Damit die Turbinen weiter laufen: ETH-Forschung hilft Energieproduzenten, den Einfluss des Klimawandels auf das Wasser vorkommen abzuschätzen ...
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Fokus Klima (Climate-KIC) Damit die Turbinen weiter laufen: ETH-Forschung hilft Energieproduzenten, den Einfluss des Klimawandels auf das Wasservorkommen abzuschätzen. Im Bild: Kraftwerk am Löntsch, Zentrale Netstal. 22 ETH GLOBE 4/2010
Fokus Vom Klimamodell zum Klimaservice Politik und Wirtschaft sind für ihre langfristigen Entscheidungen auf verlässliche Klimaprognosen angewiesen. So können Bund und Stauwerkbetreiber beispiels- weise zukünftige Stromengpässe besser vorhersehen und Rückversicherer das Risiko für Bodenabsenkungen in Bauzonen einschätzen. Samuel Schläfli → Im November 2009 schwappte eine Welle der Empörung durch die Medien und Blogs dieser Welt: Wissenschaftler des lange mit Klimaforschern zusammen. Das Un- ternehmen war Gründungsmitglied von NCCR Climate, einem Zusammenschluss von Schwei- aus wissenschaftlicher Sicht interessant», sagt Sonia Seneviratne, Assistenzprofessorin am In- stitut für Atmosphäre und Klima an der ETH IPCC, des wichtigsten internationalen Gremi- zer Klimaforschern, in welchem die ETH Zürich Zürich. ums zur Untersuchung des Klimawandels, soll- prominent vertreten ist. «Wir sind auf die bes- ten gepfuscht und in ihrem vierten Experten- ten Klimamodelle angewiesen, um Risiken be- Mehr Gebäudeschäden infolge Klimawandels bericht falsche Daten verbreitet haben. urteilen und Massnahmen dagegen richtig Diesen Zusammenhang analysierte ihre Grup- Mögliche Konsequenzen des Klimawandels sei- quantifizieren zu können», sagt David Bresch, pe basierend auf bestehenden Schadendaten en dadurch bewusst überschätzt worden, so Verantwortlicher für Nachhaltigkeit und Risk der Swiss Re und meteorologischen Aufzeich- die Anschuldigung. Nach einer unabhängigen Management bei Swiss Re sowie ETH-Alumnus. nungen zu Temperatur und Niederschlag. Sie Untersuchung des Inter Academic Council Eine aktuelle Zusammenarbeit der Swiss Re fütterte dafür ein Standard-Simulationsmodell weiss man, dass zwar Fehler begangen wurden mit Forschern der ETH Zürich betrifft die Ursa- für Dürrevorhersagen mit meteorologischen – zum Beispiel bei der Vorhersage der Himala- chen für Landabsenkungen infolge von Dürren. Daten aus der Vergangenheit. Gleichzeitig wur- ya-Gletscherschmelze –, die Hauptaussagen Bei Trockenheit zieht sich der Boden zusam- den Indikatoren bestimmt, mit welchen sich des Weltklimaberichtes aber uneingeschränkt men, er wird uneben und in den Gebäudemau- kritische Bodenfeuchtigkeitswerte und Schä- gültig bleiben. ern entstehen Risse. Besonders in Frankreich den von Bodenabsenkungen verbinden lassen. Während Skeptiker auch weiterhin wissen- haben Landabsenkungen in den letzten Jahren Die Ergebnisse zeigen, dass Bodentrockenheit schaftlich fundierte Klimaszenarien bezwei- zu kostspieligen Gebäudeschäden geführt. Nach und die damit verbundenen Gebäudeschäden feln, nutzen Politik und Wirtschaft diese immer dem heissen Sommer von 2003 erreichte die realistisch durch ein Klimamodell abgebildet öfter, um schon heute Anpassungsstrategien ausbezahlte Schadenssumme mit über einer werden können. Seneviratnes Gruppe hat da- für den Klimawandel der Zukunft