Zeitschrift der Deutschen Olympischen Gesellschaft - Ausgabe 1-2/2010
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Freundliche Grüße aus der OF-Redaktion Inhalt OF Mosaik 4 A uf zu neuen Ufern mit dem „Olympischen Feuer“ unter der exklusiven Herausgeberschaft durch die Deutsche Olympische Gesellschaft! Mit moderaten Veränderungen, OF-Podium: Silvia Glander Getrennte Welten - gespaltener Sport 6 8 etwa optischen Aufhellungen und gestalterischen Anpassun- Prof. Dr. Helmut Digel gen ans modifizierte Konzept, wollen wir, liebe Leserinnen Ist Leistungsoptimierung ein Menschenrecht? und Leser, entsprechende Zeichen setzen, ohne Ihnen totale Philosophen durchleuchten das Dopingproblem 10 Thorsten Haselbauer und Martin Krauß Umbrüche zuzumuten. Olympische Winterspiele 2010 Vancouver 13 Denn anerkannt Bewährtes sollte auch in der großen Linie Blaupause für die Drittel-Spiele: der Gestaltung Bestand haben. Durch den Wegfall der so Das IOC ist in der Realität angekommen 16 genannten „amtlichen Nachrichten“ des Deutschen Olympi- Günter Deister schen Sportbundes und der Deutschen Olympischen Akade- Trends und Volkshelden, Höhenflüge, Tragödien 18 mie wird die Aufmerksamkeit im amtlichen Teil jetzt verstärkt und sportliche Katastrophen Hartmut Scherzer auf das vielfältige Geschehen in der DOG-Landschaft gelenkt. Der bemerkenswerte deutsche Auftritt hinterlässt 24 auch Fragezeichen Erhalten bleibt, nicht zuletzt dank 30-jähriger Tradition, der Thomas Hahn Info-Block des Deutschen Sport- und Olympia-Museums. Winterolympia 2018: Klinkenputzen für München 26 Dies auch als Garant für die schon immer beachtlichen und Michael Gernandt künftig weiter zu stärkenden Brückenschläge zwischen Sport und Kultur. Sportförderung als Bürgerbewegung - frommer Wunsch 30 oder realitätsnahes Anliegen? Dr. Andreas Müller Da passt der Hinweis: Mit dieser OF-Ausgabe 1-2/2010 Hungerleider: Wenn Erfolgswahn die Gesundheit ruiniert 35 erfolgt wieder der jährliche Stabwechsel unserer Künstler und Bianka Schreiber-Rietig Titelbild-Illustratoren. Nach Eberhard Stroot ist jetzt einmal OF-Kommentare 38 mehr Hans Borchert an der Reihe. Und der kam natürlich am Steffen Haffner, Michael Gernandt, Harald Pieper Thema Olympische Winterspiele in Vancouver nicht vorbei, Der janusköpfige Fußball: 40 hat aber trotzdem schon das Frühjahr und die Laufsaison bei Über seine Faszination und seine Phänomene wärmeren Temperaturen im Blick. Steffen Haffner Die GlücksSpirale - 40 Jahre gute Taten für den Sport und 42 Optik hin - Gestaltung her: An der inhaltlichen Ausrichtung andere Gesellschaftsbereiche Walter Mirwald unserer Zeitschrift wird sich künftig nichts ändern. Der Sport, der Millionen begeistert und persönlich herausfordert und OF-Interview mit Sönke Wortmann 44 Herbert Somplatzki aktiviert und deshalb ein Eckpfeiler des Gemeinwohls ist, der Wintersport-Nostalgie: 48 letztlich aber auch viel Problem- und Konfliktpotenzial aufge- Goldenes Jubiläum für die "doppelten Deutschen" baut hat, bleibt in seiner ganzen Bandbreite im Zentrum Jochen Frank unserer redaktionellen Bemühungen. Was macht eigentlich ...? Gaby Seyfert 50 Jochen Frank Und zwar weiterhin unter der bewährten Maßgabe, dass die OF-Galerie: Olympischer Wintersport im Panorama 52 gesellschaftspolitische Dimension der Bedeutung des Sports Deutsche Olympischen Gesellschaft KOMPAKT 54 nur in einem Forum freier Meinungsäußerung angemessen Impressum 61 begleitet und gewürdigt werden kann. Wir haben die Hoff- Deutsches Sport & Olympia Museum 62 nung, das Sie sich mit uns auf das alte wie neue „Olympische Olympische Gedanken 65 Feuer“ freuen. Fabian Grieger Ihr Harald Pieper DOG’chen - Die Kinderseite des OF 66 3
Sammler aus Leidenschaft ches Engagement mit den Worten "Sie sind Olympia" und der bronzenen Ehrenplakette. it der Olympischen Familie ist M Karl-Heinz Frenzen (rechts im Bild) schon lange eng verbunden. Seit Beeindruckend ist vor allem Frenzens Sammlung von über 2.300 Exponaten 1973 ist er Mitglied und Förderer der rund um den Sport und insbesondere zu Deutschen Olympischen Gesellschaft den Olympischen Spielen. So kann er und gründete seinerzeit die Zweigstelle stolz in seinem Sportmuseum alle in Ratingen. Ende des Jahres 2009 ehrte Teilnehmermedaillen der Olympischen Präsident Harald Denecken den 73- Spiele von 1896 bis 2008 sowie 16 präsentieren. Noch bis Ende März jährigen Velberter für sein unermüdli- olympische Fackeln der Sommerspiele befinden sich Teile seiner Sammlung im WM-Bilanz 2009: Stolze Berliner Zahlen ach ihrem sportlichen, atmo- höher ausgefallen, hätte der Veran- mit dem Sieger Usain Bolt und bei N sphärischen und gesellschaftspo- litischen Erfolg kann die Leichtathle- stalter sein Ziel mit den zahlenden Zuschauern erreicht. Statt der ange- 8,6, als die Hochsprung-Entscheidung zwischen Blanka Vlasic und Ariane tik-WM 2009 in Berlin auch auf strebten 500.000 Tickets (14,8 Millio- Friedrich anstand. Die kumulierte Bestnoten für ökonomische Effizienz nen Euro) wurden "nur" 417.000 (14 Reichweite: sieben Milliarden (Osaka verweisen. Alle Rechnungen sind Mio.) verkauft. Wowereit, den der 2007: 6,63) in 190 Ländern. ausgewertet und von Berlins Regie- Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) rendem Bürgermeister Klaus Wowereit im November mit dem DLV-Ehrenring Es muss daher nicht überraschen, im Februar offen gelegt worden. für Verdienste um die Sportart ausge- dass die Berliner das Eisen Leichtath- Demnach gaben die Freunde der zeichnet hatte, sprach dennoch von letik weiter schmieden möchten, Leichtathletik in der Bundeshaupt- einer "stolzen Zahl". Er merkte an, zumal nach der deutschen Bewer- stadt 120 Millionen Euro aus - ein dass ein Vergleich zu den Städten bung um Winterolympia 2018 in dickes Zubrot für die Berliner Wirt- vergangener Weltmeisterschaften klar München Sommerspiele für die schaft und Beleg für die enorme für Berlin ausgegangen ist: Osaka Hauptstadt in absehbarer Zeit nicht "Kaufkraft" des Spitzensports, wenn er 2007 (254.000 Karten) und Helsinki in Frage kommen. Wohl haben sie es von Profis vermarktet wird. So gese- 2005 (345.000). Das Interesse an der in Berlin nicht geschafft, das traditio- hen ist eine andere vom Organisati- Leichtathletik auf WM-Niveau spie- nelle ISTAF in der neuen Diamond onskomitee der WM erwirtschaftete geln auch die TV-Einschaltquoten League des Weltverbands unterzu- Zahl am Ende keine allzu große Über- wider. Die Tagesspitze lag bei 9,92 bringen, für eine künftige Europa- raschung. Die OK-Chefs, Frank Hensel Millionen am Tag des 100-m-Finals meisterschaft indes "ist Berlin bereit" und Heinrich Clau- (Wowereit). Ins sen, konnten dem Auge gefasst sind Regierenden von die Titelkämpfe dem 20 Millionen- 2016 oder 2018. Zuschuss des Senats Wobei zu bemerken fünf Millionen wie- ist, dass in Jahren der zurückgeben. Olympischer Som- Völlig ohne Steuer- merspiele (2016, gelder ist ein Event 2020 etc.) die EM in dieser Größenord- abgespeckter Form, nung heutzutage ohne die Straßen- wohl generell nicht wettbewerbe, von- mehr zu finanzieren. statten geht, 2018 also attraktiver Die Summe wäre um wäre. eine knappe Million 4 OF-MOS AIK
