Das philosophische Café - Philosophisch - Theologische Dialoge - lauf-evangelisch.de

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Das philosophische Café
Philosophisch – Theologische Dialoge
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Das philosophische Café

       • Was bist Du?

   • Alter Ego oder Nicht-Ich?
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• Jean-Paul Sartre: Die Anderen als „Hölle“ des Existenzialisten?

• 1. Der Philosoph Jean-Paul Sartre
• Jean-Paul Sartre wird 1905 in Paris geboren, wo er auch 1980
  stirbt. Er ist einer der politischsten Philosophen seiner Zeit.
  Sartre hat nie einen Lehrstuhl inne. Er lebt und denkt als
  freier Schriftsteller und ist als solcher ungeheuer produktiv.
  Neben mehr als 4000 Seiten philosophischer Schriften hinter-
  lässt Sartre bei seinem Tod 4000 Seiten Biographien und 2000 Seiten
  Erzählungen, Theaterstücke, Romane und Drehbücher.
• „Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaf-
  fen hat und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für all das verant-
  wortlich ist, was er tut“ (EH, 154).
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• 2. Die Kritik des „transzendentalen Ego“ und das „prä-reflexive cogito“

• Sartres Schrift „Die Transzendenz des Ego“ (Hamburg, 2021; im Folgenden TE)
 aus dem Jahr 1936 befasst sich – wie der Name bereits verrät – mit der
 transzendentalen Egologie Husserls. Die Kritik, der Sartre hier Husserls
 Bewusstseinsphilosophie unterzieht, ist aber nur vor dem Hintergrund des
 Denkens des französischen Philosophen und Nobelpreisträgers für Literatur
 Henri Bergson  zu verstehen.

• Bergson, der heute zu unrecht ein Schattendasein in der Philosophie fristet,
  ist ein Star unter den Philosophen seiner Zeit, der auch nachweisbar Wir-
  kung auf Husserl und Heidegger ausübt.
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• Bergson geht es in seinem als „Lebensphilosophie“ bezeichneten Denken u.a. um
  die Entstehung von Bewusstsein, Denken, Geist im Prozess der Evolution der „le-
  bendigen“ Materie. In diesem Prozess erscheint ein „gestaltloses, gleichgültiges,
  unwandelbares Ich“ (Bergson, Schöpferische Evolution, Hamburg 2020, , S. 13)
  erst nachrangig als Kunstgriff einer „Aufmerksamkeit“, die die Dauer des in der
  Wahrnehmung Gegebenen in einzelne „beleuchtete Punkte“ unterschieden und
  getrennt hat und diese nun wieder zusammensetzen muss. (aaO)

• Der Synthesisleistung des Verstandes, die synthetische Einheit der Apperzeption
  Kants, geht bei Bergson – so Sartre – ein Bewusstsein voraus, „das nichts von sich
  weiß“ (TE, S. 136). Sartre sieht es als Leistung Bergsons an ein vor-reflexives, „un-
  persönliches und unbewusstes Bewusstsein“ herausgearbeitet zu haben, das die
  Grundlage des „bewussten“, da selbstreflexiven, (Selbst-) Bewusstseins bildet.
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• Sartre übernimmt damit Bergsons „unpersönliches und unbewusstes Bewusst-
  sein“ als Grundlage aller Erkenntnis, auch der Selbsterkenntnis. Wie wir sehen
  werden, wird dies auch weitreichende Folgen für das Verhältnis von ICH und Du
  nach sich ziehen.

• In SN führt Sartre diesen Gedanken fort. Dieses „Urbewusstsein“ (SN, S. 19) ist
  „nichtsetzend“, d.h. es ist reines Medium der Repräsentation bewusster Inhalte:
  „Es ist die einzige mögliche Daseinsweise für ein Bewusstsein von etwas“ (aaO)

• Das „transzendentale Ego“ verliert damit seine Vorrangstellung vor der Welt, dem
  „Anderen“ und dem „Du“.
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• Das vor-reflexive, „unpersönliche und unbewusste Bewusstsein“ ist für Sartre
  reines „Existenzbewusstsein“, das sich als Selbstbewusstsein erst in der Reflexion
  mit Inhalten füllt. Zu diesen Inhalten gehört das Ego, als Ich und ICH, und die
  Welt. Sartre formuliert hier Heideggers Begriff des „In-der-Welt-Seins“ auf einer
  bewusstseinsphilosophischen Grundlage neu. (SN, S. 19)

• Die Selbstreflexion des Ich-ICH hat daher notwendig auch eine andere Art von
  „Subjektivität“zur Folge:
• „Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht. Das ist das erste Prinzip des Existen-
  zialismus. Das ist es auch, was man Subjektivität nennt und uns unter eben diesem Namen vor-
  wirft“ (EH, S. 150)
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• 3. Sartres Existenzialismus und Heideggers Ek-sistenz

• Sartes Denken ist im Denken der Metaphysik, von Descartes bis Kant, der Phäno-
  menologie Husserl, der Lebensphilosophie Bergson´s und der Fundamentalonto-
  lgie Heideggers verwurzelt. Sartre wehrt sich daher gegen die Einordnung des
  Existenzialismus als Modephilosophie.

• „Der Existenzialist; das Wort hat im Grunde heute eine solche Breite und Ausweitung erfahren,
  dass es überhaupt nichts mehr bedeutet. Es scheint, die Leute, die es nach Skandal und Bewe-
  gung dürstet, wenden sich mangels avantgardistischer Lehre, die dem Surrealismus vergleichbar
  wäre, an diese Philosophie, die ihnen übrigens in dieser Hinsicht nichts zu bieten hat; in Wirk-
  lichkeit ist sie die am wenigsten skandalöse, die nüchternste Lehre; sie ist ausschließlich für
  Fachleute und Philosophen bestimmt.“ (EH, S. 145; Hervorhebung E.S.)
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• Was aber ist Sartres „Existenzialismus“? Er ist in erster Linie eine Kritik der tra-
  ditionellen Metaphysik, worin er seinem Vorbild Heidegger folgt. Das Seiende ist
  für Heidegger nicht mehr Verwirklichung von allgemeinen, hinter den konkreten
  Dingen stehenden Formen („Ideen“), sondern ist Zuhandenes und Vorhandenes
  für das „Dasein“, einem Seienden, dem es „in seinem Sein um das Sein selbst
  geht“.

• Sartre übernimmt diesen Ansatz in der Formulierung seines philosophischen
  Grundsatzes, der da lautet: „Die Existenz geht der Essenz (s.c. dem „Wesen“, d.h.
  der Seinsform) voraus.“
• „Der Mensch, wie ihn der Existenzialist versteht, ist nicht definierbar, weil er zunächst nichts ist.
  Er wird erst dann, und er wird so sein, wie er sich geschaffen haben wird. Folglich gibt es keine
  menschliche Natur, da es keinen Gott gibt, sie zu ersinnen“ (EH, S. 149)
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• Die Grundüberzeugung des Existenzialismus Sartre´s besteht darin, dass der
  Mensch als einzige Daseinsform nur das ist, was er aus sich macht. Er ist durch
  nichts festgelegt, sondern gewinnt die Form und Gestalt, die er sich selbst gibt.

• Die Form, die Gestalt, das Was-Sein, geht daher dem Dasein des einzelnen
  Menschen nicht nur nicht voraus (so die traditionelle Metaphysik), sie ist
  vielmehr gegenüber dessen Dasein, seiner „Existenz“ sekundär.

