Carsten Morgenroth und Barbara Wieczorek Zwischenbilanz zum Corona-Hochschulrecht aus Sicht der Hochschulpraxis, Teil I - Online-Lehre

 
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Carsten Morgenroth und Barbara Wieczorek
                                               Zwischenbilanz zum Corona-Hochschulrecht aus
                                               Sicht der Hochschulpraxis, Teil I – Online-Lehre

Übersicht
                                                                        hin konnten im Verlaufe des Sommersemesters 2020 ers-
I. Einleitung                                                           te Erfahrungen mit der online-Lehre und einem
II. Praxisfragen im Zusammenhang mit online-Lehre                       Prüfungszeitraum im online-Format gesammelt wer-
1. Vorüberlegungen zum Softwaresystem                                   den.4
a. Beschaffung                                                              Nach einer Beruhigung der Infektionslage über den
b. Datenschutzrechtliche Vorüberlegungen                                Sommer 2020, die mit Lockerungen der Infektions-
2. Vorüberlegungen für Lehrende                                         schutzmaßnahmen verbunden war,5 stiegen die Zahlen
a. Überlegungen zur inhaltlichen und didaktischen Gestaltung            der positiven Testergebnisse deutschlandweit wieder er-
b. Verwendung von open access-Inhalten                                  heblich an. Es galt deshalb, die Erkenntnisse und Erfah-
c. Information der Studierenden über die Funktionsweise des             rungen der vergangenen Monate zu konsolidieren, sich
Systems                                                                 intensiv mit den Ausgestaltungen des online-Hochschul-
d. Sicherung der Lehrmaterialien gegen Missbrauch                       betriebs zu befassen und diese in einem sinnvollen Maß
3. Fehlverhalten der Studierenden                                       dauerhaft zu integrieren.
a. Staatliches Recht                                                        Diese Abhandlung unternimmt daher den Versuch,
b. Hochschulrecht                                                       die Fortentwicklung des Rechts der online-Lehre nach
III. Ergebnisse                                                         derzeitigem Stand aufzuarbeiten. Teil 2 wird dann neben
                                                                        einigen grundlegenden Fragestellungen den aktuellen
                                                                        Zwischenstand für online-Prüfungen beleuchten. Hof-
I. Einleitung                                                           fentlich kann damit ein kleiner Beitrag geleistet werden,
                                                                        den derzeit nur begrenzt möglichen kollegialen Aus-
Die Corona-Pandemie hat auch das deutsche Hoch-                         tausch zu befördern.
schulleben in kürzester Zeit stark verändert.1 Die Mitte
März 2020 in Deutschland beginnenden Maßnahmen,                         II. Praxisfragen im Zusammenhang mit online-Lehre
Kontakte zu beschränken und Mindestabstände einzu-
richten, hatte dabei erhebliche organisatorische und                    Obwohl die online-Lehre kein neuartiges Phänomen in
rechtliche Konsequenzen. Innerhalb weniger Wochen                       der deutschen Wissenschaftslandschaft ist,6 hat die
hatten die Hochschulen die Aufgabe, das anstehende                      Corona-Situation den Bedarf danach und damit den
Sommersemester 2020 über online-Angebote zu Lehre                       Klärungsbedarf bezüglich seiner rechtlichen Dimensio-
und Prüfung abzusichern.2 Diese Absicherung ließ sich                   nen erheblich erhöht. Aus der praktischen Innensicht
nur mit einer intensiven Kraftanstrengung aller Beteilig-               sollen deshalb die wesentlichen Aspekte angeschnitten
ten bewältigen, zumal die rechtliche Lage unsicher und                  werden, zu denen einige Vorüberlegungen zum verwen-
volatil war und der Prozess der Digitalisierung von Leh-                deten Softwaresystem (1.) und Hinweise für Lehrende
re und Prüfung in den deutschen Hochschulen sich weit-                  für die Erstellung ihrer Lehrunterlagen (2.) gehören.
gehend noch nicht auf der Zielgeraden befindet.3 Immer-                 Aber nicht nur die Verantwortungssphäre der Hoch-

Online-Fundstellen wurden zuletzt abgerufen am 24. November 2020.       3   Mit ausführlichen Nachweisen dazu Eisentraut, OdW 2020, 177 ff.
1 Eine anschauliche Beschreibung der Anforderungen und Reakti-          4   Eine Zusammenfassung des ersten Corona-Semesters bietet
    onen aus den ersten Monaten vermittelt Sandberger, OdW 2020,            Hochschulen ziehen Bilanz des Digitalsemesters (faz.net), seitens
    155 ff.                                                                 der Hochschulrektorenkonferenz Stellungnahmen der HRK -
2 Dem Beginn der wesentlichen Corona-Maßnahmen Mitte März                   Hochschulrektorenkonferenz.
    2020 folgte die Feststellung einer epidemischen Lage von nationa-   5   Es wurde im Bundestag sogar über eine Aufhebung der Fest-
    ler Bedeutung nach § 5 IfSG durch den deutschen Bundestag mit           stellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im
    Wirkung zum 28. März 2020, s. Rixen, NJW 2020, 1097 ff. Der             Sinne von § 5 IfSG debattiert, s. Deutscher Bundestag - Streit um
    übliche Semesterstart im Sommersemester liegt ca. Mitte April           Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite.
    des Jahres und war von diesen einschneidenden Maßnahmen nur         6   So bieten etwa die Fernuniversität Hagen oder die Virtuelle
    wenige Wochen entfernt.                                                 Hochschule Bayern seit Längerem online-Angebote an.

                                                Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197-9197
8                       O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 7 - 1 8

schule gehört hierhin, sondern auch eine Betrachtung                  wareprodukte ist dies mit Bezug zu individueller Ent-
möglichen Fehlverhaltens der Studierenden mit Bezug                   wicklung bzw. Anpassung sehr wahrscheinlich und
zu den Unterrichtsmaterialien (3.).                                   deshalb in der Vorbereitung des Verfahrens immer mit
                                                                      zu beobachten.11 Für derart komplexe, integrierte Syste-
1. Vorüberlegungen zum Softwaresystem                                 me wie online-Lehrsoftware wird der potenzielle Anbie-
Vorüberlegungen zum Softwaresystem inkludieren des-                   terkreis aber wohl doch mit überwiegender Wahrschein-
sen Beschaffung (a.), und dessen bestmögliche daten-                  lichkeit ausschließlich aus gewerbetreibenden, industri-
schutzrechtliche Absicherung (b.).                                    ellen Anbietern bestehen können, so dass die richtige
                                                                      Vergabeart die gewerbliche Lieferung bzw. Listung ist.
a. Beschaffung                                                        Diese Frage könnte allerdings für konkrete Weiterent-
Auch für die Beschaffung von Software zu Zwecken der                  wicklungen einer bestehenden Software anders zu beur-
online-Lehre hat eine Hochschule das geltende Vergabe-                teilen sein.12
recht einzuhalten, zumindest dann, wenn sie ein sog.                      Essenziell für die Beschaffung ist in jedem Fall die
öffentlicher Auftraggeber ist. Dies ist für staatliche Hoch-          Vorbereitung. Im Rahmen der sog. Bedarfsermittlung13
schulen immer der Fall. Für private, staatlich anerkannte             hat die Hochschule nämlich möglichst genau vorab zu
Hochschulen bestimmt sich dies nach dem Umfang                        überlegen, welche Formen der online-Lehre – bzw.: ggf.
ihrer Anerkennung.7                                                   inklusive online-Prüfungen - sie einzusetzen plant. Da-
    Innerhalb des Vergaberechts ist sodann in zweierlei               nach bestimmt sich dann im Rahmen der sog. Markter-
Hinsicht zu strukturieren. Wir unterscheiden in erster                kundung, welche potenziellen Anbieter für eine derart
Stufe das auf EU-Recht basierende Oberschwellenverga-                 ausgestattete Software in Frage kommen.14 Da die Markt-
berecht gemäß GWB und VgV vom Unterschwellenver-                      erkundung in der Regel auch einen Schätzungswert für
gaberecht nach der UVgO bzw. – soweit die betreffenden                die Beschaffungskosten beinhaltet,15 ist damit zugleich
Bundesländer diese noch nicht für gültig erklärt haben8               auch der zutreffende rechtliche Rahmen16 für das Ver-
– die VOL/A. Der aktuelle Schwellenwert9 beträgt für die              fahren gesichert. Bezüglich der potenziellen Bieter emp-
hier relevanten Beschaffungsarten 214.000 € netto. Für                fiehlt es sich, im Rahmen des Verfahrens aktuelle, ein-
den Unterschwellenbereich, also für Gesamtnettokosten                 schlägige Referenzen abzufordern, um bei den betreffen-
unter 214.000 €, relevant ist eine weitere Unterscheidung             den Stellen nach deren Erfahrungen mit dem Bieter und
zwischen gewerblichen Lieferungen bzw. sonstigen Leis-                der Software konkret zu erfragen.17 Hinsichtlich der
tungen einerseits und sog. freiberuflichen Leistungen                 Leistung selbst ist es vergaberechtlich zulässig, vor der
andererseits. Freiberufliche Leistungen sind solche Leis-             Erteilung des Zuschlags eine sog. Teststellung18 zu absol-
tungen, bei denen nach der Art der Leistung freiberufli-              vieren, in der die Software dann im praktischen Einsatz
che Anbieter10 zumindest auch als Bieter im Vergabever-               getestet werden kann, um die Richtigkeit der Bieteranga-
fahren in Frage kommen können. Gerade für Soft-                       ben zum System im konkreten Umfeld der Hochschule

