Benefizkonzert des Bundes-präsidenten - NDR
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Benefizkonzert des Bundes- präsidenten Sonntag, 27.02.22 — 11 Uhr Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal
GRUSSBOTSCHAFTEN In Deutschland leben viele Menschen in sozialer Not, haben kein Dach über dem Kopf, sind auf die Hilfe und Wohltätigkeit anderer Menschen angewiesen. Nicht wegschauen, son- dern hinschauen, wahrnehmen und aufmerksam machen auf diese Not – das ist es, was die Gesellschaft zusammenhält. Ich danke allen, die medizinische Hilfe für Obdachlose leisten und sich dafür auf unterschiedlichste Weise einsetzen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Für Menschen, die auf der Straße leben, kann eine Erkrankung sehr gefährlich werden. Einrichtungen wie die „Krankenstube für Obdachlose“ in Hamburg bieten medizinische Behandlung, einen sicheren Ort zur Erholung und ein soziales Netz, das Rat und Hilfe gibt. Diese Unter- stützung für Menschen in Not ist ein wichtiger Dienst für ein solidarisches Gemeinwesen. Herzlichen Dank an alle, die sich für andere engagieren und viel Freude beim Benefizkonzert des Bundespräsidenten in Hamburg. Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg 2
GRUSSWORT Sehr geehrte Damen und Herren, jedes Jahr lädt der Bundespräsident – alternierend in einem der 16 Bundes- länder – zum Benefizkonzert mit hoch- karätigen Orchestern, Dirigenten und Solisten. Der NDR, unsere Musikerinnen und Musiker, Chefdirigent Alan Gilbert und Gastsolistin Yuja Wang freuen sich, diese schöne Tradition heute fortsetzen zu können. Herzlich Willkommen! Soziales Engagement ist für den NDR selbstverständlich. Nie war es wichtiger ihrer Zeit. Beethovens Oper „Fidelio“ als in diesen krisenhaften Zeiten, an ist ein zeitloses Mahnmal für politi- jene Menschen zu denken, die um ihre sche Freiheit und gegen staatliche Existenz kämpfen. Die auf der Straße Willkür, und seine berühmte Fünfte leben, die in Not sind und in Sorge um Sinfonie stimmt uns – über alle ihre Gesundheit. Das NDR Elbphilharmo- Schicksalstrübungen hinweg – mit nie Orchester spielt heute für Einrichtun- dem triumphierenden Finale optimis- gen und Initiativen, die Obdachlosen mit tisch für die Zukunft. Ich hoffe, dass medizinischer Versorgung helfen: Der Sie diesen Optimismus heute aus der Spendenanteil Ihres Ticketpreises geht Elbphilharmonie mitnehmen kön- zu 50 Prozent an die Hamburger Caritas- nen, danke Ihnen herzlich für Ihre Einrichtung „Krankenstube für Obdach- Spende – und dem Bundespräsiden- lose“ im ehemaligen Hafenkrankenhaus ten für seine Initiative und die Aus- auf St. Pauli und zu 50 Prozent an weitere wahl des NDR Elbphilharmonie Caritas-Projekte bundesweit. Orchesters. Musik kann die Welt zwar nicht verän- Ihr dern, aber sie kann unser gesellschaftli- Joachim Knuth ches Bewusstsein immer wieder von Intendant des Norddeutschen Rundfunks Neuem schärfen. Es eint den visionären Europäer Franz Liszt und den musikali- schen Freiheitsgeist Ludwig van Beetho- ven, dass sie mit ihrer Kunst Stellung bezogen haben zu den großen Aufgaben 3
SPENDENZWECK Orte der Menschlichkeit Die Hamburger Krankenstube und andere Caritas-Projekte in der Wohnungslosenhilfe Wer krank ist, legt sich ins Bett und kuriert sich aus. Aber was, wenn das Bett nur ein Schlafsack auf dem kalten Asphalt oder in einem zugigen Hauseingang ist? Knapp 2.000 Menschen leben in Hamburg auf der Straße, deutschlandweit sind es mehrere Zehntausende. Für viele dieser Menschen gilt: Sie sind nicht gesund. Denn das Leben auf der Straße macht krank. In zahlreichen deutschen Städten hält die Caritas Angebote bereit, in denen woh- nungs- und obdachlose Menschen medizinisch