Beschwerde verfahren organisieren, umsetzen und evaluieren - Handreichung "Beschwerde verfahren nach dem Lieferketten sorgfaltspflichtengesetz"
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Beschwerde verfahren organisieren, umsetzen und evaluieren Handreichung „Beschwerde verfahren nach dem Lieferketten sorgfaltspflichtengesetz“
Inhalt 1. Einleitung................................................................................................................................... 3 2. Beschwerdeverfahren als Teil der Sorgfaltspflichten....................................................... 4 3. Anforderungen an das Beschwerdeverfahren................................................................... 6 3.1 Was ist das Ziel des Beschwerdeverfahrens?............................................................. 6 3.2 Für wen und wo muss ein Beschwerdeverfahren zur Verfügung gestellt werden?................................................................................................................ 7 3.3 Welche Anforderungen bestehen an die Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens?........................................................................................... 8 3.4 Optionales Verfahren der einvernehmlichen Streitbeilegung............................ 10 3.5 Welche Anforderungen bestehen an die Zugänglichkeit des Beschwerdeverfahrens?........................................................................................ 11 4. Umsetzung der Beschwerdeverfahren............................................................................. 13 4.1 Wie kann die Einrichtung von angemessenen Beschwerdeverfahren vorbereitet werden?...................................................................................................... 13 4.2 Wie sollte mit Beschwerden umgegangen werden?............................................. 15 4.3 Wie kann die Wirksamkeit von Beschwerdeverfahren überprüft werden?..... 16 Anhang I: Weiterführende Hinweise und Literatur............................................................... 18 2
Einleitung In der folgenden Handreichung werden die Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) zur Organisation, Umsetzung und Evaluation eines Beschwerdeverfahrens erläutert, um Unternehmen eine Hilfestellung zur Umsetzung des Gesetzes zu bieten. Die Handreichung beschreibt die Anforderungen des Gesetzes, zeigt die Rolle des Beschwerdeverfahrens im Sorgfaltsprozess auf und bietet Hilfestellungen und praktische Tipps für die Umsetzung. 3
Beschwerde verfahren als Teil der Sorgfaltspflichten Angemessene Beschwerdeverfahren sind ein Gleichzeitig sind in der Risikoanalyse selbst Kernelement der Sorgfaltspflichten, die über das Erkenntnisse zu berücksichtigen, die durch die LkSG etabliert werden. Gemäß §§ 8 und 9 des Bearbeitung von Beschwerden und die Umset- Gesetzes¹ muss jedes Unternehmen über ein zung von Präventions- oder Abhilfemaßnahmen Beschwerdeverfahren verfügen, über das interne gewonnen wurden. Über die Bearbeitung von und externe Personen das Unternehmen auf Hinweisen und Beschwerden können Unterneh- menschenrechtliche oder umweltbezogene men Informationen zur Art und dem Schwere Risiken oder Verletzungen im eigenen Geschäfts- grad bestimmter Risiken, der Eintrittswahr- bereich und in der Lieferkette hinweisen können. scheinlichkeit eines Risikos, der Wirksamkeit Unternehmen können hierfür ein unterneh- bestehender Präventions- und Abhilfemaßnahmen mensinternes Verfahren nutzen, sich an einem oder dem eigenen Beitrag zur Verursachung und gleichwertigen externen Verfahren beteiligen den eigenen Einflussmöglichkeiten erhalten. oder interne und externe Beschwerdeverfahren kombinieren. Insgesamt bieten Beschwerdeverfahren Unter- nehmen die Möglichkeit, Feedback zur Wirksam- Die im Gesetz beschriebenen Sorgfaltsprozesse keit ihres Risikomanagements sowie einzelner sind eng miteinander verknüpft und sollen sich Sorgfaltsprozesse zu erhalten. Beschwerdeverfah- in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken. Über ren sind damit auch ein wichtiger Baustein für die Risikoanalyse erhält ein Unternehmen Er- die Weiterentwicklung des Risikomanagements kenntnisse zu seinen menschenrechtlichen und und der Sorgfaltsprozesse. umweltbezogenen Risiken und den Personen, die von möglichen Pflichtverletzungen im eigenen Im Rahmen der unternehmensinternen Geschäftsbereich oder in der Lieferkette betrof- Dokumentationspflicht – sowie der jährlichen fen sind (= potenziell Betroffene). Mit Blick auf Berichtspflicht – nach § 10 sind Unternehmen das Beschwerdeverfahren sind diese Personen die gefordert, sowohl eingegangene Beschwerden vorrangige Zielgruppe, der das Verfahren ermög- als auch die Umsetzung und Wirksamkeit von lichen sollte, Hinweise und Beschwerden in Bezug Präventions- und Abhilfemaßnahmen fortlau- auf mögliche Pflichtverletzungen einzureichen fend zu dokumentieren und darüber öffentlich (siehe 3.2). Bei der Einrichtung des eigenen oder zu berichten. bei der Beteiligung an externen Beschwerde- verfahren sollten Unternehmen daher auf die Ergebnisse ihrer Risikoanalyse aufbauen.² ¹ Bei allen nachfolgend aufgezählten Paragrafen handelt es sich um solche des LkSG. ² Das Beschwerdeverfahren muss ab Inkrafttreten des Gesetzes 2023 (2024) vorliegen. Unternehmen, die ihre erste Risikoanalyse erst ab 2023 (2024) durchführen, sollten aufbauend auf den Ergebnissen anlassbezogen die Wirksamkeit ihres Beschwerdeverfahrens überprüfen und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen, um die Zugänglichkeit zum Verfahren für die Zielgruppen zu verbessern. 4
