Der Apollofalter im Kleinziegenfelder Tal - Erhaltung und Sicherung der letzten Population in der Fränkischen Schweiz
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Artenschutz Abbildung 1 Adi Geyer Männchen des Apollo- falters auf der Blüte Der Apollofalter im Kleinziegenfelder Tal – einer Taubenskabiose (Foto: Adi Geyer). Erhaltung und Sicherung der letzten Population in der Fränkischen Schweiz Das letzte Vorkommen des Apollofalters in der Fränkischen Schweiz (Landkreis Lichtenfels) erhalten – das ist das Ziel eines 1990 gestarteten Artenhilfsprogramms des Landesamtes für Umwelt (LfU). Felsfreistel- lungen, spezielle Weideformen sowie der Aufbau eines Biotopverbundes stabilisierten die Population und führten zur räumlichen Ausweitung der Population. Im Projekt, das inzwischen seit mehreren Jahren die Regierung von Oberfranken trägt, wird auch ein jährliches Monitoring durchgeführt. Inzwischen lie- gen Daten über annähernd drei Jahrzehnte vor, die den Erfolg der Bemühungen dokumentieren. 1. Rückgang des Apollofalters gramms (AHP) existierten für P. apollo in Bayern Bis Mitte des vorigen Jahrhunderts war der Apol- um das Jahr 1985 nur noch wenige Nachweise, lofalter (Parnassius apollo) im süddeutschen Raum zum Beispiel im Altmühltal, im Oberpfälzer Jura auf der Franken- und der Schwäbischen Alb weit bei Kallmünz sowie in der Fränkischen Schweiz verbreitet. Ab den 1960/70er-Jahren kam es zu bei Pottenstein (hier nur noch einzelne Falter- massiven Bestandseinbrüchen. In kurzer Zeit erlo- meldungen) und dem Kleinziegenfelder Tal schen nahezu alle Vorkommen außerhalb der (LfU: ASK). Den Vorarbeiten von Herrn Josef Alpen (LfU: Artenschutzkartierung [ASK]; Ebert & Weidemann ist es zu verdanken, dass für die R ennwald 1991). Vor Beginn des Artenhilfspro- Population im Kleinziegenfelder Tal 1990 ein AHP ANLIEGEN NATUR 41(1), 2019 113
A. Geyer: Artenschutz Apollofalter Abbildung 2 Raupe des Apollo- falters (drittes Larven- aufgelegt wurde (Geyer & Pönisch 1990). Später starken, saisonalen Schwankungen der Individuen- stadium) in Sedum wurde das AHP auf die ebenfalls stark bedrohten dichte führen. album-„Polster“: Vorkommen im Altmühltal ausgedehnt (Geyer & Befressene Triebspitzen Dolek 1998). Während der ersten drei Larvenstadien ist die (Bildmitte) fallen durch das Fehlen des inneren Raupe relativ ortstreu und frisst ausschließlich Blattkranzes am Vegeta- 2. Autökologische Grundlagen und Ursachen die jungen Blättchen am Vegetationskegel. tionskegel auf. Zum des Rückgangs So entsteht ein typisches Fraßbild (Abbildung 2). Vergleich: Triebspitze am Der Apollofalter ist an seine Raupenfutterpflanze, Dieses unterscheidet sich auch von anderen unteren Bildrand mit den Weißen Mauerpfeffer (Sedum album), Phytophagen, zum Beispiel Arten der Gattung intakten Triebspitzen am Vegetationskegel gebunden. Dieser kommt als Pionierpflanze in Gnophos (Lepidoptera: Geometridae), deren (Foto: Adi Geyer). einem frühen Sukzessionsstadium offener, Larven ebenfalls im gleichen Zeitraum an Sedum besonnter Kalkfelsen vor (Oberdorfer 1990). Die album fressen (Geyer & Dolek 1995). Das Fraßbild Raupe schlüpft Anfang März aus dem überwin- kann so zur Suche nach Raupen eingesetzt terten Ei. Sie benötigt während der ersten