BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG - Nr. 08-2 vom 18. Januar 2020

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BULLETIN
                                DER
                          BUNDESREGIERUNG
                            Nr. 08-2 vom 18. Januar 2020

Rede der Bundesministerin für Ernährung und
Landwirtschaft, Julia Klöckner,

zur Eröffnung der 12. Berliner Agrarministerkonferenz
am 18. Januar 2020 in Berlin:

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Minister,
sehr geehrte Frau Kommissarin Josefa Sacko,
sehr geehrter Herr Kommissar Wojciechowski,
sehr geehrter Herr Generaldirektor Dr. Qu Dongyu,
sehr geehrter Herr Vize-Generaldirektor Wolff,
liebe Gäste,

als wir Ihnen das Thema Handel und Welternährung für unser Global Forum for Food
and Agriculture (GFFA) vorgeschlagen haben, geschah dies vor dem Hintergrund ei-
nes weltweit zunehmenden Protektionismus, einer Infragestellung der globalen Han-
delsordnung und eskalierender Handelskonflikte.

Diese Entwicklung haben wir aus der Agrarperspektive mit großer Sorge verfolgt. Denn
die Produkte der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft sind bereits jetzt in weltweite Wert-
schöpfungsketten eingebunden. Agrarprodukte im Wert von rund 1,4 Billionen US-Dol-
lar weltweit wurden 2016 exportiert. Der Handel ist daher unverzichtbar für die Welter-
nährung.

Es ist deshalb in unserem Interesse, die Regeln der internationalen Handelsbeziehun-
gen mitzugestalten. Es ist in unserem Interesse, sicherzustellen, dass die besonderen
Anliegen der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie berücksichtigt werden.
Bulletin Nr. 08-2 v. 18. Januar 2020 / BMEL – zur Eröffnung der 12. Agrarministerkonferenz, Berlin

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Zu diesem Zeitpunkt konnten wir nur ahnen, in welcher Weise das Thema relevant
werden würde. Im vergangenen Jahr hat sich die Situation nun weiter zugespitzt. Wir
sehen jetzt wenigstens bei bilateralen Streitigkeiten erste Zeichen für eine Entspan-
nung. Daran müssen wir anknüpfen. Und uns dafür einsetzen, dieses System zu er-
halten: die Welthandelsorganisation (WTO), die seit ihrer Gründung im Jahr 1995 mit
ihren Regeln für Rechtssicherheit, Transparenz und Gleichbehandlung im Welthandel
steht. Und die jetzt, mit der Blockade der Streitschlichtung, ihres wichtigsten Instru-
ments beraubt worden ist. Die Krise der WTO führt uns in eine Welt ohne Regeln. In
eine Welt, in der tatsächlich droht, dass das Recht des Stärkeren an die Stelle von
verbrieftem Recht tritt.

Wir haben eine Situation erreicht, in der ich an Sie appelliere: Lassen Sie uns heute
mutig sein. Lassen Sie uns heute gemeinsam das Signal setzen, dass die internatio-
nale Agrarwelt, die heute hier in Berlin zusammengekommen ist, ein Zeichen setzt für
einen regelbasierten Freihandel. Dass sie appelliert an die Staatengemeinschaft, ge-
meinsam alle Anstrengungen zu unternehmen, um die WTO als das zentrale Instru-
ment zu erhalten. Als die zentrale Institution, um den internationalen Handel weiterzu-
entwickeln und in Bahnen zu lenken, um über den weiteren Abbau von Agrarsubven-
tionen, die den Handel verzerren, zu verhandeln.

Ich sage das in dem Bewusstsein, dass die WTO kein perfektes System ist. Es ist wie
mit der Demokratie: Sie mag kein perfektes System sein. Aber sie ist das beste, das
wir haben. Deshalb sollten wir es verteidigen. Deshalb lassen Sie uns heute ein Zei-
chen setzen! Und lassen Sie uns noch einen Schritt weitergehen und gemeinsam de-
finieren, wie wir uns den internationalen Agrarhandel in Zukunft vorstellen.

Denn Handel erfüllt wichtige Funktionen: Er kann den Wohlstand mehren. Er kann
Menschen ernähren, auch in Regionen in denen wenig wächst, für Entwicklung sor-
gen, für nachhaltige Entwicklung, auch in ländlichen Regionen. Handel bedeutet Ver-
netzung. Er ermöglicht Spezialisierungen und schafft so einen Ausgleich unter Regio-
nen mit unterschiedlichen Produktionsbedingungen. Und nicht zuletzt ist Handel immer
auch Friedenssicherung. Denn wer Handel treibt, bleibt in Verbindung, tauscht sich
Bulletin Nr. 08-2 v. 18. Januar 2020 / BMEL – zur Eröffnung der 12. Agrarministerkonferenz, Berlin

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aus, schafft die Grundlage für Verständigung. Und erst, wenn Handel alle diese Funk-
tionen erfüllt, wird Handel für uns zu einem Wert. Erst dann wird er wertvoll. Dafür
brauchen wir Regeln.

Meine Überzeugung ist: Eine dauerhafte, eine tragfähige Akzeptanz für den internati-
onalen Handel und seine Institutionen werden wir nur dann erreichen, wenn wir ihn
noch fester mit diesen Zielen, diesen Werten verzahnen, als Instrument einer aufho-
lenden Entwicklung.