auszuarbei- Milliarde Euro einen bisherigen Höchststand mit für die Zeitspanne zwischen 1989 und 2002 ten. Dafür verlangen nationale Entscheidungs- bei der Schadenregulierung. Für Überflutun- einen direkten Zusammenhang zwischen An- träger nach regionalen, hochaufgelösten Sze- gen gibt es eine Reihe von Modellen, die auf- zahl Gebäudeschäden und klimatischen Verän- narien. «Das Interesse an lokalen Klimadaten grund von meteorologischen Daten eine Risi- derungen nachgewiesen. Zudem zeigt das Mo- nimmt zurzeit stark zu», sagt Reto Knutti, Assis- koabschätzung erlauben. Auch die geologi- dell, dass sich das Schadenrisiko in dieser tenzprofessor für Klimaphysik an der ETH Zü- schen Faktoren für Bodenabsenkungen sind in Periode gegenüber den Jahren 1961 bis 1990 rich, «besonders bei Unternehmen und Bun- der Literatur gut beschrieben. Modelle jedoch, verdoppelt hat, vor allem als Konsequenz von desbehörden aus den Bereichen Landwirtschaft, die Klimadaten mit Bodenabsenkungen kop- steigenden Temperaturen. Die Forscherin und Tourismus und Energie.» Das erstaunt nicht: Es peln, fehlten bis vor Kurzem. Dies, obwohl Tem- Swiss Re gehen davon aus, dass Gebäude- sind diejenigen Branchen, die unmittelbar vom peratur, Niederschlag und Verdunstung die absenkungen in Frankreich in Zukunft weiter Klimawandel betroffen sind. Hauptfaktoren für trockene Böden sind; es in- zunehmen werden. Bestehende Klimamodelle sofern also naheliegend ist, dass meteorologi- prognostizieren nämlich für die dicht besiedel- Risiken abschätzen und quantifizieren sche Faktoren einen direkten Einfluss auf die ten Gebiete Zentraleuropas und Nordamerikas Auch Versicherungen sind auf Klimaprognosen Anzahl Schadenfälle haben. «Das machte die erhöhte Trockenheit. angewiesen. Swiss Re, einer der weltweit gröss- Frage nach dem Zusammenhang von klimati- Swiss Re nutzt das ETH-Modell heute, um das ten Rückversicherer, arbeitet deshalb schon schen Veränderungen und Bodenabsenkungen Risiko von Landabsenkungen und Gebäude- ETH GLOBE 4/2010 23
Fokus Niederschlagsänderung (%) Dezember/Januar/Februar März/April/Mai schäden in Frankreich zu quantifizieren. Solche existenzbedrohend. Für das Stauwerk Mauvoi- Grafiken oben: Erwartete Änderung des saisonalen Schäden sind zwar momentan noch über den sin zum Beispiel, wurden in einer Studie Niederschlags an Messstationen der Meteo Schweiz für den Zeitraum 2021 bis 2050 im Vergleich zu Staat versichert, doch David Bresch geht davon Einbussen von 36 Prozent für den Zeitraum 1980–2009. Dargestellt ist der Mittelwert aus zehn aus, dass es infolge des Klimawandels ver- von 2070 bis 2099 gegenüber 2007 prognos- Klimamodellen des europäischen ENSEMBLES-Projekts, mehrt zu Deckungslücken kommen wird. Hier tiziert. Entsprechend stellt sich bei Neubauten denen das A1B-Emissionsszenario des IPCC (erneuer- könnte Swiss Re mit ihren Versicherungspro- von Wasserkraftwerken schon heute die Frage, bare und nicht erneuerbare Energieträger) zugrunde liegt. Die dunkelgraue Schattierung steht für eine dukten einspringen. Kürzlich hat Seneviratnes ob sich die Investitionen überhaupt noch hohe Übereinstimmung der zehn Modelle. (Grafik: Team das erarbeitete Modell zusätzlich mit rechnen werden. Thomas Bosshard, ETH Zürich) geologischen Daten gekoppelt, so dass erwei- terte Prognosen zu einzelnen