BAUSUBSTANZ 10 Jahre BAUSUBSTANZ
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10 ISSN 2190-4278 | Jahrgang 11 | Heft 6 (Dezember) 2020 Ja www.bausubstanz.de BAUS hre UBS TAN Z BAUSUBSTANZ Zeitschrift für nachhaltiges Bauen, Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege Moderner Holzbau auf altem Friedhofsgrund Stadtreparatur in Parchim Historische Ziegelsplitt- und moderne R-Betone Wormser Liebfrauenkirche – Sanierung im Sinne der Gotik 1|2|3|4|5|6| 2020 Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege e. V.
Projekt Abb. 1: Teil der Ostfassade des über 400 Jahre alten Giebelhauses in Parchim vor seiner Sanierung. Die Fenster stammen aus dem barocken Umbau. Das Fachwerk zeigt Fächerrosetten und eine Inschrift auf dem Schwellenbalken des Speichergeschosses. [© MKK Architekten] Achim Pilz Stadtreparatur in Parchim Über 400 Jahre ist das sogenannte Giebelhaus in Mecklen- Stadt Parchim zählte um 1600 neben Rostock und Wismar zu burg-Vorpommern alt. Zuletzt stand das Bürgerhaus mit dem den bedeutendsten Handelsstädten im Herzogtum Mecklen- imposanten Backsteingiebel im Stil der Renaissance 20 Jahre burg«, führt Dr. Jan Schirmer vom Landesamt für Kultur und leer. Seit 2020 wird das umfangreich denkmalgerecht sanier- Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern in einer Broschü- te, mit einem angrenzenden Gebäude und einem Neubau ver- re der Stadt Parchim über das Giebelhaus [1] aus. »Das bau- bundene Denkmal wieder durch soziale Nutzungen belebt. kulturelle Erbe Parchims wird nicht nur in der Öffentlich- keit, sondern auch in der Fachwelt weitgehend unterschätzt«, P archim ist eine Kreisstadt in Mecklenburg-Vorpommern, urteilt Jakob Kayser, freier Bau- und Kunsthistoriker und Ge- in der Nähe der Hauptstadt des Bundeslandes, Schwe- schäftsführer des Büros für Bauforschung und Kulturver- rin. Der Fluss Elde teilt sich im Stadtgebiet in mehrere mittlung »denkmalAnker« in Schwerin in einer Broschüre Arme, welche auch die westliche Erweiterung der Altstadt der Stadt Parchim über 25 Jahre Stadterneuerung [2]. Er hat umfließen. In der Innenstadt ist der mittelalterliche Stadt- das Giebelhaus im Rahmen einer nutzungsunabhängigen grundriss vollständig erhalten, zudem viele Einzeldenkmale, denkmalpflegerischen Zielstellung umfassend bauhistorisch historische Fachwerkhäuser und zwei Stadtkirchen. »Die untersucht. 20 Bausubstanz 6 | 2020
Abb. 2: Giebelhaus-Quartier. Im Süden schließt der langgestreckte alte Markt an, Abb. 3: Das Denkmal von überregionaler Bedeutung stand vor der Sanierung an dessen anderem Ende das gotische Rathaus steht. [© Stadt Parchim] jahrelang leer. Das hochwertige Fachwerk und der Dachstuhl aus Eichenholz sind weitgehend aus der Erbauungszeit erhalten. [© MKK Architekten] Ostdeutscher Sanierungsstau war sie rauchfrei (Abb. 4). Damit ist das Dielenhaus »von überregionaler Bedeutung«, bewertet Denkmalpfleger Dr. Wie in vielen Orten Ostdeutschlands gab es auch in Parchim Jan Schirmer. Dem Fachwerk vorgeblendet ist ein repräsen- 1990 einen großen Sanierungsstau. In der Folge wurde die tativer ziegelsichtiger Ziergiebel im Stil der flandrischen Re- Kreisstadt in das Städtebauförderprogramm aufgenommen naissance (Abb. 5). »Der Giebel, [...] massiv aus Backstein er- und der städtebauliche »Rahmenplan Altstadt« beschlossen. richtet, die Größe und Lage des Hauses unterstreichen den 2015 wurden MKK Architekten mit der grundlegenden Über- repräsentativen Anspruch des Bauwerks und die soziale Stel- arbeitung des Rahmenplans beauftragt, u. a. mit öffentlichen lung ihrer Bauherren«, betont Jakob Kayser. Beteiligungen wie Bürgerversammlungen. Frank Kirsten von MKK hatte schon 2001 ein über 400 