Ruhrmuseum in der Zeche Zollverein in im Sport nach außen dar. Damit Nach ihren Erfolgen im Sprint (Silber- Essen (www.ruhrmuseum.de). Anschlie- soll Entscheidungsträgern in medaille) und den Olympiasiegen im ßend werden sie im Industriemuseum Gesellschaft, Politik und Verwal- Verfolgungsrennen und dem Massen- Henrichshütte in Hattingen tung sowie einem interessierten start verzichtete die 23-jährige Athletin auf einen Start beim Staffellauf. Kinderseite im OF "Ein solches Verhalten zeigt Größe und verdient unsere vollste Anerkennung. Diese Entscheidung ist Magdalena air Play steht auch im Fokus der Neuner sicherlich nicht leicht gefallen. F neuen Kinderseite, die es ab dieser Ausgabe nun regelmäßig auf der letzten Die Gesellschaft kann von der Haltung dieser jungen Athletin nur lernen", so Seite im Olympischen Feuer geben wird. DOG-Präsident Harald Denecken. "Mit Auf dieser Seite können die jungen der Verleihung der Fair Play-Plakette Leser aus möchten wir das faire Verhalten von unserer Olym- Magdalena Neuner honorieren und pischen Familie daran erinnern, dass Werte wie Team- nicht nur ihr geist in unserer Gesellschaft nicht in Wissen zum Vergessenheit geraten dürfen." Thema "Fair Die Deutsche Olympische Gesellschaft Play" überprü- vergibt die Fair Play-Plakette für bei- fen, sondern spielhafte Fairness im Sport. Diese auch noch Auszeichnung ist ein wichtiger attraktive Preise der Deutschen Olympi- Fachpublikum verdeutlicht werden, Bestandteil der Fair Play-Initiative des schen Gesellschaft gewinnen! dass der organisierte Kinder- und deutschen Sports. Mit Beispielen fairen Jugendsport einen wesentlichen Verhaltens im Sport will die DOG dazu und unverzichtbaren Beitrag zur Jugendoffensive ganzheitlichen Bildung von Kin- dern und Jugendlichen leistet. "Sport bildet" Auf der Grundlage des Orientierungs- rahmens wird die dsj weitere bildungs- politische Positionspapiere erstellen, die D er Jugendhauptausschuss der Deutschen Sportjugend (dsj) im Deutschen Olympischen Sportbund die Potenziale der Kinder- und Jugend- arbeit im Sport verdeutlichen. verabschiedete im Herbst den Orientie- rungsrahmen zum Thema "Sport bildet: Der Orientierungsrahmen Bildung steht Bildungspotenziale der Kinder- und Interessierten als Broschüre zur Verfü- Jugendarbeit im Sport". Mit dem jetzt gung. Die Publikation ist download- vorliegenden Dokument ist eine wichti- oder bestellbar über www.dsj.de/publi- ge Grundlage für die weitere Diskussion kationen. und für die Praxisentwicklung der Kinder- und Jugendarbeit im Sport geschaffen worden. Fair Play-Plakette der DOG Der Orientierungsrahmen regt dazu an, Positionen und Konzeptionen für Magdalena Neuner beitragen, das Vertrauen in die Werte des Sports insbesondere bei Kindern weiterzuentwickeln, um sie auf und Jugendlichen zu erhalten und zu allen Ebenen des organisierten Kinder- und Jugendsports umzu- setzen und gibt Handlungsempfeh- M agdalena Neuner, die Doppel- olympiasiegerin von Vancouver im Biathlon, bekommt auf Grund ihres stärken. "Wenn ein Spitzensportler im vielleicht wichtigsten Wettkampf seines Lebens eine solche Entscheidung trifft, lungen für Sportvereine. Darüber eindrucksvollen Verhaltens die Fair Play- ist dies vor allem auch beispielhaft für hinaus stellt er die Bildungspoten- Plakette der Deutschen Olympischen den Nachwuchssport", betont Den- ziale der Kinder- und Jugendarbeit Gesellschaft verliehen. ecken. OF-MOS AIK 5
it wachsender Sorge sehen die 165 Großvereine anlagen) aufgetürmt. Experten schätzen ihn auf 50 M des Freiburger Kreises (FK) die dramatischen Haushaltslöcher in den Kommunen. Unter dem Zwang des aktuellen Streichkonzerts, angesichts chro- Milliarden Euro. Dieser Missstand verschärft sich nun dramatisch. Hinzu kommt die Abwicklung vieler Sport- ämter. Heute sind vielerorts Gebäudemanagement und nisch leerer Kassen, geraten vielerorts Sportförderung Grünflächen-Amt Ansprechpartner. Diese Verwaltungs- und Unterhalt kommunaler Sportstätten ins Abseits. Praxis mag der Verwaltung einige Euro sparen, das Ver- Haushaltssperren durch Regierungspräsidenten sind einsleben leidet jedoch darunter. Mehr Bürokratie und Alltag und schnüren den Spielraum weiter ein. In Darm- Wege, dicke Beschwerdebücher in den Hallen, aber keine stadt zum Beispiel zog die Stadtverwaltung den Etat- Entwurf für 2010 zurück, weil er, mit 50 Millionen Euro Schulden belastet, keine Aussicht auf Genehmigung hatte. In den ersten Monaten des neuen Jahres sind weitere zehn Millionen Euro Verbindlichkeiten aufgelau- fen. Geschuldet dem Ärgernis, dass Bund und Länder immer mehr Kosten auf Städte und Gemeinden abwäl- zen. Ein Fass ohne Boden. Für die Sportvereine bedeutet das Beispiel Darmstadt - kein Einzelfall: sie warten auf Sockelzuschüsse. Ange- sichts explodierender Energiekosten rüttelt dieser Not- stand an der Existenz vieler Vereine mit eigenen Anlagen. Das darf nicht sein. Grotesk wird es, wenn die Stadt Darmstadt vor zwei Jahren erst eine Sportentwicklungs- studie erstellt hat - 50.000 Euro teuer -, deren Hand- lungsempfehlungen nun der Rotstift streicht. Zwar gab es 2009 durch die Konjunkturspritzen von Bund und Land 1,2 Millionen Euro für die Sportinfrastruktur (56 Projekte). Aber diese verpuffen angesichts aktueller Sperrvermerke. Der Freiburger Kreis fordert mit Nachdruck planungssi- chere, nachhaltige, ausgewogene und weitsichtige Sportförderung. Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten, gepaart mit Sozialabbau, bekommen der Sport und gut 91.000 Vereine eine gesellschaftspolitische Schlüsselrolle. Entscheidungen und Lösungen der Probleme. Häufig sind Die Vereine leisten sehr viel. Für die Kommune, die Sozi- heute schon ein halbes Dutzend Dezernate mit Kinder- alarbeit, die Kinder- und Jugendbetreuung sowie im und Jugendförderung befasst. Gesundheits- und Reha-Bereich. Und das zu fairen Prei- sen. All das ist nicht mit den Beiträgen allein zu finanzie- Hilfe zur Selbsthilfe, dieses Credo gewinnt neue Qualität. ren. Die Großvereine belassen es längst nicht beim Jam- Wenn die Vereine entsprechend aufgestellt sind, wie im mern. Sie übernehmen mehr Verantwortung. Man kann Freiburger Kreis, macht sogar die Übernahme städtischer nicht nur nehmen, man gibt ja auch. Was die Vereins- Sportanlagen Sinn, wie es FK-Clubs in Karlsruhe und landschaft nachhaltig zermürbt, sind die Folgen, dass Langenfeld mit städtischen Bädern schon vorexerzieren. schon in den letzten beiden Jahrzehnten geschlampt Dann wäre vieles einfacher. Aber das können nur große wurde: Viele Städte und Gemeinden spielen wegen tief- Solidargemeinschaften leisten, die professionelles Perso- roter Haushalte seit Jahren auf Zeit. nal beschäftigen. Bundesweit hat diese Taktik einen Reformstau in der Es brennt auf beiden Seiten: Die Kommunen, zuge- Sportinfrastruktur (Sportplätze, Hallen, Bäder Schulsport- schüttet mit gesetzlichen Verpflichtungen und Ausga- 6