versorgt und behandelt werden. Wer Hilfe braucht, bekommt sie. Auch wenn die Menschen nicht krankenversichert sind und unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus – auf Wunsch auch anonym. In Hamburg betreibt die Caritas mit der Krankenstube für Obdachlose auf St. Pauli eine stationäre Einrichtung für obdachlose Männer und Frauen, die einzige dieser Art in der Hansestadt. Rund um die Uhr stehen 20 Betten zur Verfügung. „Menschen, die zu uns in die Krankenstube kommen“, so Einrichtungsleiter Tim Niederauer, „haben schwerwiegende medizinische Probleme, die auf eine fehlende Versorgung zurückzuführen sind. Beispielsweise offene Wunden, die auf der Straße nicht abhei- len können.“ Viele Obdachlose haben keine Krankenversicherung und wenden sich nicht gern an Ärzte oder Krankenhäuser. „Sie schämen sich oder haben schlechte Erfahrungen gemacht“, stellt Niederauer immer wieder fest. Hier hilft das besondere Profil der Krankenstube. Die Mitarbeitenden haben jahrelange Erfahrungen mit den besonderen Herausforderungen der Obdachlosigkeit. Neben der Pflege gehört die Sozialarbeit zum zentralen Hilfsangebot der Krankenstube. Der Sozialarbeiter küm- mert sich um die Beschaffung von Ausweisen, den Abschluss einer Krankenversiche- rung oder die Beantragung von Sozialleistungen. „Medizinische Versorgung und Sozialarbeit – das ist das Erfolgsrezept unserer Krankenstube“, resümiert Niederauer. „So gelingt es uns immer wieder, Menschen aus der Obdachlosigkeit zu holen.“ 4
SPENDENZWECK Der Spendenanteil des Ticketverkaufs für das heutige Konzert geht zu 50 % an die Hamburger Krankenstube für Obdachlose. Die übrigen 50 % werden an 19 andere Caritas-Projekte deutschlandweit verteilt. Darunter finden sich medizinische und zahnärztliche Sprechstunden für Wohnungslose, ein Präventionsangebot, das Obst und Gemüse an Obdachlose verteilt, eine Krankenwohnung oder ein Angebot der psychotherapeutischen Versorgung von traumatisierten Wohnungslosen. Und das von Bruchsal bis Eisenach, von der Hauptstadt bis ins niedersächsische Bersenbrück. Mehr Informationen zu den Projekten und zur Arbeit der Caritas finden Sie hier: Wenn Sie darüber hinaus helfen wollen: SPE N DE N KO N TO Bank für Sozialwirtschaft IBAN DE88 6602 0500 0202 0202 02 Stichwort: Benefizkonzert Bundespräsident 5
BESETZUNG ALAN GILBERT Dirigent YUJA WANG Klavier NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Das Konzert wird live im ARD Fernsehen (Das Erste) übertragen. Es wird außerdem live gestreamt auf ndr.de/eo und in der NDR EO App. Der Mitschnitt bleibt danach für 30 Tage als Video-on-Demand online und in der ARD Mediathek verfügbar. Im Radio ist das Konzert live auf NDR Kultur zu hören. 6
PROGRAMM B U N D E S P R Ä S I D E N T F R A N K - W A LT E R S T E I N M E I E R U N D P E T E R TSCHENTSCHER, ERSTER BÜRGERMEISTER DER FREIEN UND HANSE- S TA D T H A M B U R G , I M G E S P R ÄC H M I T S A N D R A M A I S C H B E R G E R L U D W I G VA N B E E T H O V E N (17 70 – 1 8 2 7) Ouvertüre zur Oper „Fidelio“ op. 72 Entstehung: 1814 | Uraufführung: Wien, 26. Mai 1814 / Dauer: ca. 7 Min. Allegro F R A N Z L I S Z T (1 811 – 1 8 8 6) Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 Es-Dur Entstehung: 1849;, rev. 1853–56 | Uraufführung: Weimar, 17. Februar 1855 | Dauer: ca. 19 Min. I. Allegro maestoso. Tempo giusto II. Quasi Adagio III. Allegretto vivace – Allegro animato – IV. Allegro marziale animato – Presto LUDWIG VAN BEETHOV EN Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67 Entstehung: 1804–08 | Uraufführung: Wien, 22. Dezember 1808 / Dauer: ca. 35 Min. I. Allegro con brio II. Andante con moto III. Allegro – IV. Allegro Keine Pause. Ende des Konzerts gegen 12.30 Uhr 7
