Begutachtungs-leitlinien zur Kraftfahreignung - Stand: 31.12.2019 - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen - OPUS

 
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Begutachtungs-leitlinien zur Kraftfahreignung - Stand: 31.12.2019 - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen - OPUS
Begutachtungs-
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                                                                              Kraftfahreignung
                                                                                        Stand: 31.12.2019

                         Heft M 115
                         Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen

                                                                                           Berichte der
                                                                       Bundesanstalt für Straßenwesen
                                                                              Mensch und Sicherheit   Heft M 115
ISSN 0943-9315
ISBN 978-3-95606-479-1
Begutachtungs-
            leitlinien zur
       Kraftfahreignung
                 Stand: 31.12.2019

                                 bearbeitet von

                      Dr. med. Nicole Gräcmann
                       Dr. med. Martina Albrecht

                 Bundesanstalt für Straßenwesen

                    Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen
       Mensch und Sicherheit     Heft M 115
Die Bundesanstalt für Straßenwesen
veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs-
ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe
besteht aus folgenden Unterreihen:
A - Allgemeines
B - Brücken- und Ingenieurbau
F - Fahrzeugtechnik
M - Mensch und Sicherheit
S - Straßenbau
V - Verkehrstechnik
Es wird darauf hingewiesen, dass die unter
dem Namen der Verfasser veröffentlichten
Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des
Herausgebers wiedergeben.
Nachdruck und photomechanische Wieder-
gabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmi-
gung der Bundesanstalt für Straßenwesen,
Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.
Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen können
direkt bei der Carl Ed. Schünemann KG,
Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen,
Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53, bezogen werden.
Über die Forschungsergebnisse und ihre
Veröffentlichungen wird in der Regel in Kurzform im
Informationsdienst Forschung kompakt berichtet.
Dieser Dienst wird kostenlos angeboten;
Interessenten wenden sich bitte an die
Bundesanstalt für Straßenwesen,
Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.
Die Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) stehen
zum Teil als kostenfreier Download im elektronischen
BASt-Archiv ELBA zur Verfügung.
http://bast.opus.hbz-nrw.de

 Zitierhinweis
 Die Begutachtungsleitlinien werden kapitelweise fortlaufend aktualisiert.
 Für die Zitierung ist die Angabe des Standes (siehe Titel) unverzichtbar.
 Bitte zitieren Sie aus den Begutachtungsleitlinien folgendermaßen:
 Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung,
 Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Stand 31.12.2019

Impressum

Bericht zum Forschungsprojekt F 1100.4388001
der Bundesanstalt für Straßenwesen
Herausgeber
Bundesanstalt für Straßenwesen
Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach
Telefon: (0 22 04) 43 - 0
Redaktion
Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Druck und Verlag
Fachverlag NW in der
Carl Ed. Schünemann KG
Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen
Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53
Telefax: (04 21) 3 69 03 - 48
www.schuenemann-verlag.de
ISSN 0943-9315
ISBN 978-3-95606-479-1
Bergisch Gladbach, Januar 2020
3

Kurzfassung – Abstract

Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung           Evaluation guidelines for driving ability

Die Begutachtungsleitlinien sind eine Zusammen-        The evaluation guidelines are a compilation of
stellung eignungsausschließender oder eignungs-        physical and/or mental handicaps that make people
einschränkender körperlicher und/oder geistiger        unable to drive or limit their driving ability. They are
Mängel und sollen die Begutachtung der Kraftfahr-      intended to ease the case-by-case evaluation of
eignung im Einzelfall erleichtern. Sie dienen als      driving ability. They are also intended as a reference
Nachschlagewerk für Begutachtende, die Fahr-           tool for evaluators who have to judge driving licence
erlaubnisbewerber oder -inhaber in Bezug auf ihre      applicants or holders with regard to their ability to
Kraftfahreignung beurteilen.                           drive.

In der 6. Auflage im Jahr 2000 wurden die Begut-       The evaluation guidelines “Disease and road traffic”
achtungsleitlinien „Krankheit und Kraftverkehr“        (5th edition, 1996) and the “Psychological expertise
(5. Auflage 1996) und das „Psychologische Gutach-      on driving ability” dated 1995 were combined for the
ten Kraftfahreignung” von 1995 zusammengeführt.        6th edition. The Federal Highway Research Institute
Für die weitere Überarbeitung wurden unter der Fe-     (BASt) coordinated the assembly of expert groups,
derführung der Bundesanstalt für Straßenwesen          including representatives of the respective
(BASt) und unter Beteiligung der jeweiligen Fach-      professional bodies for further revision. The
gesellschaften Expertengruppen einberufen, die die     guidelines are revised and then published online
Leitlinien kapitelweise überarbeiten. Die überarbei-   after approval by the Federal Ministry for Transport
teten Leitlinien werden nach Zustimmung des Bun-       and Digital Infrastructure.
desministeriums für Verkehr und digitale Infrastruk-
tur online veröffentlicht.                             The general section of the guidelines contains basic
                                                       evaluation instructions and deals with the selection
Im allgemeinen Teil der Leitlinien werden grund-       and legal position of the evaluators as well as the
sätzliche Beurteilungshinweise, Auswahl und recht-     requirements for mental capabilities and possible
liche Stellung der Begutachtenden sowie die Anfor-     ways to compensate for handicaps. The chapters of
derungen an die psychische Leistungsfähigkeit und      the special section relate to physical and mental
die Möglichkeiten der Kompensation von Mängeln         handicaps that can have a long-term impact on the
dargelegt. Im speziellen Teil werden in einzelnen      capabilities relevant for the control of a motor
Kapiteln körperliche und geistige Krankheiten und      vehicle and therefore on road safety.
Mängel behandelt, die längerfristige Auswirkungen
auf die Leistungsfähigkeit beim Führen eines Kraft-
fahrzeugs haben, und somit die Sicherheit im Stra-
ßenverkehr gefährden können.
4
5

Inhalt

Präambel .................................................................... 7   3.7       Organtransplantationen ............................... 27
                                                                                  3.8       Lungen- und Bronchialerkrankungen.......... 27
1          Einführung.................................................... 7
                                                                                  3.9       Krankheiten des Nervensystems ................ 27
1.1        Entstehung der Leitlinien ............................... 7
                                                                                  3.9.1     Erkrankungen und Folgen von Verletzungen
1.2        Zuordnung der Fahrerlaubnisklassen ........... 7                                 des Rückenmarks ........................................ 27
                                                                                  3.9.2     Erkrankungen der neuromuskulären
2          Allgemeiner Teil ........................................... 7                   Peripherie..................................................... 28
2.1        Grundsätzliche Beurteilungshinweise ........... 7                      3.9.3     Parkinsonsche Krankheit, Parkinsonismus
2.2        Auswahl des Gutachters ............................... 8                         und andere extrapyramidale Erkrankungen
                                                                                            einschließlich zerebellarer Syndrome ......... 29
2.3        Rechtliche Stellung des Gutachters .............. 9
                                                                                  3.9.4     Kreislaufabhängige Störungen
2.4        Inhalt und Aufgabe der                                                           der Hirntätigkeit............................................ 29
           Begutachtungsleitlinien.................................. 9
                                                                                  3.9.5     Zustände nach Hirnverletzungen und
2.5        Anforderungen an die psychische                                                  Hirnoperationen, angeborene und
           Leistungsfähigkeit ........................................ 10                   frühkindlich erworbene Hirnschäden........... 30
2.6        Kompensation von Eignungsmängeln ....... 12                            3.9.6     Epileptische Anfälle und Epilepsien ............ 31
2.7        Kumulierte Auffälligkeiten ............................ 13             3.10      Störungen des Gleichgewichtssinnes ......... 34
                                                                                  3.11      Tagesschläfrigkeit ........................................ 38
3          Spezieller Teil ............................................. 13
                                                                                  3.11.1 Messbare auffällige Tagesschläfrigkeit ....... 40
3.1        Sehvermögen .............................................. 13
                                                                                  3.11.2 Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom ........... 42
3.2        Hörvermögen ............................................... 13
                                                                                  3.12      Psychische Störungen................................. 44
3.3        Bewegungsbehinderungen ......................... 14
                                                                                  3.12.1     Organisch-psychische Störungen .............. 44
3.4        Herz- und Gefäßkrankheiten ....................... 15
                                                                                  3.12.2 Demenz und organische
3.4.1      Herzrhythmusstörungen .............................. 15
                                                                                         Persönlichkeitsveränderungen .................... 44
3.4.2      Arterielle Hypertonie .................................... 16
                                                                                  3.12.3 Altersdemenz und
3.4.3      Arterielle Hypotonie ..................................... 17                 Persönlichkeitsveränderungen durch
                                                                                         pathologische Alterungsprozesse ............... 45
3.4.4      Koronare Herzkrankheit ............................. 17
                                                                                  3.12.4 Affektive Psychosen .................................... 45
3.4.5      Herzinsuffizienz .......................................... 18
                                                                                  3.12.5 Schizophrene Psychosen............................ 46
3.4.6      Periphere arterielle Verschlusskrankheit..... 18
                                                                                  3.13      Alkohol ......................................................... 47
3.4.7      Herzklappenerkrankungen .......................... 19
                                                                                  3.13.1 Missbrauch .................................................. 47
3.4.8      Angeborene Herzerkrankungen ................. 19
                                                                                  3.13.2 Abhängigkeit ................................................ 48
3.4.9      Kardiomyopathien ....................................... 19
                                                                                  3.14      Betäubungsmittel und Arzneimittel.............. 50
3.4.10 Ionenkanalerkrankungen............................. 20
                                                                                  3.14.1 Sucht (Abhängigkeit) und
3.4.11 Synkopen ..................................................... 21
                                                                                         Intoxikationszustände .................................. 50
3.4.12 Signifikante und operationsbedürftige
                                                                                  3.14.2 Dauerbehandlung mit Arzneimitteln ............ 51
       Verengung der Halsschlagader................... 22
                                                                                  3.15      Intellektuelle Leistungseinschränkungen .... 52
3.5        Diabetes mellitus ......................................... 22
                                                                                  3.16      Straftaten ..................................................... 53
3.6        Nierenerkrankungen .................................... 26
6