ben, die Bund und Länder auf sie abwälzen, können für die Gesundheitspflege und -vorsorge? Wer entwickelt sich kaum noch bewegen. Die Vereine sind unter dem die stärkste Integrationskraft. Wir, die Vereine. Gebot des gesellschaftlichen und sozialpolitischen Auftrags zu erschwinglichen Beiträgen angehalten, die Bedenklich ist zugleich, dass der Deutsche Olympische nicht mehr die Kosten für den Unterhalt der Anlagen Sportbund (DOSB) seit der Fusion mehr und mehr die decken. Hier ist ein neues Miteinander gefragt. Es darf Basis aus den Augen verliert. Die Protagonisten dort kein Gießkannenprinzip geben. Leistung erfordert gefallen sich als Gralshüter des Hochleistungssports und Gegenleistung. Nachhaltig und vereinsübergreifend Olympismus, statt energisch und überzeugend gegen die OF-PODIUM Dramatische Haushaltslöcher: Existenz des Vereinssports in Gefahr Von Silvia Glander, Vorsitzende des Freiburger Kreises, der Arbeitsgemeinschaft der Großvereine muss Sportförderung fließen. Betreuungsangebote, Verarmung der Kommunen und des Vereinslebens Partei Kinder- und Jugendarbeit, sowie Gesundheitsprophyla- zu ergreifen. Lobbyarbeit im Sinne der Vereine - der xe genießen Priorität - nicht Wettkampf- und Hoch- DOSB könnte und sollte entschiedener Flagge zeigen. leistungssport. Controlling und ehrliche Verwendungs- nachweise sind Pflicht. Noch versickern stolze Summen *** in dubiosen Kanälen, die nicht nachvollziehbar sind - Silvia Glander ist seit sieben Jahren Vorsitzende des vor allem im Spitzensport. Freiburger Kreises, der Arbeitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine (165 Mitglieder, etwa 700.000 Zur Makulatur gerät, dass Sport und Sportförderung in Mitgliedschaften). Seit einem Jahr führt sie den TV Ratin- vielen Länderverfassungen verbrieft sind. Einerseits gibt gen. Zuvor war sie 17 Jahre stellvertretende Vorsitzende es also das politische Mandat. Andererseits firmiert Ver- ihres Heimatvereins und von 1982 bis 1992 Leiterin der einsförderung weiter als "freiwillige Leistung" der Kom- Schwimmabteilung. Politisch wirkte Silvia Glander in munen, die jetzt dem Rotstift zum Opfer fällt. Auch Ratingen zehn Jahre im Stadtrat, als stellvertretende diesen Widerspruch gilt es zu beseitigen. Wer holt die Fraktionsvorsitzende der CDU. Kinder von der Straße? Wer knüpft das größte Netzwerk 7
T reibt jemand regelmäßig und längere Zeit aktiv Sport, kann deshalb gewiss nicht von einem besonders wertvollen spielt er Tennis, läuft im Wald, schwimmt seine Bahnen Sport gesprochen werden. Immer häufiger ist vielmehr das in Rücken- oder Brustlage, trainiert und spielt in einer Gegenteil der Fall. Volleyballmannschaft und fährt im Winter Ski, dann weiß der so auf verschiedene Weise aktive Sportler sehr genau die Sportliche Leistungen werden manipuliert, Wirtschaftsbetrug Qualität seines Sports zu schätzen. Begibt man sich in die ist in diesem Sondersektor der Wirtschaft schon seit langem Erlebniswelten des aktiven Sports, so hat man Freude, erlebt auf der Tagesordnung, und dies wird vor allem dann offen- seinen Körper auf äußerst intensive Weise, trifft sich mit sichtlich, wenn man den umfassenden Dopingbetrug als das anderen in geselliger Runde, verbringt in sinnvoller Weise interpretiert, was er ist: als Wirtschaftskriminalität, bei der seine Freizeit, und das gesundheitliche Wohlbefinden wird sich Wettbewerber auf betrügerische Weise materielle Vorteile ganz wesentlich dadurch erhöht. Sicher ist auch manchmal verschaffen und damit ganz erheblichen finanziellen Schaden Askese notwendig, hartes Training ist angesagt, man bereitet hervorrufen. Dass der Medien- und Spitzensport eher als sich auf eine anspruchsvolle Leistung vor, und Verletzungen wertlos zu bezeichnen ist, zeigt sich auch an den vermehrt sind dabei immer auch ein bedrohlicher Hintergrund. Der auftretenden Fällen der Korruption, des Wettbetrugs und der Sport, so wie ihn Millionen von Menschen Woche für Woche Gewalt. Das Prinzip des Fair Play wird in dieser Art von Sport in den Vereinen und in Fitnesseinrichtungen in organisierter schon seit langem immer häufiger außer Kraft gesetzt. Nicht und unorganisierter Weise betreiben, ist für unsere Gesell- nur Hooligans betrachten die gegnerischen Mannschaften als schaft ohne Zweifel ein wertvolles Gut. Wichtige Werte unse- Feinde. Samstag für Samstag ist in nahezu allen Bundesligaa- rer Gesellschaft, wie Eigenverantwortung, Solidarität, Hilfsbe- renen und in fast allen Mannschaftssportarten zu beobachten, reitschaft, Fair Play, Leistungsbereitschaft, bürgerschaftliches wie der Gegner niedergeschrien wird, wie selbst ein akade- Engagement und Ehrenamtlichkeit kommen dabei zum Tra- misch gebildetes Publikum das Fair-Play-Prinzip missachtet gen. und der Sport zum bloßen Aggressivitätsventil mutiert. Der Sport, so wie er in den Massenmedien vorkommt, ist ein Als die Bundesrepublik Deutschland 1949 gegründet wurde ganz anderer Sport. Mediensport ist Zahlensport und Medien- und als es 1950 dann auch möglich war, den Deutschen sport ist Heldensport. Es geht um Siege, Niederlagen, Rekorde, Sportbund in Hannover zu gründen, war es die vorrangigste Statistiken, Preisgelder, Gewinnprämien und Transfererlöse. Es Aufgabe der damaligen Gründungsväter, dass aus den Verbre- geht vor allem um Geld - und dies zeigt sich uns in wahrhaft chen und Verfehlungen des Nationalsozialismus die richtigen inflationärer Weise. Für den Mediensport ist dabei vor allem Konsequenzen gezogen werden. Für den Sport bedeutete dies, jener Athlet ideal, der auch in der Lage ist, die Rolle eines dass man ihn von seinen ideologischen Abhängigkeiten und Stars auszufüllen. Mediensport ist Massensport, Zuschauer von staatlichen Interventionen zu befreien hatte, dass er und Medien zeichnen sich gleichermaßen durch die Gier nach zukünftig vor jeder einseitigen Bevormundung zu schützen ist Stars und Helden aus. Die sportliche Leistung ist dabei eine und dass er sich in seinen Strukturen als demokratischer Sport Ware, mit der sehr viel Geld verdient werden kann. Dies gilt erweisen kann. In den damaligen Diskussionen spielte der für Athleten, Trainer, Manager, Funktionäre, Medien und neue Begriff der "Einheitssportbewegung" eine zentrale Rolle. Wirtschaft gleichermaßen. Nicht weniger wichtig war das "Ein-Platz-Prinzip". Der Sport sollte seine Basis in den demokratisch legitimierten Vereinen Dieser Spitzen-Sport von heute ist somit Teil des Wirtschafts- haben. Die regionalen Verbände sollten in einer nationalen lebens und wird deshalb immer häufiger