Benefizkonzert des Bundes-präsidenten - NDR

Die Seite wird erstellt Nicolas Stock
 
WEITER LESEN
Benefizkonzert
     des
   Bundes-
 präsidenten

         Sonntag, 27.02.22 — 11 Uhr
    Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal
GRUSSBOTSCHAFTEN

                                       In Deutschland leben viele Menschen
                                       in sozialer Not, haben kein Dach über
                                       dem Kopf, sind auf die Hilfe und
                                       Wohltätigkeit anderer Menschen
                                       angewiesen. Nicht wegschauen, son-
                                       dern hinschauen, wahrnehmen und
                                       aufmerksam machen auf diese Not
                                       – das ist es, was die Gesellschaft
zusammenhält. Ich danke allen, die medizinische Hilfe für Obdachlose leisten
und sich dafür auf unterschiedlichste Weise einsetzen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

                                       Für Menschen, die auf der Straße
                                       leben, kann eine Erkrankung sehr
                                       gefährlich werden. Einrichtungen wie
                                       die „Krankenstube für Obdachlose“ in
                                       Hamburg bieten medizinische
                                       Behandlung, einen sicheren Ort zur
                                       Erholung und ein soziales Netz, das
                                       Rat und Hilfe gibt. Diese Unter-
stützung für Menschen in Not ist ein wichtiger Dienst für ein solidarisches
Gemeinwesen. Herzlichen Dank an alle, die sich für andere engagieren und viel
Freude beim Benefizkonzert des Bundespräsidenten in Hamburg.

Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg

                                      2
GRUSSWORT

Sehr geehrte Damen und Herren,

jedes Jahr lädt der Bundespräsident
– alternierend in einem der 16 Bundes-
länder – zum Benefizkonzert mit hoch-
karätigen Orchestern, Dirigenten und
Solisten. Der NDR, unsere Musikerinnen
und Musiker, Chefdirigent Alan Gilbert
und Gastsolistin Yuja Wang freuen sich,
diese schöne Tradition heute fortsetzen
zu können. Herzlich Willkommen!

Soziales Engagement ist für den NDR
selbstverständlich. Nie war es wichtiger        ihrer Zeit. Beethovens Oper „Fidelio“
als in diesen krisenhaften Zeiten, an           ist ein zeitloses Mahnmal für politi-
jene Menschen zu denken, die um ihre            sche Freiheit und gegen staatliche
Existenz kämpfen. Die auf der Straße            Willkür, und seine berühmte Fünfte
leben, die in Not sind und in Sorge um          Sinfonie stimmt uns – über alle
ihre Gesundheit. Das NDR Elbphilharmo-          Schicksalstrübungen hinweg – mit
nie Orchester spielt heute für Einrichtun-      dem triumphierenden Finale optimis-
gen und Initiativen, die Obdachlosen mit        tisch für die Zukunft. Ich hoffe, dass
medizinischer Versorgung helfen: Der            Sie diesen Optimismus heute aus der
Spendenanteil Ihres Ticketpreises geht          Elbphilharmonie mitnehmen kön-
zu 50 Prozent an die Hamburger Caritas-         nen, danke Ihnen herzlich für Ihre
Einrichtung „Krankenstube für Obdach-           Spende – und dem Bundespräsiden-
lose“ im ehemaligen Hafenkrankenhaus            ten für seine Initiative und die Aus-
auf St. Pauli und zu 50 Prozent an weitere      wahl des NDR Elbphilharmonie
Caritas-Projekte bundesweit.                    Orchesters.

Musik kann die Welt zwar nicht verän-           Ihr
dern, aber sie kann unser gesellschaftli-       Joachim Knuth
ches Bewusstsein immer wieder von               Intendant des Norddeutschen Rundfunks
Neuem schärfen. Es eint den visionären
Europäer Franz Liszt und den musikali-
schen Freiheitsgeist Ludwig van Beetho-
ven, dass sie mit ihrer Kunst Stellung
bezogen haben zu den großen Aufgaben

                                            3
SPENDENZWECK

  Orte der Menschlichkeit
           Die Hamburger Krankenstube und andere
          Caritas-Projekte in der Wohnungslosenhilfe

Wer krank ist, legt sich ins Bett und kuriert sich aus. Aber was, wenn das Bett nur
ein Schlafsack auf dem kalten Asphalt oder in einem zugigen Hauseingang ist?
Knapp 2.000 Menschen leben in Hamburg auf der Straße, deutschlandweit sind es
mehrere Zehntausende. Für viele dieser Menschen gilt: Sie sind nicht gesund.
Denn das Leben auf der Straße macht krank.

