Cannabinoide in der analgetischen Therapie: Chancen und Risiken - Bachelorarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Science (B.Sc.) ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Hochschule Rhein-Waal Fakultät Life Sciences Cannabinoide in der analgetischen Therapie: Chancen und Risiken Bachelorarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Science (B.Sc.) Vorgelegt von Anna-Marie Niederholz
Erstprüfer: Prof. Dr. rer. nat. habil. Christoph Böhmer Zweitprüferin: Prof. Dr. rer. nat. habil. Mònica Palmada Fenés
Gender-Hinweis Zur besseren Lesbarkeit dieser Arbeit wird auf die Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Das in dieser Arbeit verwendete generische Maskulinum bezieht sich auf die männlichen, die weiblichen und andere Ge- schlechtsidentitäten.
Zusammenfassung Hintergrund: In den letzten Jahren finden die Cannabinoide THC und CBD im- mer mehr Bedeutung in der Medizin zur Behandlung von Schmerzen. Die ärztli- che Verordnung von medizinischem Cannabis ist seit 2017 in Deutschland legal. Viele Ärzte zögern bei Indikation der Patienten eine Verordnung aufgrund man- gelnder Aufklärung hinaus. Auch in der Gesellschaft erfährt Cannabis eher nega- tive Bewertungen bedingt durch seines Vorurteils zur Einstiegsdroge. Dabei bie- tet die Nutzung von Cannabis in der Medizin nicht nur Risiken, sondern auch Chancen in der Analgesie. Ziele: Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung von Chancen und Risiken der Can- nabinoide in der analgetischen Therapie. Ergebnisse: Kombinationspräparate, die CBD und THC in einem 1:1 Verhältnis enthalten, weisen eine hohe Analgesie auf. CBD antagonisiert nachweislich die psychoaktive Komponente des THC. Auch gastrointestinale Nebenwirkungen wie Obstipation, Nausea und Emesis lassen sich durch die richtige Dosis lindern. Als adjuvante Therapieform können Cannabinoide die Menge der einnehmenden Opioide bei langfristigen Therapien senken. Wird THC in zu hoher Dosis und ohne ärztliche Betreuung eingenommen, kann die Psychoaktivität steigen und es treten unerwünschte Nebenwirkungen wie Angststörungen, Schlafstörungen oder Depressionen auf. Fazit: Die Chancen der Cannabinoide liegen primär in der Analgesie. Auch Ne- benwirkungen ausgelöst durch andere Erkrankungen oder Arzneimittel lassen sich lindern. Unter ärztlicher Betreuung können Nebenwirkungen präventiv ver- mieden werden, indem das Präparat, die Dosis und die Applikationsform indivi- duell auf den Patienten abgestimmt werde I
Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung .............................................................................................. I Abbildungsverzeichnis ....................................................................................... II Tabellenverzeichnis .......................................................................................... III Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................... IV 1 Einleitung ........................................................................................................ 1 1.1 Der Schmerz............................................................................................. 2 1.1.1 Der chronische Schmerz .................................................................... 3 1.1.2 Neurophysiologische Grundlagen ...................................................... 5 1.1.2.1 Die Opioidrezeptoren................................................................... 9 1.1.2.2 Das Endocannabinoid-System .................................................. 11 1.1.2.3 Das enterische Nervensystem ................................................... 13 1.2 Opioide ................................................................................................... 15 1.2.1 Herkunft und Eigenschaften ............................................................. 15 1.2.2 Rechtliche Grundlagen..................................................................... 17 1.3 Exogene Cannabinoide .......................................................................... 19 1.3.1 Herkunft und Eigenschaften ............................................................. 19 1.3.2 Rechtliche Grundlagen..................................................................... 21 2 Methodik........................................................................................................ 23 3 Ergebnis ........................................................................................................ 25 3.1 Wirkungen und Nebenwirkungen von Opioiden in der analgetischen Therapie ....................................................................................................... 25 3.2 Wirkungen von Cannabinoiden in der analgetischen Therapie ............... 32 3.2.1 Nebenwirkungen von Cannabinoiden in der analgetischen Therapie .................................................................................................................. 36 3.2.2 Abhängigkeitspotenzial .................................................................... 39 4 Diskussion ..................................................................................................... 43 4.1 Cannabinoide in der Analgesie ............................................................... 43 4.1.1 Chancen im Vergleich zu konventionellen Therapieformen ............. 43 4.1.2 Risiken im Vergleich zu konventionellen Therapieformen ................ 46 4.2.1 Opioid Krise in den USA in Bezug zum Abhängigkeitspotenzial ...... 48
4.2.2 Legalisierung von Cannabis in Deutschland .................................... 49 5 Fazit .............................................................................................................. 51 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 53 Eidesstattliche Erklärung .................................................................................... V
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Morphologie von Nervenzellen (Kirsch 2018). ............................... 6 Abbildung 2: Synaptische Übertragung (Kirsch 2018). ....................................... 7 Abbildung 3: Chemische Struktur von AEA und 2-AG (Grotenhermen und Müller-Vahl 2020, 63). ...................................................................................... 12 Abbildung 4: Struktur von Morphin (Sukdeb et al. 2008, 2). ............................. 17 Abbildung 5: Chemische Struktur von THC (Grotenhermen und Müller-Vahl 2020, 63). ......................................................................................................... 20 II
