Carsten Morgenroth und Barbara Wieczorek Zwischenbilanz zum Corona-Hochschulrecht aus Sicht der Hochschulpraxis, Teil I - Online-Lehre
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Carsten Morgenroth und Barbara Wieczorek Zwischenbilanz zum Corona-Hochschulrecht aus Sicht der Hochschulpraxis, Teil I – Online-Lehre Übersicht hin konnten im Verlaufe des Sommersemesters 2020 ers- I. Einleitung te Erfahrungen mit der online-Lehre und einem II. Praxisfragen im Zusammenhang mit online-Lehre Prüfungszeitraum im online-Format gesammelt wer- 1. Vorüberlegungen zum Softwaresystem den.4 a. Beschaffung Nach einer Beruhigung der Infektionslage über den b. Datenschutzrechtliche Vorüberlegungen Sommer 2020, die mit Lockerungen der Infektions- 2. Vorüberlegungen für Lehrende schutzmaßnahmen verbunden war,5 stiegen die Zahlen a. Überlegungen zur inhaltlichen und didaktischen Gestaltung der positiven Testergebnisse deutschlandweit wieder er- b. Verwendung von open access-Inhalten heblich an. Es galt deshalb, die Erkenntnisse und Erfah- c. Information der Studierenden über die Funktionsweise des rungen der vergangenen Monate zu konsolidieren, sich Systems intensiv mit den Ausgestaltungen des online-Hochschul- d. Sicherung der Lehrmaterialien gegen Missbrauch betriebs zu befassen und diese in einem sinnvollen Maß 3. Fehlverhalten der Studierenden dauerhaft zu integrieren. a. Staatliches Recht Diese Abhandlung unternimmt daher den Versuch, b. Hochschulrecht die Fortentwicklung des Rechts der online-Lehre nach III. Ergebnisse derzeitigem Stand aufzuarbeiten. Teil 2 wird dann neben einigen grundlegenden Fragestellungen den aktuellen Zwischenstand für online-Prüfungen beleuchten. Hof- I. Einleitung fentlich kann damit ein kleiner Beitrag geleistet werden, den derzeit nur begrenzt möglichen kollegialen Aus- Die Corona-Pandemie hat auch das deutsche Hoch- tausch zu befördern. schulleben in kürzester Zeit stark verändert.1 Die Mitte März 2020 in Deutschland beginnenden Maßnahmen, II. Praxisfragen im Zusammenhang mit online-Lehre Kontakte zu beschränken und Mindestabstände einzu- richten, hatte dabei erhebliche organisatorische und Obwohl die online-Lehre kein neuartiges Phänomen in rechtliche Konsequenzen. Innerhalb weniger Wochen der deutschen Wissenschaftslandschaft ist,6 hat die hatten die Hochschulen die Aufgabe, das anstehende Corona-Situation den Bedarf danach und damit den Sommersemester 2020 über online-Angebote zu Lehre Klärungsbedarf bezüglich seiner rechtlichen Dimensio- und Prüfung abzusichern.2 Diese Absicherung ließ sich nen erheblich erhöht. Aus der praktischen Innensicht nur mit einer intensiven Kraftanstrengung aller Beteilig- sollen deshalb die wesentlichen Aspekte angeschnitten ten bewältigen, zumal die rechtliche Lage unsicher und werden, zu denen einige Vorüberlegungen zum verwen- volatil war und der Prozess der Digitalisierung von Leh- deten Softwaresystem (1.) und Hinweise für Lehrende re und Prüfung in den deutschen Hochschulen sich weit- für die Erstellung ihrer Lehrunterlagen (2.) gehören. gehend noch nicht auf der Zielgeraden befindet.3 Immer- Aber nicht nur die Verantwortungssphäre der Hoch- Online-Fundstellen wurden zuletzt abgerufen am 24. November 2020. 3 Mit ausführlichen Nachweisen dazu Eisentraut, OdW 2020, 177 ff. 1 Eine anschauliche Beschreibung der Anforderungen und Reakti- 4 Eine Zusammenfassung des ersten Corona-Semesters bietet onen aus den ersten Monaten vermittelt Sandberger, OdW 2020, Hochschulen ziehen Bilanz des Digitalsemesters (faz.net), seitens 155 ff. der Hochschulrektorenkonferenz Stellungnahmen der HRK - 2 Dem Beginn der wesentlichen Corona-Maßnahmen Mitte März Hochschulrektorenkonferenz. 2020 folgte die Feststellung einer epidemischen Lage von nationa- 5 Es wurde im Bundestag sogar über eine Aufhebung der Fest- ler Bedeutung nach § 5 IfSG durch den deutschen Bundestag mit stellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Wirkung zum 28. März 2020, s. Rixen, NJW 2020, 1097 ff. Der Sinne von § 5 IfSG debattiert, s. Deutscher Bundestag - Streit um übliche Semesterstart im Sommersemester liegt ca. Mitte April Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. des Jahres und war von diesen einschneidenden Maßnahmen nur 6 So bieten etwa die Fernuniversität Hagen oder die Virtuelle wenige Wochen entfernt. Hochschule Bayern seit Längerem online-Angebote an. Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197-9197
8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 7 - 1 8 schule gehört hierhin, sondern auch eine Betrachtung wareprodukte ist dies mit Bezug zu individueller Ent- möglichen Fehlverhaltens der Studierenden mit Bezug wicklung bzw. Anpassung sehr wahrscheinlich und zu den Unterrichtsmaterialien (3.). deshalb in der Vorbereitung des Verfahrens immer mit zu beobachten.11 Für derart komplexe, integrierte Syste- 1. Vorüberlegungen zum Softwaresystem me wie online-Lehrsoftware wird der potenzielle Anbie- Vorüberlegungen zum Softwaresystem inkludieren des- terkreis aber wohl doch mit überwiegender Wahrschein- sen Beschaffung (a.), und dessen bestmögliche daten- lichkeit ausschließlich aus gewerbetreibenden, industri- schutzrechtliche Absicherung (b.). ellen Anbietern bestehen können, so dass die richtige Vergabeart die gewerbliche Lieferung bzw. Listung ist. a. Beschaffung Diese Frage könnte allerdings für konkrete Weiterent- Auch für die Beschaffung von Software zu Zwecken der wicklungen einer bestehenden Software anders zu beur- online-Lehre hat eine Hochschule das geltende Vergabe- teilen sein.12 recht einzuhalten, zumindest dann, wenn sie ein sog. Essenziell für die Beschaffung ist in jedem Fall die öffentlicher Auftraggeber ist. Dies ist für staatliche Hoch- Vorbereitung. Im Rahmen der sog. Bedarfsermittlung13 schulen immer der Fall. Für private, staatlich anerkannte hat die Hochschule nämlich möglichst genau vorab zu Hochschulen bestimmt sich dies nach dem Umfang überlegen, welche Formen der online-Lehre – bzw.: ggf. ihrer Anerkennung.7 inklusive online-Prüfungen - sie einzusetzen plant. Da- Innerhalb des Vergaberechts ist sodann in zweierlei nach bestimmt sich dann im Rahmen der sog. Markter- Hinsicht zu strukturieren. Wir unterscheiden in erster kundung, welche potenziellen Anbieter für eine derart Stufe das auf EU-Recht basierende Oberschwellenverga- ausgestattete Software in Frage kommen.14 Da die Markt- berecht gemäß GWB und VgV vom Unterschwellenver- erkundung in der Regel auch einen Schätzungswert für gaberecht nach der UVgO bzw. – soweit die betreffenden die Beschaffungskosten beinhaltet,15 ist damit zugleich Bundesländer diese noch nicht für gültig erklärt haben8 auch der zutreffende rechtliche Rahmen16 für das Ver- – die VOL/A. Der