Chinas große Ambitionen - Spiegel
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AP Bewerbungsfeier in Peking: „Die olympische Bewegung gehört der ganzen Menschheit“ O LY M P I A Chinas große Ambitionen Die Bewerbung um die Sommerspiele 2008 beunruhigt Teile der Pekinger Bevölkerung. Während Funktionäre die IOC-Jury umgarnen wollen, bangen die Bewohner des geplanten Olympia-Areals um ihre Heimat. Oppositionelle befürchten verschärfte Repressionen. A n den Tempel, der hier einmal entstehen – inmitten von Grünanlagen und wächst die Angst vor verschärften Re- stand, erinnert nur noch ein kleiner Teichen, überragt von zwei 500 Meter ho- pressionen. weißer Gedenkstein. Doch das Dorf hen Türmen, in die das IOC einziehen soll. Im sechsten Stock des Xinqiao-Hotels in trägt noch immer seinen Namen: Tiger- Peking wird in dieser Woche zum ersten der Nähe des Hauptbahnhofs, wo das Be- Tempel. Etappenziel der 18 IOC-Inspekteure, die werbungskomitee sein Quartier aufge- Der Ort könnte ebenfalls bald ver- rund um den Globus sämtliche Olympia- schlagen hat, stellt dessen Vizepräsident schwinden. Falls das Internationale Olym- kandidaten besuchen müssen; es folgen Pe- Liu Jingmin, gleichzeitig Pekings Vizebür- pische Komitee (IOC) die Olympischen kings Konkurrenten Osaka, Istanbul, Paris germeister, Selbstbewusstsein zur Schau. Spiele 2008 an Peking vergibt, werden bald und Toronto. Vor allem auf der Grundlage „Wir haben die besten Chancen“, sagt er Bulldozer die schmucklosen Ziegelhäuser des Berichts dieser Prüfungskommission und zieht eine metallene Thermoskanne einreißen. sollen die 131 IOC-Mitglieder, denen die mit heißem Tee aus der Aktentasche. „Wir Tiger-Tempel liegt mitten im geplanten beliebten Besichtigungstouren durch die werden Spiele organisieren, wie es sie noch Olympiagelände im Norden Pekings: ein Bewerberstädte seit dem hauseigenen nie gegeben hat.“ über 400 Hektar großes Gebiet aus Fel- Korruptionsskandal verwehrt sind, am Eine Assistentin schreibt seine Worte dern, Gewerbehöfen, kleinen Ansiedlun- 13. Juli in Moskau entscheiden. nach alter Funktionärstradition mit. Im gen, einem stinkenden Bach und dem Geo- Und so hat sich die 13-Millionen-Ein- Foyer stehen Modelle des künftigen Olym- grafieinstitut der Akademie für Sozialwis- wohner-Metropole Chinas besonders her- piazentrums, an den Wänden hängen ne- senschaften. Das Areal grenzt an moderne ausgeputzt. Geworben wird mit viel ben Fotos populärer internationaler Sport- Wohnviertel und an ein Heizkraftwerk. Hier Charme und ein bisschen Propaganda. ler wie Australiens Idol Cathy Freeman die sollen das neue Olympiastadion für 80 000 Den Oppositionellen ist Pekings Kam- Konterfeis von Mao Tse-tung, Deng Xiao- Zuschauer sowie Schwimm- und Turnhallen pagne denn auch suspekt. Schon jetzt ping und des heutigen Parteichefs Jiang 168 d e r s p i e g e l 8 / 2 0 0 1
Sport Geplantes Olympia-Zentrum Zemin. Für Peking spricht nach Flughafen Peking Lius Meinung auch die Ein- wohnerzahl des Landes. „Die Olympia-Zentrum olympische Bewegung gehört Peking 10 km der ganzen Menschheit. Wir C H I N A Chinesen stellen davon ein Verbotene Stadt Fünftel.“ Moralisch sieht sich Peking PEKING nach offizieller Lesart ohnehin im Vorteil, seit es 1993 Sydney mit zwei Stimmen unterlag. A. BRADSHAW / SABA Und Liu konzediert: „Wir wären damals schlechter vor- Olympischer Park bereitet gewesen, als wir es heute sind.“ Das Motto prangt nun allent- Familie im Dorf Tiger-Tempel halben auf Propagandatafeln: „Olympia ist Sache des Staates“ „Neues Peking, Große Olym- 1 1 piade“. Die „Rote Fahne“-Fabrik näht in IOC-Mitglied He Zhenliang. Daher „setzen 400 m diesen Tagen fieberhaft Olympiaflaggen mit wir in der Gruppe der Inspektoren-Be- der Aufschrift: „Peking – Bewerber 2008“. treuer mehr Frauen ein“. 2 Eine Menge Eindruck schindet auch der Fürsprecher der Bewerbung verweisen Aufmarsch der Fans. Kung-Fu-Star Jacky auf die Sommerspiel-Geschichte. Nach Chan und Filmdiva Gong Li treten als Sydney 2000 und Athen 2004 sei wieder 5 7 Olympiabotschafter auf, Hunderttausende Asien an der Reihe, heißt es – 20 Jahre 4 sammeln Pro-Olympia-Unterschriften, Stu- nach Olympia in Seoul. 