Gewitter mit Tornado im Raum Eisenstadt am 14. Mai 2011
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Gewitter mit Tornado im Raum Eisenstadt am 14. Mai 2011 Georg Pistotnik, 17.05.2011 Am vergangenen Samstag (14. Mai 2011) ging ein schweres Gewitter mit Starkregen, Hagel und Sturmböen über den burgenländischen Bezirken Mattersburg und Eisenstadt nieder. Es entwickelte sich am südöstlichen Ende einer Gewitterlinie, die ab dem späten Vormittag von der Obersteiermark nordostwärts nach Niederösterreich zog und ansonsten keine heftigen Wettererscheinungen brachte. Beim Übertritt über das Rosaliengebirge intensivierte sich die südöstlichste Gewitterzelle allerdings markant. In der Folge richteten starker Regen, Hagel und Sturmböen eine Reihe von Schäden mit Schwerpunkt entlang einer Linie von Bad Sauerbrunn über Pöttsching, Steinbrunn, Müllendorf, Groß‐ und Kleinhöflein sowie Eisenstadt bis nach Stotzing am Leithagebirge an. Die höchsten gemessenen Windspitzen betrugen 89 km/h in Mattersburg und 111 km/h in Eisenstadt. In der Landeshauptstadt wurden außerdem 27 mm Niederschlag in nur 15 Minuten gemessen; diese Wassermassen konnten vom Kanalsystem nicht mehr bewältigt werden und führten zur Überflutung etlicher Straßenzüge. Besondere Aufmerksamkeit in den Medien bekamen die Sturmschäden von Müllendorf, weil sie offensichtlich von einer Windhose (Tornado) verursacht worden waren. Während der Großteil von mit Gewittern einhergehenden Sturmereignissen auf Fallwinde im Zuge der Niederschläge zurückzuführen ist, stellen Tornados eine extreme Ausprägung von Aufwinden dar, mit denen warme Luftmassen in eine Gewitterwolke aufsteigen. Unter bestimmten Bedingungen werden solche Aufwinde in Rotation versetzt und konzentriert, bis sich im Extremfall ein Tornado ausbildet. Einerseits können Luftwirbel mit horizontaler Achse – wie sie stets vorhanden sind, wenn sich Windrichtung und Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe ändern – von einer Gewitterwolke „aufgesaugt“ und in die Senkrechte gestellt werden. Die andere Möglichkeit ist, dass von Vornherein bereits ein (schwacher) Luftwirbel mit senkrechter Achse vorhanden ist und nur noch konzentriert werden muss. In beiden Fällen sind die Vorgänge, die zur mitunter extremen Verengung und Intensivierung solcher Wirbel zu Tornados führen, noch unzureichend verstanden. Klar ist allerdings, dass der so genannte „Pirouetteneffekt“ dabei eine große Rolle spielt: Wird eine Luftsäule im Aufwind eines Gewitters nach oben beschleunigt, dann verengt sie sich und konzentriert eine vorhandene Drehbewegung. Diesen Effekt machen sich etwa auch Eiskunstläufer zunutze, indem sie vor ihren Rotationen die Arme eng anlegen. Eine weitere Entsprechung (wenn auch umgekehrt, mit absinkender Bewegung) wären die Wasserwirbel über dem Abfluss einer gefüllten Badewanne. Die untenstehenden Abbildungen 1 und 2 zeigen eine stündliche Abfolge von Analysen des Niederschlages und des bodennahen Windes, wie sie vom INCA‐System der ZAMG aus Stationsmessungen, Radardaten sowie den Informationen numerischer Vorhersagemodelle erzeugt werden, von 13 bis 16 Uhr Lokalzeit (11 bis 14 UTC). In den Niederschlagsanalysen (dargestellt als Farbflächen) erkennt man schön die Spur des heftigen Gewitters, das sich nach 14 Uhr Lokalzeit an der Südostflanke des schwächeren, großräumigeren Niederschlagsgebietes entwickelt und über das Nordburgenland hinweg zieht. In den Windanalysen (dargestellt durch die Pfeile) fällt vor allem um 15 und 16 Uhr Lokalzeit der markante Wirbel mit zyklonalem Drehsinn (entgegen dem Uhrzeigersinn) unmittelbar vor dem Gewitter auf (Abb. 2); verfolgt man diese Struktur zurück, dann ist schon in den Stunden vorher eine beginnende Wirbelbildung im Raum Wiener Neustadt sichtbar (Abb. 1). Offenbar war also bereits vor dem Gewitter ein schwacher Wirbel mit senkrechter Achse in diesem Gebiet vorhanden. Doch wie kam es dazu?
Abb. 1: Analyse des Niederschlages (Farbflächen, in mm/h) und des Windes (Pfeile, in m/s) am 14. Mai 2011 um 13 Uhr (oben) und 14 Uhr Lokalzeit (unten).
