Betriebs Kranken Kassen - BKK Dachverband
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5 | 19 Betriebs Magazin für Politik, Recht und Kranken Gesundheit im Unternehmen Kassen MORBIDITÄTS ORIENTIERTER RISIKO STRUKTUR AUSGLEICH MORBI-RSA DIGITALPOLITIK www.bkk-dachverband.de Eine Reform ist zwingend für faire Eine Vertagung der RSA-Reform Wettbewerbsbedingungen für alle wäre ein fatales Signal an Unter- GKV-Kassen. Die Zeit drängt! nehmen! Was sagen Arbeitgeber?
YOUNG TALENTS YOUNG TALENTS 2019 SCHAFFT PROTOTYPEN UND GESCHÄFTSMODELLE! Von Martin Blaschka, Leiter Innovationszentrum ZING! am WIG2 Institut, Alexander Steinwedel, Krankengeldfallmanager bei pronova BKK / BKK Young Talent und Jana Manhalter, Kundenberaterin Leistungen bei der Bosch BKK / BKK Young Talent Das deutsche Gesundheitssystem war jahrelang geprägt von einer spürbaren digitalen Lethargie. Neue Gesetzgebungsverfahren wurden nur in großen Abständen angestoßen und zogen sich über noch größere Zeithorizonte hin. Währenddessen klagten viele Akteure über die wachsenden Heraus- forderungen am Gesundheitsmarkt – sei es der Ruf der Patienten nach neuen digitalen Lösungen, der Personalmangel in Kliniken und Pflegeeinrichtungen oder die als ungerecht empfundenen Ver- teilungsmechanismen des RSA. In den 18 Monaten seit Jens Spahn als Bundesminister angetre- ten ist wurden ganze 18 Gesetzesentwürfe erarbeitet und auf den demokratischen Weg gebracht. Mit dem health innovation hub (hih) wurde ein hochkarätig besetztes Berater-Gremium ins Leben gerufen, um die dringend benötigte Expertise für digitale Gesundheitsthemen einzubringen. Diese Entwicklungen gingen nicht unbemerkt an den Akteuren des Gesundheitswesens vorbei: Die einst entschleunigte Grundhaltung ist zeitweise einer regelrechten Goldgräberstimmung gewichen. Wer neben den 18 Gesetzesentwürfen und der Gründung des hih bisher noch nach weiteren Anzeichen dafür suchte, der hat sie beim am 2. und 3. September 2019 in Berlin zweifelsohne gefunden. Das Format ist eigentlich kein neues. Vor zwei Jahren, im September 2017, veranstaltete das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) erst- mals im Rahmen der Digitalen Woche in Kiel das Event mit dem Ziel, innovativen Lösungen im medizinischen Bereich eine Bühne zu geben. Nach einer erfolgreichen zweiten Auflage 2018 – erneut im September in Kiel – gab es für das dritte Jahr 2019 jedoch eine wegwei- sende Änderung: Das hih erweiterte gemeinsam mit dem Verband der deutschen Universi- tätsklinika (VUD) sowie der Universitätsmedizin Mainz den Kreis der Hauptveranstalter und stellte die Veranstaltung zugleich unter die Schirmherrschaft des BMG. Von nun an war und ist es damit offiziell: Den stets gewichtigen Worten von Jens Spahn folgen nicht nur Taten in Form von Gesetzesvorhaben, sondern auch ganz praktisch bei der Identifizierung und Förderung neuer Ideen für die Gesundheitsversorgung. 52 Betriebskrankenkassen 05 | 2019 Betriebskrankenkassen 05 | 2019 53
YOUNG TALENTS YOUNG TALENTS Im Rahmen seiner Keynote vor Ort bestärkte der Bundesgesundheitsminister diesen An- spruch dann auch ganz offen: Man kann nur regulieren, was man auch versteht. Man muss Berührungspunkte mit neuen Ideen und den dahinterstehenden Innovatoren schaffen, um ihren Bedürfnissen und Anforderungen – auch über entsprechende Gesetze – entgegenzu- kommen. Auch international konnte die Veranstaltung den Blick auf das deutsche Gesund- heitssystem lenken: Neben einer schwedischen Delegation, die sich eingehend mit den Ideen der Hacker-Teams vertraut machte, betonte Prof. John Halamka von der