Das Eichhörnchen Gisela Deckert - NABU Dahmeland

 
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Das Eichhörnchen Gisela Deckert - NABU Dahmeland
Das Eichhörnchen
Gisela Deckert

Die meisten Säugetiere sind nachtaktiv, selten        Rolle als Feinde der Singvögel, nur gelegentlich
zu sehen und dadurch wenig bekannt. Das tags-         rauben sie Gelege.
über muntere Eichhörnchen kennt dagegen                   In früheren Zeiten wurde es in Hungerzei-
jeder, zumal es oft gar nicht scheu ist und sich      ten sogar verspeist und das Fell verwertet. Erst
gern in unserer Nähe in Parks und Gärten auf-         seit 1980 ist das Eichhörnchen nach der Bun-
hält. Trotzdem weiß man Vieles noch nicht über        desartenschutzverordnung gesetzlich geschützt.
sein Leben und findet immer wieder Neues.              Laut § 17 Tierschutzgesetz ist das Töten von
    Das Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) gehört        Eichhörnchen eine Straftat.
wie Mäuse und Ratten zu den Nagetieren, hat               Der natürliche Lebensraum des Eichhörn-
also im Ober- und Unterkiefer je zwei kräftige        chens ist Nadel- und Mischwald. Als typische
Nagezähne, mit denen es harte Nüsse knacken           Waldart lebt das Eichhörnchen nur dort, wo
kann, aber uns gegenüber davon keinen Ge-             genügend Bäume vorhanden sind. Am liebsten
brauch macht. Es sei denn, man fängt es, dann         hält es sich hoch in den Wipfeln auf und
kann es kräftig beißen.                               springt äußerst geschickt von einem Baum zum
    Es ist noch gar nicht so lange her, dass es als   anderen. Es kann blitzschnell Stämme und
angeblicher Schädling verfolgt wurde. Es knab-        sogar raue Hauswände hinauf und Kopf ab-
bert gelegentlich Baumrinde an, um den austre-        wärts hinunterklettern.
tenden Saft zu lecken oder zieht Rinde ab für             Der buschige Schwanz dient zur Balance.
den Nestbau. Vor etwa 50 Jahren haben Forst-          Wie erst vor Kurzem herausgefunden wurde,
betriebe Prämien für Abschüsse bezahlt. Wirk-         hat er noch eine ganz andere Funktion und
liche Schäden durch Schälen der Rinde in Wäl-         zwar dient er zur Wärmeregulierung. Eine stark
dern gibt es nur in extrem einseitigen Mono-          durchblutete Stelle an der Unterseite der
kulturen. Auch spielen Eichhörnchen keine             Schwanzbasis ermöglicht Abkühlung bei

