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DAS EISIGE PFERD AUS DEM OSTEN THE ICY BEAST FROM THE EAST Text: Andreas Staeger Bilder: Ruedi Haedener, Hans Zurbuchen, Aniko Bernhardt, Archiv BLS, Jungfraubahnen, Adobe Stock (Juhku)
Sonnenschein oder Kälte? Sunshine or cold weather? Die Bise liefert beides The Bise delivers both Sie ist ein kraftvolles Wesen und It’s a powerful natural kommt nur in der Schweiz vor: phenomenon and occurs only Die Bise sorgt je nach Jahreszeit in Switzerland: the Bise brings für milden Sonnenschein oder mild sunshine or miserably erbärmliche Kälte. Zuweilen cold weather, depending on aber kommt ein anderer, noch the season. But sometimes it’s stärkerer Wind daher, der sie wie ridden through the valleys by ein Pferd durch die Täler reitet. another even stronger wind. Er wusste, was ihn erwartete. Darum He knew what to expect, so Ludwig zog sich Ludwig Z’graggen so warm Z’graggen dressed as warmly as wie möglich an, als er an einem Winter- possible when he set out one winter morgen des Jahres 2015 nach Yverdon morning in 2015 for Yverdon. But his fuhr. Doch alle Isolierwäsche, Pullover, insulated underwear, pullover, skiwear Skikleidung und Winterstiefel halfen and winter boots didn’t help: “I was nichts: «Ich fror wie ein Schlosshund», absolutely chilled to the bone”, recalls erinnert sich der Wetterexperte, der bei the weather expert, who works for MeteoSchweiz tätig ist. Als er am Ufer MeteoSchweiz. As he stood on the des Neuenburgersees stand, konnte er shore of Lac de Neuchâtel, the blustery die Bise buchstäblich hautnah erleben. winds of the Bise whistled and howled Sie wehte stürmisch und machte sich around him and the cold penetrated mit Pfeifen und Jaulen bemerkbar. literally right through to his skin. Biswind gibt es nur in der Schweiz. The Bise and its name are unique to Einzig hierzulande wird der Wind Switzerland. This wind from the north Bisentag am Neuenburgersee; aus dem Nordosten so genannt. Er east blows air from eastern Europe unten der Pavillon des Bains in Gorgier verfrachtet Luft aus Osteuropa oder and Russia to the Alpine region. In A Bise prevails on Lake de Neuchatel; Russland in den Alpenraum. Im Winter winter, it is usually dry, cold air. In bottom, the Pavillon des Bains in Gorgier 13 Das eisige Pferd aus dem Osten / The icy beast from the east
ist das meist trockene Kaltluft. Im summer, however, the Bise brings Sommer hingegen bringt die Bise sunshine and mildly warm rather mässig warme Luft – keine Hitze also, than hot air. In the warm seasons, wohl aber Sonnenschein. Darum gilt therefore, it is usually regarded as sie in der warmen Jahreszeit oft als something pleasant and positive. etwas Erfreuliches und Positives. Biting cold Bissige Kälte In winter, on the other hand, the Im Winter hingegen wird die Bise mit Bise is associated with bitingly cold bissiger Kälte in Verbindung gebracht. weather conditions. “This is because it «Das liegt daran, dass sie extrem kalt feels extremely cold”, explains Ludwig wirkt», erklärt Ludwig Z’graggen. Z’graggen. For example, when the Wenn die Lufttemperatur beispiels- air temperature falls to five degrees weise fünf Grad unter Null betrage, below zero, a strong Bise makes this könne eine starke Bise dazu führen, cold feel more like minus 20 degrees, a dass man dies als gefühlte Kälte von very unpleasant cold, which seems to minus 20 Grad wahrnehme. Das sei penetrate through to your very bones, eine sehr unangenehme Kälte, weil sie as Z’graggen himself experienced in durch Mark und Bein gehe. Z’graggen Yverdon. People sensitive to changes hat es in Yverdon am eigenen Leib in the weather often suffer during erfahren. Wetterfühlige Menschen a Bise. He knows that: “it can cause würden oft unter einer Bisenlage leiden, headaches and attacks of rheumatism.” weiss er: «Sie kann Kopfweh auslösen und Rheumaschübe begünstigen.» “Apart from that, the Bise is usually regarded as harmless, at least in «Abgesehen davon wird die Bise German-speaking Switzerland”, says aber meist als harmlos eingeschätzt, Z’graggen. This is logical because the jedenfalls in der Deutschschweiz», strength