Harvard Medical School bei seiner Keynote, dass er den von Jens Spahn eingeschlagenen Weg für wichtig und richtig halte. Prof. Jörg Debatin, Vorsitzender des hih, und schließlich Prof. Claudia Schmidtke, Patientenbeauftragte der deutschen Bundesregierung, schlugen mit ihren Vorträgen beim in ganz ähnliche Kerben. Nur drei Beispiele: Digitale Innovationen ergänzen alle Sektoren unserer Gesundheitsversorgung. Der Patient muss stets im Mittelpunkt aller Bestrebungen stehen. Und machen ist besser, als nur zu reden. Es liegt nahe, dass vor allem letztere Worte ausgerechnet auf einem Ha- ckathon fielen … Unter dem Motto „querdenken, nachfragen und diskutieren“ arbeiteten insgesamt neun BKK Young Talents in drei verschiedenen Hacker-Teams mit. Der vom BKK Dachverband ge- gründete Thinktank (auf Deutsch: Denkfabrik), besteht aus jungen Mitarbeitern verschiede- BÜHNE FREI FÜR 24 TEAMS MIT INNOVATIVEN LÖSUNGEN ner Betriebskrankenkassen aus ganz Deutschland. Die BKK Young Talents verstehen sich Was einen Hackathon (Kofferwort aus dem Englischen: „to hack“ im Sinne einer unkon- als Impulsgeber und Markenbotschafter im System der Betriebskrankenkassen. Es geht ventionellen Lösung und „marathon“) von anderen gängigen Veranstaltungsformaten un- der Nachwuchs-Denkfabrik vor allem darum, über den Tellerrand hinauszuschauen und sich terscheidet, ist ein ganz wesentlicher Aspekt: Es zählen greifbare Ergebnisse, die in einer aus der gewohnten Komfortzone zu bewegen. Ideen sollen demnach nicht sofort aufgrund bestimmten Zeitspanne erarbeitet wurden. Es wird also tatsächlich nicht nur über Themen unüberwindbar scheinender Herausforderungen zerschlagen werden, sondern als Challen- gesprochen, sondern sie werden angepackt und umgesetzt. Ganz unter diesem Motto ge angenommen werden. Neue Ideen sollen somit als Chance und Bereicherung für das waren beim 2019 insgesamt 24 Teams mit jeweils unter- sich wandelnde Gesundheitssystem gesehen werden. schiedlichen Fachhintergründen und Zielstellungen unterwegs. Thematisch wurden sie in In dieser Rolle waren die BKK Young Talents beim in den die vier Schwerpunktbereiche „Digitale Notfallmedizin“, „Digital unterstützte Pflege/Medi- drei Teams „Power Mind“, „SPIDER“ sowie „Rechte und Rollen im digitalen Gesundheits- zin“, „Künstliche Intelligenz – Open KI“ sowie „Der Mensch im Mittelpunkt“ gegliedert. wesen“ aktiv und stellten sich der Herausforderung, innerhalb von knapp 24 Stunden eine Zusätzlich wurden so ´genannte Sprint- und Marathonteams unterschieden, die entweder innovative Idee umzusetzen. Durch agile Arbeitsmethoden wie Service-Design, nahmen so bereits im Juni 2019 im Rahmen eines Pre-Events in Mainz die Arbeit aufgenommen hat- die ersten Ansätze der BKK Young Talents in den verschiedenen Hacker-Teams Gestalt an. ten oder ausschließlich am 2. und 3. September in Berlin zur Tat schritten. Das immer übergeordnete Ziel: Der Mensch sollte im Mittelpunkt aller Lösungen stehen! Es würde deutlich den Rahmen sprengen, an dieser Stelle auf alle 24 Teams und ihre Lösun- Resultierend aus durchdachten Patient Journeys und entworfenen Personas konnte man gen einzugehen. Zumal diese kaum unterschiedlicher sein könnten. Neben weiterentwi- sich schließlich in die Patienten hineinversetzen und zielgruppenorientierte Innovationen ckelten Operations-Robotern, intelligenten IoT-Dash-Buttons, digitalen Einarbeitungsassis- entwickeln. Während am ersten Nachmittag eine kollektive Hysterie ausbrach, als Jens tenten für Pflegekräfte oder einer Navigationssoftware zum nächstgelegenen Defibrillator Spahn persönlich zum Hackathon