Larven- werden. Auf diese Weise sind unter anderem stadien die Wärme am Felsen, um sich entwickeln Effizienzkontrollen im Larvalhabitat möglich zu können. Wärmeaufnahme, -speicherung und (Geyer & Dolek 1999). die längere Zeit andauernde Wärmeabgabe („Kachelofenprinzip“) sind die entscheidenden An die Larvalzeit schließt sich ab Ende Mai/Anfang Faktoren, die dieses benötigte trocken-warme Juni eine etwa vierwöchige Puppenruhe an. Die Mikroklima kennzeichnen. Die Wärme-Abhängig- Imagines bevorzugen blaue Körbchen- und Köpf- keit der frühen Raupenstadien ist sehr groß. chenblumen als Saugpflanzen (zum Beispiel Bereits vier bis fünf Tage anhaltende Kälte- und/ Ackerwitwenblume, Knautia arvensis, Tauben- oder Regenperioden können während der frühen skabiose, Scabiosa columbaria sowie diverse Larvenstadien (L1 bis L3) hohe Mortalitätsraten Distelarten, Cirsium spp. und Carduus spp. sowie verursachen (Geyer & Dolek 2001). Dies kann zu Flockenblumen, Centaurea ssp.). Die Eier werden 114 ANLIEGEN NATUR 41(1), 2019
A. Geyer: Apollofalter Artenschutz einzeln direkt an die Futterpflanze oder auch an trockene Grashalme oder Steine in der unmittel- baren Nähe der Raupenfutterpflanze abgelegt (Geyer & Dolek 2001), wo sie überwintern. Damit schließt sich der Entwicklungszyklus von Parnas- sius apollo, der eine Generation im Jahr umfasst. Die Beweidung mit Schafen und Ziegen sicherte diesen Lebensraum, der im Wesentlichen felsreiche Magerrasen und Trockenhänge umfasst. Ziegen spielen dabei eine wichtige Rolle: Sie erklettern Felsen und verbeißen – anders als Schafe – verstärkt Gehölze und halten so Büsche und Gehölze klein. Auch durch ihren Abtritt am Felsen halten sie die Felsoberfläche offen. Mit dem Niedergang der Hüteschäferei, der ab den 1960er-Jahren verstärkt einsetzte, fielen immer mehr Magerrasen brach. Aber auch auf bewei- Abbildung 3 deten Magerrasen wurden kaum noch Ziegen Besonderheit bei P. apollo: mitgeführt. Hingegen wurden vermehrt schwere können (basking behaviour, Abbildung 2). Untersu- Ein begattetes Weibchen Schafrassen, wie zum Beispiel Merino-Landschafe, chungen mit markierten Raupen und ausgelegten ist an der Begattungstasche eingesetzt. Auf den Felsen ging deshalb der Plastilinröllchen zeigten, dass durch den Tritt der (Sphragis), einem spitz aus- laufenden harten Fortsatz Bestand an Sedum album zurück, zunächst durch Tiere viele Raupen starben (Geyer & Dolek 1995). am Abdomen, erkennbar. konkurrenzkräftigere Moose und Gräser, im Auch der zweite Hütedurchgang, der meist Diese Sphragis wird wäh- weiteren Verlauf der Sukzession dann durch zwischen Ende Juni und Anfang Juli stattfand, rend der Kopula durch aufkommende Gebüsche und Gehölze. Schließ- hatte negative Auswirkungen, denn danach Sekretabgabe des Männ- lich verwaldeten die Felsen vollständig. Durch die waren kaum noch blühende Saugpflanzen im chens gebildet und verhin- dert weitere Begattungen höhere Nährstoff- und Wasserverfügbarkeit Magerrasen vorhanden, sodass die Imagines des (Foto: Adi Geyer). verändert sich auch die physiologische Ausprä- Apollofalters während der danach einsetzenden gung der Pflanze so stark, dass sie von den Flugzeit unmittelbar betroffen waren. Dieser Raupen nicht mehr als Futterpflanze genutzt Nahrungsengpass gefährdete den Fortbestand werden kann (Geyer & Dolek 1995; Garthe, persön- der Population vor allem durch die Auswirkung liche Mitteilung). Für den Apollofalter erlischt die auf die Weibchen, denn nach der Eiablage von Lebensgrundlage jedoch bereits vor dem völligen zirka 35 fertig entwickelten Eiern hängt die Verschwinden seiner Raupenfutterpflanze, da sich Reifung weiterer Eier von der Ernährungslage das notwendige trocken-warme Mikroklima der Weibchen ab. Nach Weidemann (1995) kann schon vorher, nämlich bereits mit zunehmender ein Weibchen in Gefangenschaft bis zu 150 Eier Vergrasung der Felsoberfläche, nicht mehr ablegen. entwickeln kann (Geyer & Dolek 2001). Aufgrund dieser Ergebnisse mussten die Bewei- 3. Höchste Priorität: Beweidung umstellen dungszeiten umgestellt werden: Zu Beginn des Artenhilfsprogramms war die Population im Kleinziegenfelder Tal fast erloschen. • Der erste Hütedurchgang wurde um etwa Nutzbare Larvalhabitate existierten nur noch 4 Wochen auf Mitte/Ende Mai verschoben. sporadisch im sogenannten Kerngebiet um die Er erfolgte in enger Absprache mit dem Schäfer Ortschaften Arnstein, Weihersmühle und Wallers- erst dann, wenn die meisten Raupen das berg. Die Beweidung fand damals mit Coburger Puppenstadium erreicht hatten. Da die Puppe Fuchsschafen und einigen wenigen mitgeführten trittsicher, zum Beispiel in Felsspalten unter Deutschen Edelziegen statt, wobei zwei Hüte- Moos angelegt wird, konnte so die Mortalität gänge während der Vegetationsperiode durchge- vermindert werden. führt wurden. Der erste Hütedurchgang erfolgte üblicherweise je nach Wetterverlauf meist • Der zweite Hütedurchgang wurde ebenfalls zwischen Mitte und Ende April. In diesem Zeit- verschoben. Er fand erst nach Beendigung der raum befinden sich jedoch die meisten Raupen Hauptflugzeit im August statt, sodass zur Flug- im zweiten, maximal dritten Larvenstadium und zeit des Apollofalters eine deutlich verbesserte sitzen nicht selten offen im Bereich ihrer Futter- Nahrungsgrundlage für die Weibchen erreicht pflanze, um genügend Wärme aufnehmen zu wurde. ANLIEGEN NATUR 41(1), 2019 115
A. Geyer: Artenschutz Apollofalter Abbildung 4 Aufbau eines Biotopver- bunds am Weidener Auch heute noch wird nach diesem Muster im Individuendichte zurückzuführen ist. In einer Hang, Ausbildung einer Kleinziegenfelder Tal beweidet. Allerdings haben intakten Population liegt dieser Wert bei 100 % Metapopulation: Drei frei- sich aufgrund des inzwischen veränderten (Geyer et al., in Vorbereitung). gestellte Felswände, die Wetterverlaufs/Klimas die Entwicklungszeiten von aus eigener Kraft durch dispergierende Falter P. apollo um bis zu 4 Wochen nach vorne Flächenscharfe Untersuchungen der damals besiedelt wurden verschoben. In warmen Jahren, wie dies zum vorhandenen Larvalhabitate zeigten, dass im (Foto: Adi Geyer). Beispiel zuletzt 2018 der Fall war, begann die Kerngebiet auf einer hohen, südexponierten Fels- Flugzeit bereits Ende Mai und endete Anfang Juli, formation trotz erheblicher Verbuschung an zu einer Zeit als in den 1990er-Jahren die Flugzeit deren steil abfallenden Felskanten unmittelbar an erst einsetzte. Diese zum Teil erheblichen jähr- vorderster Linie teilweise noch potenziell nutz- lichen Unterschiede in der Entwicklung erfordern bares Sedum album zu finden war. Dies war auch aktuell eine enge Abstimmung mit dem möglich, weil hier noch eine relativ nährstoffarme Schäfer. Felsoberfläche vorlag und deren Sedum album- Bestand dort noch ein gewisses Maß an Sonnen- 4. Soforthilfen: Futterpflanzen freistellen, einstrahlung erhalten konnte, sodass die physio- Beschattung auflösen logischen Voraussetzungen als Nährpflanze noch Die Kartierung und Einschätzung der für P. apollo weitgehend gegeben waren. Daher wurde nutzbaren Raupenfutterpflanzen hatte zu Beginn entlang dieser Felskante ein etwa 180 m langer des AHP ein äußerst ernüchterndes Ergebnis Streifen entbuscht beziehungsweise freigestellt. ergeben. Die geplanten Felsfreistellungen Entlang dieser Felskante wurden vor der Freistel- konnten diesen Mangel naturgemäß erst später lung nur zwei Raupen gefunden. Die in der näch- ausgleichen, denn die Besiedelung einer frischen sten Generation durchgeführte Effizienzkontrolle Felsoberfläche mit Sedum album dauert nach ergab auf demselben, nun offenen Felskanten- eigenen Beobachtungen zwischen sechs und streifen einen Anstieg auf 23 Raupen. Der Nach- acht Jahren. Eine sofort wirksame Verbesserung weis dafür, dass die vorhandenen Raupenfutter- konnte daher auf diese Weise nicht erzielt pflanzen sehr schnell nutzbar wurden – der werden. Eine schnelle Habitataufwertung war bestehende Engpass konnte vermindert werden. jedoch – zusätzlich zur Beweidungseinrichtung – dringend notwendig. So betrug der Anteil begat- Des Weiteren wurden im Kerngebiet an den teter Weibchen (Abbildung 3) in der Population Flanken eines Straßenstützhanges Gebüsche und nur noch 57 %, was auf eine äußerst niedrige Bäume entnommen, um den Nährstoffeintrag 116 ANLIEGEN NATUR 41(1), 2019
A. Geyer: Apollofalter Artenschutz Abbildung 5 Straßenstützhang zu Beginn des Arten- hilfsprogrammes im Jahr 1990. Beide Flanken das Hanges sind stark verbuscht (hier: Ostseite; Foto: Adi Geyer). Abbildung 6 Straßenstützhang heu- te mit angrenzenden, beweideten Trocken- hängen auf beiden Seiten des Hanges (hier: Ostseite; Foto: Adi Geyer). und Schattenwurf im Randbereich zu reduzieren. 5. Langfristige Verbesserungen/Aufbau Auf diese Weise konnte auch hier das verfügbare eines Biotopverbunds Nahrungsangebot schnell erhöht werden. Dieser Um Larvalhabitate nachhaltig zu verbessern und Straßenstützhang (Abbildung 5) spielte von zu erweitern, sind Felsfreistellungen unabdingbar. Anfang an eine wichtige Rolle. Denn sein hän- Neben Maßnahmen im Kerngebiet wurden insbe- discher Aufbau aus großen Kalkquadern um das sondere externe Felsareale freigestellt, damit Jahr 1930 führte dazu, dass er später die verbu- langfristig eine Metapopulation und damit eine schenden originären Felshabitate teilweise nachhaltige Stabilisierung erreicht werden kann. ersetzen konnte. So verzögerte sich der Ausster- Der Aufbau eines Biotopverbunds war deshalb beprozess im Vergleich zu anderen bayerischen von Beginn an ein zentrales Ziel. Eine Metapopu- Standorten. Inzwischen ist dieser Stützhang lation, die sich im vorliegenden Fall also idealer- komplett freigestellt und bietet heute an beiden weise aus mehreren Fels-/Larvalhabitaten zusam- Flanken großflächig entbuschte Trockenhänge als mensetzt, kann nur funktionieren, wenn ein Saugareale für die Imagines (Abbildung 6). Austausch zwischen diesen Gebieten „aus eigener ANLIEGEN NATUR 41(1), 2019 117
A. Geyer: Artenschutz Apollofalter Abbildung 7 Monitoring- Jahres- diagramme zur Arealaus- weitung. Verbreitung des Apollofalters in Auszügen von 1990 bis 2018 Larvennachweis im entsprechenden Untersuchungsjahr kein Larvenfund im entsprechenden Untersuchungsjahr Falternachweis im Sommer, kein Larvenfund im Frühjahr grob umrissenes Verbreitungsgebiet (inklusive Imagines) Straßen und Städte 118 ANLIEGEN NATUR 41(1), 2019
A. Geyer: Apollofalter Artenschutz Abbildung 8 Temporäre Ziegenkoppel Kraft“ durch dispergierende Falter stattfindet. Freigestellte Felsoberflächen lassen durch die nach Freistellung der Daher ist es nicht zielführend, Raupen (oder weiterhin vorhandene Humusauflage und viel- Felsplateaus am Falter) in externen Gebieten auszusetzen. Viel- fach dichten Grasbewuchs oftmals die Entwick- Weidener Hang (Foto: Adi Geyer). mehr ist es wichtig, eine Verbindung zu diesen lung einer Pioniervegetation nicht zu. Deshalb Zielgebieten herzustellen, indem räumlich wurden die Felsareale am Weidener Hang (Abbil- vermittelnde Felsen freigestellt werden. dung 4) zusammen mit den sie umgebenden, ebenfalls entbuschten Hängen in die Hüteschä- In Abbildung 4 ist ein Ausschnitt dieses ferei unter Mitführung von Ziegen einbezogen. Biotopverbunds am Weidener Hang dargestellt. Diese Verfahrensweise konnte bei einzelnen, Dieses Zielgebiet liegt etwa 1,5 km nördlich des meist sehr steilen Felsen allerdings nicht durchge- Kerngebiets (Abbildung 7) und zeichnet sich führt werden. Solche Felsen wurden stattdessen durch mehrere große Felsareale aus, die in Sicht- mit mobilen Netzen relativ eng umzäunt und weite zueinander liegen. Die Hohe Wand, ein dort für 10 bis 14 Tage Ziegen eingestellt, ehe sie zwischen Kerngebiet und Weidener Hang vermit- in Form einer Umtriebsweide auf den nächsten telnder, über die Baumwipfel hinausragender Felsen verbracht wurden. Diese spezielle Weide- Felskopf, wurde mit der Absicht freigestellt, dass form einer temporären Ziegenkoppel wird auch dieser als Trittstein fungieren würde. Durch indivi- heute noch eingesetzt (Abbildung 8). duell markierte Falter und einer über drei Jahre angelegten sogenannten Fang-/Wiederfangun- 6. Erfolg: Die Population vergrößert sich tersuchung konnte nachgewiesen werden, dass und erweitert ihr Areal bei der Besiedlung des Weidener Hanges dieser Seit dem Jahr 1990 wird ein jährliches Monitoring Trittstein-Felsen tatsächlich von Imagines auf während der Flugzeit des Apollofalters durchge- dem Weg zum Weidener Hang beflogen wurde. führt, sodass nun mittlerweile Daten über einen Später gelangen auch Nachweise von Flügen Zeitraum von annähernd drei Jahrzehnten zurück ins Kerngebiet, womit klar wurde, dass der vorliegen. Diese Erhebungen erfolgen standardi- weitere Aus- und Aufbau dieses Biotopverbunds siert und immer auf den gleichen Transektrouten, geeignet war, um eine Metapopulation zu sodass für jedes Jahr sowohl die Individuenstärke gewährleisten (Geyer & Dolek 1999). als auch das jeweils besiedelte Areal durch ein Diagramm wiedergegeben werden kann. ANLIEGEN NATUR 41(1), 2019 119
A. Geyer: Artenschutz Apollofalter Datum Datum 1990 1991 120 120 Individuenzahl 100 100 In den Diagrammen zur Individuenstärke sind die 80 80 Daten aus dem Kerngebiet von neu besiedelten 60 60 40 40 Gebieten abgetrennt (Abbildung 9). Dadurch 20 20 kann man verfolgen, wie sich einerseits die Indivi- 0 0 duenstärke im Kerngebiet, dem damals einzig verbliebenen, besiedelten Gebiet, und anderer- . . . . . 8. 6. 7. . . . . . 8. . .6 .6 .7 .7 .8 6. 7. . .6 .6 .7 .7 .8 .5 .5 7. 7. 6. 17 27 17 27 7. 7. 6. 16 17 27 17 27 28 16 28 seits die Gesamtpopulation quantitativ entwickelt 1992 1993 haben. In diesem Zusammenhang sind auch die 120 120 Individuenzahl 100 100 jährlich erstellten Diagramme, die das besiedelte 80 80 Areal wiedergeben, aussagekräftig (Abbildung 7). 60 60 Diese bilden das Kleinziegenfelder Tal schema- 40 40 20 20 tisch ab, wobei auch umgebende Felsen und 0 0 Trockenhänge einbezogen sind. . . . . . 8. 6. 7. . . . . . . 8. .6 .6 .7 .7 .8 6. 7. . .5 .6 .6 .7 .7 .8 .5 7. 7. 6. 17 27 17 27 7. 7. 6. 16 28 17 27 17 27 16 28 Die Diagramme der Jahre 1990 und 1991 zeigen, 2006 2007 120 120 dass die Population damals auf das Kerngebiet Individuenzahl 100 100 beschränkt und sehr individuenarm war (Abbil- 80 80 dungen 7 und 9). 1992 und 1993 stieg die Indivi- 60 60 40 40 duendichte erstmals geringfügig an, wofür die 20 20 beschriebenen Sofortmaßnahmen einen wich- 0 0 tigen Beitrag leisteten. Diese positive Entwicklung setzte sich in den folgenden Jahren fort. Allerdings . . . . . 8. . . . . . 8. 6. 7. 6. 7. . . .6 .6 .7 .7 .8 .6 .6 .7 .7 .8 .5 .5 7. 7. 6. 7. 7. 6. 17 27 17 27 17 27 17 27 16 28 16 28 gab es auch immer wieder Rückschläge, zum 2008 2009 120 120 Beispiel durch ungünstige Wettereinflüsse Individuenzahl 100 100 während der sensiblen ersten Raupenstadien 80 80 (unter anderem hohe Mortalität durch Kälte- 60 60 40 40 und/oder Regenphasen). In solchen Jahren be- 20 20 stätigt sich wieder, wie wichtig individuenreiche 0 0 Vorkommen sind, um auch schlechte Bedingungen und extreme Wetterlagen durchstehen zu können. . . . . . 8. 6. 7. . . . . . . 8. .6 .6 .7 .7 .8 6. 7. . .5 .6 .6 .7 .7 .8 .5 7. 7. 6. 17 27 17 27 7. 7. 6. 16 28 17 27 17 27 16 28 Von einer sicheren Stabilisierung der Population 2010 2011 120 120 kann man erst ab dem Jahr 2006 ausgehen Individuenzahl 100 100 (Abbildungen 7 und 9): Neben einer deutlichen 80 80 Individuenzunahme im Kerngebiet bilden sich 60 60 40 40 auch in den neu besiedelten Gebieten indivi- 20 20 duenstarke Teilpopulationen aus. Dies betrifft 0 0 neben dem Weidener Hang erstmals auch die südlichen Gebiete, wo sich im Jahr 2010 eine Teil- . . . . . 8. 6. 7. . . . . . . 8. .6 .6 .7 .7 .8 6. 7. . .5 .6 .6 .7 .7 .8 .5 7. 7. 6. 17 27 17 27 7. 7. 6. 16 28 17 27 17 27 16 28 population im NSG Hühnerberg auszubilden 2018 beginnt (Abbildung 7). Weitere Nachweise disper- 240 220 gierender Falter folgen in den Jahren 2014 (Stein- 200 bruch bei Kaspauer) und 2015 (Magerrasen bei 180 Köttel), wobei sich am zuletzt genannten Standort 160 zwischenzeitlich eine Teilpopulation etablieren 140 2012 120 konnte. Aus dem Jahr 2018 liegt aktuell ein gesi- 120 Individuenzahl 100 100 cherter neuer Nachweis eines Falters vom Görauer 80 80 Anger vor (Abbildung 7: Jahresdiagramm 2018). 60 60 Eine Raupensuche kann im kommenden Frühjahr 40 40 20 klären, ob es dort zu Eiablagen gekommen ist. 20 0 0 Diese erstaunliche Arealausweitung ist offenbar . . . . . . 8. .8 6. 7. 5. . . . . 8. .6 .6 .7 .7 .8 6. 7. . .6 .6 .7 .7 .5 6. 6. 5. . 15 16 26 16 26 6. 6. 5. 15 27 16 26 16 26 unmittelbar mit der Zunahme der Individuen- 27 dichte verknüpft, die in den beispielhaft darge- Abbildung 9 Ausgewählte Jahresdiagramme der standardisierten Falterzählungen: Monitoring- „Alte“ Transektrouten im Kerngebiet (lila Signatur) stellten Jahresdiagrammen von 2009 bis 2012 Jahres- Addition der Werte der neuen Transektrouten (gelbe Signatur) Maximalwerte von 120 Individuen erreicht. Von diagramme dieser Basis ausgehend, wurde 2018 ein neues zur Indivi- duenstärke. 120 ANLIEGEN NATUR 41(1), 2019
A. Geyer: Apollofalter Artenschutz Niveau erreicht, das die bisherige Skalierung sprengt (Abbildung 9). Mitverantwortlich war das außerordentlich warme Frühjahr, das 2018 keine Kälte- und Regenperioden aufwies, sodass die Larvalmortalität während dieser sensiblen Entwicklungsphase der Raupen mit großer Wahrscheinlichkeit nahe Null lag. 7. Ausblick Der dramatische Rückgang der bayerischen Vorkommen des Apollofalters in den 1960er- bis 1990er-Jahren hat gezeigt, wie eng die Abhängig- keit dieser Art von einer intakten Pioniervegeta- tion auf Kalkfelsen ist und wie schnell dieses Sukzessionsstadium verloren gehen kann. Auch im Kleinziegenfelder Tal müssen daher weitere Anstrengungen unternommen werden, um die notwendige Habitatqualität langfristig zu gewährleisten. Aktuell stellen Felssicherungen, die an den Talhängen unumgänglich sind, eine Gefährdung dar. Denn sowohl die Einnetzung von Felsen (Nährstoffanreicherung unter dem Abbildung 10 Netz) als auch die Beräumung der Felsen beein- Nahezu 100 Jahre alte Halde trächtigen oder zerstören das Larvalhabitat. Nach intensiven Vorarbeiten konnte schließlich im aus dem Steinabbau mit Erfreulicherweise konnte bisher in einigen Fällen Jahr 2006 in einem Umweltpakt zwischen der erdfreien, verdichteten erreicht werden, dass anstelle der genannten Steinindustrie und den Landkreisen Weißenburg- Plattenkalken und ausge- Maßnahmen Schutzzäune errichtet und so die Gunzenhausen und Eichstätt vereinbart werden, prägtem Sedum album- Bestand. Lebensraum von Funktionalität der Felsen erhalten werden konnte. dass neue Halden wieder mit geeignetem Platten- Apollofalter und weiteren Aber auch die Vegetation des Straßenstützhanges gestein abgedeckt und rekultiviert werden. Seit Arten dieser Lebens- wird sich eines Tages aus dem Pionierstadium dem Jahr 2009 arbeitet der Autor als Gebietsbe- gemeinschaft wie Rot- weiterentwickelt haben. Da dieser nicht beweidet treuer (kofinanziert durch den Bayerischen Natur- und Blauflügelige Ödland- werden kann, müssen hier andere Maßnahmen schutzfonds) in Zusammenarbeit mit den zustän- schrecke (Oedipoda germa- nica und Oedipoda caerule- greifen. Im Kleinziegenfelder Tal wird deshalb digen unteren Naturschutzbehörden an der scens; Foto: Adi Geyer). bereits jetzt daran gearbeitet, weitere Felsen frei- weiteren Umsetzung dieses Pakts. Inzwischen zustellen, um später das zu erwartende Defizit wurden die ersten, nach neuen Vorgaben rekulti- ausgleichen zu können. vierten Halden vom Apollofalter und weiteren Arten aus dieser Lebensgemeinschaft „offene Das Artenhilfsprogramm kam im Jahr 1990 für Felshabitate“ wiederbesiedelt. P. apollo gerade noch rechtzeitig, um wenigstens zwei dealpine Vorkommen retten zu können. Zu Beginn des Artenhilfsprogramms galten alpine Diese zweite Region liegt im Naturpark Altmühltal, Regionen als ungefährdet. Leider zeigen aktuelle wo zum Teil 80 Jahre alte, magere Plattenkalk- Untersuchungen, dass inzwischen auch höher halden aus dem Abbau von Solnhofener Platten gelegene Lebensräume in den bayerischen Alpen als Sekundärhabitate entstanden sind (Abbildung gefährdet sind, wie dies für das Birkhuhn am 10; Geyer & Dolek 1995). Weil diese Halden – wie Riedberger Horn gezeigt werden konnte (Werth & Felsen – eine Pioniervegetation mit Sedum album K raft 2015). Momentan wird im Naturpark ausbildeten, konnte ab den 1990er-Jahren noch Nagelfluhkette (Landkreis Oberallgäu) im Auftrag gegengesteuert werden. Die damals üblichen der Regierung von Schwaben untersucht, welchen Rekultivierungsauflagen zielten mit erd- und Einfluss die Landwirtschaft auf Habitate des Apol- nährstoffreichen Abdeckungen darauf ab, dass lofalters hat (Geyer et al., in Vorbereitung). Erste sich neue Halden möglichst schnell mit Büschen Ergebnisse zeigen, dass sich vor allem die und Gehölzen bewachsen, sodass ein akutes verstärkte Ausbringung von Gülle mittlerweile Defizit adäquater, „magerer“ Plattenkalkhalden auch in höheren Lagen negativ auswirkt. Auf dem entstand (Geyer & Dolek 1995, 2001). kalkhaltigen Nagelfluhgestein, das sich auf den von Rindern beweideten Alpflächen befindet, kann durch den Nährstoffeintrag kaum oder kein ANLIEGEN NATUR 41(1), 2019 121
A. Geyer: Artenschutz Apollofalter nutzbares Sedum album mehr wachsen (Bauer & Geyer, A. & Dolek, M. (2001): Das Artenhilfsprogramm Feurle 2017; Liegl 2018). Deshalb ist wichtig, dass für den Apollofalter, Parnassius apollo in Bayern. – man aus den vergangenen Habitatverlusten im Schriftenr. Bayer. LfU, Heft 156: 301–319. außeralpinen Bereich lernt und frühzeitig nega- Geyer, A. & Pönisch, S. (1990): Schutz- und Entwick- tive Einflüsse stoppt. lungskonzept (AHP) für den Apollofalter, Parnassius apollo L. in Arnstein und Wallersberg, Lkr. Lichten- Der Apollofalter war und ist die Zielart in den fels. – Schlussber. f. Bayer. LfU: 19 S., nicht publiziert. untersuchten und bearbeiteten Lebensräumen. Geyer, A. et al. (in Vorbereitung): Erfassung und Be- Durch seinen Schutz wird die artenreiche Lebens- wertung der Vorkommen des Apollofalters (P. apol- gemeinschaft, die auf dieses spezielle Habitat lo) im Naturpark Nagelfluhkette sowie angren- zenden Gebieten im Landkreis Oberallgäu. „offene Felslandschaft“ mit dessen besonderer Vegetation angepasst und angewiesen ist, Liegl, J. (2018): Einfluss der Gülle auf das Larvalhabitat erhalten. des Apollofalters in der Nagelfluhkette. – Fakultät Landschaftsarchitektur, Umwelt- und Stadtplanung (FLUS), Hochschule Nürtingen-Geislingen, Literatur Bachelor-Studiengang Landschaftsplanung und Bauer, C. & Feurle, A. W. (2017): Erfassung und Bewer- Naturschutz; Bachelor-Arbeit: 58 S. tung der Vorkommen des Apollofalters (Parnassius Oberdorfer, E. (1990): Pflanzensoziologische apollo) im Naturpark Nagelfluhkette. – Inatura, For- