Dendrochronologie und Archivrecherchen im Gleichklang Untersuchungen am neuzeitlichen Bohlenweg bei Schorndorf-Oberberken
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Dendrochronologie und Archivrecherchen im Gleichklang Untersuchungen am neuzeitlichen Bohlen- weg bei Schorndorf-Oberberken In Schorndorf-Oberberken im Rems-Murr-Kreis wurden bei der Erneuerung der heutigen Ortsdurchfahrt im Jahr 2017 Reste eines hölzernen Straßenbelags freigelegt. Die Analyse der Jahrringe der geborgenen Tannenhölzer ergab, dass das Bauholz 1603 und 1738/39 beziehungsweise 1742/43 gefällt wurde. Die jüngeren Daten zeigen eine Übereinstimmung mit historischen Dokumenten: Es ist ein Archivalienkonvolut erhalten, das von den Streitigkeiten der verschie- denen Nachbargemeinden und dem Kloster Adelberg über den Unterhalt die- ser wichtigen Fernverbindung zeugt. Dieser Beitrag zeigt, wie fruchtbar die Zusammenarbeit der Disziplinen Archäo- logie, Schriftquellenkunde und Dendrochronologie, deren Methoden vorbild- lich erläutert werden, sein kann – gerade auf dem Gebiet der Erforschung von Altwegen, die als Teil der ehemaligen Kulturlandschaft rein archäologisch meist nicht leicht einzuordnen und zu datieren sind. Sebastian Million/ Aline Kottmann/ Roland Buggle Fundumstände: ser Hölzer durchweg durch moderne Kanalarbei- Eine ergebnisträchtige Notbergung ten gekappt. Die Tatsache, dass die Hölzer fast mittig unter der Bei Straßensanierungsarbeiten der Wangener Wangener Straße angetroffen wurden, spricht da- Straße (L 1225) in Schorndorf-Oberberken zeig- für, dass diese dem Verlauf des alten Bohlenwegs ten sich auf der gesamten Länge Holzeinlagen un- folgt. Reste alter Fahrrillen haben sich einseitig im ter dem modernen Fahrbahnbelag, was den Bau- Holz erhalten (Abb. 5). Aufgrund der Kappung der leiter sogleich alarmierte. Die Freilegung und östlichen Seite der Hölzer durch Kanalarbeiten im Dokumentation des Bohlenwegs, sowie die Be- 20. Jahrhundert konnte die ehemalige Spurbreite probung der Hölzer wurde durch den umgehend nicht ermittelt werden. für eine Notbergung herbeigerufenen ehrenamt- lichen Mitarbeiter der archäologischen Denkmal- Zufallsfunde: Inzwischen absolut datiert pflege, Roland Buggle aus Schorndorf, durchge- führt. An zwei Stellen fanden sich in situ erhaltene In Fundstelle 2 wurden zwischen der oberen und Teilstücke eines Bohlenwegs: am Nordende der der unteren Bohlenlage vier Hufeisen (Abb. 6) und Baustelle auf einer Länge von circa 2 m (Abb. 1, ein kurzes Stück einer Kette mit Riegel (Abb. 8) Fundstelle 1; Abb. 2) und nur wenige Meter süd- sehr dicht beieinanderliegend gefunden. Ein fünf- lich davon auf einer Länge von circa 10 m (Abb. 1, tes Hufeisen konnte weiter südlich bei Fundstelle Fundstelle 2). Bei Fundstelle 2 wurden zwei über- 3 geborgen werden. Bei zwei Hufeisen handelt es einanderliegende Holzlagen gefunden, von de- sich um einen grifflosen Typ, der bereits seit dem nen die obere (Abb. 3) etwa 70 cm und die tiefere Spätmittelalter gebräuchlich war. Dabei ist sowohl (Abb. 4) circa 100 cm unter der modernen Fahr- die einfachere Ausführung mit sechs Nagellöchern bahn lagen. Bei Fundstelle 1 war nur die jüngere (Typ 2a nach Scholkmann) als auch die laut Scholk- der beiden Lagen erhalten. Der Holzbelag besteht mann etwas später auftretende größere Ausfüh- aus Spaltbohlen sowie