Dienlicher Stadtbaustein mit Wow-Faktor - :Forum-HolzBau
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
e COVERSTORY Dienlicher Stadtbaustein mit Wow-Faktor Das Hotel Bergamo gegenüber dem Ludwigsburger Marstall Center und unweit des Residenzschlosses ist die erste CO2-neutrale Bettenburg der Stadt. Was sich hinter der weißen Fassade verbirgt, ist ein Holzmodulbau der Sonder- klasse. Präzision trifft hier auf Ästhetik. Ein Raumwunder mit schlichter Eleganz. T Birgit Gruber F Brigida González, VON M
e COVERSTORY Die Architekten haben sowohl Bar und Empfangstresen als auch die Tische selbst entworfen und von Handwerkern vor Ort aus massivem Eschenholz ausführen lassen. Die Fenster sind auf Sitzhöhe herabgezogen, sodass die Fensterbänke als Sitznischen und Kofferablagen dienen. Damit sich das Hotel von seiner heterogenen Umgebung abhebt, wurde die Fassade des Holz- baus mit weißen Faserzement- platten verkleidet. Das Stuttgarter Architekturbüro VON M wurde 2004 ge- Stadt bestand auf Holzbau und – anders als viele andere Investoren – einer Holz- gründet und besteht heute aus drei Partnern und 20 Initiiert wurde das Projekt von Harald Kilgus, der in konstruktion gegenüber sehr aufgeschlossen war“, so Mitarbeitern. Seit der Gründung verfolgen die Planer Ludwigsburg bereits ein Hotel betreibt und Bedarf für Seiberts, der hier massiven Aufklärungsbedarf bezüg- den Ansatz einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwi- eine weitere Unterkunft sah. Im Rahmen einer städ- lich Dauerhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit sieht. „Der schen Architekten, Innenarchitekten und Kommunika- tebaulichen Maßnahme wurde gleichzeitig ein neues Investor war von der Modulbauweise begeistert, mit de- tionsgestaltern. So können Projekte ganzheitlich über Grundstück in Sichtnähe des Ludwigsburger Residenz- ren Planung wir Anfang 2017 so richtig starten konn- die unterschiedlichsten Maßstäbe hinweg bearbeitet schlosses generiert. „Ein perfekter Zufall“, sagt Seiberts. ten“, freut sich Seiberts. Die Herausforderung dabei: werden – von der Ausstellungsgestaltung über Messe- Denn freie Flächen inmitten des Stadtgefüges seien Das neue Hotelgebäude sollte sich nicht nur gegen stände bis hin zu ganzen Wohnquartieren oder öffentli- heutzutage nicht mehr zu finden. Bis 2014 befand sich den klotzartigen Waschbetonplattenbau des Marstall chen Bauten wie Schulen und Museen. Bisher sind sie dort die Tiefgaragenabfahrt des Marstall Centers – eines Centers direkt gegenüber behaupten, sondern auch vor allem als Meister der leisen Töne aufgefallen. Dafür Einkaufszentrums, das in den 1970er-Jahren anstelle ins Bild der schwäbischen Barockstadt mit seinem steht auch der Name. „Es ist die Abkürzung für Visual der Schlossstallungen errichtet wurde. Für einen Neu- Residenzschloss und den Gründerzeithäusern passen. Orchestra Noble Minded. Wir sehen uns als visuelles bau gab die Stadt grünes Licht, allerdings unter zwei Vo- „Uns war klar, dass sich das Hotel aus dieser hetero- Orchester, das verschiedene Mitspieler hat. Gemeinsam raussetzungen. „Es musste ein Architekturwettbewerb genen Architekturlandschaft hervorheben muss. Nur, erzeugen wir einen großartigen Klang, also ein tolles ausgeschrieben und das Hotel in Holzbauweise errich- woran sollten wir uns orientieren? Wir hatten die Vision Projekt“, erklärt Architekt Daniel Seiberts. Die Bauten tet werden“, erzählt der Architekt. Da Ludwigsburg im eines starken und stabilen Stadtbausteins, der diese des Büros sind geprägt von einer funktionalen Orga- Jahr 2014 als