In zahlreichen deutschen Städten hält die Caritas Angebote bereit, in denen woh-
nungs- und obdachlose Menschen medizinisch versorgt und behandelt werden.
Wer Hilfe braucht, bekommt sie. Auch wenn die Menschen nicht krankenversichert
sind und unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus – auf Wunsch auch anonym.

In Hamburg betreibt die Caritas mit der Krankenstube für Obdachlose auf St. Pauli
eine stationäre Einrichtung für obdachlose Männer und Frauen, die einzige dieser
Art in der Hansestadt. Rund um die Uhr stehen 20 Betten zur Verfügung. „Menschen,
die zu uns in die Krankenstube kommen“, so Einrichtungsleiter Tim Niederauer,
„haben schwerwiegende medizinische Probleme, die auf eine fehlende Versorgung
zurückzuführen sind. Beispielsweise offene Wunden, die auf der Straße nicht abhei-
len können.“ Viele Obdachlose haben keine Krankenversicherung und wenden sich
nicht gern an Ärzte oder Krankenhäuser. „Sie schämen sich oder haben schlechte
Erfahrungen gemacht“, stellt Niederauer immer wieder fest. Hier hilft das besondere
Profil der Krankenstube. Die Mitarbeitenden haben jahrelange Erfahrungen mit den
besonderen Herausforderungen der Obdachlosigkeit. Neben der Pflege gehört die
Sozialarbeit zum zentralen Hilfsangebot der Krankenstube. Der Sozialarbeiter küm-
mert sich um die Beschaffung von Ausweisen, den Abschluss einer Krankenversiche-
rung oder die Beantragung von Sozialleistungen. „Medizinische Versorgung und
Sozialarbeit – das ist das Erfolgsrezept unserer Krankenstube“, resümiert Niederauer.
„So gelingt es uns immer wieder, Menschen aus der Obdachlosigkeit zu holen.“

                                          4
SPENDENZWECK

Der Spendenanteil des Ticketverkaufs für das heutige Konzert geht zu 50 % an die
Hamburger Krankenstube für Obdachlose. Die übrigen 50 % werden an 19 andere
Caritas-Projekte deutschlandweit verteilt. Darunter finden sich medizinische und
zahnärztliche Sprechstunden für Wohnungslose, ein Präventionsangebot, das Obst
und Gemüse an Obdachlose verteilt, eine Krankenwohnung oder ein Angebot der
psychotherapeutischen Versorgung von traumatisierten Wohnungslosen. Und das
von Bruchsal bis Eisenach, von der Hauptstadt bis ins niedersächsische Bersenbrück.

Mehr Informationen zu den Projekten und zur Arbeit der Caritas finden Sie hier:

Wenn Sie darüber hinaus helfen wollen:

SPE N DE N KO N TO
Bank für Sozialwirtschaft
IBAN DE88 6602 0500 0202 0202 02
Stichwort: Benefizkonzert Bundespräsident

                                         5
BESETZUNG

                                  ALAN GILBERT
                                        Dirigent
                                     YUJA WANG
                                        Klavier

                            NDR ELBPHILHARMONIE
                                    ORCHESTER

             Das Konzert wird live im ARD Fernsehen (Das Erste) übertragen.
Es wird außerdem live gestreamt auf ndr.de/eo und in der NDR EO App. Der Mitschnitt bleibt
   danach für 30 Tage als Video-on-Demand online und in der ARD Mediathek verfügbar.

                  Im Radio ist das Konzert live auf NDR Kultur zu hören.