wenigen kleineren Rund- rung mit acht Nagellöchern (Typ 2b) jeweils mit ei- hölzern, die nebeneinander ohne Verbindungs- nem Exemplar vertreten. In einem der grifflosen stücke direkt in den anstehenden Lehm gelegt Hufeisen steckt noch ein partiell versenkter Breit- worden sind. Die längsten erhaltenen Bohlen sind kopfnagel, der erst Anfang des 17. Jahrhunderts 2,20 m lang. Allerdings war die östliche Seite die- geläufig wurde. Beide zeigen im Schuss eine runde 106 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
identische Schlagmarke, weshalb es naheliegt, dass es sich um zeitgleiche, womöglich aus der- selben Werkstatt stammende Exemplare handelt. Alle übrigen Hufeisen sind dem Typ des Griffeisens (Typ 3 nach Scholkmann) zuzuordnen, welches zwar bereits in der Zeit um 1300 zum ersten Mal auftaucht, jedoch bis in die frühe Neuzeit äußerst selten vorkommt. Die beiden Griffeisen aus Ober- berken weisen noch sechs Nagellöcher und große Stempel- und Rutenbreiten auf. Die Lage zwischen den beiden Bohlenbelägen und damit die Datie- rung in die Zeit zwischen 1603 und 1743 gibt ei- nen chronologischen Ansatzpunkt für diese Eisen. Die jahrgenaue Datierung von Befunden und da- mit auch Funden wurde nur möglich durch die mi- nutiöse Auswertung der Holzproben, die im Fol- genden erläutert werden soll. Dendrologie: Was uns das Holz sagt Aus den beiden Fundstellen sind insgesamt 33 Höl- zer im Dendrochronologischen Labor des Landes- amts für Denkmalpflege im Dienstsitz in Hemmen- hofen ausgewertet worden. Jede der Proben wurde mikroskopisch hinsichtlich holzanatomischer Merk- male untersucht und, sofern möglich, taxonomisch bestimmt. Mit 21 Spaltbohlen war der größte Teil der beprobten Hölzer aus Tanne gefertigt. Zudem fanden sich 12 halbierte Stämme beziehungsweise Rundhölzer aus Pappel (zehn Stück) und jeweils ei- nes aus Birken- und Erlenholz. An den nicht-run- den Hölzern fanden sich eindeutige Bearbeitungs- spuren. Diese wurden nicht gesägt, sondern ge- spalten. Auch Beilhiebe zum Ablängen von Ästen waren deutlich erkennbar. Die Spaltbohlen waren bis zu 39 cm breit, im Durchschnitt maßen sie je- doch 23 ± 8 cm. ierte Jahr des letzten Jahrrings dem Jahr der Baum- 1 Oberberken im frühen Für die Aussagekraft der Datierung des Fällzeit- fällung. 19. Jahrhundert. Ein punkts ist der letzte Ring unter der Rinde sehr wich- Bei fehlender Waldkante liegt oftmals eine Kern- Bereich mit „zeitweisem tig, in Fachkreisen wird dieser als Waldkante be- holzdatierung vor. Hierbei können Aussagen zum Stauwasser“ aus der zeichnet. Viele Hölzer besaßen eine Waldkante, Zeitpunkt der Bildung des letzten vorhandenen Bodenkarte wurde blau markiert und in nicht das Mark war hingegen nur bei den wenigsten Jahrrings getroffen werden, jedoch ist keine Aus- kartiertem Gebiet er- Spaltbohlen zu finden. sage über den Fällzeitpunkt möglich. gänzt (blaue Schraffur). Der Fällzeitpunkt im Jahr kann holzanatomisch Dendrochronologie: unterschieden werden. Der Jahrring ist in Früh- Die Fälldaten der Bäume und Spätholz unterteilt, das sich anhand der Größe und der Verteilung von Zellen unterscheiden lässt. Ziel der Dendrochronologie ist die Datierung von Das Frühholz wird zu Beginn der Vegetations- Hölzern. Für die dendrochronologische Untersu- periode gebildet, es besteht vorwiegend aus Lei- chung wird die Breite jedes Jahrrings