7  Bei juristischen Personen des Privatrechts hat nach § 99 Nr. 2          könnte natürlich dadurch ausgeschlossen sein, dass sich der
   GWB eine Feststellung zu erfolgen, dass deren Aufgabenerfül-            Anbieter Exklusivrechte an der Software zu Grunde liegendem-
   lung im Allgemeininteresse liegt, s. Ziekow, in: Ziekow/Völlink,        Quellcode ausbedungen hat, was bei Software außerhalb der open
   Vergaberecht, Kommentar, 4. Auflage, 2020, § 99 GWB, Rn. 55.            source Bewegung sehr wahrscheinlich ist. In diesem Falle kommt
   Dies könnte idealerweise durch die Anerkennung der privaten             nach der Art der Leistung nur der Verkäufer der Ausgangssoft-
   Hochschule erfolgen.                                                    ware in Frage – es handelt sich hierbei dann um eine privilegierte
8 Da die UVgO – wie die VOL – keinen Gesetzescharakter hat, ist            Form der gewerblichen Beschaffung.
   sie von jedem Bundesland gesondert einzuführen, beispielsweise     13   Trutzel, in: Ziekow/Völlink (Fn. 7), § 28 VgV, Rn. 2.
   als Verwaltungsvorschrift zu § 55 Landes-LHO.                      14   OLG Celle, Beschluss vom 22.05.2008, Az. 13 Verg 1/08.
9 Der Schwellenwert nach § 3 VgV wird von der EU-Kommission           15   OLG Brandenburg, Beschluss vom 17.05.2011, Az. Verg W 16/10.
   im Amtsblatt der EU bekanntgegeben, zuletzt am 30. Oktober         16   Gemeint ist hier die Unterscheidung zwischen Oberschwellen-
   2019 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2020, s. Amtsblatt der Euro-          und Unterschwellenvergaberecht, nicht dagegen die danach noch
   päische Union, Nr. L 279/23.                                            zu treffende Wahl der konkreten Verfahrensart.
10 § 50 UVgO nimmt zum Personenkreis freiberuflicher Anbieter         17   OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 08.04.2014, Az. 11 Verg
   insoweit Bezug auf die Regelung in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.              1/14.
11 Variantenreich und instruktiv insoweit Kirch/Kumpf, Vergabe-       18   Zu den Möglichkeiten und rechtlichen Maßstäben einer Teststel-
   News 2014, 94 ff.                                                       lung vor bzw. nach Vertragsschluss Jennert/Werner, VergabeR
12 Der für derartige Leistungen grundsätzlich eröffnete Wettbewerb         2016, 174 ff.
Morgenroth/Wieczorek · Zwischenbilanz zum Hochschulrecht                                                       9

verifizieren zu können. Die vergaberechtliche Erleichte-             ten zu beachten. Möchte die lehrende Person darüber hi-
rung, infolge unverschuldeter Dringlichkeit nach verein-             naus im Rahmen der Lehre personenbezogene Daten
fachten Vorgaben zu beschaffen,19 sollte dagegen mit                 Dritter verwenden, z. B. ein Video mit abgebildeten drit-
Blick auf die nunmehr seit mehreren Monaten bekannte                 ten Personen, so hat das System dies dem Grunde nach
Sonderproblematik Corona nicht mehr zulässig sein.20                 ebenfalls zu berücksichtigen.23 Die Hochschule hat je-
                                                                     doch übergeordnet zwei Fragen zu klären: die techni-
b. Datenschutzrechtliche Vorüberlegungen                             schen Voreinstellungen des Systems und die daten-
Datenschutzrechtliche Überlegungen der Hochschule                    schutzrechtliche Kompatibilität bei Verwendung von
beinhalten sowohl das formelle als auch das inhaltliche              Software von außerhalb der EU, insbesondere US-ameri-
Datenschutzrecht, letzteres bei Softwareanbietern außer-             kanischer Software.
halb der EU insbesondere zum Recht des Datentransfers                    Die technischen Voreinstellungen des Systems haben
in Drittstaaten nach Art. 44 ff. EU-DSGVO.                           neben der rein technischen Kompatibilität mit anderen
    In formeller Hinsicht bestehen Pflichten der Hoch-               verwendeten Systemen vor allem datenschutzrechtliche
schule im Außenverhältnis zu Studierenden sowie inter-               Vorgaben zu beachten. Diese als „technisch-organisato-
ne Dokumentationspflichten. Zu letzteren gehört insbe-               rische Maßnahmen“ vorgesehenen Anforderungen be-
sondere das Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten                 stehen insbesondere in den Vorkehrungen zur Sicherheit
(VVT) gemäß Art. 30 EU-DSGVO, in dem die wesentli-                   der Datenverarbeitung nach Art. 32 EU-DSGVO sowie
chen Datenverarbeitungen, Verfahrensabläufe, Beteilig-               in Voreinstellungen, die von Vornherein das Gebot der
ten und Rechtspositionen im Rahmen des Betriebs des                  Datensparsamkeit umsetzen wollen und Verarbeitung
Softwaresystems aufzuführen sind. Gegenüber den Stu-                 nur der für den jeweiligen Zweck wirklich erforderlichen
dierenden hat die Hochschule dagegen über die Funkti-                Daten überhaupt erst ermöglichen, Art. 25 Abs. 2 EU-
onsweise des Systems und die damit verbundenen Da-                   DSGVO. Zu letzterem gehört – neben einem etablierten
tenverarbeitungen zu informieren, Art. 13, 14 EU-DS-                 und regelmäßig überprüften Rechte- und Rollenkon-
GVO, sowie diese Information auch zu dokumentieren,                  zept24 - vor allem die Frage, ob die Hochschule ein Soft-
Art. 5 Abs. 2 EU-DSGVO.21 Ob diese Information über                  waresystem für online-Lehre von vornherein für eine
eine allgemeine Internetseite oder für jeden Studieren-              Aufzeichnung der betreffenden Veranstaltung sperrt
den individuell, beispielsweise in einem Fenster vor Nut-            und diese damit gar nicht erst zulässt.25 Diese Frage stellt
zung des Systems, erscheint, bleibt der konkreten Ausge-             sich in dieser Absolutheit für die Hochschule natürlich
staltung überlassen. Zum ebenfalls erforderlichen Nach-              nur dann, wenn unter keinen Umständen ein Vorhalten
weis der Dokumentation der Information bietet sich                   der Lehrveranstaltung als datenschutzrechtlich erlaubt,
möglicherweise die IT-basierte, individualisierte Infor-             insbesondere erforderlich für die Erfüllung der öffentli-
mation in Verbindung mit der Speicherung der aktiv ge-               chen Aufgabe der Hochschullehre, angesehen werden
setzten Kenntnisnahme durch die Studierenden seitens                 kann, Art. 6 Abs. 1 lit. e) EU-DSGVO.26 Die in diese Ab-
der Hochschule als effektives Mittel an.                             wägung einzustellenden Rechte und Interessen der Be-
    In materieller Hinsicht hat sich die Datenverarbei-              teiligten sind vielfältig. Ohne Anspruch auf Vollständig-
tung zunächst allgemein an den Grundsätzen von                       keit seien im Folgenden einige praktisch wesentliche As-
Art. 5 EU-DSGVO zu orientieren, insbesondere an den                  pekte diskutiert.
Geboten der Zweckbindung, Datensparsamkeit und                           So erscheint es als durchaus offen, ob das Vorhalten
Verhältnismäßigkeit. Nach dem Zweck der Lehre, inter-                digitaler Kopien von Lehrveranstaltungen ein legitimer
aktiven Austausch von Wissen zwischen Lehrenden und                  Zweck für die Datenverarbeitungsform der „Speiche-
Studierenden zu ermöglichen,22 sind dabei bestim-                    rung“, die mit der Aufnahme einhergeht, sein kann. Aus
mungsgemäß personenbezogene Daten dieser Beteilig-                   der Verantwortung der Hochschule für die Sicherstel-

