Das ist das KULTURMAGAZIN der Festivals, Museen und Schlösser der Metropolregion Rhein-Neckar. In der Ausgabe 01/21 geht es unter anderem um das ...
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Das ist das KULTURMAGAZIN der Festivals, Museen und Schlösser der Metropolregion Rhein-Neckar. In der Ausgabe 01/21 geht es unter anderem um das Lutherjahr in Worms, bei dem die Ausstellung „Hier stehe ich. Ge- wissen und Protest“ zu sehen sein wird …
Inhalt ENTDECKUNGEN 22 32 Das Fernweh der Fürsten Eine Sternstunde der Zivilcourage Faszination & Fantasie – die Schlösser und G ärten Lutherjahr I – das Museum der Stadt Worms im Baden-Württemberg widmen ihr Themenjahr der Andreasstift beschäftigt sich in einer Ausstellung barocken Exotik mit „Gewissen und Protest“ 34 „Alles Lüge!“ Ein Brief zum Besuch der Medicus-Ausstellung 06 im Historischen Museum der Pfalz unter Pande- mie-Bedingungen sorgt für Wirbel Kulturregion Tipps und Meldungen rund um die Kulturregion AUSBLICKE AUFFÜHRUNGEN 35 Die Festspiele gehen weiter … 14 Martin Luther steht 2021 im Zentrum der Good Day, Litauen! Nibelungen-Festspiele, die ihren Besucher*innen in den vergangenen Jahren viele unvergessliche Mo- Die lebendige und innovative Theaterszene bdes mente beschert haben. Ein Blick zurück in Bildern. Gastlands Litauen stellt sich beim diesjährigen Heidelberger Stückemarkt vor 24 „Es gibt nichts Wichtigeres als Netz- werke“ Stabwechsel – Thomas Metz, bis Ende 2020 L eiter der GDKE Rheinland-Pfalz, übergibt an Dr. Heike Otto. Ein Interview AUSSTELLUNGEN 16 26 Es wird Frühling! Eiszeit in Mannheim Bei der 25. Jubiläumsausgabe müssen die Macher* Mammuts und Höhlenlöwen – die Reiss-Engel- innen des Heidelberger Frühlings ganz neu ins horn-Museen laden zur Expedition in die Eiszeit KALENDER & TERMINE Offene denken 28 36 17 Luxus für alle Auf einen Blick Geschichtsort für die Gegenwart Jugendstil und Art déco – das Kurpfälzische Festivals & Ausstellungen in der Kulturregion Hambacher Schloss – der Historiker Eckart Conze Museum präsentiert „Schimmernde Schönheiten“ Rhein-Neckar von März bis August 2021 ist der erste Gast der neuen Reihe „Hambacher Nachlese“ 30 38 18 Alles Illusion? Immer gut informiert! Unbeirrt weitermachen Kopfsalat – das TECHNOSEUM zeigt eine ver- Abonnieren Sie kostenlos das Kulturmagazin blüffende Schau mit optischen Phänomenen Heike Hoffmann, künstlerische Leiterin der und fordern Sie weitere Infos von den Festivals Schwetzinger SWR Festspiele, über das Festival- sowie den Museen und Schlössern an! machen in Zeiten der Pandemie 20 Auf nach LUtopia! Unsere Stadt soll schöner werden – Ludwigshafen wagt ein spielerisches Experiment 2
Editorial Impressum Martin, Nelson & Sophie … Herausgeber Metropolregion Rhein-Neckar GmbH Kulturbüro M 1, 4–5, 68161 Mannheim Postfach 10 21 51, 68021 Mannheim Tel.: 0621 10708-418, Fax: 0621 10708-400 E-Mail: kulturbuero@m-r-n.com www.m-r-n.com/kultur www.kultur-rhein-neckar.de Konzeption und Herstellung … unsere Titelheldinnen und -helden sind in die Geschichte eingegangen. So verschieden (und Raum Mannheim – Büro für visuelle Kommunikation, Augustaanlage 37, 68165 Mannheim, Tel.: 0621 1504187 zum Teil streitbar) sie auch waren, so haben M artin www.raum-mannheim.com Projektleitung Alena Butscher (MRN) Daniel Grieshaber (Raum Mannheim) Redaktion Luther, Nelson Mandela oder Sophie Scholl doch Daniel Grieshaber, Astrid Möslinger, Cathrin Siegler alle drei gemeinsam, dass sie mutig und bestimmt ihre Ideale und Meinungen vertraten. Das Muse- Mitarbeiter dieser Ausgabe Ulrich Rüdenauer Art-Direktion Frank Hoffmann um der Stadt Worms widmet ihnen und weiteren Schlusslektorat Dr. Anja Steinhauer Druck Berühmtheiten, die die Gesellschaft aufrüttelten, Vogel Druck und Medienservice GmbH, Höchberg eine Ausstellung im Sommer. Anlass ist das Luther- jahr zum 500. Jahrestag des Wormser Reichstags, Titelbild Landesausstellung „Hier stehe ich. Gewissen und Protest – 1521 bis 2021“, Museum der bei dem sich Luther weigerte, seine Thesen zur Re- Stadt Worms im Andreasstift, Abbildung: Eichfelder Artworks; KVG Worms Auflage und Erscheinungsweise 120.000 Exemplare Drei Ausgaben pro Jahr formation der Kirche zu widerrufen. Weniger be- Erscheinungstermin nächste Ausgabe 28. Mai 2021 kannt sind die Namen der Kulturgesichter0621 – Alle Rechte vorbehalten. Reproduktion nur mit ausdrücklicher Genehmigung des mutig sind aber auch diese Menschen aus der Herausgebers und der Redaktion. Veranstaltungsbranche, die ihr Gesicht zeigen, um auf die verzweifelte Lage vieler Kulturschaffen- der in Corona-Zeiten aufmerksam zu machen. Ge- nerell können mit dem Stichwort „Mut“ viele Aktivi- täten überschrieben werden, über die wir in dieser Ausgabe berichten. In den Kulturinstitutionen der Region, den Theatern, Museen und bei den Festi- vals, wird nicht klein beigegeben, die hoffnungs- volle Planung analoger Termine läuft parallel zur Entwicklung digitaler Alternativen. Die Kultur region Rhein-Neckar erblüht auch in diesem Früh- ling – vielfältig und einfallsreich. Überzeugen Sie sich selbst und seien auch Sie mutig, wenn es dar- um geht, neue Formate auszuprobieren! Ihr KULTURMAGAZIN-Team 3 Kulturmagazin 01/21
Immer eine Reise wert! Die Schlösser in Heidelberg, Schwetzingen und Mannheim, der Dom zu Speyer und zu Worms, das UNESCO-Weltkulturerbe Kloster Lorsch, romantische Burgen an der Berg straße, im Neckartal und im P fälzerwald, idyllische Weinorte in der Vorderpfalz und Wormser Streuobstwiesen im Odenwald – die Region Dom Rhein-Neckar hat neben ihren vielfältigen Kulturangeboten noch viel mehr zu b ieten. Machen Sie sich auf Entdeckungsreise! Kloster Worms Lorsch Altes Rathaus Michelstadt Pfalzbau Nationaltheater Mannheim Ludwigshafen M annheim Schloss Heidelberg Bad D ürkheim Hambacher H eidelberg Schloss Schwet zingen N eustadt Speyer Schloss Schwetzingen Dom zu Speyer Reichsburg Schloss Trifels Villa Ludwigshöhe Landau Deutsches Weintor 4