36     Foto: Gisela Deckert
Das Eichhörnchen Gisela Deckert - NABU Dahmeland
Hitze. Bei Kälte wird die Durchblutung ge-         sie in vielen Forsten verschwunden. Es wird ver-
drosselt, um Wärmeverlust zu verhindern. Als       mutet, dass die Kiefernsamen in dichten Be-
Schattenspender dient der Schwanz nicht, wie       ständen und in reinen Monokulturen weniger
man früher dachte.                                 Nährstoffe enthalten, wovon Eichhörnchen
    Hauptnahrungsquelle sind Kiefern- und          nicht mehr satt werden. Vermutlich gibt es
Fichtensamen, Haselnüsse und Eicheln. Um           noch andere Ursachen.
die Nüsse aufzunagen, setzt es sich auf die Hin-       Nur wenige Bestandsaufnahmen wurden
terläufe, dreht die Nuss mit den Vorderpfoten      bisher durchgeführt, weil der Aufwand dafür
und schätzt zunächst das Gewicht, ob es lohnt      recht groß ist. Mehrere Personen müssten
die Schale aufzuknabbern. Zu leichte Nüsse         gleichzeitig in einem Waldgebiet Eichhörnchen
sind leer und werden gar nicht erst geöffnet.       suchen und Kontakt untereinander halten, um
    Eichhörnchen halten keinen Winterschlaf        Doppelzählungen zu vermeiden, denn die flin-
wie Siebenschläfer und Murmeltiere, sondern        ken Tiere können schnell einige hundert Meter
müssen auch im Winter Nahrung zu sich neh-         zurücklegen. Das geht nur im Winter, wenn
men.                                               kein Laub die Sicht verdeckt, nur vormittags,
    Samen sind immer nur periodisch und dann       weil die Eichhörnchen nachmittags gewöhnlich
oft in Massen vorhanden. Um in Notzeiten           in ihren Kobeln ruhen und außerdem muss
nicht zu verhungern, werden vom Eichhörn-          gutes Wetter sein. Bei Regen, Schneetreiben
chen viele Samen im Boden versteckt, ein Loch      oder Wind verschlafen Eichhörnchen den gan-
gegraben und mit der Schnauze zugeschoben,         zen Tag. In Gärten und Parkanlagen mit gutem
um sie bei Nahrungsmangel wieder hervorzu-         Baumbestand sind sie heute noch häufig anzu-
holen. Die Bäume haben von dieser Tätigkeit        treffen.
große Vorteile, weil weit ab vom Mutterbaum            Im Winter nutzen sie gern Futterplätze für
ein neues Bäumchen keimen kann, denn viele         Vögel und kommen gut über Nahrungseng-
der versteckten Samen werden nicht mehr vom        pässe, denn Eichhörnchen verschmähen auch
Eichhörnchen benötigt und seine Nachkom-           Vogelfutter nicht. Im Gegensatz zu den sonst
men haben Jahrzehnte später auch wieder            so schlauen Krähen, können sie einschätzen,
fruchtende Bäume für ihre Ernährung, eine
Jahrmillionen bestehende gegenseitige Anpas-
sung. Um die versteckten Samen überhaupt
wiederzufinden, brauchen die Tiere ein gutes
Ortsgedächtnis und ein bewundernswürdiges
Geruchsvermögen. Eichhörnchen können die
versteckten Nüsse, Eicheln und Samen noch in
30 cm Tiefe im Boden oder sogar unter der
Schneedecke riechen und dadurch wiederfin-
den. Nebelkrähen, die auch Vorräte verstecken,
sind dazu nicht in der Lage, sie müssen sich op-
tisch den Ort merken. Hörnchen essen auch
ganz gerne Schirmpilze und bewahren sie in
Astgabeln als Vorrat auf.
    Vielfach werden markante Punkte als Ver-
steck gewählt, zum Beispiel alte Baumstubben.
Dann kann ein neues Bäumchen dicht neben
einem Fichtenstubben wachsen, als ob die
Fichte wieder ausgetrieben hätte.
    Bis vor einigen Jahrzehnten waren die bran-
denburgischen Kiefernmischwälder flächende-
ckend mit Eichhörnchen besiedelt. Heute sind

 Foto: Frank Schröder (Naturwacht Brandenburg)                                                  37
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dass der Mensch hinter der Fensterscheibe                   In Mastjahren, wenn Bäume viele Samen
ihnen nichts antun kann. Sie knabbern völlig            produzieren, bei uns sind das Kiefern und
entspannt am Meisenknödel dicht am Fenster              Eichen, haben mehr Weibchen Nachwuchs und
und lassen sich hinter der Scheibe aus nächster         überleben mehr Junge, so dass die Population
Nähe beobachten. Kalte Zeiten verbringen sie            auffällig anwachsen kann. Sobald wieder weni-
in ihren Nestern, »Kobeln«, hoch oben in Bäu-           ger Nahrung zur Verfügung steht, schrumpft
men. In sehr kalten Nächten sind die sonst ge-          die Population merklich, weil kaum Geburten
genseitigen Kontakt meidenden Tiere oft zu              stattfinden. Die zur Verfügung stehende Nah-
mehreren eng zusammen in einem Nest, um                 rung bestimmt die Populationsgröße. In Tier-
sich gegenseitig zu wärmen. Auch zur Paa-               gärten, wo sie ständig von den Fütterungen pro-
rungszeit schlafen Männchen und Weibchen                fitieren, besteht die höchste Siedlungsdichte.
wenige Tage gemeinsam in einem Kobel, da-               Hier lassen sie sich oft aus der Hand füttern
nach wollen sie nichts mehr voneinander wis-            und klettern sogar auf die Schulter.
sen. Sie sind dann wieder ausgesprochene Ein-               Das im Winter paarungsbereite Weibchen
zelgänger.                                              wird von einem oder mehreren Männchen hef-
    Das Weibchen ist alleinerziehend. Die               tig verfolgt, bis es die Begattung zulässt. Dies
rundlichen, im Durchmesser 25–45 Zentime-               gelingt nur kräftigen Männchen.
ter großen Kobel sind unterschiedlich groß, im              Viele Drohungen, Imponiergehabe und Ver-
Winter gut ausgepolstert und auch für die Jun-          folgungsjagden gibt es auch bei der Revierver-
genaufzucht solide aus kleinen Zweigen, Gras,           teidigung. Trotzdem können sich Streifgebiete
Moos und Blättern gebaut. Man findet sie in              überlappen, die Grenzen sind unscharf, vor
3 – 18 Meter Höhe, meistens stammnah. Ein               allem, wenn genügend Nahrung vorhanden ist.
sehr zutrauliches Eichhörnchen, das auch auf                Nach etwa 40 Tagen Tragzeit werden die
den Frühstückstisch in unserem Garten kam,              haarlosen, noch blinden Jungen geboren; meist
nahm eine bunte Socke von der Wäscheleine,              sind es vier, die von der Mutter 10 Wochen ge-
wischte sie mit den Pfoten zu einer Kugel eng           säugt und versorgt werden. Gewöhnlich dient
zusammen, um sie besser transportieren zu kön-          das Nest, der Kobel, als Kinderstube; manch-
nen und trug sie als Polstermaterial zum Nest.          mal ist das ein Nistkasten oder in einem lücki-
    Weibchen bekommen nur dann Junge, wenn              gen Dach, gut geschützt, ein Dachboden. Mit
sie gut genährt sind, ein Revier von mindes-            8 bis 11 Wochen machen die Jungen viele wilde
tens 4 besser 10 Hektar besitzen und genügend           Kampfspiele, dann trennen sie sich und jedes
samentragende Bäume vorhanden sind. Bei zu              lebt fortan allein.
knapper Nahrung werden die Embryonen                        Der Einfluss von Beutegreifern auf den Be-
resorbiert, so dass bei schlechten Bedingungen          stand ist gering. Eichhörnchen haben ein sehr
keine Jungen geboren werden.                            gutes Sehvermögen. Sie können ringsum alles