Jahre altes Fachwerk- haus mit vier Etagen und Speicherböden in Parchim saniert. Überregionale Bedeutung Das Giebelhaus gehört zu den ältesten erhaltenen Bürger- häusern der Stadt. Es steht an der nördlichen Stirnseite des alten Marktes, Parchims ältestem Platz, gegenüber dem statt- lichen gotischen Rathaus (Abb. 2). Das dreischiffige Geschäftshaus mit vierstöckigem Speicherboden und rückwärtigem Kemladen (Wohnhaus) wurde zwischen 1601 und 1604 als Dielenhaus in Geschoss- ständerbauweise errichtet und hat ein geräumiges Tonnen- gewölbe. Das hochwertige Fachwerk und der Dachstuhl mit bauzeitlichem Windenrad – alles aus Eichenholz – sind weit- gehend aus der Erbauungszeit erhalten (Abb. 3). Zentrum des Hauses und des Wirtschaftens war eine große, zwei Ge- schosse hohe Diele. Sie war wichtiger Verkehrsweg und re- Abb. 4: Grundriss des Giebelhaus-Erdgeschosses im Bestand vor der Sanierung mit präsentativ ausgestaltet. Da die Küche schon abgetrennt war, den wichtigsten bauzeitlichen Funktionsbereichen [© Jakob Kayser] Bausubstanz 6 | 2020 21
Sylvia Stürmer, Walter Fritz Technik Von historischen Ziegelsplitt- und modernen R-Betonen Ein Plädoyer für mehr Akzeptanz von Recyclingbaustoffen 1 Einführung sehr energieintensiven Zements wer- als 2.000 Jahren Ziegelscherben mit den dabei auch die Gesteinskörnun- einem Bindemittel zu neuen, druck- Das Bauwesen gehört zu den größ- gen betrachtet. Sie machen den größ- festen Materialien zusammengefügt. ten Verbrauchern natürlicher Ressour- ten Anteil am Beton aus. Das bekannteste Beispiel hierfür ist cen und Energie der deutschen Wirt- Möglichkeiten, gebrochene Baustof- wahrscheinlich das Opus Caementi- schaft. Das ist in vielen Fällen trotz- fe als Gesteinskörnung in Mörteln und tium, bei dem die Römer Ziegelsplitt dem ökologisch und ökonomisch ver- »Betonen« zu verwenden, werden seit und andere keramische und natürliche tretbar, weil Bauteile und Bauwerke mehr als 2.000 Jahren genutzt. Aktu- puzzolanische Materialien mit Kalk als verglichen mit anderen Produkten eine ell, in Zeiten knapper werdenden San- Bindemittel in festen Mörteln und »Be- deutlich längere technische Lebens- des und begrenzter Deponiemöglich- tonen« verwendeten [1]. dauer haben und nach ihrem Rückbau keiten, unterstützt durch Regelwer- Seit dem Jahr 2.000 gräbt ein hohe Recyclingquoten erzielt werden. ke, die den gleichwertigen Einsatz deutsch-italienisches Team auf der Wenn es um Einsparmöglichkeiten von RC-Baustoffen ermöglichen, ge- Akropolis der Mittelmeer-Insel Pan- im Bauwesen geht, steht der Massen- winnt dies wieder maßgeblich an Be- telleria unter der Leitung von Thomas baustoff Beton besonders im Fokus. deutung. Einige Transportbetonwer- Schäfer von der Universität Tübingen Er besteht aus vergleichsweise weni- ke, vor allem in Baden-Württemberg, [2] u. a. in Bereichen von Zisternen in gen, natürlichen Rohstoffen, was die führen mittlerweile R-Betone in ihrem typisch langovaler Form, wie sie aus spätere Trennung und Weiterverwen- Standardlieferprogramm. Karthago und anderen punischen Nie- dung dieser mineralischen Baustof- derlassungen bekannt sind. Sie sind fe gegenüber vielen modernen, auch 2 »Recycling« mineralischer auf der Wasserseite mit Opus Signi- kunststoffhaltigen Verbundbaustoffen um »abgedichtet« und zum Teil so gut deutlich erleichtert. Stoffe in der Baugeschichte erhalten, dass sie noch heute als Was- Dennoch wird daran gearbeitet, die Die Baugeschichte weist zahlreiche serspeicher dienen können (Abb. 1). ökologischen Daten und die Nachhal- Beispiele für die Wieder- bzw. Weiter- Nach dem Zweiten Weltkrieg wur- tigkeit von Beton zu verbessern. Neben verwendung von gebrochenen Mate- de Mauerwerksbruch in großen Men- der Einsparung des bei der Produktion rialien auf. So wurden bereits vor mehr gen u. a. für die Betonherstellung ein- Bausubstanz 6 | 2020 37