• Bereitstellung von finanziellen und perso nellen Ressourcen für die Einrichtung und Umsetzung des Beschwerdeverfahrens 1. Verankerung von • Erkenntnisse aus der Bearbeitung von Strukturen für Hinweisen & Beschwerden fließen in die • Darstellung des Beschwerdeverfahrens ein wirksames Überprüfung der Wirksamkeit der Grund sowie Angaben zur Anzahl und Umgang Risikomanagement satzerklärung und Meschenrechtsstrategie mit Beschwerden im öffentlichen Bericht sowie ggfs. deren Weiterentwicklung ein • Jährliche Wirksamkeitsüberprüfung und gegebenenfalls Anpassung des Verfahrens 6. Dokumentation und 2. Risikoanalyse Berichterstattung • Die Risikoanalyse berücksichtigt Erkenntnisse aus der Bearbeitung von H inweisen & Beschwerden 5. Beschwerde- 3. Präventions- verfahren maßnahmen • Beschwerdeverfahren bauen auf • Erkenntnisse aus der Bearbeitung von den Ergebnissen der Risikoanalyse Hinweisen & Beschwerden fließen in und Erkenntnissen zu potenziellen die Überprüfung der Wirksamkeit von Zielgruppen auf Präventionsmaßnahmen sowie ggfs. deren Weiterentwicklung ein 4. Abhilfe- • Angemessene und wirksame Präven maßnahmen tionsmaßnahmen mindern das Risiko des Eintretens weiterer, gleichartiger Pflichtverletzungen • Im Fall von unmittelbar bevorstehenden oder bereits eingetretenen Pflichtver letzungen wird durch das Verfahren Abhilfe geschaffen Abbildung 1: Zusammenspiel des Beschwerdeverfahrens und der weiteren Sorgfaltspflichten * Hochrisiko-Zulieferer sind Zulieferer, bei denen das Unternehmen Risiken priorisiert oder Verletzungen von menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Pflichten festgestellt hat. Letztere können beispielsweise durch risikobasierte Kontrollen oder andere Präventionsmaßnahmen identifiziert werden. 5
Anforderungen an das Beschwerde verfahren 3.1 Was ist das Ziel Beispiel „Frühwarnsystem“: Ein Unterneh- des Beschwerdeverfahrens? men setzt in seiner Lieferkette eine „Worker´s Voice“-Hotline ein, um die Sicherheit und das Beschwerdeverfahren sollten in der Praxis Wohlergehen der Beschäftigten in der Liefer- sowohl in Bezug auf den Umgang mit menschen- kette zu fördern. Der Zugang zur Hotline ist rechtlichen und umweltbezogenen Risiken als niedrigschwellig: Die Beschäftigten der Zu- auch im Umgang mit Verletzungen im eigenen lieferer werden ermutigt, jede Art von Problem Geschäftsbereich und in der Lieferkette eines oder Bedenken frühzeitig vorzubringen. Über Unternehmens zwei wichtige Funktionen erfüllen: die eingegangenen Hinweise konnten Probleme in Bezug auf mangelnde Schutzausrüstung • Zum einen dienen Beschwerdeverfahren als bei einem Zulieferer frühzeitig identifiziert Frühwarnsystem, über das Probleme er- werden. Das Unternehmen reagierte umgehend kannt und im besten Fall gelöst werden, bevor mit Abhilfe- und weiteren Präventionsmaß- Menschen oder die Umwelt tatsächlich zu nahmen. Auf diese Weise konnte weiterer Schaden kommen. Unternehmen sollten ihre Schaden für Betroffene beispielsweise in Form Beschwerdeverfahren daher so gestalten, von Arbeitsunfällen vermieden werden. dass sie möglichst frühzeitig Hinweise auf menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken oder unzureichende Präventions- und • Wirksame Beschwerdeverfahren bieten bei Be- Abhilfemaßnahmen erhalten. Dies ermög- darf Zugang zu angemessener Abhilfe. Sofern licht Unternehmen, weitere Menschen- oder Hinweise oder Beschwerden zu unmittelbar Umweltrechtsverletzungen zu verhindern und bevorstehenden oder tatsächlichen Pflichtver- damit verbundene Kosten und Reputations- letzungen eingehen und diese sich bestätigen, schäden zu vermeiden. müssen diese Missstände vom Unternehmen durch Abhilfemaßnahmen nach § 7 verhindert, beendet oder zumindest minimiert werden. Darüber hinaus müssen Unternehmen Prä- ventionsmaßnahmen nach § 6 ergreifen, um weitere Rechtsverletzungen der gleichen Art zu verhindern beziehungsweise das Risiko dafür zu minimieren. Auch wenn das LkSG keine Pflicht zur Wiedergutmachung enthält, wird 6
ein entsprechendes Bemühen eines Unterneh- Mögliche Beispiele dafür sind: mens im Falle einer festgestellten Ordnungs- • Eine Gewerkschaft reicht im Namen der widrigkeit bei der Bemessung von Geldbußen eigenen Mitglieder eine Beschwerde in Bezug positiv berücksichtigt³. auf die Missachtung der Vereinigungsfreiheit bei einem unmittelbaren Zulieferer ein. • Eine Medienvertreterin weist auf umwelt- 3.2 Für wen und wo muss ein Beschwerde- bezogene Risiken rund um einen Standort verfahren zur Verfügung gestellt werden? im Ausland hin, die im Zuge einer Recherche entdeckt wurden. Unternehmen müssen über ein Beschwerde- • Eine zivilgesellschaftliche Organisation verfahren verfügen, über das sich sowohl interne reicht eine Beschwerde in Bezug auf die als auch externe Personen an das Unternehmen Verletzung des Verbots von Zwangsarbeit wenden können. bei einem mittelbaren Zulieferer ein. Im Sinne eines risikobasierten Ansatzes sind die wichtigsten Zielgruppen4 des Beschwerde- Unternehmen müssen Zugangswege und Lösun- verfahrens Personen, die im eigenen Geschäfts- gen für die Zielgruppen des Beschwerdeverfah- bereich und in der Lieferkette des Unternehmens rens schaffen, die in Bezug auf die Art und den potenziell von Menschenrechts- oder Umwelt- Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit und den verletzungen betroffen sind. Diese werden über damit zusammenhängenden Risiken angemessen die Risikoanalyse des Unternehmens identifiziert sind. Das bedeutet mit Blick auf die Ergebnisse (für weitere Hilfestellungen siehe 4.1).5 Potentiell der Risikoanalyse: Je mehr menschenrechtliche Betroffene können beispielsweise eigene Be- und umweltbezogene Risiken ein Unternehmen schäftigte, Beschäftigte bei unmittelbaren oder in seinem eigenen Geschäftsbereich und in der mittelbaren