3.17       Verstöße gegen verkehrsrechtliche
           Vorschriften .................................................. 54
3.18       Auffälligkeiten bei der
           Fahrerlaubnisprüfung .................................. 55
3.19       Fahrgastbeförderung ................................... 56
3.20       Ausnahmen vom Mindestalter .................... 56

Anhang A ................................................................. 57

Anhang B ................................................................. 57
7

Präambel                                                Gruppe 2:    Führer von Fahrzeugen der Klassen
                                                                     C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und
Die Begutachtungsleitlinien basieren auf den Aus-                    die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeför-
führungen der Europäischen Führerscheinrichtlinie                    derung (FzF)
sowie der Fahrerlaubnis-Verordnung. Sie tragen
sowohl der Entwicklung der Eignungsbegutachtung
auf medizinischem Gebiet als auch der Entwicklung       2     Allgemeiner Teil
auf psychologischem Gebiet Rechnung. Die Leitli-
nien dienen der Einzelfallgerechtigkeit und tragen      2.1 Grundsätzliche
so dazu bei, die Mobilität zu sichern.                      Beurteilungshinweise
                                                        Die Aufgabe der Begutachtungsleitlinien besteht
1     Einführung                                        darin, Beurteilungsgrundsätze aufzuzeigen, die den
                                                        Gutachtern (gem. § 11 Abs. 2 – 4 und den §§ 13 und
1.1 Entstehung der Leitlinien                           14 FeV) als Entscheidungshilfe für den Einzelfall
                                                        dienen sollen. Fachwissenschaftliche Grundlagen
Das Gutachten „Krankheit und Kraftverkehr“ wurde        für Fahreignungsbegutachtungen, z. B. von Fach-
erstmals 1973 publiziert, die fünfte Auflage erfolgte   gesellschaften, die den Stand der Wissenschaft
1996. Das „Psychologische Gutachten Kraftfahreig-       und Technik darstellen, sind als Empfehlungen ein-
nung“ wurde 1995 veröffentlicht. Als Zusammenfüh-       zubeziehen.
rung dieser beiden Gutachten erschienen im Jahr
2000 die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereig-    Bei der Erstellung der Beurteilungsgrundsätze wur-
nung als 6. Auflage.                                    den sowohl die Bedürfnisse des Einzelnen zur Teil-
                                                        nahme am motorisierten Straßenverkehr als auch
Um der zunehmenden Spezialisierung Rechnung             das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit
zu tragen und auf wissenschaftliche Erkenntnisse        berücksichtigt.
und die Änderung rechtlicher Grundlagen schneller
reagieren zu können, beauftragte das Bundesmi-          Bei der Beurteilung der Fahreignung wird davon
nisterium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die     ausgegangen, dass ein Betroffener ein Kraftfahr-
Bundesanstalt für Straßenwesen, die Überarbei-          zeug nur dann nicht sicher führen kann, wenn auf-
tung der Leitlinien kapitelweise unter Einbeziehung     grund des individuellen körperlich-geistigen (psy-
zuständiger Expertinnen und Experten sowie der je-      chischen) Zustandes beim Führen eines Kraftfahr-
weiligen Fachgesellschaften zu leiten und nach Ge-      zeugs Verkehrsgefährdung zu erwarten ist.
nehmigung durch Bund und Länder zu veröffentli-
chen. Die Überarbeitung erfolgt kontinuierlich durch    Für die gerechtfertigte Annahme einer Verkehrsge-
eine Expertengruppe für jedes Kapitel. Die Fertig-      fährdung muss die nahe durch Tatsachen begrün-
stellung eines Kapitels wird jeweils im Internet ver-   dete Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schädi-
öffentlicht. Die letzte Druckauflage mit Stand 1. Mai   gungsereignisses gegeben sein.
2014 erschien im Mai 2014.
                                                        Die Möglichkeit – die niemals völlig auszuschließen
                                                        ist -, dass es trotz sorgfältiger Abwägung aller Um-
                                                        stände einmal zu einem Schädigungsereignis kom-
1.2 Zuordnung der                                       men kann, wird für die Fälle der empfohlenen posi-
    Fahrerlaubnisklassen                                tiven oder bedingt positiven Begutachtung hinge-
                                                        nommen. Die Grenze zwischen den Bereichen po-
Die Einteilung der Fahrerlaubnisklassen wird in § 6
                                                        sitiv (auch bedingt positiv) bzw. negativ zu beurtei-
und § 6a der jeweils gültigen Fahrerlaubnisverord-
                                                        lender Fälle ist nur unter Beachtung des Einzelfalls
nung (FeV) geregelt.
                                                        zu ziehen. Dass Kompensationen durch besondere
Für die Zwecke der Begutachtungsleitlinien werden       menschliche Veranlagungen, durch Gewöhnung,
die Klassen entsprechend des jeweils gültigen An-       durch besondere Einstellung oder durch besondere
hangs III der EU-Führerscheinrichtlinie und der An-     Verhaltenssteuerungen und -umstellungen möglich
lage 4 der FeV in zwei Gruppen unterteilt:              sind, kann als erwiesen angesehen werden. Im Ein-
                                                        zelfall hat jeder Gutachter unter Berücksichtigung
Gruppe 1:    Führer von Fahrzeugen der Klassen A,       der speziellen Befundlage aber die Kompensations-
             A1, A2, B, BE, AM, L, T                    frage zu prüfen.
8