                                            6
PROGRAMM

B U N D E S P R Ä S I D E N T F R A N K - W A LT E R S T E I N M E I E R U N D P E T E R
TSCHENTSCHER, ERSTER BÜRGERMEISTER DER FREIEN UND HANSE-
S TA D T H A M B U R G , I M G E S P R ÄC H M I T S A N D R A M A I S C H B E R G E R

L U D W I G VA N B E E T H O V E N (17 70 – 1 8 2 7)
Ouvertüre zur Oper „Fidelio“ op. 72
Entstehung: 1814 | Uraufführung: Wien, 26. Mai 1814 / Dauer: ca. 7 Min.
        Allegro

F R A N Z L I S Z T (1 811 – 1 8 8 6)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 Es-Dur
Entstehung: 1849;, rev. 1853–56 | Uraufführung: Weimar, 17. Februar 1855 | Dauer: ca. 19 Min.
        I.     Allegro maestoso. Tempo giusto
        II.    Quasi Adagio
        III.   Allegretto vivace – Allegro animato –
        IV.    Allegro marziale animato – Presto

LUDWIG VAN BEETHOV EN
Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67
Entstehung: 1804–08 | Uraufführung: Wien, 22. Dezember 1808 / Dauer: ca. 35 Min.
        I.     Allegro con brio
        II.    Andante con moto
        III.   Allegro –
        IV.    Allegro

Keine Pause. Ende des Konzerts gegen 12.30 Uhr

                                                   7
ZUM PROGR AM M DES HEUTIGEN KONZERTS

      Freiheit, Gleichheit,
         Brüderlichkeit
                Zur Musik von Beethoven und Liszt

Allein Freiheit und          „Es sucht der Bruder seine Brüder, und kann er helfen,
                             hilft er gern.“ – Mit beinahe lächerlich einfachen Wor-
weiter gehen ist in
                             ten lässt Ludwig van Beethoven seinen Florestan am
der Kunstwelt, wie           Ende von „Fidelio“ die Kernbotschaft der ganzen Oper
                             vortragen. Der Satz liest sich, als ob hier ganz beiläufig
in der ganzen
                             eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen würde. Eine
großen Schöpfung,            in Verbrüderung geeinte Menschheit, Solidarität,
                             Gleichheit – was ist daran so schwer? In Beethovens
Zweck.
                             „Fidelio“ werden zu Unrecht Gefangene in die Freiheit
Ludwig van Beethoven         entlassen. Ein Landesherr, der seine Macht zur Aus-
                             schaltung seiner Gegner missbraucht hat, erfährt seine
                             gerechte Strafe. Und ein Paar, das im Glauben an Liebe
                             und Recht selbstlos gelitten und das eigene Leben aufs
                             Spiel gesetzt hat, trägt den Sieg davon. Die Utopie einer
                             idealen Gesellschaft darf zumindest auf der Theater-
                             bühne für einen kurzen Moment real werden. Und die
                             meisten Menschen werden eine Aufführung der Oper
                             noch heute mit ebenjener verständnislosen Frage auf
                             den Lippen verlassen: Was ist daran so schwer?

                             Beethovens Werke, seine ethische Kunstauffassung,
                             haben nichts an Aktualität verloren. Nicht ohne Grund
                             eröffnet seine Ouvertüre zu „Fidelio“ das heutige
                             Benefizkonzert, mit dessen Erlös wenigstens ein klei-
                             ner Beitrag zur eingangs zitierten Selbstverständlich-
                             keit geleistet werden soll. Wer das Eröffnungsstück zu

