Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht - update September 2019

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Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht - update September 2019
update
Gewerblicher
Rechtsschutz
und Kartellrecht
Februar 2020
September  2019
Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht - update September 2019
Inhalt
               3 | Editorial

           Online-Recht

               4 | 2020: was Online-Händler jetzt zu beachten haben
               6 | BVerfG zum Recht auf Vergessen

           Markenrecht

              9 | EuGH: Im Ausland aufgezogenes Obst undGemüse darf mit
                  „Ursprung: Deutschland“ gekennzeichnet werden
             10 | „Thermomix“ – ein zulässiger Bestandteil von Kochbuchtiteln?
             12 | LG Düsseldorf: keine „Malle auf Schalke“-Partys mehr ohne Lizenz

           Kartellrecht

             14 | OLG Düsseldorf: Gespräche über die Preisgestaltung des Handels
                  im Einzelfall erlaubt

           Know-how-Schutz

             16 | „Geheimnisschutz-Compliance“ – ein Muss für Unternehmen
                  und Unternehmensinhaber

           Aktuell

             18 | Veröffentlichungen
             19 | Vorträge

2 | Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht
Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht - update September 2019
Editorial
Editorial

Mit dieser neuen Ausgabe des Updates Gewerblicher            Kochbuchs für den „Thermomix“ sowie eine Entscheidung
Rechtsschutz und Kartellrecht informieren wir Sie über       des LG Düsseldorf zu den markenrechtlichen Risiken der
aktuelle Entwicklungen und gerichtliche Entscheidungen       Werbung von Partyveranstaltern.
aus diesen Rechtsgebieten.
                                                             Im Kartellrecht erörtern wir eine Entscheidung des
Zunächst beschäftigen wir uns mit wichtigen Neuerungen       OLG Düsseldorf, die die Möglichkeiten und Grenzen von
im Online-Recht. Wir stellen neue gesetzliche Vorschriften   Gesprächen aufzeigt, die Hersteller mit Händlern über
für Online-Händler vor, die im Laufe des Jahres in Kraft     deren Preisgestaltung führen.
treten werden oder bereits in Kraft getreten sind.
                                                             Am Schluss bringen wir einen Beitrag zur „Geheimnis-
Ferner befassen wir uns mit den Ende letzten Jahres ver-     schutz-Compliance“, der Empfehlungen zu Art und
kündeten BVerfG-Entscheidungen zum „Recht auf Verges-        Umfang von Geheimhaltungsmaßnahmen enthält, die
sen“, aus denen die künftige Rechtsprechung Leitlinien für   Unternehmen vorsehen müssen, um den seit dem
die Dauer der Abrufbarkeit und Auffindbarkeit belastender    letzten Jahr neu geregelten gesetzlichen Schutz von
Altmeldungen im Internet wird entwickeln müssen.             Geschäftsgeheimnissen in Anspruch nehmen zu können.

Im Markenrecht stellen wir eine Entscheidung des EuGH        Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!
zu den Konsequenzen spezifisch lebensmittelrechtlicher
Vorgaben für Herkunftsangaben vor. Ferner besprechen         Mit besten Grüßen
wir eine Entscheidung des OLG Köln zur Zulässigkeit der
Nennung fremder Marken in Buchtiteln am Beispiel eines       Michael Fricke

Impressum

Das Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht wird verlegt von
CMS Hasche Sigle Partnerschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern mbB.

CMS Hasche Sigle | Lennéstraße 7 | 10785 Berlin

Verantwortlich für die fachliche Koordination:

Michael Fricke
CMS Hasche Sigle | Stadthausbrücke 1 – 3 | 20355 Hamburg

Konstantin Salz
CMS Hasche Sigle | Lennéstraße 7 | 10785 Berlin

                                                                                                                      3
Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht - update September 2019
Online-Recht

                    2020: was Online-Händler jetzt zu
                    beachten haben

                    Neues Jahr, neue Pflichten. Der Jahreswechsel bringt neue      Die Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten bzw. On-
                    gesetzliche Vorschriften für Online-Händler mit sich, die      line-Suchmaschinen müssen zudem die das Produktranking
                    bereits zu Beginn oder im Laufe des Jahres in Kraft treten.    bzw. das Ranking der Suchergebnisse bestimmenden
                    Die folgenden wichtigsten Änderungen sollten Online-           Hauptparameter und eine Begründung ihrer Gewichtung
                    Händler im Jahr 2020 beachten.                                 in ihren AGB bzw. öffentlich leicht verfügbar darlegen
                                                                                   (Art. 5 Abs. 1 und 2). Die Anbieter sind daher in Zukunft
                    Platform-to-Business-Verordnung (P2B-VO) gilt ab               verpflichtet, offenzulegen, nach welchen Kriterien Produk-
                    Juli 2020 – neue Pflichten für Online-Händler                  te bzw. Suchergebnisse gelistet und wie diese Kriterien
                                                                                   gewichtet werden. Insbesondere müssen die Anbieter
                    Große Plattformen wie Idealo, Facebook oder Google             auch darlegen, ob und wie eine Zahlung von Entgelten
                    haben eine bedeutende Marktstellung inne, die ihnen            an die Anbieter Einfluss auf das Ranking haben kann
                    gegenüber gewerblichen Anbietern eine erhebliche Macht-        (Art. 5 Abs. 3).
                    position verleiht. Diesem Gefälle will die Europäische Union
                    nun mit der ab dem 12. Juli 2020 geltenden Verordnung          Schließlich müssen Anbieter von Online-Vermittlungs-
                    zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerb-         diensten ein internes System für die Bearbeitung von Be-
                    liche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten (VO [EU]          schwerden gewerblicher Nutzer schaffen (Art. 11). Das
                    2019 / 1150) durch Stärkung der Rechte der Unternehmer         System muss für den Nutzer leicht zugänglich und kosten-
                    gegenüber den Betreibern der Plattformen entgegen-             frei sein. Der Anbieter muss die Bearbeitung innerhalb
                    wirken.                                                        eines angemessenen Zeitraums gewährleisten. Gewerb-
                                                                                   liche Nutzer können sich mit Hilfe des Systems über die
                    Die P2B-VO betrifft Anbieter von Online-Vermittlungs-          Nichteinhaltung von Regelungen der Verordnung, techni-
                    diensten bzw. Online-Suchmaschinen sowie gewerbliche           sche Probleme sowie Maßnahmen oder Verhaltensweisen
                    Nutzer dieser Dienste, die ihre Niederlassung oder ihren       des Anbieters, die in direktem Zusammenhang mit der
                    Wohnsitz in der EU haben und über ihre Plattform Ver-          Bereitstellung der Dienste stehen und sich unmittelbar
                    brauchern, die sich in der EU befinden, Waren oder Dienst-     auf den Nutzer auswirken, beschweren.
                    leistungen anbieten (Art. 1 Abs. 2). Mit Online-Vermitt-
                    lungsdiensten sind sowohl klassische Handelsplattformen        Streitbeilegung: Universalschlichtungsstelle
                    wie z. B. eBay oder Amazon, aber auch andere Dienste           auf Bundesebene
                    wie Hotel- und Flugsuchportale, Lieferdienstplattformen
                    etc. und soziale Netzwerke gemeint.                            Schon bisher galt: Online-Händler, die sich zur Teilnahme
                                                                                   an einem Streitbeilegungsverfahren verpflichtet haben
                    Die Verordnung legt u. a. neue Pflichten zur Ausgestaltung     oder aufgrund des Gesetzes zur Teilnahme an einem
                    der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) fest. An-           solchen verpflichtet sind, müssen auf ihrer Website und –
                    bieter von Online-Vermittlungsdiensten müssen in ihren         falls vorhanden – in ihren allgemeinen Geschäftsbedin-
                    AGB zukünftig konkrete Gründe benennen, die dazu füh-          gungen den Verbraucher zusätzlich über die zuständige
                    ren können, dass die angebotenen Dienste vollständig           Verbraucherschlichtungsstelle informieren (§ 36 Verbrau-
                    oder teilweise ausgesetzt, beendet oder in irgendeiner         cherstreitbeilegungsgesetz).
                    anderen Art und Weise eingeschränkt werden. Verallge-
                    meinernde Formulierungen werden dieser Anforderung             Gab es keine spezialisierte Schlichtungsstelle, fiel das Ver-
                    nicht mehr genügen. Als Einschränkung gilt auch der Fall       fahren bislang in die Zuständigkeit der bundesweit tätigen
                    der Rückstufung bzw. der Herabsetzung eines gewerbli-          Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle in Kehl. Den
                    chen Nutzers in seinem Ranking. Bei Einschränkung, Aus-        Bundesländern war zudem die Möglichkeit der Einrichtung
                    setzung oder Beendigung der Dienste müssen die Anbie-          ergänzender Universalschlichtungsstellen vorbehalten. Dies
                    ter zudem die zusätzlichen Vorschriften des Art. 4 be-         sollte Verbrauchern einen örtlichen Zugang zur Schlich-
                    achten. Die AGB müssen klar und verständlich formuliert        tung ermöglichen. Aufgrund der Existenz der Allgemeinen
                    und den gewerblichen Nutzern insbesondere auch bereits         Verbraucherschlichtungsstelle hatten die Länder jedoch
                    vor Vertragsschluss leicht verfügbar zugänglich gemacht        von der Einrichtung ergänzender Universalschlichtungs-
                    werden. Außerdem müssen die Anbieter in ihren AGB              stellen abgesehen.
                    erläutern, ob und inwiefern gegebenenfalls eigene Pro-
                    dukte bzw. Produkte von mit dem Anbieter verbundenen           Mit dem neuen § 29 Verbraucherstreitbeilegungsgesetz
                    Unternehmen bevorzugt werden.                                  wird die Aufgabe der Einrichtung ergänzender Schlich-