Bildnachweise Titelbild: siehe Impressum; S. 02: Modestas Endriuska (Stückemarkt); Günther Bayerl (Schlösser und Gärten Die Metropolregion Rhein-Neckar ver- Baden-Württemberg); TECHNO bindet die Großräume Frankfurt und SEUM, Klaus Luginsland; David Baltzre (Nibelungen); S. 04–05: Rhea Stuttgart und erstreckt sich über die Häni (Illustrationen); S. 06–07: Ta- Bundesländer Baden-Württemberg, pisserie, Neu-Indien-Serie, nach 1773, Schloss Mannheim, Staatliche Rheinland-Pfalz und Hessen. Schlösser und Gärten Baden-Würt- temberg, Foto: Arnim Weischer; S. 08: Kulturgesichter0621; S. 09: Kunstverein Ludwigshafen; S. 10: Thommy Mardo; S. 11: Andreas Lang- feld, „ Samstagnacht/Hofgar ten/ Düsseldorf “, April 2020; S. 12: © SchUM-Städte e.V.; S. 13: Carolin Breckle (Wieczorek); Maria Schu- mann (Rosendahl); S. 14–15: Mo- destas Endriuska (Have a Good Day); Dainius Putinas (Regenland); S. 16: Nikolaj Lund (Schmidt); S. 17: picture alliance/Uwe Zucchi (Conze), Ham- bacher Schloss (Buchna); S. 18–19: El- mar Witt (Hoffmann/Belcea-Quar- tett); Reiner Pfisterer (Akamus); S. 20: Stadt Ludwigshafen; S. 22–23: Günther Bayerl (Moschee); Tapisserie, Neu-Indien-Serie, nach 1773, Schloss Mannheim, Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Foto: Arnim Weischer; S. 24–25: © GDKE, Stefan Engel (Trifels); Radek Brun- Schloss ecky (Ausstellung); © GDKE Rhein- land-Pfalz/Pfeuffer (Metz); Oliver Erbach Dietze (Otto); S. 26–27: Marc Stein- metz (Höhlenlöwe), Wilfried Rosen dahl (Schädel), Tobias Schwerdt (Wildpferd), Rebecca Kind (Auf bau Neckar-Odenwald-Limes Mammut); S. 28–29: ; Deutsches Mes- singmuseum für angewandte Kunst, Krefeld, Foto: Knud Gattner; Passige Burg Messingschale, KMH GM 790 (Leih- Schwalbennest gabe); © KMH, Foto: Renate J. De- ckers-Matzko; Teekanne mit Stöv chen, WMF Geislingen, um 1903, M osbach Deutsches Messing Museum für an- gewandte Kunst, Inv. Nr. 20-70-71 © Deutsches Messingmuseum für ange- wandte Kunst, Krefeld; Samowar, Pa- ris 1810-1820,Kurpfälzisches Muse- um Heidelberg, Inv. Nr. GM 17, Foto: Knud Gattner; Steffen Diemer (Teb- be); S. 30–31: TECHNOSEUM; Rhea Häni/Raum Mannheim (Illustratio- nen Bastelanleitung); S. 32–33: Eich- felder Artworks (Ausstellung); KVG Worms; S. 34: Historisches Museum der Pfalz Speyer (Brief); © Histori- sches Museum der Pfalz Speyer/Foto: Carolin Breckle (Ausstellung); S. 35: David Baltzer; S. 37: Amin Akthar Bereits seit 2007 kooperieren die Festivals der Metropolregion Rhein-Neckar. Im (Dimensions); „Auf der A2 zwischen Jahr 2013 folgte das Netzwerk der Museen & Schlösser. Die Akteure im Überblick. Magdeburg und Berlin, Branden- burg, Deutschland, Mai 2009“, © Jörg Brüggemann/OSTKREUZ; „Charles de Gaulle überquert am 7. April 1945 DAS NETZWERK DER MUSEEN UND SCHLÖSSER – Generaldirektion Kulturelles den Rhein bei Speyer“, zeitgenössische Postkarte, Bildnachweis: Archiv His- Erbe Rheinland-Pfalz / Historisches Museum der Pfalz / Kunsthalle Mannheim / torisches Museum der Pfalz Speyer Kurpfälzisches Museum Heidelberg / MARCHIVUM / Museen Worms / Pfalzmuseum für Naturkunde / Reiss-Engelhorn-Museen / Staatliche Schlösser & Gärten Baden- Württemberg / Staatliche Schlösser & G ärten Hessen / Stiftung Hamb acher Schloss / TECHNOSEUM / W ilhelm-Hack-Museum DAS NETZWERK DER FESTIVALS – Biennale für aktuelle Fotografie / Deutsche Staats- philharmonie Rheinland-Pfalz / Enjoy Jazz / Festival des deutschen Films Ludwigshafen am Rhein / Festspiele Ludwigshafen / Geist Heidelberg / H eidelberger Frühling / Heidel berger Literaturtage / Heidelberger Schlossfestspiele / Heidelberger Stückemarkt / Internationale Schillertage / Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg / Inter- nationales Straßentheaterfestival Ludwigshafen / Ludwigshafener Kultursommer / Mannheimer Sommer / Metropolink Festival / Nibelungen-Festspiele / Schwetzinger SWR Festspiele / Wunder der Prärie 5 Kulturmagazin 01/21
Alles so schön bunt hier Ein Papagei aus Mittelamerika, ein Kasuar aus Neugui- nea, dazu verschiedenste andere Vögel, Reptilien, Fische, Schalentiere und Pflanzen: der Schöpfer dieser Tapisserie aus dem 18. Jahrhundert hat – unbekümmert von geogra- fischer, zoologischer oder botanischer Exaktheit – ein vogel- wildes Panorama entworfen. Im Jahr 1803 erwarb Markgraf Carl-Friedrich von Baden den Wandteppich für das Mann- heimer Schloss, der dort zusammen mit weiteren Tapisse- rien zu bestaunen ist – und der auf die beiden Seiten der Exotik, wie sie gerade im Barock in Europa in Mode war, verweist: einerseits die Faszination für das Fremde, ande- rerseits der Wunsch, sich all das anzueignen, der zu Aus- beutung, Unterdrückung und Zerstörung führte. Genau mit dieser Doppelbödigkeit befasst sich das Themenjahr „Exo- tik. Faszination und Fantasie“ der Schlösser und Gärten Ba- den-Württemberg. Es zeigt die Sehnsucht der Barockfürsten nach fernen Ländern, die Schattenseiten des Verlangens nach Exotik und die Wege von Gewürzen, Kunsthandwerk und Pflanzen nach Europa – bis in die höfischen Samm- lungen der badischen und württembergischen Regenten. Themenjahr „Exotik. Faszination und Fantasie“, www.schloesser-und-gaerten.de 6
Ohne uns ist Stille! Kulturgesichter0621. Anna, Lichttechnikerin. Blossi, Videotechniker. Sonay, Produktionsleiterin. So lapidar stellen sich die drei Initiator*innen der Initiative „Kulturgesichter0621“ auf der Website vor – und bringen damit das Wesentliche auf den Punkt: Wegen ihres Berufs sind sie ganz besonders von der Corona-Krise betroffen. Denn zum einen stehen in der Veranstaltungsbranche fast alle Räder still, zum anderen gibt es in diesem Bereich viel prekäre Beschäftigung und wenig wirtschaftliche Absicherung. Mehr als 300 Kolleg*innen aus der Kulturregion Rhein-Neckar, die häufig im Schatten der Scheinwerferlichter arbeiten, haben die Initiator*innen gewonnen. Sie alle haben sich für die Initiative ablichten lassen und wollen so auf ihre kritische Lage aufmerksam machen. www.kulturgesichter0621.de, #ohneunsiststille Bernd-Mand-Preis Ein Preis für Kulturjournalismus ehrt das Andenken an Bernd Mand. 2019 verstarb der Theaterkritiker, Juror und Kurator im Alter von nur 41 Jahren. Schmerzlich vermisst wird er seither nicht nur als Leiter des Theaterhauses in G7, das er zusam- men mit Inka Neubert zu einem der wichtigsten Häuser der freien Szene machte. Sein Andenken wahrt künftig ein Preis, der in diesem Jahr erstmals von der ASSITEJ, dem Netzwerk der Kinder- und Jugendtheater in Deutschland, vergeben wurde. Dieser soll Kulturjournalist*innen würdigen, die „für eine öffentliche Wahrnehmung und fachliche Reflexion der Darstellenden Künste für junges Publikum sorgen und dies mit Qualität, Kompetenz und Respekt für Publikum und Macher*- innen vertreten“. Erste Preisträgerin ist Eva-Maria Magel, Kulturredakteurin der Rhein-Main-Zeitung. 8