Zulieferern oder Anwohner und Lieferkette ermittelt und priorisiert hat, desto Anwohnerinnen rund um lokale Standorte sein. mehr Aufwand muss ein Unternehmen in Bezug Um sicherzustellen, dass diese Zielgruppen das auf seine Beschwerdeverfahren und die Sicher- Beschwerdeverfahren des Unternehmens auch stellung der Zugänglichkeit der Verfahren für die kennen und nutzen können, sollten mögliche Zielgruppen betreiben. Die konkrete Umsetzung Hürden, die die Zugänglichkeit des Verfahrens liegt hierbei im Handlungs- und Ermessens- aus Betroffenenperspektive verringern, vorab spielraum jedes einzelnen Unternehmens (siehe ermittelt und bei der Gestaltung des Verfahrens weiter dazu Abschnitt 4). bedacht werden (siehe hierzu auch Abschnitt 3.5). Es besteht keine Pflicht, dass alle Zielgruppen Zur Rolle nicht direkt betroffener Personen Zugang zu dem gleichen Beschwerdeverfahren Auch Personen, die nicht direkt von Risiken haben müssen. Unternehmen steht es frei, meh- oder Verletzungen betroffen sind, müssen rere Verfahren einzurichten (von denen eines über das Beschwerdeverfahren die Möglich- beispielsweise nur für interne Personen zugäng- keit haben, Hinweise auf Risiken und mögliche lich ist) beziehungsweise sich an verschiedenen Pflichtverletzungen einzureichen. Dies kann Verfahren zu beteiligen oder eine Kombination auch in Vertretung von direkt betroffenen aus beidem zu nutzen. Personen erfolgen. ³ § 24 Abs. 4 Nr. 7 4 § 8 Abs. 4 schreibt vor, dass das Beschwerdeverfahren potenziell Beteiligten zugänglich sein muss. Dieser Begriff umfasst sowohl Personen, die (potenziell) direkt von Pflichtverletzungen betroffen sind als auch weitere, nicht direkt betroffene Personen. Zur Vereinfachung wird für erstere (potenziell Betroffene) in dieser Handreichung der Begriff „Zielgruppen“ verwendet. Personen, die das Verfahren nutzen, werden analog zum Gesetzestext als hinweisgebende Personen bezeichnet. 5 Vgl. Gesetzesbegründung zu § 8 (BT-Drs. 19/28649, S. 49 f.) 7
3.3 Welche Anforderungen bestehen an die • Wer die Ansprechpersonen für die hinweis Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens? gebenden Personen sind und welche Abtei- lung(en) für das Beschwerdeverfahren zustän- dig sind Bei der Einrichtung und im alltäglichen Betrieb • Wie das Unternehmen oder die Organisation, eines Beschwerdeverfahrens müssen Unterneh- die das Beschwerdeverfahren ausrichtet, den men eine Reihe von detaillierten gesetzlichen wirksamen Schutz vor Benachteiligung oder Anforderungen beachten. Diese gelten sowohl Bestrafung aufgrund einer Beschwerde ge für unternehmenseigene Beschwerdeverfahren währleistet. als auch für externe Verfahren, an denen sich das Unternehmen ergänzend zu oder anstelle eines Sofern ein externes Verfahren genutzt wird, internen Verfahrens beteiligt. sollten auch bei der externen Organisation Verantwortlichkeiten und Ansprechpersonen Festlegung einer öffentlich verfügbaren benannt sein sowie intern festgelegt werden, wer Verfahrensordnung den Kontakt zu dem externen Verfahren und Unternehmen müssen für das Beschwerdever- die Nachverfolgung von Hinweisen im eigenen fahren eine Verfahrensordnung in Textform fest- Unternehmen verantwortet. legen und diese öffentlich zugänglich machen. Die Verfahrensordnung sollte die folgenden Bei der Kommunikation und der Gestaltung der Informationen enthalten: Verfahrensordnung sollte das Unternehmen auf die Bedürfnisse der Zielgruppen des Verfahrens • Anwendungsbereich des Verfahrens bezie eingehen. Die Informationen sollten sowohl hungsweise für welche Art von Beschwerden klar und übersichtlich als auch in den Sprachen oder Hinweise das Verfahren genutzt werden aufbereitet sein, die für relevante Zielgruppen kann (das Verfahren sollte für alle menschen- des Unternehmens wichtig sind. Die Verfahrens rechtlichen und umweltbezogenen Risiken ordnung sollte an einem leicht auffindbaren beziehungsweise Pflichtverletzungen nutzbar Ort veröffentlicht werden (zum Beispiel auf der sein, die von § 2 Abs. 2 und 3 erfasst sind) Website des Unternehmens, des Anbieters des • Über welche Beschwerdekanäle Hinweise externen Beschwerdeverfahrens oder einer dafür oder Beschwerden in das Verfahren einge gesondert eingerichteten Website) und möglichst geben werden können (beispielsweise Telefon- barrierefrei zugänglich sein. Unternehmen wird nummern und Informationen zur zeitlichen eine proaktive Kommunikation des Beschwerde- Erreichbarkeit und möglichen Kosten, Link zu verfahrens über Aushänge, Visitenkarten oder einer Online-Maske, lokale Ansprechpersonen) andere Maßnahmen empfohlen (siehe dazu • Wie das Beschwerdeverfahren abläuft. Dies auch 3.5). umfasst den voraussichtlichen Zeitrahmen der einzelnen Verfahrensschritte und an welcher Eignung und Qualifikation der internen Stelle beziehungsweise zu welchen Zeitpunk- Ansprechpersonen ten die hinweisgebende Person über den Fort- Mit Blick auf die Eignung, die Qualifikation und schritt des Verfahrens informiert wird die zeitliche Verfügbarkeit der Ansprechperso- • Dass die Option zur einvernehmlichen Streit nen, die Hinweise bearbeiten, ist Folgendes zu beilegung besteht (sofern vom Unternehmen beachten: als Möglichkeit vorgesehen und gewünscht) 8
