8.2017 Badische Sportjugend Freiburg
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Soziale Arbeit Lebensweltorientierte Sportsozialarbeit | 292 Der Pragmatismus in Erlebnispädagogik und sportbezogener Sozialer Arbeit | 299 Entkörperte Jugendstrafanstalten | 306 Fußball und Fansozialarbeit | 312 8.2017 Erweiterte A us Newslett gabe mit er 2/2017 für Mitglied er der
Der Sozialstaat ist bedroht: Demografischer und kultu reller Wandel, Arbeit 4.0 und die Auflösung der Fa milienverhältnisse entzie hen ihm seine Grundlagen. Aus diesem Szenario he raus entwirft der Autor Lö sungen für eine Sozialpoli tik des 21. Jahrhunderts, die einem Programm „So zialer Nachhaltigkeit“ ver pflichtet ist. Er diskutiert die Idee des Grundeinkom mens im Lichte unter schiedlicher Gerechtigkeitsprinzipien und Wohlfahrtsregime und zeigt die Rolle der Sozialen Arbeit und die Bedeutung von Partizi pation bei der künftigen Gestaltung des Sozialstaats auf. Welche Zukunft hat der Sozialstaat? Eine Prognose von Michael Opielka 2017, 64 Seiten, kart.; 7,50 €; für Mitglieder des Deutschen Vereins 6,50 € ISBN: 978-3-7841-3001-9 Bestellen Sie versandkostenfrei im Online-Buchshop: www.verlag.deutscher-verein.de
Soziale Arbeit EDITORIAL Zeitschrift für soziale und Für viele Menschen ist die aktive oder passive sozialverwandte Gebiete Teilnahme am Sport ein wichtiger Bestandteil August 2017 | 66. Jahrgang ihres Lebens. Mannschaftssportarten verbinden und stellen wichtige integrative und sozialisie rende Instanzen im gesellschaftlichen Leben dar. 290 Gasteditorial des Deutschen Olympischen Sportbundes Umso mehr verwundert es, dass die Potenziale Martin Schönwandt, Frankfurt am Main des Sports für die Soziale Arbeit relativ selten genutzt werden. Das vorliegende Heft mit dem 291 DZI Kolumne Schwerpunkt „Sportbezogene Soziale Arbeit“ zeigt spannende Ansätze und soll anregen, die 292 Lebensweltorientierte Potenziale des Sports stärker zu nutzen. Sportsozialarbeit Birgitt Steffens; Julie Winkel, Berlin Birgitt Steffens und Julie Winkel stellen in ihrem Aufsatz über lebensweltorientierte Sport 299 Der Pragmatismus in Erlebnis sozialarbeit neben verschiedenen theoretischen pädagogik und sportbezogener Sozialer Arbeit Grundlagen ein Projektbeispiel aus Berlin vor. Ihr Traditionslinien und Perspektiven Aufsatz weist einen Weg, Sport in den Curricula handlungsorientierten Lernens Sozialer Arbeit zu verankern. Mit Bezug auf den Heiko Löwenstein; Christopher Ott, Pragmatismus nach John Dewey und das Identi Freiburg im Breisgau tätskonzept G.H. Meads entfalten Heiko Löwen- stein und Christopher Ott eine eigenständige 306 Entkörperte Jugendstrafanstalten Methode der Sozialen Arbeit. Ihr Aufsatz unter Katrin Feldermann, Frankfurt am Main streicht die Parallelen zwischen Erlebnispädagogik 289 312 Fußball und Fansozialarbeit und sportbezogener Sozialer Arbeit. Die Arbeit Entwicklung, Selbstverständnis und Bedeu- mit jugendlichen Straftätern basiert häufig auf tung der sozialpädagogischen Arbeit der kognitiven und mentalisierenden Methoden, Fanprojekte anstatt sich auf die leiblichen Aspekte sozialen Ralf Busch, Berlin Lernens zu stützen. Katrin Feldermann stellt eine Studie vor, bei der als Bewältigungsstrategie 319 Rundschau Allgemeines für Strafgefangene ein Kampf-Tanz aus Brasilien Soziales | 319 Gesundheit | 320 erfolgreich eingesetzt wurde. Über das fast schon Jugend und Familie | 322 klassische Gebiet der Fansozialarbeit im Fußball Ausbildung und Beruf | 322 berichtet Ralf Busch. Sein Beitrag thematisiert die Entwicklung und den aktuellen Stand sozial 321 Tagungskalender pädagogischer Arbeit in Fanprojekten. 323 Bibliographie Zeitschriften Unser besonderer Dank gilt Martin Schön- wandt vom Deutschen Olympischen Sportbund, 326 Verlagsbesprechungen der dieses Heft mit einem Gasteditorial eröffnet. 328 Impressum Die Redaktion Soziale Arbeit Dieser Ausgabe liegt ein Prospekt der Zeitschrift „neue caritas“ bei. Eigenverlag Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen
Gasteditorial von Martin Schönwandt, Deutscher Olympischer Sportbund So einleuchtend die Verknüpfungen zwischen Sport und Sozialer Arbeit auch sind, sie haben noch nicht so zueinandergefunden, wie es zu wünschen wäre. Der wohlbegründete fachwissenschaftliche An- spruch der Sozialen Arbeit auf der einen Seite steht Es scheint Konsens zu sein: Bewegung, Spiel und allzu oft im Konflikt mit den selbst zugeschriebenen Sport tun den Menschen und der Gesellschaft gut. sozialen Leistungen des Sports auf der anderen. Sport hat sich schon lange als methodischer Zugang Legitimationsnöte paaren sich mit dem wissenschaft- in den Angeboten der Sozialen Arbeit etabliert. Waren lichen Anspruch, nicht alles in einen Topf zu werfen. es zunächst vor allem erlebnispädagogische Inhalte, Es gilt zu differenzieren und Begriffe wie auch Kate- leuchten heute die sportbezogenen Inhalte und gorien herauszuarbeiten, die den eigenen fachlichen Methoden der Sozialen Arbeit in allen Spektralfarben: Zugang beschreiben und in Qualitätsmerkmale gegos- Billard- und Tischtennisturniere gehören zum Standard sen beurteilen helfen, was Soziale Arbeit ist und vor in Jugendzentren; Straßenfußballprojekte haben sich allem auch, was Soziale Arbeit nun nicht ist. Und da fest etabliert; Breakdance und Hiphop bieten Events steht dann der gemeinnützige Sportverein im Blick: und Festivals zuhauf; Körperarbeit wird im Kontext Selbstorganisiert, von freiwilligem ehrenamtlichen sozialer Projekte in neue Formen gegossen, wie zum Engagement getragen und von Menschen gestaltet, Beispiel „Calisthenics“. Der gemeinnützige Sport die – diplomatisch ausgedrückt – unterschiedliche propagiert mindestens genauso lange, dass Sport für Qualifikationen mitbringen und motiviert sind, etwas alle zugänglich sein soll. Die Sportvereine entwickeln zum Gemeinschaftsleben beizutragen, vielleicht aber ihre Angebote kontinuierlich und erfolgreich weiter. auch nur der eigenen Eitelkeit frönen. Wie auch In Ballungsgebieten wird immer öfter ein Aufnahme- immer: Neben den Großsportvereinen, die über haupt- stopp vermeldet, weil Sportstätten und Übungsräume beruflich besetzte Geschäftsstellen verfügen und in nicht im benötigten Umfang zur Verfügung stehen. ihrem sozialen Umfeld mit einer breiten Angebots 290 In der Praxis sind vor diesem Hintergrund viele palette fest verankert sind, haben Sportvereine in Deutschland einen überwiegend geringen Institutio- Brücken zwischen der Sozialen Arbeit und dem orga- nalisierungsgrad und sind eher ein gutes Stück geron- nisierten Sport entstanden. Das reicht von sozialpäda- nene Nachbarschaft. Aber das sind sie eben auch: gogischen Fanprojekten über Mitternachtssport und ein gutes Stück Nachbarschaft. Sie sind (noch) in aktuell Sportangeboten für Geflüchtete, um ihnen hohem Maße agil und anpassungsfähig an die jewei- den Alltag etwas zu erleichtern. Auch verschiedene ligen Entwicklungen, bieten sportliche Wettbewerbe Stiftungen, die sich aus dem Sport entwickelt haben an, sind Orte der Begegnung und tragen so als Wahl- oder von einzelnen Sportlerinnen und Sportlern ein- gemeinschaften erheblich zum Zusammenhalt in gerichtet wurden wie beispielsweise die Dirk Nowitzki unserer Gesellschaft