Cäsarenwahn und "Pressefreiheit" - "Wir erlebten das Äußerste an Knechtschaft"
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Cäsarenwahn und „Pressefreiheit“ Cäsarenwahn und „Pressefreiheit“ – „Wir erlebten das Äußerste an Knechtschaft“ Die pax Augusta dauert fort, auch nach der sich sogar in den Dienst des augusteischen hochfestlich zelebrierten Bestattung des Prin- Erneuerungsprogramms, in dem er die „guten ceps. Der geschaffene Frieden verliert seinen Beispiele“ der echten Männer der Frühzeit in Zauber nicht. Er überdeckt schützend wie ein seinen „Annalen“ nachdrücklich zur Geltung Baldachin das neue Zeitalter, obwohl dessen bringt. Er propagiert das ideologische Pro- Gold bald seinen Glanz verliert. Augustus’ gramm des Herrschers – darin den Dichtern Nachfolger disqualifizieren das Imperium, im am Cäsarenhof kaum hintanstehend. „Vergil, Innern und nach außen. Woher wissen wir Horaz und Livius sind der dauernde Ruhm des dies? Eine kritische Presse ist nicht am Werke. Prinzipats. Alle verkehrten mit Augustus in C. Iulius Caesar führt zwar unter seinem Kon- einer Art persönlicher Freundschaft.“ So der sulat 59 v. Chr. die sog. Acta diurna („Tägliche englische Historiker Ronald Syme.2 Geschehnisse“) ein, ein tägliches Nachrich- ten-Bulletin, das über Verhandlungen im Senat Cäsarenlob bei Velleius Paterculus oder Gericht, auch über Gesellschaftsklatsch Auch nach Augustus’ Tod stehen die Historiker – wohl in öffentlichen Aushängen – berichtet, im Banne der monumentalen Größe des ersten kritische Kommentare zur Regierung jedoch Princeps. Dessen RES GESTAE, weltweit propa- sind da allerdings fehl am Platz. Im Gegenteil. giert, türmen sich als imperiale Leistungsschau Diese Nachrichten werden unter Augustus sogar vor jeden so mächtig auf, dass daran aller intel- zum Sprachrohr für Propaganda, genauso wie lektueller Widerstand scheitert. Schlagender auch die Münzen, deren Aufprägung in Schrift Beweis ist der Historiker Velleius Paterculus, (z. B. „Pax Augusta“) oder Bild (z. B. „Sieg über der, 20 v. Chr. zu Augustus’ Lebezeiten geboren, die Parther“) Botschaften des Cäsarenhofes bis sein Werk „Römische Geschichte“ wohl erst in die entferntesten Teile des Imperiums tragen. unter seinem Nachfolger zu schreiben beginnt. Im Jahr 30 n. Chr. hat er es veröffentlicht. Er Unkritische Historiographie? widmet darin der Herrschaft des Tiberius „eine „Mit dem Untergang der Republik erstarb in begeisterte Schilderung“ (Anton D. Leemann)3 Rom die freie politische Diskussion“ (Barbara und erkennt im Prinzipat den Höhepunkt der Maier).1 Raum für eine objektive Darstellung römischen Geschichte. Demzufolge erfährt der öffentlichen Ereignisse böten allenfalls die dessen Schöpfer einen Lobpreis, der alle bishe- Werke der zeitgenössischen Historiker. Doch rigen Rekorde bricht. Ein ganzes Kapitel 2, 89 deren Objektivität leidet unter dem Druck der stellt darin, wie Velleius selbst sagt, ein „Gesamt- allgemeinen Hochstimmung, auch durch die bild des Prinzipats“ (universam imaginem prin- Nähe der Autoren zum Herrscherhaus. Von cipatus) unter Augustus dar, es mit hymnischen solcher „Presse“ ist zudem wenig erhalten Tönen wohlkomponierend. geblieben. Livius, der große Historiker im „Gol- Der Lobpreis setzt geradezu mit einem Furi- denen Zeitalter“, steht, von Augustus gefördert, oso ein, indem der Princeps mit den Himm- dem Regime eher kritiklos gegenüber, stellt lischen gleichgesetzt wird. Nichts könnten die FC 1/2019 23