aktuelle Schwellenwert9 beträgt für die fahren gesichert. Bezüglich der potenziellen Bieter emp- hier relevanten Beschaffungsarten 214.000 € netto. Für fiehlt es sich, im Rahmen des Verfahrens aktuelle, ein- den Unterschwellenbereich, also für Gesamtnettokosten schlägige Referenzen abzufordern, um bei den betreffen- unter 214.000 €, relevant ist eine weitere Unterscheidung den Stellen nach deren Erfahrungen mit dem Bieter und zwischen gewerblichen Lieferungen bzw. sonstigen Leis- der Software konkret zu erfragen.17 Hinsichtlich der tungen einerseits und sog. freiberuflichen Leistungen Leistung selbst ist es vergaberechtlich zulässig, vor der andererseits. Freiberufliche Leistungen sind solche Leis- Erteilung des Zuschlags eine sog. Teststellung18 zu absol- tungen, bei denen nach der Art der Leistung freiberufli- vieren, in der die Software dann im praktischen Einsatz che Anbieter10 zumindest auch als Bieter im Vergabever- getestet werden kann, um die Richtigkeit der Bieteranga- fahren in Frage kommen können. Gerade für Soft- ben zum System im konkreten Umfeld der Hochschule 7 Bei juristischen Personen des Privatrechts hat nach § 99 Nr. 2 könnte natürlich dadurch ausgeschlossen sein, dass sich der GWB eine Feststellung zu erfolgen, dass deren Aufgabenerfül- Anbieter Exklusivrechte an der Software zu Grunde liegendem- lung im Allgemeininteresse liegt, s. Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Quellcode ausbedungen hat, was bei Software außerhalb der open Vergaberecht, Kommentar, 4. Auflage, 2020, § 99 GWB, Rn. 55. source Bewegung sehr wahrscheinlich ist. In diesem Falle kommt Dies könnte idealerweise durch die Anerkennung der privaten nach der Art der Leistung nur der Verkäufer der Ausgangssoft- Hochschule erfolgen. ware in Frage – es handelt sich hierbei dann um eine privilegierte 8 Da die UVgO – wie die VOL – keinen Gesetzescharakter hat, ist Form der gewerblichen Beschaffung. sie von jedem Bundesland gesondert einzuführen, beispielsweise 13 Trutzel, in: Ziekow/Völlink (Fn. 7), § 28 VgV, Rn. 2. als Verwaltungsvorschrift zu § 55 Landes-LHO. 14 OLG Celle, Beschluss vom 22.05.2008, Az. 13 Verg 1/08. 9 Der Schwellenwert nach § 3 VgV wird von der EU-Kommission 15 OLG Brandenburg, Beschluss vom 17.05.2011, Az. Verg W 16/10. im Amtsblatt der EU bekanntgegeben, zuletzt am 30. Oktober 16 Gemeint ist hier die Unterscheidung zwischen Oberschwellen- 2019 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2020, s. Amtsblatt der Euro- und Unterschwellenvergaberecht, nicht dagegen die danach noch päische Union, Nr. L 279/23. zu treffende Wahl der konkreten Verfahrensart. 10 § 50 UVgO nimmt zum Personenkreis freiberuflicher Anbieter 17 OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 08.04.2014, Az. 11 Verg insoweit Bezug auf die Regelung in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. 1/14. 11 Variantenreich und instruktiv insoweit Kirch/Kumpf, Vergabe- 18 Zu den Möglichkeiten und rechtlichen Maßstäben einer Teststel- News 2014, 94 ff. lung vor bzw. nach Vertragsschluss Jennert/Werner, VergabeR 12 Der für derartige Leistungen grundsätzlich eröffnete Wettbewerb 2016, 174 ff.
Morgenroth/Wieczorek · Zwischenbilanz zum Hochschulrecht 9 verifizieren zu können. Die vergaberechtliche Erleichte- ten zu beachten. Möchte die lehrende Person darüber hi- rung, infolge unverschuldeter Dringlichkeit nach verein- naus im Rahmen der Lehre personenbezogene Daten fachten Vorgaben zu beschaffen,19 sollte dagegen mit Dritter verwenden, z. B. ein Video mit abgebildeten drit- Blick auf die nunmehr seit mehreren Monaten bekannte ten Personen, so hat das System dies dem Grunde nach Sonderproblematik Corona nicht mehr zulässig sein.20 ebenfalls zu berücksichtigen.23 Die Hochschule hat je- doch übergeordnet zwei Fragen zu klären: die techni- b. Datenschutzrechtliche Vorüberlegungen schen Voreinstellungen des Systems und die daten- Datenschutzrechtliche Überlegungen der Hochschule schutzrechtliche Kompatibilität bei Verwendung von beinhalten sowohl das formelle als auch das inhaltliche Software von außerhalb der EU, insbesondere US-ameri- Datenschutzrecht, letzteres bei Softwareanbietern außer- kanischer Software. halb der EU insbesondere zum Recht des Datentransfers Die technischen Voreinstellungen des Systems haben in Drittstaaten nach Art. 44 ff. EU-DSGVO. neben der rein technischen Kompatibilität mit anderen In formeller Hinsicht bestehen Pflichten der Hoch- verwendeten Systemen vor allem datenschutzrechtliche schule im Außenverhältnis zu Studierenden sowie inter- Vorgaben zu beachten. Diese als „technisch-organisato- ne Dokumentationspflichten. Zu letzteren gehört insbe- rische Maßnahmen“ vorgesehenen Anforderungen be- sondere das Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten stehen insbesondere in den Vorkehrungen zur Sicherheit (VVT) gemäß Art. 30 EU-DSGVO, in dem die wesentli- der Datenverarbeitung nach Art. 32 EU-DSGVO sowie chen Datenverarbeitungen, Verfahrensabläufe, Beteilig- in Voreinstellungen, die von Vornherein das Gebot der ten und Rechtspositionen im Rahmen des Betriebs des Datensparsamkeit umsetzen wollen und Verarbeitung Softwaresystems aufzuführen sind. Gegenüber den Stu- nur der für den jeweiligen Zweck wirklich erforderlichen dierenden hat die Hochschule dagegen über die Funkti- Daten überhaupt erst ermöglichen, Art. 25 Abs. 2 EU- onsweise des Systems und die damit verbundenen Da- DSGVO. Zu letzterem gehört – neben einem etablierten tenverarbeitungen zu informieren, Art. 13, 14 EU-DS- und regelmäßig überprüften Rechte- und Rollenkon- GVO, sowie diese Information auch zu dokumentieren, zept24 - vor allem die Frage, ob die Hochschule ein Soft- Art. 5 Abs. 2 EU-DSGVO.21 Ob diese Information über waresystem für online-Lehre von vornherein für eine eine allgemeine Internetseite oder für jeden Studieren- Aufzeichnung der betreffenden Veranstaltung sperrt den individuell, beispielsweise in einem Fenster vor Nut- und diese damit gar nicht erst zulässt.25 Diese Frage stellt zung des Systems, erscheint, bleibt der konkreten Ausge- sich in dieser Absolutheit für die Hochschule natürlich staltung überlassen. Zum ebenfalls erforderlichen Nach- nur dann, wenn unter keinen Umständen ein Vorhalten weis der Dokumentation der Information bietet sich der Lehrveranstaltung als datenschutzrechtlich erlaubt, möglicherweise die IT-basierte, individualisierte Infor- insbesondere erforderlich für die Erfüllung der öffentli- mation in Verbindung mit der Speicherung der aktiv ge- chen Aufgabe der Hochschullehre, angesehen werden setzten Kenntnisnahme durch die Studierenden seitens kann, Art. 6 Abs. 1 lit. e) EU-DSGVO.26 Die in diese Ab- der Hochschule als effektives Mittel an. wägung einzustellenden