3 denten erklären sich bereit, den Bürgern Weiteres Beweismaterial für die Qualität Englisch beizubringen. Reinigungsbrigaden des chinesischen Bewerbers sollen die Her- 6 8 versprechen, den öffentlichen Toiletten bis ren der olympischen Ringe aus den Me- 2008 einen internationalen Standard zu daillenspiegeln herleiten. Hat sich das Land verpassen. nicht binnen kurzer Zeit zu einer Super- Seit Tagen üben Olympiafunktionäre macht des Sports entwickelt? Erst 1979, nach ihre Vorträge für die IOC-Jury, Arbeiter den Wirren der Kulturrevolution, hatte das putzen die Zufahrtsstraßen zu den Stadien, IOC China wieder anerkannt, fünf Jahre 9 Malerkolonnen streichen Häuserfassaden. später gewann Schütze Xu Haifeng die ers- Eine Firma in der Provinz Anhui montier- te Goldmedaille. Vergangenen Sommer in te für die Inspektoren zwei Spezialbusse Sydney erreichten die Chinesen mit 28 mit Computer und Internet-Anschluss. Goldmedaillen in der Länderwertung hinter Kosten: rund eine Million Mark. den USA und Russland den dritten Platz. Vor den einflussreichen Olympiern zäh- Allerdings hatte Peking 27 offenkundig 10 len mitunter auch profane Argumente. bis zur Halskrause gedopte Athleten kurz- 11 Man habe „gemerkt, dass Chinesinnen bei fristig aus der Mannschaft entfernt. Be- ausländischen Gästen oft einen guten Ein- obachter werteten den Rückzugsbefehl der 1 Olympisches Dorf 6 Medien-Zentrum druck machen“, gesteht das chinesische neuen Saubermänner als billigen PR-Trick 2 IOC-Hauptquartier 7 Nationale Sporthalle zur Förderung der Olympia- Kandidatur. 3 Olympiastadion 8 Nationale Schwimmhalle Neben Ruhe an der Do- 4 Dorf Tiger-Tempel 9 Chinesisch-Ethnischer pingfront gilt sportlicher Er- Kulturpark folg weiter als bestes Bewer- 5 Internationales bungsmarketing. So sollen Ausstellungs- und 10 Nationales Tennis-Zentrum Sport-Zentrum 11 Nationales Hockey-Stadion staatliche Auslese und Förde- rung von Spitzensportlern im- mer mehr durch privates Sponsoring ergänzt werden. Ob diese Öffnung zum Kommerz die Das alte System, das Kinder IOC-Mitglieder überzeugt, ist jedoch frag- zu Leistungssportlern dres- lich. Einleuchtender erscheint der olym- siert, leidet nämlich unter pischen Familie womöglich ein anderes bürokratischer Verkrustung. Argument: Die Regierung könne Polizei Manche Sportverbände be- und Armee nach Belieben einsetzen, per gaben sich schon auf den Fingerzeig ganze Stadtteile für den Ver- freien Markt, auf dem Unter- kehr sperren und missliebige Bürger aus nehmen Vereine fördern. Die der Stadt verbannen. Fußball-Liga wirbt bereits für Selbst einige Kritiker des Regimes er- Pepsi-Cola, Clubs lassen sich hoffen sich Vorteile von einer Olympia- M. ROSE / BONGARTS von Schnapsherstellern oder Kandidatur: Die mit den Spielen verbun- Fensterfirmen sponsern. Auch dene Anerkennung Chinas als volles Mit- im Basketball, Volleyball und glied der internationalen Gemeinschaft Tischtennis engagieren sich zwinge die KP zu mehr Offenheit und To- Chinesische Volleyballerinnen: Supermacht des Sports private Geldgeber. leranz. „Viele andere Länder haben auch d e r s p i e g e l 8 / 2 0 0 1 169
Sport Heimat. Hunderte von Wander- arbeitern, die sich bei den Einhei- mischen karge, kalte Zimmer mie- ten und ihnen so ein Zusatz- einkommen verschaffen, müssten umziehen. Einer der Bewohner des Ge- bietes ist der alte Gong aus dem Dorf Tiger-Tempel. Er schaut nachmittags an der Straße dem Milchfahrer nach, auf dessen Fahrrad schon eine Fahne mit Pe- kings Olympialogo weht. Gong hat hier sein ganzes Leben ver- bracht. Der Olympia-Euphorie, die seine ehemaligen Vorgesetz- ten verbreiten wollen, mag sich SPORTIMAGE / PRESSE SPORTS der pensionierte Dorffunktionär partout noch nicht anschließen. „Einen alten Baum“, sagt er, „ver- pflanzt man nicht. Aber meine Meinung zählt nicht. Olympia ist Sache des Staates.