               4 | Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht
Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht - update September 2019
Online-Recht
tungsstellen nun auf den Bund übertragen. Dieser hat zum       an den Rat weiter. Der Vorschlag beinhaltet die Anpas-
Jahreswechsel eine zentrale Universalschlichtungsstelle        sung von vier Verbraucherschutzrichtlinien. Betroffen
auf Bundesebene geschaffen, die die Allgemeine Ver-            sind die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken
braucherschlichtungsstelle ablöst. Laut Gesetzesbegrün-        (2005 / 29 / EG), die Verbraucherrechterichtlinie
dung habe sich gezeigt, dass die zuvor beabsichtigte           (2011 / 83 / EU), die Richtlinie über missbräuchliche Vertrags-
Schaffung örtlicher Nähe für die Verbraucher nicht von         klauseln (93 / 13 / EWG) und die Richtlinie über Preisangaben
Bedeutung sei. Die Kommunikation der Verbraucher mit           (98 / 6 / EG). Die Änderungen sehen u. a. Erweiterungen
der Allgemeinen Schlichtungsstelle erfolge ohnehin über-       des Widerrufsrechts, neue Schadenersatzansprüche für
wiegend online oder per Post.                                  Verbraucher und Pflichten zur Erhöhung der Transparenz
                                                               (z. B. in Bezug auf Rankings) für Online-Händler vor. Ziel
Seit dem 1. Januar 2020 muss die bisher potentiell zustän-     des Vorschlags ist, die Rechte von Verbrauchern weiter
dige Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle daher            zu stärken und die EU-Verbraucherschutzvorschriften,
nun als Universalschlichtungsstelle bezeichnet werden:         insbesondere im Hinblick auf die digitale Entwicklung, zu
                                                               modernisieren. Sobald die Richtlinie in Kraft tritt, sind die
„Die X GmbH ist verpflichtet, an Streitbeilegungsverfahren     Mitgliedsstaaten verpflichtet, bis spätestens 18 Monate
vor der Universalschlichtungsstelle [Adresse, Website]         nach Erlass entsprechende Rechts- und Verwaltungsvor-
teilzunehmen.“                                                 schriften zur Umsetzung der Richtlinie zu erlassen. Spätes-
                                                               tens sechs Monate nach Ablauf dieser Umsetzungsfrist
Eine Nichtbeachtung dieser Änderung stellt einen Wett-         wären die neuen nationalen Vorschriften anzuwenden.
bewerbsverstoß dar. Es drohen Abmahnungen und / oder           Entsprechende deutsche Regelungen werden daher vor-
Unterlassungsverfahren.                                        aussichtlich frühestens im Jahr 2022 zu beachten sein.

Der Aufreger 2019 – „Payment Service Directive
2“-Richtlinie (PSD2-Richtlinie)

Viele Händler haben letztes Jahr über die PSD2-Richtlinie
gestöhnt. Damit sollen Zahlungsvorgänge EU-weit reguliert
und sicherer gemacht werden. Die Richtlinie sieht u. a. vor,
dass Online-Händler ihren Kunden eine weitere Möglich-
                                                               Dr. Martin Gerecke, M.Jur. (Oxford)
keit zur Identifizierung einräumen müssen (zusätzlich zum
                                                               Rechtsanwalt im Geschäftsbereich Gewerblicher
Benutzernamen und Passwort z. B. eine TAN einzugeben
                                                               Rechtsschutz bei CMS in Hamburg.
oder eine Zahlung per Fingerabdruck zu bestätigen, sog.
                                                               E martin.gerecke@cms-hs.com
„Zwei-Faktor-Authentifizierung“). Zwar endete die Um-
setzungsfrist für Online-Händler bereits am 14. Septem-
ber 2019. Die deutsche Finanzaufsicht (BaFin) gewährt
den Händlern allerdings einen Aufschub bis Ende 2020
für die Umsetzung von Teilen der Richtlinie. So dürfen
Zahlungsdienstleister mit Sitz in Deutschland Kreditkar-
tenzahlungen im Internet weiterhin auch ohne die sog.
starke Kundenauthentifizierung ausführen.
                                                               Laureen Schuldt
Aktuelle Aussichten für den Verbraucherschutz –                Rechtsanwältin im Geschäftsbereich
New Deal for Consumers                                         Technology,Media & Communications
                                                               bei CMS in Hamburg.
Mitte April 2019 nahm das EU-Parlament den Vorschlag           E laureen.schuldt@cms-hs.com
der EU-Kommission zur Stärkung von Verbraucherrechten
innerhalb der EU an und leitete diese vorläufige Einigung

                                                                                                                                 5
Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht - update September 2019
Online-Recht
Schwerpunkt