Rechte und Interessen der Be- In materieller Hinsicht hat sich die Datenverarbei- teiligten sind vielfältig. Ohne Anspruch auf Vollständig- tung zunächst allgemein an den Grundsätzen von keit seien im Folgenden einige praktisch wesentliche As- Art. 5 EU-DSGVO zu orientieren, insbesondere an den pekte diskutiert. Geboten der Zweckbindung, Datensparsamkeit und So erscheint es als durchaus offen, ob das Vorhalten Verhältnismäßigkeit. Nach dem Zweck der Lehre, inter- digitaler Kopien von Lehrveranstaltungen ein legitimer aktiven Austausch von Wissen zwischen Lehrenden und Zweck für die Datenverarbeitungsform der „Speiche- Studierenden zu ermöglichen,22 sind dabei bestim- rung“, die mit der Aufnahme einhergeht, sein kann. Aus mungsgemäß personenbezogene Daten dieser Beteilig- der Verantwortung der Hochschule für die Sicherstel- 19 Zu den umfangreichen Sonderregelungen von Bund und Ländern den, z. B. über lecture pranks, s. dazu Fn. 59. im Zusammenhang mit der Covid-19-Situation s. Braun, in: 24 In Erwägungsgrund 78 zu Art. 25 EU-DSGVO als „Maßnahme Ziekow/Völlink (Fn. 7), § 134 GWB, Rn. 145 a ff. zur Transparenz der Verarbeitung“ bezeichnet. 20 Soweit die Beschaffung Angebote außerhalb der EU betrifft, wird 25 S. auch Fehling (Fn. 22), S. 146 ff. jedoch auf den Zusammenhang mit der Entscheidung des EuGH 26 Sollte dagegen eine datenschutzrechtliche Bewertung ein zu Privacy Shield verwiesen, s. Fn. 54-56. differenziertes Bild ergeben, so ist dies je nach dem Grad der 21 So der renommierte Datenschutzrechtler Schwartmann anlässlich Differenzierbarkeit, also etwa nach Fachdisziplinen, Selbstverwal- eines Webinars zum Recht von online-Lehre und online-Prüfun- tungseinheiten, Studiengängen oder sogar Modulen individuell gen am 30. Oktober 2020, hierzu Haake, OdW 2021, S. 62 ff. zu erfassen und den jeweils vorgegebenen Verfahren in den 22 Hierzu Fehling, OdW 2020, 137, 142. einzelnen Hochschulen zuzuführen. 23 Die konkrete Ausgestaltung ist dann Sache der bzw. des Lehren-
10 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 7 - 1 8 lung des Lehrangebots27 wird sich sicherlich ein digitales heitsrisiken in der späteren beruflichen Praxis als neue, Streaming, aber tendenziell keine Aufzeichnung ableiten digital vermittelte Chance der Lehre anzusehen. Zu- lassen. Seitens der Studierenden ist die effektive Ver- gunsten einer weiteren Prüfung wird deshalb von der wirklichung der Studierfreiheit durch nahezu unbe- Verfolgbarkeit legitimer Zwecke durch die Aufnahme grenzte Wiederholungsmöglichkeit sowie das erhöhte von Lehrveranstaltungen ausgegangen. Rezeptionspotenzial speziell für auditive bzw. visuelle Eine hinreichende Eignung der Aufnahme zur Ver- Lerntypen sicherlich von Vorteil – ob sich dieser Aspekt folgung der benannten legitimen Zwecke wird man der aber rechtsverbindlich aus der Studierfreiheit heraus ab- Aufnahme einer Lehrveranstaltung nur dann abspre- leiten lässt, ist zweifelhaft, zumal bereits die Ebene der chen können, wenn man das Maß an erforderlicher In- rechtlichen Verankerung einer Studierfreiheit alles an- teraktion als Grundbestandteil wissenschaftlicher Leh- dere als geklärt ist.28 Demgegenüber lässt sich seitens der re34 auch in Zeiten wie diesen als unverändert hoch an- Lehrenden anführen, die aus der über Art. 5 Abs.3 GG sähe. Dieser Anspruch wäre für das Sommersemester vermittelten Lehrfreiheit folgende Wahl der Lehrmetho- 2020 angesichts der herrschenden Rahmenbedingungen den29 schließe nicht nur eine Bedienung der virtuellen verfehlt gewesen. Je länger die Hochschulen mit der Co- Welt an sich über die einmalige, sondern gerade über die rona-Situation umgehen und sich adaptieren können, Aufzeichnung eine dauerhafte oder sonst perpetuierte desto mehr wird dieser Anspruch an Interaktion auch Rezeptionsmöglichkeit der Lehrinhalte für die Studie- digitaler Lehre – im Sinne einer vollendeten Transfor- renden ein. Hinsichtlich der Wahl didaktischer Konzep- mation – gelten. Aus jetziger Sicht, zu Beginn des zwei- te für Lehrveranstaltungen ist die Methode des „Flipped ten „Corona-Semesters“, scheinen gewisse Abstriche von Classroom“30 zu nennen, bei der die Nutzung von Auf- diesem Maßstab allerdings nach wie vor geboten zu sein. zeichnungen in besonderem Maße relevant ist. Die Tat- Die Eignung der Aufnahme wird deshalb zumindest sache, dass bei geeigneter Konzeption ein „Flipped derzeit nicht bestreitbar sein. Classroom“-Ansatz zu verbesserten Lernergebnissen im Im Rahmen der Erforderlichkeit der Maßnahme ist Vergleich zu traditionellen Ansätzen führt31, unter- zu fragen, welche der möglichen Varianten die Rechte streicht die Bedeutung von Lehrmethoden unter Nut- der Betroffenen, ihre Grundreche aus Art. 7, 8 GrCh, am zung digitaler Hilfsmittel, wie auch Aufzeichnungen zur wenigsten einschränkt, die verfolgten legitimen Zwecke Verbesserung der Lehrqualität. Die Bedeutung des Kon- jedoch verwirklichen kann.35 Hierbei ist insbesondere zeptes „Flipped Classroom“ wird auch an seiner Verbrei- an Beschränkungen der Verwendung personenbezoge- tung sichtbar.32 Jedenfalls auf der Ebene des legitimen ner Daten der Studierenden zu denken, da die lehrende Zwecks beachtlich sind daneben Erwägungen der Teil- Person über die Verwendung ihrer eigenen personenbe- habe von unverschuldet verhinderten Studierenden, zogenen Daten im Rahmen ihrer Methodenwahl auto- etwa infolge von Krankheit, Schwangerschaft oder Mut- nom bestimmen kann. Im Lichte der Verwirklichung terschutz bzw. Elternzeit33 – insoweit kann der oben an- von Studien- bzw. Teilhaberechten und -interessen sind gestellte Vergleich zur analogen Welt verlassen und die deshalb Stufungen vorzunehmen zwischen der Verwen- Chancen der digitalen Möglichkeiten in die Abwägung dung von studentischen Video- bzw. Bildeinblendungen, eingestellt werden. Für die Arbeit mit und am Menschen Chatfunktionen, Klarnamen oder Pseudonymen und kann dieser Gedanke der nicht fortgesetzten Analogie anderen denkbaren Varianten. Zu beachten ist hier für fortgeführt und ein legitimer Zweck einer Aufnahme die Teilmenge der sog. biometrischen Daten36 der Stu- durchaus darin erkannt werden, die Übungsfunktion dierenden nach Art. 4 Nr. 11 EU-DSGVO, dass diese da- derartiger Lehre mit Blick auf die Lebens- bzw. Gesund- tenschutzrechtlich als besonders sensibel gelten und des- 27 Fehling, in: Kahl/Waldhoff/ Walter, Bonner Kommentar zum setzen, das Konzept „Flipped Classroom“ verwenden, s. Schmid/ Grundgesetz, Art. 5 Abs. 3, Rn. 99. Goertz/Radomski/Thom/Behren, Monitor Digitale Bildung. Die 28 Eine anschauliche Darstellung der verschiedenen Ebenen und Hochschulen im digitalen Zeitalter, 2017, S. 15. Positionen bei VGH Mannheim, Urteil vom 21.11.2017, Az. 9 S 33 Die Möglichkeiten, auch im Mutterschutz bzw. in Elternzeit, 1145/16, Rn. 45 ff. bei juris. ggf. auf der Grundlage einer Beurlaubung, Prüfungsleistungen 29 BVerfGE 90, 1, 11 ff. absolvieren zu dürfen, wodurch eine Verfolgung von Lehrveran- 30 Spannagel/Spannagel, Designing In-Class Activities in the staltungen auch in diesen Zeiten sinnvoll bzw. erforderlich sein Inverted Classroom Model, in: Handke/ Kiesler/ Wiemeyer. The kann, ist – aufbauend auf dem seit 2019 geltenden MuSchG – Inverted Classroom Model. 2013. S. 113 ff. sehr differenziert unter den Hochschulen geregelt. 31 van Alten/ Phielix/Janssen/Kester: Effects of flipping the classroom 34 Fehling (Fn. 27). on learning outcomes and satisfaction: A meta-analysis, Educa- 35 EuGH, MMR 2009, 175, 177. tional Research Review, 2019, passim. 36 Gola, Datenschutzgrundverordung, Kommentar, 2017, Art. 9 Rn. 32 Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt, dass etwas mehr 12. als die Hälfte der Lehrenden, die Blended Learning-Formate ein-