Kulturregion „Wir sind Bei Anruf ein Teil Poesie dieser Stadt“ Welttag der Poesie. Haiku oder Sonett, lang oder kurz, gereimt oder nicht. Am Welt- Nach 25 Jahren als Direk- tag der Poesie, der auch in torin des Kunstvereins Lud- der Rhein-Neckar-Region wigshafen verabschiedet gefeiert wird, steht Lyrik in sich Barbara Auer in den all ihren Facetten im Mittel Ruhestand. Ein Gespräch. punkt. Und auch wenn coro- nabedingt ins Netz ausge Barbara, was hat sich in den letzten 25 Jahren verändert in der Wahr wichen werden muss, bleibt nehmung von Kunst? die persönliche Note nicht Sehr viel. Als ich 1996 hier angefangen habe, waren die Kunstvereine in Deutschland auf der Strecke. „Bei Anruf: aus der Krise, die sie in den 1980-er Jahren hatten. Anfang der 90er-Jahre setzte Poesie!“ heißt die Aktion, bei dann der große Aufschwung ein. Nicht nur der Kunstmarkt boomte, sondern auch der ein Gedicht frei Haus ge- das Interesse an zeitgenössischer Kunst. Insofern hatte ich Glück, dass meine Arbeit von Anfang an auf viel Wertschätzung und Beachtung stieß. Die deutschen Kunst- liefert wird: Ab Anfang März vereine genießen übrigens auch im Ausland großes Ansehen. Mehr als 300 Kunstver- können sich Interessierte eine deutschlandweit – ein so dichtes Netz an Orten für zeitgenössische Kunst gibt auf metropolpoesie.de dazu es wohl sonst nirgendwo auf der Welt. anmelden. Am Welttag der Poesie klingelt dann zwischen Und der Kunstverein Ludwigshafen, wie hat sich der verändert? 15 und 18 Uhr das Telefon Bevor ich kam, war der Verein ehrenamtlich geführt, ich war die erste hauptamtliche und eine Lyrikerin oder ein Leiterin. Gleichzeitig war mir von Anfang an klar, dass der Kunstverein einen eigenen Ort braucht, an dem nur er zuhause ist. Ich habe mich zunächst etwas unbeliebt Lyriker aus der Region trägt ge-macht, als ich einen Bastelmarkt und eine Künstlervereinigung vor die Tür gesetzt ein Gedicht vor. Auf der habe. Unser Ziel war es aber, dem Kunstverein Ludwigshafen ein eigenständiges Welttag-Website sind wei- Profil in der Region zu geben und ihn auf Augenhöhe mit den Kunstvereinen in Mann- tere Veranstaltungen und heim und Heidelberg zu etablieren. In Rheinland-Pfalz waren wir zudem ein Vorzeige- Aktionen von Literatur-Ak- modell und sind bis heute der einzige Kunstverein im Bundesland, der hauptamtlich teuren und Kommunen aus geführt wird. dem Netzwerk Literatur der Muss man einen Kunstverein in Ludwigshafen anders führen als in Mannheim Region zu finden. oder Heidelberg? Ja, ganz sicher. Mir war immer wichtig, dass wir als Kunstverein ein Teil dieser Stadt UNESCO-Welttag der sind, in der es viel weniger bildungsbürgerliches und akademisches Publikum gibt Poesie, 21.03.2021, als in Mannheim oder gar in Heidelberg. Das war auch einer der Gründe, warum wir www.metropolpoesie.de einen Schwerpunkt auf die Fotografie gesetzt haben. Zur Fotografie finden auch Menschen, die sich zunächst nicht für Kunst interessieren, leichter einen Zugang als zu anderen zeitgenössischen Genres. Hat das funktioniert? Let’s talk! Die Kunst, mit- Ja, auch wenn das nicht so einfach war, wie ich mir das vorstellte. Eine wichtige Rolle einander zu sprechen – darum hat in diesem Zusammenhang auch unsere Kinder- und Jugendkunstschule „unARTig“ geht es bei Building Conversa gespielt. Durch sie haben wir nochmal ein ganz anderes Publikum angesprochen. tion, der Online-Reihe von Wir arbeiten inzwischen regelmäßig mit fünf Kitas zusammen, die hier jede Woche Matchbox, dem wandernden vorbeikommen, und haben mittwochs noch einen offenen Jugendtreff. Das führt Kunst- und Kulturprojekt. Ein- dazu, dass Kinder mit ganz unterschiedlichem Background zu uns kommen. Wenn mal im Monat können Teilneh- ein Kind seine Mama oder seinen Papa, die es abholen kommen, dann an die Hand mende in unterschiedlichen nimmt und ihr oder ihm die Ausstellung zeigt, ist das immer ein Highlight für uns. Gesprächstypen den inter- nationalen Künstler*innen Apropos, was waren deine Highlights in den 25 Jahren? das Format kennenlernen: die Ich habe mehr als 100 Ausstellungen kuratiert, einzelne Highlights kann ich wirklich nicht rauspicken. Nur so viel: Es gab Ausstellungen, bei denen man beim Abbau Region bleibt im Gespräch gedacht hat, dass es jetzt gut ist. Und dann gab es solche, bei denen man gesagt miteinander. hat: „Das tut mir jetzt echt in der Seele weh, dass wir sie wieder abbauen müssen.“ Building Conversation, Ehrlich gesagt waren die Letzteren deutlich mehr. :) 25.03. & 29.04.2021, jeweils 19 Uhr, Anmeldung: www. www.kunstverein-ludwigshafen.de matchbox-rhein-neckar.de 9 Kulturmagazin 01/21
Out of Ladenburg ihrer Ausbildung beim Suhrkamp Verlag pendelte sie LOCAL HEROES – TEIL 4 mit dem Zug zwischen Ladenburg und Frankfurt, eine ideale Schreib- und Lesezeit, „weil das aus dem Alltag Serie: Macher*innen der Kulturregion herausfiel. Das war nicht zu Hause, nicht Büro und Carolin Callies. Das Großartige an der Literatur: Sie dadurch wiederum sehr wertvoll. Insofern ist das Un- kann an jedem Ort entstehen, in den großen Städten terwegssein innerhalb der Region immer ein wichtiges ebenso wie in den abgelegensten Weltgegenden. Alles Momentum.“ Weitere berufliche Stationen: das Litera- kann faszinierend sein, überall ist es interessant. In turhaus in Frankfurt und die Uni Mannheim, wo sie Ger- Ladenburg zum Beispiel! Carolin Callies, 1980 in Mann- manistik studierte. Und natürlich der Frankfurter Schöff- heim geboren, lebt dort seit mehr als 30 Jahren. Als ling Verlag, bei dem Callies Lesungen organisierte. Jugendliche stand sie neugierig vor dem Lyrikregal der Damals veröffentlichte sie bereits in Zeitschriften, nahm Stadtbücherei. Heute sind ihre eigenen Gedichtbände an Wettbewerben teil, was dem V erleger nicht verbor- dort zu finden. Zwei hat sie inzwischen veröffentlicht: gen blieb. „Klaus Schöffling schrieb mir einen Brief aus „fünf sinne & nur ein besteckkasten“ (2015) sowie „scha- dem Sommerurlaub – die Gedichte seien so toll, er wolle tullen & bredouillen“ (2019). Dieses Jahr ist sie Mither ein Buch daraus machen.“ Natürlich hielt er Wort. ausgeberin des legendären „Jahrbuchs der Lyrik“. Es wäre aber zu kurz gegriffen, würde man Callies Bildgewaltige Körper- und Raumerkundungen, scho- nur als Lyrikerin vorstellen. In Ladenburg veranstaltet sie nungslose Sprachsektionen und drastische Oberflä- seit vier Jahren das Literaturfestival „vielerorts“: An diver- chenreizungen zeichnen ihre Gedichte aus: „wie oft so sen Schauplätzen der Stadt finden Lesungen statt, in eine haut aufgehen kann, / ohne dass sie lose wird“. Hinterhöfen, in Wohnzimmern. 