von Wirtschaftsex- Sportorganisation zusammengefasst sein, und diese Organisa- perten unternehmerisch gestaltet und durchgeführt. Die tion hat sich zu Recht das Mandat gegeben, für alle Belange sportliche Leistung ist dabei vorrangig Unterhaltungsware und des Sports in Deutschland Sprecher und Partner zu sein. Für sie hat sich in der Konkurrenz der Unterhaltungsindustrie zu jede Sportart kann es dabei nur einen Verband geben, und der bewähren. Der Sport ist dabei Massenunterhaltung, er ist Teil in den Vereinen organisierte Sport kann dabei mit der subsi- des Boulevards, und von einer anspruchsvollen kulturellen diären Unterstützung durch den demokratischen Staat rech- Bedeutung kann dabei gewiss nicht die Rede sein. Dies gilt nen. auch dann, wenn er immer wieder von einigen Literaten, Philosophen und Wissenschaftlern aus der Haltung eines Betrachten wir die schillernden Erscheinungsweisen des Sports naiven Fans heraus ideologisch überhöht und in lächerliche von heute, so fällt es schwer, den Begriff der Einheitssportbe- Hymnen überführt wird. Der eigentliche kulturelle Anspruch wegung aufrecht zu erhalten. Der Sport findet zunehmend in des Showsports zeigt sich bei der ARD und beim ZDF beim zwei Welten statt, die weder unter Wertegesichtspunkten samstäglichen Boxevent, bei Formel I-Ereignissen und beim noch unter organisatorischen Gesichtspunkten viel gemein- die volle Sendewoche sich erstreckenden Fußballspiel. Gewiss sam haben. Wohl wird in Sonntagsreden im Interesse der ist er dabei offen für alle Bevölkerungsschichten, doch dies politischen Legitimation der Sport der Aktiven als Basis des gilt gleichermaßen für Peepshows, für Volksmusik und Volks- Spitzensports verherrlicht. Legitimieren Politiker den Spitzen- theater. Betrachtet man die dabei repräsentierten Werte, so sport, so begründen sie diesen in der Regel mit den Werten 8
Getrennte Welten - des Breitensports. Diese Legitimati- onsversuche sind jedoch zunehmend plump und leer geworden. Immer gespaltener Sport deutlicher stellt sich die Frage, wes- halb der Spitzensport öffentliche Förderung erfährt, weshalb der Steuerzahler für einen Sport aufzu- kommen hat, der sich zunehmend als wertlos erweist. Diese Frage stellt sich nicht zuletzt auch deshalb, weil Von Helmut Digel der Sport aus sich selbst heraus bislang nicht beweisen konnte, dass er den Gefährdungen Einhalt gebie- ten könnte. Aber auch staatlicher- seits sind keine Bemühungen zu erkennen, wie das Kulturgut des Leistungssports geschützt werden könnte. Latent findet vielmehr ein Verfall einer Hochleistungssportkultur statt, die durchaus anspruchsvolle Werte repräsentieren könnte und dies auch im Wettkampfsport der Vereine und Verbände nach wie vor tut. Soll dieser wertvolle Leistungssport ernsthaft geschützt werden, möchte man ihn auch zukünftig bewahren und fördern, so sind jedoch klarere Grenzziehungen erforderlich. Dazu gehört eine grundlegende Wertede- batte. Notwendig scheint aber auch eine organisatorische Neudefinition des Sports zu sein. Dazu könnte ein Verzicht auf sinnlose Leistungsvorga- ben und dazu müsste auch eine Neuorientierung der Olympischen Spiele gehören. Dazu gehört auch ein Anti-Dopingkampf, der nicht in Rhetorik erstarrt, sondern in einer konsequenten Partnerschaft zwi- schen Staat und Sport auf die Betrü- ger ausgerichtet ist und die sauberen Athleten schützt. Dazu gehören präventive Maßnahmen, die tatsäch- lich dem Anspruch der Prävention genügen. Dazu gehört schließlich auch ein Führungspersonal, dessen ethische und moralische Qualität nicht nur in Reden sondern im konkreten Handeln sichtbar wird. Der organisierte Sport benötigt ohne Zweifel eine geistige und intellektu- elle Wende, will er seinem eigenen Sittenverfall Einhalt gebieten. 9
Ist Leistungsoptimierung ein Menschenrecht? Philosophen durchleuchten das Dopingproblem Von Thorsten Haselbauer und Martin Krauß A lle reden vom Doping und jetzt auch noch die Philo- ler dennoch verstoßen. Damit ist Doping im Sport, auch für sophen. Das möchte man meinen, wenn man die uns Philosophen, klar definiert. Und ein Verstoß gegen die Technische Universität von Berlin betritt und mit dem Regeln wird dann sanktioniert", sagt Professor Asmuth. Ab Fahrstuhl in den dritten Stock fährt. Dort, in einem Büro mit diesem Zeitpunkt aber wird es, wenn man weiterdenkt, für den an deutschen Hochschulen wohl unvermeidlichem Charme Asmuth und sein Team erst richtig spannend. "Sogar etwas der 70er Jahre, empfängt Christoph Asmuth seine neugierigen schwierig", wie es der Professor formuliert. In den gesetzlichen Besucher. Er ist Professor für Philosophie und Leiter eines Verboten sei ja zum Beispiel eindeutig geregelt, dass der bloße Projektes mit dem Titel: "Translating Doping - Doping überset- Konsum von verbotenen Substanzen/Drogen eben nicht straf- zen" (www.translating-doping.de). Ein Forschungsprojekt, was bar ist. Es wird dort nur der Besitz, die Abgabe, der Handel, seit knapp einem Jahr mit 1,3 Millionen Euro vom Bundesfor- sanktioniert. Im Sport jedoch sei das völlig anders. "Da wird die schungsministerium gefördert wird. Person/der Sportler, der die Mittel nimmt, bestraft", haben Asmuth und sein Forschungsteam als ein Grundproblem aus- Was also haben die Philosophen mit dem Doping zu tun? "Eine gemacht. Und gerade diese zwei Strafsysteme passen eben ganze Menge", sagt der 47-jährige Wissenschaftler Asmuth nicht zusammen. "Es stellt sich also die Frage, wo die Zustän- voller Überzeugung - und dann holt er aus. Die Frage des digkeit des Staatsrechts beginnt und wo die des Sportrechts?", Dopings führe doch sogar zum Kern seiner Arbeit als Philo- gibt der Berliner Wissenschaftler zu bedenken. Zudem ergibt soph, erklärt er. "Im Sport und vor allem im Doping wird näm- sich für die "Doping-Philosophen" daraus ein gestaffeltes lich viel mit moralischen Kategorien operiert: Gerechtigkeit, Problem. "Wenn wir von Doping reden, meinen wir immer den Fairness, Vertrauen", meint Professor Asmuth. Und da schließen Verbandssport. Also den Sport, der im Rahmen der Sportver- sich doch jede Menge Fragen an: Wie sind beispielsweise bände mit ihrer eigenen Gerichtsbarkeit betrieben wird. Doch Medikamentenmissbrauch, Leistungserwartungen und vor in Bodybuildingstudios finden wir viele Menschen, die genau allem Leistungsoptimierung zu bewerten? Fragen, die natürlich dieselben Mittel einwerfen - und da ist es nicht unter Strafe nicht nur im Sport gestellt werden müssen. Aber doch gerade gestellt", so Asmuth. da. Überhaupt gibt es gerade beim Doping die unterschiedlichsten Philosophie bezeichnet Asmuth gerne als eine "Übersetzungs- Ebenen. Vor allem dann, wenn man den Begriff weiter fasst, wissenschaft". Er möchte Wissen über Doping anhäufen, ihn in einen gesellschaftlichen Zusammenhang stellt. Und zum sammeln und ins Netz stellen, es auswerten, von unterschiedli- Beispiel