• Da die in der Form in der Gestalt liegende Allgemeinheit erst der Existenz folgt,
  kann auch die „Existenz“ nur individualistisch verstanden werden. Die Existenz
  jedes einzelnen Menschen geht daher – so Sartre – immer dessen Bestimmung
  durch allgemeine Eigenschaften voraus.
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• 4. Der „Blick des Anderen“ und die „Scham“

• Für Sartre, der sich immer dagegen verwahrt hat, dass sein Existentialismus ein
  Solipsismus und Egoismus ist, wird wie für Husserl das Problem der Fremderfah-
  rung zum zentralen Thema. Wie wird der Andere zum „Du“ und nicht zum „Ich-
  Es“, um den Begriff Bubers zu verwenden?

• Die Problemlage formuliert Sartre folgendermaßen:
• „Diese Frau, die ich auf mich zukommen sehe, dieser Mann, der auf der Straße vorübergeht,
  dieser Bettler, den ich vor meinem Fenster singen höre, sind für mich Objekte, darin besteht kein
  Zweifel. Also ist es richtig, dass wenigstens eine der Modalitäten der Anwesenheit anderer die
  Objektheit ist. Aber wir haben gesehen, dass die Fremdexistenz eine reine Annahme bleibt, so-
  lange diese Objektverhältnisse das Grundverhältnis anderer zu mir sind.“ (SN, S. 338; Hervor-
  hebung durch Sartre selbst)
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• Im Gegensatz zur Puppe sieht er einen auf einem Stuhl sitzenden Menschen in
  einem „nichtadditivem Verhältnis“ zum Stuhl, er ist bereits als Objekt der Erfah-
  rungswelt kein bloßes Ding unter Dingen.

• Sartre beschreibt diesen Umstand, indem er von einem Menschen als Wahrneh-
  mungsgegenstand als einem „entfernungslosen Gebilde“ spricht, das in „meinem
  Mikrokosmos“ von Dingen auftaucht, und bei dem ich mich – im Gegensatz zur
  Objektwelt – nicht „zu seinem Mittelpunkt machen kann“. (SN, S. 340)

• „Die Erscheinung des anderen in der Welt entspricht also einem regungslosen Entgleiten des
  ganzen Mikrokosmos, einer Dezentrierung der Welt, die die Zentrierung unterminiert, die ich zur
  selben Zeit erwirke“ (SN, S. 341)
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• Sartre betont, dass der „Andere“ dabei immer noch als Objekt meiner Welt auf-
  gefasst wird. Als solches hat er die Eigenschaft, das zu sehen, was ich sehe:
• „Wenn der Objekt-Andere in Verbindung mit der Welt als das Objekt definiert wird, was das sieht,
  was ich sehe, muss meine Grundbeziehung zum Subjekt-Anderen zurückgeführt werden können
  auf meine ständige Möglichkeit, vom anderen gesehen zu werden. …Diese Beziehung, die ich
  ´Vom-Anderen-gesehen-werden´ nenne, stellt also …. ein irrreduzibles Faktum dar, was man we-
  der vom Wesen des Objekt-Anderen noch von meinem Subjekt-sein ableiten kann.“ (SN, S. 342 f.;
  Hervorh. Sartre)

• Hierdurch kommt es zu einem „Ausfließen des Mikrokosmos“ (aaO) meiner –
  phänomenologisch gesprochen – Eigenheitssphäre. Das Ausfließen betrifft dabei
  auch das „Ich“ selbst. Sartre bezeichnet diesen Vorgang sehr drastisch als „innere
  Blutung“ (SN, S. 343, 348)
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• Durch das Ausfließen aus „meinem Mikrokosmos“ (dies entspricht der Primordial-
  sphäre Husserls) werde ich zum Objekt des Anderen, seines Blickes und seiner
  Beurteilung. Ich bin „in einer Welt, die der Andere mir entfremdet hat.“ (SN, S.
  348)
• Die Folge ist ein Affekt: die Scham. Durch das Gefühl der Scham „erkenne ich an,
  dass ich bin, wie Andere mich sehen“ (SN, S. 300)
• „Der Blick des anderen bewirkt, dass ich jenseits meines In-dieser-Welt-Seins bin, inmitten einer
  Welt, die diese hier und zugleich über diese hier hinaus ist. Was für Beziehungen kann ich zu
  diesem Sein, das ich bin und das die Scham mir entdeckt, unterhalten?. Erstens eine Seinsbezie-
  hung. Ich bin dieses Sein……. Die Scham enthüllt mir aber, dass ich dieses sein bin.“ (SN, S. 348 f)

• Sartre resümiert: „So habe ich für den Anderen meine Transzendenz abgeworfen“
  (SN, S. 350)
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• Der Blick des Anderen ist für mich uneinholbar: ich kann die Welt nie so sehen
  wie er. Daraus folgt, dass ich auch den Anderen in seiner Ganzheit nie erkennen
  kann. Der andere ist in diesem Sinne „frei“, von mir frei (SN, S. 349).

• Dieser unabhängige Blick sieht mich „in der Welt“ und gibt mir damit die Möglich-
  keit, „mich als in der Welt gesehen und von der Welt aus“ zu ergreifen.

• Heideggers „In-der-Welt-Sein“ wird hier auf eine neue Grundlage gestellt. Das
  „In-der-Welt-Sein“ des Ich entsteht nicht gleichrangig mit dem „Dasein“, sondern
  erst durch den Blick des „Anderen“, der mich aus meiner Eigenheitssphäre reißt
  und mich von mir selbst „entfremdet“.
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• Bei Sartre wird – phänomenologisch gesprochen – die Wandlung des transzen-
  dentalen „Ich“ zum personalen „ICH“ durch das Gesehen-werden durch den
  „Anderen“ vollzogen. Wir erinnern uns an die Formulierung Bubers „Der Mensch
  wird am Du zum Ich“.
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• „Nunmehr können wir den Sinn dieses Auftauchen des anderen in seinem und durch seinen Blick
  genauer erkennen. In keiner Weise ist der andere uns als Gegenstand gegeben. Die Vergegen-
  ständlichung des Anderen wäre gleichbedeutend mit dem Zusammenbruch seines Blick-Seins.
  Außerdem bedeutet der Blick des anderen, wie wir gesehen haben, das Verschwinden gerade der
  Augen des Anderen als der Gegenstände, die den Blick offenbaren“ (SN, S. 357; Hervorhebung
  Sartre)

• Durch sein „Blick-Sein“ verschwindet der „Andere“ als Gegenstand meiner Welt,
  meines Mikrokosmos, er entzieht sich damit jeder nur theoretischen Beziehung
  ebenso wie jeder instrumentellen Vereinnahmung als „Mittel zum Zweck“.

• Dies bedeutet allerdings nicht, dass ich den „Anderen“ nicht wieder „vergegen-
  ständlichen“, zum bloßen Objekt machen könnte, um mich von diesem Blick zu
  befreien.
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• „Die Vergegenwärtigung des anderen ist, wie wir sehen werden, ein Verteidigungsmittel meines
  Seins, das mich gerade von meinem Für-Andere-Sein befreit, indem es dem Anderen ein Sein-für-
  -mich zuteilt.“ (aaO)

• Auch bei Sartre besteht daher – wie bei Buber – die reale Möglichkeit, dass der
  „Andere“ in seinem Blick-Sein nicht mehr wahrgenommen oder ignoriert wird:
  Um mit Buber zu sprechen, wird er vom „Du“ zum „Es“.