bei. Stiftung, fördern oft soziale Projekte im Sport, national und international. Allerdings ändern sich die Rahmenbedingungen immer schneller und der Anpassungsdruck nimmt zu. Zwei Gedanken zum Sport sind im Hinblick auf Die Aufgabe, guten und durchaus auch erfolgreichen seine sozialen Dimensionen leitend: Zum einen geht Sport gerade für junge Menschen zu organisieren, es darum, dazu beizutragen, allen interessierten bewegt sich grundsätzlich in völlig anderen Kontex- Menschen die Angebote, Unterstützungen und Räume ten und verfolgt andere Ziele als die Soziale Arbeit. zur Verfügung zu stellen, die sie für die Entwicklung Und an dieser Stelle sind die Sphären voneinander und Entfaltung ihrer Persönlichkeit brauchen. Zum getrennt, obwohl sie in der Praxis vielfach zusam- anderen können Sportvereine und -verbände auch mengefunden haben, und Sinnhaftigkeiten sind nur als intermediäre Plattformen verstanden werden, die aus dem jeweils eigenen Kontext zu bewerten. Soziale Arbeit 8.2017 vielfältige Möglichkeiten zur Teilhabe, Partizipation und zum Engagement und damit Zugänge zu gesell- Gleichzeitig wächst durch unsere auseinander- schaftlichen Institutionen eröffnen sowie Gemeinsinn driftende Gesellschaft der Druck, über alles Trennende stiftende Gelegenheiten schaffen, Demokratie unmit- hinweg gemeinsam mehr für den Zusammenhalt zu telbar zu erleben. tun, auch in der Theorie Gemeinsamkeiten zu ent
DZI KOLUMNE Sportsfreunde decken und Schnittstellen für eine partnerschaftliche Besonders für Kinder und Jugendliche ist die Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Ansatz Welt des Sports eine wahre Schatzkiste: Sie ent belastbar zu begründen. Und das nicht nur, weil hier decken eigene Talente, entwickeln ihre körperlichen die Praxis vorauseilt, sondern vor allem auch, weil und mentalen Fähigkeiten, erleben ursprüngliche nicht abzusehen ist, dass die weltweiten ökologischen, Freude an der Bewegung und erfahren den Wert ökonomischen und vor allem auch sozialen Entwick- der Gemeinschaft, wenn sie Enttäuschungen ver lungen aus dem Krisenmodus herausfinden werden: arbeiten und Erfolge gemeinsam feiern. Eltern Die sozialen Scheren, wo immer man sie auch anle- begleiten diese Schatzsuche ähnlich emotional. gen will, gehen weiter auseinander, Rassismus und Zugleich empfinden sie, meistens jedenfalls, große Fremdenfeindlichkeit nehmen zu und enden viel zu Dankbarkeit gegenüber den vielen Ehrenamtlichen oft in Gewalt auf den Straßen, bei Festen und Konzer- in den Sportvereinen, die als Trainer und Trainer ten oder gegenüber den Menschen, die zu uns gekom- innen oder Vereinsverantwortliche ihre Kinder men sind, um hier Schutz zu finden. Dem entgegen- betreuen, begleiten und fördern. zuwirken, ist gleichermaßen Aufgabe der Sozialen Arbeit und des Sports. Ansatzpunkte dafür gibt es Der Sport ist mit 133.000 Vereinen nach Anga- genug, sowohl im Hinblick auf die Entfaltungsbe- ben des jüngst veröffentlichten ZiviZ-Survey 2017 dürfnisse und Entwicklungsaufgaben der Menschen das größte Feld bürgerschaftlichen Engagements als auch in der Zusammenarbeit von gemeinnützigen in Deutschland. In immerhin 63 Prozent der Vereine Sportorganisationen und Einrichtungen der Sozialen ist die Zahl freiwillig Engagierter zwischen 2012 Arbeit. Deshalb ist es trotz fachwissenschaftlicher und 2016 konstant geblieben, 15 Prozent konnten Fokussierung auf der einen Seite und einer aus gemäß den ZiviZ-Erhebungen sogar noch Enga einem Verantwortungsgefühl heraus motivierten gierte hinzugewinnen. Bereitschaft, sich an der Bewältigung auch komple- xer gesellschaftlicher Aufgaben zu beteiligen, auf der Dennoch steht das so wertvolle freiwillige Enga- anderen höchste Zeit, die Kräfte – theoriegeleitet – auf der Basis eines gemeinsamen Handlungsver- gement im Sport vor großen Herausforderungen: Immer weniger Familien seien generationsübergrei- 291 ständnisses zu bündeln und auch gemeinsam zu ent- fend in den Vereinen aktiv, klagen etwa erfahrene falten, im Hier und Jetzt und für die Entwicklung Trainer, denen es schwerfällt, Nachfolger zu finden. einer weltoffenen, demokratischen und sozialen In vielen Bereichen haben sich gewerbliche Anbieter Gesellschaft. etabliert, die Sportarten mit größerer Unverbindlich- keit anbieten – der Zeitgeist lässt grüßen – zum Beispiel mit Fitness-Studios, Kletter- oder Trampo linhallen. Ganztagsschulen und die zunehmend geforderte Flexibilität in der Arbeitswelt machen es immer schwerer, in den vergleichsweise starren Strukturen eines Sportvereins aktiv zu sein. Und nicht zuletzt belasten auch Doping- und Korrup tionsskandale in Sportverbänden deren Image und zivilgesellschaftlichen Wert. Es ist dem bürgerschaftlich organisierten Sport zu wünschen, dass er diese Herausforderungen annimmt und daran wächst: durch mehr Flexibilität, eine erhöhte Bereitschaft zur Transparenz und die Aufarbeitung eigener Fehlentwicklungen. Das h aben Soziale Arbeit 8.2017 nicht zuletzt auch die Millionen von ehrenamtlich Engagierten mehr als verdient. Burkhard Wilke wilke@dzi.de
Lebensweltorientierte Sportsozialarbeit Birgit Steffens; Julie Winkel und sich für soziale Themen öffnen. So haben sich zur Gestaltung präventiv wirkender Settings Trainer- fortbildungen sowie eigens aufgebaute Strukturen wie zum Beispiel die Stellen für Kinderschutzbeauf- tragte bewährt, die Trainierenden als Anlaufstelle Zusammenfassung | Der Artikel gibt Ein- dienen und Orientierung im oft undurchsichtigen blick in die Vielfalt sportorientierter Sozialer Hilfesystem bieten. Aus dem 3. Deutschen Kinder- Arbeit und erörtert, wie sich die Anschlussfähig- und Jugendsportbericht geht hervor, dass zahlreiche keit theoretischer Konzepte der Sozialen Arbeit Aktivitäten der Deutschen Sportjugend und ihrer zur weiteren Professionalisierung in diesem Mitgliederverbände bestehen, um die übersportliche Bereich erhöhen lässt. Nach der Definition sport- Entfaltung pädagogischer und sozialer Potenziale orientierter Sozialer Arbeit und einem Überblick zu fördern (Sygusch; Liebl 2015, S. 253).2 Aktuell lässt über diesbezügliche Angebote wird das Berliner sich zum Beispiel auch im Kontext der sozialen Inte- KICK-Projekt in seiner lebensweltorientierten gration geflüchteter Menschen eine erhöhte Nach- Ausprägung dargestellt. Abschließend werden frage nach Sportangeboten beobachten. Die Vorteile liegen auf der Hand: Fußball beispielsweise ist ein curriculare Überlegungen formuliert. Spiel, das keinen elitären Zugang erfordert, eine niedrigschwellige Kontaktaufnahme ermöglicht und Abstract | This article provides an insight weltweit nach den gleichen Regeln gespielt wird. into the diversity of sports-oriented social work and deals with the question of how the compa- Dem Sport wird insgesamt eine große Bedeutung tibility of theoretical social work concepts can zugeschrieben. Derzeit sind im Deutschen Olympischen be enhanced in order to further improve profes- Sportbund (DOSB), dem Dachverband des organisier- sionalization. After defining the notion of sports- ten Sports in Deutschland, mehr als 27 Millionen Mit- oriented social work, we will give an overview 292 of offers to this effect and subsequently we will gliedschaften in über 90 000 Turn- und Sportvereinen