ZUM PROGR AM M DES HEUTIGEN KONZERTS Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit Zur Musik von Beethoven und Liszt Allein Freiheit und „Es sucht der Bruder seine Brüder, und kann er helfen, hilft er gern.“ – Mit beinahe lächerlich einfachen Wor- weiter gehen ist in ten lässt Ludwig van Beethoven seinen Florestan am der Kunstwelt, wie Ende von „Fidelio“ die Kernbotschaft der ganzen Oper vortragen. Der Satz liest sich, als ob hier ganz beiläufig in der ganzen eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen würde. Eine großen Schöpfung, in Verbrüderung geeinte Menschheit, Solidarität, Gleichheit – was ist daran so schwer? In Beethovens Zweck. „Fidelio“ werden zu Unrecht Gefangene in die Freiheit Ludwig van Beethoven entlassen. Ein Landesherr, der seine Macht zur Aus- schaltung seiner Gegner missbraucht hat, erfährt seine gerechte Strafe. Und ein Paar, das im Glauben an Liebe und Recht selbstlos gelitten und das eigene Leben aufs Spiel gesetzt hat, trägt den Sieg davon. Die Utopie einer idealen Gesellschaft darf zumindest auf der Theater- bühne für einen kurzen Moment real werden. Und die meisten Menschen werden eine Aufführung der Oper noch heute mit ebenjener verständnislosen Frage auf den Lippen verlassen: Was ist daran so schwer? Beethovens Werke, seine ethische Kunstauffassung, haben nichts an Aktualität verloren. Nicht ohne Grund eröffnet seine Ouvertüre zu „Fidelio“ das heutige Benefizkonzert, mit dessen Erlös wenigstens ein klei- ner Beitrag zur eingangs zitierten Selbstverständlich- keit geleistet werden soll. Wer das Eröffnungsstück zu 8
LUDWIG VAN BEETHOVEN Ouvertüre zu „Fidelio“ op. 72 Beethovens einziger Oper abgekoppelt vom Rest des Werks hört, wird der Musik jenes moralische Sen- dungsbewusstsein zwar nicht unbedingt anhören. Die „Fidelio“-Ouvertüre war aber auch bereits das vierte Vorspiel, das der Komponist für „dieses mein geistiges Kind“, das „mir vor allen anderen die größten Geburtsschmerzen, aber auch den größten Ärger gemacht“ hat, geschrieben hatte. Der ersten Auffüh- rung des „Fidelio“ stand als Ouvertüre tatsächlich Ludwig van Beethoven (Kupfer- noch eine Art instrumentale „Mini-Ausgabe“ der gan- stich von Blasius Höfel nach zen Oper voran, die deren Handlungsverlauf erkenn- einer Zeichneung von Luis Letronne, 1814) bar musikalisch nachzeichnete. Die Premiere allerdings, die sich nicht zuletzt aufgrund von Zensur- schwierigkeiten schon um einige Wochen verzögert VERSCHWENDERISCHE ERFINDUNGSKRAFT hatte, fiel im November 1805 beim Publikum durch, nicht nur weil namentlich die Ouvertüre aus Sicht der Für Meister und Schüler ist solch Kritiker zu „grell“ und „verworren“ geraten war. Beet- ein Werk [die vier Ouvertüren hoven revidierte die Partitur daraufhin mehrmals, zu Beethovens „Fidelio“] ein wechselte den Titel zu „Leonore“ und wieder zu „Fide- denkwürdiges Zeugnis einesteils des Fleißes und der Gewissen- lio“ zurück – und konnte 1814 endlich die dritte und haftigkeit, andernteils der wie letzte Fassung der Oper präsentieren, nun mit ebenje- im Spiel schaffenden und ner „harmlosen“ Ouvertüre, die wenig bis nichts von zerstörenden Erfindungskraft dieses Beethoven, in dem die Gang und Botschaft der Handlung vorwegnimmt. Natur nun einmal verschwende- risch niedergelegt, wozu sie Was für ein solches „Einstimmungsstück“ auf eine sonst tausend Gefäße braucht. Dem großen Haufen freilich gilt Oper unangebracht erschien, beflügelte Beethovens es gleich, ob Beethoven zu einer größer angelegte Orchesterwerke dafür umso intensi- Oper vier Ouvertüren schrieb, ver: der Wille, die Töne sprechen zu lassen. Beethoven und ob z. B. Rossini zu vier Opern eine Ouvertüre. war ohne Frage einer der ersten Komponisten in der Musikgeschichte, für die selbst noch „abstrakte“ Sinfo- Robert Schumann in der nien die richtigen Orte waren, um große, übermensch- „Neuen Zeitschrift für Musik“ (1840) liche, politisch-moralische Ideen auszudrücken. So ist gerade auch ein Werk wie die Fünfte Sinfonie mehr als bloß gehobene, geistreiche „Unterhaltung“. Auch die berühmte Fünfte hat etwas mitzuteilen, sie will an den großen Aufgaben der Zeit teilhaben. Der Einzelne, gegen die Macht des Schicksals alleine wehrlos, findet 9