of the Bise increases as it sagt Z’graggen. Das sei logisch, denn progresses from east to west. Whereas die Bisenstärke nehme von Osten in eastern Switzerland, the wind is nach Westen zu. Während sie in der generally felt only as a gentle breeze, Ostschweiz oft nur schwach wehe, in the region of Lake Geneva wind könne sie im Genferseegebiet Wind- speeds can reach 100 km/h, and a gale geschwindigkeiten von 100 km/h, auf force 150 km/h in the Jura Mountains. den Juragipfeln sogar bis 150 km/h und damit Sturmstärke erreichen. Trees felled by constant buffeting Compared with the Föhn or the West Stetes Wehen fällt den Baum Wind, top speeds of up to 170 km/h Im Vergleich zum Föhn oder zum in the lowlands and up to 250 km/h Westwind, die Spitzengeschwindig- in the Alps and mountain peaks are, Bisentag im Lauterbrunnental (ganz oben) keiten von bis zu 170 km/h in den admittedly, not particularly high but und am Brienzersee. Aus dem Nebel Niederungen und von bis zu 250 km/h the Bise is also squally. It can cause bildet sich eine Hochnebeldecke auf dem Alpenkamm- und in Gip- devastating damage to woodlands. Prevailing Bise in the Lauterbrunnen fellagen erreichen, ist das zwar nicht They do say that “little strokes fell valley (very top) and on Lake Brienz. besonders viel. Zudem ist die Bise auch big oaks”, so, if the Bise rages for The mist gives rise to a low stratus “ceiling” böig. Trotzdem kann sie in Wäldern several hours, the root areas of trunks verheerende Schäden anrichten, denn suffer fatigue fractures. Z’graggen auch hier gilt: Steter Tropfen höhlt den remembers that, on 25th April 1972, Stein. Oder genauer: Stetes Wehen fällt huge areas of woodland in the Vaud den Baum. Wenn die Bise stundenlang and especially in the French Jura tobt, kann es im Wurzelbereich region were flattened by the Bise. der Stämme zu Ermüdungsbrüchen kommen. Z’graggen erinnert an den Under normal conditions, the Bise 25. April 1972, als im Waadtland often brings sunshine to Switzerland, at und vor allem im angrenzenden least in summer. Sometimes the Bise französischen Jura riesige Waldflächen carries very humid air, producing dark von der Bise kahl rasiert wurden. clouds, rain and murky visibility. In Das eisige Pferd aus dem Osten / The icy beast from the east 14
Unter normalen Bedingungen this case, people talk about a “black bringt Biswind der Schweiz jedoch Bise”, and the air is not from the north oft Sonnenschein, zumindest im east, but swirls in a circular movement Sommer. Es kommt allerdings auch from south east Europe to the Alps. vor, dass die Bise sehr feuchte Luft heranführt: Dunkle Wolken, Regen An unholy alliance und trübe Sicht sind dann die Folge. In winter, the Bise may certainly be Man spricht in diesem Fall von einer responsible for sunny weather, but schwarzen Bise. Die Luft kommt mostly in the mountains. In the Jura hier nicht aus Nordosten, sondern lowlands and Alpine foothills, fog is wird in einer Kreisbewegung von also a feature at this time of year which, Südosteuropa in die Alpen geschleust. combined with the Bise, often produces Alpen an unholy alliance: the cold north-east Berner Oberland Eine unheilige Allianz wind pushes through beneath the fog, Im Winter kann die Bise durchaus lifting it to produce low stratus which, für sonniges Wetter sorgen, dann depending on weather conditions, can aber primär in den Bergen. Über dem last for days and even weeks at a time. Flachland und entlang den Voralpen hat es in dieser Jahreszeit dagegen In olden times, natural phenomena oft Nebel. Mit der Bise geht dieser were commonly associated with Warme Luft häufig eine unheilige Allianz ein: the whims of the gods. Today, we Der kalte Nordostwind schiebt sich have a good understanding of the Hochnebel unter dem Nebel hindurch und hebt complex atmospheric processes which ihn an. So entsteht Hochnebel, der influence the weather. However, even Kalte Luft sich je nach Wetterlage tage-, ja today some people are still inclined wochenlang zu halten vermag. to view weather events as abstract personalities. Z’graggen playfully In alter Zeit war es geläufig, Natur refers to the Bise as