19 Zu den umfangreichen Sonderregelungen von Bund und Ländern           den, z. B. über lecture pranks, s. dazu Fn. 59.
   im Zusammenhang mit der Covid-19-Situation s. Braun, in:          24 In Erwägungsgrund 78 zu Art. 25 EU-DSGVO als „Maßnahme
   Ziekow/Völlink (Fn. 7), § 134 GWB, Rn. 145 a ff.                     zur Transparenz der Verarbeitung“ bezeichnet.
20 Soweit die Beschaffung Angebote außerhalb der EU betrifft, wird   25 S. auch Fehling (Fn. 22), S. 146 ff.
   jedoch auf den Zusammenhang mit der Entscheidung des EuGH         26 Sollte dagegen eine datenschutzrechtliche Bewertung ein
   zu Privacy Shield verwiesen, s. Fn. 54-56.                           differenziertes Bild ergeben, so ist dies je nach dem Grad der
21 So der renommierte Datenschutzrechtler Schwartmann anlässlich        Differenzierbarkeit, also etwa nach Fachdisziplinen, Selbstverwal-
   eines Webinars zum Recht von online-Lehre und online-Prüfun-         tungseinheiten, Studiengängen oder sogar Modulen individuell
   gen am 30. Oktober 2020, hierzu Haake, OdW 2021, S. 62 ff.           zu erfassen und den jeweils vorgegebenen Verfahren in den
22 Hierzu Fehling, OdW 2020, 137, 142.                                  einzelnen Hochschulen zuzuführen.
23 Die konkrete Ausgestaltung ist dann Sache der bzw. des Lehren-
10                       O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 7 - 1 8

lung des Lehrangebots27 wird sich sicherlich ein digitales                heitsrisiken in der späteren beruflichen Praxis als neue,
Streaming, aber tendenziell keine Aufzeichnung ableiten                   digital vermittelte Chance der Lehre anzusehen. Zu-
lassen. Seitens der Studierenden ist die effektive Ver-                   gunsten einer weiteren Prüfung wird deshalb von der
wirklichung der Studierfreiheit durch nahezu unbe-                        Verfolgbarkeit legitimer Zwecke durch die Aufnahme
grenzte Wiederholungsmöglichkeit sowie das erhöhte                        von Lehrveranstaltungen ausgegangen.
Rezeptionspotenzial speziell für auditive bzw. visuelle                       Eine hinreichende Eignung der Aufnahme zur Ver-
Lerntypen sicherlich von Vorteil – ob sich dieser Aspekt                  folgung der benannten legitimen Zwecke wird man der
aber rechtsverbindlich aus der Studierfreiheit heraus ab-                 Aufnahme einer Lehrveranstaltung nur dann abspre-
leiten lässt, ist zweifelhaft, zumal bereits die Ebene der                chen können, wenn man das Maß an erforderlicher In-
rechtlichen Verankerung einer Studierfreiheit alles an-                   teraktion als Grundbestandteil wissenschaftlicher Leh-
dere als geklärt ist.28 Demgegenüber lässt sich seitens der               re34 auch in Zeiten wie diesen als unverändert hoch an-
Lehrenden anführen, die aus der über Art. 5 Abs.3 GG                      sähe. Dieser Anspruch wäre für das Sommersemester
vermittelten Lehrfreiheit folgende Wahl der Lehrmetho-                    2020 angesichts der herrschenden Rahmenbedingungen
den29 schließe nicht nur eine Bedienung der virtuellen                    verfehlt gewesen. Je länger die Hochschulen mit der Co-
Welt an sich über die einmalige, sondern gerade über die                  rona-Situation umgehen und sich adaptieren können,
Aufzeichnung eine dauerhafte oder sonst perpetuierte                      desto mehr wird dieser Anspruch an Interaktion auch
Rezeptionsmöglichkeit der Lehrinhalte für die Studie-                     digitaler Lehre – im Sinne einer vollendeten Transfor-
renden ein. Hinsichtlich der Wahl didaktischer Konzep-                    mation – gelten. Aus jetziger Sicht, zu Beginn des zwei-
te für Lehrveranstaltungen ist die Methode des „Flipped                   ten „Corona-Semesters“, scheinen gewisse Abstriche von
Classroom“30 zu nennen, bei der die Nutzung von Auf-                      diesem Maßstab allerdings nach wie vor geboten zu sein.
zeichnungen in besonderem Maße relevant ist. Die Tat-                     Die Eignung der Aufnahme wird deshalb zumindest
sache, dass bei geeigneter Konzeption ein „Flipped                        derzeit nicht bestreitbar sein.
Classroom“-Ansatz zu verbesserten Lernergebnissen im                          Im Rahmen der Erforderlichkeit der Maßnahme ist
Vergleich zu traditionellen Ansätzen führt31, unter-                      zu fragen, welche der möglichen Varianten die Rechte
streicht die Bedeutung von Lehrmethoden unter Nut-                        der Betroffenen, ihre Grundreche aus Art. 7, 8 GrCh, am
zung digitaler Hilfsmittel, wie auch Aufzeichnungen zur                   wenigsten einschränkt, die verfolgten legitimen Zwecke
Verbesserung der Lehrqualität. Die Bedeutung des Kon-                     jedoch verwirklichen kann.35 Hierbei ist insbesondere
zeptes „Flipped Classroom“ wird auch an seiner Verbrei-                   an Beschränkungen der Verwendung personenbezoge-
tung sichtbar.32 Jedenfalls auf der Ebene des legitimen                   ner Daten der Studierenden zu denken, da die lehrende
Zwecks beachtlich sind daneben Erwägungen der Teil-                       Person über die Verwendung ihrer eigenen personenbe-
habe von unverschuldet verhinderten Studierenden,                         zogenen Daten im Rahmen ihrer Methodenwahl auto-
etwa infolge von Krankheit, Schwangerschaft oder Mut-                     nom bestimmen kann. Im Lichte der Verwirklichung
terschutz bzw. Elternzeit33 – insoweit kann der oben an-                  von Studien- bzw. Teilhaberechten und -interessen sind
gestellte Vergleich zur analogen Welt verlassen und die                   deshalb Stufungen vorzunehmen zwischen der Verwen-
Chancen der digitalen Möglichkeiten in die Abwägung                       dung von studentischen Video- bzw. Bildeinblendungen,
eingestellt werden. Für die Arbeit mit und am Menschen                    Chatfunktionen, Klarnamen oder Pseudonymen und
kann dieser Gedanke der nicht fortgesetzten Analogie                      anderen denkbaren Varianten. Zu beachten ist hier für
fortgeführt und ein legitimer Zweck einer Aufnahme                        die Teilmenge der sog. biometrischen Daten36 der Stu-
durchaus darin erkannt werden, die Übungsfunktion                         dierenden nach Art. 4 Nr. 11 EU-DSGVO, dass diese da-
derartiger Lehre mit Blick auf die Lebens- bzw. Gesund-                   tenschutzrechtlich als besonders sensibel gelten und des-

27 Fehling, in: Kahl/Waldhoff/ Walter, Bonner Kommentar zum                    setzen, das Konzept „Flipped Classroom“ verwenden, s. Schmid/
   Grundgesetz, Art. 5 Abs. 3, Rn. 99.                                         Goertz/Radomski/Thom/Behren, Monitor Digitale Bildung. Die
28 Eine anschauliche Darstellung der verschiedenen Ebenen und                  Hochschulen im digitalen Zeitalter, 2017, S. 15.
   Positionen bei VGH Mannheim, Urteil vom 21.11.2017, Az. 9 S            33   Die Möglichkeiten, auch im Mutterschutz bzw. in Elternzeit,
   1145/16, Rn. 45 ff. bei juris.                                              ggf. auf der Grundlage einer Beurlaubung, Prüfungsleistungen
29 BVerfGE 90, 1, 11 ff.                                                       absolvieren zu dürfen, wodurch eine Verfolgung von Lehrveran-
30 Spannagel/Spannagel, Designing In-Class Activities in the                   staltungen auch in diesen Zeiten sinnvoll bzw. erforderlich sein
   Inverted Classroom Model, in: Handke/ Kiesler/ Wiemeyer. The                kann, ist – aufbauend auf dem seit 2019 geltenden MuSchG –
   Inverted Classroom Model. 2013. S. 113 ff.                                  sehr differenziert unter den Hochschulen geregelt.
31 van Alten/ Phielix/Janssen/Kester: Effects of flipping the classroom   34   Fehling (Fn. 27).
   on learning outcomes and satisfaction: A meta-analysis, Educa-         35   EuGH, MMR 2009, 175, 177.
   tional Research Review, 2019, passim.                                  36   Gola, Datenschutzgrundverordung, Kommentar, 2017, Art. 9 Rn.
32 Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt, dass etwas mehr                12.
   als die Hälfte der Lehrenden, die Blended Learning-Formate ein-
Morgenroth/Wieczorek · Zwischenbilanz zum Hochschulrecht                                                    11