Die Personen müssen unparteiisch handeln • Prüfung der Beschwerde: Zu Beginn des können. Hierfür müssen sie zur Erfüllung ihrer Verfahrens sollte geprüft werden, ob die Be- Aufgabe unabhängig, nicht an Weisungen ge schwerde beziehungsweise das Thema des bunden sowie zur Verschwiegenheit verpflich eingegangenen Hinweises unter den Anwen- tet sein. Die Voraussetzung des unparteiischen dungsbereich des Beschwerdeverfahrens fällt. Handelns ist ein wichtiges Element eines wirksa- Im Falle einer Ablehnung sollte eine kurze men Beschwerdeverfahrens, da grundsätzlich das Begründung an die hinweisgebende Person Risiko eines Interessenkonflikts bestehen kann, erfolgen. wenn Personen, die vom Unternehmen bezahlt werden, Vorwürfe gegen das Unternehmen unter- • Klärung des Sachverhalts: Die Ansprechperson suchen und bearbeiten. Unternehmen müssen muss den Sachverhalt mit der hinweisgeben- daher die strukturellen Voraussetzungen für un- den Person erörtern, mit dem Ziel ein besseres parteiisches Handeln schaffen (beispielsweise über Verständnis des Sachverhaltes zu gewinnen. einen vertraglich verankerten Kündigungsschutz Dadurch kann auch Vertrauen in den Prozess sowie die Verankerung der Weisungsunabhängig- geschaffen werden. Ebenso sollte besprochen keit in den Arbeits- oder Dienstleistungsvertrag). werden, welche Erwartungen in Bezug auf mögliche Präventions- oder Abhilfemaßnah- • Die Personen sollten angemessen geschult6 men auf Seiten der hinweisgebenden Person sein und über ausreichend zeitliche Ressourcen bestehen. Anhand dessen kann später eine verfügen, um die Sachlage und das Verfahren mögliche Lösung der Beschwerde erarbeitet aus Sicht der Hinweisgebenden zu verstehen werden. Optional kann das Unternehmen der und beurteilen sowie im weiteren Verfahren hinweisgebenden Person ein Verfahren zur ein- bearbeiten zu können. vernehmlichen Streitbeilegung anbieten. Ablauf des Beschwerdeverfahrens und der • Vertraulichkeit der Identität: Im Beschwerde- Umgang mit hinweisgebenden Personen verfahren sind Vorkehrungen zu treffen, um Ferner sind auch in Bezug auf den Ablauf des Be- die Vertraulichkeit der Identität von hinweis- schwerdeverfahrens sowie die Einbindung und gebenden Personen sowie den Schutz ihrer den Schutz der hinweisgebenden Personen ver- personenbezogenen Daten zu gewährleisten. Es schiedene Anforderungen zu berücksichtigen: wird empfohlen, auch eine anonyme Nutzung des Verfahrens zu ermöglichen. • Eingangsbestätigung und kontinuierlicher Kontakt mit der hinweisgebenden Person: • Schutz vor Benachteiligung oder Bestrafung Ab dem Eingang des Hinweises oder der aufgrund einer Beschwerde: Unternehmen Beschwerde sollte die Ansprechperson im müssen festlegen und kommunizieren, welche Unternehmen den Eingang von Hinweisen Maßnahmen sie ergreifen, um hinweisgebende dokumentieren und gegenüber der hinweis- Personen vor Benachteiligung oder Bestrafung gebenden Person bestätigen. Ebenso sollte aufgrund der Nutzung eines Beschwerdever- die hinweisgebende Person über die nächsten fahrens zu schützen. Unternehmen können Schritte, den zeitlichen Verlauf des Verfahrens sich beispielsweise dazu verpflichten, Vergel- und ihre Rechte in Bezug auf den Schutz vor tungsmaßnahmen aufgrund von Beschwer- Benachteiligung oder Bestrafung aufgrund des den oder Hinweisen nicht zu tolerieren und Verfahrens oder der Nutzung anderer formeller konkrete Konsequenzen aufzeigen, mit denen Beschwerdeverfahren informiert werden. Mitarbeitende oder Zulieferer rechnen müssen, 6 Beispielsweise aufgrund einer entsprechenden fachlichen Ausbildung oder bereits vorhandener Berufserfahrung im Bereich der Mediation & Konfliktlösung, des Personalwesens oder zu Nachhaltigkeitsthemen entlang von Lieferketten, absolvierten Fortbildungen zum Thema oder nachweisbarer Erfahrung in der Untersuchung und Bearbeitung von Einzelfällen. 9
wenn hinweisgebende Personen Repressalien der hinweisgebenden Person zu bleiben, um ausgesetzt werden. Es wird empfohlen, auch sicherzustellen, dass diese nicht im Nachgang nach Abschluss des Verfahrens im Kontakt mit durch Vergeltungsmaßnahmen gefährdet wird. Transparente Kommunikation gegenüber der hinweisgebenden Person zum Verlauf und Fortschritten 1. Eingang 2. Prüfung der 3. Klärung des 4. Erarbeitung 5. Abhilfe 6. Überprüfung 7. Wirksamkeits- der Beschwerde Beschwerde oder Sachverhalts einer Lösung maßnahmen und Abschluss überprüfung oder des des Hinweises mit der hinweis Hinweises gebenden Person Der Empfang Die Beschwerde Der Sachverhalt Im Austausch mit Die vereinbarten Das erzielte Die Wirksamkeit wird gegenüber oder der Hinweis wird mit der der hinweisge Abhilfemaß Ergebnis sollte des Verfahrens der hinweis werden geprüft hinweisgebenden benden Person nahmen werden gemeinsam mit wird jährlich und gebenden Person und das weitere Person erörtert wird aufbauend umgesetzt und der hinweisge anlassbezogen bestätigt und Verfahren und und geprüft. auf Schritt 3 ein nachverfolgt. benden Person überprüft. Bei dokumentiert. die Zuständig Optional kann Vorschlag zur Ab evaluiert werden. Bedarf werden keiten werden sich ein Verfahren hilfe erarbeitet. Anpassungen am festgelegt. Im zur einvernehm Gegebenenfalls Verfahren oder Falle einer Ableh lichen Streitbeile werden auch Ver erfolgten Ab nung erhält die gung anbieten. einbarungen zur hilfemaßnahmen hinweisgebende Wiedergutma vorgenommen. Person eine chung getroffen. Begründung. Optionales Streitbeilegungsverfahren (siehe 3.4) Abbildung 2: Beispielhafter Ablauf eines Beschwerdeverfahrens7 3.4 Optionales Verfahren der einvernehm- gegenseitige Vertrauen und trägt zu wirksameren lichen Streitbeilegung Lösungen bei. Zudem können Kosten für weitere langwierige Untersuchungen oder Verhand- Unternehmen steht es offen, hinweisgebenden lungen im Rahmen von formelleren Verfahren Personen ein Verfahren der einvernehmlichen vermieden werden. Streitbeilegung anzubieten. Hierbei versuchen die beteiligten Parteien mithilfe eines neutralen Es sollte bei der Planung eines einvernehmlichen und vermittelnden Dritten gemeinsam eine Streitbeilegungsverfahrens darauf geachtet einvernehmliche Lösung zu finden, anstatt eine werden, dass die möglichen strukturellen Macht- Entscheidung über das offiziell greifende Be- ungleichgewichte zwischen hinweisgebenden schwerdeverfahren herbeizuführen. Der Fokus Personen und dem Unternehmen im Verfahren liegt dabei auf der lösungsorientierten Koope- ausgeglichen werden. Dies kann beispielsweise ration und der Entwicklung von Abhilfe- oder über das Hinzuziehen einer unabhängigen Orga- Präventionsmaßnahmen, die von allen Parteien nisation zur Unterstützung der hinweisgebenden mitgetragen werden. Dies erhöht im Idealfall das Personen erfolgen.8 7 Adaptiert aus UN GCD (2018), Zuhören lohnt sich, Menschenrechtliches Beschwerdemanagement verstehen und umsetzen. 