                     BVerfG zum Recht auf Vergessen

                     Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in zwei weg-         hingewiesen, dass es zwar kein „Recht auf Vergessenwer-
                     weisenden Entscheidungen vom 6. November 2019 grund-           den“ in einem allein vom Betroffenen bestimmbaren Sinn
                     sätzliche Maßstäbe für das „Recht auf Vergessen“ im            gebe; allerdings müsse dem Betroffenen gerade unter den
                     Internet nach deutschem Recht entwickelt. Die zugrun-          heutigen Bedingungen der Verbreitung von Informationen
                     deliegenden Fragen beschäftigt die Gerichte schon seit         durch das Internet die Chance eröffnet werden, Irrtümer
                     Längerem: Dürfen ursprünglich rechtmäßige Berichte über        und Fehler hinter sich zu lassen. Die Möglichkeit des Ver-
                     Verfehlungen, Straftaten oder sonstige biografische            gessens gehöre zur Zeitlichkeit der Freiheit, so das BVerfG
                     Tiefpunkte Betroffener zeitlich unbegrenzt zum Abruf           geradezu philosophierend. Auf der anderen Seite sei die
                     bereitgehalten und von Suchmaschinen bei der Eingabe           Bedeutung der Online-Archive für Bildung und Erziehung
                     des Namens der Betroffenen zutage gefördert werden?            sowie für die Information der Öffentlichkeit zu berücksich-
                     Beeinflusst der Zeitablauf die Zulässigkeit der weiteren       tigen. Die Archive seien nicht nur eine wichtige Quelle
                     Verbreitung? Diese Fragen richten sich gleichermaßen an        für journalistische und zeithistorische Recherchen und
                     die Inhalteanbieter, insbesondere Verlage mit ihren On-        damit für die demokratische Debatte, sondern auch
                     line-Archiven, wie an die Betreiber von Suchmaschinen.         wirtschaftlich zunehmend relevant in Zeiten, in denen
                                                                                    Printprodukte einen Verlag immer weniger tragen.
                     Bisher kannte man das „Recht auf Vergessen“ nur aus
                     den datenschutzrechtlichen Entscheidungen des EuGH,            Die Abwägung löst das BVerfG dahin, dass ein Verlag
                     die alleine Suchmaschinen betreffen. Und im deutschen          anfänglich rechtmäßig veröffentlichte Berichte grundsätz-
                     Recht blieben die Online-Archive der Verlage hiervon nach      lich in ein Online-Archiv einstellen und auch dauerhaft
                     einer Reihe von äußerungsrechtlichen Entscheidungen des        zum Abruf bereithalten darf, ohne sie von sich aus regel-
                     BGH verschont. In beiden Konstellationen war verfassungs-      mäßig auf ihre weitere Rechtmäßigkeit prüfen zu müssen.
                     rechtlich das letzte Wort noch nicht gesprochen. Nun hat       Allerdings könnten Schutzmaßnahmen dann geboten sein,
                     das BVerfG Kriterien entwickelt, mit denen der Versuch         wenn Betroffene sich an ihn gewandt und ihre Schutz-
                     unternommen wird, den unterschiedlichen Interessen der         bedürftigkeit näher dargelegt hätten. Diese müsse im
                     Beteiligten Rechnung zu tragen.                                Einzelfall umfassend, u. a. anhand von Anlass und Gegen-
                                                                                    stand der Berichterstattung, aber auch der tatsächlichen
                     Recht auf Vergessen I – Online-Archiv der Presse               Belastung für den Betroffenen und dessen eigenem Ver-
                                                                                    halten, geprüft werden. Im Einzelfall seien Abstufungen
                     Im Fall „Recht auf Vergessen I“ (Az. 1 BvR 16 / 13) ging es    von Schutzmaßnahmen denkbar, die für die Anbieter
                     um die Abrufbarkeit dreier Artikel im Archiv des „Spiegels“,   zumutbar sein müssten. Anzustreben sei ein Ausgleich,
                     in denen über die Verurteilung des Beschwerdeführers           der einen ungehinderten Zugriff auf den Originaltext mög-
                     zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes am          lichst weitgehend erhalte, diesen auf entsprechenden
                     Eigner der Yacht „Apollonia“ berichtet worden war. Die         Schutzbedarf hin – insbesondere gegenüber namensbe-
                     Artikel stammten aus den Jahren 1982 und 1983. Im Jahr         zogenen Suchabfragen mittels Suchmaschinen – aber
                     2002 wurde der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen.        einzelfallbezogen doch hinreichend begrenze. Dazu wür-
                     Noch Jahre später wurden die Artikel bei Eingabe des           den in der Literatur verschiedene Lösungsmöglichkeiten
                     Namens von gängigen Suchmaschinen unter den ersten             diskutiert, die zwar technisch nicht trivial sein mögen; sie
                     Treffern angezeigt. Die Unterlassungsklage des Beschwer-       seien dem Verlag aber dann zumutbar, wenn sie auf eine
                     deführers gegen den Anbieter von „Spiegel Online“ hatte        begrenzte Zahl vergleichbar gravierender Fallgestaltungen
                     der BGH abgewiesen, weil er das Interesse der Öffentlich-      beschränkt blieben. Dem muss der BGH nun näher nach-
                     keit, sich über vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse       gehen, an den das BVerfG den Rechtsstreit zurückver-
                     in Online-Archiven der Medien zu informieren, höher            wiesen hat.
                     gewichtete als die persönlichkeitsrechtlichen und insbe-
                     sondere Resozialisierungs-Interessen des Betroffenen.          Recht auf Vergessen II – Trefferliste von
                                                                                    Suchmaschinen
                     Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde stattgegeben.
                     Es hat den Fall am Maßstab der Grundrechte des Grund-          Im Fall „Recht auf Vergessen II“ (Az. 1 BvR 276 / 17) ging
                     gesetzes beurteilt und zwischen dem allgemeinen Per-           es um die Klage der Geschäftsführerin eines Unterneh-
                     sönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 I GG i. V. m.     mens gegen den Anbieter der Suchmaschine Google auf
                     Art. 1 I GG und der Meinungs- und Pressefreiheit des           Unterlassung der Anzeige eines Links, der in der Google-
                     Verlags aus Art. 5 I GG abgewogen. Dabei hat es darauf         Trefferliste nach Eingabe ihres Namens erschien und auf

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Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht - update September 2019
Online-Recht
                                                                                                                                  Schwerpunkt
eine Berichterstattung des NDR mit dem Titel „Kündigung:         Archive und mögliche Trefferlisten nach eventuell nicht
Die fiesen Tricks der Arbeitgeber“ verwies. Die Betroffene       mehr durch hinreichende Informationsinteressen zu recht-
beanstandete, dass schon die Überschrift mit dem Hin-            fertigende Altmeldungen durchsuchen. Wenn ein Betrof-
weis auf „fiese Tricks“, die sie nie angewandt haben will,       fener sich aber gegen bestimmte Altmeldungen oder dar-
verfälschend sei. Überdies berief sie sich auf das Entfallen     auf bezogene Links in den Trefferlisten von Suchmaschinen
des öffentlichen Informationsinteresses infolge des Zeit-        unter Berufung auf den Zeitfaktor wendet, muss im Ein-
ablaufs.                                                         zelfall geprüft werden. Dabei gibt es keinen automatischen
                                                                 Gleichklang zwischen der Zulässigkeit der Abrufbarkeit
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde gegen das               eines alten Beitrags in einem Archiv und der Zulässigkeit
Urteil des OLG Celle zurückgewiesen, das die Klage gegen         von dessen Nachweis durch eine Suchmaschine. In beiden
Google abgewiesen hatte. Zuvor war auch eine äußerungs-          Konstellationen muss aber eine umfassende Abwägung
rechtliche Unterlassungsklage der Betroffenen gegen den          zwischen den Anonymisierungsinteressen des Betroffenen
NDR in allen Instanzen ohne Erfolg geblieben. Das BVerfG         und möglicherweise fortbestehenden Informationsinter-
beurteilt den Rechtsstreit nach datenschutzrechtlichen           essen der Öffentlichkeit vorgenommen werden. So nach-
Maßstäben des harmonisierten EU-Rechts (das Medien-              vollziehbar das speziell im Fall von Berichten über lange
privileg des Datenschutzrechts greift bei Suchmaschinen          zurückliegende und verbüßte Straftaten im Grundsatz
nicht). So kommen die Grundrechte der EU-Grundrechte-            ist – in welchen weiteren Fällen und nach Ablauf welchen
Charta (GRCh) zum Zug, namentlich die unternehmerische           Zeitraums die Abwägung dann zu einem Löschungsan-
Freiheit des Suchmaschinenbetreibers aus Art. 16 GRCh            spruch führen kann, ist ebenso ungeklärt wie die Frage,
und (gewichtiger noch) die Meinungsfreiheit des NDR und          wie dieser speziell bei den Online-Archiven der Medien
die Informationsinteressen der Öffentlichkeit sowie auf          im Einzelfall in zumutbarer Weise technisch umzusetzen
der anderen Seite die Grundrechte der Betroffenen auf            ist. Hier wird auf die Gerichte noch viel Arbeit zukommen.
Achtung des Privatlebens und Schutz ihrer personenbezo-
genen Daten aus Art. 7 und 8 GRCh. Das BVerfG bestätigt
im Wesentlichen die vom OLG Celle vorgenommene Ab-
wägung. Zutreffend habe das OLG berücksichtigt, dass
sich der zugrundeliegende Beitrag auf ein berufliches
Verhalten der Beschwerdeführerin beziehe und überdies
ein Interview enthalte, zu dem sie selbst ihre Zustimmung
gegeben habe. Zutreffend habe es auch auf das Ausmaß
der Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentfaltung unter         Michael Fricke

Berücksichtigung des Zeitablaufs zwischen der ursprüngli-        Partner im Geschäftsbereich Gewerblicher

chen Veröffentlichung und deren späteren Abrufbarkeit            Rechtsschutz bei CMS in Hamburg

abgestellt und sei dabei zum Ergebnis gekommen, dass             E michael.fricke@cms-hs.com

der Beitrag durch ein noch fortdauerndes, wenn auch mit
der Zeit abnehmendes öffentliches Informationsinteresse
gerechtfertigt sei. Ein Anspruch auf Auslistung sei jedenfalls
zum Zeitpunkt der Entscheidung des OLG, rund sieben
Jahre nach der Veröffentlichung des Beitrags, noch nicht
gegeben.