Morgenroth/Wieczorek · Zwischenbilanz zum Hochschulrecht 11 halb durch besondere Mechanismen zu schützen sind, sätzlichen inhaltlichen Vorgaben für eine Datenüber- insbesondere die Datenschutz-Folgenabschätzung nach mittlung in ein Drittland nach Art. 44 ff. DSGVO zu be- Art. 35 EU-DSGVO.37 Speziell diese personenbezogenen achten. Prominente Beispiele sind hierbei sicherlich die Daten sind deshalb besonders sorgfältig zu prüfen, bevor Konferenzsoftwares Zoom, Skype oder Microsoft Teams, deren flächendeckende Verwendung freigegeben werden die von US-amerikanischen Firmen vertrieben werden. kann. Ebenso ist in die Abwägung einzustellen, welchen Diese Fragestellung hat für das laufende Wintersemester Grad von Öffentlichkeit die verarbeiteten personenbezo- 2020/21 an Bedeutung gewonnen , denn der EuGH hat genen Daten erfahren werden, also etwa die Stufen des mit Urteil vom 16. Juli 202041 die bisher geltende daten- Internets, des hochschulweiten Intranets oder auch le- schutzrechtliche Legitimation für den transatlantischen diglich einer Fakultäts- bzw. Kursöffentlichkeit. Für den Datentransfer zwischen der EU und den USA (sog. Pri- Bereich der Arbeit mit und am Menschen sei hier auf vacy Shield)42 mangels hinlänglichem Datenschutzni- den rechtlich ebenfalls besonders sensiblen Bereich der veau in den USA für unwirksam erklärt. Der EuGH hat Arbeit mit Patientendaten hingewiesen und eine ent- außerdem zur zweiten Säule rechtmäßiger transatlanti- sprechende Stufung der Verwendung personenbezoge- scher Datenübermittlung, den sog. Standardschutzklau- ner Patientendaten entsprechend des Ausbildungs- seln,43 Stellung bezogen: Diese seien nach dem Scheitern zwecks angeregt. Welche dieser Stufen im Rahmen der von Privacy Shield zwar weiterhin zulässig und denkbar, Erforderlichkeitsprüfung beschritten zu werden hat, im Verhältnis zu den USA in der konkreten Fallgestal- richtet sich nach den in den Studienordnungen veran- tung jedoch nicht oder nur in seltenen Ausnahmefällen kerten Zielen der Lehre. Da diese Regelungen als spezifi- tragfähig.44 Damit stehen die deutschen Hochschulen sche Bestimmungen im Sinne von Art. 6 Abs.1 Satz 1 Nr. b) vor einem erheblichen Legitimationsproblem, personen- in Verbindung mit Absätzen 2 und 3 EU-DSGVO zu se- bezogene Daten ihrer Bediensteten bzw. Studierenden in hen sind38 und auch einen genuin wissenschaftsspezifi- die USA weiterzuleiten oder deren direkte Erhebung in schen Bereich regeln, die nationalen Grundrechte also den USA zu verantworten. herangezogen werden dürfen,39 sind diese Erwägungen Die nach wie vor mögliche und erforderliche Auf- als Ausgestaltungen der einzelnen Grundrechtsträger tragsdatenverarbeitungsvereinbarung nach Art. 28 EU- der nationalen Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG DSGVO vermag diese Defizite nach aktuellem Stand vollwertig in die Abwägung einstellbar. Teilweise wird nicht vollständig zu kompensieren. Sie bezieht sich in- gegen die Erforderlichkeit der Aufzeichnung angeführt, haltlich auf die operative Abwicklung der Datenverar- der Zweck der Wiederholung sei durch andere Maßnah- beitung, lässt die materiell-rechtliche Zulässigkeit des men, beispielsweise virtuelle Sprechstunden, ebenso er- Datentransfers dagegen unberührt. Vor Geltung der EU- reichbar.40 Dieser Ansatz trifft jedoch in Fällen nicht zu, DSGVO ging das deutsche Datenschutzrecht zwar von in denen die Adressaten nicht wirkungsvoll über derarti- einer Privilegierungswirkung der ADV dergestalt aus, ge Maßnahmen zu erreichen sind. Zu denken wäre etwa dass eine Einheit von Verantwortlichem und Auftrags- an die Einstellung in einen Pool von Lehrinhalten ohne datenverarbeiter angenommen wurde, sodass die Er- feste Rezeptionsstrukturen, beispielsweise in großen laubnis der Verarbeitung beim Verarbeiter direkt genüg- OER-Netzwerken oder überregionalen Lehrverbünden. te, der Transfer zum Auftragsdatenverarbeiter also nicht Findet ein Datentransfer in ein Land außerhalb des mehr gesondert legitimationsbedürftig war.45 Mangels Geltungsbereichs der EU-DSGVO statt, so sind die zu- erkennbarer gerichtlicher Klärung unter Geltung der 37 Von dieser kann aber gegebenenfalls abgesehen werden, wenn die Grundrechten zu messen ist, wenn das betreffende EU-Recht den Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung diese bereits hinreichend Mitgliedsstaaten einen Gestaltungsspielraum einräumt, wie dies enthält, Art. 35 Abs. 10 EU-DSGVO; s. Jandt, in: Kühling/ Buch- hier über die Öffnungsklauseln nach Art. 85, 89 EU-DSGVO der ner, DS-GVO, BDSG, Kommentar, 3. Auflage, 2020, Art. 35, Rn. Fall ist. 22 ff. 40 Schwartmann (Fn. 21). 38 Buchner/Petri, in: Kühling/Buchner (Fn. 37) Art. 6, Rn. 196 41 EuGH, Urt. v. 16.07.2020, Az. C 311/18 – Schrems II. m.w.N. lassen insoweit alle Gesetze im materiellen Sinne genügen 42 Beschluss 2016/1250 der Europäischen Kommission zur Über- und erwähnen beispielhaft hierzu die kommunale Satzung. mittlung personenbezogener Daten in die USA. 39 In seinen aktuellen Urteilen Recht auf Vergessen I (Az. 1 BvR 43 Art. 46 Abs. 2 Nr. c und d EU-DSGVO sieht Standardvertrags- 16/13) und Recht auf Vergessen II (1 BvR 276/17) vom 6. Novem- klauseln der EU-Kommission (Alt. c) oder nationaler Aufsichts- ber 2019 hat das BVerfG seine Linie zur Behandlung nationaler behörden, die von der EU-Kommission nach Art. 93 Abs. 2 staatlicher Maßnahmen an Hand der Grundrechte der GrCh und EU-DSGVO genehmigt wurden, vor. des GG, aufbauend auf der Linie seiner Solange-Entscheidungen, 44 EuGH, Fn. 20, 41. dahin gehend präzisiert, dass die Ausführung von EU-Recht 45 Gola, in: Gola/Schomerus, BDSG, Kommentar, 1. Auflage, 2010, § (hier der EU-DSGVO) zumindest auch dann an den nationalen 11 Rn. 2.