                                          8
LUDWIG VAN BEETHOVEN
                              Ouvertüre zu „Fidelio“ op. 72

Beethovens einziger Oper abgekoppelt vom Rest des
Werks hört, wird der Musik jenes moralische Sen-
dungsbewusstsein zwar nicht unbedingt anhören. Die
„Fidelio“-Ouvertüre war aber auch bereits das vierte
Vorspiel, das der Komponist für „dieses mein geistiges
Kind“, das „mir vor allen anderen die größten
Geburtsschmerzen, aber auch den größten Ärger
gemacht“ hat, geschrieben hatte. Der ersten Auffüh-
rung des „Fidelio“ stand als Ouvertüre tatsächlich            Ludwig van Beethoven (Kupfer-
noch eine Art instrumentale „Mini-Ausgabe“ der gan-           stich von Blasius Höfel nach
zen Oper voran, die deren Handlungsverlauf erkenn-            einer Zeichneung von Luis
                                                              Letronne, 1814)
bar musikalisch nachzeichnete. Die Premiere
allerdings, die sich nicht zuletzt aufgrund von Zensur-
schwierigkeiten schon um einige Wochen verzögert              VERSCHWENDERISCHE
                                                              ERFINDUNGSKRAFT
hatte, fiel im November 1805 beim Publikum durch,
nicht nur weil namentlich die Ouvertüre aus Sicht der
                                                              Für Meister und Schüler ist solch
Kritiker zu „grell“ und „verworren“ geraten war. Beet-
                                                              ein Werk [die vier Ouvertüren
hoven revidierte die Partitur daraufhin mehrmals,             zu Beethovens „Fidelio“] ein
wechselte den Titel zu „Leonore“ und wieder zu „Fide-         denkwürdiges Zeugnis einesteils
                                                              des Fleißes und der Gewissen-
lio“ zurück – und konnte 1814 endlich die dritte und
                                                              haftigkeit, andernteils der wie
letzte Fassung der Oper präsentieren, nun mit ebenje-         im Spiel schaffenden und
ner „harmlosen“ Ouvertüre, die wenig bis nichts von           zerstörenden Erfindungskraft
                                                              dieses Beethoven, in dem die
Gang und Botschaft der Handlung vorwegnimmt.
                                                              Natur nun einmal verschwende-
                                                              risch niedergelegt, wozu sie
Was für ein solches „Einstimmungsstück“ auf eine              sonst tausend Gefäße braucht.
                                                              Dem großen Haufen freilich gilt
Oper unangebracht erschien, beflügelte Beethovens
                                                              es gleich, ob Beethoven zu einer
größer angelegte Orchesterwerke dafür umso intensi-           Oper vier Ouvertüren schrieb,
ver: der Wille, die Töne sprechen zu lassen. Beethoven        und ob z. B. Rossini zu vier
                                                              Opern eine Ouvertüre.
war ohne Frage einer der ersten Komponisten in der
Musikgeschichte, für die selbst noch „abstrakte“ Sinfo-       Robert Schumann in der
nien die richtigen Orte waren, um große, übermensch-          „Neuen Zeitschrift für Musik“
                                                              (1840)
liche, politisch-moralische Ideen auszudrücken. So ist
gerade auch ein Werk wie die Fünfte Sinfonie mehr als
bloß gehobene, geistreiche „Unterhaltung“. Auch die
berühmte Fünfte hat etwas mitzuteilen, sie will an den
großen Aufgaben der Zeit teilhaben. Der Einzelne,
gegen die Macht des Schicksals alleine wehrlos, findet

