Beitrag: Goldrausch in der Pandemie?- Manuskript - ZDF

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Manuskript

Beitrag: Goldrausch in der Pandemie? –
            Dubiose Geschäfte mit dem Impfstoff

Sendung vom 13. April 2021

von Armin Coerper, Francesco Conte, Katrin Litschko, Lucas Negroni und
Michael Strompen

Anmoderation:
Unsere Reporter konnten zunächst kaum glauben, was ihnen
ein Informant erzählte. Angeblich beschaffen private
Zwischenhändler hinter den Kulissen Corona-Impfstoffe.
Impfstoffe, die offiziell doch knapp sind. AstraZeneca,
BioNTech, alles kein Problem, heißt es. Und angeblich ordern
sogar EU-Länder die heiß begehrte Ware. Dabei machen die
Preise, die von den Mittelsmännern aufgerufen werden, ein
Vielfaches von dem aus, was die EU mit den Herstellern
vereinbart hat. Armin Coerper und Michael Strompen mit
einer Recherche zu fragwürdigen Impfstoff-Deals und
Profiteuren in der Pandemie.

Text:
Das ist der Stoff, aus dem die Welt Hoffnung schöpft, um die
Pandemie zu beenden und Menschenleben zu retten: der
COVID-19-Impfstoff - offiziell gehandelt nur zwischen
Herstellern und Regierungen. Doch dazwischen scheinen sich
unzählige Geschäftemacher zu tummeln, die mit der heißen
Ware das große Geld machen wollen.

O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister:
Das ist ein bisschen wie Goldgräberstimmung.

Ein Luxushotel in Stuttgart. Hier treffen wir einen
Zwischenhändler mit versteckter Kamera. Wir geben uns
selbst als Händler für Medizinprodukte und Impfstoffe aus
und haben uns mit ihm verabredet.

O-Ton Dr. O., Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Ich habe vor zwei Monaten eine Order der Dominikanischen
Republik für eine Million AstraZeneca eingereicht. Die haben
schon damals gesagt, bis April müssen sie warten. Jetzt
kommen sie: eine Million für Dominikanische Republik.

O-Ton Frontal 21, Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Will denn AstraZeneca, dass das alles ein bisschen leiser
passiert?

O-Ton Dr. O., Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Komplett, komplett!

O-Ton Frontal 21, Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Weil die die Öffentlichkeit da nicht drin haben wollen?

O-Ton Dr. O., Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Genau!

Ein heimlicher Handel mit Impfstoff? Unser Gesprächspartner
ist Dr. O., ein Stuttgarter Arzt.

Dr. O. liefert uns Belege, sogenannte Letters of Intent, von
Staaten, die bei ihm Impfstoff anfragen. Selbst arme Länder
sind bereit, bis zum 16-Fachen dessen zu bezahlen, was die
EU hinlegt - so groß ist die Not.

Frontal 21 liegen von Dr. O. Bestellungen und Anfragen aus
aller Welt vor: Libyen will sechs Millionen Dosen AstraZeneca,
die Dominikanische Republik eine Million, Barbados 600.000
Dosen AstraZeneca, Bosnien und Herzegowina 500.000
AstraZeneca.

Doch wie will O. die beschaffen? Wir suchen den Sitz seiner
Firma in der Schweiz auf. Doch dort finden wir nicht mehr als
einen handbeschrifteten Briefkasten. Ist das seriös?

Zurück in Stuttgart finden wir einen, der Dr. O. kennt - und
das Geschäft.

Auch Anton Marino handelt mit Medizinprodukten und will
jetzt beim Impfstoff mitmischen. Kann Marino uns erklären,
wo die Ware herkommen soll, wo doch Europa seit Monaten
auf Lieferungen wartet?

O-Ton Frontal 21:
Wenn wir jetzt auch die Meldungen immer wieder kriegen,
dass AstraZeneca liefert deutlich weniger als zugesagt war,
weil es Probleme in einem Werk gibt, was sagt mir das?

O-Ton Anton Marino, Geschäftsführer SuS Waiblingen:
Das sagt mir, dass die abzweigen, um einfach mit der
anderen Menge, wo sie abgezweigt haben, mehr Geld zu
verdienen.

