DAS KUNSTWERK DES MONATS SEPTEMBER 2021 - J.H.W. TISCHBEIN, KOPFSTUDIE NACH REMBRANDT, UM 1790-1799
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JOHANN HEINRICH WILHELM TISCHBEIN KOPFSTUDIE NACH REMBRANDT UM 1790—1799 Feder und Kreide auf Papier Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg Inv. 15.236 Stefanie Rehm Die vortreffliche niederländische Kunst des 17. zeigen. Einen solchen Kopf in der Art der Tronien Jahrhunderts war vielen Künstlern späterer Rembrandts hat auch Tischbein mit der Feder Generationen ein Vorbild. Dies galt auch für den gezeichnet. Oldenburger Hofmaler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751—1829) – „Goethe-Tischbein“ ge- nannt. Bereits während seiner Lehrjahre in Ham- burg hatte er die niederländischen Meister- werke für sich entdeckt, und im Jahr 1772 brach der junge Künstler zu einer Studienreise in die Niederlande auf. Später hielt er seine Begeis- terung mit diesen Worten in seinen Lebenserin- nerungen fest: „Ich hatte ein unwiderstehliches Verlangen, Holland zu sehen. Das Land, wo die großen Maler gelebt haben und zum Teil noch ihre bewundernswürdigen Werke sind.“ Tischbein betrachtete die niederländische Kunst eingehend, kopierte verschiedene niederländi- sche Gemälde und verarbeitete deren Motive – von seinen Lehrjahren an bis ins hohe Alter. Christian Wilhelm Ernst Dietrich, Mann mit Turban und weißem Kragen, 1730—1740 Ein besonderes Faible hatte Tischbein für Rem- brandt Harmensz. van Rijn (1606—1669). Der heu- te berühmteste niederländische Künstler war zu Darüber hinaus hat Tischbein weitere Mo- Tischbeins Zeit noch nicht wiederentdeckt. Erst tive nachgezeichnet, die er aufgrund der Mitte des 19. Jahrhunderts sollte Rembrandt zu Rembrandt’schen Manier für Werke des Meisters einer geheimnisvollen Künstlerfigur avancieren, hielt, die heute jedoch dessen Schülern – wie der unter Sammlern, Kennern und Kunsthistori- Christoph Paudiss (1625—1666), Gerbrandt van kern große Aufmerksamkeit galt. Doch gerade den Eeckhout (1621—1674) oder Arent de Gelder unter den Künstlerkollegen wurde Rembrandts (1645—1727) – zugeschrieben werden. Dabei Kunst nie ganz aus dem Blick verloren. Sie ei- handelt es sich nicht nur um Feder- oder Krei- ferten ihm nach und paraphrasierten dessen dezeichnungen von verschiedenen Köpfen, son- Motive, Kompositionen und Malweise. dern auch um Aquarelle und Gouachen religiö- ser Motive wie „Der Engel im Hause des Tobias“ Deutsche Maler wie Christian Wilhelm Ernst oder „Darbringung im Tempel“. Dietrich (1712—1774) – Dietricy genannt – interes- In seinen Lebenserinnerungen erzählt Tisch- sierten insbesondere die sogenannten Tronien bein, dass er zudem nach Zeichnungen Rem- Rembrandts. Dabei handelt es sich nicht um brandts radiert habe und die Blätter als klassische Portraits, sondern um Rollenpor- Originale verkauft worden sein sollen. Er be- traits und Charakterköpfe, die bei Rembrandt richtet: „Und ich habe die Blätter nach Jahren meist bärtige Greise, Männer mit Barett und in Rembrandt’schen Kupferstichsammlungen Goldkette oder mit orientalischer Kostümierung als seltene Originale gefunden. Selten sind
Christoph Paudiss, Kopf eines Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Mannes mit Barett, um 1645—1665 Kopf eines Mannes mit Barett nach Christoph Paudiss, nach 1808 sie auch, denn ich spielte mit den Platten und die niederländische Manier imitieren. Bei genau- nachdem einige Abdrücke davon gemacht er Betrachtung fällt auf, dass sich der Blick und waren, gingen die Platten verloren.“ Rem- Strich einer späteren Zeit eingeschlichen haben. brandt war für Tischbein ein großes Vorbild Innerhalb von Tischbeins Œuvre bilden die nieder- und eine künstlerische Herausforderung, derer ländischen Studien eine eigene Werkgruppe, so- er sich selbstbewusst und durchaus auch mit dass nicht von einem generellen niederländischen einer gewissen Genugtuung gegenüber den Einfluss auf seine Werke gesprochen werden kann. Kennern und Sammlern stellte, wenn er sich an Sie sind eine Besonderheit. seine druckgrafischen Experimente erinnert: „Ich machte auch welche aus meiner Erfindung in Rembrandts Manier, dass die Kenner irre darü- ber wurden.“ Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Darbringung im Tempel nach Arent de Gelder, um 1810 Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Kopfstudien nach Gerrit de Wet, um 1810 Wenn Künstler wie Tischbein großen Meistern vergangener Jahrhunderte nacheiferten, konnte dies auf verschiedene Art und Weise gesche- hen. Neben Kopien, die ein möglichst exaktes Abbild eines Werkes geben, fangen Skizzen nach Gemälden oft nur ein besonderes De- Literatur: tail oder eine Komposition ein. Beispiele hier- für sind Tischbeins Kopfstudien nach Gerrit de Stefanie Rehm, Tischbein und die Kunst des Wet (1609/10—1674). Darüber hinaus adaptierte ‚Goldenen Zeitalters‘ – Rezeptionsgeschichte(n) Tischbein bestimmte Motive und ahmte den um 1800, Heidelberg 2020, freier Zugang unter: Stil eines Künstlers nach, wie im Falle verschie- https://doi.org/10.11588/arthistoricum.619 dener Studien, die keinen konkreten Vorlagen Kuno Mittelstädt, Heinrich Wilhelm Tischbein – Aus zugeordnet werden können, jedoch eindeutig meinem Leben, Berlin 1956
Abbildungen: © Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Sven Adelaide Niedersächsische Landesmuseen Oldenburg Damm 1 · 26135 Oldenburg Telefon (0441) 40570 400 info@landesmuseum-ol.de www.landesmuseum-ol.de
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