8 Vgl. für den gesamten Abschnitt: Ulla Gläßer, Robert Pfeiffer, Dominik Schmitz, Helene Bond, Forschungsbericht im Auftrag des BMJ (2021), Außergerichtliche Beschwerdemechanismen entlang globaler Lieferketten, insbesondere S. 15–16, 273 ff. und 425–226. 10
Beispiel „Verfahren zur einvernehmlichen Definition Zugänglichkeit: Ein Beschwerde- Streitbeilegung“: Eine Gruppe von Gewerk- verfahren ist zugänglich, wenn es allen Ziel- schaftsmitgliedern, die bei einem Zulieferer gruppen, für die das Verfahren vorgesehen ist, eines Elektronikkonzerns tätig ist, legt über den bekannt ist und es ausreichend Unterstützung Beschwerdekanal eines Branchenverbands Be- für diejenigen bietet, die besondere Zugangs- schwerde ein, da sie kürzlich fristlos und ohne hindernisse haben. Angabe weiterer Gründe entlassen wurde. Über UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und den Branchenverband sind mehrere Konzerne Menschenrechte, Prinzip 31 organisiert, die mit dem betreffenden Zuliefe- rer zusammenarbeiten. Der Branchenverband Für unterschiedliche Personenkreise können prüft die Beschwerde, bringt die Einkäufer unterschiedliche Zugangsbarrieren bestehen, zusammen und sucht das Gespräch mit dem die sie davon abhalten, ein Verfahren zu nutzen. Zulieferer. In Absprache mit den hinweisgeben- Diese Zugangsbarrieren sind häufig insbesondere den Personen wird daraufhin ein einvernehm- für vulnerable Gruppen wie Kinder oder Men- liches Streitbeilegungsverfahren initiiert. Mit schen, die nicht alphabetisiert sind, hoch. Um Unterstützung eines lokalen Mediators wird ge- diese Zugangsbarrieren zu überwinden, kann es meinsam mit den Betroffenen, der lokalen Ge- notwendig sein, verschiedene Kanäle zu schaffen, werkschaft, dem Zulieferer und dem Branchen- über die Beschwerden eingegeben werden können verband eine Lösung des Konfliktes erarbeitet. (beispielsweise telefonisch, über eine Online- Maske, lokale Ansprechpersonen). Des Weiteren können gezielte zusätzliche Maßnahmen ergriffen 3.5 Welche Anforderungen bestehen an die werden, um Beschwerdeverfahren für bestimmte Zugänglichkeit des Beschwerdeverfahrens? Personengruppen oder an bestimmten Orten bekannter und zugänglicher zu machen. Ein Beschwerdeverfahren muss für die wichtigs- ten Zielgruppen eines Unternehmens zugänglich Beispiele für vulnerable Gruppen: sein. Die Zugänglichkeit zum Beschwerdever- • Frauen fahren ist maßgeblich für dessen Wirksamkeit. • Kinder und Jugendliche Wenn ein Beschwerdeverfahren denjenigen, die • Wanderarbeiterinnen und -arbeiter, saisonale es nutzen sollen, nicht bekannt ist oder sie das Arbeitskräfte Verfahren aufgrund von Kosten oder anderen • Indigene Gruppen Gründen nicht nutzen können, hat das Verfah- • Religiöse, ethnische und andere Minderheiten ren seinen Zweck verfehlt. Um ihre Bedürfnisse • Menschen mit körperlichen oder geistigen berücksichtigen zu können, sollten die Zielgrup- Einschränkungen pen bereits bei der Gestaltung des Verfahrens • Menschen mit verschiedenen sexuellen konsultiert werden. Dies kann auch in Form der Orientierungen Einbindung von Interessensvertreterinnen und • Ungelernte/nicht alphabetisierte Personen -vertretern erfolgen (beispielsweise über Ge- werkschaften, Arbeitnehmendenvertretungen, Diese Maßnahmen dienen auch der Vertrauens- zivilgesellschaftliche Organisationen). bildung. Letztlich stärkt der Abbau von Zugangs- hindernissen auch das Vertrauen auf Seiten der Zielgruppen in die Glaubwürdigkeit des Verfahrens. 11
I: Beispielhafte Maßnahmen zur Gestaltung der Zugänglichkeit des Beschwerdeverfahrens Beispiele für Zugangsbarrieren Mögliche Maßnahmen Bereitstellung einer barrierefreien Online-Maske, die auf der Unternehmenswebsite einfach auffindbar ist. Verteilung von niedrig Das Verfahren ist nicht bekannt schwelligen Informationsbroschüren (beispielsweise in Comic-Form) Regelmäßige Informationen und Schulungen für Zielgruppen zum Verfahren Übersetzung der Informationen in für Zielgruppen relevante, landestypische Es bestehen Sprachbarrieren Sprachen Es bestehen Einschränkungen durch Aufbereitung der Informationen in Form von illustrierten/grafisch aufbereiteten mangelndes Lese- oder Schreibvermögen Postern an von den Zielgruppen besonders häufig frequentierten Orten Angabe von direkten Ansprechpersonen anstelle von anonymen Systemen Es besteht kein Vertrauen Transparente Kommunikation zum Ablauf und Stand des Beschwerdeverfahrens in das Verfahren Sicherstellung der Anonymität der Hinweisgebenden, auch nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens Schaffung eines kostenfreien Verfahrens, beispielsweise in Form von Das Verfahren ist mit Kosten verbunden kostenfreien Hotlines oder Online-Zugängen Einrichtung von Beschwerdekästen an geschützten Standorten, die regelmäßig entleert werden Es besteht kein Zugriff auf das Beschwerdeverfahren (z. B. da dieses nur Angaben zum Beschwerdeverfahren und Ansprechpersonen auf Visiten an bestimmten Orten verfügbar ist) karten von Personal, das regelmäßig Zulieferbetriebe besucht (zum Beispiel Qualitätspersonal, Auditorinnen und Auditoren) 9 Adaptiert aus UN GCD (2018), Zuhören lohnt sich, Menschenrechtliches Beschwerdemanagement verstehen und umsetzen. 12