Für die Konkretisierung des Gefährdungssachver-        tungen, z. B. mit automatischer Kraftübertragung,
haltes wurde davon ausgegangen, dass er dann           Handgasbetätigung etc.
gegeben ist, wenn
                                                       Werden von einem Gutachter Beschränkungen
a) von einem Kraftfahrer nach dem Grad der fest-       empfohlen, so sollten optimale technische Bedin-
   gestellten Beeinträchtigung der körperlich-geis-    gungen angestrebt werden, die nach Möglichkeit
   tigen (psychischen) Leistungsfähigkeit zu er-       auch eine Normal-Bedienung des Kraftfahrzeuges
   warten ist, dass die Anforderungen beim Führen      zulassen.
   eines Kraftfahrzeuges, zu denen ein stabiles
   Leistungsniveau und auch die Beherrschung           Stets sollten klare Vorstellungen über die Zweck-
   von Belastungssituationen gehören, nicht mehr       mäßigkeit und Durchführbarkeit einer empfohlenen
   bewältigt werden können oder                        Maßnahme bestehen. Auflagen und Beschränkun-
                                                       gen können von erheblich einschneidender Wir-
b) von einem Kraftfahrer in einem absehbaren           kung für einen Fahrerlaubnisinhaber oder Fahrer-
   Zeitraum die Gefahr des plötzlichen Versagens       laubnisbewerber sein. Die Notwendigkeit für ent-
   der körperlich-geistigen (psychischen) Leis-        sprechende Maßnahmen muss darum beweisbar
   tungsfähigkeit (z. B. hirnorganische Anfälle,       sein.
   apoplektische Insulte, anfallsartige Schwindel-
   zustände und Schockzustände, Bewusstseins-
   trübungen oder Bewusstseinsverlust u. ä.) zu        2.2 Auswahl des Gutachters
   erwarten ist,
                                                       a) Zur Gutachterauswahl
c) wegen sicherheitswidrigen Einstellungen, man-          Die Behörde gibt die Art der Begutachtung vor
   gelnder Einsicht oder Persönlichkeitsmängeln           (§ 11 Abs. 6 FeV), die Auswahl der konkreten
   keine Gewähr dafür gegeben ist, dass der Fah-          Untersuchungsstelle bleibt dem Betroffenen
   rer sich regelkonform und sicherheitsgerecht           überlassen. Innerhalb der Begutachtungsstelle
   verhält.                                               für Fahreignung soll dem Auftraggeber jedoch
                                                          kein Einfluss auf die Wahl der Gutachter einge-
Ergibt die Untersuchung eines Fahrerlaubnisinha-          räumt werden. Nach Möglichkeit sind alle rele-
bers oder Fahrerlaubnisbewerbers, dass die fest-          vanten Vorbefunde beizuziehen.
gestellten Beeinträchtigungen der körperlich-geisti-
                                                          Sofern ein Gericht ein Gutachten für erforderlich
gen (psychischen) Leistungsfähigkeit ein stabiles
                                                          hält, obliegt diesem die Auswahl des für die Fra-
Leistungsniveau zur Beherrschung der Anforderun-
                                                          gestellung geeigneten und hierfür qualifizierten
gen bedingt gewährleisten oder dass besondere
                                                          Gutachters.
Bedingungen die Gefahr des plötzlichen Versa-
gens abwenden können, so sind die Bedingungen          b) Zur Qualifikation des Gutachters
vorzuschlagen, die im Einzelfall gem. § 11 Abs. 2         Der ärztliche oder psychologische Gutachter
und § 46 FeV erfüllt werden müssen. Dabei handelt         muss nicht nur über spezielle Erfahrungen in
es sich um Auflagen oder Beschränkungen der               der Verkehrsmedizin bzw. in der Verkehrspsy-
Fahrerlaubnis.                                            chologie verfügen (praktische Tätigkeit, Fortbil-
                                                          dung und Weiterbildung), sondern sich auch be-
Die Begriffe „Auflagen“ und „Beschränkungen“ ha-          reits durch eine langfristige Tätigkeit in entspre-
ben eine unterschiedliche rechtliche Bedeutung:           chenden Institutionen (Kliniken, Facharztpraxen
                                                          bzw. Begutachtungsstellen für Fahreignung)
Auflagen richten sich an den Führer eines Fahrzeu-        qualifiziert haben (siehe hierzu §§ 65 bis 67 und
ges, z. B. sich in bestimmten zeitlichen Abständen        72 FeV). Bei speziellen medizinischen Frage-
ärztlichen Nachuntersuchungen zu unterziehen              stellungen ist die fachärztliche Begutachtung si-
oder beim Führen eines Kraftfahrzeuges stets eine         cherzustellen.
Brille zu tragen etc.
                                                       c) Zur Vermeidung des Vorwurfs der Parteilichkeit
Beschränkungen betreffen das Fahrzeug: Sie be-            des Gutachters
schränken den Geltungsbereich einer erteilten             Dieselben Gründe, die einen Zeugen berechti-
Fahrerlaubnis auf bestimmte Fahrzeugarten oder            gen, das Zeugnis zu verweigern (siehe hierzu
auf bestimmte Fahrzeuge mit besonderen Einrich-           u. a. §§ 52 bis 53a StPO), berechtigen einen
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   Sachverständigen zur Verweigerung des Gut-          Daraus ergibt sich die Leistung des Gutachters: Er
   achtens. Gibt es einen solchen Anlass, dann         soll die rechtlichen Folgerungen ableitbar machen.
   sollte der Gutachter das den Verfahrensbeteilig-    Die Folgerungen selbst treffen nur
   ten mitteilen und den Gutachtenauftrag nicht
                                                       a) die Verwaltungsbehörden
   übernehmen. Das gleiche Recht steht auch
   dem Betroffenen zu.                                 b) die Gerichte.

   Nachdem der Gesetzgeber dies (u. a. § 76            Das Gutachten ist eine Hilfe, die der Rechtsinstanz
   StPO) jedem Sachverständigen einräumt, sollte       durch begründete Aussagen über das mögliche
   jeder vor Annahme eines Gutachtenauftrages          künftige Versagen oder Verhalten eines Fahrerlaub-
   überprüfen, ob Sachverhalte vorliegen, die An-      nisinhabers oder Fahrerlaubnisbewerbers die recht-
   lass zum Vorwurf der Besorgnis der Befangen-        liche Entscheidung begründbar machen soll; insbe-
   heit eines Sachverständigen geben könnten,          sondere soll es aufzeigen, welche Gefahren von
   was zur Ablehnung führen kann.                      gegebenen Krankheiten, Defekten, Leistungsmän-
                                                       geln oder anderen Sachverhalten ausgehen. Die
   Angesichts der Vielzahl von Gründen, die es         Beurteilung der Sachlage durch den jeweils zustän-
   rechtfertigen, einen Gutachtenauftrag abzuleh-      digen Gutachter muss daher klar, folgerichtig, wi-
   nen, sollte der Sachverständige jeden Anschein      derspruchsfrei und verständlich – grundsätzlich
   vermeiden, der für eine Befangenheit sprechen       auch für den Auftraggeber – sein. Rechtsbegriffe
   oder dahingehend ausgelegt werden könnte.           wie „geeignet“ oder „ungeeignet“ hat der Gutachter
                                                       nicht zu verwenden. Adressat der Anordnung, ein
   Dazu gehört im weitesten Sinne auch der Ver-        Eignungsgutachten beizubringen, ist der betroffene
   dacht, im Dienst des zu Begutachtenden zu ste-      Fahrerlaubnisbewerber oder -inhaber. Er – nicht die
   hen, falls zuvor der zum Sachverständigen Er-       Behörde – ist Auftraggeber der Begutachtung und
   nannte gegen Honorar beraten bzw. therapiert        damit auch Vertragspartner und Kostenschuldner
   hat. Dies gilt gleichermaßen für den Arzt wie für   des Gutachters bzw. der begutachtenden Stelle.
   den Psychologen (§ 11 Abs. 2 letzter Satz FeV).     Ihm, dem Betroffenen, steht auch die Auswahl des
   In begründeten Ausnahmefällen ist die Begut-        Gutachters bzw. bei einer Begutachtungsstelle für
   achtung durch den behandelnden Arzt nicht           Fahreignung die Auswahl der Stelle (siehe Kapitel
                                                       2.2a Zur Gutachterauswahl) zu – natürlich im Rah-
   ausgeschlossen.
                                                       men der Vorgaben, die die behördliche Anordnung
d) Nach Weisung der jeweiligen obersten Landes-        hinsichtlich der Art der Begutachtung setzt. Er – und
   behörden können die Fahrerlaubnisbehörden           nicht die Behörde – hat Anspruch auf die Aushändi-
   zusätzliche Gutachten anfordern, die von Per-       gung des Gutachtens. Nur mit seiner ausdrückli-
   sönlichkeiten mit herausragender Qualifikation      chen Zustimmung darf das Gutachten unmittelbar
   erstattet werden und die dazu besonders be-         der Behörde oder Dritten zugeleitet werden, sonst
                                                       steht die Schweigepflicht (§ 203 StGB) entgegen.
   nannt worden sind.