registriert (Thiel u.a. 2013, S. 201). Neben den Sport- portray the Berlin project “KICK – Sports Against vereinen gewinnen auch der selbstorganisierte Sport, Juvenile Delinquency” in its lifeworld orientation. kommerzielle Sportangebote und der Gesundheits- Finally, curricular considerations will be pre sport stetig an Bedeutung. Laut dem Eurobarometer sented. sind zirka 70 Prozent der deutschen Bevölkerung (wenn auch nicht regelmäßig) sportlich aktiv (Euro Schlüsselwörter Soziale Arbeit pean Commission 2014, S. 7). Auf der anderen Seite Sport Theorie Methode ist ein hoher Anteil an Kindern und Jugendlichen in Jugendhilfe Sozialraum Deutschland sportlich inaktiv, vor allem jene aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status 1 Sportorientierte Soziale Arbeit1 | Die erreichen die Angebote der Sportvereine nur bedingt enorme Ausweitung und Etablierung des Sports als (Manz u.a. 2014, S. 845). Als bewegungsassoziierte Medium in der Praxis der Sozialen Arbeit hat im Laufe Gesundheitsfolge kann hier beispielsweise die in den der letzten Jahrzehnte zu einer vielgestaltigen Ange- letzten Jahren gestiegene Zahl von Adipositas-Erkran- botsszene geführt. In den sozialen Diensten sind kungen im Kindes- und Jugendalter gesehen werden Sportangebote insbesondere im Feld der Kinder- und (Kurt; Schaffrath-Rosario 2010, S. 647). Jugendhilfe angesiedelt. Beispielsweise boten nach Angaben der Stiftung Demokratische Jugend im Jahr 1-1 Gegenstand | Krüger folgend lässt sich die 2011 mehr als 60 Prozent der Einrichtungen ihren Schnittstelle zwischen Sport und Sozialer Arbeit aus Besuchern und Besucherinnen die Möglichkeit, Sport zwei Perspektiven betrachten: aus Sicht des Sports und Soziale Arbeit 8.2017 zu treiben (Winkel 2012, S. 63). Auch lässt sich fest- aus Sicht der Sozialen Arbeit (Krüger 2003, S. 1813). stellen, dass die Sportverbände auf den von ihnen Aus Sicht des Sports wird dem Sport per se eine beobachteten Bedarf sozialpädagogischer Betreuung soziale Bedeutung im Sinne des sozialen Lernens und durch den Einsatz von Fachkräften reagiert haben 2 Eine Quantifizierung entsprechender Angebote 1 Eine einheitliche Benennung hat sich bislang liegt aufgrund der fehlenden systematischen Erfas- nicht durchgesetzt, so ist mitunter auch von sport- sung von sportbetonten Angeboten in der Jugend- bezogener Sozialer Arbeit die Rede. hilfe derzeit nicht vor (Schmidt 2015, S. 228).
der Persönlichkeitsentwicklung bis hin zu emanzipa- gruppe noch nur das soziale Setting (soziale Dienste, tiven Wirkungen beigemessen.3 Das vom DOSB 2009 Jugendhilfeträger etc.), sondern sie sieht die Verwe- herausgegebene Memorandum Schulsport nennt, bung mit sozialpädagogischen Handlungsansätzen unter Betonung der pädagogisch verantwortlichen wie der Lebensweltorientierung oder der Sozialraum Inszenierung und Reflexion des Sportgeschehens, orientierung vor und bezieht die Lebenswelt außer- konkret, dass „Prozesse einer bewegungsdialogischen halb des professionellen Settings (Familie, Schule etc.) Selbsterfahrung und ganzheitlichen Entwicklungsför- mit ein. derung angeregt werden, dass der Erwerb von Schlüs- selkompetenzen wie Teamfähigkeit angebahnt und Sport wird somit als Teil eines integrierten Unter- die Möglichkeit der Identitätsbildung aufgegriffen stützungsprozesses angesehen, das heißt sport- und wird“ (DOSB 2009, S. 5). sozialpädagogische Elemente greifen ineinander und ordnen sich damit dem sozialpädagogischen Ziel der Sport wird demnach als „Instrument der Bildung, Teilhabe und Lebensbewältigung unter. Sportorien- Unterstützung und Hilfe benutzt und theoretisch tierte Soziale Arbeit schaut auf die Schnittstelle zwi- begründet“ (Krüger 2003, S. 1813), und zwar sowohl schen Sport und Sozialer Arbeit, und zwar mit dem unbewusst als auch intendiert, wie es in der gängigen Selbstverständnis der Sozialen Arbeit, das heißt aus Formel „Erziehung im und durch Sport“ zum Ausdruck den Strukturen und Logiken dieser Disziplin heraus; kommt. Während Erziehung im Sport Erziehungspro- sportwissenschaftliche Zugänge werden dabei einbe- zesse in den Blick nimmt, die in sportlichen Kontexten zogen. Die von der International Federation of Social per se, das heißt unintendiert ablaufen, sind mit Workers (IFSW) 2014 verabschiedete internationale Erziehung durch Sport Erziehungsprozesse gemeint, Definition Sozialer Arbeit wird dabei zugrunde gelegt.5 bei denen Sport bewusst als Instrument eingesetzt Dem benannten Ziel folgend ist Soziale Arbeit, neben wird (ebd., S. 1816). Neben diesem pädagogischen gesellschaftskritischer Arbeit auf Strukturebene, fall- Motiv wird in den Sportwissenschaften auch ein bezogen auf partizipative Unterstützung ausgerichtet. sportbezogenes Motiv verfolgt, das sich in der Formel „Erziehung zum Sport“ ausdrückt und pädagogisch Auf beiden Ebenen kann der Sport einen wichtigen Baustein darstellen. 293 auf die Erschließung der Sport- und Bewegungskultur und die darin enthaltenen Normen und Werte, wie 1-2 Feldbetrachtung | Thematisch wird Sport Leistung, Miteinander oder Fairplay, zielt, um auf diese als Medium in der Sozialen Arbeit vor allem in den Weise persönlichkeitsbildende Effekte zu erzielen Bereichen (1) Bildung, zum Beispiel offene Jugend (DOSB 2009, S. 5, Baur; Braun 2003). arbeit, Bewegungsförderung in Kitas, (2) Gesundheits- förderung, wie Rehabilitation, Sport mit Menschen mit Aus Sicht der Sozialen Arbeit lässt sich Sport als Behinderung, sowie (3) Integration benachteiligter ein Medium zur Förderung sozialen Lernens nutzen Gruppen, also Sucht- und Gewaltprävention, Arbeit und ergänzt in dieser Bedeutung das sozialpädago- mit geflüchteten Menschen etc., eingesetzt. Die Arbeit gische Handlungsrepertoire (Krüger 2003, Welsche kann sowohl primär- als auch sekundär- und tertiär- u.a. 2013). Sportorientierte Soziale Arbeit, kurz: Sport präventiv ausgerichtet sein. Gerade wegen des ziel- sozialarbeit, wird nach dem Verständnis der Autorin- gruppenübergreifenden Angebotes wird Sportsozial- nen dieses Beitrags entsprechend nicht als einfache arbeit weniger als eigenes Handlungsfeld definiert, Rezeption sportpädagogischer Ansätze in der Sozialen sondern eher bestehenden Handlungsfeldern bezie- Arbeit verstanden und lässt sich demnach auch nicht hungsweise Zielgruppen zugeordnet. Nicht immer unter die bewegungs- und erlebnispädagogischen wird die Arbeit von sozialpädagogischen Fachkräften Ansätze subsumieren.4 Das Sozialpädagogische der durchgeführt oder angeleitet, zudem gibt es große sportorientierten Sozialarbeit ist weder nur die Ziel- methodische Unterschiede. Hier besteht Diskussions- bedarf, welche Rolle Soziale Arbeit dann einnimmt Soziale Arbeit 8.2017 3 In der Geschichte des Sports finden sich zahl beziehungsweise inwieweit von sportorientierter reiche Vertreter dieser Position, unter anderem bei Sozialer Arbeit gesprochen werden kann. Pestalozzi und Coubertin (Krüger 2003). Weitere Ausführungen zu informellen Lernprozessen bietet 5 https://www.dbsh.de/fileadmin/downloads/% unter anderem Neuber (2010). C3%9Cbersetzung_der_Definiton_Sozialer_ 4 Eine ausführliche Darstellung erlebnispädago Arbeit_deutsch.pdf gischer Ansätze nehmen Heiko Löwenstein und Christopher Ott im vorliegenden Heft vor.