LUDWIG VAN BEETHOVEN Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67 DAS „POLITISCHE SCHICK- in der Gemeinschaft Erlösung, die kollektiven Ideale S A L“ K O M P O N I E R T M I T der französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – triumphieren über individuelle Zwischen 1803 und 1808 feilte Bedrängnis. So ließe sich, ganz im Sinne des „Fidelio“, Beethoven an seiner Fünften Sinfonie – ein Zeitraum, in die Geschichte hinter den Noten der Fünften Sinfonie dem welthistorische Schlach- des (zeitweisen) Napoleon- und Schiller-Verehrers Beet- ten und Umbrüche in großer hoven beschreiben. Musikalisch würde sich das in Dichte aufeinander folgten: 1805 schlug Napoleon in der etwa so ausdrücken: Das berühmte „Tatatataaa“ eröff- „Dreikaiserschlacht“ bei net den 1. Satz in düsterem c-Moll. „So pocht das Austerlitz Österreich und Schicksal an die Pforte“, soll Beethoven nach dem Russland; im November des Jahres (wenige Tage vor der Bericht seines Sekretärs Anton Schindler diese bedeu- Uraufführung des „Fidelio“) tungsvollen vier Noten erläutert haben. Ob das persön- okkupierte der Kaiser der liche Schicksal damit gemeint ist oder jenes, von dem Franzosen ein erstes Mal Wien. 1806 stürzte der mor- Johann Wolfgang von Goethe aus einer Unterredung sche Bau des Heiligen Römi- mit Napoleon berichtete („Was will man jetzt mit dem schen Reiches Deutscher Schicksal?“, hatte der Kaiser der Franzosen den Dich- Nation, der über 1000 Jahre mehr recht als schlecht ter des „Werther“ gefragt, „die Politik ist das Schick- gehalten hatte, über Nacht sal.“), sei dahingestellt. In jedem Fall „kämpft“ sich ein. An seiner Stelle installier- dieses Schicksal förmlich durch die ganze Sinfonie: ten die Franzosen den Rhein- bund. Preußens Versuch, Das wohlbekannte, haarsträubend simple Viernoten- dagegenzuhalten, endete im Motiv hält nicht nur in ständigen Wiederholungen, Oktober 1806 mit den vernich- Abwandlungen und Umformungen den gesamten tenden Niederlagen bei Jena und Auerstedt. Als die Franzo- 1. Satz am Leben, sondern erklingt auch noch in den sen im Mai 1809 bei der übrigen Sätzen, prominent vor allem im 3. Satz (Horn). zweiten Besetzung Wiens die Was einerseits Beethovens geniales Vermögen beweist, Stadt bombardierten, ver- kroch Beethoven sich im aus „wenig“ sehr „viel“ zu machen, deutet andererseits Keller seines Hauses und gab auf den erwähnten ideellen Wandlungsprozess hin: zu Protokoll, er würde dem Das Motiv führt die Sinfonie gewissermaßen „durch Feind schon gehörig einhei- zen, wenn er nur von Kanonen Nacht zum Licht“, denn aus dem finsteren c-Moll wird ebenso viel verstünde wie von – spannend inszeniert im Übergang vom dritten zum Kontrapunkt. vierten Satz, wo das Schicksal in der Pauke ständig weiter pocht – am Ende strahlendes C-Dur. Und für dieses Jubelgeschrei im Finale greift Beethoven sogar auf ein Instrumentarium (Piccoloflöte, Kontrafagott, Posaunen) zurück, das ganz klar der Militärmusik ent- stammt. Von einem buchstäblichen „Sieg“ in Tönen zu sprechen, ist also alles andere als abwegig. Forscher 10