• Dies ändert jedoch nichts daran, dass „im Phänomen des Blickes“ der Andere
  grundsätzlich das ist, „was nicht Objekt sein kann“ (aaO). Der Mensch kann letzt-
  lich diesem Blick auch nicht ausweichen. Wenn er von ihm getroffen wird, erlebt
  er die „Scham“ als das Gefühl, das die Fremdbeurteilung seiner selbst begleitet.
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• Indem der Mensch vom Blick des Anderen getroffen wird, erlebt er mit allen Sin-
  nen dessen „Anderer-Natur“ (SN, S. 359), wie Sartre die Fremdheit des Anderen
  bezeichnet. Diese Fremdheit ist keine „Erscheinung in der Welt“, sondern etwas,
  das jenseits liegt.

• „So ist die Erscheinung des Blickes Anderer keine Erscheinung in der Welt, weder in der meinigen,
  noch in der der Anderen; und die Beziehung, die mich mit Anderen vereint, kann nicht eine Bezie-
  hung der Außenweltlichkeit zum Inneren der Welt sein, sondern durch den Blick des Anderen
  mache ich die konkrete Erfahrung, dass es ein Jenseits der Welt gibt. Der Andere ist mir ohne ein
  Mittelglied gegenwärtig und zwar als eine Transzendenz, die nicht die meinige ist…. Gegenwärtige
  und ungreifbare Transzendenz … das ist der Blick des Anderen“ (aaO; Hervorhebung Sartre)
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• 5. Was sind die „Anderen“?

• Sartre scheint am Ende seines Theaterstückes „Geschlossene Gesellschaft“ (frz.
  „Huis close“) mit dem berühmten Satz „Die Hölle, das sind die Andren“ selbst die
  Antwort gegeben zu haben.

• Aber das weithin bekannte Zitat führt in die Irre. An der Stelle im Theaterstück
  geht es nicht um eine Bestimmung der „Andren“, sondern der „Hölle“. Sartre
  selbst hat sich dazu wie folgt geäußert:
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„Ich wollte sagen: die Hölle, das sind die andern. Aber dieses „die Hölle das sind die andern“ ist immer
falsch verstanden worden. Man glaubte ich wollte damit sagen, dass unsere Beziehungen zu anderen
immer vergiftet sind, dass es immer teuflische Beziehungen sind. Aber es ist etwas ganz anderes, was
ich sagen will. Ich will sagen, wenn die Beziehungen zu anderen verquer, vertrackt sind, dann kann der
Andere nur die Hölle sein. Warum? Weil die Anderen im Grunde das wichtigste in uns selbst sind für
unsere eigene Kenntnis von uns selbst. Wenn wir über uns nachdenken, wenn wir versuchen, uns zu
erkennen, benutzen wir im Grunde Kenntnisse, die die anderen über uns schon haben. Wir beurtei-
len uns mit den Mitteln, die die anderen haben, uns zu unserer Beurteilung gegeben haben. Was ich
auch über mich sage, immer spielt das Urteil andere hinein. Was ich auch in mir fühle, das Urteil ande-
rer spielt hinein. Das bedeutet, wenn meine Beziehungen schlecht sind, begebe ich mich in die totale
Ab-hängigkeit von anderen. Und dann bin ich tatsächlich in der Hölle. Es gibt eine Menge Leute auf der
Welt, die in der Hölle sind, weil sie zu sehr vom Urteil anderer abhängen. Aber das heißt keineswegs,
dass man keine anderen Beziehungen zu den Anderen haben kann. Es kennzeichnet nur die entschei-
dende Bedeutung aller anderen für jeden von uns. (Zitiert nach Jean-Paul Sartre, Geschlossene Gesell-
schaft, Reinbek bei Hamburg 2021, S. 61)
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• 5.1. Der Mensch wird am Blick zum Ich

• Was Sartre hier zusammenfasst, sind letztlich die Einsichten aus „Das Sein und
  das Nichts“: der Mensch wird durch den Blick des Anderen zum personalen Ich.

• Wie dargelegt macht der Blick des „freien Anderen“ mich zu seinem Objekt und
  im Gefolge danach auch für mich zum Objekt-Ich.

• „Ich“ werde durch seinen Blick in dem Sinne objektiviert, als er mich mit seinen
  (intersubjektiv-allgemeinen) Begriffen beschreibt, beurteilt und bestimmt. Dies
  geht von der individuellen Erziehung durch Andere bis hin zu sozialen, recht-
  lichen und kulturellen Festlegungen meiner selbst.
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• Hierdurch erkenne „Ich“ mich in meiner objektiven „Situation“, in die ich im Sinne
  Heideggers geworfen bin.
• (Hinweis: der Begriff der „Situation“ bzw. des „in Situation“ - Seins verwendet der Existenzphilo-
  soph Karl Jaspers in seinem 1932 erschienen Werk „Philosophie II, Existenzerhellung“. Sartre
  übernimmt diesen Begriff, ohne auf Jaspers Bezug zu nehmen.)

• Es ist die absolute Fremdheit, die absolute Transzendenz, die ich aber durch mei-
  ne leibhaften Fähigkeiten verändern, nach meinem Willen gestalten oder zu der
  ich mich wenigstens frei verhalten kann: „transzendierte Transzendenz“.

• Nach Sartre braucht das „Ich“ daher den Blick des Anderen, damit es sich in ihm
  als das erkennen kann, „was es ist“: ein bestimmter Mensch in einer bestimmten
  Situation, zu der er sich verhalten, in der er handeln kann und muss.
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• Der „Blick des Anderen“ hat bei Sartre eine zweifache Wirkung:

• - er objektiviert das „Ich“, legt es fest als Exemplar durch zugeschiebene physi-
  sche und psychische Eigenschaften, durch Rollenbilder und soziale Erwartungen,
  und verschafft ihm so ein objektives Selbstbild. Das Ich erkennt seine „Situation“

• - er ermöglicht dem „Ich“ durch die Entdeckung der Fremdheit und Unverfüg-
  barkeit des Anderen, sich seiner eigenen Unverfügbarkeit für Andere gewahr zu
  werden und damit seine Exemplarität, seine „Ent-Fremdung“ durch den Anderen
  zu überwinden und verschafft ihm so die Möglichkeit sich und sein Selbstbild zu
  verändern
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• Der „Andere“ kann dabei - je nachdem - die eine oder die andere Wirkung ver-
  stärken.

• - objektiviert er mich nur, legt er mich so fest, dass er mir keine Möglichkeit zur
  Selbstveränderung einschließlich meines (Selbst-) Bild lässt, behandelt er mich
  nur als Exemplar, lässt mich entfremdetet in der bloßen Fremdbeurteilung zurück,
  so wird er zur Hölle des „Ich“. Dann bin „Ich“ abhängig von der Fremdbeurteilung
  und gehe als bloßes Objekt in ihr auf.