Umsetzung der Beschwerdeverfahren 4.1 Wie kann die Einrichtung von • Welche Zielgruppen oder Themen bisher angemessenen Beschwerdeverfahren nicht abgedeckt sind (beispielsweise verfügen vorbereitet werden? Unternehmen häufig über ein Beschwerde- verfahren für eigene Beschäftigte, aber keine Viele Unternehmen verfügen bereits über Be- weiteren Zielgruppen) schwerdeverfahren wie Whistleblowing- oder Compliance-Hotlines. Vor diesem Hintergrund • Ob die vorhandenen Beschwerdeverfahren kann es ratsam sein zunächst zu prüfen, ob bei für die Zielgruppen zugänglich sind und wo der Errichtung eines Verfahrens nach LkSG auf Nachbesserungsbedarf besteht bestehende Mechanismen aufgebaut und diese gegebenenfalls angepasst werden können. • Inwiefern auf bestehende Verfahren aufge baut werden kann (beispielsweise, indem die Beispiele für Beschwerdekanäle: Wirksamkeit eines bestehenden Verfahrens er- • Unternehmenseigene Beschwerdehotline höht oder ein Verfahren für neue Zielgruppen oder Hinweisgebersystem geöffnet wird) oder • Vertrauensstelle/Ombudsperson • Gewerkschaften/Betriebsräte • Inwiefern (gegebenenfalls in Zusammen- • Hotlines/technische Lösungen für arbeit mit anderen Akteuren) zusätzliche die Lieferkette Beschwerdeverfahren notwendig sind. • Durch Multi-Stakeholder-Initiativen, Verbände oder Standard-/Zertifizierungs Im Grundsatz gilt dabei: Ein wirksames Be- organisationen angebotene Verfahren schwerdeverfahren ist bei den dafür vorgesehe- • Global Framework Agreements nen Zielgruppen bekannt, wird als vertrauens- • Nationale Kontaktstelle der OECD würdig angesehen und fördert und ermöglicht die Einreichung von Hinweisen und Beschwer- den, noch bevor es zu einer Pflichtverletzung Daher sollten Unternehmen nachvollziehen: gekommen ist (siehe weiterführende Hilfe stellungen unter 4.3). • Ob bereits Beschwerdeverfahren für die Zielgruppen des Verfahrens und in Bezug auf menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken und Verletzungen bestehen 13
Mögliche Ergebnisse dieses Abgleichs können Basierend auf den identifizierten Lücken und sein, dass: Verbesserungsbedarfen kann ein Unternehmen • nicht alle wichtigen Zielgruppen Zugang zu individuelle nächste Schritte festlegen. Um einem Beschwerdeverfahren haben (beispiels- die eigenen Ressourcen möglichst zielführend weise eigene Beschäftigte an bestimmten und effektiv einzusetzen, sollten Unternehmen Standorten, Beschäftigte bei direkten Zuliefe- prüfen, wo auf bestehende Verfahren aufgebaut, rern, Beschäftigte in Hochrisiko-Rohstoffliefer- diese gegebenenfalls angepasst werden können ketten) oder es sich anbietet, Ressourcen in branchenin- ternen oder branchenübergreifenden Verfahren • bestehende Beschwerdeverfahren nicht für alle zu bündeln. Neben der Verbesserung eigener Sys- relevanten Beschwerdeanliegen offenstehen teme sollten Unternehmen gezielt mit anderen (beispielsweise Verletzungen einer umweltbe- Unternehmen und branchenspezifischen oder zogenen Pflicht nicht unter den Anwendungs- -übergreifenden Initiativen zusammenarbeiten, bereich von bestehenden Beschwerdeverfahren um den Zugang zu Beschwerdeverfahren in be- fallen) stimmten Lieferkettenstufen oder Hochrisiko- Rohstofflieferketten zu verbessern. • bestehende Beschwerdeverfahren nicht oder nur eingeschränkt wirksam sind (zum Beispiel Beispiele für (Multi-Stakeholder-) Initiativen, für bestimmte Zielgruppen nur eingeschränkt bei denen sich assoziierte Unternehmen an zugänglich sind). einem Beschwerdeverfahren beteiligen können: Beispiel: Unternehmen V hat abgeglichen, über Brancheninitiativen welche bestehenden Verfahren die als relevant • Spielzeug: Ethical Toy Program ermittelten Zielgruppen Beschwerden an das Worker Helpline Unternehmen richten können. Das Unterneh- • Textil/Bekleidung: Fair Wear Foundation men hat festgestellt, dass die Zugänglichkeit Complaints Mechanism, RMG Sustainability für verschiedene Zielgruppen stark einge- Council Occupational Safety and Health schränkt ist und dass für einzelne Gruppen Complaints Mechanism überhaupt keine Verfahren zur Verfügung • Automobil: Pilotprojekt des stehen. Daran anknüpfend setzt das Unterneh- Branchendialogs Automobil men verschiedene Verbesserungsmaßnahmen • Schmuck: Responsible Jewellery Council um. Unter anderem soll die Zugänglichkeit der Complaints Mechanism internen Beschwerdestelle für eigene Mitarbei- tende und der Compliance-Hotline, die sich Branchenübergreifende Initiativen sowohl an interne als auch externe Personen • Handel: Ethical Trading Initiative Alleged richtet, gestärkt werden. In der eigenen Liefer- Code Violation Procedure kette arbeitet das Unternehmen zusätzlich mit • Arbeitnehmerrechte: Fair Labor Association verschiedenen Multi-Stakeholder-Initiativen Third Party Complaints Process und Standardorganisationen daran, sukzessive • Handel: Amfori Speak for Change Programme die Zugänglichkeit in seinen Hochrisiko-Roh- • Palmöl:Roundtable on Sustainable Palm Oil stofflieferketten zu verbessern. Complaints and Appeals Procedures • Mineralien: Responsible Minerals Initiative Grievance Mechanism 14