Methodisch finden in der sozialpädagogischen Menschen (SPOSA)“ initiiert und gemeinsam mit der Praxis insbesondere sport- und bewegungsbasierte Katholischen Hochschule Freiburg weiterentwickelt. Techniken eine breite Anwendung, zum Beispiel zur Im Vordergrund steht hier die Zusammenarbeit von Gruppenstärkung oder zur biopsychosozialen Kompe- Hochschulen mit Sportorganisationen sowie Kinder- tenzentwicklung.6 Daneben gibt es Projekte, denen und Jugendhilfeeinrichtungen, in denen Handlungs- ein sportpädagogisches Konzept zugrunde liegt, wie prinzipien der Lebensweltorientierung und sportpäda- zum Beispiel der Sportleitplan im Strafvollzug (Krüger gogische Ansätze in Projekten erprobt und evaluiert 2003), oder Projekte, die sport- und sozialpädagogi- werden (Seibel 2013, S. 39). sche Methoden konzeptionell verknüpfen, wie das Berliner KICK-Projekt der Gesellschaft für Sport und Im Folgenden werden exemplarisch anhand des Jugendsozialarbeit gGmbH (GSJ). Auch hier stehen lebensweltorientierten Ansatzes Potenziale für die gruppenbezogene Angebote im Vordergrund. Sportsozialarbeit dargestellt. Nach einer kurzen Ein- führung in die Grundzüge des Ansatzes wird dessen Auf gesellschaftlicher Ebene sind unter anderem praktische Umsetzung anhand des Berliner KICK- Antidiskriminierungskampagnen oder Fanprojekte Konzeptes beschrieben. beziehungsweise Lernzentren zu nennen, die ihre Arbeit auf die Förderung positiver Fankulturen, 2-1 Das Konzept der Lebensweltorientierung Gewaltprävention und Demokratiestärkung ausrich- nach Thiersch | Ein zentrales Leitthema bei Thiersch ten (Derecik; Züchner 2015, S. 230 f.). Aufgrund der ist die Theorieentwicklung der Alltags- beziehungs großen Attraktivität des Sports können insbesondere weise Lebensweltorientierung7 seit den 1970er-Jah- Fußballvereine Menschen verbinden und dienen damit ren, die sich in der Praxis Sozialer Arbeit mittlerweile als Ausgangspunkt, um Lernprozesse zu initiieren. Als als handlungsleitend etabliert hat. „Über die Jahr- Besonderheit dieser Projekte ist anzumerken, dass zehnte hinweg entwickelte sich die Lebensweltorien- hier, insbesondere in der Arbeit mit gewaltbereiten tierung zu einer grundlegenden Orientierung sozial- 294 Fußball- beziehungsweise Sportfans, der Sport auch zum Anlass für abweichendes Verhalten werden pädagogischer Praxis, die sich in politisch-strukturel- len Rahmenbedingungen verfestigt und in sozialpäd- kann (Krüger 2003, S. 1818). agogischen Institutionen und Handlungsmustern formiert hat“ (Füssenhäuser 2005, S. 145). 2 Lebensweltorientierte Sportsozialarbeit | In den letzten Jahren haben sich in der Sozialen Arbeit Aus Thierschs Fachkonzept der Lebensweltorientie- unterschiedliche theoretische Konzepte entfaltet, die rung ergibt sich auch sein Wissenschaftsverständnis. die Bildungspotentiale, die aus körperlicher Bewegung Gegenstand der Wissenschaft ist eine auf die Praxis beziehungsweise dem Sport erwachsen, ausschöpfen, bezogene Analyse des Alltags und der Lebensbewäl- um einen Beitrag zur individuellen Entwicklung, tigung der Adressaten und Adressatinnen. Thiersch besonders von Kindern und Jugendlichen, zu leisten. richtet den Fokus Sozialer Arbeit demnach primär auf Neben verschiedenen erlebnispädagogischen, sozio- die Anforderungen der Praxis und entwirft damit, auch kulturellen (Fanarbeit) und sozialökologischen Ansät- ohne dies explizit zu formulieren, einen Gegenstands zen sind der bewegungs- und körperorientierte Ansatz, bezug, der einerseits an die soziale Wirklichkeit und der schwerpunktmäßig unter Peter Becker im Fachbe- andererseits an die Verflochtenheit des Alltags mit reich Erziehungswissenschaften, Lehr- und Forschungs- sich wandelnden gesellschaftlichen Strukturen und einheit Sportwissenschaft, der Philipps-Universität Bedingungen rückgebunden wird (Füssenhäuser 2005, Marburg entwickelt und verbreitet wurde sowie die S. 194). Das Konzept der Lebensweltorientierung zielt sportbezogene lebensweltorientierte Soziale Arbeit entsprechend auf der einen Seite auf die Förderung hervorzuheben (Michels 2014, S. 78). Letztere wurde sozialer Gerechtigkeit und auf der anderen Seite auf Ende der 1980er-Jahre durch Bernd Seibel an der einen besser gelingenden Alltag. Das Konzept wird Soziale Arbeit 8.2017 Evangelischen Hochschule Freiburg im Rahmen der im Folgenden nicht zur Gänze dargelegt, sondern es Zusatzqualifikation „Sportbezogene, lebensweltorien- werden lediglich anhand des Eigensinns der Alltags- tierte Soziale Arbeit mit sozial benachteiligten jungen 7 Lebensweltorientierung wird als theoretisches 6 Kategorisiert man die Sportangebote in der Sozia- Konzept und, einem weiten Begriffsverständnis fol- len Arbeit nach methodischen Aspekten, bietet sich gend, als Rahmen für unterschiedliche theoretische die Sortierung gemäß Geißler; Hege (2007) in Kon- und praktische Entwicklungen verstanden (Thiersch zept, Methode, Technik an. u.a. 2012, S. 175).