Konsequenzen für die Praxis

So viel steht fest: Das BVerfG hält die zeitlich unbegrenzte
Abrufbarkeit ursprünglich rechtmäßiger und abträglicher
Altmeldungen in Einzelfällen verfassungsrechtlich für pro-
blematisch. Möglichen Löschungsverlangen von Betroffe-
nen soll aber auch nicht Tür und Tor geöffnet werden;
die Online-Archive der Medien sollen nicht im Bestand
gefährdet werden. Inhalteanbieter und Suchmaschinen-
betreiber müssen daher auch weiterhin nicht von sich aus

                                                                                                                              7
Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht - update September 2019
Markenrecht

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Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht - update September 2019
Markenrecht
EuGH: Im Ausland aufgezogenes Obst und
Gemüse darf mit „Ursprung: Deutschland“
gekennzeichnet werden

Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich entschieden, dass      dann mit der Angabe „Ursprung: Deutschland“ verkauft.
Pilze, die vollständig in den Niederlanden gezüchtet und        Scheinbar überraschend unterlag die Wettbewerbszent-
erst kurz vor der Ernte nach Deutschland verbracht worden       rale – und zwar in allen Instanzen. Der Grund hierfür: In
sind, mit der Angabe „Ursprung: Deutschland“ versehen           der EU-Verordnung Nr. 1308/2013 über eine gemeinsame
sein dürfen (Urteil vom 4. September 2019, Rechtssache          Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse ist
C 686 / 17). Der Grund hierfür sind lebensmittelrechtliche      in Art. 76 Abs. 1 vorgeschrieben, dass Obst und Gemüse
Vorgaben für Obst und Gemüse im Zusammenspiel mit               nur dann in den Verkehr gebracht werden darf, wenn das
speziellen Zollregelungen. Konsequenzen für andere Pro-         Ursprungsland angegeben ist. Was das Ursprungsland ist,
duktarten ergeben sich daraus eher nicht.                       richtet sich wiederum nach dem sog. Zollkodex: (Verord-
                                                                nung VO [EWG] Nr. 2913 / 92): Danach kommt es bei pflanz-
Die Angabe „Made in Germany“ gehört zu den klassischen          lichen Erzeugnissen auf das Ernteland an, auch wenn die
Problemen des Wettbewerbsrechts: Ist es irreführend, ein        Pflanze im Übrigen vollständig in einem anderen Land
Produkt so zu bezeichnen, obwohl es nur teilweise in            aufgezogen wurde.
Deutschland hergestellt wurde? So ist mittlerweile aner-
kannt, dass in einer globalisierten, auf Arbeitsteilung be-     Mit anderen Worten: Während das Irreführungsverbot
ruhenden Produktionswelt nicht mehr der vollständige            eigentlich dazu zwingt, die Champignons mit dem Hin-
Herstellungsvorgang in ein und demselben Land stattge-          weis „Ursprung: Niederlande“ oder bestenfalls „Ursprung:
funden haben muss, um ein Produkt mit der Bezeichnung           Niederlande und Deutschland“ zu versehen, verlangen
„Made in …“ zu versehen. Ebenso klar ist aber auch, dass        andere lebensmittel- und zollrechtliche Vorschriften die
es nicht völlig egal ist, wo das Produkt in welchem Um-         Angabe „Ursprung: Deutschland“. Diese paradoxe Situa-
fang hergestellt wurde: Nach dem Bundesgerichtshof ist          tion veranlasste den BGH, die Sache dem EuGH vorzule-
es für die Zulässigkeit der Angabe „Made in Germany“            gen (Beschluss vom 21. September 2017, Az. I ZR 74 / 16 –
notwendig (aber auch ausreichend), dass in Deutschland          Kulturchampignons). Er stellte dem Gerichtshof auch die
jedenfalls diejenigen Herstellungsschritte stattfinden, durch   Frage, ob die unbefriedigende Situation etwa durch auf-
die das Produkt seine „qualitätsrelevanten Bestandteile         klärende Zusätze aufgelöst werden muss, in denen neben
oder wesentlichen produktspezifischen Eigenschaften“            der Ursprungsangabe darüber informiert wird, dass Teile
erhält. Werden zum Beispiel Kondome im Ausland herge-           der Produktion im Ausland stattfanden.
stellt und in Deutschland nur noch verpackt, versiegelt
und einer Qualitätskontrolle unterzogen, dürfen sie nicht       Der EuGH schloss sich indes dem Generalanwalt und den
als „Made in Germany“ bezeichnet werden – andernfalls           Vorinstanzen an: Die Angabe „Ursprungsland: Deutsch-
werden Verbraucher in die Irre geführt (BGH, Beschluss          land“ sei zwingend, egal wie viele Herstellungsschritte im
vom 27. November 2014, Az. I ZR 16/14 – Kondome Made            Ausland vorgenommen wurden und egal wann das Obst
in Germany). Diese Grundsätze gelten auch im Lebens-            und Gemüse nach Deutschland verbracht wurde – solange
mittelrecht, das dazu in Art. 7 der Verordnung (EU)             nur die Ernte in Deutschland stattfindet. Aufgrund dieser
Nr. 1169 / 2011 (Lebensmittelinformationsverordnung)            klaren und zwingenden Vorgabe könne der Produzent
einen speziellen Irreführungstatbestand vorsieht.               auch nicht verpflichtet werden, einer möglichen Irrefüh-
                                                                rung durch klarstellende Zusätze entgegenzuwirken. Ohne
Wenn nun Obst oder Gemüse in einem anderen Land                 dass der EuGH dies ausdrücklich so begründet, sind also
aufgezogen wird und nur noch der letzte Schritt – die           die Regelungen der Verordnung Nr. 1308 / 2013 und des
Ernte – in Deutschland stattfindet, könnte man meinen,          Zollkodex spezieller als der Irreführungstatbestand und
dass Deutschland nach diesen Maßstäben nicht als Ur-            gehen diesem daher vor.
sprungsland bezeichnet werden darf. Genau so hat es
auch die Wettbewerbszentrale gesehen und einen Pro-             Dass die Angabe des Ernteorts als Ursprungsland irre-
duzenten von Champignons wegen Verstoßes gegen das              führend sein kann, muss also in Kauf genommen wer-
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) in An-             den. Der EuGH hat sich dazu entschieden, die wider-
spruch genommen: Dieser züchtete die Pilze in den Nie-          sprüchliche Situation im Sinne der Rechtsklarheit und
derlanden und transportierte sie kurz vor der Ernte in „Kul-    -sicherheit zugunsten der Hersteller aufzulösen.
turkisten“ nach Deutschland. Im Supermarkt wurden sie

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Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht - update September 2019
Markenrecht