2024 werden die Baden- Callies wird von der Kritik als aufregende zeitge- Württembergischen Literaturtage auch dank ihres En- nössische Stimme ge- gagements in Ladenburg ausgerichtet. Seit feiert. Und doch spürt einigen Jahren organisiert sie zudem man – zwischen und in das Forum „Die Unabhängigen“ für die Kurt- ihren kraftvollen Zeilen Wolff-Stiftung auf der Leipziger Buchmesse, – die Begeisterung der gibt Uni-Seminare, Schreib-Workshops. ersten Leseerfahrungen. Und auch wenn Corona vieles durch- Die Begegnung mit einanderwirbelt und die meisten Lesungen dem Expressionismus, ausfallen, zumindest ein paar neue For- erzählt Callies, sei ein mate hat die Pandemie ermöglicht: etwa „zündendes Erlebnis“ einen Literaturpodcast mit dem Titel „Flau- gewesen. Der erste sen“, den Callies mit dem Literaturhaus eigene Gedichtband? Stuttgart produziert (sehr hörenswert!). Else Lasker-Schüler als Wie sieht es mit den eigenen kreativen Geburtstagsgeschenk, Flausen aus? Carolin Callies lacht: „Dafür mit 15 oder 16, „da war ist momentan nicht so viel Zeit, dadurch ich dann gefangen“. dass ich eine Tochter mit Homeschooling Und der Weg in die und relativ viel auf dem Schreibtisch habe. Literaturwelt vorpro- Da geht es mir gerade wie vielen anderen grammiert. Während da draußen …“ Frischluft-Galerie Art Walk Gönnheim. „Weck, Worschd unʼ Woi“ sind meist die Argumente für einen Ausflug in die schöne Pfalz. Im vor- derpfälzischen Gönnheim kann diese eher kulinarische Ausrichtung durch ein kulturelles Erlebnis verfeinert werden: Beim Art Walk durch die Open-Air-Gallery können interessierte Ausflügler*innen 32 Gemälde, Murals und Graffiti-Werke regionaler Künstler*innen bestaunen. Einen Stadtplan zur ersten Orientierung gibtʼs auf der Website. Art Walk Gönnheim, openairgallery.goennheim.de 10
Kulturregion Die Kunst Biennale für aktuelle Fotografie. Wir tun es, um fit zu bleiben, zum Zeitvertreib oder schlicht, um von A nach B zu kommen: Das (Spazieren-)Gehen erlebt des seit Beginn der Corona-Pandemie einen Boom. In Kooperation mit der in Indien beheimateten Chen- Gehens nai Photo Biennale lädt die Biennale für aktuelle Fotografie ein, in einem digitalen Symposium über die vielen Formen des Gehens im Kontext der zeitge- nössischen Fotografie nachzudenken. Denn wie der Spaziergang ist auch die Fotografie ein Mittel, um unsere Umwelt bewusster wahrzunehmen. Während das Gehen für die einen positiv besetzt ist, erleben andere es als existenziell. Das gilt für die Wander- arbeiter in Indien, die ihre oft Hunderte von Kilome- tern entfernte Heimat nur zu Fuß erreichen können. Das Gehen wird im Symposium deshalb vor einem transkulturellen Hintergrund beleuchtet – unter anderem vom Umweltaktivisten Siddharth Agarwal, der Stadtplanerin Vidhya Mohankumar sowie den Fotografen Michal Iwanowski und Andreas Lang- feld. Digitale Wanderungen durch das Internet und eine gestreamte Live-Tour durch Chennai eröffnen neue Wege des Spazierengehens. About Walking, Online-Symposium, 25. & 26.03. 2021, Anmeldung: www.biennalefotografie.de Die Teilnahme ist kostenfrei Meetingraum Kultur Das Corona-Virus hat dem Kulturbetrieb schwer zugesetzt, gleichzeitig besinnen sich die kulturellen Akteure auf die Kraft der Solidarität und Kooperation. Überall im Land sind Initiativen und Zusammenschlüsse entstanden, die der Kultur in der Krise eine Stimme geben wollen. Mit dem „Meetingraum Kultur“ hat das Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar (MRN) eine digitale Versammlungsreihe initiiert, bei der sich neue Initiativen genauso wie etablierte Kulturakteure der Region kennenlernen und austauschen können. Rund ein Dut- zend Teilnehmer*innen waren beim ersten Treffen, das im November 2020 stattfand, dabei und diskutierten darüber, was man kommunenübergreifend tun kann, um die kulturelle Infra struktur zu stärken. „Seit Beginn der Corona-Krise beobachten wir, dass die kulturellen Ak- teure der Region sich zusammenschließen und abstimmen“, erklärt Robert Montoto, Leiter des MRN-Kulturbüros. „Mit dem Meetingraum Kultur wollen wir diese Vernetzung weiter fördern, damit wir alle gemeinsam eine Lobby für Kunst und Kultur schaffen und gleichzeitig die Zu- kunft der Kultur über die Krise hinaus denken.“ Die Resonanz auf das erste Treffen war sehr positiv, weitere Meetingraum-Termine sind in Planung. www.m-r-n.com/kultur 11 Kulturmagazin 01/21
Schalom, Das laufende Jahr ist für die drei Zentren jüdi- schen Lebens in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Zum einen entscheidet die UNESCO im Frühsom- SchUM! mer über den Aufnahmeantrag, zum anderen wird in Deutschland das Festjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben“ begangen. Von den bundesweit 1.000 Veranstaltungen sind 70 in Rheinland-Pfalz geplant, die SchUM-Gemeinden spielen mit ihren SchUM-Städte. Unzählige Füße sind schon über Projekten eine tragende Rolle. „Die Festtage diese Treppe aus Sandstein gegangen. Seit 900 sind eine gute Gelegenheit, um Themen mit ei- Jahren führt sie hinab zum jüdischen Ritualbad nem etwas anderen Blick herauszugreifen“, sagt in Speyer. Kühle herrscht hier unter der Erde. Dr. Susanne Urban, seit sechs Jahren Geschäfts- Vogelgezwitscher dringt durch den Lichtschacht. führerin des SchUM-Städte-Vereins. Im April soll Das Wasser funkelt grün. Bis heute ist dieser Ort es – voraussichtlich online – um „Reinheit“ gehen, mit seinen romanischen Verzierungen etwas Be- ein großes spirituelles und religiöses Thema im sonderes geblieben. Für die UNESCO-Bewerbung Judentum, das aus religiöser, kulturwissen- der SchUM-Städte Worms, Speyer und Mainz, die schaftlicher, weiblicher und moderner Perspek- ihr jüdisches Leben und dessen Monumente als tive beleuchtet wird. Nach dem Ende des Lock- Weltkulturerbe schützen lassen möchten, ist das downs eröffnet zudem die neue Ausstellung im Ritualbad ein wichtiger Baustein. Im Mittelalter Wormser Raschi-Haus wieder, die den Blick auf galten die drei Städte als Jerusalem am Rhein. Gelehrsamkeit, Migration, Buchdruck und ande- Sie gehören zu den ältesten jüdischen Gemein- re Themen im Judentum lenkt und den Faden bis den in Europa. Die Bezeichnung SchUM leitet sich in die Gegenwart spinnt. aus den Anfangsbuchstaben der hebräischen Die fast 1.700 Jahre lange Präsenz von Juden Namen von Speyer, Worms und Mainz ab. in Deutschland spiegelt sich auch im Schicksal der Wormser Synagoge wider. In der Vergangen heit mehrfach zerstört, 1938 von Nazi-Schergen niedergebrannt, wurde sie 1961 wieder aufgebaut. Für Susanne Urban birgt sie eine spannende Geschichte: „Als ich in den 90er-Jahren jüdische Touristen nach Worms begleitet habe, war die Synagoge ein musealer, aber kein jüdischer Ort. Mittlerweile gibt es durch die Zuwanderung wieder mehr jüdisches Leben und der Raum hat wieder seine eigentliche Aufgabe. Das finde ich berührend.