• - lässt er mich dagegen frei, im Sinne der Freiheit seiner „transzendierten Trans-
  zendenz“, im Sinne meines Vermögens zur Veränderung der mir vorgegebenen
  Situation, im Sinne der Ermöglichung der Schaffung eines neuen (Selbst-) Bildes
  durch Veränderung meiner Situation, wird er zur Grundlage meiner Freiheit
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• 5.2. Entfremdung und Freiheit: der Beitrag des Anderen dazu

• In dieser Welt ist auch von vornherein der „Andere“ da: mit seinem Blick auf
  mich. Das „Erblickt-werden“ ist nach Sartre die „einzige Art, in der ich die Freiheit
  des Anderen an mir erfahren kann“ (SN, S. 504)

• Der Andere ist frei und fremd, was ihn in die Lage versetzt, mich zum Objekt zu
  machen. Indem er mich zum Objekt macht, mich „objektiviert“ schafft der
  „Andere“ erst die Voraussetzungen für mich, mich in meiner Welt wahrzuneh-
  men. An die Stelle der Vorstellung der Selbstbespiegelung der Reflexionsphiloso-
  phie ist die Fremdbeurteilung getreten.
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• Es kann nicht genug betont werden, dass nach Sartre der „Andere“ nur in seiner
  Freiheit und Fremdheit diese Objektivierungsleistung vollbringen kann.

• Er gibt mir damit ebenso die Möglichkeit zur „Selbsterkenntnis“ durch Fremd-
  beurteilung wie die Möglichkeit der Erkenntnis, dass ich die dadurch geschaffene
  „Situation“ – verstanden als zunächst hinzunehmende Bestimmung – als Mensch
  in der Welt verändern kann: „transzendierte Transzendenz“

• Hierdurch erfahre ich meine Freiheit, nicht nur als gedankliche Vorstellung, son-
  dern als radikale Tat, mit der ich die Fremdheit der Welt zumindest teilweise
  überwinden und sie zu meiner Welt machen kann: nicht als bewusstseinsphilo-
  sophische Korrelat, sondern als Veränderung der objektiven Welt nach meinem
  Entschluss.
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• Zusammenfassen kann man daher den Anderen im Denken Sartres Denken wie
  folgt beschreiben:

• Zum einen: Der „Andere“ ist der Grund meiner Entfremdung. Er macht mich
  durch seinen Blick zum Objekt in der Welt. Er beschreibt, beurteilt und benutzt
  mich. Er versieht mich dadurch mit Eigenschaften, bestimmt mich in meiner Rolle,
  legt mich durch seine Erwartungen fest. Ich werde Exemplar, bin nicht mehr „Ich“.
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• Zum anderen: durch die Objektivierung durch den Anderen nehme ich mich und
  meine Situation in der Welt erst wahr. Das Ich-Bewusstsein, das transzendentale
  Ego wie Husserl sagt, gewinnt Gestalt und Inhalt, wird zum personalen Ich. Und
  als solches erkennt er an der Freiheit der Fremdzuschreibung durch den Anderen
  die Möglichkeiten seiner Freiheit.

• Dadurch ist das „Ich“ nunmehr grundsätzlich in die Lage versetzt, seine Entfrem-
  dung zu überwinden. Aus dem Objekt-Ich wird ein Subjekt-Ich, aber nicht „Ding“
  wie bei Descartes („res cogitans“ = „denkendes Ding“), sondern als Subjektivität,
  die in ihren Handlungen und Taten „verwirklicht“.
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• Emmanuel Lèvinas: „Die Spur des Anderen“

• 1. Der Philosoph Emmanuel Lèvinas

• Emmanuel Lèvinas gehört ebenfalls zu den großen jüdischen
  Intellektuellen des 20. Jahrhundert. Geboren wird er 1906
  in Kaunas/Litauen als Sohn eines Buchhändlers. Er spricht
  russisch als Muttersprache, kommt frühzeitig mit der russischen Literatur von
  Puschkin, Tolstoi und Dostojewski in Berührung. Die Familie ist religiös.

• 1923 beginnt Lèvinas ein Studium der Philosophie in Straßburg. 1927 wechselt er
  nach Freiburg i. Br., wo er bei Edmund Husserl und Martin Heidegger sein
  Studium der Philosophie für über ein Jahr fortsetzt.
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• Lèvinas Familie in Litauen wird von den Nationalsozialisten ermordet. Er be-
  schließt daraufhin, nie mehr deutschen Boden zu betreten.

• Diese Erfahrungen werden das Philosophieren Lèvinas nachhaltig beeinflussen.
  Insbesondere wird sie das Verständnis der Position des „Anderen“ prägen: das
  Gesicht des Anderen, das ohne Worte den Imperativ ausdrückt: „Du wirst (sollst)
  nicht töten!“.

• Neben der Philosophie wendet sich Lèvinas der jüdischen Religion zu. Er hält
  Vorlesungen zum Talmud, publiziert seit 1957 „Lectures Talmudiques“. 1961 wird
  er Professor für Philosophie in Poitiers, 1967 an der Universität Paris-Nanterres
  und 1973 schließlich an der Sorbonne.
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• Die traditionell abendländische Philosophie ist nach Lèvinas eine Philosophie der
  Allgemeinheit und Objektivität, letztlich dadurch Gleichgültigkeit („indifferance“),
  gegenüber dem begegnenden Einzelnen. Dieser setzt er die Haltung der „non-in-
  differance“ entgegen. Nach Lèvinas sind die Auslegungen der „Thora“ im Talmud
  nie gleichgültig gegenüber dem Einzelnen, der in Frage steht.

• Wie für Derrida kommt es auch für Lèvinas darauf an, das Allgemeine immer
  wieder durch den Einzelnen, den einzelnen Anwendungsfall, aufzubrechen und
  verändert und erweitert durch diese Individualität fortzuschreiben. Derrida hat
  später hierfür den Begriff der „Dekonstruktion“ geprägt.

• Vor diesem Hintergrund entwickelt Lèvinas seine Philosophie des „Anderen“.
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• 2. Lèvinas und die abendländische Philosophie

• Anders als Buber – von dessen dialogischer Philosophie er sich distanziert – sieht
  sich Lèvinas nicht in einer dialogischen Beziehung zur abendländischen „Philoso-
  phie“, sondern in kritischer Distanz zu ihr.

• Lèvinas sieht den wesentlichen Unterschied zwischen jüdischem und abendlän-
  dischen Denken in dem Verhältnis des Denkens zum Einzelnen, zum Individuum
  sowie in dem Verhältnis von theoretischer und praktischer Philosophie, insbe-
  sondere der Ethik.
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• Lèvinas Begriff der Ethik unterscheidet sich von dem gleichlautenden Begriff der
  abendländischen Philosophie grundlegend. Er setzt der griechischen Universa-
  lität die jüdische Singularität entgegen. (Werner Stegmaier, Emmanuel Lèvinas,
  Hamburg 2009, S. 20; im Folgenden WS)

• Für Lèvinas ist „im ethischen Kontext jeder singulär, weil ihm niemand seine Ver-
  antwortung abnehmen kann, auch nicht für Theorien“ (WS, aaO)

• „Gegen diese ´Gleichgültigkeit` („indifférance“) des Objektiven, Allgemeinen,
  Neutralen gegenüber den Einzelnen und ihrer Andersheit macht Lèvinas deren
  ´Nicht-Gleichgültigkeit` („non-in-différance“) in ihrer Andersheit geltend“ (WS,
  S.14)
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• Lèvinas distanziert sich hier insbesondere von Husserls Theorie der Fremderfah-
  rung, die dem Anderen nur den Status eines „Alter Ego“ zuerkennen kann.
• „Wenn das „Alter Ego“ nicht mehr als die Spiegelung des Ich im Anderen ist und sein kann, ist der
  Andere darin gerade um seine Andersheit mir gegenüber verkürzt …. Die Methode der Selbstbe-
  obachtung wird durch die Verkürzung der Andersheit des Anderen selbst fragwürdig. Lèvinas ver-
  sucht die Andersheit des Anderen auf neue Weise gerecht zu werden.“ (WS, S. 53)

• Bei Lèvinas verbindet sich die Frage nach dem Sein des Anderen zunächst mit der
  Seinsfrage überhaupt, die er bei Heidegger in der Vorstellung der „ontisch- onto-
  logischen Differenz“ von Sein und Seiendem radikal gestellt findet.