                                                       2.4 Inhalt und Aufgabe der
2.3 Rechtliche Stellung des
                                                           Begutachtungsleitlinien
    Gutachters
                                                       Es ist nicht Aufgabe der Leitlinien, alle vorkommen-
Bei allen Gutachtern ist zu beachten, dass sie ge-
                                                       den Leistungseinschränkungen eines Menschen zu
genüber einer rechtlich verantwortlichen und darum
                                                       berücksichtigen und zu prüfen, ob die festgestellten
entscheidenden Instanz (Behörden, Gerichte) stets
                                                       Beeinträchtigungen ein stabiles oder bedingt stabi-
nur die Stellung eines Beraters haben. Dabei bleibt    les Leistungsniveau gewährleisten oder u. U. zu ei-
unbestritten, dass je nach Sachlage nur der Arzt       nem plötzlichen Leistungszusammenbruch führen
oder der Psychologe die Kompetenz hat, eine            könnten. Es werden nur solche körperlich-geistigen
Krankheit oder einen Mangel festzustellen und sich     (psychischen) Mängel in die Begutachtungsleitli-
zur Prognose im Hinblick auf die Auswirkung bei        nien einbezogen, deren Auswirkungen die Leis-
Teilnahme eines Betroffenen am motorisierten Stra-     tungsfähigkeit eines Kraftfahrers häufig längere Zeit
ßenverkehr zu äußern.                                  beeinträchtigen oder aufheben. Für akute, vorüber-
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gehende, sehr selten vorkommende oder nur kurz-        doch unter besonderen, von der Regel abweichen-
zeitig anhaltende Erkrankungen (grippale Infekte,      den Umständen des Einzelfalls ein Abweichen von
akute infektiöse Magen-Darm-Störungen, aber            den aufgeführten Beurteilungsleitsätzen für ge-
auch Migräne, Heuschnupfen, Asthma etc.) ist es        rechtfertigt hält, muss er seine Beurteilung sehr
dem Verantwortungsbewusstsein jedes Verkehrs-          ausführlich und mit entsprechenden Hinweisen auf
teilnehmers aufgegeben, durch kritische Selbstprü-     die zugrunde gelegte Fachliteratur begründen.
fung festzustellen, ob er unter den jeweils gegebe-
nen Bedingungen noch am Straßenverkehr, insbe-
sondere am motorisierten Straßenverkehr, teilneh-      2.5 Anforderungen an die psychische
men kann oder nicht (siehe § 2 Abs. 1 der FeV). In
                                                           Leistungsfähigkeit
Zweifelsfällen bleibt stets die Möglichkeit, einen
Arzt zu befragen, dessen Rat sich bei eventuellen      Zweifel an der psychischen Leistungsfähigkeit kön-
Komplikationen nach den allgemeinen Beurtei-           nen sich ergeben wegen einer Minderung der opti-
lungsgrundsätzen (siehe Kapitel 2.1 Grundsätzliche     schen Orientierung, der Konzentrationsfähigkeit,
Beurteilungshinweise) richten wird. Die Beurteilung    der Aufmerksamkeit, der Reaktionsfähigkeit und
von Erkrankungen, die sich auf mehrere Organsys-       der Belastbarkeit.
teme erstrecken, muss den Begutachtungsleitlinien
folgen, die für diese Krankheitsgruppen vorgesehen     Psychische Leistungsmängel können sich folgen-
sind; hierbei ist zu beachten, dass die Auswirkun-     dermaßen auswirken:
gen der einzelnen Krankheiten oder Behinderungen
sich gegenseitig ungünstig beeinflussen können.        -   Optische Informationen werden in ihrem Bedeu-
Für alle Auswirkungen der im Folgenden aufgeführ-          tungsgehalt nicht ausreichend schnell und si-
ten Leiden hat der Verkehrsteilnehmer stets die            cher wahrgenommen.
Hauptlast der Verantwortung zu tragen. Diese Leit-     -   Die Zielorientierung im jeweiligen optischen Um-
linien geben Gutachtern und allen verantwortlichen         feld, d. h. im Verkehrsraum, gelingt nicht oder
behördlichen Instanzen für ihre Tätigkeit im Rah-          nicht sicher oder nur mit einem so deutlich er-
men der vorbeugenden Gefahrenabwehr Entschei-              höhten Zeitaufwand, dass daraus in der konkre-
dungshilfen.                                               ten Verkehrssituation eine Gefährdung entste-
                                                           hen würde.
Die Aufgabe der Begutachtungsleitlinien wird erfüllt
mit der Zusammenstellung eignungsausschließen-         -   Die Konzentration ist zeitweilig oder dauernd ge-
der oder eignungseinschränkender körperlich-geis-          stört in der Weise, dass die jeweils anstehende
tiger (psychischer) und charakterlicher Mängel beim        Fahraufgabe aufgrund von Abgelenktsein oder
Fahrerlaubnisbewerber und Fahrerlaubnisinhaber.            Fehldeutungen verkannt oder fehlerhaft gelöst
Es sind die ärztlichen und verkehrspsychologischen         wird.
Erkenntnisse und Erfahrungen, die hier ihren Nie-
                                                       -   Die Aufmerksamkeitsverteilung ist unzulänglich,
derschlag finden und die in der Abstimmung mit der
                                                           weil nur ein Teilbereich der für den Kraftfahrer
FeV die Praxis der Begutachtung des Einzelfalles
                                                           bedeutsamen Informationen erfasst wird und/
erleichtern sollen. Da alle aufgeführten Beurtei-
                                                           oder bei Situationswechsel, z. B. nach einer
lungsleitsätze und -begründungen sehr eingehende
                                                           Phase der Monotonie, neue Informationen der
Beratungen unter Einbeziehung aktueller Stellung-
                                                           Aufmerksamkeit entgehen.
nahmen aller relevanten medizinischen und psy-
chologischen Fachgesellschaften und gutachtliche       -   Die Aufmerksamkeitsbelastbarkeit ist zu gering,
Erfahrungen zur Grundlage haben, kann sich der             weil es unter Stress oder nach länger andauern-
Gutachter im Einzelfall auf diese Begutachtungsleit-       der Beanspruchung zu fehlerhaften Wahrneh-
linien beziehen und muss nicht jede gutachtliche           mungen, Interpretationen oder Reaktionen
Schlussfolgerung eingehend erläutern. Die Leitsät-         kommt.
ze der Begutachtungsleitlinien ersetzen nicht die
                                                       -   Notwendige motorische Reaktionen setzen zu
Begründung des Gutachtens im Einzelfall. Es bleibt
                                                           spät ein und/oder werden stark verzögert ausge-
eine Aufgabe des Gutachters, den Mangel individu-
                                                           führt.
ell zu interpretieren und so einen Bezug des Man-
gels zu den Begutachtungsleitlinien in verständli-     -   Reaktionen erfolgen unsicher, eventuell vor-
cher Weise herzustellen. Wenn der Gutachter je-            schnell und situationsunangemessen, oder wer-
11

    den unpräzise, motorisch ungeschickt, „über-                      ausgeglichen, so dass eine Mängelkumulation
    schießend“ oder überhastet ausgeführt.                            ausgeschlossen ist.
-   Die psychischen Leistungen sind instabil in dem               -   Bei Grenzwertunterschreitungen kann durch Er-
    Sinne, dass die erforderliche Ausgewogenheit                      gebnisse weiterer Verfahren (Ergänzungsver-
    zwischen Schnelligkeit und Sorgfaltsleistung                      fahren, Verhaltensbeobachtung, Wiederho-
    fehlt.                                                            lungsuntersuchung) nachgewiesen werden,
                                                                      dass das aus den Leistungsresultaten zu er-
Die psychische Leistungsfähigkeit wird mit geeigne-
                                                                      schließende Risiko durch das Kompensations-
ten, objektivierbaren psychologischen Testverfah-
ren untersucht. Ausschlaggebend ist, ob die Min-                      potenzial (vorausschauendes Denken, ausge-
destanforderungen erfüllt werden.                                     prägtes Risikobewusstsein, sicherheitsbetonte
                                                                      Grundhaltung) angemessen gemindert werden
Die Frage nach der Verursachung psychischer Leis-                     kann.
tungsmängel steht dabei nicht im Vordergrund. Ur-
                                                                  -   Auch wenn von einem Inhaber einer Fahrerlaub-
sächlich kommen u. a. auch psychische Krankhei-
                                                                      nis, der sich bereits in der Fahrpraxis bewährt
ten in Betracht (siehe Spezieller Teil), z. B. Demenz,
                                                                      hat, in den Leistungsprüfverfahren insgesamt
organische Persönlichkeitsveränderung und ande-
                                                                      unzureichende Leistungen erzielt wurden, konn-
re organisch-psychische Störungen sowie intellek-
                                                                      te der Betreffende aber doch in einer Fahrver-
tuelle Minderbegabung. Die Verursachung und die
                                                                      haltensprobe nachweisen, dass die in der (unge-
medizinische Diagnose sollen durch den Arzt und
                                                                      wohnten) Testsituation festgestellten Minderleis-
speziell durch den Psychiater möglichst genau er-
                                                                      tungen sich auf das gelernte Fahrverhalten nicht
fasst werden, auch weil sich hieraus Hinweise für
                                                                      entscheidend negativ auswirken.
die Behandlung (und damit ggf. für die Verbesse-
rung der Fahreignung) sowie Hinweise für die Prog-                -   Es liegen keine Hinweise auf verkehrsmedizi-
nose der Erkrankung und der Fahreignung ergeben                       nisch relevante eignungseinschränkende oder
können. Die Feststellung der aktuellen psychischen                    eignungsausschließende Eignungsmängel vor,
Leistungsfähigkeit bzw. Leistungsmängel ist aber                      z. B. Mängel des Sehvermögens (siehe Kapitel
diagnose-übergreifend bzw. diagnose-unabhängig,                       3.1), Bewegungsbehinderungen (siehe Kapitel
d. h., sie gilt auch dann, wenn eine Diagnose nicht                   3.3), Herz- und Gefäßkrankheiten (siehe Kapitel
oder nicht mit Sicherheit gestellt werden kann.                       3.4).