LUDWIG VAN BEETHOVEN Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67 haben Beethovens heroischen Stil in der Fünften mit der Musik verglichen, die Komponisten wie Luigi Che- rubini, André-Ernest-Modeste Grétry oder Étienne- Nicolas Méhul in den Jahren der französischen Revolution geschrieben hatten. Manche hören in der Tonfolge c-h-c-d im Finale sogar den Schlachtruf „la liberté“ heraus, den Beethoven aus der „Hymne dithy- rambique“ des Komponisten der Marseillaise entnom- men haben könnte. Was genau hier in der Fünften Franz Liszt (Gemälde von Miklos „siegt“, darüber muss man also kaum noch spekulie- Barabas, 1847) ren. Es ist, als ob die zu Unrecht (im c-Moll-Schicksal?) Gefangenen der „Fidelio“-Oper auch hier ihre berühm- ten Worte sängen: „O welche Lust, in freier Luft den Die Lauen feuerte Atem leicht zu heben! Nur hier, nur hier ist Leben … er an, den Gleich- Heil sei dem Tag, Heil sei der Stunde, die lang ersehnt, doch unvermeint, Gerechtigkeit mit Huld im Bunde gültigen versuchte vor unsres Grabes Tor erscheint!“ er Geschmack Dass Musik etwas zu sagen hat, im besten Falle nicht einzuflößen. nur für künstlerischen, sondern auch gesellschaftli- Hector Berlioz über das chen Fortschritt sorgen kann, stand auch für den Kom- Wirken seines Freundes Franz ponisten, Pianisten und weltläufigen Europäer Franz Liszt in Bonn. Letzterer war Liszt außer Frage. Es verwundert nicht, dass die Fünfte 1845 zu Besuch in Beethovens Geburtsstadt, um letzte Sinfonie zu denjenigen Werken gehörte, die der glü- Vorbereitungen für das erste hende Beethoven-Anhänger bevorzugt dirigierte und in Beethovenfest und die Ent- eigener Klaviertranskription spielte. Musikern wie hüllung des Beethovendenk- mals auf dem Münsterplatz zu Beethoven sei es in ihren Werken möglich, „den freien treffen, das er wesentlich Aufschwung seines Gedankens hemmende Fesseln zu mitfinanziert hatte. zerbrechen“ und „Seelenerlebnisse mitzuteilen“, schrieb Liszt – und wurde selbst zum Pionier einer Tonkunst, die konkrete Inhalte zum Ausdruck bringen und damit nicht zuletzt den Menschen Orientierung in der Gesellschaft bieten sollte. Nachdem er im Jahr 1848 eine Anstellung als Hofkapellmeister in Weimar erhal- ten hatte, verließ der gebürtige Ungar die Weltstadt Paris, um in der Provinz eine zweite Karriere zu star- ten: In Weimar trat Liszt erstmals als Opern- und 11
FRANZ LISZT Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur GENAUER HINGEHÖRT Orchesterdirigent in Erscheinung und entwickelte als Komponist nun ein wahres „sinfonisches Sendungsbe- Neben dem einprägsamen wusstsein“, wie er seinem Idol Hector Berlioz mitteilte. Start-Motiv finden sich im Hier erfand Liszt jene Gattung, die unter dem Namen 1. Satz von Liszts Es-Dur-Kla- vierkonzert als episodische „Sinfonische Dichtung“ Epoche machen sollte. Als Pia- Kontraste unter anderem noch nist hingegen trat er jetzt nur noch selten öffentlich eine Klavier-Melodie mit auf. Nichtsdestotrotz vollendete der nunmehr sinfo- Chopin’schen Arabesken und eine lyrische Insel mit Beteili- nisch Erfahrene in Weimar einige bereits früher skiz- gung von Soloklarinette und zierte Kompositionen für Klavier und Orchester, -violine. Es schließt sich ein darunter zwei Klavierkonzerte. Fast könnte man sagen, vielgestaltiger langsamer Satz mit einem schwärmerisch sie kämen als rein am poetischen Gedankenfluss orien- aufsteigenden und einem tierte „Sinfonische Dichtungen mit obligatem Klavier“ gebieterisch absteigenden daher, denn mit dem traditionellen Klavierkonzert Motiv, rezitativischen Passa- gen und hellen Trillerketten haben sie in ihrer formalen Freiheit – über die ebenso des Klaviers an. Im daraus grenzüberschreitende technische Virtuosität hinaus – hervorgehenden Scherzando- wenig gemein. So könnte man über die 3-, 