                   Nun könnte man geneigt sein, daraus auch Konsequenzen          das betreffende Erzeugnis in Verkehr zu bringen, kann
                   für andere Produktarten abzuleiten: Wenn man Obst und          nicht zugleich angenommen werden, dass diese Angabe
                   Gemüse mit der Angabe „Ursprungsland: Deutschland“             als solche geeignet wäre, den Käufer […] irrezuführen.“
                   versehen kann (sogar muss), obwohl die Produkte voll-
                   ständig im Ausland aufgezüchtet wurden, kann ein ähn-
                   liches Vorgehen dann bei anderen Produkten unzulässig
                   sein? Diese Bedenken scheinen im Hinblick auf den Gleich-
                   behandlungsgrundsatz nicht ganz unberechtigt. Es ist aber
                   unwahrscheinlich, dass dieser Widerspruch in absehbarer
                   Zeit gelöst wird, nachdem das höchste europäische Ge-
                   richt entschieden hat, ohne die Frage eines möglichen
                   Grundrechtsverstoßes überhaupt zu thematisieren. Folgt         Dr. Nikolas Gregor, LL. M. (Boston),
                   man der Logik des EuGH, liegt im speziellen Fall der Ur-       Partner im Geschäftsbereich Gewerblicher
                   sprungsangabe für Obst und Gemüse schon keine Irre-            Rechtsschutz bei CMS in Hamburg
                   führung vor: „Ist es aber aufgrund der auf die Zollrege-       E nikolas.gregor@cms-hs.com
                   lungen abstellenden Angabe des Ursprungslands zulässig,

                   „Thermomix“ – ein zulässiger Bestandteil
                   von Kochbuchtiteln?
                   Das OLG Köln hatte kürzlich über den Fall einer möglichen      Die Beklagte benutze zwar ein mit der Wortmarke identi-
                   Markenverletzung zu entscheiden (Urteil vom 13. Septem-        sches Zeichen für identische Ware (Kochbücher), jedoch
                   ber 2019, Az. 6 U 29 / 19), in dem die Beklagte in verschie-   nicht herkunftshinweisend als Marke, sondern nur zur
                   denen Kochbuchtiteln die Bezeichnung „Thermomix“ ver-          Inhaltsbeschreibung. Der Verkehr sei daran gewöhnt, dass
                   wendet hatte. Sie benutzte dabei die Formulierung „Die         Buchtitel in aller Regel einzig als Hinweis auf den Inhalt
                   besten [Name des Verlages]-Rezepte für den Thermomix“.         des Buches und zur Unterscheidung von anderen Büchern
                   Der Senat hielt diese Verwendung im konkreten Fall für         dienten. Er verstehe daher auch hier die Benutzung nur
                   zulässig. Dieser Beitrag fasst die wesentlichen Entschei-      als inhaltsbeschreibendes Merkmal zur Unterscheidung
                   dungsgründe zusammen und beleuchtet Reichweite und             von anderen Büchern und nicht als Produktkennzeichen –
                   Grenzen der Zulässigkeit der offenen Verwendung einer          wohl wissend, dass das Kochen mit dieser „selbstwärmen-
                   fremden bekannten Marke in Buchtiteln.                         den Küchenmaschine“ (wie das OLG den „Thermomix“
                                                                                  bezeichnete) besonderer Rezepte bedürfe, die auf die
                   Keine markenmäßige Benutzung nach § 14 Abs. 2                  besonderen Funktionen dieser Küchenmaschine abge-
                   Nr. 1 Markengesetz (MarkenG), sondern nur In-                  stimmt seien.
                   haltsbeschreibung
                                                                                  Maßgeblich für diese Beurteilung war u. a. die konkrete
                   Die Klage stützte sich auf die deutsche Wortmarke              Art der Benutzung des Zeichens „Thermomix“: Der Name
                   „Thermomix“ – mit Schutz u. a. für Küchenmaschinen,            des Verlags befand sich nicht nur im Fließtext direkt vor
                   Kochbücher und elektronische Publikationen, für die            der Bezeichnung „Thermomix“, sondern war auch noch
                   auch Bekanntheit geltend gemacht wurde. Das OLG                unten links auf dem Cover prominent hervorgehoben. Zu-
                   Köln verneinte zunächst eine Markenverletzung gemäß            dem sei der Name des Verlages (der zu den 30 größten
                   § 14 Abs. 2 Nr. 1 Markengesetz – Benutzung eines mit           Buchverlagen gehöre) als Herkunftshinweis, insbesondere
                   der Marke identischen Zeichens für identische Waren            für Kochbücher, allgemein bekannt. Er und nicht „Ther-
                   oder Dienstleistungen –, weil es an einer markenmäßi-          momix“ werde daher auch im vorliegenden Fall als Her-
                   gen Benutzung fehle.                                           kunftshinweis verstanden.

                   Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäi-          Keine ungerechtfertigte unlautere Ausnutzung
                   schen Union und des BGH könne der Inhaber einer Marke          der Unterscheidungskraft einer bekannten Marke
                   der Benutzung eines mit dieser Marke identischen Zeichens      nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG
                   nur dann widersprechen, wenn diese Benutzung die we-
                   sentliche Funktion der Marke, den Verbrauchern die Her-        Hinsichtlich § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG – unlautere Aus-
                   kunft der Waren oder Dienstleistungen zu garantieren,          nutzung oder Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft
                   beeinträchtigt oder beeinträchtigen könne.                     oder Wertschätzung einer bekannten Marke ohne recht-
                                                                                  fertigenden Grund – bejahte der Senat zwar alle übrigen

              10 | Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht
Markenrecht
Tatbestandsmerkmale, nicht jedoch den des fehlenden            an Markenverwendung“ verlangt werden könne, und dass
rechtfertigenden Grundes:                                      insbesondere eine sachliche und informative Verwendung
                                                               eines Zeichens ohne Beeinträchtigung der Herkunfts-
Dabei stellte er zunächst klar, dass bei diesem Verletzungs-   funktion auch dann zulässig sein könne, wenn sie her-
tatbestand keine markenmäßige Benutzung / Beeinträch-          vorgehoben erfolge.
tigung der Herkunftsfunktion erforderlich sei. Auch auf
Verwechslungsgefahr komme es nicht an, sondern es sei          Andererseits wird deutlich, dass für die Frage, ob sich die
ausreichend, dass die beteiligten Verkehrskreise die einan-    Gestaltung im Rahmen eines angemessenen Spielraums
der gegenüberstehenden Zeichen gedanklich miteinander          hält, eine sorgfältige Prüfung und Gesamtwürdigung aller
verknüpfen.                                                    relevanten Umstände zu erfolgen hat. Insoweit wird in
                                                               der Entscheidung eine ganze Reihe von Gestaltungsmerk-
Die Bekanntheit der Marke „Thermomix“ hat der Senat            malen aufgeführt, die hier offenbar maßgeblich dafür war,
dabei nicht nur unterstellt, sondern sogar ausdrücklich        dass die Grenze des Notwendigen nicht als überschritten
festgestellt. Die Tatsachen, aus denen sich die Bekannt-       angesehen wurde:
heit ergebe, seien vorliegend allgemein bekannt, dazu
gehöre insbesondere, dass sich um den „Thermomix“              Die Kochbücher seien für jeden nutzlos, der nicht über
seit langen Jahren ein „Kult“ entwickelt habe. Vor dem         einen „Thermomix“ verfüge. Dementsprechend sei ein
Hintergrund dieser offenkundigen Tatsachen sei es nicht        deutlicher Hinweis erforderlich gewesen, dass sie aus-
erforderlich, Beweis über die Bekanntheit der Wortmarke        schließlich für diesen bestimmt waren, um eine Irrefüh-
zu erheben.                                                    rung zu vermeiden, d. h. eine gut lesbare Anbringung auf
                                                               dem Cover, die auch bis zu einem gewissen Grad hervor-
Die Beklagte habe auch die Unterscheidungskraft und            gehoben sein könne. Die Marke „Thermomix“ sei dabei
Wertschätzung der bekannten Marke ausgenutzt, indem            nicht als Hauptmerkmal des Werktitels in den Vorder-
sie die Marke in den angegriffenen Titelgestaltungen blick-    grund gestellt worden. Der Schriftgröße nach hervorge-
fangmäßig verwendet habe, um auf ihre Kochbücher auf-          hobener Titel sei vielmehr bei den unterschiedlichen Koch-
merksam zu machen. Sie habe sich dadurch die Werbe-            büchern jeweils „Low Carb“, „Winterzauber“, „Abend-
und Kommunikationsfunktion der bekannten Marke zu              essen“ und „Partyfood“, erst darunter dann in geringerer
eigen gemacht und sich in deren Sogwirkung begeben,            Schriftgröße die Angabe „Die besten [Name des Verlages]-
um von dem fremden guten Ruf zugunsten des eigenen             Rezepte für den Thermomix“.
Absatzes zu profitieren. Der Verkehr werde das Zeichen
„Thermomix“ – wie von der Beklagten gewollt – mit der          Fazit
Marke „Thermomix“ verknüpfen und als Hinweis auf die
Produkte der Klägerin wahrnehmen. Ein Buch, das eine           Auch wenn der Verlag gewonnen hat: Aus der Entschei-
bekannte Marke im Titel führe, erfahre eine wesentlich         dung lässt sich kein Freibrief ableiten, die bekannte Marke
höhere Aufmerksamkeit und biete einen erheblichen              „Thermomix“ – oder gar bekannte Marken im Allgemei-
Kaufanreiz. Dieses Ausnutzen sei auch unlauter, weil die       nen – in Buchtiteln zu benutzen. Es wird stets ganz ent-
Unlauterkeit dem Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens             scheidend auf die konkrete Titel- und Covergestaltung
der Unterscheidungskraft immanent sei, wenn die Marke          ankommen. Schon eine noch etwas prominentere Her-
in identischer oder ähnlicher Form benutzt werde.              ausstellung der bekannten Marke gegenüber anderen
                                                               Cover-Bestandteilen kann dazu führen, dass keine nur
Die Benutzung des Zeichens sei jedoch nicht ohne recht-        inhaltsbeschreibende, sondern eine markenmäßige Be-
fertigenden Grund erfolgt, vielmehr greife die Schutz-         nutzung angenommen wird – oder dass jedenfalls im Rah-
schranke des § 23 Nr. 3 Markengesetz ein. Diese Vorschrift     men des § 23 Nr. 3 MarkenG die Grenze der Notwendigkeit
privilegiere die offene Verwendung einer fremden Marke         als Hinweis auf die Bestimmung der Ware als überschritten
als Hinweis auf die Bestimmung der eigenen Ware unter          angesehen wird. Hier ist bei der Covergestaltung Finger-
der Voraussetzung, dass die Benutzung dafür notwendig          spitzengefühl gefragt.
ist und nicht gegen die guten Sitten verstößt.

