Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Energiesektor

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Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Energiesektor
INTERVIEW
                                                                           ZUKUNFTSFRAGEN

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf
den Energiesektor
Der graduelle Lockdown, der am 9. März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie begann, führt zu einer massiven Beeinträch-
tigung der Strom- und Energiemärkte. Es zeigen sich Verwerfungen auf die Strompreise von privaten Haushaltskunden, ins-
besondere im Hinblick auf die EEG-Umlage. Darüber sowie über Effekte für den Klimaschutz und die wirtschaftspolitische
Bewältigung der Krise sprach „et“ mit Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Direktor und Geschäftsführer des Energiewirtschaftli-
chen Instituts an der Universität Köln.

„et“: Welche Auswirkungen hat die Corona-
Pandemie auf den Energiesektor?

Bettzüge: Die Maßnahmen zur Eindämmung
der Pandemie haben zu einem erheblichen
Einbruch der Wirtschaftsleistung geführt. In
der Folge hat sich auch die Energienachfrage
stark reduziert, insbesondere wegen der
deutlich gesunkenen Verkehrs- und Trans-
portleistungen und des gesunkenen gewerbli-
chen Strombedarfs. Bereits im ersten Quartal
2020 ist die Nachfrage nach Primärenergie
in Deutschland um gut 7 % zurückgegangen.
Dabei waren erst zum Ende des Quartals die
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den
Energieverbrauch deutlicher erkennbar. Im
zweiten und dritten Quartal wird der Corona-
Effekt verstärkt sichtbar werden, sofern die
Wirtschaft nicht schnell wieder anspringt.

„et“: Was passiert mit den Preisen?

Bettzüge: Der enorme Preisverfall beim Roh-
öl ist für alle sichtbar. Auch beim Erdgas sind
die Rückgänge beträchtlich. Der Vergleich
aktueller Future-Notierungen mit denen von        		      Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Direktor und Geschäftsführer des Energiewirtschaftlichen Instituts
Ende 2019 zeigt einen Rückgang von zeitwei-               an der Universität zu Köln (EWI); Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Energie und Nachhaltigkeit
                                                          an der Universität zu Köln 						                                                       Foto: EWI
se mehr als 30 %. Dieser Abstand wird sich
bis 2022 nur zu einem Teil wieder schließen.
Der Kohlemarkt reagiert im Vergleich bisher       getrieben. Daher ist es nicht verwunderlich,            damit steigt die spezifische Belastung der
verhaltener auf die Corona-Krise. Die ohne-       dass die Preisbildung einen anderen Verlauf             Verbraucher. Andererseits erhöhen sich die
hin niedrigen Notierungen bewegen sich nur        nimmt als die der primären Energieträger.               Differenzkosten zwischen Markterlösen und
leicht unter der Referenz-Entwicklung – Zei-                                                              den gesetzlich garantierten Vergütungen
chen für den Baseload-Charakter dieses Ener-      Auswirkungen auf die Ent-                               für Strom aus erneuerbaren Energien. Wir
gieträgers.                                       wicklung der EEG-Umlage                                 haben am EWI diese Effekte jüngst quantita-
                                                                                                          tiv abgeschätzt (https://www.ewi.uni-koeln.
Interessant ist auch die Entwicklung auf dem      „et“: Hat die Corona-Krise Auswirkungen auf             de/de/news/corona-eeg-umlage/). Demnach
CO2-Markt. Zunächst sank der Zertifikate-Preis    die Entwicklung der EEG-Umlage?                         wäre die EEG-Umlage ohne Corona-Krise im
von 25 € pro t CO2 auf 15 €, erholte sich aber                                                            nächsten Jahr auf 8,1 Cent/kWh gestiegen –
relativ rasch auf 21 € und verharrt seitdem       Bettzüge: Die verminderte Stromnachfrage                ein Anstieg um etwa 1,3 Cent pro kWh gegen-
knapp unter der Marke von 20 €. Der Handel        und der Rückgang der Strompreise an den                 über dem aktuellen Stand. Den Corona-Effekt
mit Emissionszertifikaten wird vor allem auch     Börsen um etwa 10 € je MWh wirken in dop-               beziffert diese Rechnung zusätzlich mit
von längerfristigen Erwartungen sowie dem         pelter Hinsicht auf eine Erhöhung der EEG-              1,9 Cent pro kWh. Ohne zusätzliche dämpfen-
komplexen Zusammenspiel der Marktentwick-         Umlage Umlage hin: Einerseits verringert                de Maßnahmen oder regulatorische Decke-
lungen mit der neuen Marktstabilitätsreserve      der sinkende Verbrauch die Umlagebasis;                 lungen hätte die EEG-Umlage 2021 so auf den

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Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Energiesektor
INTERVIEW
                  ZUKUNFTSFRAGEN