                                            9
LUDWIG VAN BEETHOVEN
                                      Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67

DAS „POLITISCHE SCHICK-             in der Gemeinschaft Erlösung, die kollektiven Ideale
S A L“ K O M P O N I E R T M I T
                                    der französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit,
                                    Brüderlichkeit – triumphieren über individuelle
Zwischen 1803 und 1808 feilte
                                    Bedrängnis. So ließe sich, ganz im Sinne des „Fidelio“,
Beethoven an seiner Fünften
Sinfonie – ein Zeitraum, in         die Geschichte hinter den Noten der Fünften Sinfonie
dem welthistorische Schlach-        des (zeitweisen) Napoleon- und Schiller-Verehrers Beet-
ten und Umbrüche in großer
                                    hoven beschreiben. Musikalisch würde sich das in
Dichte aufeinander folgten:
1805 schlug Napoleon in der         etwa so ausdrücken: Das berühmte „Tatatataaa“ eröff-
„Dreikaiserschlacht“ bei            net den 1. Satz in düsterem c-Moll. „So pocht das
Austerlitz Österreich und
                                    Schicksal an die Pforte“, soll Beethoven nach dem
Russland; im November des
Jahres (wenige Tage vor der         Bericht seines Sekretärs Anton Schindler diese bedeu-
Uraufführung des „Fidelio“)         tungsvollen vier Noten erläutert haben. Ob das persön-
okkupierte der Kaiser der
                                    liche Schicksal damit gemeint ist oder jenes, von dem
Franzosen ein erstes Mal
Wien. 1806 stürzte der mor-         Johann Wolfgang von Goethe aus einer Unterredung
sche Bau des Heiligen Römi-         mit Napoleon berichtete („Was will man jetzt mit dem
schen Reiches Deutscher
                                    Schicksal?“, hatte der Kaiser der Franzosen den Dich-
Nation, der über 1000 Jahre
mehr recht als schlecht             ter des „Werther“ gefragt, „die Politik ist das Schick-
gehalten hatte, über Nacht          sal.“), sei dahingestellt. In jedem Fall „kämpft“ sich
ein. An seiner Stelle installier-
                                    dieses Schicksal förmlich durch die ganze Sinfonie:
ten die Franzosen den Rhein-
bund. Preußens Versuch,             Das wohlbekannte, haarsträubend simple Viernoten-
dagegenzuhalten, endete im          Motiv hält nicht nur in ständigen Wiederholungen,
Oktober 1806 mit den vernich-
                                    Abwandlungen und Umformungen den gesamten
tenden Niederlagen bei Jena
und Auerstedt. Als die Franzo-      1. Satz am Leben, sondern erklingt auch noch in den
sen im Mai 1809 bei der             übrigen Sätzen, prominent vor allem im 3. Satz (Horn).
zweiten Besetzung Wiens die
                                    Was einerseits Beethovens geniales Vermögen beweist,
Stadt bombardierten, ver-
kroch Beethoven sich im             aus „wenig“ sehr „viel“ zu machen, deutet andererseits
Keller seines Hauses und gab        auf den erwähnten ideellen Wandlungsprozess hin:
zu Protokoll, er würde dem
                                    Das Motiv führt die Sinfonie gewissermaßen „durch
Feind schon gehörig einhei-
zen, wenn er nur von Kanonen        Nacht zum Licht“, denn aus dem finsteren c-Moll wird
ebenso viel verstünde wie von       – spannend inszeniert im Übergang vom dritten zum
Kontrapunkt.
                                    vierten Satz, wo das Schicksal in der Pauke ständig
                                    weiter pocht – am Ende strahlendes C-Dur. Und für
                                    dieses Jubelgeschrei im Finale greift Beethoven sogar
                                    auf ein Instrumentarium (Piccoloflöte, Kontrafagott,
                                    Posaunen) zurück, das ganz klar der Militärmusik ent-
                                    stammt. Von einem buchstäblichen „Sieg“ in Tönen zu
                                    sprechen, ist also alles andere als abwegig. Forscher

                                                  10
LUDWIG VAN BEETHOVEN
                                Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67

haben Beethovens heroischen Stil in der Fünften mit
der Musik verglichen, die Komponisten wie Luigi Che-
rubini, André-Ernest-Modeste Grétry oder Étienne-
Nicolas Méhul in den Jahren der französischen
Revolution geschrieben hatten. Manche hören in der
Tonfolge c-h-c-d im Finale sogar den Schlachtruf „la
liberté“ heraus, den Beethoven aus der „Hymne dithy-
rambique“ des Komponisten der Marseillaise entnom-
men haben könnte. Was genau hier in der Fünften                Franz Liszt (Gemälde von Miklos
„siegt“, darüber muss man also kaum noch spekulie-             Barabas, 1847)
ren. Es ist, als ob die zu Unrecht (im c-Moll-Schicksal?)
Gefangenen der „Fidelio“-Oper auch hier ihre berühm-
ten Worte sängen: „O welche Lust, in freier Luft den           Die Lauen feuerte
Atem leicht zu heben! Nur hier, nur hier ist Leben …
                                                               er an, den Gleich-
Heil sei dem Tag, Heil sei der Stunde, die lang ersehnt,
doch unvermeint, Gerechtigkeit mit Huld im Bunde               gültigen ver­suchte
vor unsres Grabes Tor erscheint!“
                                                               er Geschmack
Dass Musik etwas zu sagen hat, im besten Falle nicht           einzuflößen.
nur für künstlerischen, sondern auch gesellschaftli-
                                                               Hector Berlioz über das
chen Fortschritt sorgen kann, stand auch für den Kom-          Wirken seines Freundes Franz
ponisten, Pianisten und weltläufigen Europäer Franz            Liszt in Bonn. Letzterer war
Liszt außer Frage. Es verwundert nicht, dass die Fünfte        1845 zu Besuch in Beethovens
                                                               Geburtsstadt, um letzte
Sinfonie zu denjenigen Werken gehörte, die der glü-            Vorbereitungen für das erste
hende Beethoven-Anhänger bevorzugt dirigierte und in           Beethovenfest und die Ent-
eigener Klaviertranskription spielte. Musikern wie             hüllung des Beethovendenk-
                                                               mals auf dem Münsterplatz zu
Beethoven sei es in ihren Werken möglich, „den freien          treffen, das er wesentlich
Aufschwung seines Gedankens hemmende Fesseln zu                mitfinanziert hatte.
zerbrechen“ und „Seelenerlebnisse mitzuteilen“,
schrieb Liszt – und wurde selbst zum Pionier einer
Tonkunst, die konkrete Inhalte zum Ausdruck bringen
und damit nicht zuletzt den Menschen Orientierung in
der Gesellschaft bieten sollte. Nachdem er im Jahr 1848
eine Anstellung als Hofkapellmeister in Weimar erhal-
ten hatte, verließ der gebürtige Ungar die Weltstadt
Paris, um in der Provinz eine zweite Karriere zu star-
ten: In Weimar trat Liszt erstmals als Opern- und

