Assistierter Suizid - ab 2022 - Rechtlicher Rahmen und offene Fragen Dr. Michael Halmich LL.M - FORUM Gesundheitsrecht

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Assistierter Suizid - ab 2022 - Rechtlicher Rahmen und offene Fragen Dr. Michael Halmich LL.M - FORUM Gesundheitsrecht
Assistierter Suizid - ab 2022
Rechtlicher Rahmen und offene Fragen

Dr. Michael Halmich LL.M.
Jurist und Ethikberater im Gesundheitswesen

Business Circle I Pflege-Management Forum 2021
Wien, am 3. September 2021
Assistierter Suizid - ab 2022 - Rechtlicher Rahmen und offene Fragen Dr. Michael Halmich LL.M - FORUM Gesundheitsrecht
Einleitende Gedanken
− In Österreich wird die Begleitung von Sterbenden und der Umgang mit dem Lebensende seit mehr als
  20 Jahren auf politischer Ebene diskutiert.

− Meilensteine:
    −   Parlaments-Enquete „Solidarität mit unseren Sterbenden – Aspekte einer humanen Sterbebegleitung in Österreich“ (2001)
    −   Österreich-Konvent (2003–2005)
    −   Einführen des Patientenverfügungs-Gesetzes (2006)
    −   Parlaments-Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens“ (2014–2015)
    −   Stellungnahme der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt (2015)
    −   Dialogforum „Sterbehilfe“ beim Justizministerium (2021)

− Liberale Entwicklung in Europa spürbar (BENELUX, DE, ES, PT, nun auch AT)

− Noch offen: Auswirkungen für das Gesundheitspersonal bzw. Verantwortliche von Gesund-
  heitsbetrieben!
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Stellen Sie sich vor …

− Weltweit sterben pro Minute zwei Menschen durch eigene Hand.

− Dies ergibt jährlich über eine Million Suizidtote.

− In Österreich starben im Jahr 2020 insgesamt 1.072 Personen durch Suizid (Statistik Austria).
  Dies ist deutlich mehr als z.B. Verkehrstote (2020: 338).

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Spannungsfeld

     zwischen   Lebensschutz und Selbstbestimmung

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Strafrechtliche Grenzen
Verboten:          Sterbehilfe (Mord), Töten auf Verlangen, Mitwirkung am Selbstmord (Suizid)

§ 75 StGB (Mord):
Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger
Freiheitsstrafe zu bestrafen.

§ 77 StGB (Tötung auf Verlangen):
Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von
sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

§ 78 StGB (Mitwirkung am Selbstmord):
Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe
von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

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Antrag beim

Vier Antragsteller – darunter zwei schwer Kranke – hielten das Verbot der aktiven Sterbehilfe und das
Verbot der Mitwirkung am Suizid hierzulande aus mehreren Gründen für verfassungswidrig und haben
bereits 2019 beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung dieser beiden Bestimmungen des
Strafgesetzbuches (§§ 77 und 78) beantragt.

Durch diese Rechtslage würden leidende Menschen gezwungen, entweder entwürdigende Verhältnisse zu
erdulden oder – unter Strafandrohung für Helfer – Sterbehilfe im Ausland in Anspruch zu nehmen.

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VfGH am 11.12.2020
Entscheidungsgründe:

− Es ist verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten.

− Straftatbestand der „Hilfeleistung zum Selbstmord“ verstößt gegen Recht auf Selbstbestimmung.

− Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst das Recht auf die Gestaltung des Lebens ebenso wie das Recht auf ein
  menschenwürdiges Sterben.

− Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst auch das Recht des Suizidwilligen, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in
  Anspruch zu nehmen.

− Beruht die Entscheidung zur Selbsttötung auf der freien Selbstbestimmung des Betroffenen, so ist dies vom Gesetzgeber
  zu respektieren.
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VfGH am 11.12.2020
− Der VfGH übersieht nicht, dass die freie Selbstbestimmung auch durch vielfältige soziale und ökonomische Umstände
  beeinflusst wird. Dementsprechend hat der Gesetzgeber zur Verhinderung von Missbrauch Maßnahmen vorzusehen,
  damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst.

− Die Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ in § 78 des Strafgesetzbuches ist verfassungswidrig. Die Aufhebung tritt mit
  Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft.