“ SchUM-Städte, www.schumstaedte.de Kiefer Kunsthalle Mannheim. Die Anselm-Kiefer-Ausstellung in der Kunsthalle Mann- heim steht in den Startlöchern – aufgebaut ist sie schon eine ganze Weile, Corona per hat aber bislang dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Erste Einblicke, Backstage-Impressionen sowie Kuratoren-Stimmen gibt es in der ZDF-Mediathek: Ganz nah kann per Zoom an die Werke herangegangen und die Materialität erforscht werden, bevor die Monumentalität der Kiefer-Werke hoffent- Klick lich bald vor Ort die Besucher*innen verzaubert. Die Chancen stehen gut, denn bis 22. August sind die Exponate in Mannheim noch zu sehen. digitalekunsthalle.zdf.de/kiefer oder kuma.pageflow.io/anselm-kiefer 12
Kulturregion „Wir sind die einzig funktionie- rende Zeitreise-Maschine“ Nach 30 Jahren bei den Reiss-Engelhorn-Museen hat Generaldirektor Alfried Wieczorek mit dem Jahreswechsel den Staffelstab an seinen Stellvertreter Wilfried Rosendahl übergeben. Ein Interview über High- lights, die Vielfalt des rem-Kosmos und über die Museumsbesucher*- innen von morgen. Herr Prof. Wieczorek, tise zum Thema Klima vier Stiftungen, sechs wandel ein. Zudem ver- Museen und dazu vier folgen wir die Idee, Forschungsstellen. Bürgerinnen und Bürger Wie haben Sie den aufzurufen, mit uns ge- Überblick über diesen meinsam eine Schau zu rem-Kosmos behalten? kuratieren. Wieczorek: Das schafft man nur mit einem Wieczorek: Gerade tollen Team und mit ganz was das Digitale an- klaren Zielen. Ich bin ja geht, haben wir in den fast 30 Jahre hier tätig vergangenen Jahren gewesen und habe diese die Erfahrung gemacht, komplexe Struktur selbst dass die Gäste sich ger- mitgestaltet, seit 1999 ne vorab einen ersten in der Funktion des leitenden Direktors. Schon damals Eindruck von einer Ausstellung verschaffen. Dem physi- habe ich das Potenzial des Hauses gesehen und wurde schen Besuch steht das ganz und gar nicht entgegen … nicht enttäuscht: Wir sind kontinuierlich gewachsen – vom Stadtmuseum zum Museumskomplex mit internatio- Rosendahl: Ganz genau, wir sind die einzig funktionie nalem Renommee. rende Zeitreise-Maschine. Das muss unsere klare Bot- schaft ans Publikum sein. Eine stumme Begegnung mit Was war entscheidend für die rasante Entwicklung? Glaskästen funktioniert heute nicht mehr. Es geht dar- Wieczorek: Entscheidend war sicher, Stifter zu finden, um, das Publikum durch interaktive Elemente in Welten die uns ermöglicht haben, unabhängig von Trends zu eintauchen zu lassen. Diesen Weg verfolgen wir bereits agieren. Zudem war es wichtig, das Thema Wissen- mit unseren Mitmach-Ausstellungen. schaft hier zu verankern und mit den Universitäten Tübingen und Heidelberg zu kooperieren. Unter den Herr Wieczorek, genießen Sie nun den Ruhestand europäischen Museen hat so eine Forschungsausrich- oder haben Sie schon Pläne? tung einzig noch der Louvre. Wieczorek: Ich bin ein großer Freund von Plänen, des- halb steht einiges auf meiner Liste. Ich werde den rem Herr Dr. Rosendahl, Sie sind seit 2004 bei den rem. als Vorstandsvorsitzender der Bassermann-Kulturstif- Ist es ein Vorteil, das Haus gut zu kennen? tung erhalten bleiben, bin noch für zwei Jahre Vorsit- Rosendahl: Die Themenbereiche sind wie gesagt viel- zender des Deutschen Verbands für Archäologie und schichtig wie die Aufgaben. Nichtsdestotrotz ist es ein möchte mich verstärkt ehrenamtlich bei der Diakonie großer Schritt, denn als Generaldirektor trage ich eine engagieren. Außerdem kandidiere ich für den Landtag neue Verantwortung. Prof. Wieczorek hat ein fantas- und hoffe so, weiter einen Beitrag für das kulturelle tisches Gebilde geschaffen, und ich freue mich nun Leben in Mannheim leisten zu können. darauf, unseren Museumsdampfer auf Fahrt zu halten. Herr Rosendahl, können Sie schon ein Highlight der Was haben Sie sich für Ihre Arbeit vorgenommen? nächsten Jahre verraten? Rosendahl: Unser Museumskomplex steht, wie andere Tatsächlich freue ich mich schon jetzt auf den Herbst Museen auch, vor der Herausforderung, dem Wandel 2023. Dann soll sich das gesamte Haus mit allen Ab- der Zeiten gerecht zu werden. So werden wir in den teilungen dem Thema „Essen und Trinken“ widmen – nächsten Jahren einerseits unser digitales Programm durch die Zeit und unter den unterschiedlichsten Ge- erweitern, andererseits noch näher an die Menschen sichtspunkten. Das ist eine Premiere und wunderbare heranrücken. Wir nehmen zum Beispiel an der Bundes Möglichkeit, die rem mit einer großen Sonderausstellung gartenschau 2023 teil und bringen dort unsere Exper- und vielfältigen Objektschätzen zu präsentieren. 13 Kulturmagazin 01/21
Aufführungen Nachholen und Aktualisieren lautet die Devise. Nachdem Litauens Gastlandauftritt beim letztjährigen Heidelberger Stückemarkt pandemiebedingt ausfallen musste, bietet sich nun die Chance, die lebendige und innovative Theaterszene des baltischen Landes kennenzulernen – zumindest als digitale Livestreams. Mit dabei ist auch das Künstlerinnen-Trio, das bei der Kunstbiennale in Venedig den Goldenen Löwen gewann. GUTEN TAG, Lost in the supermarket – Die litauische Produk tion „Have a Good Day!“ blickt hinter die Kulissen unserer Welt als perfekter Servicemaschine. LITAUEN! 14