12 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 7 - 1 8 EU-DSGVO ist offen, ob diese Privilegierung noch be- Darüber hinaus wird auch teleologisch damit argu- steht – bis auf Weiteres ist deshalb von einer rechtlichen mentiert, ein Vergleich der US-amerikanischen Software Unsicherheit auszugehen.46 (z. B. Zoom) mit in der EU hergestellten Produkten wei- Sind die Hochschulen durch diese Sach- und Rechts- se ein vergleichbares Produktivrisiko auf, wobei dem si- lage gezwungen, auf Angebote aus den USA zu verzich- cherlich entgegengehalten werde könnte, dass das haupt- ten, bis eine tragfähige Folgeregelung in Kraft getreten sächliche Datenschutzrisiko in der Zugriffsmöglichkeit ist? Oder lässt sich möglicherweise doch eine Rechtferti- von US-Behörden infolge des Cloud Act50 und nicht gung für die Verwendung von Zoom & Co. finden? Eine durch technische Unzulänglichkeiten besteht.51 Aus dem ganze Reihe von Gründen scheinen dies jedenfalls gleichen Grund genügt es auch nicht, dass die US-ameri- nahezulegen. kanischen Anbieter den Vertrieb an Abnehmer in der Zunächst kann hierbei auch auf das Erfordernis der EU über in der EU ansässige Zweigstellen52 abwickeln. Aufrechterhaltung funktionsfähiger Hochschulen trotz Denn hier wäre zwar nach Art. 3 EU-DSGVO der euro- der Ausnahmesituation Corona zugegriffen werden.47 päische Datenschutz auch bei einem Transfer in die USA Die Pandemie und ihre Folgen sind zwar seit mittlerwei- anwendbar, was den Cloud Act mit den entsprechenden le einem guten halben Jahr bekannt. Seriöse Prozesse Befugnissen der US-Behörden jedoch nicht berührt.53 zum Umstieg ganzer Hochschulen auf flächendeckende Ein weiteres Argument für eine zumindest vorüber- online-Lehre benötigen jedoch erheblich mehr Zeit. Das gehende Verwendung von US-amerikanischen Syste- parallele Argument lässt sich finden für Hochschulen, men könnte sein, dass die derart konsequente Ableh- die den Datentransfer in die USA praktiziert und sich nung datenschutzrechtlicher Möglichkeiten durch den hierbei auf Privacy Shield berufen haben48 – auch diesen EuGH so nicht absehbar war. Denn der Generalanwalt Hochschulen ist ein rechtlich gesicherter und technisch- beim EuGH hatte in seinem Gutachten zum Fall zwar inhaltlich reibungsloser Umstieg in den wenigen Mona- Privacy Shield ebenfalls kritisch gewürdigt, einen Trans- ten vom Urteil des EuGH bis zum Beginn des Winterse- fer über die Standardvertragsklauseln dagegen nach wie mester 2020/21 schlicht nicht möglich gewesen. Einer vor als zulässig bewertet.54 Berücksichtigt man den Er- sehr schnell beschaffbaren, im Grundbetrieb und damit fahrungswert, dass der EuGH oft dem Gutachten des zu- trotz geringeren performativen Potenzials sicheren EU- gewiesenen Generalanwalts folgt,55 so bestärkt dieser Er- DSGVO-kompatiblen Software an sich könnte daneben fahrungssatz in der konkreten Anwendung für die deut- entgegenstehen, dass die Lehrenden für den Umgang mit schen Hochschulen neben dem Eileffekt, der durch das einer neuen Software flächendeckend und hinreichend Urteil ohnehin eingetreten war, auch den geschult werden müssen, um qualitativ hinreichende Überraschungseffekt. wissenschaftliche Lehre anbieten zu müssen. Neben ei- Dieser Überraschungseffekt wirkt sich vergaberecht- ner schnellen und sicheren Durchdringung der neuen lich dagegen tendenziell privilegierend aus. Denn die Materie durch das technische Personal der Hochschule Tatsache, erst im Juli 2020 vom Erfordernis einer EU- könnte in Zeiten mobiler Arbeit eine hinreichend breite DSGVO-kompatiblen Software erfahren zu können, die und gründliche Einweisung des Lehrpersonals einer sol- mit Wirkung zum Oktober 2020 funktionsfähig sein soll, che Maßnahme (vorübergehend) entgegenstehen. Könn- erlaubt keine langen Vergabeverfahren. Mit dem Plädo- te für diesen Kontext nicht der allgemeisne Rechts- yer des Generalanwalts vor dem EuGH und der davon grundsatz herangezogen werden, dass Unmögliches abweichenden Entscheidung des Gerichtshofs rückt der rechtlich nicht gefordert werden darf?49 Fall argumentativ auch stärker in die Nähe einer „unver- 46 Für einen Wegfall der Privilegierungswirkung Roßnagel/ Krosch- 51 Schwartmann (Fn. 21). mann, ZD 2014, 495 ff.; dagegen Koos/Englisch, ZD 2014, 276 ff. 52 Auf eine eigenständige Rechtspersönlichkeit, etwa als eigenstän- 47 Zu den Implikationen mit Bezug auf den Standard der Wissen- dige Tochtergesellschaft innerhalb einer Konzernstruktur, kommt schaftlichkeit der Hochschullehre s. oben, Fn. 27; zum freien Da- es nicht an, s. Zerdick, in: Ehmann/Selmayr, Datenschutzgrund- tenverkehr als eigenständigem Ziel der EU-DSGVO und dessen verordnung, 2017, Art. 3, Rn.8. Besonderheiten Fehling (Fn. 22), S. 143. 53 Berengaut/Lensdorf, CR-Beilage 2019, 111 ff. 48 Exemplarisch die Universität Kiel, abrufbar unter Informationen 54 https://www.sueddeutsche.de/digital/datenschutz-facebook- zu Datenschutz und Sicherheit — Rechenzentrum (uni-kiel.de). schrems-privacy-shield-1.4730186. 49 Ausführlich zum bereits im Römischen Recht entwickelten „nulla 55 Zur Bedeutung der Schlussanträge der Generalanwälte beim obligatio – Grundsatz“ Seong, Der Begriff der nicht gehörigen EuGH für Findung und Darstellung der Entscheidung Opper- Erfüllung aus dogmengeschichtlicher und rechtsvergleichender mann/Claasen/Nettesheim, Europarecht, 8. Auflage, 2018, § 5 Rn. Sicht, Diss., Frankfurt, 2004. 143; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Kommentar, 5. 50 Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act des US-Kongresses Auflage, 2016, Art. 252 AEUV, Rn. 3 vom 22. März 2018, s. Cording/Götzinger, CR 2018, 636 ff.
Morgenroth/Wieczorek · Zwischenbilanz zum Hochschulrecht 13 schuldeten“ Dringlichkeit, die für eine privilegierte Be- die Information der Studierenden über die Funktions- schaffung erforderlich ist.56 Dieser zeitnahen Beschaf- weise des Systems (c.) und die rechtliche Sicherung der fung standen, nicht nur angesichts der Urlaubszeit im re- Lehrmaterialien gegen Missbrauch (d.). levanten Zeitraum, jedoch organisatorische Erfordernis- se der technisch sicheren Implementierung, vor allem a. Überlegungen zur inhaltlichen bzw. didaktischen aber der Einführung und Schulung der bearbeitenden Gestaltung Personen in so gravierendem Maße entgegen, dass auch Inhaltliche bzw. didaktische Planungen und Gestaltun- die privilegierte Beschaffung der Software den Bereich gen sind kein neues Thema, sondern aus der bisherigen der faktischen Unmöglichkeit einer Umstellung nicht Abwicklung der Hochschullehre bekannt. Neu ist dage- verlassen ließ. gen die Anforderung an viele Lehrende, innerhalb kur- Letztlich ist aber auch diese Abwägung in erster Linie zer Zeit eine Umstellung vieler Lehrveranstaltungen und zu messen an den individuellen Gegebenheiten jeder Lehrmaterialien auf die online-Variante zu bewerkstelli- Hochschule, insbesondere der Frage, ob und ggf. inwie- gen. In inhaltlicher Hinsicht ist dabei maßgeblich, das weit die Etablierung vom Umstieg auf eine Struktur der erforderliche Niveau an Wissenschaftlichkeit der Lehre online-Lehre, die EU-DSGVO-kompatibel ist, möglich sicherzustellen.57 Didaktisch gilt es, die neuen Heraus- und zumutbar ist. Für diese Abwägung kann dabei die forderungen der online-Vermittlung zu meistern. Entscheidung für oder gegen eine Aufzeichnung von Prägende Merkmale für die didaktische Annäherung Lehrveranstaltungen, mit erheblicher Wirkung für die an die online-Lehre können dabei die räumlichen und performative Beanspruchung des Systems, relevant sein. zeitlichen Verschiebungen im Vergleich zur Präsenzleh- Insgesamt sprechen gute Gründe dafür, sich gegen re sein. Der räumlichen Verlagerung curricularer Kom- datenschutzrechtliche Angriffe effektiv wehren zu kön- munikation und Interaktion entsprechen dabei digitale nen, zumindest für einen vorübergehenden Zeitraum. Tools wie Chats oder Umfragen. Der Möglichkeit in zeit- Belastbare Entscheidungen hierzu werden abzuwarten licher Hinsicht, Lehre in vor- bzw. nachbereitende Zeit- bleiben. Die Hochschulen scheinen darüber hinaus gut räume zu verlagern, kommt beispielsweise der Ansatz beraten, diese Materie nicht aus den Augen zu verlieren des „Flipped Classroom“-Konzepts entgegen. Denn hier- und an dieser Frage zu arbeiten sowie den Prozessfort- mit können Elemente zur Vorbereitung, die asynchron schritt zu dokumentieren. Flankierend könnten die poli- bearbeitet werden, mit der Abbildung der Präsenzpha- tischen Interessenvertretungsstrukturen des deutschen sen im digitalen Raum miteinander verknüpft werden. Hochschulsystems auf die Brisanz der derzeitigen Für die Zeit nach der Lehrveranstaltung bzw. für Zeiten Rechtslage hinweisen und neue Lösungen für eine Legi- zwischen Lehrveranstaltungen bieten sich E-Learning- timierung des wichtigen Datenaustauschs zwischen den Plattformen58 an. Hier könnten wesentliche didaktische USA und der EU fördern. Erwägungen, die sich gerade durch den Umstieg auf di- gitale Formate ergeben, eingebaut werden.59 2. Vorüberlegungen für Lehrende In inhaltliche und methodische bzw. didaktische Zu den Vorüberlegungen, die sich Lehrende vor Beginn Überlegungen einbezogen werden können dabei auch einer online-Lehrveranstaltung machen sollten, zählen urheberrechtliche Fragestellungen. Denn es ist aner- die inhaltliche bzw. didaktische Gestaltung (a.), die Ver- kannt, dass Urheberrechte an Arbeitsergebnissen, die auf wendung von Materialien im Wege von open access (b.), freier wissenschaftlicher Tätigkeit beruhen, nicht nach 56 Vgl. § 14 Abs. 3 Nr. 3 VgV, § 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO. schließen lässt. 57 Fehling (Fn. 22). 59 Ein effektives Mittel zur Auflockerung von Lehrinhalten können 58 Schneider/ Preckel, Variables Associated With Achievement dabei auch sog. lecture pranks sein, also Videosequenzen, in in Higher Education: A Systematic Review of Meta-Analyses, denen Lehrveranstaltungen mit überraschenden, humorvollen Psychological Bulletin, 2017, S. 8 weisen einen Cohens d-Wert Elementen überzogen werden, z.B. das Erscheinen von Zorro für das Feedback von 0,47 aus, was auf einen mittleren Effekt oder Superman im Hörsaal.