gesetzt. Einerseits mangelte es in die- ser Zeit an Baustoffen, da die Produk- tions- und Transportmöglichkeiten Abb. 1: Die 2.000 Jahre alte Zisterne auf der italieni- fehlten, anderseits lagen die Straßen schen Insel Pantelleria besteht aus puzzolanischem voller Schutt, der geräumt werden Mörtel mit Ziegelbruch und -mehl. Sie ist auf der Wasserseite mit Opus Signium »abgedichtet« und musste. Während die intakten Zie- zum Teil so gut erhalten, dass sie noch heute als gel vom Mörtel befreit und wieder im Wasserspeicher dienen kann. Mauerwerk verbaut wurden, wurden die Bruchstücke in Brecheranlagen Abb. 4: Das Studentenwohnheim Max-Kade-Haus in zerkleinert und als Gesteinskörnung Stuttgart wurde 1953 aus Bauschuttbeton errichtet. für Beton eingesetzt. Bis 1955 wur- Die Fassade und alle sonstigen Betonbauteile des den so circa 11,5 Mio. m3 rezyklierte Hochhauses sind bis heute im Originalzustand er- halten. Gesteinskörnung produziert und als Baumaterial verwendet. Als 1960 al- le Schuttberge beseitigt waren, wurde Hochhaus mit insgesamt neunzehn diese damalige Form des Recyclings Stockwerken, das damals auf zwölf eingestellt [3]. Wohnetagen Platz für 156 Studieren- Die Rezepturen und Erfahrungen de bot. aus dieser Zeit sind leider nicht über- Inspiriert durch eine Ausstellung liefert. Über die Dauerhaftigkeit der im Juni 1947 zum Thema »Baustof- daraus hergestellten Bauteile und Bau- fe aus Trümmern« schuf Fritz Leon- werke sind keine nachteiligen Infor- hardt die Statik für das Hochhaus un- mationen bekannt. Bei Untersuchun- ter Verwendung von Stahlbeton B 225 gen im Rahmen von Forschungspro- und Ziegelsplittbeton B 160. Für Letz- jekten an einzelnen Objekten wurden teren wurde der Trümmerschutt ver- die wesentlichen Festbetonkennwerte wendet, der auf dem benachbarten erfasst und mit den Anforderungen an ehemaligen Friedhofsareal lagerte. Die heutige Betone verglichen. Ein Beispiel Bauarbeiten begannen am 10. Oktober Abb. 2: Der Zustand der Fatima-Kirche in Kassel aus hierfür ist die monumentale Fatima- 1952 und bereits am 1. Dezember 1953 Sichtbeton mit Ziegelbruch ist – gemessen am Alter Kirche in Kassel aus Sichtbeton mit war das Haus bezugsbereit. von ca. 60 Jahren – sehr gut. Es bestand nur ver- gleichsweise geringer Instandsetzungsbedarf, … Ziegelbruch (Abb. 2 und 3). Der Zu- Die mit Heraklithplatten gedämm- stand des bemerkenswerten Kirchen- te Fassade des Max-Kade-Hauses und baus ist – gemessen am Alter von ca. alle sonstigen Betonbauteile sind bis 60 Jahren – sehr gut und es bestand heute im Originalzustand erhalten vergleichsweise geringer Instandset- (Abb. 5 und 6). Auch der mineralische zungsbedarf. Außenputz ist selbst in großer Gebäu- dehöhe noch im Originalzustand er- 3 Bemerkenswertes Stahlbeton- halten. Das ist ebenfalls bemerkens- wert: Denn zum einen werden heu- Hochaus aus Ziegelsplittbeton te Hochhausfassaden aus Kosten- In der Nähe der Universität Stuttgart und Expositionsgründen in der Regel wurde 1953 mit einer großzügigen nicht mehr verputzt, zum anderen hat Spende der Max Kade Foundation ein der Putz mit fast 70 Jahren sein »Ver- Studentenwohnheim als Hochhaus aus fallsdatum« bereits weit überschrit- Bauschuttbeton errichtet (Abb. 4). Die ten. Die mittlere technische Lebens- Architekten Wilhelm Tiedje und Lud- dauer für solche Putze gibt der Bund Abb. 3: … wie auch diese Detailaufnahme belegt. wig Hilmar Kresse entwarfen dieses Technischer Experten e.V. mit 50 Jah- 38 Bausubstanz 6 | 2020
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