mal über Amphetamine redet, "ein Paradebeispiel" für chen Fachrichtungen aus in den Blickwinkel nehmen und Professor Asmuth. Da gibt es die Einnahme im Sport, um im schlussendlich - am Ende des Projektes - dieses Wissen Sport- Wettkampf bessere Leistungen zu erzielen - das ist ein klarer lern, aber auch Schülern und Lehrern und den Sportorganisa- Dopingfall. Da gibt es die Partydroge - bei Ravern spielt das tionen zur Verfügung stellen. Und deshalb möchten Asmuth eine große Rolle. Dann gibt es natürlich noch den Einsatz von und sein Team das Thema Doping nicht allein mehr den Sport- Amphetaminen in der Medizin - schließlich wurden die ja mal medizinern, den Pharmakologen, den Biomechanikern oder den als Arzneimittel entwickelt. Eine wichtige Rolle spielt es als Juristen überlassen. Aufputschmittel in anstrengenden Jobs. Das ist Enhancement. Und es gibt letztlich den Einsatz von Amphetaminen im Militär. Die Forscher an der TU sehen und definieren Doping erstmal "Ich weiß nicht, ob und in welchem Umfang es heute noch wie die Sportorganisationen auch. Sie stellen diese Definition eine Rolle spielt, aber in früheren Jahren war das wichtig, um nur in einen anderen Zusammenhang. Sie erweitern sie. die Fähigkeit, konzentriert zu kämpfen, zeitlich auszudehnen", "Zunächst ist Doping ein Verbandsproblem. Die Sportverbände, erklärt Asmuth. Und weiter: "Wir haben also in diesem Beispiel die Nationale (NADA) wie Internationale Doping-Agentur eine Handlung, die Einnahme von Amphetaminen, die aber (WADA) haben Regeln und Listen mit Substanzen aufgestellt, fünf unterschiedlichen Zwecken dient und die entsprechend die etwas verbieten - und gegen die Sportlerinnen und Sport- unterschiedlich betrachtet wird. In nur einem Fall aber, im 10
Verbandssport, wird sie als Doping sanktioniert", so der Philo- aus dem Sand nimmt. Wir können und wollen ihm dafür soph. Argumente liefern. Der Sportler ist also einer unserer Adressa- ten. Die Argumentationshilfen sollen ihn aus der ‚selbstver- Aufputschmittel, die die Leistung optimieren, sind ja derzeit ein schuldeten Unmündigkeit', wie Kant es ausdrückte, herausho- aktuelles Thema -und das wird stark diskutiert. Dürfen denn len." Asmuth und seinem Projekt geht es also um den mündi- gesunde Menschen überhaupt zu pharmazeutischen Mitteln gen Athleten. Denn auch der Hochleistungssportler hat selbst- greifen, um ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern? Erst kürzlich verständlich immer Alternativen in seinem Handeln. Und das legten Forscher der Berlin-Brandenburger Akademie der Wis- wollen die Philosophen nutzen. senschaften ein Manifest zu diesem Thema vor. Es wurde mit "Das optimale Gehirn" betitelt. Die Forscher plädierten sogar Was aber die Philosophen nicht leisten können, dass stellt der dafür, Neuro-Enhancement-Präperate (NEPs), sogenanntes Forscher auch sofort klar. "Wir wollen und können am Ende Hirndoping, nicht per se zu verdammen. Es gelte, "das Recht keine Kiste mit guten Vorschlägen bereitstellen, in die man eines jeden entscheidungsfähigen Menschen über sein persön- hineingreift und schon ist das Dopingproblem gelöst. Das liches Wohlergehen, seinen Körper und seine Psyche zu funktioniert nicht. Vor allem nicht, wenn es um Moral und bestimmen", hieß es da. Leistungsoptimierung gab es schon Ethik geht", sagt Asmuth kategorisch. Aber das Forschungspro- immer, das sagt auch Professor Asmuth und malt den Teufel jekt kann - und da sind sich die Berliner Forscher ist ziemlich deshalb nicht an die Wand. Doch er fragt sich auch: "Warum sicher - einiges bewirken. Ganz konkret bei den Sportlern. Aber akzeptieren wir uns nicht, wie wir sind, sondern wollen uns auch auf anderen gesellschaftlichen Ebenen. Kinder und immer verbessern und modellieren in der Leistung, in der Jugendliche beispielsweise müssen nachhaltig vor Medikamen- Schönheit und anderen Dingen?" tenmissbrauch im Sport geschützt werden. Das sei ganz wich- tig, betont Asmuth immer wieder. Sein Projekt "Translating Die Gesellschaft erwartet, dass wir stets zur Leistungssteige- Doping - Doping übersetzen" führt auch deshalb konkret rung bereit sind. Es gibt und gab jedoch Kulturen, wo das nicht Wissenschaftler und Verantwortliche unterschiedlicher Fach- der Fall war. "Da hat man, platt gesagt, den Menschen genom- richtungen und Verbände zusammen, veranstaltet Hearings, die men, wie Gott ihn hingestellt hat. Das änderte sich erst mit der eine Außenwirkung haben. Unsere Zielgruppen sind neben den Aufklärung. Wir müssen also fragen: Woher kommt der Leis- Sportlern, Juristen und Politikern auch die Schüler und Lehrer. tungsanspruch der Gesellschaft und auch der internalisierte Hier werden die Philosophen konkreter. "Auf unserer Website Leistungswille? Dass wir also die Anforderung, die an uns werden spezielle Texte für die speziellen Zielgruppen stehen: gestellt werden, bereitwillig akzeptieren. Sport ist doch ein Aufsätze, Skizzen, Diskussionsbeiträge zum Thema Doping. integraler Teil dieser Entwicklung. Wenn wir das aber so Broschüren werden zielgruppengerecht erarbeitet. Allerdings betrachten, relativiert sich aber auch die immer behauptete sollen gerade die Jugendlichen nicht mit der moralischen Keule Sonderstellung des Sports", so Asmuth. erschlagen werden." Die Schüler sollen vielmehr sanft "geimpft werden". Also Aufklärung ohne den moralischen Zeigefinger. Handelt denn ein Sportler, der bestimmte Medikamente einnimmt, deshalb unmora- lisch oder verstößt gegen ethische Grundsätze? Zunächst sieht Asmuth, der im Übrigen ein ausgewiesener Doping-Gegner ist, den Sportler ganz im philosophi- schen Sinne. Also als freien Menschen, der - idealtypisch- verschiedene Handlungsalter- nativen besitzt. "Es muss, auch bei unserem Projekt, um Aufklärung gehen. Jeder Sportler muss für sich selber die ethische Entscheidung treffen, ob er Mittel nimmt oder nicht. Er steckt zwar in einem extremen Systemdruck, ist aber dennoch eine freie Person - wenn er den Kopf 11