vom Baum- tungsbahnen mit größerem Durchmesser: bei inneren hin zur Rinde gemessen (Abb. 7). In einem Laubgehölzen die Tracheen, bei Nadelhölzern die guten Wuchsjahr ist der Ring breiter, in einem Tracheiden. Die Durchmesser nehmen gegen Ende schlechten wird ein engerer Jahrring gebildet. Die eines Jahrrings ab, Gleiches gilt bei manchen auf diese Weise ermittelten Jahrringkurven können Baumarten auch für die Anzahl der Leitungsbah- nun mit sogenannten Jahrringkalendern abgegli- nen. Ein Jahrring wird gegen Ende der Vegeta- chen und so das Dendrodatum ermittelt werden. tionsperiode abgeschlossen, um die in den Blät- Nur wenn die Waldkante ersichtlich ist, entspricht tern beziehungsweise Nadeln über die Photosyn- das nach dendrochronologischen Methoden eru- these gebildeten Zucker zu speichern oder für Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021 107
2 (l. o.) Bohlenlage bei andere energieverbrauchenden Vorgänge im Baumarten, oft mit wenigen Jahrringen, die sich Fundstelle Nr. 1. Man be- Baum zu verwenden. Holzanatomisch ist die Jahr- zudem nur schlecht für eine Jahrringdatierung eig- achte die Steinplatten ringgrenze an einer Linie mit sehr flachen Zellen zu nen. Tanne ist im Gegensatz dazu sehr gut ver- links der Bohlenlage, die erkennen. Da der darauffolgende Jahrring erst zu wendbar. Anhand dieser Kriterien wurde eine Aus- eine mögliche Reparatur Beginn der Vegetationsperiode im Frühling gebil- wahl von Hölzern getroffen, an denen eine den- des Weges darstellen det wird, ist nicht feststellbar, zu welchem Zeit- drochronologische Untersuchung durchgeführt könnte. punkt innerhalb des Zeitraums zwischen Ende der wurde. Im Fall der beiden Fundstellen war dem- 3 (l. u.) Obere Bohlenlage vergangenen und Beginn der neuen Vegetations- nach die Messung der Jahrringbreiten lediglich bei bei Fundstelle Nr. 2. Zu er- periode (= Ruheperiode) der Baum gefällt wurde. den Tannenhölzern mit vielen Jahrringen vielver- kennen sind die Fahrspu- Zur Verdeutlichung dieses Umstandes werden sprechend. Die Jahrringkurven jedes Holzes wer- ren. Der mit Kies abge- beide Jahre angegeben, beispielsweise Waldkan- den anhand der Ähnlichkeit zu anderen Jahrring- deckte moderne Kanal tendatum aus dem Jahr 1738/39, was einer Fäl- serien zu Dendrogruppen zusammengefasst, um (links im Bild) stört den lung zwischen dem Herbst 1738 und dem Frühjahr daraus eine Fundortchronologie zusammenzu- Befund. 1739 entspricht. Finden sich jedoch erste Früh- stellen. Das ist eine Jahrringserie, in der alle da- 4 (re. o.) Untere Bohlen- holzzellen, kann der Zeitraum der Baumfällung tierten Einzelkurven aus einer Fundstelle gemittelt lage bei Fundstelle Nr. 2. sehr präzise auf den Beginn der Vegetationspe- sind. Da die Jahrringkalender ebenfalls aus vielen 5 (re. u.) Deutlich ausge- riode eingegrenzt werden, also auf das Frühjahr. Einzelkurven bestehen, ist durch das Mitteln vieler prägte Karrenspuren auf Für eine erfolgreiche Datierung sollte die Jahrring- einzelner Ringfolgen die Wahrscheinlichkeit höher, den Bohlen. Rechts im kurve mindestens 60 Jahrringe besitzen. Allerdings dass individuelle Ausschläge einer Jahrringfolge, Bild die moderne Stö- lassen sich nicht alle Holzarten datieren. Birke, Erle beispielsweise einer Lichtwuchsreaktion nach dem rung. und Pappel gehören zu den schnell wachsenden Fällen eines Baumes in der direkten Nachbarschaft, 108 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