Weil wir immer wieder nachfragen, liefert Dr. O. uns immer
mehr Dokumente - auch aus dem EU-Mitgliedsland Italien:
mindestens vier Millionen Dosen AstraZeneca.

Wir fahren nach Italien. Mehrere Regionalregierungen haben
über Dr. O. Anfragen gestellt. In Umbrien ermittelt die
Staatsanwaltschaft, nachdem sich ein Mann, der Impfstoff
anbot, als AstraZeneca-Manager ausgab.

Per Skype erreichen wir den Staatsanwalt, der bei den
Impfstoffhändlern von einem internationalen Netzwerk
ausgeht.

O-Ton Raffaele Cantone, Staatsanwaltschaft Perugia:
Zuerst haben wir überprüft, ob diese Person, die Impfstoffe
angeboten hat, ein Betrüger ist. Heute erscheint es uns
plausibler, dass er, wie er behauptet, kein Schwindler ist,
sondern dass es in seinem Umfeld Leute gibt, die tatsächlich
über Impfstoffe verfügen.

Der Mann, den der Staatsanwalt vernommen hat, entpuppt
sich als Mitarbeiter einer Schweizer Firma - von Dr. O.

Bei unserem versteckt gefilmten Treffen wollen wir genauer
herausfinden, wie die Geschäfte abgewickelt werden.

O-Ton Dr. O., Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Das Ganze läuft über Vertriebspartner der Hersteller. Ich
arbeite mit Akers Nanotechnology zusammen. Die sind
offizieller Partner von AstraZeneca.

O-Ton Frontal 21, Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Würde denn AstraZeneca uns bestätigen, dass Akers ihr
Partner ist?

O-Ton Dr. O., Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Es gibt keine Verträge. Akers nennt da eine Astra-Managerin
in Texas, die muss man mal erreichen.

Wir machen und auf den Weg nach Texas in die USA - und
versuchen dort, die Managerin ausfindig zu machen.

Tatsächlich bietet die Firma Akers Nanotechnology die
Impfstoffe von AstraZeneca und BioNTech offen zum Kauf an.
Aber können die echt sein?
Schriftlich verweist Akers auf die besagte Mitarbeiterin von
AstraZeneca in den USA - Whitney M.

Wir versuchen, Whitney M. zu erreichen, doch sie antwortet
nicht. Zuhause treffen wir lediglich ihren Mann an. Sie sei
nicht da. Schließlich erreichen wir sie doch telefonisch, aber
kein Kommentar.

Derweil erklärt uns der Konzern AstraZeneca schriftlich, es
gebe derzeit,

Zitat:
„(…) keine Lieferung, keinen Verkauf oder Vertrieb des
Impfstoffs durch den privaten Sektor. Wenn jemand private
Impfstoffe anbietet, handelt es sich wahrscheinlich um
Fälschungen.“

Was sagt Pharmahändler Akers dazu? Die Firma sitzt in der
Nähe von Philadelphia. Den Vorwurf, Fälschungen zu
verkaufen, weist sie weit von sich. Man habe als Großhändler
eine offizielle Lizenz, Impfstoffe weiterzuverkaufen.

Zitat:
"Akers Nanotechnology (…) hat als Vertriebspartner
Beziehungen zu vielen Unternehmen, inklusive AstraZeneca.
(…) Wir verhandeln derzeit mit allen potentiellen Herstellern
über Mengen, Preise und Lieferdaten für deren Covid19-
Impfstoffe."

Seit Monaten wartet die EU auf Impfstofflieferungen,
insbesondere von AstraZeneca. Der Konzern kommt seinen
vertraglichen Verpflichtungen nicht nach. Was, wenn es
stimmt, dass Vertriebspartner die Ware derweil weltweit
verkaufen können?

O-Ton Janosch Dahmen, Bündnis 90/Die Grünen, MdB,
Mitglied Gesundheitsausschuss:
AstraZeneca muss dringend aufklären, was es damit zu tun
hat, dass offensichtlich neben den Lieferverpflichtungen
verschiedenen Ländern in der Welt Parallelstrukturen von
Parallelmärkten beliefert werden - auch mit dem Ziel, dass
dort Menschen versuchen, an dem Leid, an der Not anderer
Geld zu verdienen.