Friedrich Maier Menschen von den Göttern erbitten, nichts Panegyrisch im Ton, präzis in der Aussage könnten die Götter den Menschen bieten, nichts zielt dieser Bericht auf die Verherrlichung des lasse sich in ein Gebet fassen, nichts am Glück Begründers des Prinzipats. Enthält er doch vervollkommnen, was nicht Augustus nach alle von Augustus selbst verkündeten „Res seiner Rückkehr in die Hauptstadt für den Staat, gestae“. Ganz massiv ins Auge springt dabei für das römischen Volk und für den ganzen die massierte Verwendung von Verben mit der Erdkreis Wirklichkeit habe werden lassen. Vorsilbe „re-“: revocata, restituta, redactum, Der Leistungskatalog des „Staatsführers“, der revocata, rediit. Das ideologische Programm offensichtlich seine uneingeschränkte Gültigkeit der „Restauration“, wie es Augustus selbst for- bewahrt hat, wird anschließend – stilistisch muliert hat, spiegelt sich in diesem Text ab. Die ausgefeilt –, in geraffter Folge aufgeführt: Elemente der Prinzipatsideologie – man vgl. „Beendet sind im 20. Jahr die Bürgerkriege, etwa Horaz’ Augustus-Preis – sind, so scheint begraben die Kriege gegen die äußeren Feinde, es, zu gängigen Klischees der Herrschaftsbilanz eingeschläfert ist die rasende Furie der Waffen, des Princeps geworden. Dabei ist die Struktur zurückgerufen der Frieden, zurückgegeben die dieses „Fürstenspiegels“ raffiniert angelegt. Die Kraft den Gesetzen, den Gerichten das Ansehen, „Fakten“ sind so zueinander geordnet, dass dem Senat die Würde. Die Befehlsgewalt der gleichsam in ihrem Zentrum die Formel der Ämter ist auf das ursprüngliche Maß zurückge- pax revocata („der zurückgerufene Frieden“) zu schnitten: Nur acht Prätoren sind hinzugewählt stehen kommt. worden. Nach Rückgewinn jener frühen und Die Leitidee der augusteischen Ära, das, was altehrwürdigen Form des Staates, ist auf die Felder die ganze Epoche trägt und die Herrschaft des die Pflege, in die Heiligtümer die Ehrfurcht, für die einen Mannes legitimiert, wird durch Stil und Menschen die Sicherheit, für jede einzelne Person Struktur nachhaltig herausgehoben, geradezu der sichere Besitz seiner Habe zurückgekehrt; mit plakativer Wirkung. Im Rückblick erscheint verbessert worden sind Gesetze auf nützliche, neu Augustus vorbehaltlos anerkannt, im Voraus- eingebracht auf heilsame Weise. blick wird für Tiberius, seinem Nachfolger, der Der Senat ist ohne raue Härte, nicht aber Boden dazu bereitet, die „wiederhergestellte“ ohne Strenge gewählt worden. Führende res publica unter seine imperiale Führung zu Männer, die Triumphe und höchste Ehren nehmen – ein Beleg dafür, dass, wie Werner erreicht haben, sind auf Veranlassung des Prin- Suerbaum annimmt, der Begriff „res publica ceps zur schmuckvollen Ausgestaltung der Stadt in der Kaiserzeit zu einem Schlagwort der auserwählt worden. […] kaiserlichen Propaganda geworden ist“.4 Diese Die vom Imperator geführten Kriege und Formulierung wirkt sinnentleert, fast zur Phrase die durch Siege befriedete Welt sowie wie alle ausgehöhlt, sie lässt etwas von der „inneren seine außerhalb und in Italien vollbrachten Unwahrheit“ (Carl Becker) 5 des Prinzipats Leistungen würden einen Geschichtsschreiber, erahnen. Entlarvend ist auch: Der Begriff der wollte er sein ganzes Leben allein auf deren Freiheit (libertas), deren Wiedergewinnung von Darstellung verwenden, in den Zustand der Augustus in seinem „Tatenbericht“ als stolze Erschöpfung bringen.“ Leistung betont wird, bleibt hier unerwähnt, (Velleius Paterculus, Historia 2, 89 m. A., er hat aufgehört, eine politisch relevante Größe Übersetzung: F. Maier) 24 FC 1/2019