halb durch besondere Mechanismen zu schützen sind,                    sätzlichen inhaltlichen Vorgaben für eine Datenüber-
insbesondere die Datenschutz-Folgenabschätzung nach                   mittlung in ein Drittland nach Art. 44 ff. DSGVO zu be-
Art. 35 EU-DSGVO.37 Speziell diese personenbezogenen                  achten. Prominente Beispiele sind hierbei sicherlich die
Daten sind deshalb besonders sorgfältig zu prüfen, bevor              Konferenzsoftwares Zoom, Skype oder Microsoft Teams,
deren flächendeckende Verwendung freigegeben werden                   die von US-amerikanischen Firmen vertrieben werden.
kann. Ebenso ist in die Abwägung einzustellen, welchen                Diese Fragestellung hat für das laufende Wintersemester
Grad von Öffentlichkeit die verarbeiteten personenbezo-               2020/21 an Bedeutung gewonnen , denn der EuGH hat
genen Daten erfahren werden, also etwa die Stufen des                 mit Urteil vom 16. Juli 202041 die bisher geltende daten-
Internets, des hochschulweiten Intranets oder auch le-                schutzrechtliche Legitimation für den transatlantischen
diglich einer Fakultäts- bzw. Kursöffentlichkeit. Für den             Datentransfer zwischen der EU und den USA (sog. Pri-
Bereich der Arbeit mit und am Menschen sei hier auf                   vacy Shield)42 mangels hinlänglichem Datenschutzni-
den rechtlich ebenfalls besonders sensiblen Bereich der               veau in den USA für unwirksam erklärt. Der EuGH hat
Arbeit mit Patientendaten hingewiesen und eine ent-                   außerdem zur zweiten Säule rechtmäßiger transatlanti-
sprechende Stufung der Verwendung personenbezoge-                     scher Datenübermittlung, den sog. Standardschutzklau-
ner Patientendaten entsprechend des Ausbildungs-                      seln,43 Stellung bezogen: Diese seien nach dem Scheitern
zwecks angeregt. Welche dieser Stufen im Rahmen der                   von Privacy Shield zwar weiterhin zulässig und denkbar,
Erforderlichkeitsprüfung beschritten zu werden hat,                   im Verhältnis zu den USA in der konkreten Fallgestal-
richtet sich nach den in den Studienordnungen veran-                  tung jedoch nicht oder nur in seltenen Ausnahmefällen
kerten Zielen der Lehre. Da diese Regelungen als spezifi-             tragfähig.44 Damit stehen die deutschen Hochschulen
sche Bestimmungen im Sinne von Art. 6 Abs.1 Satz 1 Nr. b)             vor einem erheblichen Legitimationsproblem, personen-
in Verbindung mit Absätzen 2 und 3 EU-DSGVO zu se-                    bezogene Daten ihrer Bediensteten bzw. Studierenden in
hen sind38 und auch einen genuin wissenschaftsspezifi-                die USA weiterzuleiten oder deren direkte Erhebung in
schen Bereich regeln, die nationalen Grundrechte also                 den USA zu verantworten.
herangezogen werden dürfen,39 sind diese Erwägungen                       Die nach wie vor mögliche und erforderliche Auf-
als Ausgestaltungen der einzelnen Grundrechtsträger                   tragsdatenverarbeitungsvereinbarung nach Art. 28 EU-
der nationalen Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG             DSGVO vermag diese Defizite nach aktuellem Stand
vollwertig in die Abwägung einstellbar. Teilweise wird                nicht vollständig zu kompensieren. Sie bezieht sich in-
gegen die Erforderlichkeit der Aufzeichnung angeführt,                haltlich auf die operative Abwicklung der Datenverar-
der Zweck der Wiederholung sei durch andere Maßnah-                   beitung, lässt die materiell-rechtliche Zulässigkeit des
men, beispielsweise virtuelle Sprechstunden, ebenso er-               Datentransfers dagegen unberührt. Vor Geltung der EU-
reichbar.40 Dieser Ansatz trifft jedoch in Fällen nicht zu,           DSGVO ging das deutsche Datenschutzrecht zwar von
in denen die Adressaten nicht wirkungsvoll über derarti-              einer Privilegierungswirkung der ADV dergestalt aus,
ge Maßnahmen zu erreichen sind. Zu denken wäre etwa                   dass eine Einheit von Verantwortlichem und Auftrags-
an die Einstellung in einen Pool von Lehrinhalten ohne                datenverarbeiter angenommen wurde, sodass die Er-
feste Rezeptionsstrukturen, beispielsweise in großen                  laubnis der Verarbeitung beim Verarbeiter direkt genüg-
OER-Netzwerken oder überregionalen Lehrverbünden.                     te, der Transfer zum Auftragsdatenverarbeiter also nicht
    Findet ein Datentransfer in ein Land außerhalb des                mehr gesondert legitimationsbedürftig war.45 Mangels
Geltungsbereichs der EU-DSGVO statt, so sind die zu-                  erkennbarer gerichtlicher Klärung unter Geltung der

37 Von dieser kann aber gegebenenfalls abgesehen werden, wenn die          Grundrechten zu messen ist, wenn das betreffende EU-Recht den
   Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung diese bereits hinreichend         Mitgliedsstaaten einen Gestaltungsspielraum einräumt, wie dies
   enthält, Art. 35 Abs. 10 EU-DSGVO; s. Jandt, in: Kühling/ Buch-         hier über die Öffnungsklauseln nach Art. 85, 89 EU-DSGVO der
   ner, DS-GVO, BDSG, Kommentar, 3. Auflage, 2020, Art. 35, Rn.            Fall ist.
   22 ff.                                                             40   Schwartmann (Fn. 21).
38 Buchner/Petri, in: Kühling/Buchner (Fn. 37) Art. 6, Rn. 196        41   EuGH, Urt. v. 16.07.2020, Az. C 311/18 – Schrems II.
   m.w.N. lassen insoweit alle Gesetze im materiellen Sinne genügen   42   Beschluss 2016/1250 der Europäischen Kommission zur Über-
   und erwähnen beispielhaft hierzu die kommunale Satzung.                 mittlung personenbezogener Daten in die USA.
39 In seinen aktuellen Urteilen Recht auf Vergessen I (Az. 1 BvR      43   Art. 46 Abs. 2 Nr. c und d EU-DSGVO sieht Standardvertrags-
   16/13) und Recht auf Vergessen II (1 BvR 276/17) vom 6. Novem-          klauseln der EU-Kommission (Alt. c) oder nationaler Aufsichts-
   ber 2019 hat das BVerfG seine Linie zur Behandlung nationaler           behörden, die von der EU-Kommission nach Art. 93 Abs. 2
   staatlicher Maßnahmen an Hand der Grundrechte der GrCh und              EU-DSGVO genehmigt wurden, vor.
   des GG, aufbauend auf der Linie seiner Solange-Entscheidungen,     44   EuGH, Fn. 20, 41.
   dahin gehend präzisiert, dass die Ausführung von EU-Recht          45   Gola, in: Gola/Schomerus, BDSG, Kommentar, 1. Auflage, 2010, §
   (hier der EU-DSGVO) zumindest auch dann an den nationalen               11 Rn. 2.
12                      O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 7 - 1 8