Regionen Frank- Bisher fehlten Untersuchungen, die klimatolo- reichs möglich werden. gische, hydrologische und kraftwerkbetrieb- liche Modelle für bestimmte Einzugsgebiete Leere Stauseen voraussehen koppeln. Dafür sind Klimaszenarien von hoher Nicht nur Versicherungen versuchen mögliche zeitlicher und räumlicher Auflösung nötig. Sol- Klimarisiken zu antizipieren; Stromproduzen- che erarbeitet die Gruppe von Professor Chris- ten sind genauso von der Gunst der Wettergöt- toph Schär am Institut für Atmosphäre und ter abhängig. Heute stammen rund 60 Prozent Klima an der ETH Zürich. Sie übernimmt im des Schweizer Stroms aus Wasserkraft. swisse- Projekt «Klimaänderung und Wasserkraftnut- lectric research, die Forschungskoordination zung» das klimatologische Downscaling. Dar- der schweizerischen Stromproduzenten Axpo, unter versteht man das Herunterrechnen der Alpiq und BKW, hat deshalb gemeinsam mit Ergebnisse von grossskaligen, globalen Klima- dem Bundesamt für Energie und dem Kanton modellen auf ausgewählte Regionen. Wallis vor drei Jahren das Forschungsprojekt Als Basis nutzen die Forscher Daten des EU- «Klimaänderung und Wasserkraftnutzung» ge- Projekts «Ensembles». Forschungsgruppen aus startet. «Wir wollen herausfinden, wie sich die ganz Europa hatten dabei mit denselben Ein- Verfügbarkeit von Wasserressourcen langfris- gangsdaten, aber unterschiedlichen Simula- tig verändern wird und was das für die Wasser- tionsmodellen, Klimaszenarien für Gesamt- kraftwerkbetreiber konkret bedeutet», be- europa berechnet. Schär und seine Kollegen schreibt Martin Kauert, Projektkoordinator bei haben diese für die Schweiz von einer Auflö- swisselectric research, die Motivation der In- sung von 250 x 250 Kilometer auf 25 x 25 Kilo- dustrie. In einer Vorstudie haben Wissenschaft- meter herunterskaliert. Ein enorm rechenin- ler der Universität Bern eine breit angelegte tensiver Prozess: Monatelang war der Literaturrecherche zum Wasserhaushalt der Hochleistungsrechner am CSCS in Manno für Schweiz durchgeführt. Alle untersuchten Stu- solche Berechnungen in Betrieb. Die erarbeite- dien kamen zum Schluss, dass der Klimawan- ten Klimaszenarien wurden in einem zweiten del zu verminderten Wasserflüssen führen Schritt vom 25 x 25 Kilometer-Gitter der regio- wird. Das hat Auswirkungen auf die Schweizer nalen Klimamodelle auf 600 Messstationen Stromproduktion und ist in einzelnen Fällen der Meteo Schweiz herunterskaliert. 24 ETH GLOBE 4/2010
Fokus Anzahl übereinstimmender Modelle Juni/Juli/August September/Oktober/November Diese lokalen Szenarien sind die Basis für aktualisierten Bericht, der im Frühling 2011 er- Forscher der Universität Bern, die für 30 bis 50 scheinen soll. Er beruht auf einer neuen Gene- Climate-KIC: Geschäftsideen Einzugsgebiete das zukünftige Wasserauf- ration von Klimamodellen, wie denjenigen aus für ein gutes Klima kommen aus Regenfall sowie Schnee- und Eis- dem «Ensembles»-Projekt. Sie erlauben eine schmelze berechnen werden. An drei bis fünf höhere lokale Auflösung der Szenarien, zudem Die ETH Zürich ist ein wichtiger akademischer ausgewählten Wasserkraftwerken werden werden erstmals auch Aussagen zu Extrem- Partner von Climate-KIC, einer Ende 2009 schliesslich die betrieblichen Konsequenzen wetterereignissen wie Hitzewellen und Dürren gestarteten Initiative