Cäsarenwahn und „Pressefreiheit“ zu sein. Für Freiheit, auch im Sinne der freien Cremutius Cordus – ein Mann, dem Tacitus in Meinungsäußerung, ist die Uhr abgelaufen. seinem Geschichtswerk „ein leidenschaftliches Plädoyer für die Freiheit der Geschichtsschrei- Cremutius Cordus’ Selbstmord auf Befehl bung“ (Werner Suerbaum)8 in den Mund legt. Die „documenta di propaganda“, wie der Italie- Ein Scherge des Princeps zwingt ihn zum Selbst- ner Italo Lana6 das Geschichtswerk des Velleius mord. Eine „inoffizielle“ Hinrichtung ähnlich nennt, sind nicht für Augustus geschrieben; der der, wie sie Cicero durch Marcus Antonius mit gilt dem Autor nur als Vorläufer des von ihm Octavianus’ Duldung widerfahren ist. Mit ihm hofierten Cäsaren; jener ist nur der Inaugura- stirbt nochmals die Freiheit des Wortes. Der tor des neuen Systems. Indirekt soll jedoch die Prinzipat ist zu einer grausamen Autokratie begeisternde Hymne auf Augustus auch ein entartet. Vollends unter Tiberius erweist es gleißendes Licht auf Tiberius werfen. Der Nach- sich, dass – wie Ronald Syme meint - die Sache folger freilich fällt dem ersten Princeps gegen- der Freiheit und die des Friedens unvereinbar über an Glanz und Größe mächtig ab. Velleius sind. „Als der Friede kam, war es der Friede des huldigt trotzdem seinem Herrn vorbehaltlos. Despotismus.“9 Nach seiner Vorstellung laufe die römische Geschichte über Caesar und Augustus auf ihren Der Freimut der Philosophen Höhepunkt unter Tiberius zu. Deshalb sind Cicero hat sich gegen die Rom und dem Impe- alle dunklen Ereignisse in dieser Entwicklung rium drohende Gefahr gestellt – von seinem übertüncht und ins Positive gewendet. „Dem patriotischen und staatsphilosophischen Gewis- Bild des römischen Imperiums fehlen bei ihm sen dazu getrieben. Sein Freimut kostet ihm die grausamen Züge“ (Michael v. Albrecht).7 das Leben. Nach ihm gelingt es der Philosophie Tiberius erscheint als der vollkommene nicht mehr, einen solch mutigen Kämpfer für Monarch. Verschwiegen bleiben die Intrigen die Freiheit auf die Bühne der Weltpolitik zu und Morde am Cäsarenhof. Die unter diesem stellen. Die Philosophenschulen, die zumal am Herrscher massenhaft einsetzenden Maje- Ende der Republik in Rom Wurzel geschlagen stätsprozesse, die fast alle mit der Hinrichtung haben, überstehen die Revolution. Doch welche der Angeklagten enden, finden ebenso wenig Rolle spielen sie unter Augustus? Die Epikureer einen Niederschlag im Geschichtswerk wie und Stoiker leben weiter. Doch engt der Prin- die Denunzierungen und falschen Beschuldi- zipat den Raum ihres öffentlichen Wirkens, gungen, die den politischen Schaumanövern überhaupt aller Diskussionskultur äußerst ein. vorausgehen. Freimütige Äußerungen oder gar In privaten Zirkeln leben und lehren sie ihr kritischer Widerspruch werden nicht gedul- Glücksprogramm. Der epikureischen Schule det, sie haben die härteste Strafe zu Folge. Ein kommt diese Entwicklung gewissermaßen ent- anderer Geschichtsschreiber unter Tiberius, gegen, denn der Grundsatz „Lebe im Verbor- hochangesehen und vielgelesen – leider ist von genen!“ wird ihnen jetzt zu einem politischen seinem Werk kaum etwas erhalten geblieben Gebot. Die Epikureer kehren wieder in ihre – wird verfolgt, mutmaßlich weil er die Caes- Gärten zurück. ar-Mörder Brutus und Cassius gerühmt hat, Dem Rückzug von der öffentlichen Bühne und kommt grausam zu Tode. Sein Name ist folgen die Stoiker nicht; es wäre wider ihre FC 1/2019 25
Friedrich Maier Überzeugung und die Fundamente ihrer Lehre. Entdeckung der Menschenrechte“ (Hasso Hof- Sie versuchen im neuen System ihrer philoso- mann)10 zu. Seneca, im spanischen Corduba phischen Doktrin Geltung zu verschaffen und um die Zeitenwende geboren, sollte nach dem mit der vom Herrscher anvisierten „Erneue- Willen seines dem Ritterstand angehörigen rung“ der Sitten und öffentlichen Moral ihre Vaters schon von klein auf im Herzen der Prinzipien vom moralisch richtigen Handeln Weltmacht heranwachsen. In Rom macht er in Einklang zu bringen. Augustus gilt ihnen sich deshalb mit