EU-DSGVO ist offen, ob diese Privilegierung noch be-                       Darüber hinaus wird auch teleologisch damit argu-
steht – bis auf Weiteres ist deshalb von einer rechtlichen             mentiert, ein Vergleich der US-amerikanischen Software
Unsicherheit auszugehen.46                                             (z. B. Zoom) mit in der EU hergestellten Produkten wei-
    Sind die Hochschulen durch diese Sach- und Rechts-                 se ein vergleichbares Produktivrisiko auf, wobei dem si-
lage gezwungen, auf Angebote aus den USA zu verzich-                   cherlich entgegengehalten werde könnte, dass das haupt-
ten, bis eine tragfähige Folgeregelung in Kraft getreten               sächliche Datenschutzrisiko in der Zugriffsmöglichkeit
ist? Oder lässt sich möglicherweise doch eine Rechtferti-              von US-Behörden infolge des Cloud Act50 und nicht
gung für die Verwendung von Zoom & Co. finden? Eine                    durch technische Unzulänglichkeiten besteht.51 Aus dem
ganze Reihe von Gründen scheinen dies jedenfalls                       gleichen Grund genügt es auch nicht, dass die US-ameri-
nahezulegen.                                                           kanischen Anbieter den Vertrieb an Abnehmer in der
    Zunächst kann hierbei auch auf das Erfordernis der                 EU über in der EU ansässige Zweigstellen52 abwickeln.
Aufrechterhaltung funktionsfähiger Hochschulen trotz                   Denn hier wäre zwar nach Art. 3 EU-DSGVO der euro-
der Ausnahmesituation Corona zugegriffen werden.47                     päische Datenschutz auch bei einem Transfer in die USA
Die Pandemie und ihre Folgen sind zwar seit mittlerwei-                anwendbar, was den Cloud Act mit den entsprechenden
le einem guten halben Jahr bekannt. Seriöse Prozesse                   Befugnissen der US-Behörden jedoch nicht berührt.53
zum Umstieg ganzer Hochschulen auf flächendeckende                         Ein weiteres Argument für eine zumindest vorüber-
online-Lehre benötigen jedoch erheblich mehr Zeit. Das                 gehende Verwendung von US-amerikanischen Syste-
parallele Argument lässt sich finden für Hochschulen,                  men könnte sein, dass die derart konsequente Ableh-
die den Datentransfer in die USA praktiziert und sich                  nung datenschutzrechtlicher Möglichkeiten durch den
hierbei auf Privacy Shield berufen haben48 – auch diesen               EuGH so nicht absehbar war. Denn der Generalanwalt
Hochschulen ist ein rechtlich gesicherter und technisch-               beim EuGH hatte in seinem Gutachten zum Fall zwar
inhaltlich reibungsloser Umstieg in den wenigen Mona-                  Privacy Shield ebenfalls kritisch gewürdigt, einen Trans-
ten vom Urteil des EuGH bis zum Beginn des Winterse-                   fer über die Standardvertragsklauseln dagegen nach wie
mester 2020/21 schlicht nicht möglich gewesen. Einer                   vor als zulässig bewertet.54 Berücksichtigt man den Er-
sehr schnell beschaffbaren, im Grundbetrieb und damit                  fahrungswert, dass der EuGH oft dem Gutachten des zu-
trotz geringeren performativen Potenzials sicheren EU-                 gewiesenen Generalanwalts folgt,55 so bestärkt dieser Er-
DSGVO-kompatiblen Software an sich könnte daneben                      fahrungssatz in der konkreten Anwendung für die deut-
entgegenstehen, dass die Lehrenden für den Umgang mit                  schen Hochschulen neben dem Eileffekt, der durch das
einer neuen Software flächendeckend und hinreichend                    Urteil ohnehin eingetreten war, auch den
geschult werden müssen, um qualitativ hinreichende                     Überraschungseffekt.
wissenschaftliche Lehre anbieten zu müssen. Neben ei-                      Dieser Überraschungseffekt wirkt sich vergaberecht-
ner schnellen und sicheren Durchdringung der neuen                     lich dagegen tendenziell privilegierend aus. Denn die
Materie durch das technische Personal der Hochschule                   Tatsache, erst im Juli 2020 vom Erfordernis einer EU-
könnte in Zeiten mobiler Arbeit eine hinreichend breite                DSGVO-kompatiblen Software erfahren zu können, die
und gründliche Einweisung des Lehrpersonals einer sol-                 mit Wirkung zum Oktober 2020 funktionsfähig sein soll,
che Maßnahme (vorübergehend) entgegenstehen. Könn-                     erlaubt keine langen Vergabeverfahren. Mit dem Plädo-
te für diesen Kontext nicht der allgemeisne Rechts-                    yer des Generalanwalts vor dem EuGH und der davon
grundsatz herangezogen werden, dass Unmögliches                        abweichenden Entscheidung des Gerichtshofs rückt der
rechtlich nicht gefordert werden darf?49                               Fall argumentativ auch stärker in die Nähe einer „unver-

46 Für einen Wegfall der Privilegierungswirkung Roßnagel/ Krosch-      51 Schwartmann (Fn. 21).
   mann, ZD 2014, 495 ff.; dagegen Koos/Englisch, ZD 2014, 276 ff.     52 Auf eine eigenständige Rechtspersönlichkeit, etwa als eigenstän-
47 Zu den Implikationen mit Bezug auf den Standard der Wissen-            dige Tochtergesellschaft innerhalb einer Konzernstruktur, kommt
   schaftlichkeit der Hochschullehre s. oben, Fn. 27; zum freien Da-      es nicht an, s. Zerdick, in: Ehmann/Selmayr, Datenschutzgrund-
   tenverkehr als eigenständigem Ziel der EU-DSGVO und dessen             verordnung, 2017, Art. 3, Rn.8.
   Besonderheiten Fehling (Fn. 22), S. 143.                            53 Berengaut/Lensdorf, CR-Beilage 2019, 111 ff.
48 Exemplarisch die Universität Kiel, abrufbar unter Informationen     54 https://www.sueddeutsche.de/digital/datenschutz-facebook-
   zu Datenschutz und Sicherheit — Rechenzentrum (uni-kiel.de).           schrems-privacy-shield-1.4730186.
49 Ausführlich zum bereits im Römischen Recht entwickelten „nulla      55 Zur Bedeutung der Schlussanträge der Generalanwälte beim
   obligatio – Grundsatz“ Seong, Der Begriff der nicht gehörigen          EuGH für Findung und Darstellung der Entscheidung Opper-
   Erfüllung aus dogmengeschichtlicher und rechtsvergleichender           mann/Claasen/Nettesheim, Europarecht, 8. Auflage, 2018, § 5 Rn.
   Sicht, Diss., Frankfurt, 2004.                                         143; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Kommentar, 5.
50 Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act des US-Kongresses           Auflage, 2016, Art. 252 AEUV, Rn. 3
   vom 22. März 2018, s. Cording/Götzinger, CR 2018, 636 ff.
Morgenroth/Wieczorek · Zwischenbilanz zum Hochschulrecht                                                13

schuldeten“ Dringlichkeit, die für eine privilegierte Be-          die Information der Studierenden über die Funktions-
schaffung erforderlich ist.56 Dieser zeitnahen Beschaf-            weise des Systems (c.) und die rechtliche Sicherung der
fung standen, nicht nur angesichts der Urlaubszeit im re-          Lehrmaterialien gegen Missbrauch (d.).
levanten Zeitraum, jedoch organisatorische Erfordernis-
se der technisch sicheren Implementierung, vor allem               a. Überlegungen zur inhaltlichen bzw. didaktischen
aber der Einführung und Schulung der bearbeitenden                 Gestaltung
Personen in so gravierendem Maße entgegen, dass auch               Inhaltliche bzw. didaktische Planungen und Gestaltun-
die privilegierte Beschaffung der Software den Bereich             gen sind kein neues Thema, sondern aus der bisherigen
der faktischen Unmöglichkeit einer Umstellung nicht                Abwicklung der Hochschullehre bekannt. Neu ist dage-
verlassen ließ.                                                    gen die Anforderung an viele Lehrende, innerhalb kur-
    Letztlich ist aber auch diese Abwägung in erster Linie         zer Zeit eine Umstellung vieler Lehrveranstaltungen und
zu messen an den individuellen Gegebenheiten jeder                 Lehrmaterialien auf die online-Variante zu bewerkstelli-
Hochschule, insbesondere der Frage, ob und ggf. inwie-             gen. In inhaltlicher Hinsicht ist dabei maßgeblich, das
weit die Etablierung vom Umstieg auf eine Struktur der             erforderliche Niveau an Wissenschaftlichkeit der Lehre
online-Lehre, die EU-DSGVO-kompatibel ist, möglich                 sicherzustellen.57 Didaktisch gilt es, die neuen Heraus-
und zumutbar ist. Für diese Abwägung kann dabei die                forderungen der online-Vermittlung zu meistern.
Entscheidung für oder gegen eine Aufzeichnung von                      Prägende Merkmale für die didaktische Annäherung
Lehrveranstaltungen, mit erheblicher Wirkung für die               an die online-Lehre können dabei die räumlichen und
performative Beanspruchung des Systems, relevant sein.             zeitlichen Verschiebungen im Vergleich zur Präsenzleh-
    Insgesamt sprechen gute Gründe dafür, sich gegen               re sein. Der räumlichen Verlagerung curricularer Kom-
datenschutzrechtliche Angriffe effektiv wehren zu kön-             munikation und Interaktion entsprechen dabei digitale
nen, zumindest für einen vorübergehenden Zeitraum.                 Tools wie Chats oder Umfragen. Der Möglichkeit in zeit-
Belastbare Entscheidungen hierzu werden abzuwarten                 licher Hinsicht, Lehre in vor- bzw. nachbereitende Zeit-
bleiben. Die Hochschulen scheinen darüber hinaus gut               räume zu verlagern, kommt beispielsweise der Ansatz
beraten, diese Materie nicht aus den Augen zu verlieren            des „Flipped Classroom“-Konzepts entgegen. Denn hier-
und an dieser Frage zu arbeiten sowie den Prozessfort-             mit können Elemente zur Vorbereitung, die asynchron
schritt zu dokumentieren. Flankierend könnten die poli-            bearbeitet werden, mit der Abbildung der Präsenzpha-
tischen Interessenvertretungsstrukturen des deutschen              sen im digitalen Raum miteinander verknüpft werden.
Hochschulsystems auf die Brisanz der derzeitigen                   Für die Zeit nach der Lehrveranstaltung bzw. für Zeiten
Rechtslage hinweisen und neue Lösungen für eine Legi-              zwischen Lehrveranstaltungen bieten sich E-Learning-
timierung des wichtigen Datenaustauschs zwischen den               Plattformen58 an. Hier könnten wesentliche didaktische
USA und der EU fördern.                                            Erwägungen, die sich gerade durch den Umstieg auf di-
                                                                   gitale Formate ergeben, eingebaut werden.59
2. Vorüberlegungen für Lehrende                                        In inhaltliche und methodische bzw. didaktische
Zu den Vorüberlegungen, die sich Lehrende vor Beginn               Überlegungen einbezogen werden können dabei auch
einer online-Lehrveranstaltung machen sollten, zählen              urheberrechtliche Fragestellungen. Denn es ist aner-
die inhaltliche bzw. didaktische Gestaltung (a.), die Ver-         kannt, dass Urheberrechte an Arbeitsergebnissen, die auf
wendung von Materialien im Wege von open access (b.),              freier wissenschaftlicher Tätigkeit beruhen, nicht nach