14 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 7 - 1 8 § 43 UrhG auf den Dienstherrn übergehen, sondern bei Abfolge durch die lehrende Person im konkreten den Urhebern verbleiben.60 Soweit eine lehrende Person Einzelfall. also wissenschaftlich tätig ist und dabei keinem inhaltli- chen Weisungsrecht unterliegt, bleiben die Urheberrech- b. Verwendung von open access Inhalten te daran dieser Person zugewiesen. Für Lehrmaterialien Die digitale Verwendung von Lehrinhalten bringt ein von Hochschullehrern ist dies deshalb immer der Fall, erhöhtes Potenzial ihrer Verbreitung und damit auch für wissenschaftliche Mitarbeitende im Rahmen ihrer erhöhte rechtliche Risiken mit sich. Ist ein urheberrecht- freien Anteile im Arbeitsvertrag, nicht dagegen für In- lich geschütztes Werk durch eine Sicherungspanne im halte, die durch nichtwissenschaftliches Personal erstellt Internet einsehbar, so bedeutet dies weltweiten Zugriff.65 wurden.61 Sollte eine gemeinsame Erstellung von Inhal- Es kann deshalb allein aus rechtlichen Gründen sinnvoll ten von weisungsfreiem und weisungsgebundenem Per- sein, auf Inhalte zurückzugreifen, die rechtlich ganz oder sonal geben, so ergeben sich Abgrenzungsfragen im weitgehend freigegeben sind. Zudem bilden die im Rah- Einzelfall. men der open access Bewegung mittlerweile entstande- Schließlich können auch datenschutzrechtliche Er- nen Werksammlungen auch eine große Chance für wägungen die inhaltlichen bzw. methodisch-didakti- inhaltliche oder visuelle Anregungen, Ergänzungen oder schen Gestaltungen beeinflussen. Dies betrifft beispiels- Bereicherungen der eigenen Gedanken und Strukturen. weise die Konstellation, dass die lehrende Person den Open access (dt. freier Zugang) bedeutet den unbe- reinen Lernfortschritt der Studierenden IT-basiert mes- schränkten und kostenfreien Zugang zu wissenschaftli- sen und zu diesem Zweck massenweise Bearbeitungen chen Informationen.66 Hinsichtlich der Unbeschränkt- der Studierenden speichern möchte, z.B. in Form von in- heit könnte schnell das Missverständnis aufkommen, teraktiven Quiz-Aufgaben in Lernplattformen oder ein- dass dies tatsächlich automatisch die Befreiung von gereichten Aufgaben inklusive dem entsprechenden sämtlichen Rechten dritter Personen bedeuten könnte. Feedback. Diese Speicherungen werden in aller Regel Dem ist jedoch nicht so. Die weitgehende Rechtsfreiheit Verarbeitungen personenbezogener Daten sein, da die der open access Bewegung bezieht sich stattdessen lehrende Person sie ja den betreffenden Studierenden hauptsächlich auf das Urheberrecht.67 Andere relevante zuordnen können muss. Datenschutzrechtlich sind diese Rechtsgebiete, beispielsweise das Bildnisschutzrecht Speicherungen nach verbreiteter Auffassung bedenklich, nach dem KUG oder das Datenschutzrecht, bleiben da- weil ihre Erforderlichkeit für Zwecke der ordnungsge- von unberührt und sind nach wie vor vollständig zu be- mäßen Ausübung der Hochschullehre im Zweifel steht.62 achten.68 Speziell mit Blick auf Materialien in der Hoch- Eine andere Bewertung ließe sich dagegen dann recht- schullehre spricht man häufig auch von open educatio- fertigen, wenn der reine Lernerfolg durch didaktische nal ressources (OER).69 Überlegungen Relevanz für die Prüfung bekommen Hauptanwendungsfall für eine urheberrechtlich weit- würde, z. B. als Prüfungsvorleistung, Teilprüfungsleis- gehend befreite Be- und Verarbeitungsmöglichkeit von tung oder auch als Studienleistung63, zum Beispiel in fremden Inhalten im Rahmen von OER sind die Creati- Form von E-Portfolios64. Diese Erkenntnis hat nicht nur ve Commons Lizenzen.70 Die Creative Commons Bewe- Auswirkungen auf die (Um-)Gestaltung dieser Module gung hat eine Serie von Lizenzformen hervorgebracht, durch Fakultät bzw. Fachbereich, sondern auch für den die eine Verwendung der lizensierten Inhalte mit mehr methodischen Aufbau und die inhaltliche Planung der oder weniger großen rechtlichen Beschränkungen be- 60 Götting/Leuze, in: Hartmer/Detmer, Hochschulrecht – Ein Hand- 179 f.; Zu gesetzlichen Regelungen im Rahmen eines Zweitver- buch für die Praxis, 3. Auflage, 2017, § 13, Rn. 124 ff.; s. bereits wertungsrechts von Forschungsergebnissen Haug, OdW 2019, 89 Leuze, Urheberrechte der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ff. und in den Hochschulen, 1998, S. 113 ff. 67 Vgl. Informationsplattform Open Access: Rechtsfragen in 61 Leuze (Fn. 60), S. 124 ff. Deutschland (open-access.net). 62 Schwartmann (Fn. 21). 68 Exemplarisch hierzu Lizenzbestimmungen für die sehr liberale 63 Sandberger (Fn. 1), S. 167. Creative Commons Lizenz CC BY: Creative Commons — Na- 64 van den Berk/Tan, ePortfolio-Prüfung, 2018, abrufbar unter: ht- mensnennung 2.0 Deutschland — CC BY 2.0 DE. tps://www.researchgate.net/publication/322519665_E-Portfolio- 69 Kreutzer/Hirche, Rechtsfragen zur Digitalisierung in der Lehre, Prufung. 2017, S. 25 ff.; Eisentraut (Fn. 3), S. 179 m.w.N. 65 Sosnitza, Rechtswissenschaft 2010, 225 ff. 70 Grundlegend Krujatz, Open Access, Diss. 2012, Tübingen, S. 125 66 Für den Wissenschaftsbereich einführend Eisentraut (Fn. 3), S. ff.