der Rechtslehre und der Phi- als „starker Mann“, der den aus den Fugen losophie vertraut. Obwohl von schwächlicher geratenen Staat wiederherstellt und stabilisiert. Gesundheit steigt er etwa zur Lebensmitte in Die Stoiker wirken demnach über ihre privaten die Ämterlaufbahn ein, verlegt sich aber mehr Zirkel hinaus und vertreten – fast alle sind von und mehr auf das Verfassen philosophischer aristokratischer Abkunft – im Senat ihre Posi- Schriften. Wohl angeregt durch Erfahrungen tion – mit Zurückhaltung und Vorsicht, aber aus nächster Nähe widmet er sich in einem nicht ohne Widerspruch. Unter Augustus – er seiner Hauptwerke „Über den Zorn“ (De ira) hat ja die Freiheit dem Staat wiedergegeben – dem Problem der Affektkontrolle. Ruhe und scheint solche Opposition noch möglich. Man Gelassenheit setzt er gegen das bei zorniger hat noch Mut zur Freiheit des Wortes. Erregung aufkommende „unmenschliche Ver- Unter Tiberius erweist sich Opposition als langen nach Verwundungen durch Waffen und gewagt und gefährlich, zuweilen als tödlich. dem Blutbad der Hinrichtungen“. Eine For- Von den beginnenden Majestätsprozessen sind mulierung, die gewiss ein Reflex der aktuellen zumeist schon stoische Senatoren betroffen. Politik am Cäsarenhof ist und indirekt eine freie Die stoische Senatsopposition steht in der Fol- Meinungsäußerung im Schutz des philosophi- gezeit zunehmend unter dem Generalverdacht, schen Traktats. Feinde des Cäsarenhofes zu sein. Wo immer nur In der Frühgeschichte des Prinzipats gerät freiheitliches Denken aufglimmt, setzen Ver- Seneca persönlich nach Caligulas Tod (41 leumden, Denunzieren und Anklagen ein. Von n. Chr.) in die Mühlen der höfischen Intri- Caligula über Claudius bis Nero steigert sich das genspiele. Claudius, der nachfolgende Cäsar, Szenario. Der Furor der selbstherrlichen Staats- verbannt ihn aufgrund einer Verleumdung auf führer gipfelt im Cäsarenwahn Neros. Unter die Insel Korsika, wo ihm die Abgeschieden- ihm artet der Prinzipat zu nackter despotischer heit, der Verlust des weltstädtischen Lebens Willkür aus. Mit der Meinungsfreiheit wird nun zunächst scheinbar kaum Qualen bereitet. zugleich die „Pressefreiheit“ eingekerkert. Er verfällt nicht wie Ovid unter Augustus in Trauer. Zumindest tröstet er seine unglückliche Senecas bitteres Scheitern Mutter in einer „Trostschrift“ mit aufheiternden Leidtragender des neronischen Machtrausches Worten: ist Seneca, der stoische Philosoph. Sein Schick- „Lasse dir sagen, wie du dir mich vorstellen sal ist eng mit dem des Cäsaren verbunden. Als sollst: Ich bin fröhlich und lebhaft, als sei alles Stoiker lebt er in und für die Freiheit. Autoritäre zum Besten. Es ist ja auch alles zum Besten, da Selbstherrlichkeit trifft ihn ins Mark. Schreibt mein Verstand von jeder mühevollen Beschäf- man doch der Philosophie, die er vertritt, „die tigung entlastet ist, für eigene Arbeiten Zeit 26 FC 1/2019
Cäsarenwahn und „Pressefreiheit“ hat und sich manchmal an leichten Studien der Philosoph zum König“ (Platon, Politeia erfreut, manchmal sich zur philosophischen 473c–d). In Neros Adern fließt jedoch das Blut Betrachtung seines eigenen Wesens und der seiner Vorgänger; in seinen Genen stecken alle Beschaffenheit der Welt erhebt.