Die Benutzung sei notwendig, wenn die Information über
den Zweck der Ware anders nicht sinnvoll übermittelt
werden könne. Ein Verstoß gegen die guten Sitten liege
vor, wenn die Benutzung den anständigen Gepflogen-
heiten in Gewerbe und Handel widerspreche. Hier hielt
sich die Benutzung nach Auffassung des Senats unter
Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände noch im
Rahmen der notwendigen Leistungsbestimmung.
                                                               Petra Goldenbaum
Dabei war dem Senat einerseits die Feststellung wichtig,       Counsel im Geschäftsbereich Gewerblicher
dass insoweit ein Gestaltungsspielraum bestehe, als keine      Rechtsschutz bei CMS in Hamburg.
Beschränkung auf das „unbedingt notwendige Minimum             E petra.goldenbaum@cms-hs.com

                                                                                                                             11
Markenrecht

                   LG Düsseldorf: keine „Malle auf
                   Schalke“-Partys mehr ohne Lizenz

                   Wer Partys unter dem Titel „Malle auf Schalke“ oder mit       Schalke“ auf der Internetseite des Partyveranstalters
                   einer ähnlichen Bezeichnung veranstalten möchte, sollte       zumindest auch als Unterscheidungszeichen für die be-
                   sich vorher markenrechtlich absichern. Das zeigt der Aus-     worbene Veranstaltung ansehen. Die Worte seien auch
                   gang eines jüngst vor dem LG Düsseldorf geführten Rechts-     nicht rein beschreibend, sondern vielmehr herkunftshin-
                   streits.                                                      weisend. Denn die von der Bewerbung der Party ange-
                                                                                 sprochenen Verbraucher würden erkennen, dass die Wer-
                   Der Inhaber der seit 2002 beim Amt der Euro späischen         bung und die Party einen Bezug zu einem bestimmten
                   Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eingetragenen Wort-      Veranstalter, einem Sponsor oder dem Lizenzgeber einer
                   marke „Malle“ wehrte sich wiederholt gegen die Nutzung        Veranstaltungsreihe haben. An einem solchen Bezug
                   des Wortes „Malle“ zur Bezeichnung verschiedener              fehle es lediglich bei rein beschreibenden Begriffen wie
                   Partyreihen. Die Wortmarke beansprucht Schutz unter           etwa „Sommer ade –Party olé!“.
                   anderem in der Nizza-Klasse 41 für die Dienstleistungen
                   „Unterhaltung; sportliche und kulturelle Aktivitäten;         Das LG Düsseldorf bestätigte ferner die markenmäßige
                   Party-Organisation, Party-Durchführung“. Die Bezeich-         Verwechslungsgefahr. Hierbei sei eine Einzelfallbetrach-
                   nungen „Malle Party“, „Malle im Zelt“ oder „Malle Break“      tung vorzunehmen, bei der insbesondere der jeweilige
                   sind beliebte Partynamen – so auch „Malle auf Schalke“.       Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Zeichen
                   Unter diesem Titel betrieb ein Partyveranstalter eine         für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr entscheidend
                   Internetpräsenz, auf der er seine Schlagerparty unter         sei. Vorliegend bestehe zwischen „Malle“ und „Malle auf
                   dem Motto „Malle auf Schalke“ bewarb. Nachdem der             Schalke“ eine starke schriftbildliche, klangliche und begriff-
                   Inhaber der Wortmarke „Malle“ eine Unterlassungsver-          liche Ähnlichkeit. Das Wort „auf Schalke“ trete im Ge-
                   fügung gegen den Partyveranstalter erwirkte, legte            samteindruck hinter „Malle“ zurück. Auch sei es rein
                   der Partyveranstalter Widerspruch ein.                        beschreibend zu verstehen, da die Party in der Veltins-
                                                                                 Arena – in dem Stadion des Vereins Schalke – stattfand.
                   Das LG Düsseldorf bestätigte die einstweilige Verfügung.
                   Es stellte in seinem Urteil vom 29. November 2019             Der Rechtsstreit ist mittlerweile beendet. Die Entscheidung
                   (Az. 38 0 96 / 19, nicht rechtskräftig) auf die Regeln der    des LG Düsseldorf zeigt, dass auch vermeintlich unverfäng-
                   Verordnung (EU) 2017 / 1001 vom 14. Juni 2017 über die        liche Ortsangaben in besonderen Fällen Markenschutz
                   Unionsmarke ab. Die Dringlichkeit für ein Vorgehen im         genießen können und dann nur mit der Erlaubnis des
                   Verfügungsverfahren sei nicht dadurch widerlegt, dass         Rechteinhabers genutzt werden dürfen. Eine sorgfältige
                   der Partyveranstalter ein Löschungsverfahren gegen die        Recherche rechtzeitig vor der geplanten Nutzung ist daher
                   streitgegenständliche Marke betreibt. Der Verfügungs-         anzuraten.
                   grund entfalle ferner nicht aufgrund einer offensichtlichen
                   Schutzunfähigkeit der Wortmarke „Malle“. Zwar sei davon
                   auszugehen, dass den deutschsprachigen Verkehrskreisen
                   der umgangssprachliche Begriff „Malle“ als geografische
                   Angabe zur Benennung der Ferieninsel Mallorca bekannt
                   sei. Dies reiche jedoch für die Annahme einer Schutzun-
                   fähigkeit nicht aus. Es müsse vielmehr festgestellt werden
                   können, dass zum entscheidenden Zeitpunkt der Eintra-
                   gung im Jahr 2002 die Bezeichnung „Malle“ eine geo-
                   grafische Bezeichnung für die Insel Mallorca gewesen sei
                   und als solche nicht hätte eingetragen werden dürfen.
                   Das habe der Partyveranstalter jedoch nicht ausreichend
                   vorgetragen und glaubhaft gemacht.
                                                                                 Benedicta von Rauch
                   Das LG Düsseldorf bejahte im Rahmen der Prüfung des           Rechtsanwältin im Geschäftsbereich
                   Verfügungsanspruchs die markenmäßige Benutzung. Der           Gewerblicher Rechtsschutz bei CMS in Berlin.
                   Verkehr werde die Benutzung der Worte „Malle auf              E benedicta.vonrauch@cms-hs.com