Noch einmal nach Stuttgart. Wir wollen herausfinden, ob
dieser Vorwurf nur AstraZeneca betrifft. Uns gegenüber
spricht Dr. O. im Stuttgarter Hotel auch von anderen
Herstellern.
O-Ton Dr. O., Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Die slowakische Regierung hat auch schriftlich bestellt, eine
Million Dosen von BioNTech/Pfizer.

O-Ton Frontal 21, Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Aber die Slowakei ist doch EU-Mitglied. Warum machen die
das an der EU vorbei?

O-Ton Dr. O., Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Weil sie sonst gar nix kriegen.

Laut Dokumenten von Dr. O. hat das EU-Mitglied Slowakei
eine Million Dosen BioNTech-Impfstoff bestellt.

Wir fahren nach Bratislava. Die Infektionszahlen dort rasten
im Frühjahr in die Höhe, das Gesundheitsministerium hat sich
deshalb nach Alternativen umgeschaut, um an mehr Impfstoff
zu kommen, als die EU beschaffen konnte.

O-Ton Zuzana Eliášová, Sprecherin Gesundheitsministerium
Slowakei:
Die Lieferungen über die EU haben sich immer wieder
verzögert. Deshalb haben wir nach Wegen gesucht, um
möglichst schnell weitere, sichere Impfstoffe in unser Land
zu bekommen - um das Tempo der Impfungen zu erhöhen.

Liefern soll die deutsche Firma CS Diagnostics in Neuss. Sie
ist ein Partner von Dr. O. Der Preis pro Dose BioNTech liegt
wieder über dem, was die EU mit dem Hersteller verhandelt
hat. Auf Nachfrage lässt uns das Unternehmen über einen
Anwalt mitteilen,

Zitat:
"Der (…) Verkauf des Biontech-Impfstoffes ist legal. Unsere
Mandantschaft kauft den Impfstoff (…) direkt beim
Hersteller, also bei Biontech/Pfizer oder bei vom Hersteller
offiziell autorisierten Vertretern."

Kann es legal sein, dass BioNtech seinen Impfstoff über
Zwischenhändler verkauft? Auf unsere Bitte um
Stellungnahme erhalten wir von dem Mainzer Unternehmen
keine Antwort.

Was sagt die Bundesregierung dazu, dass mit heiß begehrten
Impfstoffen Zwischenhändler gute Geschäfte machen wollen?

O-Ton Frontal 21:
Ist Ihnen das bekannt? Und wenn ja, was sagen Sie dazu,
gerade im Fall AstraZeneca – der Hersteller kommt ja seinen
vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Deutschland bisher
nicht nach?

O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister:
Also, wir erhalten tatsächlich eigentlich zu allen Impfstoffen,
die es auf der Welt gibt, entsprechende Angebote von
Zwischenhändlern. Das ist ein bisschen wie eigentlich in
dieser Pandemie immer mit verschiedenen Produkten: Es
entsteht dann so eine Goldgräberstimmung in verschiedenen
Bereichen und dann wird versucht, mit Angeboten aller Art
was zu machen. Wir als Bund jedenfalls beschaffen bei den
Herstellern.

O-Ton Karl Lauterbach, SPD, MdB, Gesundheitsexperte:
Wenn der Impfstoff ja an den Verträgen vorbei geliefert wird,
und wir bekommen nicht unsere Kontingente, dann ist das
schlicht und ergreifend Vertragsbruch und grenzt an ein
Wirtschaftsverbrechen, das hat also aus meiner Sicht nichts
mit der typischen Goldgräberstimmung zu tun.

Goldgräberstimmung? Auf diesen Dosen ruht die Hoffnung
der ganzen Welt, gerade jetzt, in der dritten Welle. Im
Wettlauf um Leben und Tod versuchen Länder, möglichst viel
für sich rauszuholen. Ob das auch für die Impfstoffhersteller
gilt, müssen die schnell aufklären.

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