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: worst pain intensity zu Beginn und zum Ende der Opioidtherapie (Corli et al. 2016).............................................................................................. 26 Tabelle 2: Schmerzintensitäten zu Studienbeginn und nach jeweiliger Applikation (James et al. 2010) ........................................................................ 28 Tabelle 3: Unterwünschte Nebenwirkungen von Buprenorphin (James et al. 2010) ................................................................................................................ 29 Tabelle 4: Ergebnisse nach der Studie in Woche 5 (Lichtman et al. 2018) .... 33 Tabelle 5: Bewertung der Schmerzintensitäten nach NRS (van den Donk et al. 2019) ................................................................................................................ 35 Tabelle 6: Zusammenfassung von Nebenwirkungen aus klinischen Studien .. 37 Tabelle 7: Unerwünschte Nebenwirkungen nach Inhalation von Bedrocan, Bediol und Bedrolit (van den Donk et al. 2019) ................................................ 38 Tabelle 8: Bewertung von psychischen und körperlichen Belastungen nach Verringerung des Cannabiskonsums (Hser et al. 2017) ................................... 39 Tabelle 9: SOWS - Mittelwerte der Tage 1 - 8 (Bisaga et al. 2015) ................. 41 III
Abkürzungsverzeichnis 2-AG ................................................................................ 2-Arachinonoyl-glycerol AEA ...................................................................................................... Ananamid BtMG .............................................................................. Betäubungsmittelgesetz BtMVV ........................................... Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung CB1 ................................................................................. Cannabinoid-Rezeptor 1 CB2 ................................................................................. Cannabinoid-Rezeptor 2 CBD ...................................................................................................Cannabidiol DAGL .................................................................................. Diacylglycerol-Lipase ECS .............................................................................. Endocannabinoid-System ENS ............................................................................ Enterisches Nervensystem FAAH ........................................................................... Fettsäureamid-Hydrolase MDK ..................................................... Medizinischer Dienst der Krankenkassen NRS ................................................................................ Numerical-Rating-Scale THC ..............................................................................δ-9-Tetrahydrocannabinol WHO ...........................................................................World Health Organization ZNS ................................................................................ Zentrales Nervensystem IV
1 Einleitung Stoffe und Zubereitungen der Cannabinoide δ-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) können seit dem Jahr 2017 für medizinische Zwecke ärzt- lich verordnet werden. Im Vordergrund steht die Anwendung zur Analgesie chro- nischer Schmerzen. Neben der analgetischen Wirkung können Cannabinoide auch andere Begleitsymptome wie Übelkeit und Schlaflosigkeit lindern und somit die Lebensqualität von Patienten nachweislich verbessern. Zu den konventionellen medikamentösen Therapieformen bei chronischen Schmerzen zählen bislang Opioide. Sie gehören zum Mittel erster Wahl und wer- den trotz gesellschaftlicher Furcht vor Abhängigkeit primär verschrieben. Beide Arzneimittelformen dürfen nur mit Begründung vom Arzt verordnet werden. Der Beantragungsprozess einer Kostenübernahme durch die gesetzliche Kranken- kasse für Cannabinoide ist aufwendig (Radbruch und Nauck 2002). Ziel dieser Arbeit ist die Gegenüberstellung von Cannabinoiden und Opioiden in der analgetischen Therapie chronischer Schmerzen. Hier soll auf physiologische, gesellschaftliche und rechtliche Aspekte eingegangen werden. Daraus leitet sich die zentrale Forschungsfrage ab: Welche Bedeutung haben Cannabinoide in der analgetischen Therapie und wel- che Chancen und Risiken ergeben sich daraus? Die Darstellung des Forschungsstandes ist durch die Aktualität der Thematik von Relevanz. Die generelle Legalisierung von Cannabis in Deutschland ist seit vie- len Jahren in Diskussion von Gesellschaft und Politik (siehe Abschnitt 4.2.2). In Deutschland ist die medizinische Verwendung von Cannabis erst seit vier Jahren legal. Aufgrund dessen ist die Aufklärung der Gesellschaft unter Berücksichti- gung aktueller internationaler Studien von Bedeutung. 1
1.1 Der Schmerz Schmerz per Definition ist ein subjektives "Sinnes- und Gefühlserlebnis". Schmerz ist von biographischen Faktoren, aber auch von Begleiterkrankungen und individuellen Belastungsfaktoren geprägt. Wichtig für den Verlauf einer The- rapie ist die Differenzierung zwischen akuten und chronischen Schmerzen. Die Primärfunktion des Akutschmerzes ist die Warnfunktion zum Schutz des Orga- nismus vor Schädigung. Der Akutschmerz tritt unmittelbar nach einem Ereignis auf, zum Beispiel nach einem Trauma, einer Operation oder bei einer Entzün- dung (Freye 2010). Der chronische Schmerz ist die Folge einer kontinuierlichen Gewebsschädigung, etwa bei einem Tumor. Er hat seine Funktion als Warnsignal verloren und wird als eigenständige Krankheit therapiert (Freye 2010, 36). Weiterhin differenziert wird der Entzündungsschmerz vom nozizeptiven Schmerz. Bei Entzündungsschmerzen reagieren Zellen der körpereigenen Abwehr mit ei- ner gehäuften Anlagerung in den betroffenen Organen, in denen eine Schädi- gung oder Infektion zu einer Entzündung geführt hat. Hier setzen sie Entzün- dungsmediatoren frei, dazu gehören zum Beispiel Prostagladine oder Hista- min. Darauf reagieren nach Aktivierung der Sensorproteine die Nozizeptoren. Diese Sensorproteine können den nozizeptiven Schmerz auslösen. Sie verarbei- ten potenziell schädigende Reize (Noxen) physikalischen oder chemischen Ur- sprungs. Sensorproteine reagieren spezifisch auf die Reize. Ihre Rezeptoren be- finden sich gemeinsam mit den Sensorproteinen in der Zellmembran nozizeptiver Nervenendigungen (Nozizeptoren) (Kirsch 2018, 10–11). 2