Und meine Überzeugung ist auch: Wir als Landwirtschaftsminister haben dafür eine
besondere Verantwortung. Warum besonders? Weil wir als Landwirtschaftsminister
Handelspolitik eben nicht nur aus der Perspektive von Handelsbilanzen betrachten,
sondern weil wir diejenigen sind, die durch das Vergrößerungsglas schauen, bis dahin,
wo produziert und konsumiert wird: auf den Acker, in die dörfliche Gemeinschaft, in
der die Landwirtschaft die Keimzelle für eine stabile Entwicklung ist.

Denn wovon sprechen wir denn, wenn wir so abstrakt von 820 Millionen Menschen
sprechen, die Hunger leiden? Wir sprechen von Schicksalen, von vergebenen Chan-
cen. Wir sprechen von vertrockneten Äckern, von Landschaften, die veröden, weil sie
nicht gut bewirtschaftet worden sind. Weil der Klimawandel Landschaft verändert. Wir
sind es, die vor Ort sehen, was das bedeutet und wie wichtig es ist, jede Chance zu
nutzen, um hier Abhilfe zu schaffen.

Der internationale Handel mit Agrarprodukten ist eine solche Chance. Er hat das Po-
tenzial, einen weltweiten Ausgleich zwischen den Regionen mit unterschiedlichem
Nahrungsangebot zu schaffen, zudem die nachhaltige und standortangepasste Nut-
zung von Ressourcen zu ermöglichen und für ein gesichertes, gesundes und vielfälti-
ges Lebensmittelangebot zu sorgen – eben das Potenzial, Nahrung für alle zu bieten.

Dieses Potenzial gilt es zu nutzen. Wie gelingt es uns, tatsächlich dieses Potenzial zu
nutzen? Wir machen dazu in unserem Kommuniqué eine ganze Reihe von sehr kon-
kreten Vorschlägen und Maßnahmen. Was schlagen wir vor?

       Wir unterstützen Investitionen in Bildung, in Infrastruktur, in Beratung.
Bulletin Nr. 08-2 v. 18. Januar 2020 / BMEL – zur Eröffnung der 12. Agrarministerkonferenz, Berlin

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       Wir unterstützen Diversifizierung, um Abhängigkeiten zu vermeiden.

       Wir schlagen vor, Systeme der sozialen Sicherung zu stärken, um sicherzustel-
        len, dass der Wohlstand alle erreicht.

       Wir fördern Innovationen, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung, um den
        Austausch von Informationen zu erleichtern und mehr Markttransparenz zu
        schaffen, auch, um den Handel auf digitalen Plattformen zu erleichtern.

Für eine zukunftsträchtige Landwirtschaft ist Inklusivität im Handel von zentraler Be-
deutung. Deshalb wollen wir Frauen mehr fördern, ihre Rechte stärken und ihren Zu-
gang zu Märkten erleichtern. Wir wollen Kleinbauern stärker in Märkte einbinden, auch
durch die Förderung von Genossenschaften. Wir wollen Entwicklungsländern Teilhabe
ermöglichen, um sicherzustellen, dass Handel einen Beitrag zur nachhaltigen Entwick-
lung leistet. Dabei bekennen wir uns zu den UN-Nachhaltigkeitszielen der Agenda
2030 für nachhaltige Entwicklung und zum Paris Agreement. Deshalb wollen wir die
Entwicklung nachhaltiger Wertschöpfungsketten vorantreiben.

Ganz konkret wollen wir uns dafür einsetzen, dass die Internationale Organisation für
Normierung freiwillige internationale Standards für nachhaltige Lieferketten entwickelt.
Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, wie wir mit bestehenden Standards
umgehen. Mir ist dabei wichtig, dass wir uns in einer Grundüberzeugung einig sind:
Wir dürfen auf der einen Seite Standards, die zum Beispiel aus Gründen des Verbrau-
cherschutzes gerechtfertigt sind oder hohe Umwelt- und Sozialstandards, nicht auf
dem Wege der Handelsliberalisierung unterwandern. Wir dürfen aber gleichzeitig nie-
manden abhängen, weil er Standards nicht einhalten kann. Das mag an vielen Stellen
wie eine Quadratur des Kreises anmuten. Aber um das zu erreichen, brauchen wir
belastbare Strukturen, wie sie in der WTO angelegt sind.

Für die Sicherung der Welternährung spielt aber auch die Digitalisierung eine zuneh-
mend wichtige Rolle. Deshalb haben wir die Ergebnisse des GFFA 2019 zur Digitali-
sierung in der Landwirtschaft nochmals unterstrichen.
Bulletin Nr. 08-2 v. 18. Januar 2020 / BMEL – zur Eröffnung der 12. Agrarministerkonferenz, Berlin

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Handel ist seit jeher Impulsgeber. Entwicklung war immer dort zuhause, wo Waren
transportiert und getauscht worden sind: Mit den Produkten kam die Vielfalt, der Aus-
tausch, der Wohlstand. Handel bringt Menschen, Länder und Kulturen einander näher.
Er kann so Frieden stiften.

Lassen Sie uns daran anknüpfen und gemeinsam in einer Phase weltweiter Verunsi-
cherung eine regel- und wertebasierte Handelsordnung stärken, gestärkt in die Ver-
handlungen der 12. WTO-Ministerkonferenz in Nur-Sultan gehen mit der klaren Bot-
schaft: Wir brauchen den globalen Handel und wir brauchen globale Regeln! Ein star-
kes Signal für den Multilateralismus

Wir brauchen aber auch eine Stärkung regionaler und lokaler Märkte. Deshalb ist die
Schaffung einer panafrikanischen Freihandelszone ein wichtiger Meilenstein. Wir
freuen uns, dass die Agrarkommissarin der Afrikanischen Union heute bei uns ist, um
uns ihre Sicht der Dinge darzulegen.

Vielen Dank!

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