strukturen und der Doppelgestalt Sozialer Arbeit die schwellig Borniertheit aufbrechen und Möglichkeiten Potenziale des Ansatzes für die sportorientierte Soziale eröffnen, etwas Neues zu wagen. Arbeit aufgezeigt. 2-1-2 Die Doppelgestalt Sozialer Arbeit | 2-1-1 Der Eigensinn der Alltagsstrukturen | Der Gegenstand der Praxis wird durch die „Doppel- Die Lebensweltorientierung geht von den Alltagsstruk- gestalt“ (Füssenhäuser 2005, S. 190) der Sozialen turen und Bewältigungsversuchen der Menschen aus Arbeit konkretisiert, die zwischen der Unterstützung (Thiersch u.a. 2012). Dem stetigen Geschäft des All- in besonders schwierigen, schlecht ausgestatteten tags kann man sich weder entziehen noch kann man Lebensverhältnissen und der Unterstützung bei der es jemand anderem übertragen. Es schafft sich so Lebensbewältigung vor dem Hintergrund erhöhter Routinen, um handlungsfähig zu bleiben. Alltag wird Lebensrisiken insgesamt unterscheidet (ebd. 2005). als in sich dialektisch betrachtet. Er bringt durch seine Zu Letzterem lässt sich unter anderem sagen, dass Pragmatik und seine Routinen einerseits Sicherheit die Bewältigungsanforderungen für Heranwachsende und Entlastung mit sich. Auf der anderen Seite engen im Kontext der Individualisierung und Pluralisierung die Handlungsroutinen ein, man probiert nichts Neues, von Lebensentwürfen insgesamt gestiegen sind. Die geht Kompromisse ein, richtet sich bequem ein (ebd. damit einhergehende potenzielle Verfestigung risiko- 2012). Der von Thiersch benannte Eigensinn besteht reichen Verhaltens und die Kanalisierung in abwei- in einem bornierten Festhalten am Gegebenen. Darü- chendes Verhalten bringen einen erhöhten sozial ber hinaus bezeichnet Eigensinn die Individualität pädagogischen Handlungsbedarf mit sich. der Bewältigung. Es ist die subjektive Deutung der Verhältnisse der Menschen, ihre Anstrengung, Raum, Böhnisch und Schröer beschreiben die Anforderun- Zeit und soziale Bezüge zu gestalten, sei es durch gen an Jugendliche heute als sogenannte „Bewälti- eine bestimmte Sprache oder ein bestimmtes Alltags- gungsfallen“. So bezeichnen sie beispielsweise mit der wissen, was auch das Jonglieren zwischen verschiede- Selbstständigkeitsfalle das Phänomen, dass Jugend nen Lebenswelten einschließt. Dies gilt in besonderem Maße für Heranwachsende, die sich bewusst abgren- liche zwar früh soziokulturell selbstständig sind, gleich- zeitig aber den gesellschaftlichen Druck spüren, die 295 zen wollen. Durch ihre Art der Bewältigung definieren „Dynamik der Adoleszenz“ (Böhnisch; Schröer 2013, sie sich, sie ist Teil ihrer Identität, die in ihrer Lebens- S. 107), das Moratorium zu unterdrücken, sich also welt sichtbar wird und als solche zu verstehen und schnell in die Gesellschaft einzufügen, ohne sich vor- zu respektieren ist. Thiersch u.a. sprechen hier von her an ihr zu reiben. Jugendliche wählen häufig das „Anerkennung des Anderen in seinem So-Sein“ (ebd., sogenannte Flexibilitätsmodell: Die aufgestaute Inno- S. 177). Lebensweltorientierte Soziale Arbeit ist dem- vationskraft wird hier statt in Protest in neue Techno- nach sowohl beschreibend als auch normativ: „Als logien (ebd., S. 107) oder sportliche Tätigkeiten umge- Handlungskonzept verbindet sie den Respekt vor dem leitet. Durch diese neuen Unsicherheiten wird Soziale Gegebenen mit dem Vertrauen in Potentiale und Arbeit noch wichtiger (Thiersch u.a. 2012) und muss Entwicklungsmöglichkeiten im Feld“ (ebd., S. 179). noch konkreter an der Lebenswelt ansetzen, um die Menschen auch zu erreichen. Der Sport als Medium Entsprechend ist in der sportorientierten Sozialen kann hier als neuer Weg gesehen werden, der direkt Arbeit auf die individuellen Ausdrucksmöglichkeiten an die Lebenswelt beziehungsweise den Lebensstil Heranwachsender Rücksicht zu nehmen, die sich oft Heranwachsender anknüpft. Außerdem findet die nicht in Angeboten des organisierten (Breiten-)Sports Körperlichkeit als Element ganzheitlicher Bildung in abbilden. Jugendliche schätzen Bewegung und Sport, besonderer Weise Berücksichtigung. Darüber hinaus wenn sie wenig sportmotorische Fähigkeiten voraus- eignet sich der Sport für die räumliche Aneignung als setzen, an jugendkulturelle Bewegungen anschließen, jugendspezifisches Verhalten. flexibel hinsichtlich Raum, Zeit und Inhalt sind und Soziale Arbeit 8.2017 sich auf andere Lebensbereiche problemlos übertra- 2-2 Das KICK-Konzept | Das Besondere des gen lassen (Kösterke; Stöckle 1989, zitiert nach Pilz Lebensweltkonzeptes liegt in der Betonung des Alltags 2003). Dies ist anschlussfähig an jugendspezifische und der Ausarbeitung lebensweltbezogener Arrange- Bedürfnisse des Sich-Ausprobierens. Gleichzeitig kann ments, die je nach Handlungsfeld anhand der Struktur- Sport mit seiner enormen motivationalen Kraft niedrig- und Handlungsmaximen unterschiedlich auszuformen
sind (Thiersch u.a. 2012, S. 186).8 In dem von Thiersch gruppe“ von gefährdeten Jugendlichen hinaus, um und Grunwald (2016) herausgegebenen Praxishand- „die Selbstverstärkungseffekte gleicher Jugendgrup- buch werden verschiedenste lebensweltbezogene pen nicht zu erhöhen“ (Heitmann; Martens 2013, S. 4). Arrangements dargelegt, zum Beispiel für die Schul- Die Angebote zielen auf die Prävention von Gewalt sozialarbeit oder die Mädchenarbeit. Die Skizzierung und konflikthaftem Verhalten und unterstützen die eines solchen lebensweltbezogenen Arrangements Entwicklung von Alltags- und Lebenskompetenz der steht für die Sportsozialarbeit noch aus. Gleichwohl Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch Sport: „Er wird der Ansatz in der Praxis rezipiert. Das Berliner muss zur Vermittlung von Werten keine abstrakte KICK-Konzept entwirft ein solches lebensweltbezo- kognitive Debatte anstrengen, keine moralisierende genes Arrangement, ohne es allerdings direkt so zu Unterweisung oder Belehrung organisieren. Die benennen. Es wird im Folgenden exemplarisch anhand Erkenntnis von Normen, von Fairplay, von Rücksicht- der Struktur- und Handlungsmaximen der Prävention nahme wie Leistungsbereitschaft ist quasi schon im und der Regionalisierung rekonstruiert.9 Praxis-Feld angelegt“ (ebd., S. 12). Das KICK-Projekt der GSJ gGmbH begann vor KICK-Projekte arrangieren verhaltenspräventive mehr als 20 Jahren auf Initiative der Berliner Polizei Aktivitäten sowohl im Rahmen klassischer Bildungs- und der Sportjugend Berlin und nimmt seither einen institutionen wie Schulen als auch in informellen festen Platz in der Szene der Berliner Sportsozialarbeit Settings und an nonformalen Lernorten wie Jugend- ein. „Maßgebliche Kriterien für die Standortauswahl cliquen oder Sportvereinen (Neuber 2010, S. 13). in den Bezirken waren [damals] ein hoher Bevölke- Schwerpunktmäßig beziehen sich die Angebote auf rungsanteil an Kindern und Jugendlichen in konflikt- den Umgang mit Konflikten und Alltagsproblemen; trächtigen oder sozialen Brennpunkten und fehlende sie werden in Form von Kursen, Präventionswochen Angebote für eine bedürfnisorientierte Freizeitgestal- oder Sozialraumerkundungen durchgeführt. Sport- tung“ (Heitmann; Martens 2003). Präventiv sollten und erlebnispädagogische Methoden im Rahmen von 296 dem Abgleiten in die Kriminalität entgegengewirkt und sinnvolle Freizeitbeschäftigungen geschaffen Sozialer Gruppenarbeit werden eingesetzt, um Werte des sozialen Lernens zu vermitteln, Alltagskompeten- werden. Daraus leiteten sich folgende Handlungsan- zen zu erweitern und psychische wie soziale Ressour- sätze ab, die bis heute von KICK verfolgt werden (ebd.). cen zu stärken. 2-2-1 Handlungsmaxime Prävention | Prä- Die mit KICK eng kooperierenden Angebote „KICK vention wird als allgemeine Aufgabe Sozialer Arbeit on ICE“ und „KICK im Boxring“ nutzen die sportarten- gesehen. Es geht darum, den einzelnen Menschen spezifischen Besonderheiten des Eishockeys und des im Umgang mit Lebensschwierigkeiten zu stärken. Boxens, um den Jugendlichen gesellschaftliche Nor- Sekundärpräventive Angebote sollen Unterstützung men zu vermitteln, die sich aus sportlichem Handeln in schwierigen Lebenslagen leisten, so dass vorher- ableiten lassen. Darüber hinaus wird auch den sehbare Belastungen und Krisen nicht zum Ausbruch Wünschen der Jugendlichen nach der „Erprobung kommen (Thiersch; Grunwald 2014, S. 347). eigener Kraft, der Suche nach Spannung [...] sowie der Modellierung des eigenen Körpers“ (Heitmann; KICK versteht sich als ein präventives Angebot Martens 2013, S. 12) nachgegangen, um sie in ihrer gegen Jugenddelinquenz und richtet seine Angebote jugendlichen Identitätsentwicklung zu unterstützen. an alle Jugendlichen, das heißt auch über die „Risiko Auch das Angebot „KICK Task-Force“, das bei der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Frem- 8 Die Dimensionen lebensweltorientierter Sozialer denfeindlichkeit und Gewalt Vereine und weitere Arbeit wie zum Beispiel Raum, Zeit und soziale Einrichtungen der Jugendarbeit beziehungsweise der Bezüge konkretisieren sich in den Struktur- und Jugendsozialarbeit berät und praxisrelevante Lösun- Soziale Arbeit 8.2017 Handlungsmaximen, die auch im 8. Kinder- und gen anbietet, agiert im Handlungsfeld der Prävention. Jugendhilfebericht dargelegt werden. Die Maxime umfasst allgemeine Prinzipien wie die Alltagsnähe, die Dezentralisierung, die Regionalisierung, die Inte- Zu beachten sei bei allen Aktivitäten, dass das gration und die Partizipation (Thiersch u.a. 2012, reine Anbieten von Freizeit- und Sportmaßnahmen S. 188). noch keine Sportsozialarbeit ausmacht, sondern dass 9 Auch die übrigen Struktur- und Handlungsmaximen lassen sich anhand der KICK-Konzeption und deren Umsetzung rekonstruieren.