1.1.1 Der chronische Schmerz Bei Schmerzpatienten laufen spezielle Chronifizierungsprozesse ab, bei denen somatische, psychische und soziale Mechanismen zusammenwirken (Zimmermann 2004, 510). Differenziert werden primäre und sekundäre chroni- sche Schmerzen. Der sekundär chronische Schmerz geht von einer zugrunde liegenden Erkrankung hervor. Der primär chronische Schmerz tritt ohne das Be- stehen einer ursächlichen Störung auf (Schliessbach 2021). Persistierende Schmerzen können durch Änderung der Eigenschaften der peripheren Nerven entstehen. Sie treten als Folge von Schädigungen der Nervenfasern auf (Basbaum et al. 2009). Zum Prozess der Chronifizierung gehören nicht nur die Schmerzen. Weiterhin gibt es somatische, psychologische und soziale Risikofaktoren, die diesen Pro- zess beschleunigen können. Die Somatik beschleunigt den Prozess durch eine Über- oder Unterbelastung des muskuloskelettalen Systems. Zu den psychologi- schen Faktoren zählt die Angst vor Verstärkung des Schmerzes durch Bewe- gung, welche zu einer zunehmend eingeschränkten Mobilität führen kann. Auch Depressivität und das Gefühl von Hilfslosigkeit sind negativer Einfluss. Unbewäl- tigter sozialer Stress oder vermehrte Zuwendung der Familie gehören zu den sozialen Risikofaktoren. Ärzte können einen Teil zum Chronifizierungsprozess beitragen, indem sie den Patienten fälschlicherweise eine Bettruhe verordnen oder die Schmerzen als Grund von Behinderung nicht anerkennen (Zimmermann 2004, 510). Häufig re- sultiert daraus eine ungenügende Analgesie, entstehend durch morphologische und elektrophysiologische Veränderungen im nozizeptiven System (Freye 2010, 9). Chronische Schmerzen sollten als eigenständige Krankheit therapiert werden, da ein ungenügend behandelter Schmerzzustand den Chronifizierungsprozess vo- rantreibt. Wichtig für den Erfolg einer Schmerztherapie ist die Compliance der Patienten (Freye 2010, 125). Compliance beschreibt das Verhalten der Patienten zu Therapieratschlägen in medizinischen und gesundheitlichen Belangen und deren Ausmaß (Morris und Schulz 1992, 283). Der Therapieerfolg wird durch die Nutzung von Ansätzen mit unterschiedlichen 3
Wirkungsebenen positiv beeinflusst. Der Therapiestand und -erfolg sollte von den Patienten durch Schmerztagebücher festgehalten werden (Freye 2010, 125). Die World Health Organization (WHO) veröffentlichte im Jahr 1986 bereits eine Leitlinie zur Linderung von Tumorschmerzen. Eine überarbeitete Version aus dem Jahr 1996 sieht seitdem einen dreiteiligen Stufenplan zur Behandlung von Tumorschmerzen und nicht-tumorbedingten chronischen Schmerzen vor. Der Plan berücksichtigt die Schmerzintensität und das subjektive Empfinden der Patienten. In Stufe I empfiehlt die WHO Nicht-Opioide und Co-Analgetika bei leichten Schmerzen. Co-Analgetika werden auch als adjuvante Analgetika be- zeichnet. Sie können die Wirkung anderer Schmerzmittel beeinflussen, indem sie an zentrale und nozizeptive Neuronen binden. Dort beeinflussen sie die span- nungsabhängigen Calcium- und Natriumkanäle und tragen so zur analgetischen Wirkung bei (Binder und Baron 2016, 620–621). Geeignet als Co-Analgetikum sind Antidepressiva, Antiepileptika oder Kortikoide (Hohenwarter et al. 2015, 148). Zu den Nicht-Opioiden zählen zum Beispiel Metamizol, Paracetamol und Acetylsalicylsäure, aber auch nicht-steroidale entzündungshemmende Medika- mente wie Ibuprofen oder Diclofenac (Kirsch 2018, 51–54). In Stufe II werden Nicht-Opioide in Kombination mit schwachen Opioiden bei mitt- leren Schmerzen eingesetzt. Stark wirksame Opioide finden in Stufe III bei mas- siven Schmerzen Einsatz. Weiterhin empfiehlt die WHO auf die nächsthöhere Stufe umzusteigen, wenn die Schmerzen persistieren und keine Besserung ein- tritt (Yang et al. 2020, 412). Zu Beginn einer Opioidtherapie stellt eine Opioid Titration die Basis für einen Therapieerfolg dar. Die Startdosis wird so ausgewählt, dass für den Patienten eine Schmerzlinderung erreicht wird. Zusätzlich zur Basismedikation wird eine Bedarfsmedikation bei Durchbruchschmerzen verordnet. Durchbruchschmerzen sind von dauerhaften Schmerzen zu differenzieren, denn sie treten plötzlich und stark auf und sind nicht von Dauer. In Abhängigkeit von Basis- und Bedarfsme- dikation wird die Therapie täglich um 25 - 50 % gesteigert, unter Berücksichtigung von unerwünschten Nebenwirkungen, bis die optimale Dosis erreicht wird. In einigen Fällen kommt es zu einer unzureichenden Analgesie oder zu häufigen Nebenwirkungen, hier ist ein Opioid Wechsel indiziert (siehe Abschnitt 3.1). 4
Dabei wird eventuell eine erneute Opioid Titration in Betracht gezogen (Laufenberg-Feldmann et al. 2012). 1.1.2 Neurophysiologische Grundlagen Das Nervensystem des Menschen besteht aus dem zentralen Nervensystem (ZNS) und dem peripheren Nervensystem. Das ZNS setzt sich aus Gehirn und Rückenmark zusammen. Sie bestehen aus grauer und weißer Substanz. Gebil- det wird die graue Substanz aus Somata der Neurone, die in Gliazellen einge- bettet sind. Aus der grauen Substanz besteht die Oberfläche des Großhirns, auch Kortex genannt. Im Inneren gibt es größere und kleinere Kerngebiete oder Kerne (Nuclei). Vom Kortex nach innen schließt sich das Marklager an, welches aus weißer Substanz besteht. Im Marklager sitzen die Axone der Nervenzellen und die sie umgebenden Myelinscheiden. Diese werden im ZNS von den Oli- godendrozyten gebildet. Die graue Substanz im Rückenmark liegt schmetter- lingsförmig im Inneren. Hier unterscheidet man Vorder-, Seiten- und Hinterhör- ner. In diesen sitzen verschiedene Schichten von Nuclei. Die weiße Substanz umgibt die graue Substanz in Strängen (Kirsch 2018, 13). Eine Nervenzelle (Neuron) besteht aus dem Zellkörper (Soma), Dendriten und dem Axon (siehe Abb. 1). Der Zellkörper enthält alle klassischen Zellorganellen wie Zellkern, raues endoplasmatisches Reticulum, Golgi-Apparat und Mitochond- rien. Das Soma bildet die Schaltzentrale der Zelle und bildet zwei unterschiedli- che Typen von Fortsätzen aus. Zu den Fortsätzen gehören die Dendriten, die oft sehr stark verzweigt sind, daher werden alle Dendriten eines Neurons auch "Dendritenbaum" genannt. Soma und Dendriten bilden den reizaufnehmenden Teil des Neurons. Von jedem Neuron geht ein langer Fortsatz, das Axon, hervor. Dort, wo das Axon am Neuron entspringt, spricht man auch vom Axonhügel. In der Membran des Axonhügels sitzen spannungsgesteuerte Natriumkanäle, die für das Aktionspotenzial verantwortlich sind. Das Axon generiert hier den Reiz und leitet ihn weiter (Kirsch 2018). 5
Abbildung 1: Morphologie von Nervenzellen (Kirsch 2018). Die Signale, die über Soma und Dendriten aufgenommen werden, lösen eine Spannung aus. Erreicht diese Spannung ein Schwellenpotenzial, öffnen sich die spannungsabhängigen Natriumkanäle am Axonhügel und erzeugen ein Aktions- potenzial (Kirsch 2018). Synapsen wandeln das elektrische Signal des Aktionspotenzials an Axonendi- gungen in die Freisetzung von Neurotransmittern um. Gelangt ein Aktionspoten- zial an ein Axonende, öffnen sich die spannungsabhängigen Calciumkanäle. Dadurch verschmelzen die Vesikel mit der präsynaptische Membran. Durch die Verschmelzung der Vesikel werden die Neurotransmitter in den synaptischen Spalt freigesetzt. Die freigesetzten Neurotransmitter diffundieren durch den sy- naptischen Spalt zur postsynaptischen Membran (siehe Abb. 2). In der postsy- naptischen Membran befinden sich Neurotransmitterrezeptoren, an die die Neu- rotransmitter spezifisch binden können (Schlüssel-Schloss-Prinzip) (Kirsch 2018, 14–17). 6