Die Zweifel können in der Regel als ausgeräumt                    Früheres verkehrsgefährdendes Verhalten ist in die
gelten, wenn sich eine der folgenden Feststellun-                 Bewertung der Leistungsfähigkeit einzubeziehen.
gen treffen lässt:
                                                                  Ein Kraftfahrer bzw. ein Bewerber um eine Fahrer-
Gruppe 1                                                          laubnis kann trotz psychischer Leistungsmängel
-   Der Prozentrang 161 wurde, bezogen auf alters-                gemäß § 11 Abs. 2 FeV zum Führen von Kraftfahr-
    unabhängige Normwerte, in allen eingesetzten                  zeugen bedingt geeignet sein.
    Leistungstests erreicht oder überschritten.
                                                                  Die Feststellung der bedingten Eignung kommt in
-   Grenzwertunterschreitungen (Prozentrang < 16)                 Betracht, wenn zwar gravierende Leistungsbeein-
    sind nur situationsbedingt (störende Faktoren                 trächtigungen bestehen und deshalb eine uneinge-
    bei der Testdurchführung, Unausgeruhtsein                     schränkte Fahrtätigkeit im Rahmen der beantragten
    nach Nachtarbeit o. ä.) und damit nicht aussage-              oder bereits erteilten Fahrerlaubnisklasse nicht in
    fähig.                                                        Frage kommt, aber das Risiko durch geeignete Auf-
-   Grenzwertunterschreitungen sind zwar nicht als                lagen und Beschränkungen auf ein vertretbares
    situationsbedingt anzusehen, werden aber durch                Maß zu reduzieren ist.
    stabile Leistungen in den anderen Verfahren
                                                                  Geeignete Auflagen und Beschränkungen sind:
1 Die Ergebnisse für die Leistungstests sind in Prozenträngen
  (PR) ausgedruckt. Ein Prozentrang sagt aus, wieviele Perso-     -   die Fahrtätigkeit wird nur unter bestimmten Auf-
  nen einer vergleichbaren Stichprobe schlechtere Leistungen          lagen (z. B. Einhaltung einer Höchstgeschwin-
  erzielen als der Untersuchte. Der PR für die bestmögliche
  Leistung ist 100, für die geringste Leistung 0. Ein PR von 70       digkeit, Fahren nur innerhalb festgelegter Lenk-
  bedeutet, 30 % sind besser, 70 % sind schlechter.                   zeiten) ausgeübt,
12

-    die Fahrtätigkeit wird nur innerhalb eines be-     Die Kompensation von chronischen, überdauern-
     grenzten Umkreises gestattet,                      den Eignungsmängeln kann z. B. erfolgen
-    die Fahrtätigkeit wird auf eine bestimmte Fahr-    -   durch technische oder medizinisch-technische
     zeugart oder ein bestimmtes Fahrzeug be-               Maßnahmen, z. B. Umbauten von Kraftfahrzeu-
     schränkt (z. B. auf Fahrzeuge mit einer bauart-        gen für Behinderte oder Einsatz von Prothesen,
     bedingten reduzierten Höchstgeschwindigkeit).
                                                        -   durch Arzneimittelbehandlung von Krankheiten,
Voraussetzung für die Erteilung einer einge-
schränkten Fahrerlaubnis ist die nachvollziehbar        -   durch psychische Qualitäten, z. B. besondere
zu erwartende Praktikabilität und Effektivität der          Umsicht, Aufmerksamkeit und Gewissenhaftig-
Auflagen und/oder Beschränkungen.                           keit, die den Kraftfahrer veranlassen, z. B. am
                                                            motorisierten Straßenverkehr bei Dämmerung
Gruppe 2                                                    oder Dunkelheit nicht teilzunehmen, oder Leis-
Es gelten sinngemäß die Ausführungen zur                    tungsdefizite, z. B. bei älteren Kraftfahrern,
Gruppe 1.                                                   oder auch Persönlichkeitsstörungen auszuglei-
                                                            chen
Darüber hinaus gilt die erhöhte Anforderung, dass
in der Mehrzahl der eingesetzten Verfahren der          -   oder durch deren Zusammenwirken.
Prozentrang 33 – gemessen an altersunabhängi-
                                                        Die Kompensationsmöglichkeiten bei Einschrän-
gen Normwerten – erreicht oder überschritten wer-
                                                        kung der psychischen Leistungsfähigkeit (siehe
den muss, dass aber der Prozentrang 16 in den
                                                        Kapitel 2.5 Anforderungen an die psychische Leis-
relevanten Verfahren ausnahmslos erreicht sein
                                                        tungsfähigkeit) sind, wenn es in Teilbereichen zu
muss.
                                                        Minderleistungen kommt, nur in begrenztem Maße
Hiervon kann nur abgesehen werden, wenn in ein-         gegeben. Sie sind um so geringer, je krasser der
zelnen Untertests bei Abweichungen nach unten           Leistungsausfall in einem Teilbereich oder je viel-
Kompensationsmöglichkeiten gegeben sind. An-            fältiger die Leistungseinschränkungen – im Sinne
dererseits muss sichergestellt werden, dass eine        einer Mängelkumulation – sind.
Kumulation ausgeschlossen ist (siehe Gruppe 1).
                                                        Kompensationsfaktoren sind:
In Zweifelsfällen ist eine Fahrverhaltensprobe
                                                        -   eine trotz einzelner funktionaler Mängel insge-
durch den psychologischen Gutachter vorzuneh-
                                                            samt gesehen ausreichende intellektuelle Leis-
men (Gruppe 1 und 2).
                                                            tungsfähigkeit, die ein vorausschauendes Fah-
                                                            ren bzw. eine Früherkennung von Gefahrensi-
                                                            tuationen ermöglicht,
2.6 Kompensation von
                                                        -   mindestens normgerechte körperliche, insbe-
    Eignungsmängeln
                                                            sondere sinnesphysiologische Voraussetzun-
Bei der Beurteilung von festgestellten Eignungs-            gen,
mängeln ist die Frage ihrer möglichen Kompen-           -   (bei Fahrerlaubnisinhabern) Vertrautheit mit
sierbarkeit von zentraler Bedeutung.
                                                            dem Führen von Kraftfahrzeugen,
Die Verfügbarkeit der erforderlichen Leistungsfä-       -   eine sicherheits- und verantwortungsbewusste
higkeit ist keine stabile Größe. Sie unterliegt vorü-       Grundeinstellung, die erwarten lässt, dass die
bergehenden Beeinträchtigungen, die z. B. infolge           Unzulänglichkeiten der eigenen Leistungsaus-
Ermüdung, Stress, Alkohol und Drogen eintreten              stattung selbstkritisch reflektiert wurden und
können, und sie kann durch chronische Beein-                diese beim Fahrverhalten berücksichtigt wer-
trächtigungen vermindert oder gestört sein, z. B.           den.
infolge Krankheiten oder Verhaltensstörungen.
                                                        Wenn chronische Eignungsmängel einer ständi-
Unter Kompensation wird die Behebung oder der           gen Kompensation bedürfen, kann die Eignung
Ausgleich von Leistungsmängeln oder Funktions-          nur noch bedingt gegeben sein. Der betreffende
ausfällen bzw. fahreignungsrelevanten Defiziten         Kraftfahrer darf nur unter festgelegten Beschrän-
durch andere Funktionssysteme verstanden.               kungen oder Auflagen der Fahrerlaubnis am moto-
13

risierten Verkehr teilnehmen (siehe Kapitel 2.1         3     Spezieller Teil
Grundsätzliche Beurteilungshinweise).