Heidelberger Stückemarkt › Die Theaterszene in Litauen ist aktuell von einem Generationen Schauspielausbildung, szenisches Schreiben, Stückentwicklung wechsel geprägt, der mit einem Paradigmenwechsel einhergeht: und Spielweise. In der Performance „Regenland“ kommen die Waren es jahrzehntelang einige wenige starke Regiepersönlich- Prinzipien des „offenen Kreises“ besonders gut zur Geltung. keiten, die dem litauischen Theater ihren Stempel aufdrückten, macht in jüngster Zeit eine neue Generation experimentierfreu- Außerdem werden im Wettbewerb um den Internationalen Au- diger Theatermacher*innen auf sich aufmerksam. Ihr Theater tor*innenpreis drei neue Theatertexte aus Litauen vorgestellt: ist bunt und oft spartenübergreifend, bodenständig, nahbar und „Identify“ von Ieva Stundžyė, „Mütter und ihre Söhne“ von Matas populär und kombiniert Schauspiel mit anderen Kunstformen. Vildžius sowie „Immobiliendrama“ von Gabriele Labanauskaitė. Ein Theaterbesuch ist in Litauen nichts Elitäres mehr, sondern Ein Gesellschaftspanorama, ein Beziehungsdrama und eine So- gehört zum gesellschaftlichen Alltag. Die Gastspiele, die zum zialkomödie – auch hier zeigt sich die eindrucksvolle Bandbreite Heidelberger Stückemarkt eingeladen sind, geben einen Ein- litauischen Theaters. Wir dürfen gespannt sein! ‹ druck davon – und von der Vielfalt der litauischen Theaterszene. „Einen schönen Tag noch!“ – Der Ausspruch, der Kund*innen je- Heidelberger Stückemarkt den Tag von den Supermarktkassen entgegenschallt, wird in der Musiktheater-Performance „Have a Good Day!“ zum Programm. Termin – 30. April bis 09. Mai 2021 Die „Oper für 10 Kassiererinnen, Supermarkt-Sounds und Kla- Ort – Theater der Stadt Heidelberg vier“ hinterfragt diese Phrase und versucht zu ergründen, was Internet – www.theaterheidelberg.de sich hinter aufgesetztem Lächeln und mechanischer Freund- lichkeit verbirgt. Welche Lebensgeschichten streifen wir täglich, ohne an ihnen Anteil zu nehmen? „Have a Good Day!“ blickt hin- ter die freundliche Fassade. Das Publikum erfährt mehr über Innovatives Theater die Figuren, die sich durch den Alltag schlagen und mit denen – das „teatras atviras ratas“ zeigt seine wir täglich konfrontiert sind: eine alleinerziehende Mutter, eine Produktion Migrantin, eine Vorstadtbewohnerin, eine a rbeitslose Kunst „Regenland“. historikerin. Geschaffen hat die Performance ein Künstlerinnen- Trio, das international schon für F urore gesorgt hat: Für ihre Oper „Sun & Sea (Marina)“ sind Librettistin Vaiva Grainytė, Komponistin Lina Lapelytė und Regisseurin Rugilė Barzdžiu- kaitė bei der Kunstbiennale 2019 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet worden. Willkommen im „Regenland“! Schauer, Schnee, Kälte — Litauen ist nichts für notorische Son- nenanbeter. Das Land trägt die schlechten Wetteraussichten sogar in seinem Namen, denn „lietus“ bedeutet Regen. Davon inspiriert, nennt das „teatras atviras ratas“ – wörtlich übersetzt „Theater des offenen Kreises“ – sein Stück „Regenland“. Es han- Have a Good Day! delt von Litauens dramatischer Geschichte. Das Stück zeigt sehr Neben dem Gastland Litauen präsentiert der Heidel- unterschiedliche G eschichten von Litauer*innen von der Zeit berger Stückemarkt aktuelle Inszenierungen aus vor dem Zweiten Weltkrieg, währenddessen und danach, von der dem gesamten deutschsprachigen Raum, die das zeit- deutschen Besetzung und von der Okkupation Litauens durch genössische Theater prägen. Neue, noch nicht aufge- die Sowjetunion. Alle Personen und ihre Geschichten basieren führte Theaterstücke, gelesen vom Schauspielensemble auf den Erinnerungen von Großeltern, Eltern, Onkeln und Tan- des Theaters Heidelberg, konkurrieren um den Autor*- ten der Schauspieler*innen, die sie im Lauf der Performance als innenpreis. Traditionell eröffnet das Gewinnerstück persönliche Biografien ihrer Figuren erzählen. Um den Eindruck des Vorjahrs den Stückemarkt: Diesmal ist es „Das der Authentizität zu steigern, haben die Schauspieler*innen die weiße Dorf“ von Teresa Dopler – in einer Inszenierung des gastgebenden Theaters Heidelberg als deutsche Freiheit, zu improvisieren, sodass jede Aufführung einen etwas Erstaufführung. Das Stück spielt an Bord eines Kreuz- anderen Verlauf nimmt. fahrtdampfers: Hier entlarvt sich die erschreckende Leere in scheinbar top-erfolgreichen Lebensläufen. Der besondere Charakter des Theaterlabors „atviras ratas“ be- Ein augenzwinkerndes Kammerspiel über den Selbst ruht auf den innovativen Theaterprinzipien des Gründers und optimierungswahn unserer Zeit. Nicht verpassen! leitenden Regisseurs der Gruppe, Aidas Giniotis, und umfasst 15 Kulturmagazin 01/21
Aufführungen Heidelberger Frühling An diesem Naturgesetz besteht kein Zweifel. Nicht einmal eine Pandemie kann es außer Kraft setzen. Unaufhaltsam, kraftvoll, hoffnungsfroh bahnt sich die Natur immer wieder aufs Neue ihren Weg. Das gilt das auch für den Heidelberger Frühling, auch wenn der Klassik-Höhepunkt des Jahres in der Region zum zweiten Mal abgesagt werden musste. Die Festivalmacher rund um Intendant Thorsten Schmidt starten dennoch in ihr 25. Jubi- läumsjahr und denken dabei mit der Initiative „Lasst uns spielen!“ ganz neu ins Offene. Es wird Frühling! › Ins Offene, neu denken, sich immer wie- Wir sind eine Institution, die 73 Pro- der neu erfinden. Das macht die DNA zent ihrer Budgets über Ticketverkäu- des Heidelberger Frühling aus. Und fe und Sponsoring decken muss. Die sein knackiges Grün, in das die Stadt Planungsunsicherheiten und die Un- zur Festivalzeit getaucht ist. Seit 1997 möglichkeit, zu spielen und Einnah- treibt Gründungsintendant Thors- men zu erwirtschaften, sind eine ten Schmidt nichts anderes um als die existenzielle Bedrohung. Denn als Suche nach Neuem: „Alle Ideen, die kommunale Institution fällt der ‚Hei- wir bisher verwirklicht haben, wurden delberger Frühling‘ bislang durch das schon in den ersten Jahren formuliert. Raster aller Hilfsprogramme des Bun- Und da stehen noch viele in meinen No- des. Hier sind 25 Jahre Aufbauarbeit ge- tizbüchern.“ Auch der Schock der zweiten fährdet.“ coronabedingten Komplettabsage 2021 tut dieser Ideenflut keinen Abbruch. Krisen kön- Ebenso alternativlos wie die Absage ist für die nen kreatives Potenzial freisetzen. Und nicht zuletzt Festivalmacher*innen die Verpflichtung, Lösun- die enge Bindung zu den unzähligen künstlerischen Wegbeglei- gen zu entwickeln, die Kunsterlebnisse unter allen Umständen ter*innen, der riesige solidarische Zuspruch des Publikums und möglich machen: Unter dem Motto „Lasst uns spielen!