Abbildung 2: Synaptische Übertragung (Kirsch 2018). Neuron A (links) empfängt einen Reiz über die Dendriten. Die aufgenommenen Reize werden im Soma summiert. Ab einem bestimmten Schwellenwert wird am Axonhügel (rot) ein Aktionspotenzial durch spannungsabhängige Na+-Kanäle ausgelöst. Das Akti- onspotenzial wandert zu den präsynaptischen Endigungen und setzt Neurotransmitter frei, die durch den synaptischen Spalt zur postsynaptischen Membran diffundieren (rechts). Die Neurotransmitter lösen dort postsynaptische Potenziale aus. Dieser Vor- gang wiederholt sich jetzt am nachgeschalteten Neuron B (unten) (Kirsch 2018, 21). Unterschieden werden die ionotropen Neurotransmitterrezeptoren von den me- tabotropen Neurotransmitterrezeptoren. Die NMDA-, AMPA- und KA-Glutamatre- zeptoren stellen ionotrope Neurotransmitterrezeptoren dar. Bei diesen handelt es sich um Liganden gesteuerte Ionenkanäle. Nach Bindung der Neurotransmitter am Rezeptor kommt es zu einer Konformationsänderung des Molekülkomplexes, dabei wird ein selektiver Ionenkanal geöffnet. Durch diesen fließen Ionen entlang des elektrochemischen Gradienten aus der Zelle hinaus oder in sie hinein. Durch diesen Vorgang wird das Potenzial des postsynaptischen Neurons depolarisiert oder hyperpolarisiert. Die metabotropen Neurotransmitterrezeptoren besitzen keine klassischen Ionen- kanäle. Neurotransmitter binden an diese Rezeptoren spezifisch und aktivieren oder hemmen genau definierte Enzymsysteme über G-Proteine. Diese Enzyme regulieren eine zweite Botensubstanz, sogenannte second-messenger. Die se- cond-messenger-Moleküle aktivieren oder hemmen Kanäle in der Membran des Neurons, sie sind also intrazelluläre Liganden. Bei Nozizeptoren spielen second- messenger-Systeme eine Rolle. 7
Bei Aktivierung der postsynaptischen Neurotransmitterrezeptoren kommt es zu postsynaptischen Potenzialen. Im somatodendritischen Teil der Zelle werden alle Impulse summiert. Bei Überschreitung eines Schwellenpotenzials öffnen sich die spannungsabhängigen Natriumkanäle am Axonhügel. Die entstehenden Aktions- potenziale werden im Axon weitergeleitet. Periphere Nerven enthalten keine Neurone, sondern nur Axone. Sie sind von Myelin umgeben. Die Schwann-Zellen sind gewickelt am Axon angeordnet. Zwischen zwei Schwann-Zellen liegt eine kleine Strecke frei, welche als Ranvier- Schürring bezeichnet wird (Kirsch 2018, 14–17). Nozizeptoren werden auch "Schmerznerven" genannt und sind für die Schmerzwahrnehmung essenziell. Nozizeptoren befinden sich in allen schmerz- empfindlichen Organen. Durch ihre fehlende morphologische Spezialisierung werden sie auch "freie Nervenendigungen" genannt (Kirsch 2018). Nozizeptoren besitzen einen peripheren und einen zentralen axonalen Zweig, der das Zielor- gan mit dem Rückenmark verbindet. Man unterscheidet zwei Hauptklassen der Nozizeptoren. Die Aδ-Nozizeptoren sind myelinisierte Afferenzen mit mittlerem Durchmesser, die den akuten "ersten" Schmerz vermitteln. Die C-Fasern sind klein und unmyelinisiert. Sie vermitteln den "zweiten" langsamen Schmerz (Basbaum et al. 2009). Die Hälfte der Hautnervenfasern dienen der Schmerzweiterleitung, wobei die pe- ripheren Nozizeptoren (Reizaufnehmer) durch thermische, chemische oder me- chanische Noxen aktiviert werden. Nozizeptoren tragen viele Rezeptoren. Zu die- sen Rezeptoren zählen ionotrope und metabotrope Rezeptoren, die second- messenger in der nozizeptiven Nervenendigung aktivieren können. Infolgedes- sen kommen durch die Öffnung von Ionenkanälen Potenzialänderungen zu- stande. Nozizeptoren können chemische Signale erkennen, die durch verletzte Zellen freigesetzt werden, also zum Beispiel Prostagladine oder Histamin (Kirsch 2018, 22–23). 8
1.1.2.1 Die Opioidrezeptoren Bei einer bestimmten Schmerzschwelle setzt der Körper Endorphine frei. Endor- phine zählen zu den endogenen Opioiden. Sie bestehen aus 31 Aminosäuren. Die Enkephaline, eine weitere Gruppe der endogenen Opioide, bestehen aus 5 Aminosäuren. Ihre Wirkung wird als morphinartig beschrieben (Geschwinde 2018, 462). Nach der Freisetzung von endogenen Opioiden kommt es zu einer Bindung die- ser an spezifischen Rezeptoren, die die Impulsweiterleitung hemmen und somit den Schmerz lindern. Ist der Einstrom an afferenten Schmerzimpulsen zu groß, können nur von außen zugeführte Opioide die Schmerzweiterleitung ausreichend unterdrücken. Somit sind exogene Opioide essenziell für die analgetische The- rapie. Sie greifen selektiv in der Schmerzleitung und -verarbeitung ein (Freye 2010, 37). In Abhängigkeit ihrer Wirkungsstärke lassen sich Opioide in Agonisten und Anta- gonisten unterscheiden. Agonisten binden genauso an ihren spezifischen Rezep- tor wie Antagonisten, sie haben jedoch die Eigenschaft, die Konformation des Rezeptors zu verändern. Antagonisten sind zwar in der Lage am spezifischen Rezeptor zu binden, jedoch lösen sie allein keine Konformationsänderung aus. Sie können lediglich einen am Rezeptor sitzenden Agonisten verdrängen (Freye 2010, 47). Opioide sind in der Lage, nur nach Bindung an ihre spezifischen Rezeptoren eine Wirkung auszulösen (Freye 2010). Die Opioidrezeptoren lassen sich in die Kate- gorien µ, κ und δ einteilen. Sie unterscheiden sich erneut in Subkategorien, die in dieser Arbeit jedoch keine Bedeutung finden. An diesen Rezeptoren binden spezifische Opioide und sorgen für die analgetische Wirkung. Zu finden sind Opi- oidrezeptoren vor allem in Regionen der Schmerzverarbeitung, im Hirnstamm zur Kontrolle vegetativer Funktionen und im limbischen System (Lemmer und Brune 2010, 70). Das limbische System kontrolliert Affekte, Gefühle und Motivation (Roth 2004). Damit ein Ligand an einem Opioidrezeptor binden kann, muss er bestimmte Vo- raussetzungen erfüllen. Vor allem die nötige Dosis hat einen Einfluss auf die 9