Abb. 2: Analyse des Niederschlages (Farbflächen, in mm/h) und des Windes (Pfeile, in m/s) am 14. Mai 2011 um 15 Uhr (oben) und 16 Uhr Lokalzeit (unten).
Ein auffälliges Merkmal im analysierten Windfeld ist der kräftige Südwind über Slowenien und Ungarn, der auch noch in den äußersten Südosten und Osten von Österreich hereinreicht. Großräumig wurde mit diesem Südwind wärmere Luft aus dem Mittelmeerraum nach Mitteleuropa geführt und drang langsam in Form einer Warmfront nordwärts vor, die allerdings – wie so oft in den Sommermonaten – kaum wetterwirksam war. Kleinräumig wurde diese Erwärmungstendenz durch absinkende Luftbewegungen mit leichten Föhneffekten im Lee des Wechselgebietes und der übrigen östlichen Alpenausläufer noch verstärkt. So stiegen die Temperaturen in einem Streifen von Reichenau/Rax über Wiener Neustadt und Eisenstadt bis zum Seewinkel auf 24 bis 25°C, während nördlich dieser inaktiven Warmfront beispielsweise nur rund 22°C im Wiener Raum, rund 20°C im Weinviertel und 19°C in Krems erreicht wurden. Die föhnige Erwärmung im Lee des Wechselgebietes führte zur Bildung eines seichten lokalen Tiefdruckgebietes, das die kühlere Luft aus dem Norden wieder ein wenig ansaugte. So drehte der Wind in Wiener Neustadt gegen 14 Uhr Lokalzeit auf Nord (auch in der entsprechenden Windanalyse in Abb. 1 unten erkennbar), und die Temperatur begann bereits eine gute Stunde vor Eintreffen des Gewitters kontinuierlich zu sinken. Der erwähnte Wirbel bildete sich offensichtlich genau an der Grenzlinie dieser beiden unterschiedlich temperierten Luftmassen. Die Erfahrung lehrt, dass das kein Einzelfall ist. Die Überströmung von Gebirgen führt generell zur Bildung lokaler Tiefdruckgebiete an deren Leeseite. Werden die Alpen aus Südwesten überströmt, dann ist der Großraum Wien so prädestiniert für solche Wirbelbildungen, dass sie in hiesigen Meteorologenkreisen sogar einen eigenen (inoffiziellen) Namen erhalten haben: „Vortex vindobonensis“, lateinisch für „Wiener Wirbel“. Richtig langlebig werden diese Wirbel allerdings nur, wenn sie tatsächlich genau im Grenzbereich zweier unterschiedlich temperierter Luftmassen zu liegen kommen. Ganz besonders trifft das auf herbstliche und winterliche Föhnsituationen zu, wenn oft ausgeprägte Kaltluftseen über dem Flachland liegen und die Temperaturunterschiede zu jenen Gebieten am Rand der Berge, wo der Föhn durchgreift, besonders groß werden. Dann entwickeln sich an der Luftmassengrenze oft tatsächlich seichte Miniatur‐Tiefdruckgebiete mit einem Vorstoß der Warmluft auf der Vorderseite und einer Rückkehr der seichten Kaltluft auf der Rückseite. Es gibt genug Beispiele aus der Vergangenheit, wo solche Wirbel zu bizarren Temperatursprüngen und Temperaturunterschieden von rund 10 Grad auf wenigen Kilometern Entfernung gesorgt haben; dichter Bodennebel und Eisglätte stellen an solchen Wintertagen im Grenzgebiet der beiden Luftmassen mitunter ein Risiko dar. Im Frühjahr und Sommer hingegen ist die Sonneneinstrahlung im Allgemeinen so stark, dass die nächtlichen Kaltluftseen tagsüber rasch weggeheizt werden und die Temperaturverteilung so einheitlich wird, dass sich keine längerlebigen Wirbel bilden können. Daher gibt es kaum Präzedenzfälle, in denen ein solcher Wirbel tatsächlich in den Aufwindbereich eines entstehenden Gewitters integriert wurde und die Bildung eines Tornados unterstützen konnte, wie es anscheinend im vorliegenden Fall passiert ist. Offenbar waren es die erwähnte inaktive Warmfront und die Richtung Norden im Wiener Becken noch bereitstehende, bodennah kühlere Luft, die diesmal eine Temperaturverteilung geschaffen haben, wie sie sonst für eine ähnliche Situation im Herbst und Winter typisch wäre. Dass das hereinbrechende Gewitter anschließend für rund zwei Stunden tatsächlich genau dem Wirbelzentrum gefolgt ist, erkennt man sehr anschaulich in Abbildung 2; man beachte dabei, dass jeweils die Niederschlagsmengen der vergangenen Stunde dargestellt werden, wodurch deren Muster dem tatsächlichen Kern des Gewitters räumlich hinterher hinken. Da Tornados sehr kleinräumige und kurzlebige Ereignisse sind und somit nur äußerst selten Wetterstationen direkt treffen, ist man bei der Bestimmung der aufgetretenen Windgeschwindigkeiten, sowie generell bei der Erkennung von Tornado‐Schäden an sich, meist auf indirekte Methoden anhand des Schadensmusters angewiesen. Tornado‐Schäden weisen ein konvergentes Fallmuster (also von den Rändern zur Mitte hin), oft scharfe Grenzen und bestimmte andere Charakteristika auf, anhand derer sie sich von übrigen Sturmschäden isolieren lassen. Die Einschätzung der Stärke basiert auf der Fujita‐Skala, die das Schadensausmaß und dessen zugrunde liegende Windgeschwindigkeiten miteinander in Verbindung bringt und nach dem amerikanischen