“ sind insbesondere der Gesellschafterin Stadt Heidelberg, der Förde- Digitalangebote geplant, die mit Experimentierfreude mit der rer und Sponsoren geben dem Festival Auftrieb und Antrieb. aktuellen Situation umgehen. Zum ersten Mal begleitet den ur- sprünglichen Festivalkalender eine Ausstellung unter freiem Schmidt wird dennoch deutlich: „Es gibt immer noch keine ver- Himmel: Auf dem Universitätsplatz und vor der Alten Univer- lässlichen Vorschläge und Lösungen für die Öffnung von kul- sität lassen sich Festivalgeschichte(n) in Klängen und Bildern turellen Veranstaltungen seitens der überregionalen Politik, erleben. Das Publikum kann selbst zum Performer werden: die eine solide Perspektive bieten. Stattdessen wird mit ständig Ein interaktives Installationsobjekt in Form eines übergroßen wechselnden und damit willkürlichen Grenzwerten operiert. „Lautsprechers“ lädt zum Experimentieren und Ausprobieren Es ist für alle Künstler*innen und Veranstalter*nnen eine nie- ein und wird zur Bühne für jeden - mit genügend räumlichem derschmetternde Erfahrung, stets als verzichtbar ans Ende von Abstand versteht sich. ‹ Öffnungsszenarien gesetzt zu werden. Man könnte meinen, Kultur sei gesundheitsgefährdend. Jetzt aktuell informieren unter www.heidelberger-fruehling.de Heidelberger Frühling – 25 Jahre Das Internationale Musikfestival Heidelberger Frühling ist eines der bekanntesten Klassikfestivals Deutschlands. Regel- mäßige Festivalgäste sind unter anderem Igor Levit, Jörg Ins Offene Denken Widmann, Gabriela Montero oder Elisabeth Leonskaja. – Intendant Thorsten Internet – www.heidelberger-fruehling.de Schmidt sieht sich im Jubiläumsjahr mit ganz neuen Heraus- Das sollten Sie nicht verpassen! forderungen Ausstellungsinstallation 25 Jahre Heidelberger Frühling konfrontiert. 20. März–18. April 2021, Universitätsplatz Heidelberg www.heidelberger-fruehling.de/installation 16
Aufführungen Hambacher Schloss Geschichtsort für die Gegenwart Das Hambacher Schloss ist ein zentraler Ort der europäischen Demokratie- geschichte. Die neue Veranstaltungs-Reihe „Hambacher Nachlese“ möchte in dieser Tradition eine lebendige Diskussionskultur anstoßen. › Schwarz-weiß-rote Flaggen, die vorm Berliner Reichstag ge- Im Gespräch mit dem Marburger Geschichtsprofessor Conze, schwenkt werden, gingen im vergangenen Jahr durch die Presse. der zu den renommiertesten deutschen Zeithistorikern zählt, Sogenannte Reichsbürger begründen ihre nationale Identität, werden die beiden nach einem kurzen Impulsvortrag des Gast- indem sie sich auf die Reichsgründung in der Kaiserzeit beziehen. autors die Thesen seines Werkes „Schatten des Kaiserreichs. „Gerade in Zeiten, in denen nationale Strömungen erstarken, ist Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe“ disku- es wichtig, Symbole der Demokratie wie das Hambacher Schloss tieren. Fragen werden dabei unter anderem sein: In welchem mit Leben zu füllen“, findet Kristian Buchna, der seit vergange- Verhältnis steht die Ära Bismarcks und Wilhelms II. zur Ber- nem Jahr der neue wissenschaftliche Mitarbeiter der Stiftung liner Republik? Wie demokratisch war das Kaiserreich? War Hambacher Schloss ist. Damit ist er zugleich auch der Erste in mit der Reichsgründung der Weg in den Ersten Weltkrieg vor- dieser Funktion. Die von gezeichnet? Und vor allem ihm konzipierte neue Reihe auch: Was hat dies alles mit „Hambacher Nachlese“ ist der Gegenwart zu tun? „So ein Auftakt, um das Ham- viel kann bereits verraten bacher Schloss in Zukunft werden, Conze positioniert noch stärker zum Diskus- sich hier sehr klar: Das sionsort historischer und Deutschland der Gegenwart zeitpolitischer Themen zu steht nicht in der Tradition machen. des autoritären Kaiser- reichs“, betont Buchna. „Als ersten Gast dürfen Nach Impulsvortrag und wir Eckart Conze begrü- kurzem Expertengespräch ßen, der in seinem aktuel- folgt dann die Diskussion len Werk die historischen mit dem Publikum, die das Hintergründe der Reichs- Kernelement nicht nur die- gründung vor 150 Jahren ser „Hambacher Nachlese“, aufarbeitet“, kündigt sondern auch aller folgen- Buchna an. Ihm sollen im Rahmen der „Hambacher Nachlese“ den Ausgaben sein soll. „Das Hambacher Schloss ist ein zentra- etwa zwei- bis dreimal pro Jahr prominente Autor*innen und ler Ort der Demokratiegeschichte“, hebt Buchna hervor. „Durch ausgewiesene Expert*innen folgen, die Sachbücher zu histori- Vermittlungs- und Aufklärungsarbeit möchten wir die Identifi- schen und aktuellen Themen vorstellen. „Dabei geht es uns da- kation mit unserer Demokratie stärken und zugleich antidemo- rum, mit einem möglichst breiten Publikum zu diskutieren. Es kratischen Tendenzen und Geschichtsverdrehung künftig noch soll keinesfalls ein reines Expertengespräch sein“, erklärt Buchna. stärker die Stirn bieten.“ Er selbst ist promovierter Historiker, hat sich aber bewusst für die Vermittlungsarbeit entschieden. „Ich finde, gerade als His- Hinweis! Falls Corona-bedingt kein Publikum zugelassen sein toriker müssen wir Aufklärungsarbeit leisten, wenn historische sollte, wird das Autorengespräch aufgezeichnet und online gestellt. Fakten verdreht werden.“ Nähere Information dazu unter www.hambacher-schloss.de. Hambacher Nachlese – Autoren- Historiker im Gespräch – Eckart Conze, Professor an der gespräch mit Eckart Conze Uni Marburg, (Bild links) ist der erste Gast der neuen Reihe „Hambacher Nachlese“. Mit Gastgeber Kristian Buchna spricht Termin – 22. April 2021, 19 Uhr er über die Reichsgründung von 1871. Ort – Hambacher Schloss Internet – www. hambacher-schloss.de 17 Kulturmagazin 01/21
Aufführungen Festspiele im Zeichen der Pandemie – auch und gerade für die Kultur war 2020 ein Jahr mit ungeahnten Stra pazen und Herausforderungen. Heike Hoffmann, Künst- lerische Leiterin der Schwetzinger SWR Festspiele, fasst das Jahr in einem Corona-Tagebuch zusammen – und macht damit nochmals deutlich, wie es sich anfühlt, wenn man sich auf nichts verlassen und nichts planen kann. Auftritt mit Maske – Das Belcea-Quartett auf dem Unbeirrt Weg zur Bühne beim Nachholkonzert im Oktober – ein fulminanter Auftritt in außergewöhnlichen Zeiten. weitermachen › Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass die erste Ansteckung +++ 18. März: Angesichts der rasant steigenden Infektions- mit dem Coronavirus in Deutschland bekannt wurde. Man er- zahlen und der behördlichen Maßnahmen ist die Entscheidung fuhr, dass es sich um ein Virus handelt, das in einer c hinesischen alternativlos: Die Schwetzinger SWR Festspiele 2020 werden Stadt zuerst aufgetreten sei. Das RKI – eine Institution, von abgesagt. Erstmals in der fast 70-jährigen Geschichte dieses der ich noch nie zuvor gehört hatte – beruhigte: eine Gefahr für Festivals. Mehr als 11.000 Tickets werden rückerstattet, eine Deutschland sei gering. Eine Fehleinschätzung, wie bald klar Aufgabe, die mehrere Wochen in Anspruch nimmt. Künstler, werden würde. Das Virus verbreitet sich rasend schnell, nur Kooperationspartner, Dienstleister, Presse sind zu informieren. wenige Wochen später ist die ganze Welt bedroht, das Leben Wir üben das Arbeiten im Lockdown, in