Affinität zum Opioidrezeptor und der Erzielung der gewünschten Wirkung. Diese steht mit der Größe und Form des Moleküls und der Anpassung von Atomen zur Oberfläche des Rezeptors in Zusammenhang. Die Affinität eines Liganden ist umso größer, je besser er an den Rezeptor passt (Schlüssel-Schloss-Prinzip). Opioide lösen nach Bindung am Rezeptor eine Konformationsänderung der transmembranen Helix des Opioidrezeptors aus. Die interhelikale Kraft hält den Rezeptor zusammen und kann durch den Liganden gebrochen werden. Der Re- zeptor wird in einen funktionellen Zustand umgewandelt, der in die Öffnung eines Ionenkanals mündet. Dies nennt man auch intrinsische Aktivität eines Opioids. Sind Affinität und intrinsische Aktivität hoch, wird eine starke analgetische Wir- kung ausgelöst. Je stärker das Opioid am Rezeptor bindet, desto länger hält die Wirkung an. Man spricht auch von einem stabilen Pharmakon-Rezeptor-Kom- plex. Partialagonisten sind sehr affin. Sie haben eine geringe intrinsische Aktivität und besetzen ihre Rezeptoren nur in geringem Ausmaß. Vollagonisten besetzen ihre Rezeptoren in voller Stärke und erreichen ihre höchste Wirkung bereits bei einer Besetzung von 2 – 10 % der Rezeptoren. Eine Dosissteigerung würde die Wir- kung also nicht erhöhen. Bei Partialagonisten muss also eine höhere Dosis ver- abreicht werden, um eine hohe Wirkung zu erzielen. Einige Opioide, zum Beispiel Buprenorphin, weisen aufgrund ihrer hohen Lipophilie trotz ihrer mittleren intrin- sischen Aktivität eine hohe analgetische Wirkung auf. Durch die hohe Lipophilie hat Buprenorphin eine leichte und schnelle Passage durch die Blut-Hirn- Schranke. Außerdem fördert die Lipophilie die Verteilung in fettreiches Körperge- webe. Dieser sogenannte Depoteffekt sorgt für eine lange Wirkungsdauer. Auch Antagonisten können am Opioidrezeptor binden. Sie sind in der Lage die Wirkung eines Agonisten zu antagonisieren. Agonisten und Antagonisten unterscheiden sich pharmakologisch voneinander durch geringe Veränderungen an den Seiten- ketten (Freye 2010, 47). 10
1.1.2.2 Das Endocannabinoid-System Das Endocannabinoid-System (ECS) ist ein körpereigenes Signalsystem, das durch die Entdeckung von THC aufgeklärt wurde (Grotenhermen und Müller-Vahl 2020). Das ECS zeigt Relevanz bei der Entwicklung des Gehirns und von Synap- sen. Die Primärfunktion ist der Ausgleich von physiologischen Funktionen, also der Homöostase. Das ECS reguliert zum Beispiel Funktionen wie Schlaf, Appetit, Schmerz, Entzündung, Gedächtnis, Stimmung oder Fortpflanzung (Bat- tista et al. 2012, 3). Das ECS ist Teil des Nervensystems. Die Hauptbestandteile sind die Endocan- nabinoid-Rezeptoren, die Endocannabinoide und die Enzyme, die für Synthese und Abbau der Endocannabinoide verantwortlich sind (Lu und Mackie 2016). Zu den primären Rezeptoren zählt der Cannabinoid-Rezeptor 1 (CB1) und der Cannabinoid-Rezeptor 2 (CB2). Beide Rezeptoren stellen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren dar. Die CB1-Rezeptoren sind hauptsächlich in Nervenzellen des ZNS und des peripheren Nervensystems zu finden. Vorranging sind sie im Gehirn lokalisiert, unter anderem in den Basalganglien, im Kleinhirn und im Hippocam- pus, aber auch im Nervensystem des Darms. Cannabinoide entfalten ihren psychoaktiven Effekt zum großen Teil über die CB1-Rezeptoren. Die CB2-Rezep- toren befinden sich hauptsächlich in Immunzellen, in geringen Teilen aber auch im ZNS (Boggs et al. 2018, 142–143). Endocannabinoide binden an die Endocannabinoid-Rezeptoren (Boggs et al. 2018, 142–143). Sie sind endogene Lipide und in Lipidmembranen lokalisiert. Ihre Wirkung in verschiedenen biologischen Prozessen wird ähnlich wie die Wir- kung von THC beschrieben (Battista et al. 2012, 1). Die hohe Lipophilie der En- docannabinoide sorgt für eine gute Passage durch die Membranen, deshalb kön- nen sie nicht in Vesikeln gespeichert werden (Grotenhermen und Müller-Vahl 2020, 63). Durch enzymatische Schritte werden sie freigesetzt und in den extra- zellulären Raum abgegeben (Lu und Mackie 2016). Bisher wurden zwei primäre Endocannabinoide identifiziert. Diese sind die Ananamide (AEA) und 2-Arachi- nonoyl-glycerol (2-AG) (Lu und Mackie 2016). Die Endocannabinoide sind Ab- kömmlinge der Fettsäure Arachidonsäure, bestehend aus 20 Kohlenstoffatomen 11
und vier Doppelbindungen (siehe Abb. 3). Sie werden enzymatisch hergestellt (Grotenhermen und Müller-Vahl 2020, 62–63). Abbildung 3: Chemische Struktur von AEA und 2-AG (Grotenhermen und Müller-Vahl 2020, 63). Die wichtigsten Enzyme, die für die Synthese der Endocannabinoide verantwort- lich sind, sind NAPE-PLD für die Synthese von AEA und DAGL für die Synthese von 2-AG. Mit Ende ihrer biologischen Aktivität recycelt das Enzym FAAH das Endocannabinoid AEA und MAGL das Endocannabinoid 2-AG (Battista et al. 2012, 1). Die Endocannabinoide AEA und 2-AG unterscheiden sich in ihrer intrinsischen Aktivität. 2-AG als hochwirksamer Agonist bindet an CB1- und CB2-Rezeptoren. AEA bindet als schwach wirksamer Agonist an CB1- und CB2-Rezeptoren. In Be- reichen, in denen wenige Rezeptoren vorhanden sind, kann AEA die Wirkung starker Agonisten antagonisieren (Lu und Mackie 2016). Beide Endocannabinoide wirken als retrograde Botenstoffe an den Synapsen des ZNS. Nach Freisetzung dieser aus dem postsynaptischen Neuron diffundieren sie retrograd in das präsynaptische Neuron, wo sie am CB1- und CB2- Rezeptor binden. Die Bindung und Aktivierung von CB1 und CB2 hemmt die Aktivierung der Adenylatcyclase und bestimmten spannungsabhängigen Calciumkanälen. Die A- denylatcyclase gehört zu den molekülspaltenden Enzymen im Organismus. Au- ßerdem werden die Proteinkinase A und nach innen gerichtete Kaliumkanäle ak- tiviert. Durch diesen Vorgang wird die Freisetzung von Neurotransmittern im prä- synaptischen Neuron gehemmt (Lu und Mackie 2016). 12
1.1.2.3 Das enterische Nervensystem Der Darm beeinflusst mit seiner Länge von etwa 6 m und einer Oberfläche von 200 m2 maßgeblich unsere Gesundheit und enthält mehr Nervenzellen als das Gehirn (Uhlemann 2006, 244). Das enterische Nervensystem (ENS) des Men- schen umfasst etwa 5 x 108 Nervenzellen und ist neben dem Sympathikus und Parasympathikus ein Teil des autonomen Nervensystems (Ger- shon und Rao 2016). Der Magen-Darm-Trakt ist das einzige Organ des Menschen, das ein eigenes Nervensystem ausgebildet hat (Spencer und Hu 2020). Die primäre Aufgabe ist die Aufrechterhaltung der Funktionen des gastrointestinalen Traktes ohne Ein- fluss des ZNS (Gershon und Rao 2016). Das ENS besteht aus einem komplexen Geflecht von Neuronen, welche den ge- samten gastrointestinalen Trakt durchziehen. Man differenziert das Nervenge- flecht Plexus myentericus zwischen der Ring- und Längsmuskulatur vom Nerven- geflecht Plexus submucosus in der Mukosa. Die Neurone liegen in dünnen Schichten zwischen den Muskelzellen (Spencer und Hu 2020). Das ENS arbeitet vollständig autonom, steht jedoch unter Einfluss von Sympa- thikus und Parasympathikus. Die Peristaltik im Darm wird durch die glatte Mus- kulatur generiert. Neben den Neuronen gibt es Schrittmacherzellen. Schrittma- cherzellen gehören zu den interstitiellen Zellen und sorgen für regelmäßige De- polarisationen, die durch die glatte Muskulatur weitergeleitet werden. Zustande kommen die Depolarisationen durch zeitweise Erhöhungen der Natrium- und Cal- ciumleitfähigkeit in den Schrittmacherzellen. Durch den Calciumeinstrom durch die spannungsabhängigen Calciumkanäle kommen Aktionspotenziale zustande, die in gleichmäßige Darmbewegungen resultieren (Uhlemann 2006, 245). Intestinofugale Neurone reagieren primär auf Längenänderungen des Darms, sie überwachen das intrakolonische Volumen (Spencer und Hu 2020). Im Darm sind inhibitorische und exzitatorische Neurotransmitter zu finden. Zu den inhibitorischen Neurotransmittern zählt zum Beispiel das vasoaktive intersti- nale Peptid. Serotonin und Dopamin zählen zu den exzitatorischen Neurotrans- mittern. Der wichtigste exzitatorische Neurotransmitter im ENS ist Acetylcholin, 13