erst „gezielte pädagogische Interventionen und die weise Angebote wie Sportturniere oder Fußball-Nights Präsenz von ‚vorbildhaften’ Erwachsenen“ (Heitmann; in unmittelbarer Nähe oder direkt in Vereinssport- Martens 2013, S. 4) sowie der Einsatz von Fachkräften stätten stattfinden. Zudem beleben direkte Kontakte aus der Sozial- und Sportpädagogik die sekundär- und zwischen Trainern und Trainerinnen aus den Sport- tertiärpräventiven Kräfte des Sports zur Entfaltung vereinen und KICK-Mitarbeitenden die gegenseitige bringen können (Welsche 2013, S. 44). Kooperation. Dadurch wird den Jugendlichen eine größere Nähe zum organisierten Sport ermöglicht 2-2-2 Handlungsmaxime Regionalisierung | und sie können dessen vielfältige Angebote nutzen Regionalisierung zielt auf die Schaffung von Angebo- sowie einen Ort der sozialen Teilhabe aufsuchen. ten im Sozialraum, auf die Präsenz und die Erreich- barkeit der Unterstützungsleistungen vor Ort. Des Die seit dem Projektstart praktizierte Zusammen- Weiteren geht es um die Vernetzung und Kooperation arbeit mit der Berliner Polizei „bildet das wesentliche zwischen Institutionen, die für die Adressatinnen und Fundament des KICK-Projektes“ (Heitmann; Martens Adressaten sowie für den sozialpädagogischen Auf- 2013). Gemeinsam mit Schulen werden zum Beispiel trag von Bedeutung sind (Thiersch; Grunwald 2014). Präventionstage zu verschiedenen Themen von Jugendlichen, insbesondere des Jugendschutzes KICK-Projekte arbeiten an acht verschiedenen angeboten, Sportveranstaltungen zu Themen wie Standorten in Berlin, wobei jedes einzelne Projekt Integration oder Prävention zusammen durchge- eine an die Adressatinnen und Adressaten sowie die führt oder Interventionsangebote („Task-Forces“) lokale Situation angepasste inhaltliche Ausrichtung gemeinsam umgesetzt. Auch werden der ursprüng hat. So finden zum Beispiel am Standort Tiergarten lichen Idee von KICK folgend weiterhin delinquenz- regelmäßig Projekttage für Schulen mit dem Ziel eines gefährdete oder bereits straffällig gewordene Jugend- gewaltfreien Miteinanders im Schulalltag und in der liche auf freiwilliger Basis von der Polizei an KICK- Freizeit statt. Die Angebote werden am Standort direkt, Standorte vermittelt. Gerade bei diesen Jugendli- zugleich aber auch im unmittelbaren Nahraum im Sinne einer „mobilen, kiezorientierten (‚sportiven’) chen hat der Sport einen bedeutenden Stellenwert und kann daher ein geeignetes Zugangsmedium 297 Angebotspalette“ (Heitmann; Martens 2013, S. 7) bieten (ebd.). durchgeführt. Es werden Bolz- und Sportplätze, Frei- flächen und Sporthallen genutzt, zu denen die Jugend- 3 Curriculare Überlegungen zu einer sport lichen ansonsten erschwerten Zugang haben, um orientierten Sozialen Arbeit | Aus den Ausfüh- ihnen Mobilitätsgewinnung sowie Raumeroberung rungen lassen sich Ausbildungserfordernisse für den und -aneignung zu ermöglichen (Deinet 2014). Arbeitsbereich der sportorientierten Sozialen Arbeit ableiten, die sozialpädagogische, sportwissenschaft- KICK-Angebote richten sich insbesondere an liche und praxeologische Module vereinen und einen J ugendliche, bei denen „andere Hilfemaßnahmen Beitrag zu fundierten Konzepten sportorientierter nicht mehr greifen oder die für sie zu hoch angelegt Sozialer Arbeit leisten können.10 sind“ (Heitmann; Martens 2013, S. 12). Um die Jugend- ▲ Verknüpfung sozial- und sportwissenschaftlichen lichen jedoch adäquat und passgenau unterstützen Basiswissens: Anhand ausgewählter Zielgruppen sollte zu können, ist für die KICK-Teams der Anschluss zu eine modulare Verknüpfung von interdisziplinärem weiteren und bereits bestehenden Unterstützungs- Erklärungswissen und sozialpädagogisch-handlungs- systemen notwendig und eine enge Kooperation mit theoretischen Ansätzen hergestellt werden, die mit Partnern aus der Kinder- und Jugendhilfe, den Schu- sportwissenschaftlichen Grundlagen verknüpft len, den sozialen Diensten im Sozialraum und der werden.11 Polizei unerlässlich. 10 Die Erfahrungen im Rahmen des Projekttages Soziale Arbeit 8.2017 Der organisierte Sport findet im Rahmen der KICK- „Sport & Soziale Arbeit“, der seit 2014 von den Vernetzungsarbeit erhebliche Beachtung. So arbeiten Autorinnen an der Evangelischen Hochschule Berlin angeboten wird, fließen in diese Überlegungen ein. die Fachkräfte zwar im „Vorfeld von Sportvereinen“, eine verlässliche Zusammenarbeit mit dem organisier- 11 Die DOSB-Übungsleiterlizenz sollte in diesem ten Sport findet aber trotzdem statt, indem beispiels- Rahmen erworben werden. Im genannten Projekt- tag besteht hierzu seit 2016 eine Kooperation mit der Sportschule des Landessportbundes Berlin.