Verbote und Kontrolle sind zwar notwendig. Aber nicht allein ist. Bislang gibt es keinen Kontakt der Projektgruppe "Transla- der Weg, um das Dopingproblem zu lösen. Da sind sich die ting Doping - Doping übersetzen" zum Deutschen Olympischen Forscher ganz sicher. "Doping ist in erster Linie immer noch ein Sportbund (DOSB). Gegen Gespräche mit den diversen Ebenen Verbandsproblem. Die Sportverbände mussten handeln, nach- und Gremien des organisierten Sports haben die Wissenschaft- dem es zu gravierenden Fällen gekommen ist, zu Todesfällen. ler gar nichts einzuwenden. Das ist in ihrem Projekt auch Daher ist das Dopingverbot verständlich, einleuchtend und vorgesehen. Sie sind ja neugierig. "Wir bleiben jedoch immer nachvollziehbar", so Asmuth. Die harschen Verbote sind also auf kritischer Distanz, was nicht mit der Politik des erhobenen eine ebenso drastische Reaktion auf drastische Vorfälle. Nun Zeigefingers zu verwechseln ist. Wir wollen uns doch letztlich werden die Regelungen, die Dopinglistenpolitik, jedoch immer über Argumente verständigen", schlägt Asmuth gerne eine mehr verfeinert. Und der Sport gerät gleichzeitig immer mehr Brücke zum organisierten Sport. in das Fahrwasser der Juristen und Gerichte. Das bedrohe den Sport, meinen Asmuth und sein Forscherteam. Er verliert einen Bislang am meisten verblüfft hat die Philosophen übrigens Teil seiner Autonomie. Zudem habe er beobachtet, dass sich die zweierlei Dinge. Zum einen, dass sie bei ihren Diskussionen mit Argumente ändern. "Gesundheitsschädigung" zum Beispiel Juristen herausgefunden haben, dass die meisten sich gar nicht stehe aktuell nicht mehr so im Vordergrund der Dopingdiskus- für Dopingdelikte zuständig sehen. "Die erklären fast alle, dass sion. Vielmehr werde das Dopingverbot nun eher mit dem Strafrecht und Dopingverfolgung schlecht zusammenpassen", Hinweis auf die "Wettbewerbsverzerrung" begründet, so der schildert Asmuth seine Erfahrungen. Berliner Professor. Zum anderen habe ihn und sein Team überrascht, dass sie Doch verliert der Hochleistungssport durch das Dauerthema einen engen Zusammenhang von Doping und der Debatte um Doping nicht endgültig seine Attraktivität und wird sich in Neuro-Enhancement herausgefunden haben. "Das ist quasi ein Zukunft dadurch womöglich selber abschaffen? Nein, meint Dauerbrenner unserer Arbeit. Doping ist ja im Grunde eine der Philosoph entschieden. Es seien immer nur einzelne Sport- Unterform von Enhancement", so Asmuth. Verblüffend sei aber, arten, die mal gewinnen oder verlieren. Die Tour de France dass auch die Enhancement-Befürworter mit Doping eigentlich scheint zum Beispiel gerade an Popularität zu verlieren. Nicht nichts zu tun haben wollen. "‚Doping ist ja verboten' heißt es zuletzt wegen ihres Dopingproblems. Aber insgesamt bliebe die bei denen, wenn man nachfragt", sagt Asmuth. Sportbegeisterung, die Wertigkeit des Sports bestehen. Aller- dings nur unter einer Voraussetzung: Die sportliche Leistung Als eine Art Ethikrat wollen die Berliner Philosophen ihre Arbeit muss von dem Athleten, einem echten Menschen, erbracht nicht verstanden sehen, auch wenn sie schon mal schnell in werden. Doch, und das verblüfft im ersten Augenblick, würde diese Ecke gerückt werden. Ethik sei zwar wichtig. Aber der der Dopingvorwurf auch vermenschlichen, meinen die Berliner systemische Zusammenhang von Sport, Wirtschaft, Recht und Philosophen. So wird eine sportliche Leistung, die als men- anderen Forschungsfeldern ist mindestens ebenso bedeutend. schenunmöglich erscheint, durch den Dopingnachweis wieder Und das könne man eben nicht nur unter dem Stichwort Ethik auf ihr Normalmaß, auf das quasi menschliche Maß, reduziert. verhandeln, so die Projekt-Initiatoren. Deshalb ist auch die Geschieht das nicht, fehlt der Dopingnachweis bei einer Wissenschaftstheorie der Gegenstand der Projektarbeit. Bei- "abnormen Leistung", kann schnell die gegenläufige Entwick- spielsweise wollen die Philosophen noch unbedingt folgendes lung eintreten. Die des Dopings verdächtigen Sportler werden wissen: Was macht man eigentlich in der Pharmaindustrie? dann nicht mehr als Menschen, sondern als Klone, Leistungs- Wie findet die heraus, dass eine Substanz wirkt und vor allem maschinen und Automaten, ja als fast außerirdische Wesen wie? Wie gelangen deren Produkte und Ideen zu den Sport- von einem anderen Stern angesehen und beurteilt. lern? Es gibt ja bereits Forschungen mit digitalen Molekülket- ten, die bloß am Computer entwickelt werden. Da stecke die Doch gerade das mache doch den Sport aus, sagt Asmuth. Der Zielvorstellung der individuellen Medikation dahinter, sagt Sport besteht immer daraus, dass Grenzen überschritten werden. Asmuth. Das alles klingt nicht danach, als sei der Sport irgend- Zudem sei es konstitutiv für den Sport, dass Gegner bezwungen wann sein vielleicht größtes Problem los. Und die Frage werden müssen. "Vielleicht steckt in der Rede von der schließt sich an: Wie lange also wird es Doping geben? "So Entmenschlichung aber zu viel Emphase. Doping ist, denke ich, lange es den professionellen Hochleistungssport gibt!", ist die wirklich ein guter Kniff von uns Sportkonsumenten, wie wir uns eindeutige Antwort der Philosophen. So lange wird nämlich außergewöhnliche Leistungen erklären können", meint Asmuth. der organisierte Sport durch massive Interessenkonflikte geprägt sein - in den Verbänden, der Wirtschaft, der Medizin, Die Reaktionen, die die Philosophen aus anderen Bereichen der WADA, bei den Athleten. Sport sei eben kein homogener erhielten, waren sehr unterschiedlich. "Es gibt teilweise eine Bereich und schon deshalb sind eindeutige Ethikratschläge recht große Abneigung gegen eine Intellektualisierung des nicht zu erbringen. Schon der Sport, wie ihn der Aktive erlebt, Sports. ‚Was wollen die denn?' wird dann immer gefragt", weiß und der Sport, wie ihn der Zuschauer erlebt, seien zwei völlig Asmuth zu berichten. Der Professor erläutert dann, dass die getrennte Sachen, meint Christoph Asmuth. Quasi zwei "Spor- Philosophen-Perspektive gar nicht nur auf den Sport gerichtet te", wenn es den Plural gäbe. 12
XXI. Olympische Winterspiele Vancouver 2010 13
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Blaupause für die Drittel-Spiele: Das IOC ist in der Realität angekommen Von Günter Deister A ls Jacques Rogge noch nicht IOC-Präsident war Die Vancouver-Spiele seien eine "Blaupause für künftige sondern erst Kandidat, verabscheute er die Galaver- Winterspiele", hatte der IOC-Präsident noch vor ihrem Beginn anstaltungen der Medaillengewinner im Turnen und gesagt. Dies ist im Nachhinein eine ebenso berechtigte wie Eiskunstlaufen. Juan Antonio Samaranch hatte sie eingeführt auch gefährliche, zumindest missverständliche Einschätzung. zur Gewinnmaximierung. Der Chirurg aus Belgien sah in Zwangsläufig muss das IOC dem zum Hochglanzprodukt ihnen "Shows, die bei Olympischen Spielen nichts zu suchen entwickelten olympischen Wintersport immer größere Aus- haben". Sollte heißen: Wenn ich Präsident bin, werde ich stellungsbühnen verschaffen. Fündig geworden ist es seit der diese Fremdkörper aus dem Programm herausoperieren und norwegischen Idylle 1994 im 22.000-Einwohner-Städtchen nur Wettkämpfe zulassen. Nun hat es bei den einzigen Win- Lillehammer in der Urbanität von Großstädten und ihrer terspielen, die in Rogges 12-jähriger Amtszeit vergeben und Schnee-Satelliten in den Bergen, in der Reihenfolge Nagano, veranstaltet worden sind, erneut die Glitzerrevue der Kufen- Salt Lake City, Turin, Vancouver und Sotschi 2014. künstler gegeben. Das hat eine starke Aussagekraft. Zum Blaupause-Denken gehört der Enthusiasmus einer Der 67 Jahre alte Belgier ist längst in der Realität angekom- Wintersport-Nation, ihre Gastfreundschaft