das an den nikotinischen Rezeptoren an enterischen Neuronen bindet (Spencer und Hu 2020). 14
1.2 Opioide 1.2.1 Herkunft und Eigenschaften Opioide sind die wirkungsvollsten Medikamente in der analgetischen Therapie und leiten sich primär aus den Alkaloiden ab. Opiate sind die natürlichen aus dem Opium extrahierten Alkaloide. Sie charakterisieren sich durch eine morphinartige Wirkung. Opioide stellen alle exogen zuführbaren, halbsynthetischen oder voll- synthetischen Substanzen dar (Freye 2010, 37). Opioide stellt ein Sammelbegriff für alle Verbindungen dar, die an den Opioidrezeptoren wirken. Sie sind chemisch heterogen (Sukdeb et al. 2008, 2). Opiate werden für medizinische Zwecke aus dem Schlafmohn (Papaver somni- ferum) extrahiert. Der Schlafmohn wächst in gemäßigten Klimazonen, wo er mit wenig Wasser auskommt. Dazu gehört der Mittelmeerraum, sowie Gebirgszonen Asiens (Geschwinde 2018, 395). Der aus den unreifen Fruchtkapseln gewon- nene Milchsaft wird nach dem Trocknen zu Opium und enthält folgende Hauptal- kaloide: Morphin (10-17 %), Codein (0,7-4 %), Thebain (0,5-2 %) und Benzyliso- quinoline (Freye 2010). Opioide lassen sich nach ihrer Wirkung klassifizieren. Differenziert wird zwischen Agonisten, Antagonisten und Partialagonisten. Die meisten Opioide zählen zu den Agonisten und entfalten ihre Wirkung durch Bindung an Opioidrezeptoren. Sie besitzen Affinität und eine hohe Wirksamkeit. Die Antagonisten besitzen eine hohe Affinität zu den Rezeptoren, entfalten aber keine Wirksamkeit. Sie sind also in der Lage an den Opioidrezeptoren zu binden, dort eliminieren sie lediglich die Agonisten und kehren ihre Wirkung um. Die par- tiellen Agonisten besitzen eine Affinität zu den Rezeptoren und eine partielle Wirksamkeit (Sukdeb et al. 2008, 6–9). In der Analgesie finden verschiedene Opioide Anwendung. Morphin als langwirk- sames Opioid findet Einsatz bei mittelstarken bis starken Schmerzen und bindet an µ-Rezeptoren. Oxycodon wirkt an verschiedenen Opioid-Rezeptoren haupt- sächlich im ZNS und findet Anwendung bei mittelstarken Schmerzen. Durch 15
Bindung an µ- und δ-Rezeptoren bewirkt Hydromorphon eine Analgesie bei mit- telstarken Schmerzen. Durch den First-pass-effect in der Leber bei oraler Ein- nahme wird ein Großteil bereits dort metabolisiert. Methadon wirkt als Agonist am µ-Rezeptor und als Antagonist am NMDA-Rezeptor. Durch seine hohe Lipophilie kann es ins Fettdepot eingelagert werden und ist dort sehr lange wirksam. Fentanyl zeichnet sich durch seine hohe Lipophilie aus und ist ein starker Agonist am µ-Rezeptor. Buprenorphin als partieller Agonist ist durch seine hohe Lipophi- lie und sublinguale Bioverfügbarkeit charakterisiert. Nach Verabreichung tritt die Wirkung sehr schnell ein und erreicht nach etwa zwei Stunden sein Wirkungsma- ximum (Sukdeb et al. 2008, 16). Naloxon und Naltrexon gehören zu den Opioid- Antagonisten. Sie binden an den Opioidrezeptoren und können die Wirkung der Agonisten antagonisieren (Meissner et al. 2003, 828). Durch den First-pass- effect gelangt Naloxon nur in geringen Mengen ins ZNS. Dadurch wird die durch Agonisten ausgelöste Analgesie nicht verringert, jedoch kann die Wirkung der Agonisten auf das ENS durch Naloxon reduziert werden (Azzam et al. 2019). Morphin enthält einen Benzolring und eine phenolische Hydroxylgruppe an Posi- tion 3. Weiterhin enthält es eine Alkoholhydroxylgruppe an Position 6. Beide Hyd- roxylgruppen können in Ester oder Ether umgewandelt werden. Veränderungen der Methylgruppe am Stickstoffatom (rot eingekreist) können zu einer Verringe- rung der Analgesie führen (siehe Abb. 4) (Sukdeb et al. 2008, 2). 16
Abbildung 4: Struktur von Morphin (Sukdeb et al. 2008, 2). 1.2.2 Rechtliche Grundlagen Nach Geschwinde (2018) werden Betäubungsmittel als Stoffe definiert, die se- dierende und betäubende Eigenschaften aufweisen. Im Betäubungsmittelgesetz werden nach den Anlagen I bis III §1 Abs. 1 BtMG alle Stoffe und Zubereitungen definiert, die unter den Begriff fallen. Dazu zählen auch Opioide und Cannabino- ide. Bereits im Jahr 1912 wurde über das Internationale Opiumabkommen verhan- delt, das den Missbrauch von Opium, Morphin und anderer Derivate unterdrü- cken sollte. Heute findet dieses Abkommen nur noch Anwendung in der Schweiz. In Deutschland wurde das Abkommen durch das Opiumgesetz abgelöst, welches im Jahr 1981 in das heutige Betäubungsmittelgesetz umbenannt wurde. Nach §3 Abs. 2 BtMG wird die Erlaubnis zum Anbau, Handel und Verkehr mit Betäubungsmitteln geregelt. Stoffe aus den Anlagen III gelten zu den verschrei- bungspflichtigen verkehrsfähigen Arzneimitteln. Diese dürfen nach §13 Abs. 3 BtMG nur mit Begründung verabreicht oder verschrieben werden. Eine Begründung liegt dann nicht vor, wenn der erwünschte Zweck auch anders erzielt werden kann. Im §19 Abs. 4 BtMG setzt das Bundesinstitut für Arzneimittel und 17
Medizinprodukte die Überwachung des Verkehrs und der Herstellung von Betäu- bungsmitteln fest. Die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV), die 1998 in Kraft ge- treten ist, beschreibt den Umgang mit verkehrsfähigen verschreibungspflichtigen Betäubungsmitteln nach Anlage III BtMG. §1 BtMVV legt fest, dass Betäubungs- mittel die unter Anlage III BtMG fallen, nur als Zubereitungen verschrieben wer- den dürfen. Nach §2 BtMVV werden die Höchstmengen festgelegt, die der Arzt verordnen und nur mit Begründung von dieser abweichen darf. Eine Verordnung ist nach §8 BtMVV nur auf dem Betäubungsmittel-Rezept, ein amtliches dreiteili- ges Formblatt, zulässig. Für dieses hat der Arzt eine Aufbewahrungspflicht von drei Jahren. Die Angaben, die auf dem BtM-Rezept erfolgen müssen, sind in §9 BtMVV beschrieben. Folgende Angaben sind zwingend erforderlich: Patien- tendaten, Ausstellungsdatum, Arzneimitteldaten und Menge, Gebrauchsanwei- sung für den Patienten, Daten und Unterschrift des verschreibenden Arztes. 18