“ Triebe zu exzessiver Lebensführung. Die Macht (De consolatione ad Helviam matrem 20,1, berauscht ihn. Senecas Werk „De clementia“, mit Übersetzung: Marion Giebel) der er den Regenten zu einem maß- und verant- wortungsvollen politischen Handeln anhalten Stoische Gelassenheit oder Verstellung der will, beeindruckt den zur Selbstreflexion unfä- Mutter zu liebe? Eher Letzteres. Der Philosoph higen Potentaten nicht oder kaum. Nero wird sehnt sich doch nach baldiger Rückkehr in die zum skrupellosen Gewaltherrscher, er lässt den große Welt. Bittschriften ergehen an den Cäsa- mit ihm konkurrierenden Stiefbruder Britan- renhof, seine Verbannung aufzuheben, da er das nicus ermorden, schließlich die eigene Mutter Unglück, von einem „niveaulosen und selbst durch einen inszenierten Schiffbruch gewaltsam einem relativ gebildeten Nichtrömern schwer zu Tode kommen. aufstoßendes Barbarengebrabbel umgeben zu Senecas Huldigung gegenüber dem Herr- sein“, auf die Dauer nicht ertragen kann. Also scher ist spätestens hier am Ende. Er zieht sich doch: Ovid lässt grüßen. Wie dieser klagt und aus dem politischen Machtzentrum zurück, fleht freilich auch Seneca umsonst. Nur dass zumal dort der Cäsarenwahn bislang unvorstell- „die Nachwelt ihm diesen Kotau, das Erzeugnis bare Kapriolen schlägt – bis hin zu monströser einer Depression, ziemlich übel genommen Entartung. Nero tritt bei den Olympischen hat“ (Manfred Fuhrmann).11 Später, aus der Spielen als Sänger auf, besingt beim Brand Roms Verbannung nach Rom zurückgekehrt, wird zur Leier den Untergang Trojas, berauscht sich er sogar Erzieher des jungen Nero, dem durch am Feuer der ans Kreuz geschlagenen Christen, innerfamiliäre Machenschaften die Nachfolge darunter Petrus und Paulus. Wie sollte solch im Prinzipat zugesichert ist; Seneca nimmt den „exorbitanter Brutalität“ (Georg Maurach)12 des „Kronprinzen“ unter seine philosophischen Tyrannen noch Einhalt geboten werden? Das Fittiche. offene, freie Wort wäre für jeden tödlich, auch Die Erziehung scheint zu gelingen. Mit oder erst recht für den einstigen Lehrer. sechzehn Jahren gelangt Nero zur Herrschaft, Im politischen Untergrund jedoch for- wobei er durchaus mit glücklicher Hand die miert sich der Widerstand zur „Entfernung Regierungsgeschäfte erledigt, von Seneca zum des Monstrums“ (Marion Giebel).13 Republi- guten Handeln geformt und aktiv unterstützt. kanische Senatoren, meist stoisch gebildete, Nero zeigt sich dem freien Wort seines Lehrers hecken unter der Führung eines gewissen Gaius zugänglich. Der Philosoph sitzt mit am Steuer Calpurnius Piso den Plan zu einem Attentat des Staatsschiffes. Wie hätte sich Platon, „der aus – nach dem Vorbild der Caesar-Ermordung. Fürst der abendländischen Philosophie“, darü- Doch die Verschwörung wird vorher verraten. ber gefreut! Sein Ideal verwirklicht sich, wie 65 n. Chr. wird zum Jahr der Rache des Wahn- es aussieht, im größten Imperium der Welt. sinnigen. Sie reißt auch den Philosophen mit in „Ein Staat wird erst dann glücklich sein, wenn den Abgrund. Der ist zwar, wie die Forschung entweder der König ein Philosoph wird oder annimmt, nicht unmittelbar am geplanten FC 1/2019 27
Friedrich Maier Komplott beteiligt, doch kommt ihm sicherlich ihn zum Selbstmord. „Welch Künstler stirbt mit „die Rolle des geistigen Wegbereiters“ zu. „Sein mir?“ (Qualis artifex pereo). Mit diesen Worten Name hatte die Bedeutung eines Fanals und auf den Lippen soll er sich den Dolch in den diente als Inbegriff dessen, was man erstrebte“ Hals gestoßen haben. Seine Schreckensherr- (Manfred Fuhrmann).14 Wie Cicero hinter der schaft ist 68 n. Chr. zu Ende. Doch das Grauen Verschwörung gegen Caesar, so steht Seneca macht nur eine kurze Pause. Das Geschlecht hinter der gegen Nero. Wie jener entkommt der Flavier stellt die nächsten drei Cäsaren: auch er der Hinrichtung nicht. Vespasian, Titus und Domitian. An die Spitze Der Philosoph wird am Cäsarenhof denun- des Imperiums gelangt bald, 81 n.Chr., mit Titus ziert; er weist die Beschuldigung zurück. Und Flavius Domitianus eine Cäsaren-Gestalt, die doch schickt Nero ihm einen Offizier mit der in autoritärem Gebaren und Brutalität Nero in Aufforderung zur Selbsttötung