                                            11
FRANZ LISZT
                                     Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur

GENAUER HINGEHÖRT                  Orchesterdirigent in Erscheinung und entwickelte als
                                   Komponist nun ein wahres „sinfonisches Sendungsbe-
Neben dem einprägsamen             wusstsein“, wie er seinem Idol Hector Berlioz mitteilte.
Start-Motiv finden sich im
                                   Hier erfand Liszt jene Gattung, die unter dem Namen
1. Satz von Liszts Es-Dur-Kla-
vierkonzert als episodische        „Sinfonische Dichtung“ Epoche machen sollte. Als Pia-
Kontraste unter anderem noch       nist hingegen trat er jetzt nur noch selten öffentlich
eine Klavier-Melodie mit
                                   auf. Nichtsdestotrotz vollendete der nunmehr sinfo-
Chopin’schen Arabesken und
eine lyrische Insel mit Beteili-   nisch Erfahrene in Weimar einige bereits früher skiz-
gung von Soloklarinette und        zierte Kompositionen für Klavier und Orchester,
-violine. Es schließt sich ein
                                   darunter zwei Klavierkonzerte. Fast könnte man sagen,
vielgestaltiger langsamer Satz
mit einem schwärmerisch            sie kämen als rein am poetischen Gedankenfluss orien-
aufsteigenden und einem            tierte „Sinfonische Dichtungen mit obligatem Klavier“
gebieterisch absteigenden
                                   daher, denn mit dem traditionellen Klavierkonzert
Motiv, rezitativischen Passa-
gen und hellen Trillerketten       haben sie in ihrer formalen Freiheit – über die ebenso
des Klaviers an. Im daraus         grenzüberschreitende technische Virtuosität hinaus –
hervorgehenden Scherzando-
                                   wenig gemein. So könnte man über die 3-, 4- oder 5-Sät-
Satz (den Liszt in der ersten
Fassung als zum 2. Satz            zigkeit des zuerst erschienenen Klavierkonzerts Es-Dur
zugehörig verstand), wird der      lange diskutieren, wobei es im Grunde einen Bogen
Pianistin kurioserweise ein
                                   über mehrere organisch miteinander verknüpfte
Triangel als Dialogpartner zur
Seite gestellt – was von           Abschnitte spannt. Gleich der stolze Hauptgedanke am
Richard Wagner belächelt           Anfang – von Hans von Bülow mit den Worten „Das
wurde, der Musik aber einen
                                   versteht ihr alle nicht“ skandiert – fungiert eher als
ungemein zauberischen,
feenhaften Gestus verleiht         „idée fixe“ im Sinne Berlioz’ denn als „1. Thema“. Oder
und dem Werk den scherz-           man zieht gleich die Parallele zum „Schicksalsmotiv“
haften Beinamen „Triangel-
                                   aus Beethovens Fünfter: An jeder Schaltstelle ist das
konzert“ eingebracht hat.
Wann genau dann die Grenze         markante Motiv präsent, und die daraus abgeleiteten
zum nächsten Satz anzusetzen       chromatischen Oktavgänge im Klavier beschließen
ist, wird beim bloßen Hören
                                   noch das Finale, das im Übrigen als sieghaftes „Allegro
kaum deutlich, denn jetzt
wächst die Musik nach Art          marziale“ daherkommt. Auch Liszts Freiheitsgeist war
einer zusammenfassenden            – gepaart mit seinem Verständnis für künstlerische
Rekapitulation aus zuvor
                                   Visionäre – wohl nicht unwesentlich dafür verantwort-
Gehörtem hervor.
                                   lich, einem gewissen Freund und Kollegen namens
                                   Richard Wagner bei dessen Flucht aus Dresden zu hel-
                                   fen, nachdem dieser sich an der Erhebung der Republi-
                                   kaner gegen die Monarchie beteiligt hatte …