56 Vgl. § 14 Abs. 3 Nr. 3 VgV, § 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO.                 schließen lässt.
57 Fehling (Fn. 22).                                               59 Ein effektives Mittel zur Auflockerung von Lehrinhalten können
58 Schneider/ Preckel, Variables Associated With Achievement          dabei auch sog. lecture pranks sein, also Videosequenzen, in
   in Higher Education: A Systematic Review of Meta-Analyses,         denen Lehrveranstaltungen mit überraschenden, humorvollen
   Psychological Bulletin, 2017, S. 8 weisen einen Cohens d-Wert      Elementen überzogen werden, z.B. das Erscheinen von Zorro
   für das Feedback von 0,47 aus, was auf einen mittleren Effekt      oder Superman im Hörsaal.
14                       O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 7 - 1 8

§ 43 UrhG auf den Dienstherrn übergehen, sondern bei                      Abfolge durch die lehrende Person im konkreten
den Urhebern verbleiben.60 Soweit eine lehrende Person                    Einzelfall.
also wissenschaftlich tätig ist und dabei keinem inhaltli-
chen Weisungsrecht unterliegt, bleiben die Urheberrech-                   b. Verwendung von open access Inhalten
te daran dieser Person zugewiesen. Für Lehrmaterialien                    Die digitale Verwendung von Lehrinhalten bringt ein
von Hochschullehrern ist dies deshalb immer der Fall,                     erhöhtes Potenzial ihrer Verbreitung und damit auch
für wissenschaftliche Mitarbeitende im Rahmen ihrer                       erhöhte rechtliche Risiken mit sich. Ist ein urheberrecht-
freien Anteile im Arbeitsvertrag, nicht dagegen für In-                   lich geschütztes Werk durch eine Sicherungspanne im
halte, die durch nichtwissenschaftliches Personal erstellt                Internet einsehbar, so bedeutet dies weltweiten Zugriff.65
wurden.61 Sollte eine gemeinsame Erstellung von Inhal-                    Es kann deshalb allein aus rechtlichen Gründen sinnvoll
ten von weisungsfreiem und weisungsgebundenem Per-                        sein, auf Inhalte zurückzugreifen, die rechtlich ganz oder
sonal geben, so ergeben sich Abgrenzungsfragen im                         weitgehend freigegeben sind. Zudem bilden die im Rah-
Einzelfall.                                                               men der open access Bewegung mittlerweile entstande-
    Schließlich können auch datenschutzrechtliche Er-                     nen Werksammlungen auch eine große Chance für
wägungen die inhaltlichen bzw. methodisch-didakti-                        inhaltliche oder visuelle Anregungen, Ergänzungen oder
schen Gestaltungen beeinflussen. Dies betrifft beispiels-                 Bereicherungen der eigenen Gedanken und Strukturen.
weise die Konstellation, dass die lehrende Person den                         Open access (dt. freier Zugang) bedeutet den unbe-
reinen Lernfortschritt der Studierenden IT-basiert mes-                   schränkten und kostenfreien Zugang zu wissenschaftli-
sen und zu diesem Zweck massenweise Bearbeitungen                         chen Informationen.66 Hinsichtlich der Unbeschränkt-
der Studierenden speichern möchte, z.B. in Form von in-                   heit könnte schnell das Missverständnis aufkommen,
teraktiven Quiz-Aufgaben in Lernplattformen oder ein-                     dass dies tatsächlich automatisch die Befreiung von
gereichten Aufgaben inklusive dem entsprechenden                          sämtlichen Rechten dritter Personen bedeuten könnte.
Feedback. Diese Speicherungen werden in aller Regel                       Dem ist jedoch nicht so. Die weitgehende Rechtsfreiheit
Verarbeitungen personenbezogener Daten sein, da die                       der open access Bewegung bezieht sich stattdessen
lehrende Person sie ja den betreffenden Studierenden                      hauptsächlich auf das Urheberrecht.67 Andere relevante
zuordnen können muss. Datenschutzrechtlich sind diese                     Rechtsgebiete, beispielsweise das Bildnisschutzrecht
Speicherungen nach verbreiteter Auffassung bedenklich,                    nach dem KUG oder das Datenschutzrecht, bleiben da-
weil ihre Erforderlichkeit für Zwecke der ordnungsge-                     von unberührt und sind nach wie vor vollständig zu be-
mäßen Ausübung der Hochschullehre im Zweifel steht.62                     achten.68 Speziell mit Blick auf Materialien in der Hoch-
Eine andere Bewertung ließe sich dagegen dann recht-                      schullehre spricht man häufig auch von open educatio-
fertigen, wenn der reine Lernerfolg durch didaktische                     nal ressources (OER).69
Überlegungen Relevanz für die Prüfung bekommen                                Hauptanwendungsfall für eine urheberrechtlich weit-
würde, z. B. als Prüfungsvorleistung, Teilprüfungsleis-                   gehend befreite Be- und Verarbeitungsmöglichkeit von
tung oder auch als Studienleistung63, zum Beispiel in                     fremden Inhalten im Rahmen von OER sind die Creati-
Form von E-Portfolios64. Diese Erkenntnis hat nicht nur                   ve Commons Lizenzen.70 Die Creative Commons Bewe-
Auswirkungen auf die (Um-)Gestaltung dieser Module                        gung hat eine Serie von Lizenzformen hervorgebracht,
durch Fakultät bzw. Fachbereich, sondern auch für den                     die eine Verwendung der lizensierten Inhalte mit mehr
methodischen Aufbau und die inhaltliche Planung der                       oder weniger großen rechtlichen Beschränkungen be-

60 Götting/Leuze, in: Hartmer/Detmer, Hochschulrecht – Ein Hand-               179 f.; Zu gesetzlichen Regelungen im Rahmen eines Zweitver-
   buch für die Praxis, 3. Auflage, 2017, § 13, Rn. 124 ff.; s. bereits        wertungsrechts von Forschungsergebnissen Haug, OdW 2019, 89
   Leuze, Urheberrechte der Beschäftigten im öffentlichen Dienst               ff.
   und in den Hochschulen, 1998, S. 113 ff.                               67   Vgl. Informationsplattform Open Access: Rechtsfragen in
61 Leuze (Fn. 60), S. 124 ff.                                                  Deutschland (open-access.net).
62 Schwartmann (Fn. 21).                                                  68   Exemplarisch hierzu Lizenzbestimmungen für die sehr liberale
63 Sandberger (Fn. 1), S. 167.                                                 Creative Commons Lizenz CC BY: Creative Commons — Na-
64 van den Berk/Tan, ePortfolio-Prüfung, 2018, abrufbar unter: ht-             mensnennung 2.0 Deutschland — CC BY 2.0 DE.
   tps://www.researchgate.net/publication/322519665_E-Portfolio-          69   Kreutzer/Hirche, Rechtsfragen zur Digitalisierung in der Lehre,
   Prufung.                                                                    2017, S. 25 ff.; Eisentraut (Fn. 3), S. 179 m.w.N.
65 Sosnitza, Rechtswissenschaft 2010, 225 ff.                             70   Grundlegend Krujatz, Open Access, Diss. 2012, Tübingen, S. 125
66 Für den Wissenschaftsbereich einführend Eisentraut (Fn. 3), S.              ff.
Morgenroth/Wieczorek · Zwischenbilanz zum Hochschulrecht                                       15