• Er teilt mit Heidegger die Kritik der Metaphysik, die hinter jedem Seienden als
  Erscheinung eine wahre Form oder Idee erkennen zu können glaubt.
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• Was Lèvinas nicht mit Heidegger teilt, ist dessen Auffassung von der „Lichtung
  des Seins“ im Dasein als einem neutralem Geschehen.

• Heideggers Vorstellung von der „Lichtung des Seins“ als Dasein ist gleichgültig ge-
  genüber dem Seienden; sie ist für Lèvinas von der abendländischen Suche nach
  Einheit, Gleichheit und Frieden getragen. Allem Seienden liegt ein vereinheitli-
  chendes Sein zu Grunde.

• Lèvinas sieht daher das gesamte abendländische Denken „gegen das Fremde/
  gegen den Fremden“ gerichtet. (WS, S. 63 m.w.N.) Auch in Heideggers Begriff des
  „Mitdaseins“ bzw. „Mitseins“ als gemeinsame Fürsorge für eine gemeinsame
  Welt, „im gemeinsamen Sich-einsetzen für dieselbe Sache“ zeigt sich ihm nur die
  Einebnung des Individuellen als einem dem Gemeinsamen Fremden.
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• 3. Die Anonymität des Seins

• Die abendländische Ontologie kritisiert Lèvinas in dem 1961 erschienen Werk
  „Totalität und Unendlichkeit“ (im folgenden TU; Freiburg/München, 2014) grund-
  legend. Während Max Horkheimer und Theodor W. Adorno die Dialektik der
  Aufklärung noch auf eine Entgleisung der instrumentellen Vernunft zurückführen
  und – wie auch Hannah Arendt – die Kommunikative, dialogische Vernunft wei-
  terhin bejahen, zielt Lèvinas´ Kritik auf den abendländischen Vernunftbegriff im
  Ganzen.

• Er sieht in der Logizität der Metaphysik, insbesondere der Ontologie das Problem,
  das mit der Gleichsetzung von Denken bzw. Erkennen und Sein bei Parmenides
  beginnt (DK, 28 B 5).
•
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• Diese „Theorie des Verstehens des Seienden“ trägt nach Lèvinas den Titel
  „Ontologie“:
• „Die abendländische Philosophie war meistens eine Ontologie: Indem sie einen mittleren und
  neutralen Terminus, der das Seinsverständnis gewährleistet, einschiebt, reduziert sie das Andere
  auf das Selbe“ (TU, S. 51)

• Lèvinas kritisiert am abendländischen Denken, dass „das existierende Individuum
  in dem gedachten Allgemeinen abdankt“ (aaO). Das Individuum, das stets nur als
  das „Andere“ erscheinen kann, wird dann zum Exemplar innerhalb meines Den-
  kens und meiner Welterkenntnis. Lèvinas spricht hier von „ontologischem Impe-
  rialismus“ (TU, S. 53)
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• Der „ontologische Imperialismus“ hat zur Folge, dass der Erkennende immer „der
  Selbe“ bleibt, immer im Denken mit sich befasst und auf sich bezogen. Der Erken-
  nende ist dadurch frei:
• „ Dies ist die Definition der Freiheit: sich trotz aller Beziehung mit dem Anderen gegen das Andere
  Halten, die Autarkie eines Ich sichern“ (TU, S. 55)

• Die „erste Philosophie“ als Ontologie ist „die Reduktion des Anderen auf das
  Selbe“ (aaO). Das Sein des Anderen geht in seiner Exemplarität auf. Der, die, das
  Andere wird „unpersönlich“.

• Diese „Unpersönlichkeit“ überträgt sich auf das Sein im Ganzen. Das Sein selbst
  wird „unpersönlich“ bzw. „anonym“ ( (TU, S 57)
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• Die „Anonymität“ des Seins „das unpersönliche Sein des Seienden gestattet den
  Zugriff auf das Seiende, die Herrschaft über es; die Gerechtigkeit wird der Freiheit
  untergeordnet“ (TU, S. 54)

• Indem der, die, das Andere seiner Andersheit durch begriffliche Fassung und De-
  finition beraubt wird, verliert es sein Existenzrecht als Anderes. Es wird verfügbar,
  wird meines. Es gehört mir nun, weil ich es benennen kann.

• Dadurch werde ich von der Andersheit des Anderen frei und damit, insbesondere
  in einem bewusstseins- und transzendentalphilosophischen Sinne, selbstbestim-
  mend und selbstgenügsam. Das Eigenrecht des Anderen in seiner Andersheit, die
  Personal- und Sachgerechtigkeit wird dadurch der Freiheit des Ich untergeordnet.
Das philosophische Café
• Konflikte, in den Wissenschaften oder der Gesellschaft, werden so immer unter
  Bezug auf das allgemeine, die anerkannten Theorien und Modelle, die allgemein
  gültigen Gesetze und Vorschriften entschieden.

• Die Konfliktlösung geschieht durch die Entindividualisierung der Konfliktherde.
  Die gefundenen Lösungen werden aber dem Einzelnen nie gerecht. Sie lassen
  den, die, das Einzelne dahinter verschwinden.

• Die Freiheit des erkennenden Subjekts besteht nach Lèvinas darin, dadurch nie
  mit etwas anderem als „dem Selben“, dem Allgemeinen, dem Vereinheitlichten
  konfrontiert zu werden: das „Andere“ wird als bloßer Teil „des Selben“ aufge-
  hoben, in seiner Fremdheit vernichtet.
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• 4. Das Antlitz des Anderen

• Der Blick des Anderen führt bei Sartre dazu, dass das erkennende Ich objektiviert
  wird. Die Betrachtung durch den Anderen macht aus dem Ich einen Gegenstand,
  mit Substanz und Eigenschaften. Das Ich wird durch den Blick des Anderen in
  seinem Dasein als Exemplar bestimmt, das – nach der Terminologie Lèvinas – in
  das Selbe eingeordnet werden kann.

• Bei Sartre gewinnt das Ich durch den Blick des Anderen seine Bestimmbarkeit und
  seine von der jeweiligen Situation abhängige Möglichkeiten, den anderen und
  seinen Blick mitsamt dessen objektivierender Bestimmungen meines Selbst zu
  transzendieren: durch die die Wahl und die Tat.
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• Nach Lèvinas wird nicht das Ich vom Du objektiviert, sondern in der abendländi-
  schen Philosophie – so sein Vorwurf – das Du vom Ich. Seine fremdartige Existenz
  wird in der Allgemeinheit der Begriffe der Metaphysik, insbesondere der Onto-
  logie aufgelöste.

• Während bei Sartre das Ich seine selbstgestaltende Kraft erst auf Grund seiner
  Objektivierung „wirklich“ entwickeln und sich durch Wahl und Handlung als freie
  Existenz, die jeder Essenz vorausgeht, be- und ergreifen kann, geht bei Lèvinas
  die objektivierte Andersheit des Anderen im Selben des erkennenden Ich für
  immer verloren.
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• Nach Lèvinas muss daher das erkennende, be- und ergreifende Ich davon abge-
  halten werden, in dieser Weise auf den, die, das Andere zuzugreifen. Der „Frei-
  heit“ des Zugriffs des erkennenden Ich muss eine Grenze gesetzt werde.