ins Haus. Nach nichts nachsteht – zumal gegenüber dem Senat Art des Sokrates verbringt Seneca die letzten und dem Freiheitssinn seiner Vertreter. Domi- Stunden seines Lebens im Gespräch mit seinen tian will absoluter Monarch sein, weshalb er für Freunden. Mit ihnen ist ihm die Freiheit des sich die Anrede „Herr und Gott“ (Dominus et Wortes noch möglich, anderen Menschen hin- Deus) fordert. terlasse er nach eigenen Worten – gewisserma- „Als er auf den Thron gelangte, impfte er ßen zu einem imaginären freien Gedankenaus- seinen Zeitgenossen ein, es sei keine Demüti- tausch – das Schönste, „das Bild seines Lebens“ gung, vor dem Kaiser zu Boden zu fallen und (imaginem vitae), das sich in seinen Werken und seine Knie schutzflehend zu umfassen. Denn in Wirken präsentiert. Seneca nimmt den Freitod Wirklichkeit rage auch der aufrechteste Mensch bewusst auf sich. Wer ihn ablehne, so meint er dem von göttlicher Kraft erfüllten Kaiser höch- schon in seinem 70. Brief, sehe nicht, „dass er stens bis an die Knie.“ (Reinhard Raffalt)15 der Freiheit den Weg versperrt.“ Der Philosoph Die religiöse Verehrung allerdings wollen stellt zwar seinen Tod zur Schau, letztlich aber die Senatoren Domitian, der u. a. auch den erträgt er seine „Hinrichtung“ wie sein Vorbild Titel „Augustus“ annimmt, auf keinen Fall Sokrates – frei und glücklich, in einem Zustand, zuteilwerden lassen. Sie konspirierten ein ums den man erreichen kann, selbst „wenn man in andere Mal. Weshalb sie sich den tödlichen Hass Ketten gelegt ist“ (Hans-Georg Gadamer). Er des Princeps zuziehen. Anhaltender Terror ist selbst schreibt: die Folge, gerichtet gegen die Meinungsfreiheit „Das verbürgt uns die Philosophie: heiter zu des Senats; vor allem deren stoisch gebildete sein selbst im Angesicht des Todes.“ Wortführer geraten ins Visier des Machthabers. (Epistula 4, 30, 3) Mäjestätsprozesse und Hinrichtungen schaffen eine Atmosphäre von Misstrauen, Furcht und Nachrufe – ein Kapitalverbrechen trotziger Widerspenstigkeit. So grausam wie Neros Leben, ist auch sein Tod. Sie manifestiert sich in einer neuen Form von Dem in seinem Künstler-Wahn Befangenen ver- indirekter Meinungsäußerung, gewissermaßen sagen am Ende selbst die Treuesten die Gefolg- von kritischer Presse. Die Literaten unter den schaft, auch das Heer. Der Senat erklärt ihn Oppositionellen schreiben Nachrufe auf hin- zum „Staatsfeind“. Allein gelassen drängt man gerichtete Vertreter ihres Standes und Ranges. 28 FC 1/2019
Cäsarenwahn und „Pressefreiheit“ Großen Gestalten von beispielhafter politischer Missgunst des Monarchen. Da er die Ideale der Korrektheit soll dadurch ein würdiges Geden- alten Republik vertritt, setzt er sich zwangs- ken in der Nachwelt gesichert werden. Im Spie- läufig hoher Gefahr aus. Mehrmals aus Rom gel von deren Vorbildhaftigkeit werden sich, so verbannt, wird er am Ende auf Anordnung die Absicht der Autoren, die aktuellen Taten Vespasians hingerichtet. Auf ihn verfasst – auch des Mannes auf dem Cäsarenthron als eklatant unter Domitian – der Jurist Herennius Senecio verwerflich erweisen. als ehrenden Nachruf eine Biographie, durch Da ist ein gewisser Paetus Thrasea, Senator dessen lobpreisende Tendenz Domitian sein und Stoiker, zu Zeiten Neros kühn und furchtlos flavisches Geschlecht in Misskredit gebracht darin, dem Despoten öffentlich, auch im Senat sieht. Auch dieser Vertreter einer freien „Presse“ die Stirn zu bieten. Ihm gelingt es sogar, die entgeht der Rache des Cäsaren nicht; er wird Senatoren vom Todesurteil gegen einen Regi- angeklagt, verurteilt und hingerichtet. megegner abzubringen. Zum Missfallen Neros, der sich daraufhin, wie überliefert ist, geradezu Tacitus’ vernichtendes Urteil „danach