“ Stadion der Asienspiele, Gymnastikhalle in Peking: Menschenrecht auf Eintrittskarten? Genau am Staat jedoch könnte die Bewerbung scheitern. Vor al- Probleme mit Menschenrechten. Wir wer- lungshallen genutzt werden. Das Olympia- lem der harsche Umgang mit Dissiden- den in Politik und Gesellschaft Fortschritte gelände hat die Stadtregierung an der ten und Gläubigen sorgt weltweit für machen“, verspricht Vizebürgermeister Liu. mystischen Achse geplant, auf der Kaiser- Empörung. In Gefängnissen und Poli- Wenig überzeugend wirken aber noch palast, Trommelturm und Mao-Mausoleum zeiwachen sei Folter, berichtete Amnesty die Anstrengungen einer vom Nationalen liegen. International vergangene Woche, „weit Olympischen Komitee gebildeten Grup- Schon jetzt befindet sich die Stadt im verbreitet“. pe von Wissenschaftlern, Künstlern und Umbruch. Über Nacht versinken alte So wirkte die Idee, bei Olympia den Schriftstellern, die angesichts der fünf Rin- Wohnviertel in Schutt und Asche. Olympia Beachvolleyball-Wettbewerb auf dem Tian- ge die Idee des Humanismus fördern will. im Blick, ließen die Behörden bereits Dut- anmen-Platz zu veranstalten, geradezu gro- Bislang konnte sich die Runde nicht darüber zende von Märkten, Kiosken, Galerien und tesk. Dass hier 1989 der Studentenaufstand verständigen, was unter dem Begriff zu ver- Restaurants abreißen, die nach ihrer Mei- blutig niedergeschlagen wurde, ist nirgends stehen sei. Für viele, berichtet ein konster- nung nicht ins Bild einer modernen Haupt- vergessen. Kürzlich haben sich verfolgte nierter Teilnehmer, bedeute Humanismus stadt passen. Falun-Gong-Jünger auf dem berüchtigten nur das Menschenrecht auf Eintrittskarten. Weichen mussten zudem zahlreiche Gas- Platz selbst verbrannt. Verlockender klingt, was die Regierung sen (Hutongs) mit den traditionellen Vier- Bei den meisten Oppositionellen herrscht im Zuge der Bewerbung für den Umwelt- Hof-Gebäuden, kleinen Läden und Gar- Misstrauen gegenüber Pekings olympi- schutz verspricht. Um Luft und Wasser zu küchen, die den historischen Charme der schen Ambitionen. Sie fürchten, die KP reinigen, will sie Dreck spuckende Fabri- Stadt prägten. könnte Olympische Spiele dazu nutzen, ken aus der Stadt verlagern, die giftigen Noch lassen auf dem geplanten Olym- die Bürger zu einem gefährlichen Natio- Kohleöfen durch Gasheizungen ersetzen, piagelände Taxifahrer ihre roten Wagen nalismus aufzupeitschen. Der Regimekriti- Abfalldeponien und Abwasserkanäle bau- waschen, die Damen des „Diana-Erho- ker Chen Longde warnt: China verletze en. Nördlich des vorgesehenen Olympia- lungszentrums“ offerieren hier entspan- mit seinen Repressionen „den olympischen geländes wird außerdem ein riesiger Park nende Stunden, Händler verkaufen Rei- Geist“. Spiele in Peking kämen denen von angelegt. fen, Bretter, Wasserhähne. Berlin 1936 gleich. Um den chaotischen Verkehr in den Sollte Peking den Olympiazuschlag er- Andere Olympiagegner argwöhnen, dass Griff zu bekommen, wollen Pekings Funk- halten, verlören rund 1500 Menschen ihre die Führung unter dem Vorwand, der Ruf tionäre viele Straßen verbreitern von Partei und Nation stehe an- und Busspuren einrichten. Bis lässlich des Sport-Spektakels auf 2008 sollen zudem 80 Kilometer dem Spiel, die Zügel straffer an- neue U-Bahn-Linien sowie eine ziehen werde. „Unter diesen Hochbahn gebaut werden. Umständen“, rät die Umwelt- Insgesamt dürften die Spiele aktivistin Dai Qing, „sollte viel- Peking über sieben Milliarden leicht eine andere Stadt die Mark kosten. 15 neue Sportstät- Olympischen Spiele erhalten.“ ten würden die Olympiamacher Eine Entscheidung pro Peking ins Stadtbild stellen, einige da- könnte allerdings auch willkom- von könnten später als Ausstel- mene Folgen haben. Um die Schau nicht zu gefährden, werde * Hein Verbruggen, Chef der IOC-Bewer- die Regierung den Konflikt mit tungskommission, Gymnastik-Olympiasie- den widerspenstigen Landsleu- gerin Liu Xuan, IOC-Präsident Juan Anto- ten auf Taiwan entschärfen, pro- nio Samaranch, Pekings Bürgermeister Liu phezeit ein parteinaher Exper- Qi und Yuan Weimin, Chef des chinesischen te: „Bis 2008 gibt es keinen AP Olympischen Komitees, am 13. Dezember vergangenen Jahres in Lausanne. Präsentation beim IOC-Chef*: Ruhe an der Dopingfront Krieg.“ Andreas Lorenz 170 d e r s p i e g e l 8 / 2 0 0 1
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