• Diese Grenze zieht die „Gerechtigkeit“, die „Rücksicht auf den Anderen“ und
  dessen Unabhängigkeit in seiner Fremdheit.

• Wodurch aber wird diese Grenze gesetzt, das Stoppschild vorgezeigt: Nach
  Lèvinas durch das Gesicht, das Antlitz des Anderen. Das Antlitz des Anderen blickt
  nicht das Ich an, sondern das Ich blickt in des Anderen Antlitz. Es ist eine Ände-
  rung der Blickrichtung, die das Denken Sartre´s und Lèvinas´ in dieser Hinsicht
  trennt.
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• Das Antlitz des Anderen ist dabei kein Gegenstand der theoretischen oder prak-
  tischen Erfahrung und Erkenntnis, wie Steine, Häuser, Autos etc. ja sogar dessen
  Leib. Im Antlitz des Anderen steht das Ich dem „Anderen“ nicht erfahrend gegen-
  über, es wird vielmehr vom Anderen „empfangen“.

• Für Lèvinas ist das Verhältnis von Ich und dem „Anderen“ von „Ich und Du“,
  vergleichbar mit dem von Gast (Ich) und empfangendem Gastgeber (Du): es ist
  der „Empfang durch ein Seiendes von absolut anderem Sein“ (zitiert nach WS, S.
  84)

• Der Andere geht „über jedes Maß der Macht und der Freiheit des Ich hinaus. Das
  Unverhältnismäßige zwischen dem Anderen und dem Ich – ist genau das morali-
  sche Bewusstsein“ (zitiert nach WS, S. 88)
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• Diese Andersartigkeit des Antlitz des Anderen, stellt bei Lèvinas nicht nur das
  Selbstverständnis des Ich in Frage, es bedroht das Ich sogar in dessen Freiheit:
• „Das Gesicht des Anderen stellt die mit sich glückliche Spontaneität des Ich in Frage, jene lustvolle
  Kraft, die sich freien Lauf lässt“ (aaO)

• In einer Talmud-Auslegung formuliert Lèvinas dies folgendermaßen:
• „Im Gesicht durch die irreduzible Differenz des Jenseits heraus zwischen dem mir Gegebenen,
  Verständlichen und zu meiner Welt Gehörigen und dem, was unter der so konstituierten Ordnung
  sich entzieht, beunruhigt und wach macht“. (derselbe; Neue Talmud Lesungen, Frankfurt am
  Main, 2001, 32, 36)

• Das Antlitz des Anderen ist nicht von dieser objektiven (Erfahrungs-) Welt
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• Diese Furcht um den Anderen ist die Grundlage der Ethik Lèvinas´. Sie ist radikale
  Verantwortung für den Anderen.
• „Sich wegen seiner Daseinsberechtigung ver-antworten müssen, nicht unter Berufung auf die
  Abstraktion irgend eines anonymen Gesetzes, auf irgend eine juristische Einheit, sondern aus
  Furcht um den Anderen. … Furcht wegen all dem, was mein Dasein, ungeachtet seiner inten-
  tionalen und bewussten Unschuld, an Gewalt und Mord verüben könnte … Furcht, die mir aus
  dem Antlitz des Anderen entgegenkommt“ (derselbe, Zwischen uns, München 1995, S. 181; Im
  folgenden ZU)

• Nicht von ungefähr erinnert die Extremerfahrung des Tötens und des Todes an
  Heideggers „Vorlaufen in den Tod“, nur dass es bei Lévinas nicht die Vorstellung
  des Todes des daseienden Ich, sondern die des dem Tode ausgesetzten Du
  betrifft.
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• „Antlitz in seiner Direktheit des Von-Angesicht-zu-Angesicht, Direktheit des unvorhersehbarem
  Tod und geheimnisvoller Vereinzelung Ausgesetztseins. Sterblichkeit – über die Sichtbarkeit des
  Enthüllten hinaus – und vor allem Wissen um den Tod“ (ZU, S. 182)

• Ethik bedeutet für Lèvinas, „ den Nächsten nicht in seiner tödlichen Einsamkeit
  alleine zu lassen“ (ZU, S. 183)

• „Die Bedeutung des Todes liegt in der ganz konkreten Unmöglichkeit für mich, den Anderen in
  seiner Einsamkeit im Stich zu lassen, in dem an mich ergehenden Verbot, ihn im Stich zu lassen.“
  (aaO)
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• Eine ethische Beziehung entwickelt sich nach Lèvinas nur in der konkreten Bezie-
  hung zwischen einem Ich und einem Anderen, die frei von allen allgemeinen
  Regeln und Vorschriften ist und frei von jeder Theorie. Sie ist konkret hier und
  jetzt und fordert mich zur Entscheidung heraus.

• Hier kommt Lèvinas mit Sartre überein. Es kommt auf meine Wahl und Entschei-
  dung angesichts des nackten und ausgelieferten Antlitzes des anderen an. Aber
  Lèvinas kennt anders als Sartre ein Verpflichtung durch den Anderen in seiner
  Verletzlichkeit und Hilflosigkeit, und nicht – wie bei Sartre – in seiner Verantwor-
  tung im Hinblick auf einen den Menschen in seiner Allgemeinheit repräsentieren-
  den Selbstentwurf.

• Lèvinas Ethik steht gegen die „Anonymität der Metaphysik“ (ZU, S. 63)
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• Lèvinas entwickelt aus dem Vorrang der Ethik vor der Theorie, vor der Meta-
  physik des Allgemeinen, seinen Begriff der Nicht- Gleichgültigkeit, der Non-In-
  Differenz
• „Geist ist nicht das Ausgesagte, er ist das Sagen, dass vom selben zum anderen geht, ohne den
  Unterschied zwischen ihnen aufzuheben. Es bahnt sich einen Weg, da wo nichts gemeinsam ist.
  Nicht-Gleichgültigkeit Non-In-Differenz des einen gegenüber dem anderen! Mit der Geistigkeit
  des ich, das bei Marcel, wie bei Buber, vom Du wachgerufen wird, kommt ein neuer Sinn zu Gel-
  tung. Weder Nichtidentität des Identischen und des Nichtidentischen, noch deren Identität! (ZU,
  S. 85)

• Lèvinas` Lösung der „Quadratur des Kreises“, das Selbe (das Ich) und das Andere,
  Fremde (das Du) so zu erfassen, dass eine Beziehung und ein Verstehen möglich
  sind, und an der die theoretische Philosophie und Metaphysik aus seiner Sicht
  gescheitert sind, findet er im Begriff der Nicht-Gleichgültigkeit gegenüber dem
  Anderen.
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• Diese Verantwortung geht bei Lèvinas der Freiheit voraus, folgt ihr nicht wie bei
  Sartre erst nach (derselbe, Die Spur des Anderen, Freiburg i.Br., 2017, S. 327)

• Das Ich wird vom „Anderen“ vollständig zur „Geißel“ (frz. „otage“) genommen,
  ohne sich dem entziehen zu können:
• Der Begriff der Geißel bedeutet einen Umsturz der Auffassung, die in der Gegenwart – im Ich bei
  sich – den Anfang der Philosophie sieht. Ich bin nicht nur mein Ursprung, sondern durch den An-
  deren aus der Fassung gebracht. Von ihm ohne Urteil abgeurteilt, ohne reden zu können, verfolgt.
  Aber wir haben gezeigt, dass es noch mehr braucht: Man muss für den Verfolger einstehen kön-
  nen. Daher der Begriff einer Verantwortung, die der Freiheit vorausgeht“ (aaO)

