbesondere Oberflächenge-          mit diesem Zusatzstoff ein Risiko für Verbraucher,
wässer verunreinigt. Klärschlamm, Gülle und Mist         Anwender und die Umwelt aus (FEEDAP 2018). Die
kontaminieren potenziell Böden und nachfolgend           betroffenen Futtermittel – die bereits seit 2014 auf
Grund- und Trinkwasser. Die Antibiotika-Gehalte in       dem Markt waren - mussten bis Mitte 2019 vom
Gülle und Mist hängen stark davon ab, wie die Nutz-      Markt genommen werden. Ob es weitere ähnlich
tiere gehalten werden (Fromm 2013). In ökologi-          gelagerte Fälle gibt, ist nicht bekannt.
schen Tierhaltungen ist die Antibiotika-Gabe streng
limitiert. Eine Zunahme der Antibiotikaresistenz in      Auch über gentechnisch veränderte Organismen
den Böden durch den Eintrag von Antibiotika wird         (GVO) können Antibiotikaresistenzgene in die
diskutiert, ist jedoch noch nicht abschließend geklärt   Umwelt gelangen. Resistenzgene werden in der Gen-
(Adler 2014). Antibiotika-Resistenzen können auch        technik vielfach als Markergene eingesetzt, um die
in der Umwelt erst entstehen: Bei einigen Antibiotika    GVO einfach selektieren zu können, So wurde in chi-
reichen bereits sehr geringe Konzentrationen - wie       nesischen Flüssen das synthetische Ampicillin-Resis-
sie in der Umwelt vorkommen - aus, um einen Selek-       tenzgen (β-lactam, blá) aus gentechnisch veränder-
tionsdruck auszuüben und zur Verbreitung von             ten Bakterien nachgewiesen (Chen et al. 2012).
Resistenzen beizutragen (Gullberg et al. 2011, Keen
und Montforts 2012). Außerdem ist nachgewiesen,
dass durch sog. Ko-Selektion bei gleichzeitiger
Anwesenheit von Bioziden, Pestiziden wie Glyphosat
oder Schwermetallen wie Kupfer und Zink Antibio-
tika-Resistenzen in der Umwelt entstehen können
(van Bruggen et al. 2018, Westphal-Settele et al.
2018). Schließlich können in der Umwelt Antibioti-

                                                                       BUNDposition Arzneimittel in der Umwelt   19
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