a female. “For phänomene mit dem Wirken von me, she’s a cool character”, he jokes. Oben: So entstehen Bise und Hochnebel göttlichen Wesen in Verbindung Very different is her opponent, the Unten: Über den Lütschinentälern liegt Hochnebel, darüber scheint die Sonne von zu bringen. Heute kennt man die Föhn, described by the meteorologist einem wolkenlosen Himmel auf die Alpengipfel komplexen atmosphärischen Pro- as a hot-blooded chap. zesse, die das Wetter beeinflussen, Top: This is how the Bise and low stratus are formed ziemlich genau. Doch noch immer Mismatched pair Bottom: Low stratus lies above the Lütschinen neigen manche Menschen dazu, das Could we regard the Bise and Föhn valleys; above that the sun shines on the Wettergeschehen als Spielfläche von as a couple? “Certainly”, says Ludwig Alpine summits from a cloudless sky 15 Das eisige Pferd aus dem Osten / The icy beast from the east
abstrakten Persönlichkeiten zu betrach- Z’graggen. “However, they’re a very ten. Z’graggen greift diese Tendenz mismatched pair.” The Bise is the spielerisch auf, indem er die Bise als eternal enemy of the Föhn. When weibliches Wesen apostrophiert. «Für she arrives, the Föhn is sent packing, mich hat sie einen kühlen Charakter», and vice versa. Did they influence scherzt er. Ganz unterschiedlich sei da the names chosen by the first railway ihr Gegenspieler: Den Föhn stuft der company in the Bernese Oberland for Meteorologe als heissblütigen Kerl ein. their locomotives? The Bödeli-Bahn linked Interlaken with Därligen from Ungleiches Paar 1872, and with Bönigen two years later. Könnte man Bise und Föhn somit Curiously, the management decided to als eine Art Paar sehen? «Durchaus», name their locomotives after different meint Ludwig Z’graggen. «Allerdings winds. So, one of the locomotives was sind sie ein sehr ungleiches Paar.» Die called Föhn, and another Bise. Both Bise sei nämlich die ewige Feindin des locomotives were taken out of service Föhns. Wenn sie komme, könne der and scrapped long ago, but a third Föhn einpacken – und umgekehrt. Ob remains. It’s called Zephyr after the dieser Umstand die Fahrzeugtaufe bei mild west wind of the ancient Greeks. der ersten Eisenbahnunternehmung im Berner Oberland beeinflusste? The Bise and the Föhn rarely blow Die Bödeli-Bahn verband ab 1872 together, explains Ludwig Z’graggen. For Oben: Die Dampflok «Bise» gehörte Interlaken mit Därligen, zwei Jahre this to happen, special spatial conditions zum Fahrzeugpark der ab 1872 verkehrenden Bödeli-Bahn danach auch mit Bönigen. Kurioser- are required such as those found in the Unten: Sonnenuntergang auf dem weise entschied die Direktion, ihre eastern peaks of the Bernese Oberland. Jungfraujoch über dem Nebelmeer Triebfahrzeuge nach verschiedenen The Haslital is amongst the most Top: The “Bise” steam locomotive Winden zu benennen. So wurde einer well-known Föhn valleys in Switzerland. belonged to the rolling stock of the der Lokomotiven der Name Föhn, einer This warm wind sometimes blows here Bödeli-Bahn which operated from 1872 anderen der Name Bise verliehen. Die from the south while the Bise prevails Bottom: Sunset on the Jungfraujoch beiden Loks sind längst ausgemustert throughout the rest of Switzerland. above the sea of fog und verschrottet. Eine dritte im Bund gibt es aber immer noch. Sie heisst The rider on the horse Zephir und erinnert damit an den mil- However, the journey taken by the den Westwind der griechischen Antike. Föhn through the Haslital is unusual, thanks to the topography of the Dass Biswind und Föhn zur gleichen region. It starts in the Grimsel Pass, Zeit wehen, komme nur ganz selten rushes north along the Aaretal but, at vor, erklärt Ludwig Z’graggen. Es Meiringen, the Hasliberg blocks its brauche dafür spezielle räumliche path, forcing it to make a detour to Gegebenheiten, wie sie etwa im the west. Its adversary, the Bise, suffers östlichsten Zipfel des Berner Oberlands a similar fate, streaming across the vorliegen. Das Haslital zählt zu den Brünig Pass in a straight line to the bekannten Föhntälern der Schweiz. south, then being forced westward Hier bläst der warme Fallwind