− Jemand anderen zur Selbsttötung zu verleiten, bleibt strafbar. Ebenso die Tötung auf Verlangen.

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Aktuelle Strafdelikte

                                       Variante 1:
                                       Kein Gesetz wird erlassen.
                                       Die Aufhebung tritt (automatisch) mit Ablauf
                                       des 31. Dezember 2021 in Kraft.
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Variante 2
Regierung / Parlament wird 2021 tätig und erlässt Regelung (wahrscheinliche Variante):

    − Wer darf Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen?

    − Wie kann das Erfordernis des freien und selbstbestimmten Willens von Suizidenten überprüft werden?

    − Wer darf Suizidbeihilfe leisten?

    − Wie und wo darf Suizidbeihilfe geleistet werden?

    − In welchem Ausmaß ist aktuell eine Palliativ- und Hospizversorgung verfügbar?
      Gibt es eine ausreichende Suizidprävention?

    − Benötigt es eine staatliche Überwachung? Sollten Beratungsstellen eine Zertifizierung brauchen?

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Dialogforum Sterbehilfe
im
− Tagte von 26. bis 30. April 2021 im Rahmen einer Videokonferenz.

− Teilnehmende transparent (Mitwirkung nur auf Einladung möglich).

− Schlussbericht wurde am 28. Juni 2021 veröffentlicht.
    − Zusammenfassung der Ergebnisse des Diskussionsprozess.
    − Ministerium hat keinen konkreten Regelungsvorschlag.
      Dies obliegt dem Parlament.

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Bei der Diskussion muss man
unterscheiden …
Therapie am Lebensende (geboten)
    − Nichtbeginn oder Beenden von lebenserhaltenden Maßnahmen wg. Therapieverzicht oder wg. fehlender Indikation
    − Symptombehandlung (ggf. hochdosiert bei schwersten Schmerzen u. Qualen, auch wenn dadurch Lebensverkürzung
      in Kauf genommen wird)

Assistierter Suizid / Suizidbeihilfe (aktuell verboten, ab 01/2022 unter Voraussetzungen erlaubt)
    − Hilfestellung bei Suizid durch z.B. Vorbereitung / Beschaffung einer tödlichen Substanz (z.B. Pentobarbital)
    − Letzte Handlung setzt die Person selbst, die es betrifft; und nicht etwa eine andere Person!

Sterbehilfe (aktuell und auch zukünftig verboten)
    − Gezielte Beendigung des Lebens einer Person durch eine andere Person (Tötung).
    − Letzte Handlung setzt also eine andere Person. Es handelt sich somit nicht um einen Suizid.
    − Dies kann z.B. auf Wunsch einer Person erfolgen oder aus Mitleid. Beides ist (und bleibt) strafbar!

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Bislang drei Umfragen / Studien

Meinungsforschungsinstitut INTEGRAL vom 10. April 2021:
80 % der Befragten begrüßen sowohl die VfGH-Entscheidung als auch „Sterbehilfe“ generell.

Ludwig Boltzmann Institute Digital Health and Patient Safety vom 21. April 2021:
61 % der Befragten befürworteten das Urteil des Höchstgerichts.

Meinungsforschungsinstitut FOCUS Austria vom 15. Juni 2021:
35 % der Bevölkerung befürworten die Möglichkeit des assistierten Suizids und bloß 31 % die Tötung
auf Verlangen. Bei der FOCUS Austria Umfrage wurde gezielt nach den verschiedenen Formen von
„Sterbehilfe“ gefragt. Die Entscheidung des VfGH sollte aber nicht explizit bewertet werden.

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Auswirkungen auf Personal
und Institutionen ?
Gesundheits- und Pflegeberufe:
− Künftige Regelung kann mit individueller Einstellung kollidieren.
− Bemühung um Suizidprävention?
− Suche nach kreativen Lösungen zur guten palliativen Begleitung?
− Diskriminierungsschutz.

Institutionen:
− Soll der assistierte Suizid in der Institution angeboten werden?
− Was tun in der stationären Betreuung, wenn Bewohner*in Unterstützung wünscht?
− Interne Standards zum Umgang mit dem Thema oder individuelle Verantwortung des Einzelnen?
− Organisationsethik

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Dr. iur. Michael Halmich LL.M.

halmich@gesundheitsrecht.at
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