des European Institute of der sich wandelnden Niederschlagsmengen sowie starken Niederschlägen gemacht. Die Innovation and Technology (EIT). Das Institut exemplarisch aufgezeigt. Zusätzlich untersucht Klimaszenarienberichte sind eine Initiative von fördert durch Partnerschaften von Industrie, eine lokale Studie die Auswirkungen der Klima- Wissenschaftlern unterschiedlicher Schweizer Hochschulen und öffentlichen Stellen veränderungen im Kanton Wallis unter spezi- Forschungsinstitutionen. Sie werden mit we- Innovationen im Kampf gegen den Klimawan- eller Berücksichtigung der Gletscherschmelze. nig Budget und viel Überstunden erarbeitet, del. 44 Studierende aus 17 Ländern nahmen Bis Anfangs 2012 sollen die Ergebnisse vorlie- wie Knutti weiss. Für ihn stellt sich deshalb mit- im Sommer an der ersten Climate-KIC Summer gen und eine fundierte Basis für Entscheidun- telfristig die Frage, wer solche «Climate Servi- School in Paris, London und Zürich teil. Sie gen der Wasserkraftwerkbetreiber liefern. ces» in Zukunft erbringen soll. Der Bund, die erarbeiteten Geschäftsideen, die zur Reduktion Hochschulen oder gar selbsttragende Institute, von klimaschädlichen CO2-Emissionen «Climate Services» nach Open Source-Modell bei denen die Wirtschaft aufbereitete Klimada- beitragen sollen. Im August wurden diese an Die beiden Industriekooperationen von Klima- ten einkaufen kann? der ETH Zürich vor einer siebenköpfigen forschern der ETH Zürich entsprechen einem Letzteres ist für Knutti kein gangbarer Weg: Jury aus Hochschul- und Wirtschaftsvertretern Trend, den Reto Knutti «Climate Services» «Damit die Klimawissenschaften glaubwürdig bewertet. Gewinner war das Projekt «Cloud nennt. «Wir Klimaforscher besitzen oft Daten, bleiben, müssen sämtliche Daten jedermann Farm», das vorsieht, Abwärme aus Rechen- die für die Öffentlichkeit von grossem Interesse offen stehen. Zudem hat der Steuerzahler ein zentren zum Heizen von Gewächshäusern zu sind. Damit sie damit etwas anfangen kann, Anrecht auf die Ergebnisse der Forschung, die nutzen. müssen wir diese aber zuerst aufbereiten.» Die aus seinem Portemonnaie bezahlt wird.» Dem für Laien oft kryptischen Formeln müssen in stehen zurzeit jedoch Budgetkürzungen beim → www.climate-kic.org eine verständliche Sprache umformuliert wer- Bund entgegen. Zum Beispiel ist Meteo Schweiz den und häufig ist Beratung nötig, um aus den gefordert, in Zukunft mehr Eigenmittel zu ge- Erkenntnissen die Essenz herauszulesen. nerieren. Klimadaten gegen Bezahlung können Der «Klimaszenarienbericht für die Schweiz», eine Folge davon sein. Knutti schwebt für die der vom beratenden Organ für Fragen der Kli- Schweiz deshalb ein Modell nach dem Open- maänderung (OcCC) und Proclim 2007 heraus- Source-Prinzip vor: «Die Klimadienstleister ver- gegeben wurde, zielt in diese Richtung. Er be- dienen ihr Geld einzig über die Beratung. Die schreibt ein Klimaszenario für die Schweiz im Klimadaten hingegen bleiben für jedermann Jahr 2050 und soll bestmögliche Vorhersagen frei zugänglich.» für einzelne Regionen erlauben. Bund und In- dustrie nutzen den Bericht, um Klimaanpas- → www.iac.ethz.ch sungsstrategien zu erarbeiten. Momentan ar- → www.nccr-climate.unibe.ch beiten Knutti und seine Kollegen an einem ETH GLOBE 4/2010 25
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