nachhaltigste Stadt Europas ausgezeich- Heterogenität ein wenig überstrahlt. Er sollte die Um- nisation und ihrem, dem jeweiligen Kontext angemes- net wurde, sollte der Bau „als erstes CO2-neutrales Ge- gebung zusammenhalten und gleichzeitig stark prä- senen Auftritt. Der Baustoff Holz ist ihnen dabei keine bäude der Stadt“ ein Vorzeigeprojekt sein. Den Wettbe- gend am Platz stehen. Das Mansardendach nimmt Be- Unbekannte: „Wir bauen sehr viel mit Holz, da die Vor- werb unter fünf Mitstreitern konnten VON M 2015 für zug zur Barockbebauung der Stadt, die Fenster öffnen teile einfach auf der Hand liegen. Abgesehen von den sich entscheiden. sich nach außen wie die Klappläden eines Gründer- Nachhaltigkeitsaspekten finden wir, dass es ein atmo- zeithauses und sind bündig in die Fassade aus weißen sphärisch tolles, lebendiges Material ist und eine Viel- Investorensuche: Bitte warten! Faserzementplatten eingelassen“, weiß der Projektlei- zahl interessanter bautechnischer Möglichkeiten bietet. Im selben Jahr ging Kilgus auf Investorensuche. ter. Strahlend weiß wie eine Braut an ihrem schöns- Insbesondere durch die technischen Entwicklungen Es sollte allerdings fast zwei Jahre dauern, bis ein ten Tag steht es also da, das Hotel Bergamo, wie es der letzten Jahre“, weiß Seiberts. Neuland betrat man Geldgeber für das Holzhotelprojekt gefunden wurde. seit seiner Eröffnung im September 2019 heißt. Und 2014 allerdings mit dem Bau eines Hotelkomplexes „Schlussendlich war es der lokale Immobilienbetrei- den Blick von ihm kann man in dieser Umgebung nur in Ludwigsburg. ber Fedor Schoen, der das Projekt interessant fand schwer lassen. n 20 e dienlicher stadtbaustein mit wow-faktor holzbauaustria 1|2021 coverstory e 21
e COVERSTORY Homogener Holzmodulbau Detail 1 Schnitt a-a Decke über DG So heterogen die Landschaft außen, so homogen ist das Hotel innen. „Die Modulbauweise bietet sich im- mer dann an, wenn ein Gebäude einen hohen Wie- derholungsfaktor hat”, so Seiberts. Das Unter- und das Erdgeschoss des Hotels sollten in konventionel- ler Stahlbetonbauweise errichtet und die Hotelzim- mer in den oberen Stockwerken wie in einem Bau- kastensystem als einzelne Holzmodule rund um den Treppenkern aus Beton aufeinandergestapelt werden. Als Partner für die Ausführung holten sich VON M Kaufmann Bausysteme mit ins Boot, die die Zimmer- module in ihrem Werk in der Steiermark produzierten. „Diese Art des Bauens war auch aufgrund der Enge des Bauplatzes von Vorteil. Eine übliche Baustellen- einrichtung wäre hier nicht möglich gewesen“, weiß Seiberts, der weiter anführt: „Kaufmann Bausysteme setzen in diesem Bereich die Benchmark.“ In nur einer Woche wurden die vier Stockwerke mit den Zimmer- modulen auf dem Erdgeschoss verbaut. Pro Tag ein Geschoss, das insgesamt elf Module beinhaltet. Ein weiterer Tag war für die Übergänge, Anschlüsse und Das Problem mit dem Knick Schnitt B-B Schnitt C-C das Abdichten nötig. „Montagfrüh wurde mit der Mon- „Das Dachgeschoss setzt sich aus fünf Modulen zu- tage begonnen und Freitagmittag hatten wir ein regen- sammen – einem mittleren Modul (Breite: 4,4 m, sicheres Haus“, ist Seiberts noch jetzt begeistert. Um Länge: 5,7 m und Höhe: 2,9 m) und vier Randmodu- den Verkehr in Ludwigsburg während dieser Zeit nicht len mit den Maßen 4,6 x 10,8 x 2,9 m. Die Module zum Erliegen zu bringen, parkten die beladenen Lkw, vom ersten bis zum dritten Obergeschoss wurden zu die im Konvoi nachts aus der Steiermark anfuhren, je zwei Stück pro Lkw transportiert. Die vier großen außerhalb der Stadt auf Autobahnraststätten. Immer