38     Das Eichhörnchen im Winter mit langen Ohrpinseln. | Paarung Anfang Februar
       Fotos: Gisela Deckert
Das Eichhörnchen Gisela Deckert - NABU Dahmeland
scharf sehen bis auf den sehr kleinen sogenann-            sche Grauhörnchen nicht zu. Es hat inzwischen
ten blinden Fleck, während sich unsere Linse               das Eichhörnchen aus den meisten Wäldern
erst auf eine bestimmte Entfernung einstellen              und Gärten in England und Irland verdrängt.
muss und an der Seite sehen wir unscharf.                  Kleine nahrungsökologische Unterschiede kön-
   Habicht und Rotmilan haben es dadurch                   nen vielleicht das Aussterben des Eichhörn-
nicht leicht, ein reaktionsschnelles Eichhörn-             chens verhindern, indem man versucht, unter-
chen zu erwischen. Spektakuläre Verfolgungs-               schiedliche Wälder aufzubauen. Das Grauhörn-
jagden über die Wipfel der Bäume durch den                 chen bevorzugt etwas mehr Eiche, Buche, Kas-
Baummarder wurden beobachtet, sind aber sel-               tanie und Hasel und das Eichhörnchen Kiefer,
ten. Dem Marder macht es viel weniger Mühe,                Fichte und Douglasie.
kleinere Nagetiere zu erbeuten. Eichhörnchen-                 Auch in Italien wurden Grauhörnchen an-
mütter verteidigen sehr heftig ihre Jungen gegen           gesiedelt und es ist zu befürchten, dass sie die
Feinde.                                                    Alpen überwinden und weiter nach Norden
   Krankheiten können die Bestandsgröße                    vordringen und das Eichhörnchen in Deutsch-
mindern, besonders bei hoher Siedlungsdichte.              land gefährden könnten.
Auch sind Restbestände in kleinen isolierten                  Die vermehrungsfreudigen Grauhörnchen
Wäldern gefährdet, weil Zu- und Abwande-                   auszurotten oder auf Dauer zurückzudrängen,
rungen nicht möglich sind. Eichhörnchen über-              ohne gleichzeitig anderen Arten zu schaden, ist
queren keine gehölzfreien Flächen und brau-                unmöglich.
chen mindestens Hecken oder Alleebäume                        Aus Gründen des Naturschutzes dürfen
zum nächsten Wald, um neue Partner zu fin-                  Grauhörnchen in Deutschland nicht einge-
den. Hier ist der Biotopverbund wichtig, auch              führt, gehalten oder gezüchtet werden.
für andere Waldarten unter den Säugetieren,
besonders für die Wildkatze.                               Literatur:
   Eine ernsthafte Bedrohung sind die nord-                Stefan Bosch und Peter W. W. Lurz (2011): Das Eich-
                                                               hörnchen. Die neue Brehmbücherei 183
amerikanischen Grauhörnchen, die dummer-
weise ab 1876 immer wieder in England ausge-
setzt worden sind.
   Dieses Hörnchen ist etwas größer und
schlauer als unser Eichhörnchen und beanspru-
chen denselben Lebensraum. Während sich
zum Glück manche unbedacht eingeschleppte
Arten dann doch allmählich in die Ökosysteme
einfügen können, ohne andere Arten ganz zu
verdrängen, trifft dies für das nordamerikani-

 Das Eichhörnchen ist kleiner und zarter als das Grauhörnchen | Weibchen des Grauhörnchens                 39
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