sehnt, die Tugend selbst in der Person Weit über 100 Jahre sind vergangen, bis die des Paetus Thrasea in den Tod zu schicken“ Geschichte ein tiefer greifendes und wohl auch (Tacitus, Ann. XVI 21, 1). Der Mann wird objektives Urteil fällt – in der Gestalt des Histo- angeklagt und verurteilt. Die Hinrichtung muss rikers Tacitus, der in der Zunft seiner römischen er selbst an sich vollstrecken. Auf ihn schreibt Kollegen gewiss den ersten Rang einnimmt. der Volkstribun Arulenus Rusticus später unter Eine Zeitenwende im Imperium Romanum Domitian einen Nachruf, der zur Lobschrift weckt in den Menschen das berauschende gerät. Was ihm die Verfolgung durch die cäsa- Gefühl der Befreiung, lässt sie aufatmen und rischen Schergen und den Tod einbringt. auf eine glücklichere Zeit hoffen. Domitian, Nicht weniger elend ergeht es Paetus Thra- „der verhasste und skrupellose Autokrat“, ist seas Schwiegersohn Helvidius Priscus. Ihn 96 n. Chr. ermordet worden. Noch am selben ereilt das Schicksal unter Vespasian, dem ersten Tag hat der Senat beschlossen, das Anden- Vertreter des flavischen Geschlechts auf dem ken des Herrschers aus dem Gedächtnis der Cäsarenthron. Als prinzipientreuer Stoiker Menschheit zu streichen (damnatio memoriae). und glänzender Redner verschafft sich dieser Nach ihm gelangen Nerva, dann Trajan auf schnell hohes Ansehen in der Kurie – und die den auf den Cäsarenthron. Schon 98 n. Chr. Anzeige Bögl FC 1/2019 29
Friedrich Maier erscheint Tacitus’ erste Schrift: „Agricola“, eine ebenso in unserer Macht stünde zu vergessen Biographie, in dessen Vorwort er, ganz erfüllt wie zu schweigen.“ von der Stimmung des geistigen Umbruchs (Tacitus, Agricola 2, 1-14; wie in einem Rückspiegel die zurückliegende Übersetzung: Friedrich Klingner, Epoche kritisch bewertet – dabei „in einem bis Römische Geisteswelt, 1956, 458) dahin in der Geschichtsschreibung noch nicht gekanntem Ausmaß Personen und Handlungen In diesem Text, einem der bedeutendsten und moralischen Maßstäben unterwerfend“ (Egon zeitlos gültigsten der antik-römischen Litera- Flaig).16 tur, ist das geistige Dilemma in der Zeit des Die Idee, die ihn dabei über die Maßen leitet, Prinzipats wie in einem Brennspiegel einge- ist die Freiheit, als politisches Prinzip und als fangen. Tacitus geht von den Schicksalen der Voraussetzung menschlicher Selbstverwirkli- Freigeister unter Domitian aus und entfaltet chung. Der Autor setzt ein mit einem Bedauern daran die ganze Problematik der freien Mei- über die „brutalen und allen sittlichen Werten nungsäußerung im autoritären Staat, an deren feindlichen Zeiten“, die hinter ihm liegen. Dann Spitze brutale Machtmenschen alle Ansätze von setzt er fort: Freiheit im Keim ersticken. Mit der Ermordung „Wir haben es gelesen, dass, als Arulenus der Literaten und der Verbrennung ihrer Bücher Rusticus den Paetus Thrasea und als Heren- ist es zwar gelungen, den freien Gedankenaus- nius Senecio den Helvidius Priscus gepriesen tausch zu verhindern, gewissermaßen einer haben, ihnen das den Tod eingebracht hat. „Pressefreiheit“ jede Chance der Verwirkli- Und nicht nur gegen die Menschen, sondern chung zu nehmen. Das Regime, das in Nero auch gegen ihre Bücher ist brutal verfahren und Domitian gleichermaßen eine Ausgeburt worden; hat doch die Polizei den Auftrag des Bösen hervorgebracht hat, bedeutet für das erhalten, die Denkmäler erlauchtester Geister römische Volk „das Äußerste an Knechtschaft“ auf dem Comitium und Forum zu verbrennen. (ultimum in servitute). Natürlich, mit dem Feuer damals gedachte „Jetzt endlich kehrt der Mut zurück“, fährt man die Stimme des römischen Volkes und die Tacitus (Agricola, 3,15) fort. Unter Nerva und Freiheit des Senats und das