und die Partylau- men. Es ist eine Realität, in der die Winterspiele unter Förde- ne ihrer Menschen, das Schaffen eines großzügigen Rah- rung und Duldung des IOC zu einer großen Show geworden mens in einer Weltklasse-Stadt für faszinierende Wettkämpfe sind mit hoher Sturzgefahr, fehlenden Geschwindigkeitsbe- und eine trotz mancher Pannen befriedigende Organisation. grenzungen und circensischen Einlagen. Ein überforderter Eine Kopie kann es sicher auch sein für die Friedlichkeit Athlet kann da als betrauerter Grenzgänger enden. Das Ster- künftiger Winterspiele, für verstärkte, nicht erfolglose Bemü- ben des georgischen Rennrodlers Nodar Kumaritaschwili, hungen im Kampf gegen den Dopingbetrug und für Politik- erstes Unfallopfer eines Sportlers bei Olympia, wirkt da wie ferne. Olympia 2010 wurde zu einem Gegenmodell der ein Menetekel. Oder er wird zum gefeierten Artisten hoch in exzessiven Staatsspiele von Peking 2008. So nehmen die der olympischen Zirkuskuppel. Dafür gibt es nun den Begriff olympischen Tage von Vancouver einen hervorragenden "Double McTwist 1260". Es ist die Schöpfung des 23 Jahre Platz ein unter nun 21 Winterspielen. Sie wurden zum Höhe- alten amerikanischen Snowboard-Millionärs Shaun White, der punkt der olympischen Wintersport-Moderne, die nach nach dem Schwungholen aus einer acht Meter hohen Eis- Lillehammer eingesetzt hat. wanne per doppelten Rückwärtssalto mit dreifacher Drehung gen Himmel rotierte. Möglich war das, weil ihm ein Sponsor Doch deutlich wie nie trat auch eine Künstlichkeit hervor, ein für 500 000 Dollar eine Privat-Pipeline zum Üben in den Übermaß, das Fehlen von Proportionen und Maßstäben: Die Rocky Mountains gebaut hatte. Winterspiele als Gernegroß mit einer Glitzerhülle mit zu wenig und auch mit anstößigem Inhalt, Winterspiele, die aus Für Shaun White war der Sprung Gold wert, für den amerika- ihrer Form zu fallen drohen. nischen Olympia-Sender NBC eine fette Einschaltquote und für das Internationale Olympische Komitee eine Verheißung. Das liegt zum einen an der Politik des IOC, die unter Sama- Wie sein spanischer Vorgänger hat Rogge die Fernseh-Dollars ranch immer auch, und nun kaum weniger unter Rogge, eine schätzen gelernt. Ungefragt gibt er regelmäßig, Wasser- Geschäftspolitik war. Der Spanier hatte die Winterspiele seit standsmeldungen gleich, die Höhe des Ersparten an mit dem 1994 vor allem deshalb aus dem Schatten der Sommerspiele Zusatz, dass 2001 die Erbschaft aus der Samaranch-Zeit herausgelöst, um sie besser zu einem eigenständigen Produkt lediglich 105 Millionen Dollar betragen habe. Gegenwärtig entwickeln zu können. Dazu kommt der unlösbare Wider- macht das IOC-Guthaben 466 Millionen Dollar aus. Zum spruch, auch die Winterspiele unter einen universellen Anstieg mit beigetragen hat der TV-Einnahme-Rekord für Anspruch zu stellen. Winter-Leistungssport ist aus klimati- Vancouver 2010 von 1,13 Milliarden Dollar. Grenzüberschrei- schen Gründen allenfalls in einem Drittel der Welt wirklich tungen wie die des Shaun White wirken als Empfehlung für zuhause. Zudem verteilen sich die Eliten in den einzelnen die bevorstehende Versteigerung der US-Fernsehrechte für Sportarten und Disziplinen auf nur wenige Länder. Die olym- die Winterspiele 2014 in Sotschi. Preis treibende Wirkung hat pische Welt umfasst 205 Nationale Olympische Komitees, 82 zudem das erfolgreiche Abschneiden des amerikanischen davon schickten Mannschaften nach Vancouver, darunter Teams. Wenn die USA, größter Markt für olympisches Spon- erstmals Pakistan, Peru, Chana, Montenegro und die Cayman soring, siegen, siegt das IOC immer mit. Inseln. Sieger kamen nur aus 17, Medaillengewinner aus 26 16
Ländern. Bei den Sommerspielen lauteten die Zahlen 52 und Umweltkiller sind und ungenutzte Anlagen wie die von Turin 81. 2006 zu Mahnmalen der Unvernunft geworden sind. Dennoch sind die Drittel-Spiele wie ihr großer Bruder Som- Eine Lehre aus den Spielen von Vancouver sollte für Rogges IOC merspiele auf 17 Tage gedehnt. Es gibt eine um einen Tag sein, über die Bestimmung des Programms hinaus stärkeren vorgezogene prächtige Eröffnungsfeier, die dem Fernsehen Einfluss auf die Gestaltung von Wettkampfsstätten, die Wett- erstmals zu den Sommerspielen 1996 in Atlanta als Mehrwert kämpfe selbst und ihren Rahmen zu nehmen. Es geht um angeboten wurde. Damals kassierte das IOC zusätzlich 80 Entschleunigung, Regulierung, Begrenzung. Die Funsport- Millionen Dollar. Der Inhalt der Winterspiele wurde auf 86 Wettbewerbe als besonderer Anreiz für die Jugend haben dem Wettbewerbe (Sommerspiele 203) gedehnt, und trotzdem "Schneller, Höher, Stärker" ein "Freier, Bunter, Riskanter" hinzu- sieht das IOC noch viel Platz für Erweiterung. Das ausgeklü- gefügt. Das halsbrecherische Treiben im freien Stil auf buckeli- gelte Programm richtet sich ganz stark nach den Bedürfnis- gen Pisten, Schanzen-Landschaften und Halfpipes geriet im sen des Fernsehens. Es muss für seine Inszenierungen mög- Umfeld nordamerikanischer Sportkultur zu einem "Rock 'n' Roll" lichst ohne große Pausen gefüttert werden. Das fällt schwer, des Wintersports. Es stellt sich die Frage: Wie weit darf Olympia denn für zusätzliche Programm-Ware fehlt es an Qualität. Zirkus sein? Sieben Wintersport-Verbände besorgen dem IOC die Eine Mixed-Staffel im Biathlon ist im Gespräch, sogar eine Wettkämpfer, dafür werden sie großartig honoriert. 126 Millio- Staffel im Rodeln (Warum dann nicht auch gleich eine im nen Euro waren es für die Turin-Spiele, für Vancouver dürfte Bob?) und das umstrittene Skispringen für Frauen. Es wäre das Verbände-Honorar mehr als 150 Millionen Dollar betragen. ein Springen für weniger als 100 Frauen, die weltweit auch Fast alle Federationen sind ohne die Zahlungen des IOC nicht nur einigermaßen wettbewerbsfähig sind. überlebensfähig. Das Internationale Olympische Komitee hat starke, bisher nicht ausreichend genutzte Einwirkungsmöglich- Im krassen Missverhältnis steht der Aufwand. Wintersport auf keiten auf die Gestaltung seiner Spiele. höchstem Niveau ist durch den Zwang zur Ausrüstung, den Einsatz von High Tech und Wissenschaft, die Schaffung beson- Nach Vancouver nun also Sotschi, die Kontrast-Spiele am derer Wettkampfstätten und nicht zuletzt durch den Verbrauch Schwarzen Meer, die eine Ähnlichkeit mit ihrem Vorgänger nur von Natur teuer. Wintersport hat zudem wegen seiner zum Teil deshalb haben werden, weil die mediterrane Lage ebenfalls sehr speziellen Disziplinen stark eingeschränkte Auswirkungen hohe Wärmegrade in der Stadt verspricht. Von Putin dirigierte auf den Breitensport. Die Aussicht, sich wegen vergleichbar Staatsspiele, Retortenspiele, weil alles neu erschaffen werden geringer internationaler Konkurrenz mit olympischen Medaillen muss, rücksichtslose Spiele wegen der Zwangsräumung von schmücken zu können, hat unter wenigen Ländern zu einem Häusern zur Gewinnung olympischen Terrains, Spiele der Wettrüsten mit hohen Einsätzen und beträchtlichen Risiken Umweltzerstörung, Spiele am und im Kaukasus mit einem geführt. Beispielhaft dafür wirkt der Schlittensport. 