• Lèvinas hat damit die gesamte Bewusstseins- und Subjektphilosophie „aus der
  Fassung gebracht“. Er setzt an am Anspruch des „ganz Anderen“ an mich.
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• Diese Macht des Anderen und seines Antlitz´ zur Unterwerfung des Ich speist sich
  aus dem was Lèvinas „die Spur“ nennt:
• „Doch die Spur ist nicht einfach noch ein Wort: sie ist die Nähe Gottes im Antlitz meines
  Nächsten“ (ZU, S. 78)

• Die Kraft des Antlitz des Anderen erwächst daraus, dass es eine Spur zu Gott, dem
  Absoluten, dem ganz Anderen legt, bei dem die Frage gestellt werden muss, „ob
  der wahre Gott jemals sein Inkognito lüften kann, ob die ausgesprochene Wahr-
  heit nicht sogleich als nicht ausgesprochen erscheinen müsste“ (ZU, S. 77)
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• 5. Die Spur

• „Die Nacktheit des Antlitzes ist ein Losgerissen-werden vom Kontext der Welt, von der Welt, die in
  Form eines Kontextes Bedeutungen trägt. Das Antlitz ist genau das, woran sich das Ausnahmeer-
  eignis des von-Angesicht, das von der Fassade des Hauses und der Dinge nur nachgeahmt wird,
  ursprünglich zuträgt. Doch diese coram-Beziehung ist auch nackteste Nacktheit, das Wehrlose
  und Ohnmächtige selbst, die Entblößung und Armut der Abwesenheit, die Gottes Nähe konstitu-
  iert: die Spur“ (ZU, S. 78)

• Für das Verständnis des „Anderen“, des Fremden, des Du bei Lèvinas ist das
  Konzept, das sich hinter dem Begriff der „Spur“ verbirgt unerlässlich. Die „Spur“
  ist ein Zeichen mit einer Bedeutung, „die der Ontologie entgeht“ ( Emmanuel
  Lèvinas, Die Spur des Anderen, Freiburg i.Br., 2017, S. 230; im Folgenden SP)
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• Die Rede Lèvinas von der „Spur“ als Zeichen ist jedoch erläuterungsbedürftig,
  denn „die Spur ist nicht ein Zeichen wie jedes andere. Aber sie hat auch die
  Funktion des Zeichens. Sie kann als Zeichen gelten.“ (SP, S. 230)

• Nehmen wir die Spur eines Bären in der Wildnis Alaskas. Gehen wir davon aus,
  dass wir „Fußspuren“ finden und große abgerissene Äste, Kothaufen und Reste
  gerissener Beutetiere. Nichts von alledem repräsentiert den Bären, nicht einmal
  die Fußspuren. Alles sind jedoch Indizien dafür, dass hier ein Bär entlanggelaufen
  ist. Aber auch der „Lauf des Bären“ wird nicht repräsentiert, auch auf ihn gibt es
  nur Hinweise.
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• Die Spur gibt jedoch keine Sicherheit dafür, dass wir den Bären jemals finden.
  Und doch ist der Bär in seiner Spur in eigenartiger Weise da. Er hat eine Spur
  hinterlassen, wenn auch nicht beabsichtigt. Wir wissen, er war da, auch wenn wir
  ihn nie zu Gesicht bekommen.

• Die Spur hat die Wirkung, das Abwesende zur Anwesenheit zu bringen, nicht als
  dessen Repräsentation, sondern als sichtbaren Verweis auf das nicht oder noch
  nicht Offenbare.

• Vor diesem Hintergrund entwickelt Lèvinas seinen Begriff der „Spur“ und der
  „Illeität“ (von lat. „ille“ = Jener)
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• Lèvinas Begriff der „Spur“ ist das Zentrum seiner Philosophie des Anderen. Er
  entwickelt diesen philosophisch und theologisch weiter. Im Folgenden werden wir
  durch die Schreibung mit Großbuchstaben als SPUR kenntlich machen, wenn wir
  diese in Lèvinas´ Terminologie verwenden.

• Den Begriff der SPUR bindet Lèvinas an den des „Jenseits“ zurück. Und er verän-
  dert dabei und damit das Verhältnis von Zeichen, Bedeutung und Bedeutetes.

• Während in der Semiotik das Zeichen auf ein Bezeichnetes im Sinne eines Be-
  deutens verweist, Richtung auf das Bezeichnete nimmt und damit auch auf seine
  „Richtigkeit“ zu prüfen ist, „bedeutet“ die SPUR das Jenseits in einer völlig neuen
  Weise.
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• „Das Bedeuten der Spur versetzt uns in eine seitliche Beziehung; sie kann nicht in
 Richtigkeit umgewandelt werden“ (SP, S. 229)

• Das „Bedeuten“ der SPUR entzieht sich so jeder Eindeutigkeit. Es gibt kein richtig
  oder falsch. Man kann der SPUR nur folgen, aber sie repräsentiert nichts, nichts
  was wir beurteilen und über das wir – und sei es nur durch Begriffe – verfügen
  könnten.

• „Ein solches Bedeuten ist das Bedeuten der Spur. Das Jenseits, von dem das Ant-
  litz kommt, bedeutet als Spur“ (SP, S. 228). Das Antlitz ist so Indiz oder Indikator
  des Jenseits, das als solches nicht erfahrbar, nicht begreifbar und nicht versteh-
  bar ist. Dies gilt sowohl für das leuchtende Antlitz Gottes in der Bibel wie für das
  Antlitz des Anderen, des konkreten Nächsten.
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• „Die ganze Ungeheuerlichkeit, die ganze Maßlosigkeit, die ganze Unendlichkeit
  des absolut Anderen, die der Ontologie entgeht“ nennt Levinas „Illeität“ (SP, S.
  230)

• Das Kunstwort „Illeität“ („Jenerheit“) verwendet Lèvinas um zu zeigen, dass es
  dabei weder um „das Sein“ im Sinne Heideggers noch um das „Seiende“ im Sinne
  der abendländischen Metaphysik geht. Das „Jenseits“ ist für Lèvinas keine „Welt
  hinter unserer Welt“ (SP, S. 228)

• Das Antlitz des Anderen ist weder „Entbergung noch Verbergung“ des Fremden
  oder Jenseitigen, denn damit wäre dieses noch in der Welt. Das Antlitz eröffnet
  einen „dritten Weg“ (aaO), den wir mit Lèvinas als „In-der-Spur-sein“ bezeichnen
  können. Im Folgenden soll versucht werden, diesen Gedanken darzustellen.
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• 6. Der Andere als „In der Spur sein“

• Lèvinas Denken des Anderen ist radikal. Es befasst sich mit dem „absolut Ande-
  ren“ (SP, S. 214), das in dieser Weise in der abendländischen Philosophie nicht
  gedacht werden kann.