Eine risikoarme Verkehrsteilnahme ist bei beding-       3.1 Sehvermögen
ter Eignung nur dann gewährleistet, wenn der be-
                                                        In der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) sind die An-
treffende Kraftfahrer die erforderliche Sensibilität,
                                                        forderungen an das Sehvermögen im § 12 und der
Kritikfähigkeit und die nötige Zuverlässigkeit be-
                                                        Anlage 6 geregelt.
sitzt, um die geforderte Verfügbarkeit der notwen-
digen kompensatorischen Funktionen für eine situ-       Über die jeweils aktuelle Fassung der Fahrerlaub-
ationsangepasste Leistung aufrecht zu erhalten          nis-Verordnung informiert das Bundesministerium
und einsetzen zu können, d. h. die Regeln des           der Justiz in Zusammenarbeit mit der juris GmbH
Straßenverkehrs und die Auflagen und Beschrän-          kostenlos im Internet unter www.gesetze-im-inter-
kungen der Fahrerlaubnis zu beachten.                   net.de.

Es ist zu prüfen, ob unter Berücksichtigung des         Die amtliche Fassung eines Gesetzes oder einer
Ausmaßes und der zu erwartenden Verlaufsfor-            Rechtsverordnung enthält nach geltendem Recht
men einer vorliegenden Funktionseinschränkung           nur die Papierausgabe des Bundesgesetzblattes,
oder Krankheit die Selbstbeobachtung, Selbstkon-        das vom Bundesministerium der Justiz herausge-
trolle und Zuverlässigkeit (compliance) des Fahr-       geben wird und über die Bundesanzeiger Verlags-
erlaubnisbewerbers ausreichen, um die notwendi-         gesellschaft mbH, Amsterdamer Straße 192, 50735
gen therapeutischen Maßnahmen vor dem Benut-            Köln, bezogen werden kann.
zen eines Kraftfahrzeuges zu beachten oder ggf.
das Kraftfahren zu unterlassen.
                                                        3.2 Hörvermögen
                                                        Leitsätze
2.7 Kumulierte Auffälligkeiten                          Eine Beeinträchtigung der Hörleistung bis hin zur
                                                        beidseitigen völligen Gehörlosigkeit stellt kein Hin-
Mehrfache Auffälligkeiten können Zweifel an der         dernis zur Erteilung der Fahrerlaubnis dar. Bei Zwei-
Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen recht-           feln an der Fahreignung ist eine HNO-ärztliche Be-
fertigen, auch dann, wenn jede Auffälligkeit für sich   gutachtung erforderlich.
allein noch keinen Eignungszweifel auslöst.
                                                        Zur Beurteilung der Kraftfahreignung müssen auch
Der Gutachter, der ggf. einen weiteren Gutachter        mögliche assoziierte Erkrankungen berücksichtigt
hinzuzuziehen hat, muss beachten, dass es zu ei-        werden, falls notwendig auch durch Konsultation
ner Summation oder auch Kumulation von Auffäl-          weiterer Fachdisziplinen.
ligkeiten auch dann kommen kann, wenn sie unab-
hängig voneinander sind oder eine einseitige oder       Hochgradige Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit
wechselseitige Abhängigkeit nicht zu vermuten ist.      ist definiert als „besseres Ohr: Hörverlust > 60 %“.
Insofern ist die Frage der Kumulation, wenn meh-        Das Ton- und das Sprachaudiogramm stellen die
rere Auffälligkeiten vorliegen, stets zu prüfen und     Grundlage der Begutachtung dar. Die Bestimmung
die Art des Zusammenwirkens der Auffälligkeiten         des prozentualen Hörverlustes erfolgt anhand der
nachvollziehbar darzustellen. Das gilt erst recht       Vierfrequenztabelle nach ROESER (1973) aus der
bei Auffälligkeiten, bei denen wechselseitige Ab-       Luftleitungskurve des Tonaudiogramms, ausge-
hängigkeiten schon erkennbar vorliegen oder zu-         hend von den Hörverlusten in dB bei 500, 1000,
mindest zu vermuten sind.                               2000 und 4000 Hz im schallisolierten Raum.

Es kann erforderlich werden, dass gerade bei Auf-       Für Träger von Hörgeräten ist das ohne Hörhilfen
fälligkeiten oder Mängeln, die unabhängig vonein-       ermittelte Audiometrieergebnis maßgebend. Bei
ander zu sein scheinen, auch mehrere für die Fra-       Vorliegen einer hochgradigen Hörstörung müssen
gestellungen zuständige Fachärzte mit verkehrs-         – soweit möglich – die Versorgung und das Tragen
medizinischer Qualifikation oder eine Begutach-         einer adäquaten Hörhilfe nach dem aktuellen Stand
tungsstelle für Fahreignung mit der Begutachtung        der medizinisch-technischen und audiologisch-tech-
beauftragt werden müssen.                               nischen Kenntnisse erfolgen.
14

Gruppe 1                                                              sicht, Aufmerksamkeit und Gewissenhaftigkeit si-
Bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis der Gruppe 1                    cher am Straßenverkehr teilzunehmen.
ergeben sich bei hochgradiger Schwerhörigkeit
                                                                      Auch die Führer eines Kraftfahrzeugs, das der Per-
oder Gehörlosigkeit keine Bedenken, wenn nicht
                                                                      sonenbeförderung gemäß § 11 Abs. 1 (Klasse D
weitere körperliche oder psychische Defizite vorlie-
                                                                      oder D1) und § 48 FeV (Fahrerlaubnis zur Fahr-
gen, die eine fachärztliche Untersuchung erforder-
                                                                      gastbeförderung) dient, sind bei hochgradiger
lich machen.
                                                                      Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit fahrgeeignet.
Gruppe 2                                                              Grundsätzlich beeinflusst das Fehlen einer mündli-
Bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis der Gruppe 2                    chen Verständigung weder die Fahrkompetenz,
sind bei hochgradiger Schwerhörigkeit oder Gehör-                     noch beeinträchtigt es die Verkehrssicherheit.
losigkeit eine fachärztliche Eignungsuntersuchung
                                                                      Die Auflage der 3-jährigen Fahrpraxis mit einem
bei Führerscheinerwerb und regelmäßige ärztliche
                                                                      Kraftfahrzeug der Klasse B für die Gruppe 2 hat ei-
Kontrollen Voraussetzung. Zusätzlich ist eine 3-jäh-
                                                                      nerseits zum Ziel, durch mehr Fahrpraxis und Rou-
rige Fahrpraxis mit einem Kraftfahrzeug der Klasse
                                                                      tine die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen,
B nachzuweisen. Bei Zweifeln an der Fahreignung
                                                                      andererseits kann durch die vorhandene Hörminde-
ist eine fachärztliche Begutachtung erforderlich.
                                                                      rung eine Steigerung anderer sensorischer Syste-
Entscheidend bei der Beurteilung der Fahreignung
                                                                      me (vor allem Schulung des optischen Systems) er-
ist auch die Frage nach einer möglichen Kompen-
                                                                      reicht werden. Die Voraussetzungen zum Führen
sierbarkeit.
                                                                      von Fahrzeugen der Gruppe 2 sind strenger auf-
Begründung                                                            grund der höheren Anforderung beim Fahren (z. B.
Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit gelten nicht                      längere Lenkzeiten) sowie der möglichen Unfall-
als Mängel, die generell für das Führen von Fahr-                     schwere.
zeugen ungeeignet machen. Die Orientierung im
motorisierten Straßenverkehr erfolgt überwiegend                      3.3 Bewegungsbehinderungen
über das optische System, da verkehrsrelevante In-
formationen maßgeblich über visuelle Signale ver-                     Auf Vorschlag des Verbandes der Technischen
mittelt werden. Das Gehör als Hilfsmittel ist im Stra-                Überwachungsvereine (Merkblatt VdTÜV Kraftfahr-
ßenverkehr weitgehend zurückgetreten. Entschei-                       wesen 745, Ausgabe 11.99 „Sicherheitsmaßnah-
dend bei der Beurteilung der Fahreignung ist vor al-                  men bei körperbehinderten Kraftfahrern“) sind spe-
lem die Frage der möglichen Kompensierbarkeit.                        zielle Anforderungen an die Anpassung am Fahr-
Durch eine vorhandene Hörminderung kann eine                          zeug oder an orthopädischen Hilfsmitteln zu stellen.
Steigerung anderer sensorischer Leistungen er-                        Diese Anforderungen sind im Anhang B aufgeführt.
reicht werden. Somit sind hörgeminderte oder ge-                      Nach der FeV werden die medizinisch-psychologi-
hörlose Fahrer in der Lage, durch besondere Um-                       schen Untersuchungen in der Begutachtungsstelle