 „Die verminderte Stromnachfrage und der Rückgang der Strompreise an den Börsen um etwa 10 € je MWh
 wirken in doppelter Hinsicht auf eine Erhöhung der EEG-Umlage hin: Einerseits verringert der sinkende
 Verbrauch die Umlagebasis; damit steigt die spezifische Belastung der Verbraucher. Andererseits erhöhen
 sich die Differenzkosten zwischen Markterlösen und den gesetzlich garantierten Vergütungen für Strom aus
 erneuerbaren Energien.“

 Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Direktor und Geschäftsführer des Energiewirtschaftlichen Instituts an
 der Universität zu Köln (EWI); Professor für Volkswirtschaftslehre, Energie und Nachhaltigkeit an der
 Universität zu Köln

Rekordwert von fast 10 Cent pro kWh steigen        erreicht. Für die Finanzierung von weiteren      übergreifend – Forderungen nach Wirtschafts-
können.                                            EE-Anlagen – in immer denselben Wind- und        belebung und Investitionsprogrammen erho-
                                                   Sonnenbedingungen – wäre es also gut, wenn       ben – also nach mehr Energieverbrauch und
„et“: Erhöht Corona also den Druck, grund-         in solchen Stunden flexible zusätzliche Nach-     mehr Emissionen. Daher ist der aktuelle Rück-
sätzlich über die EEG-Umlage zu diskutieren?       frage nach Strom entstünde, beispielsweise       gang bei den Emissionen aller Voraussicht
                                                   durch Power-to-Heat oder Speicher. Doch so-      nach nur temporär. Wenn die Wirtschaftsleis-
Bettzüge: Der prognostizierte starke Anstieg       lange der Strom u.a. durch die EEG-Umlage so     tung wieder zunimmt, werden auch die Emis-
der EEG-Umlage ist der gegebene Anlass für         stark verteuert wird, rechnen sich derartige     sionen wieder steigen.
die ohnehin sinnvolle Revision der EEG-Finan-      Modelle nicht.
zierung. Bereits im Klimapaket aus dem ver-                                                         „et“: Gilt das auch global?
gangenen Herbst wurden Staatszuschüsse             Um noch mehr EE-Anlagen in die immer
zu den Kosten des Erneuerbare-Energien-            gleichen meteorologischen Bedingungen in         Bettzüge: Ja. Die klare Priorität liegt überall
Ausbaus in Aussicht gestellt. Mit dem Corona-      Deutschland zu integrieren, muss die EEG-        auf der Welt auf der wirtschaftlichen Erholung.
Hilfspaket von Anfang Juni baut die Bundes-        Umlage also gesenkt – sprich: es muss eine       Der Ehrgeiz der Staaten der Weltgemeinschaft,
regierung dieses Engagement deutlich aus.          andere Finanzierungsquelle gefunden – wer-       Emissionen schnell zu vermindern, hat sich
Die Deckelung der EEG-Umlage auf 6,5 Cent          den. Nach Lage der Dinge kann dies wohl nur      durch die Corona-Pandemie sicherlich weiter
je kWh in 2021 und 6,0 Cent je kWh in 2022         der Staatshaushalt sein. Corona hat diese un-    reduziert. Zumal fossile Brennstoffe günstiger
wird den Bundeshalt nach ersten Berechnun-         vermeidliche Wirkung der EE-Expansion also       geworden und die Kosten von Vermeidungs-
gen zusätzlich zu den Beschlüssen des Klima-       beschleunigt.                                    maßnahmen entsprechend gestiegen sind. Die
pakets mit weiteren etwa 11 Mrd. € belasten.                                                        politischen und finanziellen Anstrengungen
Auf der Gegenseite werden die verfügbaren          Positive Effekte für                              für den Klimaschutz werden daher weltweit
Einkommen der privaten Haushalte nicht wei-        den Klimaschutz?                                 vermutlich eher sinken als steigen. Insbeson-
ter belastet, da der Endkundenstrompreis so                                                         dere in China und den USA ist eine solche Ent-
in etwa stabilisiert werden kann. Die soziale      „et“: Hat die Corona-Krise positive Effekte für   wicklung bereits deutlich erkennbar.
Schieflage durch die bisherige Praxis der           den Klimaschutz?
Förderung erneuerbarer Energien wird somit                                                          „et“: Steigen damit die Chancen, die EU tat-
nicht weiter verschärft.                           Bettzüge: Die Maßnahmen zur Eindämmung           sächlich bis 2050 klimaneutral zu machen, wie
                                                   der Corona-Pandemie haben einen erheblichen      es der europäische Green Deal vorsieht?
„et“: Bis 2030 soll der Anteil von Strom aus er-   Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten
neuerbaren Quellen auf 65 % am Bruttostrom-        zur Folge. Damit verbunden ist ein spürbarer     Bettzüge: Die Verringerung der Emissionen
verbrauch steigen. Das ist noch ein langer Weg.    Rückgang der Treibhausgas-Emissionen. Welt-      könnte die Diskussion über ambitioniertere
                                                   weit wird der Rückgang um rund 20 % – also       Klimaziele verstärken. Aber die Corona-Krise
Bettzüge: In der Tat. Zumal bei den ehrgeizi-      etwa auf das Niveau von 2006 – geschätzt. In     verändert auch die Rahmenbedingungen. Eine
gen Zielen berücksichtigt werden muss, dass        Deutschland könnte mit einem derart starken      Verschärfung der Klimaziele in der EU wäre
der EE-Ausbau in eine neue Phase eingetreten       Rückgang sogar das Klimaziel der Bundesre-       meines Erachtens mit einer doppelten Heraus-
ist. Denn je stärker die Stromerzeugung aus        gierung für 2020 erreicht werden. Die Coro-      forderung verbunden. Der Abstand des Ambiti-
Wind und Sonne ausgebaut wird, umso mehr           na-Pandemie bestätigt also einmal mehr den       onsniveaus zwischen der EU und dem Rest der
wird sie Opfer ihres eigenen Erfolgs: Je mehr      engen Zusammenhang zwischen Wirtschafts-         Welt würde sich vergrößern, und die Finanzier-
Anlagen installiert sind, umso mehr Strom          leistung und Emissionen.                         barkeit noch höherer Ziele ist zweifelhaft.
steht in wind- oder sonnenreichen Stunden
zur Verfügung – und drückt dann den Markt-         Interessanterweise werden die absoluten          Denn die Finanzkraft der Mitgliedstaaten ist
preis. Eine Sättigung des Strommarkts mit          Rückgänge bei den Emissionen nicht als neue      geschwächt, weil die direkten und indirekten
EE-Strom ist mittlerweile in etlichen Stunden      Basis angesehen. Stattdessen werden – partei-    Kosten der Pandemie aufgefangen werden