4.2 Wie sollte mit Beschwerden Hilfestellungen für den angemessenen umgegangen werden? Umgang mit Beschwerden: • UN GCD, Helpdesk für Wirtschaft & Men- Unternehmen legen den Prozess und damit auch schenrechte und Verisk Maplecroft: Praxis- die internen Strukturen für die Bearbeitung und lotse Wirtschaft & Menschenrechte (bietet den Umgang mit Beschwerden und Hinweisen Orientierung zu möglichen Abhilfemaß- über ihre Verfahrensordnung fest. Im Anhang I nahmen bei verschiedenen menschenrechts- sind Beispiele von Verfahrensordnungen be- bezogenen Verletzungen wie zum Beispiel stehender Beschwerdeverfahren von Branchen- Kinderarbeit, Missachtung der Vereinigungs- oder Multi-Stakeholder-Initiativen aufgeführt. freiheit oder Diskriminierung) Vorbehaltlich der in Abschnitt 3.3 skizzierten Anforderungen können Unternehmen diese als • ILO-IOE (2016), Child Labour Guidance Tool erste Inspiration für die Erstellung ihrer Verfah- for Business (enthält viele praktische Tipps rensordnungen nutzen. und Ansatzpunkte zum Umgang mit Pflicht- verletzungen im Bereich der Kinderarbeit) Unternehmen wird darüber hinaus empfohlen, beim Umgang mit Hinweisen oder Beschwerden • Impactt (2021/2022): Prinzipien und Leitsätze und der darauf aufbauenden (Weiter-)Entwick- für die Rückzahlung von Anwerbungsgebüh- lung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen ren für Wanderarbeiterinnen und -arbeiter auf bestehende gute Praktiken (siehe Kasten) sowie Entwurf von Prinzipien und Leitsätze aufzubauen und soweit möglich mit anderen für die Rückzahlung von ausgebliebenen Unternehmen und Stakeholdern zusammen Lohnzahlungen zuarbeiten. • Verschiedene (Multi-Stakeholder-) Initiati- Die Erkenntnisse aus Beschwerdeverfahren ven veröffentlichen bereits Informationen müssen zudem dafür genutzt werden, bestehen- zu eingegangenen Beschwerden und ihrer de Präventions- oder Abhilfemaßnahmen nach Lösung. Unternehmen können diese Beispie- Bedarf anzupassen oder zu verbessern. Wenn le nutzen, um Ansatzpunkte für den Um- zum Beispiel die eigenen Einkaufspraktiken gang mit Beschwerden abzuleiten. Folgende ursächlich für Auswirkungen bei Zulieferern Initiativen bieten diese Transparenz: sind – beispielsweise bei exzessiven Überstunden – Fair Wear Foundation Complaints oder ausbleibenden Lohnzahlungen – sollten zur Mechanism Vermeidung weiterer Pflichtverletzungen Anpas- – R MG Sustainability Council Occupational sungen im Einkaufs- oder Beschaffungsprozess Safety and Health Complaints Mechanism vorgenommen werden. – Fair Labor Association Third Party Complaints Process – A mfori Speak for Change Programme – M inerals Grievance Platform – Roundtable on Sustainable Palm Oil Complaints on Appeals Procedure 15
4.3 Wie kann die Wirksamkeit von • Inwiefern trägt das Verfahren dazu bei, Schäden Beschwerdeverfahren überprüft werden? von hinweisgebenden Personen abzuwenden oder angemessene Abhilfemaßnahmen bei tat- Das LkSG verpflichtet Unternehmen nicht nur sächlichen Pflichtverletzungen zu schaffen? ein Beschwerdeverfahren einzurichten, sondern auch die Wirksamkeit des Verfahrens mindestens Für die Überprüfung der Wirksamkeit bestehen- einmal im Jahr sowie anlassbezogen zu über- der Beschwerdeverfahren sowie die Gestaltung prüfen. Die Wirksamkeit eines Beschwerdever- und Einrichtung neuer Verfahren wird Unter- fahrens lässt sich grundsätzlich anhand von zwei nehmen eine Orientierung an den Effektivitäts- Leitfragen beurteilen: kriterien der UN-Leitprinzipien empfohlen. Die folgende Tabelle zeigt die einzelnen Kriterien auf • Inwiefern ermöglicht und ermutigt das Ver- und übersetzt diese in Fragen, die Unternehmen fahren relevanten Zielgruppen, Hinweise ein- bei ihren Wirksamkeitsüberprüfungen nutzen zureichen, noch bevor eine Pflichtverletzung können: eingetreten ist? II: Leitfragen zu den Effektivitätskriterien der UN-Leitprinzipien unter Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen des LkSG Effektivitätskriterien10 Leitfragen für die Überprüfung11 ∙ Gibt es eine Verfahrensordnung, die den Prozess im Umgang mit Beschwerden klar beschreibt? Legitim ∙ Sind klare Zuständigkeiten für die Umsetzung des Verfahrens benannt und wird die Qualifikation der für die Bearbeitung von Beschwerden verantwort lichen Personen durch angemessene Schulungen sichergestellt? ∙ Werden Informationen zum Verfahren auf eine Art und Weise bereitgestellt, die an den Kontext und die Zielgruppen angepasst ist? Zugänglich ∙ Schützt das Verfahren hinweisgebende Personen wirksam vor Benachteili gung oder Bestrafung? ∙ Enthält die öffentliche Verfahrensordnung Informationen zum vorherseh Berechenbar baren Zeitrahmen für die einzelnen Verfahrensstufen, zu möglichen Ergeb nissen, die erzielt werden können, sowie zur Überwachung der Umsetzung? ∙ Wird die notwendige Unterstützung bereitgestellt, damit die Zielgruppen das Verfahren tatsächlich nutzen können? Ausgewogen ∙ Haben die Zielgruppen Zugang zu Fachwissen, Beratung und Informationen, die sie benötigen, um an dem Beschwerdeverfahren auf faire, informierte und respektvolle Weise teilnehmen zu können? ∙ Wird die hinweisgebende Person über das Verfahren hinweg transparent und nachvollziehbar über den Verlauf und erreichte Fortschritte informiert? Transparent ∙ Werden Informationen zu über das Verfahren eingegangenen Beschwerden und deren Lösung öffentlich bereitgestellt? 10 UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, Prinzip 31. 11 Adaptiert aus CSR Europe (2013), MOC-A Tool Checkliste für effektive Beschwerdemechanismen; siehe auch UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, Prinzip 31. 16