Einheiten des Dachgeschosses zu je einem Modul pro wenn ein Zimmermodul verbaut wurde, wurde on de- Lkw. Insgesamt wurden also 24 Ladungen nach Lud- mand das nächste Element auf die Baustelle gefahren. wigsburg gebracht“, erklärt Hendrik Reichelt, Bereich Die schlichte, weitgehend symmetrische Kubatur Forschung und Entwicklung bei Kaufmann aus Reuthe. des Neubaus kaschiert die schwierige Topografie des Bauplatzes: Nach Osten fällt das Terrain Das Dachgeschoss des vierstöckigen Hotelneubaus leicht und nach Norden stark ab. war aufgrund seines Knicks im Mansardendach nicht nur statisch eine Herausforderung, sondern erzeugte auch bei der Montage einen Herzschlagmoment beim leitenden Architekten. „Durch den Knick im Mansar- dendach verkleinert sich das oberste Geschoss er- Ein Zimmer, ein Modul: heblich, sodass die Hotelzimmer anders organisiert Die einzelnen Holzkisten wurden im steirischen und um 90 Grad gedreht werden mussten. Ganz oben Kaufmann-Werk inklusive sind deshalb nur fünf der insgesamt 55 Gästezimmer Sanitäreinrichtungen vorgefertigt. untergebracht. Hier wurden zwei Zimmer zu jeweils einem Modul zusammengefasst.“ Dafür musste ein 300 t Kran angeschafft werden, der – an der Stirnseite des Hauses platziert – das riesige Modul über das ge- samte Hotel hinweghob. „Das war eine äußerst spek- takuläre Aktion, als die 20 t schwere Holzkiste über der Baustelle schwebte“, so Seiberts. Tragwerkspla- ner Martin Vogelmann von Merz Kley Partner erklärt das Problem mit dem Knick aus statischer Sicht: „Im dritten Obergeschoss musste eine zusätzliche Stahl- stütze in die Dämmung der Module integriert werden, die die Last des obersten Stockwerkes abträgt. Sie war Teil des Mansardenmoduls und stellte deshalb auch keine weitere Behinderung des Arbeitsablaufes dar. Die Stahlstütze sorgt an der geknickten Stelle, wo zwei Massivholzplatten aufeinandertreffen, für eine biege- steife, verschweißte Ecke.“ n 22 e dienlicher stadtbaustein mit wow-faktor holzbauaustria 1|2021
e COVERSTORY PROJEKTDATEN Standort: Ludwigsburg Bauherrschaft: Kommunikation im Vorfeld entscheidend Fedor Schoen GmbH, Nachdem die Aufbaukolonne des Holzbauers die fedor-schoen.de einzelnen Module statisch verbunden hatte, muss- ten lokale Handwerker schließlich die Haustechnik Fertigstellung: von außen vertikal miteinander verbinden. Laut dem September 2019 Architekten herrschte im Vorfeld aber zu großer Opti- mismus, was das „einfache Anschließen“ der Module Bauzeit: März 2018 betraf: „Die meisten Unternehmen mussten sich erst bis August 2019 mit der Holzbauweise vertraut machen und lernen, dass man einen Fehler nicht so einfach korrigieren Architektur: VON M kann. Die hohe Präzision des Holzbaus erlaubt keine Architektur, vonm.de Fehler. Die Haustechniker selbst waren es aber nicht gewohnt, mit einer derartigen Präzision zu arbeiten.“ Tragwerksplanung: Seiberts‘ Fazit: „Eine ausführliche Planung bis ins Merz Kley Partner, letzte Detail sowie eine frühzeitige Kommunikation www.mkp-ing.com unter allen Beteiligten sind beim Holzmodulbau noch wichtiger als bei konventionellen Gebäuden.