aus by the Schwarzhorn Mountain. dem Süden manchmal selbst dann noch, wenn in der übrigen Schweiz The Föhn and Bise therefore blow bereits grösstenteils die Bise herrscht. harmoniously in the same direction from east to west through the valley Der Reiter auf dem Pferd between Meiringen and Brienz. If, under Allerdings ist die Reiseroute des Föhns exceptional circumstances, they are im Haslital aufgrund der Topografie blowing together, they agree on a clear ungewöhnlich: Er nimmt an der division of labour: in the lower air layers, Grimsel Anlauf, saust Richtung Norden the Bise blows cold air; at higher levels, das Aaretal hinunter – und muss bei the Föhn blows warm air. “The Föhn Meiringen unvermittelt einen Haken rides the Bise”, as they say in the Haslital. nach Westen schlagen, weil ihm der This conjures up the attractive image of Hasliberg den Weg versperrt. Ein a hot-headed rider astride a cool mare, ganz ähnliches Schicksal erleidet auch urging his steed towards Lake Brienz. Das eisige Pferd aus dem Osten / The icy beast from the east 16
seine Widersacherin: Die Bise strömt über den Brünig hinweg zunächst in gerader Linie Richtung Süden – um dann vom Schwarzhorn ebenfalls nach Westen abgedrängt zu werden. Föhn und Bise blasen somit im Tal zwischen Meiringen und Brienz schön einträchtig in gleicher Richtung – näm- lich von Osten nach Westen. Wenn sie ausnahmsweise einmal gemeinsam unterwegs sind, verständigen sie sich auf eine klare Arbeitsteilung: In den unteren Luftschichten wälzt die Bise Kaltluft vor sich hin, in der Höhe schiebt der Föhn warme Luft daher. «Der Föhn reitet die Bise», sagt man dann im Haslital. Wenn das kein Im Winter ein häufiger Anblick: Während es im Unterland grau und eisig kalt ist, hübsches Bild ist: Auf einer kühlen scheint in der Jungfrau Region die Sonne Stute sitzt ein hitzköpfiger Reiter und A common sight in winter: While the lowlands are grey and cold, prescht dem Brienzersee entgegen. the Jungfrau region is blessed with sunshine Windexperte Wind expert Ludwig Z’graggen Ludwig Z’graggen Der Urner Meteorologe Ludwig The meteorologist from Urn, Ludwig Z’graggen ist bei MeteoSchweiz Z’graggen, works for MeteoSchweiz, tätig, dem nationalen Wetter- und the Swiss national weather and Klimadienst der Schweiz. Er ist climate service. He is a recognised ein ausgewiesener Kenner des expert in weather events. His Wettergeschehens. Sein besonderes speciality is extreme meteorological Augenmerk gilt meteorologischen events such as storms, unusually Extremereignissen wie Stürmen, unge- high amounts of precipitation wöhnlich hohen Niederschlagsmengen and extraordinary temperature und ausserordentlichen Temperatur- conditions. The data and facts he verhältnissen. Die Daten und Fakten records are all in his head, thanks solcher Rekorde hat er dank fotogra- to a photographic memory. fischem Gedächtnis allesamt im Kopf. Ludwig Z’graggen is now a Ludwig Z’graggen setzt sich nicht professional weather analyst nur beruflich mit dem Wetter aus- but, growing up in a typical Föhn einander. Aufgewachsen in einem valley, he has been fascinated since typischen Föhntal, war er schon von childhood by the power with which, Wetterexperte Ludwig Z’graggen Kindsbeinen an fasziniert von der come spring, this warm southern Weather expert Ludwig Z’graggen Kraft, mit der dieser warme Südwind wind drives away the winter. Today, im Frühling den Winter vertreibt. he runs several of his own weather Heute betreibt er mehrere eigene stations on both sides of the Alps, Wetterstationen auf beiden Seiten der allowing him to record local wind Alpen. Dadurch kann er lokale Wind- and temperature conditions when und Temperaturverhältnisse erfassen, the Föhn, Bise and other winds wenn Föhn, Bise oder andere Winde are blowing. In TOP-Magazin wehen. Im TOP-Magazin 2015 hat 2015, he talked about his special er über sein besonderes Verhältnis relationship with the Föhn and zum Föhn gesprochen: «Ich bin ein confessed to being “a Föhn fan”. Föhn-Fan», bekannte er damals. 17 Das eisige Pferd aus dem Osten / The icy beast from the east
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