6 Die fünf gefundenen Hufeisen: Sie können Typ 2a (unten links), Typ 2b (Mitte) und Typ 3 (übrige Eisen) nach Bar- bara Scholkmann zuge- ordnet werden. durch die hohe Anzahl an Messwerten pro Jahr schlagen. Hier liegt eine Waldkante mit einem ab- ausgeglichen werden. geschlossenen Jahrring vor. Eines der untersuchten Hölzer besaß erste Frühholzzellen, die sich zu Be- Datierung der verbauten Tannenhölzer ginn der Vegetationsperiode im Frühling 1603 bil- deten. Demnach wurde dieser Baum zu Beginn des Aus den beiden Fundstellen in Oberberken eigne- Frühlings gefällt. Da von einem zeitgleichen Holz- ten sich 18 Tannenhölzer für die dendrochronolo- einschlag auszugehen ist, wurden diese Tannen 7 Linearmesstisch mit gische Untersuchung (Abb. 9A). Wie die Befund- womöglich im April, zu Beginn der Vegetations- Binokular zur Messung situation (circa 30 cm voneinander getrennte Holz- periode gefällt. der Jahrringbreiten. Auf lagen) vermuten ließ, zeigen die Jahrringkurven Die Bäume zur Fertigung des oberen Bohlenwegs dem Messtisch liegt das zu messende Holz. Datierungen aus zwei unterschiedlichen Zeitab- sind in der Ruheperiode der Jahre 1738/39 und schnitten (Abb. 9B). Für den unteren Bohlenweg 1742/43 eingeschlagen worden, also circa 140 Jahre wurden die Bäume im Jahr 1602/ 1603 einge- nach den Bäumen, die das Holzmaterial für den un- 8 Stück einer (Kuh-)kette mit Riegel in Fundlage zwischen oberer und un- terer Bohlenlage (Fund- stelle 2). Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021 109
9 Auswertung der Jahr- ringserien zu der Dendro- gruppe 912 aus Fund- stelle 2 auf absolutchro- nologischer Zeitskala. A: Hier wird beispielhaft die Gruppenbildung dar- gestellt, in Blau die Einzel- serien und darunter in Rot die Dendrogruppe. B: Hier werden die Jahr- ringkurven der Dendro- gruppen aus den beiden Fundstellen in Synchron- lage dargestellt. C: Anzahl der Jahrring- serien, die in der Dendro- gruppe gemittelt sind (Belegung). teren Weg geliefert haben. Welches Jahr nun für sind und somit in lichteren Wäldern standen. Auf- den Bau des oberen Bohlenwegs anzunehmen ist, grund des geringen Holzmaterials, auch, da bei kann nicht angegeben werden. Beides ist möglich: Spalthölzern von etwa 4 m Länge naturgemäß eine frühere Errichtung mit einer vier Jahre späte- mehrere Spaltlinge aus einem Stamm gewonnen ren Reparatur oder Ergänzung oder ein Bau im Jahr werden, kann nicht gesichert auf die früheren Wäl- 1742/43 mit bereits vier Jahre lagerndem Holz- der zurückgeschlossen werden. material. Anhand der Probenmaße kann auf den Durchmes- Archivalien: Historische Einordnung ser der Baumstämme geschlossen werden. Der am mittleren Probenmaß errechnete mittlere Baum- Warum an dieser Stelle mehrfach der recht hohe durchmesser war demnach 46 cm, jedoch maximal Aufwand getätigt wurde, in eine Dorfstraße große circa 80 cm stark. Mengen an Holzmaterial einzubringen, gab vor- Für eine weitere Auswertung wird das „Muster“ erst Rätsel auf. der Jahrringe betrachtet. Das ist das Auf und Ab Auf diesem Hochplateau des Schurwalds war ein der Jahrringbreiten, die bessere beziehungsweise Bohlenweg nicht erwartet worden. Im Normalfall schlechtere Wuchsjahre widerspiegeln (Abb. 9A). dienten diese dazu, periodisch- oder dauerfeuch- Jeder