                                   Julius Heile

                                                  12
DIRIGENT

                             Alan Gilbert
Seit 2019 ist Alan Gilbert Chefdirigent des NDR Elbphil-
harmonie Orchesters, dem er bereits von 2004 bis 2015
als Erster Gastdirigent verbunden war. Nach einem ful-
minanten Start in seine erste Saison als Chef u. a. mit
dem Festival „Klingt nach Gilbert“ leitete er während
des Corona-Lockdowns auch zahlreiche Streaming- und
Hörfunk-Produktionen, darunter das Konzert zum
75-jährigen Jubiläum des Orchesters. Gilberts Position
beim NDR folgte seiner achtjährigen Amtszeit als Music
Director des New York Philharmonic Orchestra, wo es         H Ö H E P U N K T E 2 0 21/2 0 2 2

dem gebürtigen New Yorker gelungen ist, den Ruf des
Orchesters nochmals auszubauen und dessen führende          • Zahlreiche Konzerte mit
                                                              dem NDR Elbphilharmonie
Bedeutung in der kulturellen Landschaft der USA zu
                                                              Orchester, darunter die
unterstreichen. Gilbert ist außerdem Ehrendirigent des        Konzerte zum Jahreswechsel
Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, dessen Chef           und zum 5-jährigen Jubi-
                                                              läum der Elbphilharmonie,
er acht Jahre lang war, Erster Gastdirigent des Tokyo
                                                              das kürzlich zu Ende gegan-
Metropolitan Symphony Orchestra und neuer Musikdi-            gene Festival „Age of
rektor der Königlichen Oper in Stockholm. Als internati-      Anxiety“ mit amerikanischer
                                                              Musik des 20. Jahrhunderts,
onal gefragter Gastdirigent kehrt er regelmäßig etwa zu
                                                              Haydns „Schöpfung“ und
den Berliner Philharmonikern, dem Royal Concertge-            Dvořáks „Rusalka“ im
bouw, London Symphony, Cleveland, Boston Symphony             Rahmen des Internationalen
                                                              Musikfests Hamburg sowie
und Philadelphia Orchestra, der Staatskapelle Dresden,
                                                              die Uraufführung von Marc
dem Gewandhausorchester Leipzig oder dem Orchestre            Neikrugs Vierter Sinfonie
de Paris zurück. Er hat Opernproduktionen an der Mai-       • Europa-Tournee mit dem
                                                              NDR Elbphilharmonie
länder Scala, der Met New York, Los Angeles Opera,
                                                              Orchester
Königlichen Oper Stockholm, am Opernhaus Zürich             • Einstand als Musikdirektor
und an der Santa Fe Opera geleitet, zu deren Music            der Königlichen Oper in
                                                              Stockholm mit Brahms‘ „Ein
Director er 2003 ernannt wurde. Gilberts Diskografie
                                                              Deutsches Requiem“ und
umfasst u. a. die CD-Box „The Nielsen Project“ und die        Wagners „Die Walküre“
Grammy-prämierte DVD mit John Adams’ „Doctor Ato-           • Rückkehr zum Royal Con-
                                                              certgebouw Orchestra,
mic“ live aus der New Yorker Met. Der mit zahlreichen
                                                              Gewandhausorchester
renommierten Preisen und Ehrungen ausgezeichnete              Leipzig, Cleveland und
Dirigent war ferner Leiter des Bereichs für Dirigier- und     Boston Symphony Orchestra
Orchesterstudien an der New Yorker Juilliard School.