• Das, was den Anderen zum „absolut Anderen“ macht, ist sein Antlitz, das nicht
  mit dessen körperhaften Gestalt und Physiognomie verwechselt werden darf. Das
  Antlitz des Anderen ist keine „wahre Vorstellung“ (SP, S. 222), womit gesagt sein
  soll, dass es weder Inhalt meines Bewusstseins von der Welt noch Gegenstand
  der Erfahrungswelt ist.
• „Das absolut Andere spiegelt sich nicht im Bewusstsein“ (SP, S. 223)
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• „Seiner Form entkleidet, ist das Antlitz durch und durch Nacktheit. Das Antlitz ist Not. Die Nackt-
  heit des Antlitzes ist Not, und in der Direktheit, die auf mich zielt, ist es schon inständiges Flehen.
  Aber dieses Flehen fordert. In ihm vereinigt sich die Demut mit der Erhabenheit“ (SP, S. 222 f.)

• Das Antlitz des Anderen ist Indiz, SPUR, der absoluten Andersheit und Fremdheit,
  die Lèvinas „Illeität“ nennt, um sie vor den Missverständnissen der antiken und
  christlichen Jenseitsvorstellungen zu bewahren.
• „Die Epiphanie des absolut Anderen ist Antlitz“ (SP, S. 224)

• Das Antlitz des Anderen, sei es das leuchtende Antlitz Gottes in der Thora, sei es
  das Antlitz des Nächsten, macht die „Illeität“ zugänglich.
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• Lèvinas Bemühungen, das „absolut Andere“ zur Sprache zu bringen, bewegen
  sich im Grenzbereich von Philosophie und Literatur, von phänomenologischem
  Aufweis und einem Denken am Rande von Geheimissen, was ihm zum Teil den
  Vorwurf des Irrationalismus eingetragen hat.

• Lèvinas versucht die absolute Transzendenz sichtbar zu machen, obwohl er weiß,
  dass die Immanenz geschlossener Argumentations- und Denksysteme „immer
  gewinnt“.

• Heideggers Dilemma ist auch das Dilemma von Lèvinas: das Unsagbare sagen zu
  wollen. Er versucht es mit den Konzepten der SPUR und der Illeität.
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• Lèvinas setzt gleichwohl zunächst an unserer Erfahrung des Anderen in der
  Lebenswelt an, aber er unterscheidet diese von dessen „Epiphanie“, der altgrie-
  chischen Bezeichnung für die Erscheinung des Göttlichen:
• „Gewiss geschieht die Erscheinung des Anderen zunächst in derselben Weise, in der alle Bedeu-
  tung hervortritt….Aber die Epiphanie des Anderen trägt ein eigenes Bedeuten bei sich, das unab-
  hängig ist von dieser aus der Welt empfangenen Bedeutung. Der Andere kommt uns nicht nur aus
  dem Kontext entgegen, sondern unmittelbar, er bedeutet durch sich selbst.“ (SP, S. 220 f)

• Die Epiphanie des Antlitzes des Anderen geschieht im Ausgang von einer absolut
  fremden Sphäre:
  „Der Eintritt des Antlitzes in unsere Welt geschieht im Ausgang von einer absolut fremden Sphäre
  – d.h. aber gerade im Ausgang von einem Absoluten, was übrigens der eigentliche Name der
  tiefen Fremdheit ist“ (SP, S. 222; Hervorhebung von Lèvinas)
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• Das Antlitz selbst bedeutet nicht, es steht für nichts, es repräsentiert nichts. Die
  SPUR selbst bedeutet, nämlich die „Illeität“.
• „Nur ein Wesen, das die Welt transzendiert, kann eine Spur hinterlassen. Die Spur ist die
  Gegenwart dessen, was niemals da war.“ (SP, S. 233)

• Die „absolute Gegenwart des Anderen“, die „nicht die simple Gegenwart < sc.
  ist>, in der auch die Dinge zugegen sind“ (SP, S. 234) lässt uns auf die SPUR
  stoßen.

• Wir stoßen nach Lèvinas auf die SPUR, weil sich das Antlitz des Anderen in der
  SPUR befindet. In dieser SPUR findet die „Bewegung der Begegnung“ statt, die
  Martin Buber als Beziehung „Ich-Du“ beschrieben hat (SP., S. 235)
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• 7. Zusammenfassung: Lèvinas Einsicht

• Lèvinas Philosophie ist gegenüber anderen, nicht nur französischen Philosophen,
  originell. Sie sucht keinen Anschluss, sondern grenzt (sich) ab. Er will der abend-
  ländischen Metaphysik und auch der europäischen Metaphysikkritik eine beson-
  dere Art jüdischer Philosophie oder jüdischen Denkens entgegensetzen.

• Werner Stegmaier hat den Grundzug der Philosophie von Lèvinas mit folgendem
  Schlagwort beschrieben: „ Jüdische Singularität jenseits der griechischen Univer-
  salität“ ( WS, S. 210). Es geht Lèvinas darum, „das Allgemeine vom Besonderen
  aus zu überwachen“ (derselbe, Jenseits des Buchstabens, Frankfurt am Main,
  1996; zitiert nach WS, S. 212)
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• Im Talmud findet Lèvinas einen Gegenentwurf gegen „die These, die die univer-
  selle Ordnung über die inter-individuelle Ordnung stellt“ (WS, S. 216)
• „Das verletzte Individuum muss immer individuell besänftigt, angesprochen und getröstet wer-
  den; die Vergebung Gottes – oder die Vergebung der Geschichte – kann nicht gewährt werden,
  ohne dass das Individuum respektiert wird. … Der Friede kehrt nicht in einer Welt ohne Tröstun-
  gen ein.“ (Levinas, Vier Talmud-Vorlesungen, Frankfurt am Main 1993; Zitiert nach WS, S. 216).

• Das Individuelle erweist sich für Lèvinas dabei nicht am Ich der abendländischen
  Philosophie weder am Subjekt der Metaphysik noch am Dasein der Existenzphi-
  losophie, sondern am Anderen, am Du. Hierin folgt Lèvinas Buber.

• Dagegen ist das Ich nicht in Beziehung zum Du wie in Bubers „Ich-Du“. Es begeg-
  net vielmehr dem Du als absolut Anderem.
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• Das Du bekommt damit den Status des absolut Anderen, das das Ich nur soweit
  verstehen kann, als es ihm zuruft: „Du sollst mich nicht töten!“

• Es ist der Zuruf der absoluten Verantwortlichkeit für den Anderen. Im Übrigen
  bleibt der Andere fremd: eine Zumutung

• Oder – wie Lèvinas sagt – eine „Heimsuchung“, die die „Ichbezogenheit des Ich
  umstürzt“ (SP, S. 223)

• „Es handelt sich um eine Infragestellung des Bewusstseins und nicht um ein Bewusstsein der In-
  fragestellung. Das Ich verliert die unumschränkte Koinzidenz mit sich, seine Identifikation, durch
  die das Bewusstsein siegreich auf sich zurückkommt, um in sich selbst zu ruhen“ (aaO)
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• Der Andere kann uns zu Gott führen, indem er uns unserer Verantwortung für das
  Andere bewusst macht, nicht im Sinne der Theorie, sondern der absoluten Ethik.

• Das Wesen des Menschen als Ich ist seine Verantwortlichkeit, aber nicht wie bei
  Sartre als bloß formale, als bloßer Vollzug der Wahl und der Entscheidung, son-
  dern als Verpflichtung zur Rettung des Anderen, der ihn – ohne sein Verschulden
  – heimsucht und ihn verfolgt und unterwirft.

• Der Andere bleibt dabei dem Ich absolut fremd, als ein ewiges Begehren des
  Anderen (SP, S. 219), der sich doch immer wieder entzieht.
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