4- oder 5-Sät- Satz (den Liszt in der ersten Fassung als zum 2. Satz zigkeit des zuerst erschienenen Klavierkonzerts Es-Dur zugehörig verstand), wird der lange diskutieren, wobei es im Grunde einen Bogen Pianistin kurioserweise ein über mehrere organisch miteinander verknüpfte Triangel als Dialogpartner zur Seite gestellt – was von Abschnitte spannt. Gleich der stolze Hauptgedanke am Richard Wagner belächelt Anfang – von Hans von Bülow mit den Worten „Das wurde, der Musik aber einen versteht ihr alle nicht“ skandiert – fungiert eher als ungemein zauberischen, feenhaften Gestus verleiht „idée fixe“ im Sinne Berlioz’ denn als „1. Thema“. Oder und dem Werk den scherz- man zieht gleich die Parallele zum „Schicksalsmotiv“ haften Beinamen „Triangel- aus Beethovens Fünfter: An jeder Schaltstelle ist das konzert“ eingebracht hat. Wann genau dann die Grenze markante Motiv präsent, und die daraus abgeleiteten zum nächsten Satz anzusetzen chromatischen Oktavgänge im Klavier beschließen ist, wird beim bloßen Hören noch das Finale, das im Übrigen als sieghaftes „Allegro kaum deutlich, denn jetzt wächst die Musik nach Art marziale“ daherkommt. Auch Liszts Freiheitsgeist war einer zusammenfassenden – gepaart mit seinem Verständnis für künstlerische Rekapitulation aus zuvor Visionäre – wohl nicht unwesentlich dafür verantwort- Gehörtem hervor. lich, einem gewissen Freund und Kollegen namens Richard Wagner bei dessen Flucht aus Dresden zu hel- fen, nachdem dieser sich an der Erhebung der Republi- kaner gegen die Monarchie beteiligt hatte … Julius Heile 12
DIRIGENT Alan Gilbert Seit 2019 ist Alan Gilbert Chefdirigent des NDR Elbphil- harmonie Orchesters, dem er bereits von 2004 bis 2015 als Erster Gastdirigent verbunden war. Nach einem ful- minanten Start in seine erste Saison als Chef u. a. mit dem Festival „Klingt nach Gilbert“ leitete er während des Corona-Lockdowns auch zahlreiche Streaming- und Hörfunk-Produktionen, darunter das Konzert zum 75-jährigen Jubiläum des Orchesters. Gilberts Position beim NDR folgte seiner achtjährigen Amtszeit als Music Director des New York Philharmonic Orchestra, wo es H Ö H E P U N K T E 2 0 21/2 0 2 2 dem gebürtigen New Yorker gelungen ist, den Ruf des Orchesters nochmals auszubauen und dessen führende • Zahlreiche Konzerte mit dem NDR Elbphilharmonie Bedeutung in der kulturellen Landschaft der USA zu Orchester, darunter die unterstreichen. Gilbert ist außerdem Ehrendirigent des Konzerte zum Jahreswechsel Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, dessen Chef und zum 5-jährigen Jubi- läum der Elbphilharmonie, er acht Jahre lang war, Erster Gastdirigent des Tokyo das kürzlich zu Ende gegan- Metropolitan Symphony Orchestra und neuer Musikdi- gene Festival „Age of rektor der Königlichen Oper in Stockholm. Als internati- Anxiety“ mit amerikanischer Musik des 20. Jahrhunderts, onal gefragter Gastdirigent kehrt er regelmäßig etwa zu Haydns „Schöpfung“ und den Berliner Philharmonikern, dem Royal Concertge- Dvořáks „Rusalka“ im bouw, London Symphony, Cleveland, Boston Symphony Rahmen des Internationalen Musikfests Hamburg sowie und Philadelphia Orchestra, der Staatskapelle Dresden, die Uraufführung von Marc dem Gewandhausorchester Leipzig oder dem Orchestre Neikrugs Vierter Sinfonie de Paris zurück. Er hat Opernproduktionen an der Mai- • Europa-Tournee mit dem NDR Elbphilharmonie länder Scala, der Met New York, Los Angeles Opera, Orchester Königlichen Oper Stockholm, am Opernhaus Zürich • Einstand als Musikdirektor und an der Santa Fe Opera geleitet, zu deren Music der Königlichen Oper in Stockholm mit Brahms‘ „Ein Director er 2003 ernannt wurde. Gilberts Diskografie Deutsches Requiem“ und umfasst u. a. die CD-Box „The Nielsen Project“ und die Wagners „Die Walküre“ Grammy-prämierte DVD mit John Adams’ „Doctor Ato- • Rückkehr zum Royal Con- certgebouw Orchestra, mic“ live aus der New Yorker Met. Der mit zahlreichen Gewandhausorchester renommierten Preisen und Ehrungen ausgezeichnete Leipzig, Cleveland und Dirigent war ferner Leiter des Bereichs für Dirigier- und Boston Symphony Orchestra Orchesterstudien an der New Yorker Juilliard School. 13