1.3 Exogene Cannabinoide 1.3.1 Herkunft und Eigenschaften Zu den exogenen Cannabinoiden gehören Phytocannabinoide wie THC und CBD und synthetisch hergestellte Cannabinoide. Sie binden an die Endocannabinoid- Rezeptoren im ECS (Boggs et al. 2018, 143). Bereits vor vielen Jahrhunderten war der Anbau der Hanfpflanze (Cannabis sa- tiva) europaweit verbreitet und ihre Hanffasern stellten eine wichtige Rohstoff- quelle für die Textilindustrie und Schifffahrtstechnik dar. Mit zunehmender Be- deutung des Baumwollimports sank das Interesse an den Hanffasern. Trotz neuer Hanfsorten, die einen niedrigen Gehalt an THC und eine hohe Faseraus- beute hatten, wurde der Anbau im Jahr 1982 mit Geltung des Betäubungsmittel- gesetztes verboten und nur noch in Ausnahmefällen genehmigt. Seit 2015 stei- gen die Anbauflächen für Hanf wieder enorm. Die Samen der Pflanze finden viel- seitig Anwendung in der Lebensmittelindustrie. Auch der nicht-psychoaktive Wirkstoff CBD aus den Blättern und Blüten der Pflanze findet Anwendung in frei verkäuflichen Medizinprodukten. Cannabispräparate werden entweder durch Rauch oder Verdampfung inhaliert oder oral eingenommen (Grotenhermen und Müller-Vahl 2020, 75). Die aus der Hanfpflanze isolierten Phytocannabinoide THC und CBD sind die bedeutendsten Cannabinoide in der Medizin (Boggs et al. 2018, 142). THC wirkt als partieller Agonist an den Endocannabinoid-Rezeptoren. Am CB1- Rezeptor bewirkt er eine psychoaktive Wirkung durch die erhöhte Freisetzung von Dopamin. Am CB2-Rezeptor beobachtet man eine entzündungshemmende Wirkung (Boggs et al. 2018, 143). Obwohl die Endocannabinoide und THC an die Endocannabinoid-Rezeptoren binden, weisen sie keine ähnlich chemische Struktur auf (siehe Abb. 5). THC zählt wie AEA und 2-AG zu den Lipiden, ist al- lerdings ein Isoprenoid und kein Abkömmling der Arachidonsäure (siehe Abb. 5) (Grotenhermen und Müller-Vahl 2020, 63). 19
Abbildung 5: Chemische Struktur von THC (Grotenhermen und Müller-Vahl 2020, 63). Es wird angenommen, dass CBD als Antagonist an den CB1- und CB2-Rezepto- ren wirkt. Weiterhin wird vermutet, dass CBD auch an Rezeptoren binden kann, die sich nicht im ECS befinden (Lucas et al. 2018, 2477). CBD ist in der Lage, die Konzentration des Endocannabinoids AEA durch Hemmung des Enzyms FAAH zu erhöhen (Hoch et al. 2019, 18). CBD hat im Gegensatz zu THC keine psychoaktive Wirkung (Boggs et al. 2018, 144). Cannabisbasierte Medikamente finden zum Beispiel Einsatz bei chronischen und neuropathischen Schmerzen. Aber auch bei Spastiken durch Multiple Sklerose und bei Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen ausgelöst durch andere Grun- derkrankungen. Aktuell verfügbare Medikamente enthalten einen THC-Gehalt von 1 – 23 %. Neben Cannabidiol, Cannabisblüten und Cannabisextrakten sind auch Dronabinol und die Fertigarzneimittel Nabilon und Nabiximol verschrei- bungsfähig. Dronabinol bezeichnet das Cannabinoid THC und wird in der Regel als Tropfenlösung oder Kapsel verordnet. Nabilon ist ein synthetisch hergestell- tes Cannabinoid, das ähnlich wie Dronabinol wirkt. Nabiximol enthält CBD und THC im Verhältnis von etwa 1:1 (Müller-Vahl 2018). Präparate, die THC und CBD als Wirkstoff kombinieren, können auch hohe Dosen THC ermöglichen, da CBD die psychoaktive Wirkung antagonisieren kann (Boggs et al. 2018). 20
1.3.2 Rechtliche Grundlagen Cannabinoide fallen nach §1 Abs. 1 Anlage I bis III BtMG unter die Betäubungs- mittel (siehe Abschnitt 1.2.2). Hier gilt die Ausnahme, dass Cannabis, welches als Stoff unter Anlage I fällt, nur zu wissenschaftlichen oder in öffentlichen Inte- resse liegenden Zwecken angebaut werden darf. Seit dem 1. März 2017 zählen Cannabisblüten und Extrakte aus Cannabis zu den verkehrsfähigen Stoffen und dürfen über das Betäubungsmittel-Rezept verordnet werden. In der BtMVV wer- den keine Indikationen genannt, unter denen Cannabis verordnet werden darf. Es gelten die allgemeinen Regelungen, dass Cannabis nur dann verordnet wer- den darf, wenn eine andere allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder es erwartend spürbar po- sitive Effekte auf Nebenwirkungen oder Krankheitsverlauf gibt. Verschrieben wer- den dürfen 100 Gramm Cannabis in 30 Tagen mit einer Höchstmenge von 23 % THC. Verordnet werden können allerdings nur Cannabissorten aus Kanada oder den Niederlanden (Grotenhermen und Müller-Vahl 2017). Die gesetzliche Krankenkasse muss vor Behandlungsbeginn die Behandlung mit Cannabis genehmigen, falls diese zu ihren Lasten erfolgen soll. Abgelehnt wer- den dürfen die Anträge nur in begründeten Ausnahmefällen. Nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) muss diese innerhalb von 3 – 5 Wochen über den Antrag entscheiden. In Ausnahmefällen, zum Beispiel bei einer ambulanten Palliativversorgung, verkürzt sich die Frist für eine Geneh- migung auf drei Tage. Eine Verordnung auf einem Privatrezept zu Lasten des Patienten kann erfolgen, wenn die Kriterien für eine Verordnung erfüllt sind (Gro- tenhermen und Müller-Vahl 2017). In anderen Ländern sieht die Gesetzeslage anders aus. In den USA ist der legale medizinische Cannabiskonsum in 29 Bundesstaaten und Distrikten erlaubt, der Freizeitkonsum jedoch nur in sieben. Dazu zählen Alaska, Kalifornien, Colorado, Maine, Massachusetts, Oregon, Washington und Washington D.C. In Europa ist der therapeutische Einsatz von Cannabis nur in Deutschland, den Niederlanden und in Italien legal. In Spanien ist lediglich der Konsum von Can- nabis an sichtbaren Orten ein schweres, strafbares Vergehen. So gibt es in 21
Spanien unzählige "Social-Clubs", die eine legale Alternative zum Anbau und Konsum von Cannabis bieten (Papaseit et al. 2018, 1287). 22
2 Methodik Es wurde eine systematische Literaturrecherche im Zeitraum von Anfang Juni bis Anfang August durchgeführt. Dabei wurde in verschiedenen Fachdatenbanken und wissenschaftlichen Suchmaschinen recherchiert. Die Recherche wurde in folgenden Datenbanken durchgeführt: Online-Bibliothek der Hochschule Rhein- Waal, PubMed, Medline und Google Scholar. Für die Bearbeitung des theoretischen Teils wurden verschiedene Suchbegriffe einzeln oder in Kombination verwendet. Eingegeben wurden diese in englischer und in deutscher Sprache, um die Aktualität internationaler Quellen zu nutzen. Zu den Suchbegriffen zählten: Betäubungsmittelgesetz, Betäubungsmittel-Ver- schreibungsverordnung, Botanik, Cannabinoide, Cannabinoid-Rezeptoren, CBD, Chronische Schmerzen, Endogene Cannabinoide, Enterisches Nervensystem, Herkunft, Neurophysiologie von Schmerzen, Opioide, Schmerztherapie, Opioid- Rezeptoren, Pharmakologie, Schmerzen und THC. Zur Beantwortung der Forschungsfrage und zur Auswahl geeigneter Studien wur- den über PubMed und Medline Voreinstellungen getroffen, um passende Datens- ätze zu finden. Ausgewählt wurde die Sprache in Deutsch oder Englisch und ein Zeitraum von 2010 bis 2021, um nur aktuelle Daten zu erhalten. Außerdem wurde die Humanforschungen ausgewählt, um tierische Studien auszuschließen. Die Suchbegriffe wurden nur in englischer Sprache eingegeben, um mehr Suchtreffer zu erzielen: adverse effects, analgesia, bowel, cannabinoids, chronic pain, de- pendency potential, dronabinol, emesis, gastrointestinal, medical use, nabilone, nabiximols, opioids und side effects. Über die MeSH Suche zum Begriff cannabi- noids wurden folgende Begriffe zum PubMed Search Builder hinzugefügt, um genauere Ergebnisse zu erzielen: adverse effects, pharmacology, pharmacoki- netics, physiology, poisoning und therapeutic use. Die Auswahl der Studien wurde anhand der PRISMA-Struktur vorgenommen. Durch die Eingabe zuvor erwähnter Suchbegriffe ließen sich insgesamt 489 Stu- dien aus PubMed und Medline identifizieren. 425 Studien wurden nach Durch- führung eines Titel-Screenings entfernt. Die verbliebenen 64 Studien wurden ge- prüft und in die Literaturdatenbank importiert. 5 Datensätze wurden aufgrund des nicht vorhandenen Volltextes ausgeschlossen. Von den übrigen 59 Volltexten 23