Baum zeigt einen einzigartigen Verlauf die- tes Gelände passierbar zu machen. Heutzutage ist ses Jahrringmusters. Die Baumstämme, die aus der das Gelände trocken, allerdings gibt es Indizien für jüngeren Ausbesserungsphase stammten, zeigen eine lokale Feuchtstelle – die Bodenkarte zeigt di- bei Fundstelle 1 und 2 Ähnlichkeiten im Jahrring- rekt am heutigen Ortsrand lehmigen Untergrund, muster, sodass die Herkunft der Hölzer aus dem- wo zeitweise, insbesondere nach Starkregen Stau- selben Baumbestand angenommen werden kann. wasser auftreten kann. Es könnte also sein, dass Beim Vergleich dieser Jahrringmuster und der mitt- die Spaltbohlen eingebracht wurden, um tempo- leren Jahrringbreite vom älteren zum jüngeren rär feuchte Stellen im Weg passierbar zu machen. Bohlenweg zeigt sich beim Ersteren ein fast dop- Dass dies mehrfach und in solch aufwendiger Ma- pelt so hoher Dickenzuwachs. Das bedeutet, dass nier geschah, kann nur den Grund in entsprechend die Bäume, aus denen der untere Bohlenweg kon- weit fortgeschrittenem Ausbau der Infrastruktur struiert wurde, fast doppelt so schnell gewachsen gehabt haben. Der Wegeverbindung muss ver- 110 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
mutlich eine überregionale Bedeutung zugeschrie- ben werden. Was also sind die historischen Hinter- gründe? Oberberken wird Anfang des 12. Jahrhunderts zum ersten Mal erwähnt und ist seit dem 16. Jahr- hundert Teil des Klosteramts Adelberg. In den Akten des Stadtarchivs Schorndorf fand sich das Protokoll einer Besprechung der verpflichteten Anrainer (herzogliche Forstverwaltung Engelberg, Klosterverwaltung Adelberg, Kommune Oberber- ken und Stadt Schorndorf) vom 18. November 1740 über die durch den Herzog veranlasste In- standsetzung der Straße von Schorndorf nach Göppingen. Der Oberberkener Wegeabschnitt war demnach Teil einer Verbindung vom Rems- zum Filstal, durch welches damals die Fernverbindung Mainz-Ulm verlief. Der „Zubringer“ aus dem Remstal über- querte kurz vor Oberberken die höchste Stelle des am Anfang dieser Steige im 14. Jahrhundert von 10 Oberberken („Berk- Schurwalds (513 m ü NHN). Versucht man die den Mönchen des Klosters Elchingen errichtet ach“) auf einer Georg Straße über kartografische Quellen weiter in die wurde, um deren Wein – sie hatten große Wein- Gadner zugeschriebenen Vergangenheit zu verfolgen, so wird klar, dass güter um Schorndorf – nach Ulm transportieren zu Karte aus dem 16. Jahr- hundert. diese von Schorndorf nach Göppingen führende können. Damals waren die Oberberkener in der Straße bereits in der ältesten bekannten Karte aus Fron, im Herbst täglich einen Weinwagen die dem 16. Jahrhundert auftritt (Abb. 10). Diese Ver- Schorndorfer Steige hinaufzubringen. Die Tras- bindung trug später den Namen „Heerweg“, was senführung dürfte also bis ins Mittelalter zurück- auf eine überregionale Bedeutung schließen lässt. reichen. Es ist auffallend, dass diese Straße noch im 18. Jahr- Einen Schlüsselfund zur Deutung des archäologi- hundert weder durch den Ortskern von Oberber- schen Befunds stellt das oben erwähnte Protokoll 11 Auf der Schmitt’schen ken noch denjenigen von Unterberken und Wan- vom 18. November 1740 dar: Herzog Karl Fried- Karte von Südwest- gen führte. In der Schmitt’schen Karte von 1797 rich II. hatte den Auftrag zur Instandsetzung der deutschland aus dem Jahr wird