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Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Energiesektor
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                                                                         ZUKUNFTSFRAGEN

 „Die Corona-Krise ist temporär, also müssen die Instrumente ebenfalls temporär sein. Die drei T der Kon-
 junkturpolitik lauten: Timely, Targeted, Temporary. Wir dürfen die Instrumente nicht vermischen: Struktur-
 wandel ist langfristig, Konjunkturprogramme sind temporär. Die Auslöser der Krise liegen außerhalb der
 Wirtschaft: im Lockdown zur Eindämmung der Infektionen.“

 Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Direktor und Geschäftsführer des Energiewirtschaftlichen Instituts an
 der Universität zu Köln (EWI); Professor für Volkswirtschaftslehre, Energie und Nachhaltigkeit an der
 Universität zu Köln

müssen und Steuereinnahmen sinken. Und           Wirtschaften werden. Konjunktur- und Investi-    Der Kapitalstock und das Arbeitspotenzial
auch die finanzielle Belastbarkeit der Haus-     tionsprogramme sollen „grün“ werden. Passen      sind beide nicht gravierend beeinträchtigt.
halte und Unternehmen ist gesunken. Ich gehe     Krisenbewältigung und struktureller Wandel       Energie ist günstig und alles andere als
daher davon aus, dass die bisher nur latenten    zusammen?                                        knapp. Daher ist eine Rückkehr zur Normali-
Zielkonflikte in der Klimapolitik stärker the-                                                     tät zu erwarten, sobald die Beschränkungen
matisiert werden, und dass möglicherweise        Bettzüge: Die Corona-Krise ist temporär, also    weltweit aufgehoben werden. Wichtig und
eine Repriorisierung der Zieldimensionen auch    müssen die Instrumente ebenfalls temporär        dringlich ist jetzt weiterhin, eine Schulden-
in Europa in Aussicht steht.                     sein. Die drei T der Konjunkturpolitik lauten:   krise als Folge der Pandemie zu vermeiden.
                                                 Timely, Targeted, Temporary. Wir dürfen die
Krisenbewältigung und                            Instrumente nicht vermischen: Strukturwan-       „et“: Herr Prof. Bettzüge, vielen Dank für das
struktureller Wandel                             del ist langfristig, Konjunktur-programme        Interview.
                                                 sind temporär. Die Auslöser der Krise liegen
„et“: Der EU-Finanzsektor soll zum starken       außerhalb der Wirtschaft: im Lockdown zur              Das Interview führte Wieland Kramer,
Akteur im Klimaschutz und beim nachhaltigen      Eindämmung der Infektionen.                         Journalist, Wuppertal, im Auftrag von „et“

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