wurden 42 Volltexte ausgeschlossen. Darunter befanden sich 12 Studien mit ei- ner zu geringen Populationsgröße. Außerdem ausgeschlossen wurden 20 Stu- dien, bei denen die Patienten gleichzeitig weitere Arzneimittel einnahmen, die für die Erstellung dieser Arbeit nicht von Relevanz waren. Bei 6 der ausgeschlosse- nen Volltexte handelte es sich um systematische Reviews und 4 Volltexte wurden ausgeschlossen, da es sich um Studien an Kindern handelte. Für diese Arbeit waren lediglich klinische Studien an Erwachsenen relevant. Schlussendlich wur- den 17 Studien in diese Arbeit zur Beantwortung der Forschungsfrage aufgenom- men. 24
3 Ergebnis 3.1 Wirkungen und Nebenwirkungen von Opioiden in der analgeti- schen Therapie Zur Untersuchung der Wirkung von Opioiden bei chronischen Tumorschmerzen (Corli et al. 2016) wurden Opioide der WHO Stufe III, darunter orales Morphin, orales Oxycodon, transdermales Fentanyl und transdermales Buprenorphin ver- wendet. Den Patienten wurde eines der Opioide für eine Dauer von 28 Tagen verabreicht. Lediglich bei 22 – 26,4 % der Patienten schlug die Therapie gut an, andere Patienten mussten einen Therapiewechsel oder -abbruch vornehmen. Unter Gabe von Morphin wechselten 22 % die Therapie und nahmen zusätzlich adjuvante Analgetika ein. Eine Dosissteigerung wurde aufgrund unzureichender Analgesie bei fast allen Patienten, die Fentanyl einnahmen vorgenommen. Unter Oxycodon mussten 12 % der Patienten die Therapie abbrechen oder wechseln und unter Buprenorphin war in fast allen Fällen die Verabreichung eines zusätz- lichen Opioids erforderlich. Schlussendlich erzielten alle Opioide nach Anpas- sung der Therapie eine analgetische Wirkung, die als worst pain intensity gemes- sen wurde (siehe Tabelle 1). Tabelle 1 zeigt die erfassten Werte der erzielten Analgesie an Tag 1 und Tag 28. Dabei ist zu beobachten, dass Morphin mit - 48,7 % die höchste analgetische Wirkung aufweist. Die zweithöchste Analgesie erzielte Buprenorphin mit einer Schmerzlinderung von 47,5 %, gefolgt von Fentanyl mit - 45,1 % und Oxycodon mit - 43,0 %. (Corli et al. 2016). 25
Tabelle 1: worst pain intensity zu Beginn und zum Ende der Opioidtherapie (Corli et al. 2016) Eingesetztes Opioid: worst pain intensity worst pain intensity Zu Beginn der Therapie zum Ende der Therapie Morphin 7,8 4,0 Oxycodon 7,9 4,5 Buprenorphin 8,0 4,2 Fentanyl 8,2 4,5 Weiterhin wurde die Analgesie von Oxycodon und Naloxon bei Patienten mit nicht-tumorbedingten chronischen Schmerzen untersucht (Hwang et al. 2018). Verwendet wurde eine Kombitherapie aus Oxycodon und Naloxon. Das Primär- ziel war die Reduktion der durch Opioide am häufigsten verursachte Nebenwir- kung Obstipation durch den Opioid-Antagonisten Naloxon. Verwendet wurden 10 – 80 mg Oxycodon und 5 – 40 mg Naloxon täglich über einen Zeitraum von acht Wochen. 42,8 % der Patienten benötigten zweimal täglich 10 mg Oxycodon und 5 mg Naloxon. 42,1 % der Patienten nahmen zweimal täglich 5 mg Oxyco- don und 2,5 mg Naloxon ein. Nur 14,5 % der Patienten nahmen zweimal täglich 20 mg Oxycodon und 10 mg Naloxon ein und lediglich bei 0,6 % der Patienten war die Einnahme von 40 mg Oxycodon und 20 mg Naloxon zweimal täglich er- forderlich. Die Schmerzintensität der Patienten wurde anhand der Numerical-Ra- ting-Scale (NRS) erfasst (wobei 0 = kein Schmerz und 10 = stärkster Schmerz) und betrug zu Studienbeginn 6,5 ± 1,4. In Woche acht konnte die Schmerzinten- sität durchschnittlich um 25,9 % reduziert werden und zeigte ei- nen Wert auf der NRS von 4,8 ± 2,0. Ein weiteres Ziel der analgetischen Therapie ist die Verbesserung der Lebens- qualität. Gemessen wurde diese anhand des mittleren EuroQol-fünfdimensiona- len Fragebogens und betrug zu Studienbeginn 0,40 ± 0,30. Erhöht wurde der Wert in Woche acht um 37,5 % und wies einen Wert von 0,55 ± 0,30 auf. Somit konnte durch die Kombitherapie mit Oxycodon und Naloxon sowohl die 26
Schmerzintensität gelindert, als auch die Lebensqualität verbessert werden (Hwang et al. 2018). Zusätzlich wurden die Effekte von Opioiden und Nicht-Opioiden bei Patienten mit chronischen Rücken- und Arthroseschmerzen analysiert (Krebs et al. 2018). Über zwölf Monate wurde die Wirkung der Arzneimittel in Form einer Treat-to- Target Therapie untersucht. Bei einer Treat-to-Target Therapie wird der Thera- pieverlauf regelmäßig kontrolliert und frühzeitig angepasst. Die Opioid-Gruppe nahm während des Zeitraums Morphin, Oxycodon oder Hydrocodon ein. Die Nicht-Opioid-Gruppe nahm Paracetamol oder ein nicht-steroidales entzündungs- hemmendes Medikament ein. Festgehalten wurden die Ergebnisse mit Hilfe der Brief Pain Inventory Skala (BPI), die von 0 bis 10 reicht. Gemessen wurde zu Beginn die schmerzbezogene Beeinträchtigung der Patienten. Diese lag in der Opioid-Gruppe bei 5,4 ± 1,8 und verbesserte sich nach zwölf Monaten auf 3,4 ± 2,5. Die Nicht-Opioid Gruppe wies zu Beginn eine Beeinträchtigung von 5,5 ± 2,0 auf und verbesserte sich auf 3,3 ± 2,6. Die Schmerzintensität der Opi- oid-Gruppe lag zu Beginn der Studie bei 5,4 ± 1,5 und sank in Monat zwölf auf 4,0 ± 2,0. Die Nicht-Opioid-Gruppe erfasste zunächst einen Wert von 5,4 ± 1,2 und sank auf 3,5 ± 1,9 in Monat zwölf. Die Ergebnisse zeigen, dass Opioide die Schmerzen nur minimal im Gegensatz zu Nicht-Opioiden linderten, da der durch- schnittliche Unterschied in beiden Gruppen bezogen auf Schmerzintensität ledig- lich 0,5 Punkte auf der Skala ausmacht. (Krebs et al. 2018). Um die verschiedenen Applikationsformen der Opioide zu erörtern, wurden trans- dermale Buprenorphin Pflaster mit sublingualen Buprenorphin Tabletten vergli- chen (James et al. 2010). Alle eingeschlossenen Patienten wiesen chronische Schmerzen aufgrund von Gonarthrose oder Koxarthrose auf. Zu Beginn und während der Studie schätzten die Patienten ihre Schmerzintensität auf einer Skala ein (0 = kein Schmerz, 10 = größter anzunehmender Schmerz). Tabelle 2 fasst die mittleren Schmerzintensitäten zu Studienbeginn und in Woche 4 zusam- men. Zu beobachten ist kein signifikanter Unterschied in der analgetischen 27
Sie können auch lesen