sie noch nicht von Bebauung gesäumt Straße an die Kommunen erteilt, „da bekanntlich 1797 ist die Fundstelle (Abb. 11). Unmittelbar an dieser Straße bestehen diese Straße von Schorndorf auf Göppingen fast mit rotem Pfeil markiert. jedoch die beiden Gaststätten „Hirsch“ (spätes- durchgehendt so befahren, daß zu Beförderung Norden ist rechts. tens seit 1762) und dicht daneben das „Lamm“ (seit 1779). Ab 1843 wird mit der „Post“ sogar noch eine dritte genannt. Erst im 19. Jahrhundert entstehen hier erste Wohnhäuser, eine Entwick- lung, die zur heutigen Siedlungskonzentration ent- lang der Wangener Straße führte. Anno 1815 wer- den 238 Einwohner gezählt. Die Lage und die An- zahl der bezeugten Gasthäuser lässt darauf schließen, dass es sich bei ihnen um Wegestatio- nen gehandelt hat, vermutlich auch mit dem Zweck des Umspannens von Zugtieren. Da für die Wegeführung abseits der Orte keine to- pografischen Ursachen vorliegen, könnte dies auf eine für einen speziellen Zweck eingerichtete Straßenverbindung hindeuten. Tatsächlich ist eine Nutzung als überregionaler Handelsweg in ver- schiedenen Archivalien belegt: Briefe zwischen den beteiligten Parteien berichten schon im 17. Jahrhundert von Streitigkeiten um die In- standhaltung der Straße nach Oberberken beim „Roten Stich“, einem Sumpfgebiet am Ende der „Alten Steige“ von Schorndorf herauf in Richtung Adelberg (Abb. 1). Es wird außerdem berichtet, dass die „Mönchsbrücke“ über den Aichenbach Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021 111
Glossar des allgemeinen Handels und Wandels deren bal- ihre Kombination gegenseitig erklären. Es ist ty- dige Verbeßerung unumgänglich nöthig seyn pisch für neuzeitliche Befundsituationen, die sich Leitungsbahnen will“. Aus dem Dokument geht unter anderem her- durch eine erhöhte Quellenfülle auszeichnen, dass Tracheen oder Gefäße der vor, dass die Kommunen hauptsächlich über die kartografische und archivalische Quellen genutzt Laubbäume bzw. Trachei- Lieferung von „Bruckhholz“ und das „bruckhen“ werden können, um einen vorher nicht erklärba- den der Nadelbäume, in verhandelt haben, also den Einbau von „Bruckh- ren Sachverhalt verstehen zu können. Dabei ist denen Wasser und die holz“. Es wird gefordert, die gesamte Straße von ganz besonders zu betonen, dass die Dendroda- darin gelösten Nährstoffe aus dem Boden in die Blät- Schorndorf bis Wangen „solchen theils in der al- ten zum einen die Korrelation von Schriftquellen ter geleitet werden. ten, theils in einer neuen Route mit Holtz und Stei- und archäologischem Befund untermauern und nen, in einen überall tauglichen Stand zu stellen“. zum anderen die in der Archäologie übliche „Rück- Mark Auch in anderen historischen Traktaten werden schreibung“ heutiger Zustände bis in die Zeit um Zentrale Leitungsbahn in vergleichbare Termini gewählt, was darauf hin- 1600 naturwissenschaftlich belegen konnten. Ge- der Mitte des Baumstam- deutet, dass es sich um eine viel gängigere Me- rade für Altwege, deren Nutzungszeitraum übli- mes. Dort werden beim thode handelte als bisher angenommen. Was ge- cherweise als sehr lang angenommen wird, jedoch Höhenwachstum die nöti- nau mit „bruckhen“ gemeint war, führen die Ober- nur in den seltensten Fällen genauer eingegrenzt gen Nährstoffe axial trans- portiert. berkener Hölzer gemeinsam mit den zugehörigen werden kann, ist