deuten. In der am stärksten urheberrechtlich befreiten           sicherzustellen, könnte sich ein individueller Aufruf,
Lizenz namens CC BY hat die verwendende Person nur               verbunden mit einer per opt-in betätigten Kenntnisnah-
noch den Namen des Urhebers zu nennen, ansonsten                 me durch die Studierenden und die interne Speicherung
sind alle Nutzungsmöglichkeiten erlaubt, also z. B. die          dieser Aktionen, als effektives Mittel anbieten.
Bearbeitung, die Verbreitung oder die Verwendung zu
eigenen kommerziellen Zwecken. In derjenigen Variante            d. Sicherung der Lehrmaterialien gegen Missbrauch
mit den stärksten rechtlichen Vorbehalten darf der ver-          Zu einer abgerundeten Planung der Verwendung von
wendete fremde Inhalt weder kommerziell genutzt noch             Lehrmaterialien gehört auch, diese bestmöglich gegen
bearbeitet werden, zudem ist auch hier der Name des              Missbrauch zu schützen. Typischer Fall ist dabei das
Urhebers zu nennen, sog. Lizenz CC BY-NC-ND. Ver-                Informationsleck infolge einer unverschuldeten techni-
einzelt findet sich dagegen auch die sog. Creative Com-          schen Panne und das daraufhin erfolgende Hinaus-
mons Zero (CCO) Lizenz, in der alle urheberrechtlichen           schwemmen der Inhalte ins Internet, wo sie dann unkon-
Beschränkungen aufgehoben sind. Hinsichtlich anderer             trollierbar verwendet werden können. Denkbar sind in
Rechte gilt hierzu jedoch der soeben gezeigte Hinweis.           Ausnahmefällen jedoch leider auch unbefugte Nut-
    Die Verwendung von OER-Materialien und speziell              zungshandlungen durch die Adressaten der Lehrveran-
Creative Commons Lizenzen bringt eine Reihe von                  staltung.
Chancen und Potenzialen hervor, können fremde Inhal-                 Auf die technischen Dimensionen der Datensiche-
te doch vermeintlich schnell und rechtssicher in die eige-       rung durch Strukturen der globalen Hochschularchitek-
nen Unterlagen eingepflegt werden. Dennoch bergen                tur hat die einzelne lehrende Person in aller Regel keinen
auch die CC-Lizenzen und andere OER-Materialien eine             Einfluss. Jedoch ist zu überlegen, ob sich die Lehrmateri-
Reihe von rechtlichen Herausforderungen. So kann die             alien effektiv und elegant durch einen prägnanten Ver-
Frage des zutreffenden Klägers, die Erfüllung der Li-            merk zur rechtlichen Zugehörigkeit in hohem Maße si-
zenzbedingungen oder auch die Schadensberechnung                 chern lassen.73 Wegen der bereits behandelten Proble-
im Falle einer Pflichtverletzung Gegenstand diffiziler           matik, wem die Rechte an den Lehrmaterialien zugewie-
Streitfragen sein.71 Nicht umsonst ist der Leitspruch der        sen sind,74 kann sich dabei durchaus die Frage stellen, ob
Creative Commons Bewegung auch „some rights reser-               der „copyright-Vermerk“ als Rechtsträger die lehrende
ved“ (dt. einige Rechte vorbehalten).72                          Person oder nicht lieber doch die Hochschule beinhalten
    Die Hochschulen sollten deshalb überlegen und ggf.           sollte. Dies soll der Gestaltung der Hochschule im Er-
regulieren, ob sie für die Verwendung von fremden                gebnis überlassen bleiben, zumal in vielen Fällen die
OER-Materialien grundlegende Kontrollstrukturen wie              Lehrmaterialien komplett von der lehrenden Person er-
z. B. Informationspflichten etablieren oder sogar die            stellt und deshalb dieser rechtlich zugewiesen sein wer-
Verwendung aller oder einzelner Lehrmaterialien von              den. Aus Sicht eines Verwenders ist dagegen möglicher-
einer fachlichen Freigabe abhängig machen wollen.                weise die Sichtweise interessanter, wer im Falle einer
                                                                 Rechtsverletzung als haftende Person in Frage kommt.
c. Information der Studierenden über die Funktionswei-           Weil die Durchführung von Hochschullehre eine dienst-
se des Systems                                                   liche Tätigkeit, damit eine Amtshandlung im Sine des
Soweit nicht die Hochschule als Institution die daten-           Staatshaftungsrechts ist, haftet bei Verletzungen im Au-
schutzrechtliche Information über die verwendeten                ßenverhältnis zur anspruchsführenden Person zunächst
Softwaresysteme der online-Lehre vornimmt, könnte                die Hochschule als Dienstherr nach den Grundsätzen
sich eine individuelle Information, vermittelt und ver-          der Amtshaftung nach § 839 BGB, Art. 34 GG. Außer-
antwortet durch die lehrende Person, anbieten. Auch              dem zählt es zu den dienstlichen Pflichten wissenschaft-
hierzu sind mehrere Varianten denkbar, beispielsweise            lichen Personals, Recht und Gesetz einzuhalten,75 so
eine automatische, auf das betreffende System individu-          dass im Falle bekannt werdender Rechtsverletzungen
alisierte Information zu Beginn jedes Semesters oder             auch der jeweilige Dienstvorgesetzte auf Abhilfe drängen
auch eine IT-basierte oder mündliche Information durch           darf. Insgesamt sprechen deshalb gute Gründe dafür, in
die lehrende Person zu Beginn der Veranstaltungsreihe.           diesem Kontext eher eine rechtliche Zugehörigkeit der
Um die erforderlichen Nachweise der Information                  Hochschule in den Vermerk einzuflechten.

71 OLG Köln, Urteil vom 31.10.2014, Az. 6 U 60/14; ausführlich      solchen Vermerk an.
   Rauer/Ettig, WRP 2015, 94 ff.                                 74 Leuze (Fn. 60, 61).
72 Some Rights Reserved Archives - Creative Commons.             75 § 36 Abs. 1 BeamtStG.
73 Die Ernst-Abbe-Hochschule Jena bietet ihren Lehrenden einen
16                     O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 7 - 1 8

3. Fehlverhalten der Studierenden                                 einer Lehrveranstaltungsreihe belastbar zu besprechen
                                                                  und möglicherweise zusätzlich auch schriftlich für dieje-
Das Mitgliedschaftsverhältnis der Studierenden zur                nigen Studierenden vorzuhalten, die bei der Bespre-
Hochschule ist weniger intensiv ausgestaltet als ein              chung nicht anwesend waren.81
Beschäftigungsverhältnis. Die verbindlichen Rechtsver-                Etwas eindeutiger ist die Rechtslage dann bei
hältnisse sind deshalb wenig allgemein und abstrakt,              § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB, der das Zur-Verfügung-Stellen
sondern verstärkt an einzelne Regelungsbereiche ange-             dieser Materialien unter Strafe stellt. Hauptanwendungs-
bunden. Hauptanwendungsfall hierfür ist die Prüfung.              fall dessen ist sicherlich der Upload auf öffentlich zu-
Aber auch außerhalb dieser sind konkrete Verhaltens-              gänglichen Plattformen. Dass dies vom Willen aller hör-
pflichten und zugehörige Sanktionen denkbar. Für die              baren Personen gedeckt bzw. sonst gerechtfertigt werden
Lehre sind dies zum Einen der rechtliche Rahmen des               kann,     dürfte    sich     auf    Ausnahmesituationen
staatlichen Zivil- bzw. Strafrechts (a.), sowie spezielle         beschränken.
hochschulrechtliche Mechanismen in Anlehnung an das                   Die Gelegenheit für eine strategische Überlegung der
Ordnungsrecht (b.).                                               Hochschule bietet in diesem Zusammenhang noch, dass
                                                                  Straftaten nach § 201 Abs. 1 StGB nur auf Strafantrag ver-
a. Staatliches Recht                                              folgt werden, § 205 StGB. Die Hochschule hat in diesem
So kann bereits die Aufnahme einer Lehrveranstaltung              Zusammenhang das Recht und gleichzeitig auch die
auf einem dauerhaften Datenträger, beispielsweise einem           Verantwortung, sich mit dem Zusammenspiel von Straf-
Smartphone, strafbar sein. Denn § 201 Abs.1 Nr. 1 StGB            recht und Hochschulrecht mit Blick auf die Gegebenhei-
verbietet die Aufnahme des nichtöffentlich gesproche-             ten vor Ort zu befassen. Dabei könnte das Interesse an
nen Wortes. Soweit eine online-Lehrveranstaltung nicht            einer Durchsetzungsfähigkeit angesichts des eher locke-
einer breiten und unbestimmbaren Öffentlichkeit                   ren rechtlichen Bandes der Hochschulmitgliedschaft für
zugänglich ist, wie dies etwa bei den sog. MOOCs76 der            eine stärkere Strafverfolgung ebenso eine Rolle spielen
Fall ist, sollte der Teilnehmerkreis einer Lehrveranstal-         wie der Kontrollverlust durch das staatliche Strafverfol-
tung hinreichend nichtöffentlich sein.77 Problematisch            gungsmonopol dagegen. Hochschulen in Bundeslän-
ist das Merkmal „unbefugt“, das nicht Bestandteil des             dern, denen ordnungsrechtliche Regelungssysteme wie
Tatbestands der Norm, sondern ein Hinweis auf die                 das Ordnungsverfahren82 zur Seite stehen, könnten die-
Rechtswidrigkeit des Handelns ist.78 Die Unbefugtheit             ses Element in ihre Abwägung ebenfalls einfließen
des Handelns kann deshalb durch eine rechtfertigende              lassen.
Einwilligung79 oder andere Rechtfertigungsgründe aus-                 Parallel zum Schutz persönlicher Rechtsgüter wird
geschlossen werden. Hierbei stellen sich interessante             auch das Urheberrecht als geistiges Eigentum geschützt.
Abgrenzungsfragen. Ist nämlich nur die lehrende Person            Denn § 106 UrhG stellt mit der Vervielfältigung ebenfalls
zu hören, so kommt es ausschließlich auf ihren Willen             bereits die Aufnahme sowie mit der öffentlichen Wie-
an. Werden dagegen auch Redebeiträge anderer Studie-              dergabe das Hochladen auf öffentlich zugängliche Platt-
render mit aufgefangen, so sind alle ihre Einwilligungen          formen ebenso unter Strafe wie § 201 StGB, solange die
erforderlich. Außerdem ist offen, wie sich die lehrende           Lehrmaterialien urheberrechtlich geschützt sind und
Person zu einer Aufnahme positioniert, ob dies also als           keine Einwilligung aller Beteiligten vorliegt. Die inhaltli-
sinnvolle Bereicherung je nach Lerntyp oder als über-             che Strafbarkeit ist deshalb weitgehend parallel zu
griffige Ambush-Aktion gesehen wird. Aus der Einwilli-            § 201 StGB. Anders als dort unterliegt eine Verfolgung
gung der lehrenden Person in die Aufzeichnung der Ver-            von Taten nach § 106 UrhG aber nicht der ausschließli-
anstaltung, die aus ihrem Verhalten folgt,80 kann inso-           chen Dispositionsbefugnis der Hochschulen, denn nach
weit nicht ohne Weiteres auch auf die Einwilligung zur            § 109 UrhG kann die Staatsanwaltschaft bei besonderem
Speicherung durch Studierende ausgegangen werden. In              öffentlichen Interesse die Strafverfolgung auch von Amts
jedem Fall ist es ratsam, diese Konstellation vor Beginn          wegen einleiten. Soweit jedoch keine Präzedenz- oder