kam, sprach und die Teams besuchte, hackten die BKK reichte die Spanne bis hin zur digital-assistierten Erkennung von Krebszellen unter dem Mi- Young Talents unbeirrt bis in die Nacht hinein. Die am zweiten Tag präsentierten Ergeb- kroskop. Stattdessen fokussieren wir uns – dem Medium BKK Magazin angemessen – auf nisse der Hacker-Teams konnte sich durchaus sehen lassen: Entwickelte Prototypen und fünf Sprintteams aus dem Themenschwerpunkt „Der Mensch im Mittelpunkt“, die tatkräf- Klick-Dummys ebenso wie umfangreiche Use Cases zeugten einmal mehr davon, was in tig und erfolgreich von verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen unterstützt wurden. kürzester Zeit bei einem Hackathon entstehen kann. 54 Betriebskrankenkassen 05 | 2019 Betriebskrankenkassen 05 | 2019 55
YOUNG TALENTS YOUNG TALENTS 1 Power Mind: Eine App zur Förderung der kognitiven Fitness im betrieblichen Setting und insbesondere für die schwer erreichbare Zielgruppe Männer im Alter über 35 Jahren. Der Clou: Mithilfe 3 Rechte und Rollen im digitalen Gesundheitswesen: In turbulenten Zeiten digitaler Akten wie ePA, eGA und Co. hat es sich das Team zur Aufgabe gemacht, ein umfassendes Rechte- und Rollenkonzept für souveräne Patienten aufzuzeigen. Wer ist Herr über meine Daten – auch in Vertretungsfällen beispielsweise für Kin- der oder Pflegebedürftige? Wie können Leistungserbringer effizient auf die Daten zugreifen? Und wie muss eine solche digitale Akte eigentlich aussehen, wenn sie praktische Vorteile gegenüber einem dicken Aktenhefter bieten soll? Der ganzheit- von Framing und individuellen Vorbilder, beispielsweise Elon Musk liche konzeptionelle Ansatz des Teams hat die gesamte Jury überzeugt. Mehr noch: oder Albert Einstein, sollen präventive Gesundheitsangebote für Prof. Claudia Schmidtke, Patientenbeauftragte der Bundesregierung und Jury-Mit- Männer attraktiver werden. glied, war so begeistert, dass sie die Initiative noch vor Ort unter ihre persönli- che Schirmherrschaft stellte. Das Team wurde von Fachexperten der Knappschaft Die App wurde vor Ort als Prototyp umgesetzt. Die Jury prämier- begleitet. 4 te das Team für ihren innovativen Ansatz. Unterstützt wurde die Gruppe von der Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK). Spirometer via Blockchain: Das von der BITMARCK unterstützte Team programmierte eine funktionstüchtige Blockchain und dockte sie an ein digitales Spirometer an, das Lungenfunktionsparameter aufzeichnet. Darüber wird eine 2 sichere und zugleich unverfälschte Übermittlung der Daten zwischen Patient und Arzt ermöglicht, wodurch die Diagno- se- und Behandlungsqualität steigen soll. „SPIDER“ – Sektorenübergreifende patientenzentrierte inte- 5 grierte digitale ergebnisorientierte Roadmap: Am Beispiel des planbaren, stationären Eingriffs zu einer Kniegelenksprothese (Knie TEP) wurde eine App zur digitalen Begleitung des Patien- ten über die gesamte Patient Journey – von der Erstdiagnose bis zur Reha und Nachsorge – entworfen und prototypisch als Klick-Dummy umgesetzt. Das Team wurde unterstützt von der Ärztelatein adé: „Power to the patients” – unter diesem Motto hack- BIG direkt gesund. te das 15-köpfige Team an einer integrierten App-Lösung, die Arztbriefe in einfach verständliche Informationen für die Versicherten übersetzt. Die kon- zipierte Anwendung basiert zudem auf dem Grundsatz der Interoperabilität und macht sich insbesondere den HL7-FHIR-Standard zunutze. Das Team rund um die BKK VBU griff dafür auch auf externe Expertise von Start-ups, Technologieanbietern, der Charité Berlin sowie der Was hab ich? gGmbH zu- rück und konnte mit diesem Ansatz auch die Jury des 2019 überzeugen. 56 Betriebskrankenkassen 05 | 2019 Betriebskrankenkassen 05 | 2019 57