Meteorologen Ted Fujita (1920–1998) benannt ist, als dessen Lebenswerk sie angesehen werden kann. Während Schadensanalysen nach Tornados in den USA seit Jahrzehnten gang und gäbe sind und sich die gewonnenen Daten als äußerst wertvoll für klimatologische Fragestellungen und darauf basierende Risiko‐Analysen erwiesen haben, werden sie in Europa erst in den letzten rund 10 Jahren vermehrt und zunehmend systematisch durchgeführt. Generell erfordern sie viel Erfahrung und Akribie. Dass dabei oft geradezu kriminalistische Arbeit verlangt ist und alle verfügbaren Informationsquellen eingebunden werden sollten, sei anhand eines Beispiels im Zuge des aktuellen Falles illustriert: Während das Eisenstädter Gewitter von Westsüdwesten nach Ostnordosten zog (man beachte die Spur in den Niederschlagsanalysen in Abb. 2), traten die stärksten Böen an den Stationen entlang seines Pfades aus Südwesten oder sogar Süden auf – der Reihe nach aus einer Richtung von 229 Grad in Mattersburg, 187 Grad in Eisenstadt und 228 Grad in Neusiedl/See. Mit größter Wahrscheinlichkeit könnte man von Fallwindböen ausgehen, wenn die Windböen aus der Zugrichtung des Gewitters (ca. 250 Grad) gekommen wären; aufgrund der Position der genannten Stationen nahe an dessen Südrand würde man allenfalls sogar Windböen aus dem Nordwestsektor erwarten, da sich Fallwinde in Bodennähe radial ausbreiten würden. Dass die stärksten Böen dagegen tief aus Südwesten (bzw. in Eisenstadt sogar fast direkt aus Süden) kamen, ist zwar kein direkter Tornado‐Nachweis, aber es zeigt die Rotation des gesamten Windfeldes um dieses Gewitter und die Dominanz von dessen Aufwind an. Damit erscheinen ein oder mehrere Tornados zumindest als konkrete Möglichkeit. Klarheit kann letztlich erst eine Schadensanalyse vor Ort bringen. Im Fall des (auch durch eine Videoaufnahme belegten) Müllendorfer Tornados wurden mehrere Häuser teilweise abgedeckt und große, gesunde Bäume entwurzelt; das erlaubt nach der Fujita‐Skala eine vorläufige Einstufung der aufgetretenen Windspitzen in den Bereich von 150 bis 180 km/h. Damit reiht sich dieses Ereignis in die zwei bis drei Tornados ähnlicher oder noch größerer Stärke ein, die durchschnittlich pro Jahr in Österreich registriert werden. Der letzte noch stärkere Tornado zuvor zog am 26. Mai 2010 eine Spur der Verwüstung durch Klosterneuburg (Niederösterreich). Der stärkste geschichtlich bekannte Tornado in Österreich brach am 10. Juli 1916 über Wiener Neustadt (Niederösterreich) herein und forderte 32 Todesopfer und mehr als 300 Verletzte; die damals aufgetretenen Windspitzen wurden auf Werte zwischen 300 und 340 km/h geschätzt. Wien selbst wurde zuletzt am 13. Mai 2003 von zwei Tornados heimgesucht, von denen einer in Kaisermühlen ähnliche Schäden anrichtete wie diesmal in Müllendorf und 4 Personen verletzte. Insgesamt kann man in Österreich im Mittel von knapp 10 Tornados pro Jahr ausgehen. In den Alpenvorländern sind sie wahrscheinlicher als im zentralen Alpenbereich. Die größte Gefährdung mit durchschnittlich mehr als einem Fall pro 10.000 km2 und Jahr ergibt sich entlang des südöstlichen und östlichen Alpenrandes, etwa vom Grazer Becken über das oststeirische Hügelland und das Wiener Becken bis in den Großraum Wien und Krems. So extrem die Windspitzen in Tornados und so furchteinflößend deren Auswirkungen auch sein mögen, muss trotzdem nochmals betont werden, dass es sich dabei um seltene, sehr kleinräumige und kurzlebige Ereignisse handelt. Daraus folgt einerseits, dass sie nur sehr schwierig und, wenn überhaupt, nur mit minimaler Vorwarnzeit vorhersagbar sind.
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