76 Botta, Datenschutz bei E-Learning-Plattformen, Rechtliche      79 Eisele, in: Schönke/Schröder (Fn. 77), § 201, Rn. 29 ff.
   Herausforderungen digitaler Hochschulbildung am Beispiel der   80 S. oben, Nr. II 1 b.
   Massive Open Online Courses (MOOCs), 2020; Besprechung bei     81 Dies bietet sich unabhängig von bestehenden Teilhaberechten
   Golla, OdW 2020, 209 ff.                                          der unverschuldet abwesenden Studierenden, s. oben, Fn. 33, aus
77 Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Kommentar, 30. Auflage,       Gründen effektiver Verfahrensgestaltung an.
   2018, § 201, Rn. 7 f.                                          82 § 76 ThürHG.
78 Heuchemer/Paul, JA 2004, Heft 4, 1, 4.
Morgenroth/Wieczorek · Zwischenbilanz zum Hochschulrecht                                         17

sonstigen gravierenden Fälle vorliegen, sollten die so-     spezielle Corona-Recht für derartige Regelungen eine
eben genannten Erwägungen gleichermaßen gelten              Rechtsgrundlage bieten, kann diese Fixierung darauf ge-
können.                                                     stützt werden.
    Daneben können diejenige Person, welche die Verlet-         In einigen Bundesländern besteht darüber hinaus
zungshandlung zu verantworten hat, auch zivilrechtliche     auch die Möglichkeit, gegen Studierende nach Durch-
Ansprüche treffen, z. B. Unterlassungsansprüche hin-        führung eines Ordnungsverfahrens bestimmte Ord-
sichtlich des Urheberrechts aus § 97 UrhG,83 bezüglich      nungsmaßnahmen zu verhängen.87 Durch die Verbin-
anderer Aspekte, etwa des Bildnisschutzrechts aus §§ 823    dung nichtakademischen Fehlverhaltens mit akademi-
in Verbindung mit 1004 BGB,84 oder Schadensersatzan-        schen Sanktionen trägt dieses Ordnungsverfahren damit
sprüche aus § 98 UrhG für Urheberrechtsverletzungen         zumindest in Ansätzen ordnungsrechtliche Züge. Diese
oder aus §§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit                Sanktionsmöglichkeiten stehen damit gewissermaßen
§ 201 StGB.85 Spannende Konstellationen ergeben sich        zwischen dem eng begrenzten prüfungsrechtlichen Re-
hierbei dann, wenn die widerrechtlich verwendeten In-       gelungssystem und dem allgemein geltenden staatlichen
halte zumindest auch der lehrenden Person zugewiesen        Recht. Zum Schutz der Studierenden sind diese Ord-
sind und diese deshalb mindestens teilweise selbst be-      nungsverfahren sehr formal ausgestaltet.
rechtigt ist, Ansprüche geltend zu machen, sog. Aktivle-
gitimation. Hier könnte die Hochschule ein Interesse da-    III. Ergebnisse
ran haben, das Verfahren selbst zu führen. Im Falle einer
ausschließlichen Rechtsinhaberschaft der lehrenden          Zusammengefasst seien abschließend nochmals die
Person kommt dabei die Abtretung der Forderung gegen        nachfolgenden wesentlichen Ergebnisse genannt:
den Verletzer von Seiten der lehrenden Person auf die           1. Die Beschaffung von Konferenzsystemen für on-
Hochschule nach § 398 BGB in Betracht. Befinden sich        line-Lehre ist mittlerweile wohl im regulären Vergabe-
beide in einer Rechtsgemeinschaft bezüglich der Lehrin-     verfahren für gewerbliche Lieferungen und sonstige
halte, so sollte eine Streitgenossenschaft nach § 59 ZPO    Leistungen zu tätigen. Unmittelbar nach dem Ausbruch
im Prozess eine taugliche Alternative zur alleinigen Pro-   der Corona-Pandemie im März 2020 sowie möglicher-
zessführung der Hochschule nach Abtretung sein.             weise auch mit Blick auf die wenig vorhersehbare Ent-
                                                            scheidung des EuGH über die Unwirksamkeit von Priva-
b. Hochschulrecht                                           cy Shield war dagegen mit einiger Wahrscheinlichkeit
Den Hochschulen steht entweder auf der Grundlage            eine privilegierte Beschaffung wegen unverschuldeter
eigener Regelungen, etwa einer Hausordnung, oder kraft      Dringlichkeit möglich (oben, Nr. II 1 a).
funktionalen Annexes der Selbstverwaltungstätigkeit             2. Für die Frage der Zulässigkeit einer Speicherung
das Hausrecht zur Seite. Dieses berechtigt den Inhaber,     personenbezogener Daten von Studierenden im Rah-
die Benutzung der der Hochschule zugewiesenen Lie-          men der online-Lehre im Wege der Aufzeichnung von
genschaften unter bestimmte Bedingungen zu stellen          Lehrveranstaltungen ist die rechtliche Gemengelage zwi-
bzw. die Nutzung zu untersagen.                             schen der Verantwortung der Hochschule für qualitativ
    Vor allem für die derzeit so stark frequentierten on-   hinreichend wissenschaftliche Lehre, der Lehrfreiheit
line-Aktionswelten ist das Hausrecht insbesondere in        der lehrenden Person unter Einschluss didaktischer Ele-
seiner Ausgestaltung als virtuelles Hausrecht86 interes-    mente und der Verwirklichung der Studierfreiheit der
sant. So kann auch der virtuelle Kommunikations- und        Studierenden maßgeblich. Die konkrete Abwägung
Interaktionsraum unter Spielregeln gestellt und die Teil-   hängt von vielen verschiedenen Faktoren, etwa der Art,
nahme daran von deren Einhaltung abhängig gemacht           Anzahl und Schutzwürdigkeit der personenbezogenen
werden. Da das klassische Hausrecht physisch wirkt und      Daten, dem speziellen Verwendungszweck oder dem
möglicherweise nicht alle hausrechtsbezogenen Rege-         Grad der vermittelten Öffentlichkeit, ab. Online-Lehre
lungen die virtuelle Dimension bereits enthalten, emp-      kann jedoch mehr sein als die virtuelle Abbildung von
fiehlt sich eine konkrete Ausgestaltung in einer Rege-      analog verwendeten Strukturen, angereichert um neue
lung. Soweit das reguläre Hochschulrecht oder auch das      didaktische Elemente. Online-Lehre vermittelt die

83 BGH, Urteil vom 24.09.2014, Az. I ZR 35/11.              86 LG Bremen, Urteil vom 20.06.2019, Az. 7 O 1618/18 m.w.N.
84 BAG, Urteil vom 11.12.2014, Az. 8 AZR 1010/13.           87 § 15 BbgHG, § 51 a HG NRW, § 76 ThürHG.
85 OLG Köln, Urteil vom 18.07.2019, Az. 15 W 21/19.
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