Hochgradige          Eignung oder bedingte Eignung                              Beschränkungen / Auflagen bedingter Eignung
Schwerhörigkeit
oder                 Gruppe 1                       Gruppe 2                    Gruppe 1               Gruppe 2
Gehörlosigkeit
                     Ja, wenn nicht gleichzei-      Ja, wenn nicht gleichzei-   –                      Fachärztliche Eignungs-
                     tig andere schwerwiegen-       tig andere schwerwiegen-                           untersuchung. Regelmä-
                     de Mängel (z. B. Sehstö-       de Mängel (z. B. Sehstö-                           ßige ärztliche Kontrolle.
                     rungen, Gleichgewichts-        rungen, Gleichgewichts-                            Vorherige Bewährung
                     störungen) vorliegen           störungen) vorliegen                               von 3 Jahren Fahrpraxis
                                                                                                       auf Kfz der Klasse B.
                                                                                                       Hochgradige Schwerhö-
                                                                                                       rigkeit muss – soweit
                                                                                                       möglich – mit einer ad-
                                                                                                       äquaten Hörhilfe nach
                                                                                                       dem aktuellen Stand der
                                                                                                       medizinisch-technisch
                                                                                                       und audiologisch-techni-
                                                                                                       schen Kenntnisse korri-
                                                                                                       giert werden.

Tabellarische Übersicht (zu Einzelheiten s. Text)
15

für Fahreignung (§ 66 FeV), früher amtlich aner-         Krankheitsbilder
kannte    Medizinisch-Psychologische      Untersu-
                                                         3.4.1 Herzrhythmusstörungen
chungsstelle, durchgeführt. Das fachärztlich-ortho-
pädische oder chirurgische Gutachten soll Aussa-         Wenn ein Fahrerlaubnisbewerber oder -inhaber un-
gen über Prothesenverträglichkeit, Stumpfverhält-        ter Herzrhythmusstörungen leidet, die anfallsweise
nisse, Belastbarkeit der betroffenen Gliedmaßen          zu wiederholter Unterbrechung der Blutversorgung
bzw. der Prothesen, eventuelle Auswirkungen bei          des Gehirns und damit zu Synkopen führen, ist er
Langzeitbelastung, Restfunktionen bei Teillähmung        nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen
und dergleichen enthalten.                               zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen
                                                         gerecht zu werden. Grundlage der Beurteilung soll-
Bei der Beurteilung der Bewegungsbehinderungen           te in jedem Fall eine eingehende internistisch-kar-
sind auch die Kapitel 3.9.1 (Erkrankungen und Fol-       diologische Untersuchung (einschließlich 24-Stun-
gen von Verletzungen des Rückenmarks) bis 3.9.3          den-Langzeit-EKG, eventuell Einsatz eines Ereig-
(Parkinsonsche Krankheit, Parkinsonismus und an-         nisrekorders) sein. Bei komplexen Fragestellungen
dere extrapyramidale Erkrankungen einschließlich         bietet es sich an, einen für Herzrhythmusstörungen
zerebellarer Syndrome) zu beachten.                      spezialisierten Kardiologen hinzu zu ziehen, um die
                                                         Ursache zu finden und eine entsprechende Thera-
3.4 Herz- und Gefäßkrankheiten                           pie einzuleiten.

Leitsätze
                                                         3.4.1.1 Bradykarde Herzrhythmusstörungen
Das sichere Führen von Kraftfahrzeugen kann durch
Herz- und Gefäßerkrankungen eingeschränkt sein.          Gruppe 1
In Abhängigkeit von der vorliegenden Erkrankung ist      Es besteht keine Fahreignung, wenn anamnestisch
die Einschätzung der Fahreignung unter Berücksich-       Synkopen vorliegen, die auf noch vorhandene
tigung der Therapietreue des Fahrzeugführers stets       Rhythmusstörungen zurückzuführen sind. Nach ef-
individuell vorzunehmen. Besteht eine kardiologi-        fektiver Therapie (Medikamente/Schrittmacherthe-
sche Grunderkrankung mit einem erhöhten Risiko           rapie) und kardiologischer Nachuntersuchung kann
eines plötzlichen Kontrollverlustes am Steuer, z. B.     die Fahreignung wieder vorliegen. Nach Schrittma-
kürzlich stattgehabte Synkope (plötzliche kurzanhal-     chertherapie sind die entsprechenden Auflagen zu
tende Bewusstlosigkeit), sollte der Fahrzeugführer       berücksichtigen.
über diese Problematik aufgeklärt und zu einer de-
fensiven Fahrweise angehalten werden.                    Gruppe 2
                                                         Es besteht keine Fahreignung, wenn anamnestisch
Bei Fahrerlaubnisinhabern beider Führerschein-           Synkopen vorliegen, die auf noch vorhandene
gruppen können fachärztliche Kontrolluntersuchun-        Rhythmusstörungen zurückzuführen sind. Bei Vor-
gen erforderlich sein. Die zeitlichen Untersuchungs-     liegen eines atrioventrikulären Blocks (AV-Block III,
intervalle sind als Einzelfallbeurteilung festzulegen.   eines AV-Blocks Mobitz II sowie bei alternierendem
Liegen mehrere kardiovaskuläre Erkrankungen vor,         Rechts- und Linksschenkelblock) ist die Fahreig-
sind stets die strengeren Auflagen zu beachten.          nung nicht gegeben.

Zur Beurteilung der Fahreignung bei Herzkrankhei-        Nach effektiver Therapie und nach kardiologischer
ten wurde die sogenannte „Risk of Harm Formula“          Nachuntersuchung kann die Fahreignung gegeben
der Kanadischen Gesellschaft für Kardiologie her-        sein. Nach Schrittmacher-Therapie sind die ent-
angezogen. Mit Hilfe dieser Gleichung, in der die        sprechenden Auflagen zu berücksichtigen.
Zeit am Steuer, die Art des gefahrenen Fahrzeugs,
die Wahrscheinlichkeit für einen plötzlichen Kont-
                                                         3.4.1.2 Tachykarde supraventrikuläre und
rollverlust und die Wahrscheinlichkeit für einen
                                                                 ventrikuläre Herzrhythmusstörungen
schweren Unfall eingehen, lässt sich das Risiko für
einen krankheitsbedingten schweren Unfall grob           Gruppe 1
berechnen. Durch Einsatz der „Risk of Harm For-          Es besteht keine Fahreignung, wenn anamnestisch
mula“ bei der Beurteilung der Fahreignung können         Synkopen vorliegen, die auf noch vorhandene
so Unfallrisiken durch plötzlichen Kontrollverlust am    Rhythmusstörungen zurückzuführen sind. Bei struk-
Steuer durch unterschiedliche Erkrankungen ab-           turellen Herzerkrankungen und anhaltenden Kam-
schätzend verglichen werden.                             mertachykardien (VTs) ist die Fahreignung eben-
16