Morgenroth/Wieczorek · Zwischenbilanz zum Hochschulrecht 15 deuten. In der am stärksten urheberrechtlich befreiten sicherzustellen, könnte sich ein individueller Aufruf, Lizenz namens CC BY hat die verwendende Person nur verbunden mit einer per opt-in betätigten Kenntnisnah- noch den Namen des Urhebers zu nennen, ansonsten me durch die Studierenden und die interne Speicherung sind alle Nutzungsmöglichkeiten erlaubt, also z. B. die dieser Aktionen, als effektives Mittel anbieten. Bearbeitung, die Verbreitung oder die Verwendung zu eigenen kommerziellen Zwecken. In derjenigen Variante d. Sicherung der Lehrmaterialien gegen Missbrauch mit den stärksten rechtlichen Vorbehalten darf der ver- Zu einer abgerundeten Planung der Verwendung von wendete fremde Inhalt weder kommerziell genutzt noch Lehrmaterialien gehört auch, diese bestmöglich gegen bearbeitet werden, zudem ist auch hier der Name des Missbrauch zu schützen. Typischer Fall ist dabei das Urhebers zu nennen, sog. Lizenz CC BY-NC-ND. Ver- Informationsleck infolge einer unverschuldeten techni- einzelt findet sich dagegen auch die sog. Creative Com- schen Panne und das daraufhin erfolgende Hinaus- mons Zero (CCO) Lizenz, in der alle urheberrechtlichen schwemmen der Inhalte ins Internet, wo sie dann unkon- Beschränkungen aufgehoben sind. Hinsichtlich anderer trollierbar verwendet werden können. Denkbar sind in Rechte gilt hierzu jedoch der soeben gezeigte Hinweis. Ausnahmefällen jedoch leider auch unbefugte Nut- Die Verwendung von OER-Materialien und speziell zungshandlungen durch die Adressaten der Lehrveran- Creative Commons Lizenzen bringt eine Reihe von staltung. Chancen und Potenzialen hervor, können fremde Inhal- Auf die technischen Dimensionen der Datensiche- te doch vermeintlich schnell und rechtssicher in die eige- rung durch Strukturen der globalen Hochschularchitek- nen Unterlagen eingepflegt werden. Dennoch bergen tur hat die einzelne lehrende Person in aller Regel keinen auch die CC-Lizenzen und andere OER-Materialien eine Einfluss. Jedoch ist zu überlegen, ob sich die Lehrmateri- Reihe von rechtlichen Herausforderungen. So kann die alien effektiv und elegant durch einen prägnanten Ver- Frage des zutreffenden Klägers, die Erfüllung der Li- merk zur rechtlichen Zugehörigkeit in hohem Maße si- zenzbedingungen oder auch die Schadensberechnung chern lassen.73 Wegen der bereits behandelten Proble- im Falle einer Pflichtverletzung Gegenstand diffiziler matik, wem die Rechte an den Lehrmaterialien zugewie- Streitfragen sein.71 Nicht umsonst ist der Leitspruch der sen sind,74 kann sich dabei durchaus die Frage stellen, ob Creative Commons Bewegung auch „some rights reser- der „copyright-Vermerk“ als Rechtsträger die lehrende ved“ (dt. einige Rechte vorbehalten).72 Person oder nicht lieber doch die Hochschule beinhalten Die Hochschulen sollten deshalb überlegen und ggf. sollte. Dies soll der Gestaltung der Hochschule im Er- regulieren, ob sie für die Verwendung von fremden gebnis überlassen bleiben, zumal in vielen Fällen die OER-Materialien grundlegende Kontrollstrukturen wie Lehrmaterialien komplett von der lehrenden Person er- z. B. Informationspflichten etablieren oder sogar die stellt und deshalb dieser rechtlich zugewiesen sein wer- Verwendung aller oder einzelner Lehrmaterialien von den. Aus Sicht eines Verwenders ist dagegen möglicher- einer fachlichen Freigabe abhängig machen wollen. weise die Sichtweise interessanter, wer im Falle einer Rechtsverletzung als haftende Person in Frage kommt. c. Information der Studierenden über die Funktionswei- Weil die Durchführung von Hochschullehre eine dienst- se des Systems liche Tätigkeit, damit eine Amtshandlung im Sine des Soweit nicht die Hochschule als Institution die daten- Staatshaftungsrechts ist, haftet bei Verletzungen im Au- schutzrechtliche Information über die verwendeten ßenverhältnis zur anspruchsführenden Person zunächst Softwaresysteme der online-Lehre vornimmt, könnte die Hochschule als Dienstherr nach den Grundsätzen sich eine individuelle Information, vermittelt und ver- der Amtshaftung nach § 839 BGB, Art. 34 GG. Außer- antwortet durch die lehrende Person, anbieten. Auch dem zählt es zu den dienstlichen Pflichten wissenschaft- hierzu sind mehrere Varianten denkbar, beispielsweise lichen Personals, Recht und Gesetz einzuhalten,75 so eine automatische, auf das betreffende System individu- dass im Falle bekannt werdender Rechtsverletzungen alisierte Information zu Beginn jedes Semesters oder auch der jeweilige Dienstvorgesetzte auf Abhilfe drängen auch eine IT-basierte oder mündliche Information durch darf. Insgesamt sprechen deshalb gute Gründe dafür, in die lehrende Person zu Beginn der Veranstaltungsreihe. diesem Kontext eher eine rechtliche Zugehörigkeit der Um die erforderlichen Nachweise der Information Hochschule in den Vermerk einzuflechten. 71 OLG Köln, Urteil vom 31.10.2014, Az. 6 U 60/14; ausführlich solchen Vermerk an. Rauer/Ettig, WRP 2015, 94 ff. 74 Leuze (Fn. 60, 61). 72 Some Rights Reserved Archives - Creative Commons. 75 § 36 Abs. 1 BeamtStG. 73 Die Ernst-Abbe-Hochschule Jena bietet ihren Lehrenden einen
16 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 7 - 1 8 3. Fehlverhalten der Studierenden einer Lehrveranstaltungsreihe belastbar zu besprechen und möglicherweise zusätzlich auch schriftlich für dieje- Das Mitgliedschaftsverhältnis der Studierenden zur nigen Studierenden vorzuhalten, die bei der Bespre- Hochschule ist weniger intensiv ausgestaltet als ein chung nicht anwesend waren.81 Beschäftigungsverhältnis. Die verbindlichen Rechtsver- Etwas eindeutiger ist die Rechtslage dann bei hältnisse sind deshalb wenig allgemein und abstrakt, § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB, der das Zur-Verfügung-Stellen sondern verstärkt an einzelne Regelungsbereiche ange- dieser Materialien unter Strafe stellt. Hauptanwendungs- bunden. Hauptanwendungsfall hierfür ist die Prüfung. fall dessen ist sicherlich der Upload auf öffentlich zu- Aber auch außerhalb dieser sind konkrete Verhaltens- gänglichen Plattformen. Dass dies vom Willen aller hör- pflichten und zugehörige Sanktionen denkbar. Für die baren Personen gedeckt bzw. sonst gerechtfertigt werden Lehre sind dies zum Einen der rechtliche Rahmen des kann, dürfte sich auf Ausnahmesituationen staatlichen Zivil- bzw. Strafrechts (a.), sowie spezielle beschränken. hochschulrechtliche Mechanismen in Anlehnung an das Die Gelegenheit für eine strategische Überlegung der Ordnungsrecht (b.). Hochschule bietet in diesem Zusammenhang noch, dass Straftaten nach § 201 Abs. 1 StGB nur auf Strafantrag ver- a. Staatliches Recht folgt werden, § 205 StGB. Die Hochschule hat in diesem So kann bereits die Aufnahme einer Lehrveranstaltung Zusammenhang das Recht und gleichzeitig auch die auf einem dauerhaften Datenträger, beispielsweise einem Verantwortung, sich mit dem Zusammenspiel von Straf- Smartphone, strafbar sein. Denn § 201 Abs.1 Nr. 1 StGB recht und Hochschulrecht mit Blick auf die Gegebenhei- verbietet die Aufnahme des nichtöffentlich gesproche- ten vor Ort zu befassen. Dabei könnte das Interesse an nen Wortes. Soweit eine online-Lehrveranstaltung nicht einer Durchsetzungsfähigkeit angesichts des eher locke- einer breiten und unbestimmbaren Öffentlichkeit ren rechtlichen Bandes der Hochschulmitgliedschaft für zugänglich ist, wie dies etwa bei den sog. MOOCs76 der eine stärkere Strafverfolgung ebenso eine Rolle spielen Fall ist, sollte der Teilnehmerkreis einer Lehrveranstal- wie der Kontrollverlust durch das staatliche Strafverfol- tung hinreichend nichtöffentlich