II: Leitfragen zu den Effektivitätskriterien der UN-Leitprinzipien unter Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen des LkSG Effektivitätskriterien10 Leitfragen für die Überprüfung11 ∙ Werden Beschwerden zu schwerwiegenden menschenrechts- und umweltbezogenen Pflichtverletzungen priorisiert behandelt und Entscheidungsträgerinnen und -träger im eigenen Unternehmen darüber Rechte-kompatibel entsprechend informiert? ∙ Werden Lösungen und Abhilfemaßnahmen im Einklang mit international anerkannten Menschenrechtsstandards entwickelt? ∙ Wird das Verfahren jährlich und anlassbezogen auf seine Wirksamkeit überprüft? Quelle kontinuierlichen Lernens ∙ Fließen Erkenntnisse aus der Bearbeitung von Hinweisen in die Anpassung der eigenen Sorgfaltsprozesse? ∙ Wurden wichtige Zielgruppen in der Konzeption und Gestaltung des Verfahrens konsultiert und ihre konkreten Bedürfnisse identifiziert? ∙ Werden Beschwerden mit dialogbasierten Ansätzen bearbeitet? Dialog-kompatibel ∙ Werden diejenigen, die Beschwerden eingereicht haben, nach Abschluss des Verfahrens zu ihrer Zufriedenheit mit dem Ablauf und den Ergebnissen befragt? Zur systematischen Wirksamkeitsmessung wird Beispiele für KPIs zur Messung der Wirksam Unternehmen die Entwicklung und Messung keit von Beschwerdeverfahren: von geeigneten Key Performance Indicators (KPI) • Anzahl der Beschwerden (Gesamtzahl/diffe- empfohlen. Auf Basis der eingegangenen Hinwei- renziert nach Themen) se und Beschwerden können so Entwicklungen, • Informationen zur hinweisgebenden Person Trends und Muster identifiziert und ausgewertet (Zuordnung in Zielgruppe, beispielsweise werden. In der Praxis zeigt sich, dass die An- eigene Beschäftigte, Beschäftigte bei unmit- zahl eingehender Hinweise oder Beschwerden telbaren/mittelbaren Zulieferern etc.) zunächst zunimmt, wenn die Zugänglichkeit • Anteil der gelösten Beschwerden (an der eines Beschwerdeverfahren verbessert wird. Dies Gesamtzahl der Beschwerden sowie differen- ist als positiv zu bewerten, da es ein Zeichen für ziert nach der Beschwerdelösung, beispiels- das Vertrauen in das Verfahren ist. Im Laufe der weise begründete Ablehnung, Rücknahme Zeit, wenn Abhilfe- und Präventionsmaßnah- der Beschwerde, Abhilfe/keine Abhilfe, ein- men wirksam sind und die durch das Verfahren vernehmliche Beilegung) gesammelten Lernerfahrungen effektiv genutzt • Durchschnittliche Dauer für die Lösung werden, nimmt die Zahl in der Regel wieder ab einer Beschwerde und pendelt sich auf einem kontinuierlichen • Zufriedenheit derjenigen, die eine Beschwer- Niveau ein. de eingereicht haben, mit dem Ergebnis des Verfahrens 10 UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, Prinzip 31. 11 Adaptiert aus CSR Europe (2013), MOC-A Tool Checkliste für effektive Beschwerdemechanismen; siehe auch UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, Prinzip 31. 17
Anhang I: Weiterführende Hinweise und Literatur Allgemeine Umsetzungshilfen Branchenspezifische Umsetzungshilfen • UN GCD (2018), Zuhören lohnt sich, Menschen • Aim Progress (2022), Grievance Mechanism rechtliches Beschwerdemanagement verstehen Maturity 1.0 – Framework and Guidance und umsetzen • Ethical Trading Initiative (2019), Access to • CSR Europe (2013), MOC-A Tool Checkliste für Remedy – Practical Guidance for Companies effektive Beschwerdemechanismen • Ethical Trading Initiative (2017), Hintergrund- • Centre for Research on Multinational Corpo- papiere zu effektiven Beschwerdemechanis- rations (SOMO), Übersicht zu verschiedenen men Arten von Beschwerdemechanismen – CERNO, Government Approaches to Remedy • OHCHR (UN-Hochkommissariat für for Workers: What can Companies Learn? A Menschenrechte), Interpretive Guide zu den Discussion Paper UN-Leitprinzipien (Seite 63ff) – Ergon Associates, Access to remedy – opera- • Business for Social Responsibility (BSR) (2021), tional grievance mechanisms. An issues paper Seven Questions to Help Determine When a for ETI. Corporate Case Studies Company Should Remedy Human Rights Harm – Dr Aidan McQuade, Grievance Mechanisms, under the UNGPs Remedies and Trades Unions: a discussion • BMAS Hintergrundpapier “Fachveranstaltung document Aufbau von betrieblichen und branchenweiten – Jesse Hudson, Mark Winters, NGO Leader- Beschwerdemechanismen” ship in Grievance Mechanisms and Access to • Ulla Gläßer, Robert Pfeiffer, Dominik Schmitz, Remedy in Global Supply Chains Helene Bond, Forschungsbericht im Auftrag • Bündnis für nachhaltige Textilien (2018), Info- des BMJ (2021), Außergerichtliche Beschwerde- papier Beschwerde- und Abhilfemechanismen mechanismen entlang globaler Lieferketten • Ethical Toy Program (2019), Ethical Toy Pro- • Office of the Compliance Advisor Ombudsman gram Worker Helpline – Successfully Addres- (CAO), Grievance Mechanism Toolkit sing Factory Workers Concerns • IPIECA (2019), Worker grievance mechanisms – Guidance document for the oil and gas industry 18
Beispiele für öffentliche Verfahrensordnungen bestehender Beschwerdeverfahren von (Multi- Stakeholder-) Initiativen: Brancheninitiativen • Spielzeug: Ethical Toy Program Worker Helpline • Textil/Bekleidung: Fair Wear Foundation Complaints Mechanism, RMG Sustainability Council Occupational Safety and Health Complaints Mechanism • Automobil: Pilotprojekt des Branchendialogs Automobil • Schmuck: Responsible Jewellery Council Complaints Mechanism Branchenübergreifende Initiativen • Handel: Ethical Trading Initiative Alleged Code Violation Procedure • Arbeitnehmerrechte: Fair Labor Association Third Party Complaints Process • Handel: Amfori Speak for Change Programme • Palmöl: Roundtable on Sustainable Palm Oil Complaints and Appeals Procedures • Mineralien: Responsible Minerals Initiative Grievance Mechanism 19
Impressum Herausgeber Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) LPR – Leitungsstab, Presse Frankfurter Straße 29–35 65760 Eschborn Telefon: +49 6196 908-0 E-Mail: poststelle@bafa.bund.de Stand 1. Auflage/Oktober 2022 Bildnachweis Gajus – stock.adobe.com, Titel Diese Publikation wird vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit herausgegeben. Die Publikation wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen sowie für Wahlen zum Europäischen Parlament. 20
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