KL AVIER Yuja Wang Die Pianistin Yuja Wang wird für ihr charismatisches Künstlertum, ihre emotionale Aufrichtigkeit und fes- selnde Bühnenpräsenz gefeiert. Sie hat mit den weltweit renommiertesten Dirigenten, Musikern und Ensembles konzertiert und ist nicht nur für ihre Virtuosität, son- dern auch für ihre spontanen, lebendigen Auftritte berühmt – so wie sie es der „New York Times“ erklärte: „Ich bin fest davon überzeugt, das jedes Programm sein eigenes Leben haben und ein Abbild davon sein sollte, HÖHEPUNKTE 2022 wie ich in diesem Moment fühle.“ Solches demonstrierte sie im Oktober 2021 etwa bei einer Aufführung von • Mit Spannung erwartete Schostakowitschs Klavierkonzert Nr. 2 in der Opening Recital-Tour mit Stationen Night Gala der Carnegie Hall New York nach deren his- in berühmten Veranstal- tungsorten in Nordamerika, torischer, 572-tägiger Schließung. Yuja Wang wurde in Europa und Asien mit eine musikalische Familie in Beijing geboren. Nach ers- Werken u. a. von György ten Klavierstudien in China erhielt sie ihre Ausbildung Ligeti, Ludwig van Beetho- ven und Nikolai Kapustin in Kanada und am Curtis Institute of Music bei Gary • Konzerte mit dem New York Graffman. Ihren internationalen Durchbruch feierte sie Philharmonic Orchestra, 2007, als sie für Martha Argerich beim Boston Sym- Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, phony Orchestra einsprang. Zwei Jahre später unter- Orchestre de Paris, Rotter- zeichnete sie einen exklusiven Aufnahmevertrag beim dam Philharmonic Orchestra, Traditionslabel „Deutsche Grammophon“. Seitdem ver- den Wiener Philharmonikern sowie auf Tour mit der teidigt sie ihren Platz unter den weltweit führenden Tschechischen Philharmo- Künstlern mit regelmäßig hochgelobten und ausge- nie und dem Gewandhaus- zeichneten Aufführungen und Einspielungen. So wurde orchester Leipzig • Duo-Recitals mit Leonidas sie etwa 2017 zur „Artist of the Year“ der Zeitschrift Kavakos in Europa und „Musical America“ ernannt und erhielt 2021 einen OPUS Amerika KLASSIK für ihre Ersteinspielung von John Adams’ „Must the Devil Have all the Good Tunes?“ mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra unter Gustavo Duda- mel. Als Kammermusikerin hat Wang langfristige musi- kalische Partnerschaften mit führenden Künstlern aufgebaut, insbesondere mit Leonidas Kavakos, mit dem sie die Brahms-Violinsonaten eingespielt hat. 14
IMPRESSUM Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Programmdirektion Hörfunk Orchester, Chor und Konzerte Rothenbaumchaussee 132 20149 Hamburg Leitung: Achim Dobschall NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Management: Sonja Epping Redaktion des Programmheftes Julius Heile Der Einführungstext von Julius Heile ist ein Originalbeitrag für den NDR. Fotos Bundesregierung / Steffen Kugler (S. 2 oben) Ronald Sawatzki / Senatskanzlei Hamburg (S. 2 unten) NDR / Thomas Pritschet (S. 3) Michael Kottmeier (S. 5) Heritage Images / Index / akg-images (S. 9) akg-images (S. 11) Peter Hundert / NDR (S. 13) Julia Wesely (S. 14) Druck: Eurodruck in der Printarena Das verwendete Papier ist FSC-zertifiziert und chlorfrei gebleicht. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. 15
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