sein.77 Problematisch gungsmonopol dagegen. Hochschulen in Bundeslän- ist das Merkmal „unbefugt“, das nicht Bestandteil des dern, denen ordnungsrechtliche Regelungssysteme wie Tatbestands der Norm, sondern ein Hinweis auf die das Ordnungsverfahren82 zur Seite stehen, könnten die- Rechtswidrigkeit des Handelns ist.78 Die Unbefugtheit ses Element in ihre Abwägung ebenfalls einfließen des Handelns kann deshalb durch eine rechtfertigende lassen. Einwilligung79 oder andere Rechtfertigungsgründe aus- Parallel zum Schutz persönlicher Rechtsgüter wird geschlossen werden. Hierbei stellen sich interessante auch das Urheberrecht als geistiges Eigentum geschützt. Abgrenzungsfragen. Ist nämlich nur die lehrende Person Denn § 106 UrhG stellt mit der Vervielfältigung ebenfalls zu hören, so kommt es ausschließlich auf ihren Willen bereits die Aufnahme sowie mit der öffentlichen Wie- an. Werden dagegen auch Redebeiträge anderer Studie- dergabe das Hochladen auf öffentlich zugängliche Platt- render mit aufgefangen, so sind alle ihre Einwilligungen formen ebenso unter Strafe wie § 201 StGB, solange die erforderlich. Außerdem ist offen, wie sich die lehrende Lehrmaterialien urheberrechtlich geschützt sind und Person zu einer Aufnahme positioniert, ob dies also als keine Einwilligung aller Beteiligten vorliegt. Die inhaltli- sinnvolle Bereicherung je nach Lerntyp oder als über- che Strafbarkeit ist deshalb weitgehend parallel zu griffige Ambush-Aktion gesehen wird. Aus der Einwilli- § 201 StGB. Anders als dort unterliegt eine Verfolgung gung der lehrenden Person in die Aufzeichnung der Ver- von Taten nach § 106 UrhG aber nicht der ausschließli- anstaltung, die aus ihrem Verhalten folgt,80 kann inso- chen Dispositionsbefugnis der Hochschulen, denn nach weit nicht ohne Weiteres auch auf die Einwilligung zur § 109 UrhG kann die Staatsanwaltschaft bei besonderem Speicherung durch Studierende ausgegangen werden. In öffentlichen Interesse die Strafverfolgung auch von Amts jedem Fall ist es ratsam, diese Konstellation vor Beginn wegen einleiten. Soweit jedoch keine Präzedenz- oder 76 Botta, Datenschutz bei E-Learning-Plattformen, Rechtliche 79 Eisele, in: Schönke/Schröder (Fn. 77), § 201, Rn. 29 ff. Herausforderungen digitaler Hochschulbildung am Beispiel der 80 S. oben, Nr. II 1 b. Massive Open Online Courses (MOOCs), 2020; Besprechung bei 81 Dies bietet sich unabhängig von bestehenden Teilhaberechten Golla, OdW 2020, 209 ff. der unverschuldet abwesenden Studierenden, s. oben, Fn. 33, aus 77 Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Kommentar, 30. Auflage, Gründen effektiver Verfahrensgestaltung an. 2018, § 201, Rn. 7 f. 82 § 76 ThürHG. 78 Heuchemer/Paul, JA 2004, Heft 4, 1, 4.
Morgenroth/Wieczorek · Zwischenbilanz zum Hochschulrecht 17 sonstigen gravierenden Fälle vorliegen, sollten die so- spezielle Corona-Recht für derartige Regelungen eine eben genannten Erwägungen gleichermaßen gelten Rechtsgrundlage bieten, kann diese Fixierung darauf ge- können. stützt werden. Daneben können diejenige Person, welche die Verlet- In einigen Bundesländern besteht darüber hinaus zungshandlung zu verantworten hat, auch zivilrechtliche auch die Möglichkeit, gegen Studierende nach Durch- Ansprüche treffen, z. B. Unterlassungsansprüche hin- führung eines Ordnungsverfahrens bestimmte Ord- sichtlich des Urheberrechts aus § 97 UrhG,83 bezüglich nungsmaßnahmen zu verhängen.87 Durch die Verbin- anderer Aspekte, etwa des Bildnisschutzrechts aus §§ 823 dung nichtakademischen Fehlverhaltens mit akademi- in Verbindung mit 1004 BGB,84 oder Schadensersatzan- schen Sanktionen trägt dieses Ordnungsverfahren damit sprüche aus § 98 UrhG für Urheberrechtsverletzungen zumindest in Ansätzen ordnungsrechtliche Züge. Diese oder aus §§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Sanktionsmöglichkeiten stehen damit gewissermaßen § 201 StGB.85 Spannende Konstellationen ergeben sich zwischen dem eng begrenzten prüfungsrechtlichen Re- hierbei dann, wenn die widerrechtlich verwendeten In- gelungssystem und dem allgemein geltenden staatlichen halte zumindest auch der lehrenden Person zugewiesen Recht. Zum Schutz der Studierenden sind diese Ord- sind und diese deshalb mindestens teilweise selbst be- nungsverfahren sehr formal ausgestaltet. rechtigt ist, Ansprüche geltend zu machen, sog. Aktivle- gitimation. Hier könnte die Hochschule ein Interesse da- III. Ergebnisse ran haben, das Verfahren selbst zu führen. Im Falle einer ausschließlichen Rechtsinhaberschaft der lehrenden Zusammengefasst seien abschließend nochmals die Person kommt dabei die Abtretung der Forderung gegen nachfolgenden wesentlichen Ergebnisse genannt: den Verletzer von Seiten der lehrenden Person auf die 1. Die Beschaffung von Konferenzsystemen für on- Hochschule nach § 398 BGB in Betracht. Befinden sich line-Lehre ist mittlerweile wohl im regulären Vergabe- beide in einer Rechtsgemeinschaft bezüglich der Lehrin- verfahren für gewerbliche Lieferungen und sonstige halte, so sollte eine Streitgenossenschaft nach § 59 ZPO Leistungen zu tätigen. Unmittelbar nach dem Ausbruch im Prozess eine taugliche Alternative zur alleinigen Pro- der Corona-Pandemie im März 2020 sowie möglicher- zessführung der Hochschule nach Abtretung sein. weise auch mit Blick auf die wenig vorhersehbare Ent- scheidung des EuGH über die Unwirksamkeit von Priva- b. Hochschulrecht cy Shield war dagegen mit einiger Wahrscheinlichkeit Den Hochschulen steht entweder auf der Grundlage eine privilegierte Beschaffung wegen unverschuldeter eigener Regelungen, etwa einer Hausordnung, oder kraft Dringlichkeit möglich (oben, Nr. II 1 a). funktionalen Annexes der Selbstverwaltungstätigkeit 2. Für die Frage der Zulässigkeit einer Speicherung das Hausrecht zur Seite. Dieses berechtigt den Inhaber, personenbezogener Daten von Studierenden im Rah- die Benutzung der der Hochschule zugewiesenen Lie- men der online-Lehre im Wege der Aufzeichnung von genschaften unter bestimmte Bedingungen zu stellen Lehrveranstaltungen ist die rechtliche Gemengelage zwi- bzw. die Nutzung zu untersagen. schen der Verantwortung der Hochschule für qualitativ Vor allem für die derzeit so stark frequentierten on- hinreichend wissenschaftliche Lehre, der Lehrfreiheit line-Aktionswelten ist das Hausrecht insbesondere in der lehrenden Person unter Einschluss didaktischer Ele- seiner Ausgestaltung als virtuelles Hausrecht86 interes- mente und der Verwirklichung der Studierfreiheit der sant. So kann auch der virtuelle Kommunikations- und Studierenden maßgeblich. Die konkrete Abwägung Interaktionsraum unter Spielregeln gestellt und die Teil- hängt von vielen verschiedenen Faktoren, etwa der Art, nahme daran von deren Einhaltung abhängig gemacht Anzahl und Schutzwürdigkeit der personenbezogenen werden. Da das klassische Hausrecht physisch wirkt und Daten, dem speziellen Verwendungszweck oder dem möglicherweise nicht alle hausrechtsbezogenen Rege- Grad der vermittelten Öffentlichkeit, ab. Online-Lehre lungen die virtuelle Dimension bereits enthalten, emp- kann jedoch mehr sein als die virtuelle Abbildung von fiehlt sich eine konkrete Ausgestaltung in einer Rege- analog verwendeten Strukturen, angereichert um neue lung. Soweit das reguläre Hochschulrecht oder auch das didaktische Elemente. Online-Lehre vermittelt die 83 BGH, Urteil vom 24.09.2014, Az. I ZR 35/11. 86 LG Bremen, Urteil vom 20.06.2019, Az. 7 O 1618/18 m.w.N. 84 BAG, Urteil vom 11.12.2014, Az. 8 AZR 1010/13. 87 § 15 BbgHG, § 51 a HG NRW, § 76 ThürHG. 85 OLG Köln, Urteil vom 18.07.2019, Az. 15 W 21/19.
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