▲ Theorie-Praxis-Transfer: Durch Felderkundungen, Literatur Expertengespräche mit Praxisvertretern und -vertre- Baur, Jürgen; Braun, Sebastian: Integrationsleistungen von terinnen aus dem sozial- und dem sportpädagogischen Sportvereinen als Freiwilligenorganisation. Sportentwicklung Bereich und teilnehmende Beobachtungen sollte das in Deutschland. Aachen 2003 Böhnisch, Lothar; Schröer, Wolfgang: Soziale Arbeit. Eine Feld für die Studierenden erlebbar gemacht werden. problemorientierte Einführung. Heilbrunn 2013 In sportpraktischen Einheiten könnte den Studieren- Deinet, Ulrich: Das Aneignungskonzept als Praxistheorie den die Möglichkeit gegeben werden, Sport und seine für die Soziale Arbeit. In: http://www.sozialraum.de/das-an Wirkungen als pädagogisches Medium selbst anzu- eignungskonzept-als-praxistheorie-fuer-die-soziale-arbeit. wenden und zu beurteilen. Zur vertieften Aneignung php (veröffentlicht 2014, abgerufen am 16.2.2017) sollten die Studierenden gemeinsam ein sozial- und Derecik, Ahmet; Züchner, Ivo: Kinder und Jugendhilfe. In: sportpädagogisches, zielgruppenbezogenes Konzept 3. Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht. Kinder- und Jugendsport im Umbruch. Schorndorf 2015, S. 217-236 entwickeln und erproben. DOSB − Deutscher Olympischer Sportbund: Memorandum ▲ Feldforschung: Den Studierenden sollte ein Über- zum Schulsport. Frankfurt am Main 2009 blick über die programmatisch wie strukturell vielge- European Commission: Special Eurobarometer 412. Sport staltigen Arbeitsfelder sportorientierter Sozialer and Physical Activity. In: http://ec.europa.eu/health//sites/ Arbeit vermittelt werden, die dann kritisch diskutiert health/files/nutrition_physical_activity/docs/ebs_412_en. und auf Potenziale und neuralgische Punkte hin ana- pdf (veröffentlicht 2014, abgerufen am 28.1.2017) lysiert werden. Dies könnte in Form eines eigenstän- Füssenhäuser, Cornelia: Werkgeschichte(n) der Sozialpäda- gogik. Klaus Mollenhauer – Hans Thiersch – Hans-Uwe Otto. digen empirischen Forschungsprojekts im Sinne einer Baltmannsweiler 2005 Projektevaluation vertieft werden, um daraus Hand- Geißler, Karl-Heinz A.; Hege, Marianne: Konzepte sozial- lungsimplikationen für das Projekt und Überlegun- pädagogischen Handelns. Ein Leitfaden für soziale Berufe. gen zur künftigen Ausgestaltung des Arbeitsfeldes Weinheim und Basel 2007 abzuleiten. Heitmann, Helmut; Martens, Thomas: Kick Projekt – Das Konzept. In: http://www.kick-projekt.de/download/Das_ Konzept.pdf (veröffentlicht 1996, bis 2003 stetig aktualisiert, 298 Professorin Dr. Birgit Steffens ist Diplom-Sozial arbeiterin. Sie lehrt und forscht an der Evange abgerufen am 27.1.2017) Heitmann, Helmut; Martens, Thomas: KICK – Sport gegen lischen Hochschule Berlin zu Konzepten und Jugenddelinquenz – Konzeption. Unveröffentlichtes Manu- Methoden der Sozialen Arbeit mit Erwachsenen skript 2013 in besonderen Lebenslagen. Ihre Arbeitsschwer Krüger, Michael: Sport und Soziale Arbeit. In: Otto, Hans- punkte sind die Inklusion und die Sportorientierte Uwe; Thiersch, Hans: Handbuch Soziale Arbeit Sozialpäda- Soziale Arbeit im Kontext der Gewaltprävention. gogik. München 2003, S. 1813-1819 Kurt, Bärbel; Schaffrath-Rosario, Angelika: Übergewicht E-Mail: steffens@eh-berlin.de und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in Deutsch- land. In: Bundesgesundheitsblatt 7/2010, S. 643-652 Julie Winkel ist Diplom-Sozialarbeiterin und (http://edoc.rki.de/oa/articles/reIXcLKBs9uis/PDF/27A1KT Gymnastiklehrerin. Sie arbeitet als Schulsozial MTtAiWs.pdf; abgerufen am 18.2.2017) arbeiterin bei der Gesellschaft für Sport und Krüger, Michael: Sport und Soziale Arbeit. In: Otto, Hans- Jugendsozialarbeit (GSJ gGmbH). Als Lehrbeauf Uwe; Thiersch, Hans: Handbuch Soziale Arbeit Sozialpäda- tragte entwickelte und betreut sie den Studien gogik. München 2003, S. 1813-1819 Manz, Karl u.a.: Körperlich-sportliche Aktivität und Nutzung schwerpunkt „Sport und Soziale Arbeit“ an der elektronischer Medien im Kindes- und Jugendalter. Ergebnis- Evangelischen Hochschule Berlin. E-Mail: se der KiGGS-Studie – Erste Folgebefragung (KiGGS Welle 1). winkel@lb.eh-berlin.de In: Bundesgesundheitsblatt 7/2014, S. 840-848 (http://edoc. rki.de/oa/articles/reLdNZIuhBgmc/PDF/22pI9MzdGXp6.pdf; abgerufen am 18.2.2017) Michels, Harald: Sport, Körper und Bewegung in der Sozia- len Arbeit – das Düsseldorfer Modell. In: Sozialmagazin Soziale Arbeit 8.2017 1-2/2014, S. 77-83 Neuber, Nils: Informelles Lernen im Sport – ein vernach- lässigtes Feld der Bildungsdebatte. In: Neuber, Nils: Infor- melles Lernen im Sport. Beiträge zur allgemeinen Bildungs- debatte. Wiesbaden 2010, S. 9-31 Pilz, Gunter A.: Von der Luftnummer zur Bodenhaftung?
Der Pragmatismus in Erlebnispädagogik und Bewegung und Spiel als Element einer gewalt- und sucht- präventiven Sportkultur. Hauptvortrag auf der Fachtagung sportbezogener Sozialer „Spiel ohne Grenzen? Sport als ein Baustein der Gewalt- und Arbeit | Traditionslinien Suchtprävention“ von der Aktion Jugendschutz, Landes arbeitsstelle Baden-Württemberg in Kooperation mit der und Perspektiven handlungs- Württembergischen Sportjugend am 21.10.2003 in Stuttgart. Schmidt, Werner: Dritter Deutscher Kinder- und Jugend- orientierten Lernens sportbericht – Kinder- und Jugendsport im Umbruch. Schorn- Heiko Löwenstein; Christopher Ott dorf 2015 Seibel, Bernd: 25 Jahre Sport und Soziale Arbeit: Retrospek- tive, gemeinsame Entwicklungslinien und Handlungsperspek- Zusammenfassung | Sportbezogene Soziale tiven – eine Einführung. In: Welsche, Mone; Seibel, Bernd; Nickolai, Werner: a.a.O. 2013, S. 19-41 Arbeit teilt mit der Erlebnispädagogik wesent Sygusch, Ralf; Liebl, Sebastian: Pädagogische Potentiale liche Prämissen und kann von deren Lernmodel- im organisierten Sport. In: Schmidt, Werner: 3. Deutscher len in der Entwicklung einer eigenständigen Kinder- und Jugendsportbericht – Kinder- und Jugendsport Didaktik profitieren. Ausgehend von einer kriti- im Umbruch. Schorndorf 2015, S. 239-254 schen Diskussion der pragmatistischen Grund- Thiel, Ansgar; Mayer, Jochen; Seiberth, Klaus: Sportsoziologie – Ein Lehrbuch in 13 Lektionen. Aachen 2013 lagen wird allerdings gegen eine Entkopplung Thiersch, Hans; Grunwald, Klaus: Lebensweltorientierung. der Reflexion vom Erlebnis und für eine Irritation In: Thiersch, Hans: Soziale Arbeit und Lebensweltorientierung: von Routinen durch spielerische Erfahrungen im Konzepte und Kontexte. Band 1. Weinheim und Basel 2014, Alltag argumentiert. S. 327-366 Thiersch, Hans; Grunwald, Klaus (Hrsg.): Praxishandbuch Lebensweltorientierte Soziale Arbeit: Handlungszugänge und Abstract | Sport as medium of social work Methoden in unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Weinheim shares essential premises with outdoor educa- und Basel 2016 tion. Therefore, developing a unique didactic Thiersch, Hans; Grunwald, Klaus; Köngeter, Stefan: Lebens- should benefit from experiences gained by ex- weltorientierung. In: Thole, Werner: Grundriss Soziale Arbeit. periential learning models. Contrary to this and 299 Ein einführendes Handbuch. Wiesbaden 2012, S. 175-196 Welsche, Mone: Die Bedeutung von Sport und Bewegung based on a critical rethinking of the pragmatis- für sozial benachteiligte junge Menschen – eine subjekt tic bedrock we argue against the separation orientierte Perspektive. In: Welsche, Mone; Seibel, Bernd; of reflection and experience. Instead, routines Nickolai, Werner: a.a.O. 2013, S. 42-53 should be changed by playful experiences in Welsche, Mone; Seibel, Bernd; Nickolai, Werner: Sport und Soziale Arbeit in der Zivilgesellschaft. Tagungsband zur gleich- everyday world. namigen Tagung am 27. und 28. September 2012 in Bad Boll. Hamburg 2013 Schlüsselwörter Soziale Arbeit Winkel, Julie: Sport und Jugendhilfe. Entwicklungen, Heraus- Sport Erlebnispädagogik Methode forderungen und Perspektiven am Beispiel sportbetonter Pragmatismus Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. Diplomarbeit, Evange- lische Hochschule Berlin 2012 Soziale Arbeit mit Hand und Fuß | Sportbe- zogene Soziale Arbeit1 ist zuallererst Soziale Arbeit. Das heißt: Sport 2 ist nicht das Ziel Sozialer Arbeit – im Sinne von Leistungssteigerung oder als Selbst- zweck –, sondern eine Erweiterung der Interventions- 1 Neben dem hier dargestellten allgemeinen, grund- legenden Verständnis von sportbezogener S ozialer Arbeit wird seit 1987 an der Evangelischen Hoch- Soziale Arbeit 8.2017 schule Freiburg und seit 1992 auch an der Katho lischen Hochschule Freiburg eine gleichlautende studienintegrierte Zusatzqualifikation in K ooperation mit der Badischen Sportjugend im B adischen Sport- bund Freiburg e.V. und der Südbadischen Sportschule Steinbach angeboten: Sportbezogene, lebenswelt orientierte Soziale Arbeit mit sozial benachteiligten jungen Menschen – kurz: SPOSA.