Windeseile stellen wir auf nahezu allen Kontinenten verändert sich in einer W eise, auf Online-Arbeit um. Es funktioniert besser als erwartet, mein die sich wohl niemand hätte vorstellen können. Kontaktredu Team macht das großartig. zierung, Masken und Abstand sind die einzigen Mittel, die wir +++ 20. März: Anfrage bei der Schlossverwaltung nach freien der Bedrohung entgegensetzen können. Einschneidend für viele Zeiträumen im Herbst. In der (aus heutiger Sicht naiven) An- Bereiche des öffentlichen Lebens, darunter Bildung und Kultur. nahme, die Epidemie sei in einigen Monaten vorüber, mache Die Folgen für die Zukunft: nicht absehbar. ich mich daran, für die verfügbaren Termine zu planen. Nach einigen Tagen ist klar: Wir werden zahlreiche der Konzerte aus Auch für die Schwetzinger SWR Festspiele war 2020 ein Jahr unserem Beethoven-Zyklus im Oktober nachholen. Diese Per voller Turbulenzen, Unsicherheiten und Herausforderungen: spektive ist wichtig, für die Künstler, aber auch für uns als Fest- +++ Februar: Die Proben für „Force & Freedom“, unsere Eröff- spielmacher. nungsproduktion zum Beethoven-Jahr mit Nico and the Navi- +++ 1. April: Gemeinsam mit dem Freundeskreis der Schwet- gators, laufen in den Berliner Ufer-Hallen. Wir desinfizieren die zinger SWR Festspiele wenden wir uns mit einem Aufruf an die Hände, sind aber ansonsten recht unbesorgt. Öffentlichkeit, für die durch die Absagen besonders hart getrof- +++ Anfang März: Die Verunsicherung wächst täglich, erste An- fenen Freiberufler unter unseren Künstlern zu spenden. Unser fragen, ob die Festspiele denn überhaupt stattfinden würden. Publikum macht großartig mit: In den folgenden Wochen kom- Intensive Beratungen mit den Gesellschaftern, wir halten an den men nahezu 50.000 Euro zusammen, die wir an die Künstler Planungen fest. Der Vorverkauf läuft bestens. weiterleiten. 18
Schwetzinger SWR Festspiele +++ 1. Mai: Eigentlich +++ 19. Oktober: Wie geplant veröffentlichen wir das Programm Festspielbeginn. Die Re- der Festspiele 2021. Die druckfrische Broschüre liegt vor. daktion von SWR2 hat ein +++ 20. Oktober: Mit einem fulminanten Konzert des Belcea- wunderbares Ersatzpro- Quartetts starten wir. Die folgenden zehn Tage bringen zahlreiche gramm zusammengestellt musikalische Sternstunden. Es ist beglückend, endlich wieder ge- und sendet bis 31. Mai un- meinsam in einem Saal Musik zu erleben. Trotz Maskenpflicht ter dem Motto „Schwetzin- und Abstand – wohl alle spüren, wie kostbar diese Stunden sind. gen Retro“ Mitschnitte aus +++ Am 29. Oktober beenden wir die nachgeholten Festspiele sechs Festspieljahrzehnten. mit Beethovens „Pastorale“ – radikal und aufregend interpretiert +++ 8. Juni: Das Pro- von der Akademie für Alte Musik Berlin. Zu diesem Zeitpunkt ist gramm für Oktober wird schon klar: Dies wird für längere Zeit das letzte Live-Konzert ge- veröffentlicht. Mit dem wesen sein. Am nächsten Tag erscheinen die neuen V erordnungen. Ticketverkauf wollen wir Auf die wieder exponentiell ansteigenden Infektionszahlen rea erst beginnen, wenn Klar- giert die Politik mit einem Lockdown light, der die Schließung heit über die n otwendigen von Gastronomie und ein Veranstaltungsverbot vorsieht. Die Hygienemaßnahmen Kulturszene ist schockiert, hatte man doch ausgefeilte Hygiene- herrscht. Inzwischen stel- konzepte erarbeitet und enorm viel investiert. Nirgendwo war len wir die Arbeitsabläufe von Ausbrüchen bei Kulturveranstaltungen berichtet worden. um und ziehen die Veröf- Auch wir können nach einigen Wochen die akribisch geführten fentlichung des Festspielprogramms 2021 vor, um die Herbst- Kontaktlisten vernichten, ohne eine einzige Ansteckung. Auf den konzerte organisatorisch bewältigen zu können. Dazu kommt Lockdown light folgen dann im Dezember die Verschärfung der die Einarbeitung von neuen Mitarbeiterinnen, keine leichte Her- Maßnahmen, schließlich doch die Schließung der Schulen und ausforderung in Zeiten von räumlicher Distanz. immer wieder neue Beschränkungen. +++ 2. September: Der Vorverkauf beginnt. Werden die Men- +++ Dennoch haben wir am 4. Dezember den Vorverkauf für schen überhaupt kommen? Die Befürchtungen erweisen sich als 2021 begonnen, zunächst mit einem stark reduzierten Platzan unnötig: Binnen weniger Tage ist das coronabedingt reduzierte gebot, das wir hoffen noch vor Beginn der Festspiele aufstocken Ticketangebot ausverkauft. Wir feilen am Hygienekonzept, die zu können. Schließlich werden nun schon bald Impfstoffe zuge- Regeln ändern sich dauernd. lassen, das stimmt doch optimistisch! Binnen weniger Tage sind +++ 14. Oktober: Wir beziehen das Festspielbüro in Schwetzin- wir praktisch ausverkauft. gen, fühlt sich sehr ungewohnt an zu dieser Jahreszeit. Nervöse +++ Jetzt, Anfang Februar 2021, ist noch immer nicht abzu Anspannung: Gäste aus Risikogebieten müssen Negativ-Tests sehen, wann wieder Veranstaltungen mit Publikum möglich sein vorlegen, in Baden-Württemberg gilt ein Beherbergungsverbot. werden. Auch wenn die Inzidenzen sinken, die Todeszahlen sind +++ 18. Oktober: Am Tag vor Festspielbeginn wird die Corona- erschütternd und Mutationen sowie Verzögerungen beim Impfen Verordnung verschärft, nun steht plötzlich alles wieder auf der sorgen für Beunruhigung. Die Politik ist nicht fähig oder nicht Kippe. Stündliche Telefonate mit Oberbürgermeister René Pöltl, willens, ein „Wenn, dann“-Szenario zu entwickeln, um die corona- spätabends kommt eine Zusatzverordnung, die er schon am müde Bevölkerung mitzunehmen. Insbesondere die in ihrer be- kommenden Morgen mit dem Krisenstab der Stadt umsetzen ruflichen und wirtschaftlichen Existenz Bedrohten – und dazu wird, um den Festspielstart zu ermöglichen. Inzwischen erreicht gehören die Künstler – brauchen dringend eine Perspektive. Auch mich die nächste Hiobsbotschaft: Das Artemis-Quartett muss deshalb bereiten wir die Festspiele 2021 mit mehr als 40 Pro- absagen, die Cellistin hat sich ernsthaft verletzt. Die Künstler grammen unbeirrt weiter vor, in der Hoffnung, dass die w ärmeren sind am Boden zerstört. Uns verschafft diese Absage – Ironie des Temperaturen helfen und wir im Mai Künstler und Publikum in Schicksals – einen Tag Zeit, um die neuen Regeln umzusetzen. Schwetzingen begrüßen können. ‹ Schwetzinger SWR Festspiele Termin – 30. April bis 29. Mai 2021 Spielort – Schloss Schwetzingen Internet – www.schwetzinger-swr-festspiele.de 19 Kulturmagazin 01/21
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