“ Holzmodulbau: Kaufmann Bausysteme, Mock-up-Hotelzimmer für Planer kaufmannbausysteme.at Da das Grundstück mit knapp 400 m2 für das Hotel Bergamo verhältnismäßig klein ist und aus wirtschaft- Systemlieferanten: lichen Gründen eine bestimmte Anzahl von Zimmern Mayr-Melnhof, realisiert werden musste, fielen die Zimmergrundrisse mayr-melnhof.com mit durchschnittlich 14 m2 relativ übersichtlich aus. Dennoch wirken sie nicht eng, sondern großzügig und Holzmenge: 450 m³ luftig. Zu verdanken ist dies einer intelligenten Innen- raumgestaltung. Ein zweistufiges Verfahren half den Grundstücksfläche: 400 m² Planern dabei, die Übersicht zu behalten. Zunächst wurde in der Werkstatt des Stuttgarter Büros ein Ho- telzimmer simuliert. So konnte der spezifische Grund- riss besser erarbeitet werden. „Die Fenster sind auf Sitzhöhe herabgezogen, sodass die Fensterbänke als Sitznischen und Kofferablagen dienen. Das Bett ist 1,60 m breit und so platziert, dass der Abstand vom Fußende zur Wand größer ist als zur jeweiligen Bett- seite“, verrät Seiberts zwei Besonderheiten. In einem zweiten Schritt und nach Beauftragung der Firma Raumqualität für Gäste spürbar Kaufmann haben die Architekten ein Mock-up-Mo- Von der Begeisterung der bisherigen Besucher zeu- dul fertigen lassen, um dem Bauherrn eine genaue gen zahlreiche Kommentare auf den einschlägigen Vorstellung von der Raumwirkung und den Oberflä- Hotelbewertungsportalen. Ein Regelbetrieb ist derzeit Die Zimmerodule wurden im Werk von Kaufmann Bausysteme chen zu vermitteln und letzte Details abzustimmen. nicht möglich. Auf der Hotelhomepage liest man zwar: in der Steiermark produziert, Dieses war bereits vollständig ausgestattet und ange- „Wir haben geöffnet“, jedoch darf man aufgrund der nach Ludwigsburg transportiert und innerhalb einer Woche auf schlossen und wurde später auch als ein Hotelzimmer weltweiten Pandemie auch in deutschen Unterkünf- dem Erdgeschoss verbaut. im Bergamo verbaut. „Die Serienfertigung im steiri- ten nur Business-Gäste empfangen. Im Erdgeschoss schen Kaufmann-Werk war sehr beeindruckend. Die liegen Bistro- und Barbereich, gefolgt von der Rezep- wir die Materialien, aus dem das Haus gebaut wurde, „Und so überzeugt das Innere dieses Hotels durch Brettsperrholzelemente laufen am Fließband von Sta- tion und den Räumen für Büro, Verwaltung und das auch zeigen wollen“, so Seiberts. „Das betrifft neben atmosphärische Wärme ebenso wie der Baukörper tion zu Station und die Handwerker können in einer Gepäcklager. Die Architekten haben hier sowohl Bar den Holzoberflächen der Zimmermodule auch den als Stadtbaustein funktioniert, da er sich trotz sei- beheizten und witterungsgeschützten Halle ihre Arbeit und Empfangstresen als auch die Tische selbst ent- Sichtbeton, der dank seiner Struktur genauso lebendig ner vermeintlichen Kühle doch ganz in den Dienst machen. Dabei herrscht eine ganz andere Stimmung worfen und von Handwerkern vor Ort aus massivem wirkt wie Holz – das passt gut zueinander.“ Im Unter- der Stadt stellt“, schreibt David Kasparek, Chef vom als auf einer herkömmlichen Baustelle, wo der Tonfall Eschenholz ausführen lassen. Die handwerkliche Qua- geschoss sind neben drei nach Norden, den Hang hi- Dienst bei der architekt, Zeitschrift des Bundes Deut- aufgrund von Kälte und Nässe auch schon mal rauer lität wirkt sich unmittelbar positiv auf die Atmosphäre nab ausgerichteten Zimmern die für den Hotelbetrieb scher Architekten. Einen besseren Abschluss hätten wird. Das positive Arbeitsumfeld wirkt sich dann na- des Raums aus. Die Oberflächen in den Zimmern und notwendigen Räume für Müllentsorgung, Fahrradver- wir auch nicht finden können. e türlich auch auf die Qualität des Endergebnisses aus“, den öffentlichen Bereichen wurden in ihren ursprüng- leih, Personaleingang und Wäschelieferungen ange- ist Seiberts begeistert. lichen Materialien belassen. „Für uns war klar, dass siedelt und über eine Rampe zugänglich. 24 e dienlicher stadtbaustein mit wow-faktor holzbauaustria 1|2021 coverstory e 25
Sie können auch lesen