69 Millio- Pulverfass des Terrors im Hinterhof. Rogge, der sie nicht verhin- nen Euro hat sich Vancouver seinen Hochgeschwindigkeits- dern konnte, oder auch nicht wollte, wird sie nicht mehr als Eiskanal kosten lassen. Die "schönste und schnellste Piste der Präsident erleben. Wohin die Winterspiele danach gehen, dass Welt" war Teil des 83 Millionen Euro teuren nationalen könnte er noch beeinflussen. Nimmt man seine Vancouver- Erfolgsprogramms "Own the podium", mit dem Kanada das Blaupause ganz ernst, dann hätte München einen ganz deutli- eigene Team an die Spitze des olympischen Wintersports chen Standortvorteil gegenüber seinen Konkurrenten Pyeong- hieven wollte. Doch hunderte von Testfahrten der eigenen chang und Annecy im Wettbewerb um die Winterspiele 2018. Rodler, Bobfahrer und Skeletonis erbrachten nicht die kalku- lierte Medaillen-Ernte. Die fuhren die deutschen Kufenflitzer München kann vieles bieten, was Vancouver ausgezeichnet ein, weil sie sich am besten auf die Hochgefährlichkeits-Piste hat, und manches mehr. Dies der Hundertschaft von Olym- einzustellen vermochten. piern mit sympathischer Zurückhaltung nahe zu bringen, war in Vancouver die Mission von Willy Bogner und seinem Deutschland als "Schlittenland". Es leistet sich seit der Verei- Bewerbungsteam. Welchen Erfolg sie hatte, wird sich erst am nigung vier von 16 Kunsteis-Kanälen weltweit, zahlt für ihren 6. Juli 2011 im südafrikanischen Durban erweisen. Die Mehr- Unterhalt Millionen von Euro und rüstet sein rasendes Perso- zahl der guten Argumente liegt bei München, doch das ist nal mit dem im Berliner Institut für Sportgerätebau ertüftel- keine Garantie. Rivale Pyoengchang wird viele Stimmen ten Spitzenmaterial aus. Die ganze Problematik liegt in der bekommen mit dem Argument, nach zwei knappen Niederla- Zahl 16, die sich durch die Winterspiele in Sotschi auf 17 gen gegen Vancouver und Sotschi und bereits erfolgter erhöht und auf 18 steigt, falls Pyeongchang die Winterspiele Investition von rund einer Milliarde Euro in Wettkampfstätten 2018 zugesprochen bekommt. Will heißen: Hunderte Millio- und Infrastruktur nun "dran" zu sein. nen Euro Investitionen weltweit für Bau und Unterhalt von Anlagen, um einer Minielite die Möglichkeit zu geben für Wäre da nicht Thomas Bach, München würde als ein krasser Wettkämpfe und Training. Zum Übermaß gehört, dass Kunst- Außenseiter in die Entscheidung gehen. Der DOSB-Präsident eispisten wegen ihres Raum- und Energiebedarfs die größten ist der Regisseur der Münchner Bewerbung. Er stellt die 17
Mannschaft zusammen, gibt Einsätze und Ideen. Als zweima- die asiatische Allianz, bestehend aus 26 von 114 IOC-Stim- liger Chef-Evaluierer der olympischen Kandidatenstädte men, scheint zu bröckeln. Japan will für 2020 erneut Tokio ins (2002, 2004) kennt er das Geschäft der Bewerbung aus dem Rennen schicken, die Golf-Staaten Doha. China strebt mit Effeff. Im IOC hat sich Bach eine starke Hausmacht geschaf- Harbin für 2022 eine Winterspiele-Bewerbung an. Eine Pye- fen. Das Stimmverhältnis von 80:14, mit dem er in Vancouver ongchang-Wahl würde einen Erfolg ausschließen. als IOC-Vizepräsident wiedergewählt worden ist, darf als Vertrauensbeweis gewertet werden. Würde der Rogge-Nach- Hinzu kommt in Vancouver für Pyeongchang ein Sieg, der folger jetzt gewählt, wäre er unter einem halben Dutzend sich als Niederlage auswirken könnte. Auf Ersuchen des denkbarer Kandidaten der Favorit. Doch wird er wohl erst Bewerbungskomitees von Pyeongchang hatte die südkoreani- nach der Wahl des Wintersportortes 2018 entscheiden, ob er sche Regierung den ehemaligen Samsung-Firmenchef Lee seinen Hut in den Ring werfen soll. Yoon Kang Ro, der Gene- Kun He begnadigt. Der Multimilliardär war im vergangenen ralsekretär des koreanischen Bewerbungskomitees, sagt, Bach Sommer wegen Steuerbetrugs zu drei Jahren Haft auf mache Münchens besondere Stärke aus: "Wir haben einen Bewährung und zu 68 Millionen Euro verurteilt worden. Das starken Konkurrenten, der auch von der Wirtschaft unter- hatte Lee das Stimmrecht als IOC-Mitglied gekostet. Dann stützt wird. Deutschland ist eine Wintersportnation. Und sie geschah Seltsames. Zwei Tage vor der Sitzung des IOC- hat in Bach einen starken Kandidaten für die nächste Präsi- Exekutivkomitees in Vancouver verkündete ein Firmenspre- dentschaft. Er hat großen Einfluss auf viele IOC-Mitglieder." cher des Weltkonzerns und Olympia-Sponsors Samsung in Seoul, Lee werde sein Stimmrecht zurückerhalten. Und so Ob Pyeongchang selbst unveränderte Kraft für seinen dritten entschied dann auch die olympische Regierung. und wohl letzten Anlauf aufbringen kann, ist fraglich. Nur noch mit 30:13 Stimmen hat Südkoreas NOK die 46 000- Für die Reputation des IOC war die Entscheidung schädlich, Einwohner-Stadt in das Duell mit München geschickt. Die und für Pyeongchang sicher nicht von Vorteil. Denn Kritik kam Gegenstimmen kommen aus dem Lager von Busan, das sich auch aus dem Kreis der Olympier. Rogge selbst ließ auf voran- um die Sommerspiele 2020 bewerben will. "Pyoengchang hat gegangene Fälle verweisen, in denen verurteilte und dann zweimal verloren. Sommerspiele bringen der Nation mehr begnadigte IOC-Mitglieder ebenfalls ein olympisches Vergeben Nutzen als der Wintersport-Ableger. Die NOK-Auswahl ist gefunden hätten. So gibt es Blaupausen, die durch Korrekturen unfair", beklagte Busans Bürgermeister Hur Nam Sik. Auch an Wert gewinnen, und Blaupausen, die nichts taugen. Trends und Volkshelden, Höhenflüge, Tragödien und sportliche Katastrophen Von Hartmut Scherzer O " Canada". Als wäre der Titel der Nationalhymne einst zwischen Atlantik und Pazifik und südlich des Arktischen eigens für die Olympischen Winterspiele 2010 in Ozeans in Ekstase versetzt wie sonst nur der Gewinn des Vancouver bestimmt worden. "O Canada" staunte die "World Cup" die Fußball-Nationen Brasilien, Italien oder Welt über die Mannschaft mit dem roten Ahornblatt als Deutschland. "Wappen. "O Canada". Vierzehnmal erklang nach 86 Wett- kämpfen diese Hymne. Die letzte war Sinfonie und Rock Mit 14 Goldmedaillen ist Kanada nicht nur die erfolgreichste zugleich in den Ohren des 34-Millionen-Volkes, der wunder- Nation der XXI. Winterspiele. So viel Gold auf einmal hatte barste Klang nach dem Gewinn der kostbarsten aller Medail- zuvor noch nie eine Nation im Winter geschürft. Und das 22 len. Eishockey-Gold für Kanada! "O Canada". Der Titel "Olympic Jahre nach den verpatzten Heimspielen 1988 in Calgary, wo Champion" in seinem Nationalsport hat das riesige Land Kanada bei der Verteilung der Goldmedaillen leer ausgegan- 18
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