                                          13
KL AVIER

                                 Yuja Wang
                                Die Pianistin Yuja Wang wird für ihr charismatisches
                                Künstlertum, ihre emotionale Aufrichtigkeit und fes-
                                selnde Bühnenpräsenz gefeiert. Sie hat mit den weltweit
                                renommiertesten Dirigenten, Musikern und Ensembles
                                konzertiert und ist nicht nur für ihre Virtuosität, son-
                                dern auch für ihre spontanen, lebendigen Auftritte
                                berühmt – so wie sie es der „New York Times“ erklärte:
                                „Ich bin fest davon überzeugt, das jedes Programm sein
                                eigenes Leben haben und ein Abbild davon sein sollte,
HÖHEPUNKTE 2022                 wie ich in diesem Moment fühle.“ Solches demonstrierte
                                sie im Oktober 2021 etwa bei einer Aufführung von
• Mit Spannung erwartete        Schostakowitschs Klavierkonzert Nr. 2 in der Opening
  Recital-Tour mit Stationen
                                Night Gala der Carnegie Hall New York nach deren his-
  in berühmten Veranstal-
  tungsorten in Nordamerika,    torischer, 572-tägiger Schließung. Yuja Wang wurde in
  Europa und Asien mit          eine musikalische Familie in Beijing geboren. Nach ers-
  Werken u. a. von György
                                ten Klavierstudien in China erhielt sie ihre Ausbildung
  Ligeti, Ludwig van Beetho-
  ven und Nikolai Kapustin      in Kanada und am Curtis Institute of Music bei Gary
• Konzerte mit dem New York     Graffman. Ihren internationalen Durchbruch feierte sie
  Philharmonic Orchestra,
                                2007, als sie für Martha Argerich beim Boston Sym-
  Symphonieorchester des
  Bayerischen Rundfunks,        phony Orchestra einsprang. Zwei Jahre später unter-
  Orchestre de Paris, Rotter-   zeichnete sie einen exklusiven Aufnahmevertrag beim
  dam Philharmonic Orchestra,
                                Traditionslabel „Deutsche Grammophon“. Seitdem ver-
  den Wiener Philharmonikern
  sowie auf Tour mit der        teidigt sie ihren Platz unter den weltweit führenden
  Tschechischen Philharmo-      Künstlern mit regelmäßig hochgelobten und ausge-
  nie und dem Gewandhaus-
                                zeichneten Aufführungen und Einspielungen. So wurde
  orchester Leipzig
• Duo-Recitals mit Leonidas     sie etwa 2017 zur „Artist of the Year“ der Zeitschrift
  Kavakos in Europa und         „Musical America“ ernannt und erhielt 2021 einen OPUS
  Amerika
                                KLASSIK für ihre Ersteinspielung von John Adams’
                                „Must the Devil Have all the Good Tunes?“ mit dem Los
                                Angeles Philharmonic Orchestra unter Gustavo Duda-
                                mel. Als Kammermusikerin hat Wang langfristige musi-
                                kalische Partnerschaften mit führenden Künstlern
                                aufgebaut, insbesondere mit Leonidas Kavakos, mit
                                dem sie die Brahms-Violinsonaten eingespielt hat.

                                            14
IMPRESSUM

                       Herausgegeben vom
               NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK
                  Programmdirektion Hörfunk
                  Orchester, Chor und Konzerte
                    Rothenbaumchaussee 132
                        20149 Hamburg
                   Leitung: Achim Dobschall

           NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER
                   Management: Sonja Epping

                 Redaktion des Programmheftes
                          Julius Heile

              Der Einführungstext von Julius Heile
              ist ein Originalbeitrag für den NDR.

                             Fotos
         Bundesregierung / Steffen Kugler (S. 2 oben)
     Ronald Sawatzki / Senatskanzlei Hamburg (S. 2 unten)
                NDR / Thomas Pritschet (S. 3)
                   Michael Kottmeier (S. 5)
          Heritage Images / Index / akg-images (S. 9)
                       akg-images (S. 11)
                 Peter Hundert / NDR (S. 13)
                      Julia Wesely (S. 14)

             Druck: Eurodruck in der Printarena
Das verwendete Papier ist FSC-zertifiziert und chlorfrei gebleicht.

                Nachdruck, auch auszugsweise,
            nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

                                15
ndr.de/eo
youtube.com/NDRKlassik
Sie können auch lesen