falls nicht gegeben. Nach effektiver Therapie und       Bei Verweigerung eines ICD ist der Patient darauf
kardiologischer Nachuntersuchung kann die Fahr-         hinzuweisen, dass nicht das Vorhandensein des
eignung wieder gegeben sein.                            ICDs, sondern die zugrunde liegende Herzerkran-
                                                        kung das Risiko für Arrhythmien mit Synkopen dar-
Gruppe 2
                                                        stellt. Dies gilt insbesondere für Patienten, bei de-
Es besteht keine Fahreignung, wenn anamnestisch         nen die Indikation sekundärpräventiv ist.
Synkopen vorliegen, die auf noch vorhandene
Rhythmusstörungen zurückzuführen sind. Bei struk-       Gruppe 1
turellen Herzerkrankungen und anhaltenden Kam-          Nach Implantation oder Wechsel eines Defibrillators
mertachykardien (VTs) ist die Fahreignung eben-         kann angenommen werden, dass der Betroffene
falls nicht gegeben. Nach effektiver Therapie und       bedingt wieder in der Lage ist, Kraftfahrzeuge der
kardiologischer Nachuntersuchung kann die Fahr-         Gruppe 1 zu führen. Kraftfahrer der Gruppe 1, de-
eignung wieder gegeben sein. Bei polymorphen            nen primärpräventiv ein ICD implantiert wurde, sind
nicht-anhaltenden Kammertachykardien (NSVTs)            in der Regel nach ein bis zwei Wochen wieder fahr-
individuelle Entscheidung nach kardiologischer Un-      geeignet.
tersuchung; bei anhaltenden ventrikulären Tachy-
kardien oder nach Indikation eines Defibrillators ist   Kraftfahrern, die sekundärpräventiv einen ICD er-
die Fahreignung generell nicht mehr gegeben. Nach       halten, kann die Fahreignung frühestens nach 3
effektiver Therapie und kardiologischer Nachunter-      Monaten wieder zugesprochen werden. Eine ad-
suchung kann ggf. die Fahreignung im Einzelfall         äquate ICD-Funktion und eine entsprechende
wieder gegeben sein.                                    Wundheilung sind von einem Kardiologen zu bestä-
                                                        tigen. Nach einer adäquaten Schockauslösung ist
                                                        die Fahreignung für 3 Monate nicht gegeben. Nach
3.4.1.3 Schrittmacher                                   einem inadäquaten Schock ist die Fahreignung so
Gruppe 1                                                lange nicht gegeben, bis inadäquate Schocks si-
Nach Schrittmacherimplantation oder Schrittma-          cher verhindert werden. Regelmäßige kardiologi-
cherwechsel ist die Fahreignung gegeben. Eine ad-       sche Kontrollen mit Überprüfung des Defibrillators
äquate Schrittmacherfunktion und eine entspre-          sind notwendig.
chende Wundheilung müssen kardiologisch bestä-          Bei rezidivierendem Auftreten von Kammertachy-
tigt werden. Regelmäßige kardiologische Kontroll-       kardien ist eine rhythmologische Untersuchung not-
untersuchungen sind notwendig.                          wendig.
Gruppe 2                                                Gruppe 2
Nach Schrittmacherimplantation ohne Schrittma-          Kraftfahrer der Gruppe 2 mit ICD sind in der Regel
cherabhängigkeit und ohne Synkopen in der Anam-         nicht geeignet, ein Kraftfahrzeug zu führen.
nese sowie nach Aggregatwechsel ist die Fahreig-
nung nach einer Woche wieder gegeben. Mit Syn-
kopen, bei Schrittmacherabhängigkeit und nach           3.4.2 Arterielle Hypertonie
Elektrodenwechsel ist die Fahreignung nach vier         Ein kausaler Zusammenhang zwischen erhöhtem
Wochen gegeben. Eine adäquate Schrittmacher-            Blutdruck und Auftreten von Verkehrsunfällen ist
funktion und eine entsprechende Wundheilung             nicht gesichert. Die Empfehlungen für das Führen
müssen kardiologisch bestätigt werden. Regelmä-         eines Fahrzeuges bei erhöhtem Blutdruck beruhen
ßige kardiologische Kontrolluntersuchungen sind         alleine auf klinischer Erfahrung. Bei Vorliegen von
notwendig.                                              zerebralen Symptomen oder Sehstörungen im Rah-
                                                        men einer arteriellen Hypertonie, liegt für Fahrzeug-
3.4.1.4 Defibrillator                                   führer beider Gruppen (auch unabhängig von den
                                                        gemessenen Blutdruckwerten) keine Fahreignung
Generell tragen Patienten, denen ein implantierba-      vor.
rer Cardioverter/Defibrillator (ICD) zur Primärprä-
vention implantiert wurde, ein niedrigeres Risiko,      Gruppe 1
während des Fahrens plötzlich fahrungeeignet zu         Bei einem malignen Hypertonus (Erhöhung des
sein, als Patienten mit Sekundärpräventionsindika-      systolischen Blutdrucks ≥ 180 mmHg oder des dias-
tion.                                                   tolischen Blutdrucks ≥ 110 mmHg, verbunden mit
17

drohender oder progressiver Organschädigung,            hen. Für die Beurteilung der Fahreignung wird nicht
z. B. zerebrale Symptome oder Sehstörungen), be-        zwischen einem ersten und weiteren ACS differen-
steht keine Fahreignung. Bei der Blutdrucktherapie      ziert. Im chronischen Stadium nach ACS wird auch
sollte darauf hingewiesen werden, dass eine medi-       auf die Empfehlungen im Kapitel „Herzinsuffizienz“
kamentöse/interventionelle Behandlung des Blut-         hingewiesen.
hochdrucks durch Blutdruckabfall zum Kontrollver-
lust am Steuer führen kann. Fachärztliche Untersu-      Gruppe 1
chungen und regelmäßige ärztliche Kontrollen sind       Nach komplikationslosem Verlauf (LV-Ejektionsfrak-
notwendig.                                              tion > 35 %) ist die Fahreignung nach Entlassung
                                                        aus der Klinik gegeben. Liegt die LV-EF ≤ 35 % oder
Gruppe 2
                                                        bestand eine akute dekompensierte Herzinsuffizi-
Bei einem malignen Hypertonus (Erhöhung des             enz im Rahmen eines akuten Herzinfarktes (STE-
systolischen Blutdrucks ≥ 180 mmHg oder des dias-       MI/NSTEMI) kann die Fahreignung 4 Wochen nach
tolischen Blutdrucks ≥ 110 mmHg, verbunden mit          dem Ereignis wieder gegeben sein. Eine kardiologi-
drohender oder progressiver Organschädigung,            sche Untersuchung ist erforderlich.
z. B. zerebrale Symptome oder Sehstörungen), be-
steht keine Fahreignung. Bei der Blutdrucktherapie      Gruppe 2
sollte darauf hingewiesen werden, dass eine medi-       In den ersten 6 Wochen nach ACS liegt keine Fahr-
kamentöse/interventionelle Behandlung des Blut-         eignung vor. Bei einer Ejektionsfraktion > 35 % kann
hochdrucks durch Blutdruckabfall zum Kontrollver-       die Fahreignung nach 6 Wochen wieder gegeben
lust am Steuer führen kann. Blutdruckwerte ≥ 180        sein. Bei einer EF ≤ 35 % liegt keine Fahreignung
mmHg systolisch und/oder ≥ 110 mmHg diastolisch         vor. Der Einzelfall ist unter Berücksichtigung even-
(Grad 3 Hypertension) können die Fahreignung in         tueller Auflagen zu beurteilen. Eine kardiologische
Frage stellen. Fachärztliche Untersuchungen und         Untersuchung ist erforderlich.
regelmäßige ärztliche Kontrollen sind notwendig.

                                                        3.4.4.2 Stabile Angina pectoris
3.4.3 Arterielle Hypotonie
                                                        Gruppe 1
Hypotonien sind als sekundäre Krankheitszeichen         In der Regel keine Restriktion. Eine fachärztliche
oder in der Rekonvaleszenz nach Infektionserkran-       Untersuchung ist erforderlich.
kungen häufig. Personen mit auffallend niedrigem
Blutdruck sind im Allgemeinen leistungsfähig und        Gruppe 2
haben (gerade) unter Belastungen keine Beschwer-        Bei symptomatischer Angina auf niedriger Belas-
den. Die Fahreignung ist in der Regel für beide         tungsstufe ist die Fahreignung nicht gegeben.
Gruppen nicht eingeschränkt.

                                                        3.4.4.3 Nach PCI (Perkutane Koronarintervention)
3.4.4 Koronare Herzkrankheit
                                                        Gruppe 1
3.4.4.1 Akutes Koronarsyndrom (ACS)                     Nach PCI und gutem klinischen Ergebnis ist die
Unter einem akuten Koronarsyndrom (ACS) ver-            Fahreignung nach fachärztlicher Untersuchung ge-
steht man den sogenannten ST-Streckenhebungs-           geben.
infarkt (STEMI), den Nicht-ST-Streckenhebungsin-        Gruppe 2
farkt (NSTEMI) und die instabile Angina pectoris.
                                                        4 Wochen nach PCI mit gutem klinischem Ergebnis
Das Risiko, an einem ACS zu versterben, ist in den      kann die Fahreignung nach fachärztlicher Untersu-
ersten Tagen nach dem Ereignis am höchsten und          chung wieder gegeben sein. Jährliche fachärztliche
nimmt danach stetig ab. Das entscheidende Krite-        Kontrolluntersuchungen sind notwendig.
rium für die Prognose ist die linksventrikuläre Ejek-
tionsfraktion (LV-EF). Als Ejektionsfraktion bezeich-   3.4.4.4 Koronare Bypassoperation
net man den Prozentsatz des Blutvolumens, der
von einer Herzkammer (Ventrikel) während einer          Gruppe 1
Herzaktion ausgeworfen wird. Als prognostisch be-       Die Fahreignung kann in Abhängigkeit von der Re-
sonders ungünstig wird eine LV-EF < 35 % angese-        konvaleszenz 2 – 4 Wochen nach der Bypassope-
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