YOUNG TALENTS YOUNG TALENTS FUN FACT Nicht nur bei der Teamarbeit und den Pitches konnten die BKK Young Ta- lents überzeugen. Auch auf Twitter wurde das Event fleißig mit Tweets, Retweets und Likes begleitet – und so letztlich auch bekannt gemacht! Als Dankeschön konnte der Thinktank den Preis für die meisten Ret- weets entgegennehmen: eine kompakte Drohne! Man darf gespannt sein, welche neuen Anwendungen und Formate dadurch zukünftig mög- lich werden. DAS DVG WARF SEINE SCHATTEN WEIT ÜBER DIE VERANSTALTUNG VORAUS … Fakt ist: Wir wissen (noch) nicht, was mit dem DVG tatsächlich an Neuregelungen auf Ob in den Keynotes, in den vor Ort angebotenen Workshops oder im Gespräch mit den uns zukommen wird. Wir wissen jedoch durchaus, dass sich etwas ändern wird. Und wir Hacker-Teams: das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) war, so wie in den letzten Monaten wissen mit Sicherheit, dass sich aus politischer Sicht etwas ändern soll. Dafür ist Jens überall, auch beim omnipräsent. Die laut aktuellem Kabi- Spahn als Bundesgesundheitsminister angetreten, dafür wurde das health innovation hub nettsentwurf vielversprechende Aussicht, mit den hart erarbeiteten Versorgungsinnovatio- ins Leben gerufen und dafür wurde schließlich auch der nen zukünftig einen realistischen Weg in die Regelversorgung zu finden, beflügelt derzeit 2019 unter diesen Schirmherrschaften organisiert. Die am 2. und 3. September von Berlin die gesamte Healthcare-Startup-Community in die Deutschland. Über ein Fast-Track-An- ausgegangene Botschaft war deutlich: Die Ideen und Innovatoren aus allen Sektoren sind tragsverfahren beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sollen längst bereit. Es wird Zeit, dass das System regulatorisch aufschließt. risikoarme Medizinprodukte der Klassen I und IIa als Digitale Gesundheitsangebote (DiGA) in die generelle Erstattungsfähigkeit durch die GKV aufgenommen werden können. Hierfür müssen neben Grundanforderungen an Funktion und Sicherheit auch die medizinischen Nutzen oder erwartet positive Versorgungseffekte nachgewiesen werden. In einem Workshop im World-Café-Format brachten das hih, das WIG2 Institut und Hacking Health Berlin zu diesem Thema 40 interessierte Teilnehmer zusammen, um über Chancen und Herausforderungen des Gesetzesvorhabens zu diskutieren. Es zeigte sich, dass Eu- Jana Manhalter phorie und befürchtete Ernüchterung nah beieinander liegen: Viele Akteure bereiten sich @JanaPatrizia aktiv auf das neue Antragsverfahren vor, doch zugleich schwingt stets eine gewisse Unsi- cherheit mit. Auf der einen Seite erhöht der mögliche Zugang zur Regelversorgung – auch Martin Blaschka für einen Probezeitraum von 12 respektive 24 Monaten – deutlich die Attraktivität zur Ent- @martin_blaschka wicklung von Versorgungsinnovationen für den ersten deutschen Gesundheitsmarkt. Auf der anderen Seite bleibt der aktuelle Kabinettsentwurf zum DVG konkrete Anforderungen und Kriterien, beispielsweise an den wissenschaftlichen Nutzennachweis, schuldig. Diese Alexander Steinwedel sollen erst nach Inkrafttreten des Gesetzes 2020 in Form einer Rechtsvorschrift nachge- @alexsteinwedel reicht werden. Zudem veröffentlichte der Bundesrat erst jüngst eine Stellungnahme seiner zuständigen Ausschüsse zu diesem Thema und verlangt nach umfangreichen Anpassun- gen des Gesetzesentwurfs. 58 Betriebskrankenkassen 05 | 2019 Betriebskrankenkassen 05 | 2019 59
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