dies ein erfreuliches Ergebnis. Archivalien deutlich vor Augen. Waldkante Weitere Hölzer, die auf gesamter Länge der Stra- Literatur und Archivalien Reste von Rinde, Bast oder ßenbaumaßnahme zutage kamen – allerdings ähnliche Hinweise für das nicht mehr in ungestörter Befundlage – weisen da- Walter Rommel: Ortsfamilienbuch der Schorndorfer Vorhandensein des letzten rauf hin, dass dies nicht nur an feuchten Stellen ge- Stadtteile Ober- und Unterberken, Oberberken, un- Jahrrings, bevor der Stamm schah, sondern dass Holz als Alternative zu Stra- publ. Unterlagen Archiv Schorndorf 2018. gefällt wurde. Nur wenn ßenbelägen aus Stein angesehen wurde (Abb. 1, Berken, von der Ersterwähnung bis zur Gegenwart. sie vorhanden ist, kann eine sichere Aussage ge- Fundstreuung). Chronik über 900 Jahre Ober- und Unterberken, hg. troffen werden, wann der Die ausführliche Wiedergabe der Verhandlungs- v. Förderverein zur Erhaltung und Entwicklung der Baum gefällt wurde. ergebnisse zeigt außerdem beispielhaft, welch Dorfgemeinschaft in Ober- und Unterberken, Urbach wichtige Funktion die Straßenverbindung für die 2015. beteiligten Parteien innehatte. Alle Indizien tragen André Billamboz: Dendroarchäologische Untersu- zu einem schlüssigen Bild bei: Diese alte Fernver- chungen in der neolithischen Ufersiedlung von Horn- bindung umging die Ortskerne direkt und zugleich staad-Hörnle. Siedlungsarchäologie im Alpenvorland, Steigungen, aber auch feuchte Niederungen. Auf Band 9, Stuttgart 2006, S. 297– 414. dieser Trasse verkehrten schwere Wagen, unter an- Barbara Scholkmann: Sindelfingen – Obere Vorstadt. derem mit Weinfässern voller Remstalweine, de- Eine Siedlung des hohen und späten Mittelalters. For- ren Transport für wichtige Akteure (zum Beispiel schungen und Berichte zur Archäologie des Mittelal- Kloster Elchingen) von Bedeutung war. Akten, ters in Baden-Württemberg, Bd. 3, Tübingen 1978. Dendrodaten und archäologischer Befund deuten Akten zur Straße Schorndorf – Adelberg – Göppingen gemeinsam in die Richtung eines Fernverkehrs- (StadtA Schorndorf 306.5/17 Nr. 104) wegs speziell für den schweren Güterverkehr, des- Johann Babtist Greger: Anleitung zur Anlegung und sen Instandhaltung für einige der Anrainer hohe Unterhaltung der Vizinalwege. Sulzbach 1824. Priorität hatte. Dass der 1740 festgestellte Repa- raturbedarf auch tatsächlich direkt umgesetzt wurde, veranschaulichen die Dendrodaten von 1742/43 geradezu bildlich. Dass dieser bereits min- destens im Jahr vor den Verhandlungen schon be- stand und einzelne Reparaturmaßnahmen bereits vorgenommen wurden, darauf deuten die gering- Sebastian Million fügig jüngeren Daten einiger Hölzer von 1738/39 Landesamt für Denkmalpflege hin. Nicht nur die Dendrodaten, sondern auch das im Regierungspräsidium Stuttgart Ergebnis, dass bereits 140 Jahre vorher gleichartige Dienstsitz Hemmenhofen Hölzer in den Wegverlauf eingebaut wurden, be- legt die Konstanz von Wegeführung, Bedeutung Dr. Aline Kottmann und vermutlich auch des für den Unterhalt zu- Landesamt für Denkmalpflege ständigen Personenkreises. im Regierungspräsidium Stuttgart Dienstsitz Esslingen Fazit Roland Buggle Die Befunde von Oberberken veranschaulichen, Hungerbühlstraße 35 wie sich verschiedene Quellengattungen durch 73614 Schorndorf 112 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
Sie können auch lesen