              12 | Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht
13
     Markenrecht
Kartellrecht

                    OLG Düsseldorf: Gespräche über
                    die Preisgestaltung des Handels im
                    Einzelfall erlaubt

                    Dürfen Hersteller mit ihren Händlern während laufender     verhalten von Reuter nach § 21 Abs. 2 Gesetz gegen
                    Vertragsbeziehungen über die preisliche Positionierung     Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Eine unzulässige
                    ihrer Produkte sprechen? Wann drohen kartellrechtliche     Willensbeugung durch Drohung mit einer Liefersperre
                    Sanktionen?                                                oder Kündigung habe nicht vorgelegen. Das OLG befasste
                                                                               sich zunächst mit den Voraussetzungen des Umgehungs-
                    Das OLG hat jüngst entschieden, dass bloße Bitten um       verbots nach § 21 Abs. 2 GWB: Die Norm schützt die
                    die Berücksichtigung eigener wirtschaftlicher Belange      unternehmerische Entscheidungsfreiheit vor externer
                    noch keine verbotene Einwirkung auf die Preissetzungs-     Einflussnahme und beugt zugleich der Gefahr vor, dass
                    hoheit des Vertriebspartners darstellen müssen (OLG        die gesetzlichen Wettbewerbsverbote umgangen werden.
                    Düsseldorf, Urteil vom 18. September 2019 – VI-U [Kart]    Zu diesem Zweck dürfen Unternehmen anderen Unter-
                    3 / 19, noch nicht rechtskräftig). Die Entscheidung gibt   nehmen keine Nachteile androhen, um sie zu einem Ver-
                    wichtige Hinweise für die Praxis.                          halten zu veranlassen, das nach dem GWB oder nach
                                                                               Art. 101, 102 Vertrag über die Arbeitsweise der Europä-
                    Der Fall                                                   ischen Union (AEUV) nicht zum Gegenstand einer ver-
                                                                               traglichen Bindung gemacht werden darf. Als Nachteil ist
                    Der Möbelhersteller Cor und der Online-Händler Reuter      jedes vom Adressaten empfundene Übel zu verstehen,
                    hatten im Jahr 2012 einen Vertriebsvertrag geschlossen,    das bei objektiver Beurteilung geeignet ist, seinen Willen
                    durch den Cor seine Produkte erstmals auch über den        zu beeinflussen und ihn zu einem wettbewerbsbeschrän-
                    Online-Handel vermarkten wollte. Ende 2013 warb Reuter     kenden Verhalten zu bestimmen. Ein solches ist bereits
                    für Cor-Produkte mit Rabatten von 10 %, bezogen auf die    jedes ernsthafte Inaussichtstellen eines Druckmittels, bei
                    unverbindliche Preisempfehlung. Hierüber beschwerten       dem der Adressat unter normalen Umständen und nach
                    sich mehrere stationäre Händler bei Cor und drohten mit    verständiger Würdigung davon ausgehen muss, dass die
                    der Beendigung ihrer Vertriebsverträge. Daraufhin suchte   angedrohte Maßnahme tatsächlich ausgeführt werden
                    Cor das Gespräch mit Reuter und sprach dessen Preis-       könnte. Auf einen Erfolg kommt es nicht an.
                    setzung und die Reaktion des übrigen Handels an. Der
                    genaue Inhalt des Gesprächs ergibt sich aus den Urteils-   Weiter bestätigte das OLG Düsseldorf im Ergebnis auch
                    gründen nicht. Knapp zwei Jahre später kündigte Cor den    die Ansicht des Bundeskartellamts (BKartA) in dessen
                    Vertrag mit Reuter unter Einhaltung der Kündigungsfrist.   Hinweispapier zum Preisbindungsverbot im Lebensmitte-
                    In einem späteren Schreiben begründete Cor die Kündi-      leinzelhandel, dass bei der Beurteilung, ob unzulässiger
                    gung mit schwachen Umsätzen und fehlendem Wachs-           Druck ausgeübt wird, insbesondere auch ein bestehendes
                    tum. Noch während der Vertragslaufzeit bewarb Reuter       Machtgefälle zwischen den Unternehmen in die Einzelfall-
                    die Produkte von Cor in mehreren Aktionen mit Rabatten     bewertung mit einbezogen werden muss. Richtigerweise
                    von bis zu 35 %, bezogen auf die unverbindliche Preis-     kommt es nämlich nicht allein darauf an, was gesagt wird,
                    empfehlung.                                                sondern auch darauf, wer sich äußert und wie diese Äu-
                                                                               ßerung objektiv zu verstehen ist. Insofern ist nicht jeder
                    Mit einer Klage vor dem LG Dortmund (Urteil vom 25.        Austausch zwischen einem Lieferanten und seinem Händ-
                    Februar 2019 – 8 O 16 / 16 [Kart]) machte Reuter nach      ler über die Preisbildung als unzulässige Einwirkung auf
                    Ende des Vertrags unter anderem Schadensersatzansprü-      die Willensbildungs- und Entschließungsfreiheit zu werten.
                    che wegen entgangenen Gewinns geltend. Cor hätte in        Ein Verstoß gegen § 21 Abs. 2 GWB liegt erst vor, wenn
                    unzulässiger Weise Druck auf die Preisgestaltung ausge-    eine umfassende Einzelfallwürdigung ergibt, dass von dem
                    übt, indem angeblich unter Androhung der Kündigung         Abnehmer ein bestimmtes Preisbildungsverhalten erwar-
                    deutlich gemacht worden sei, dass die unverbindlichen      tet wird und er für den Fall der Nichterfüllung einen
                    Preisempfehlungen einzuhalten und keine höheren Rabatte    Nachteil zu besorgen hat.
                    als 5–6 % zu gewähren seien. Das LG Dortmund wies
                    die Klage ab. Auch die Berufung von Cor vor dem OLG        Im Fall Reuter / Cor sei es bereits tatbestandsmäßig nicht
                    Düsseldorf hatte keinen Erfolg.                            zu einer solchen Druckausübung gekommen. Zum einen
                                                                               sei zu berücksichtigen, dass Cor mit einem Jahresum-
                    In seiner Entscheidung verneinte das OLG Düsseldorf eine   satz von ca. EUR 30 Mio. schwerlich in der Lage gewesen
                    rechtswidrige Einwirkung von Cor auf das Preissetzungs-    sein dürfte, seinen deutlich größeren Händler, der auf

               14 | Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht
Kartellrecht
einen jährlichen Umsatz von ca. EUR 200 Mio. komme,            steht, sind allerdings auch die Umstände des Einzelfalles
unter Druck zu setzen. Der Vertrieb der Produkte von Cor       zu berücksichtigen. Besteht ein erhebliches Machtgefälle
mache für Reuter nur einen Anteil von etwa 0,1 % des           zum Nachteil des Abnehmers, kann auch eine mit „guss-
Umsatzes aus, sodass eine wirtschaftliche Abhängigkeit         eiserner Freundlichkeit“ geäußerte Bitte objektiv als er-
nicht bestehe. Die umgekehrten Machtverhältnisse hät-          hebliche Druckausübung verstanden werden. Dennoch
ten sich daran gezeigt, dass Reuter wiederholt umfang-         sollte das Urteil des OLG Düsseldorf insbesondere mittel-
reiche Rabattaktionen gestartet habe, obwohl Reuter aus        ständischen Unternehmen Mut geben, während laufen-
den Vertragsverhandlungen gewusst habe, dass Cor ein           der Vertragsbeziehungen mit ihren Händlern über die
einheitliches Preisniveau wichtig gewesen sei. In derartigen   preisliche Positionierung der Produkte zu sprechen, wenn
Fällen, in denen der Lieferant das deutlich kleinere Un-       diese mit übermäßigen Rabatten die grundsätzliche Preis-
ternehmen ist, könne seine Bitte, die sich darin erschöpft,    würdigkeit und damit das Produktimage gefährden.
dass bei der Preisgestaltung auch auf seine wirtschaftli-
chen Belange Rücksicht genommen wird, nicht zu einer
unzulässigen Einflussnahme führen. Diese Sichtweise ist
konsequent, bedenkt man, dass die Aufnahme von Ge-
schäftsbeziehungen davon abhängig gemacht werden
darf, ob die absehbare Preisgestaltung des Händlers mit
den Vorstellungen des Lieferanten über die Platzierung
des Produkts am Markt vereinbar ist. Insofern muss es
Lieferanten auch während der Vertragsbeziehung mög-            Dr. Markus Schöner, M.Jur. (Oxford)

lich sein, auf ihre Preisstrategie hinzuweisen, ohne dass      Partner im Geschäftsbereich Kartellrecht

dies schon als unzulässiger Druck verstanden wird.             bei CMS in Hamburg.
                                                               E markus.schoener@cms-hs.com