möglichkeiten im Rahmen eines „vielschichtigen und (Seibel 2013, S. 39), aber auch in einem erweiterten flexiblen Kanon[s] an ‚lebensweltorientierten Metho- Verständnis, einschließlich der „präventiven Wirk- den‘“ (Wensierski; Jakob 1997, S. 8). Soziale Arbeit samkeiten des Sports für verschiedene Zielgruppen“ zielt immer auf „gesellschaftliche Veränderungen, (Michels 2014, S. 81), prinzipiell die Bewältigung soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammen- sozialer Probleme zum Gegenstand. Dabei adressiert halt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbst- Soziale Arbeit Menschen nicht als beziehungslose bestimmung von Menschen“ (FBTS; DBSH 2016). Zur Individuen, sondern berücksichtigt gleichermaßen Erreichung dieser Ziele soll der Sport „Möglichkeiten die sozialen und gesellschaftlichen Strukturen, in die für Lernprozesse [bieten], die in erster Linie auf Basis sie eingebettet sind (FBTS; DBSH 2016). von Selbstwirksamkeitserfahrungen und Interaktionen in Gruppen erfolgen“ (Seibel 2013, S. 31). Im Problembezug, der Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft, wie auch im (historisch bedingten) Der Sport zeichnet sich dabei als Interventions- pädagogischen Fokus auf Kinder und Jugendliche form aus, die vergleichsweise niedrigschwellig ist – sehen wir nun grundlegende Parallelen zur Erlebnis- auch und gerade hinsichtlich der Sprache als Medium. pädagogik, die in der Tradition Kurt Hahns eine kriti- Daraus erwachsende Vorzüge lassen sich nicht alleine sche Gesellschaftsdiagnose zum Ausgangspunkt hat auf die Überwindung etwaiger Sprachdifferenzen und Kinder oder Jugendliche (in der pädagogischen reduzieren, sondern sind weit darüber hinaus in der Provinz) von sozialen Verfallserscheinungen zu Unmittelbarkeit körperlicher Erfahrung und der Ver- „therapieren“ sucht (Heckmair; Michl 2012, S. 38).3 schränkung von Körper, Geist und Gesellschaft zu Neben Schnittmengen in der Frage nach der Zielgruppe suchen. Trotz der grundsätzlich gegebenen Plausibili- und der Zielsetzung legen vielmehr aber gemeinsame tät, jenseits der „einfachen Freizeitgestaltung“, Ziel- methodische Prämissen nahe, dass erlebnispädago- setzungen professioneller Sozialer Arbeit mittels Sport gische Lernmodelle für die sportbezogene Soziale (besonders) effektiv erarbeiten zu können, kommen Arbeit nützlich sein könnten: Dies betrifft vor allem 300 Welsche und Schillinger (2015, S. 441) im Rahmen einer systematischen Literaturanalyse unter anderem die explizite Handlungsorientierung beim erfahrungs- basierten Lernen (ebd., S. 115) und die unverzichtbare zu dem Ergebnis, dass dazu noch die „Ausarbeitung Rolle körperlicher Aktivität dabei (Fürst 2009, S. 43). der fachspezifischen Didaktik [notwendig ist], denn die sportpädagogische Didaktik kann sicherlich auf- Erlebnispädagogische Lernmodelle | Auch grund der Unterschiede der Zielgruppe und auch der wenn sportbezogene Soziale Arbeit und Erlebnispäda- Zielsetzungen nur bedingt übernommen werden“. gogik wesentliche methodische Prämissen teilen und Letztere von Galuske (2009, S. 241-51) gleichermaßen Möglicherweise ist die Anschlussfähigkeit zur in den Methodenkanon der Sozialen Arbeit eingeord- idaktik des Schulsports, der auch mit kritischen D net wird, so konstatiert Michels (2007, S. 14) eine Bildungs- und Erziehungszielen verbunden werden unzureichende institutionelle Vernetzung von Sport kann, noch eher gegeben als im außerschulischen und Erlebnispädagogik. Eine solche wäre aber wün- Sport zum (Selbst-)Zwecke des Sporttreibens an sich schenswert, um gerade das „Methodenrepertoire [...], (Schierz; Thiele 2004, S. 52-53). Doch richten sich welches [...] über das [bloße] Arrangieren von Sport Angebote des Schulsports mit allgemeinbildendem als motorische Trainingssituationen hinausgeht“ Anspruch vergleichsweise unspezifisch an alle Kinder (Michels 2014, S. 82), konsequent auszuschöpfen. und Jugendlichen, so hat sportbezogene Soziale Arbeit Damit sind vor allem die „erlebnispädagogischen etwa mit „sozial benachteiligten jungen Menschen“ Reflexionsmethoden [...] für einen Transfer der erlern- ten Handlungskompetenzen in den Alltag“ (ebd.) an- 2 Im Sinne einer Arbeitsdefinition und eines Aus- gesprochen, die im Zentrum der Diskurse um erlebnis- gangspunktes erachten wir die durchaus provokante Soziale Arbeit 8.2017 Bestimmung Volkamers (2008, S. 75) als produktiv 3 Nicht näher gehen wir hier auf erlebnispädago für weiterführende pragmatistische Überlegungen: gische Betriebspädagogik oder Führungskräfte „Sport ist die willkürliche Schaffung von Problemen trainings ein, wie sie sich im Zuge der Ausweitung oder Konflikten, die vorwiegend mit körperlichen erlebnispädagogischer Praxis etabliert haben, ver- Mitteln gelöst werden.“ Davon ausgehend wenden weisen an dieser Stelle aber auf Diskurse innerhalb wir uns dann der Frage zu, ob die spielerische Erfah- der Sozialen Arbeit um deren gesamtgesellschaftliche rung von Problemlösungen, gerade wenn „keine Relevanz als „Unterstützung in den normalen Krisen bleibenden Veränderungen intendiert“ sein müssen, heutiger, schwieriger Normalität“ (Thiersch; Grunwald kreatives Bewältigungshandeln im Alltag fördert. 2002, S. 135).
Sie können auch lesen