Bewusstsein des dann unter Trajan wachse von Tag das Glück menschlichen Geschlechts auszutilgen, wobei der Zeiten. Die leuchtende Helle der Gegen- obendrein die Lehrer der Weisheit vertrieben wart, die auf die Ungeheuerlichkeit von Neros worden sind und jedes geistig-sittliche Bestre- und Domitians Cäsarenwahn folgt, verschattet ben in die Verbannung gejagt, damit nirgends total die Vergangenheit, die ganze Epoche des etwas Edles anzutreffen sei. Wir haben wirklich Prinzipats von ihrem Anfang an. Die goldene einen rechten Beweis gegeben, wieviel man sich Ära des Augustus, jener hymnisch gefeierte gefallen lässt. Und wie die Vorzeit gesehen hat, „römische Frieden“, die pax Romana, verlieren wieweit die Freiheit gehen kann, so wir, wieweit aus dieser Perspektive ihre Strahlkraft. Tacitus die Knechtschaft, wobei durch Überwachung reißt als Erster dem glorifizierten Prinzipat die selbst der Austausch durch Sprechen und Hören Maske vom Gesicht. Wenn er in seinem Spät- genommen war. Auch das Gedächtnis hätten werk „Annalen“ den „Frieden“ unter Augustus wir noch mit der Stimme verloren, wenn es einen „blutigen Frieden“ (pax cruenta) nennt, 30 FC 1/2019
Cäsarenwahn und „Pressefreiheit“ so liegt diesem vernichtenden Urteil auch und 4) Suerbaum, Werner: Vom antiken zum mittelal- vor allem das seiner historischen Forschung terlichen Staatsbegriff, Münster 1970, 88f. 5) Becker, Carl.: Wertbegriffe im antiken Rom. zugängliche Bild zugrunde, dass die ganze Zeit Ihre Geltung und ihr Absinken zum Schlagwort. der Cäsaren-Herrschaft seit der Schlacht von Münchner Universitätsreden, Neue Folge, Heft Actium 31 v. Chr. bietet. Seine Erkenntnis: Nur 44. München 1967, 7f. eine „geknechtete“ Freiheit macht den Frieden 6) Lana, Italo: Velleio Patercolo o della propag- anda, Turin 1952, bes. 211ff. dauerhaft. Die römische Geschichte ist dafür 7) v. Albrecht, Michael, Geschichte der römischen beispielhaft. Literatur, Bd. 2, München/New Providence/ Gerade am Prinzipat, wie ihn Tacitus der London/Paris 1994, Bd. 2, 848. Nachwelt vermittelt, erhält das viel bemühte 8) Suerbaum, Werner: Der Historiker und die Freiheit des Wortes. In: Suerbaum, W.: In Klios Motto „Gegenwart der Antike“ seine volle und Kalliopes Diensten 1993, 9. Bestätigung. Weshalb sich das 1990 abgelegte 9) Syme, Ronald, ebenda, 540. Bekenntnis des Regisseurs Gustav Rudolf Söll- 10) Hofmann, Hasso: Das antike Erbe im europä- ner hier gut nachvollziehen lässt: ischen Rechtsdenken. Römische Jurisprudenz und griechische Rechtsphilosophie. In: Gymn. „Die Antike ist für mich das große drama- 108, 1 (2001), 1ff. tische Menschheitsmuster mit allem drin, was 11) Fuhrmann, Manfred: Seneca und Kaiser Nero, uns heute bedrängt und bewegt wie vor Tausen- Berlin 1997, 316f. den von Jahren.“ 12) Maurach, Gregor: Senecas Leben und Werk, Darmstadt 2007, 39. Anmerkungen: 13) Giebel, Marion: Seneca, Reinbek 1997, 104. 1) Maier, Barbara: Philosophie und römisches 14) Fuhrmann, Manfred, ebenda 315f. Kaisertum, Wien 1985, 39. 15) Giebel, Marion: Seneca, Reinbek 1997, 104. 2) Syme, Ronald: Die römische Revolution, Stutt- 16) Raffalt, Reinhard: Große Kaiser Roms, München gart 2003, 487. 1977, 135. 3) Leeman, Anton, D.: Die römische Geschichts- 17) Flaig, Egon: Tacitus. In: DER NEUE PAULY, Bd. schreibung. In: Neues Handbuch der Litera- 11, 1211, Sp. 1f. turwissenschaft. Römische Literatur (hg. von Friedrich Maier Fuhrmann, M.), Frankfurt 1974, 130. Odysseus-Verlag CH-5023 Biberstein www.odysseus-verlag.ch Bonbons (sugarless) mit 15 latein. Sprichwörtern (Übersetzungen auf Rückseite) 500 Stück € 50 portofrei Versand in Deutschland, deutsches Konto Täfeli7 FC 1/2019 31
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