Konsequenzen für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf betrifft die prak-
tisch wichtige Frage, wie ein Lieferant reagieren darf,
wenn sein Händler die Marke und das Produktimage durch
übermäßige Rabatte gefährdet. Zum Vorteil der Lieferan-
ten hat das Gericht nunmehr entschieden, dass nicht jeder
Austausch über die Preisgestaltung gegen geltendes Recht
                                                               Lukas Fries
verstößt. Wer seinen Vertriebspartner lediglich bittet, bei
                                                               Referendar im Geschäftsbereich
der Preisgestaltung auf seine Belange Rücksicht zu neh-
                                                               Kartellrecht bei CMS in Hamburg.
men, respektiert weiter dessen Preissetzungshoheit. Zur
                                                               E referendar.lukas.fries@cms-hs.com
Beurteilung der Frage, ob „lediglich“ eine Bitte im Raum

                                                                                                                           15
Know-how-Schutz

                        „Geheimnisschutz-Compliance“ – ein Muss für
                        Unternehmen und Unternehmensinhaber

                        Seit dem 26. April 2019 ist in Deutschland das Gesetz        stellt nicht den problematischen Fall dar. Aktives Tun ist
                        zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) in          kontrollierbar und stellt die Unternehmen in diesem Zu-
                        Kraft. Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung,     sammenhang nicht vor besondere Herausforderungen.
                        die neuen Anforderungen zum Schutz ihrer Geschäfts-
                        geheimnisse wie z. B. Innovationsideen, Kundenlisten         Anders sieht es da schon bei dem weiteren unter § 4
                        und Vertriebsstrategien umzusetzen. Oft wird dabei           GeschGehG geregelten „Handlungsverbot“ aus. Nach
                        übersehen, dass sich Unternehmen nicht nur beim Schutz       der Regelung des § 4 Abs. 3 GeschGehG darf
                        der eigenen Geschäftsgeheimnisse gut aufstellen, sondern
                        auch Maßnahmen implementieren sollten, um eine Haf-
                        tung für die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen Dritter            „ein Geschäftsgeheimnis […] nicht erlangen,
                        zu vermeiden. Ansonsten kann es schnell teuer werden.                nutzen oder offenlegen, wer das Geschäftsge-
                        Unternehmen ist zu raten, ein „Geheimnisschutz-Com-                  heimnis über eine andere Person erlangt hat
                        pliance-Konzept“ einzuführen.                                        und zum Zeitpunkt der Erlangung, Nutzung
                                                                                             oder Offenlegung weiß oder wissen müsste,
                        Nach dem neuen Gesetz müssen Unternehmen „ange-                      dass diese das Geschäftsgeheimnis [unbe-
                        messene Geheimhaltungsmaßnahmen“ ergreifen, um wei-                  rechtigt] genutzt oder offengelegt hat“.
                        terhin Schutz für ihre Geschäftsgeheimnisse zu genießen.
                        Eine Übergangsfrist ist nicht vorgesehen. So müssen Mar-
                        ketingkonzepte und Patentideen beispielsweise durch          Problematisch ist dabei, dass diese Regelung auch eine
                        Geheimhaltungsmaßnahmen, Zugriffsbeschränkungen              Haftung vorsieht, wenn eine schuldhafte Unkenntnis
                        und Verschlüsselung gesichert werden. Soweit solche          hinsichtlich der Verletzungshandlung der anderen Person
                        Maßnahmen im Unternehmen schon existieren, müssen            besteht.
                        sie nunmehr zumindest auf die einzelnen Kategorien von
                        Geschäftsgeheimnissen abgestimmt werden. Viele Unter-        Das hier bestehende Risiko lässt sich anhand einer Ent-
                        nehmen sind deshalb damit beschäftigt, ein umfassendes       wicklungskooperation zwischen zwei Unternehmen ver-
                        Schutzkonzept auszuarbeiten, um nicht Gefahr zu laufen,      deutlichen, bei der beide Unternehmen ihr relevantes
                        den Schutz für ihre Geschäftsgeheimnisse zu verlieren.       „Background-Know-how und IP“, die bereits vor Beginn
                        Die Herausforderung dabei: Das Gesetz gibt keinerlei         der Entwicklungsarbeiten auf jeder Seite unabhängig von
                        Hinweise, wie die Geheimhaltungsmaßnahmen konkret            der Kooperation bestanden, in die Kooperation einbringen.
                        aussehen müssen, damit diese auch „angemessen“ sind.         Prüft einer der Kooperationspartner nicht ausreichend,
                                                                                     ob das eingebrachte Background-Know-how und IP des
                        Doch Unternehmen sollten einen wichtigen anderen As-         anderen Partners unberechtigt erlangte Geschäftsgeheim-
                        pekt des neuen Gesetzes nicht übersehen. Es regelt näm-      nisse von Dritten beinhaltet, so setzt er sich unter Um-
                        lich detailliert die Haftung bei der Verletzung von Ge-      ständen dem Vorwurf der schuldhaften Unkenntnis aus.
                        schäftsgeheimnissen Dritter. Es wäre also falsch, sich       Danach könnte es sinnvoll sein, dass im Kooperationsver-
                        ausschließlich auf den Schutz der eigenen Geschäftsge-       trag vorgesehen wird, dass eingebrachtes Know-how
                        heimnisse zu konzentrieren. Vielmehr gilt es, neben den      und IP keine unberechtigt erlangten Geschäftsgeheim-
                        bestehenden Schutzlücken auch solche Lücken zu schlie-       nisse Dritter beinhalten darf. Selbstverständlich gilt dies
                        ßen, die einen unberechtigten „Zufluss“ von Geschäfts-       nicht nur für Background-Know-how und IP, sondern auch
                        geheimnissen Dritter erlauben. Die „Renovierungsarbeiten“,   hinsichtlich des neu entwickelten Know-hows und IPs
                        die Unternehmen aufgrund des neuen Gesetzes durch-           („Foreground-Know-how und IP“).
                        führen sollten, müssen also in beide Richtungen gehen.
                                                                                     Auch bei Neuanstellungen sollte das Haftungsrisiko be-
                        Umfangreiche Haftungsregelungen                              achtet werden. Gerade bei der Neubesetzung von Schlüs-
                                                                                     selpositionen kann es seitens des Neuangestellten eine
                        Nach § 4 Abs. 1 GeschGehG ist es untersagt, ein Geschäfts-   unscharfe Trennlinie zwischen nutzbarem Bestandswissen
                        geheimnis eines Dritten durch aktives Tun (z. B. unbefugte   und unzulässiger Nutzung von Geschäftsgeheimnissen
                        Aneignung oder unbefugtes Kopieren) in unberechtigter        des Alt-Arbeitgebers geben. Es ist natürlich reizvoll, an
                        Weise abzuziehen, zu nutzen oder offenzulegen. Doch dies     Letzterem zu partizipieren, insbesondere, wenn der

                  16 | Update Gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht
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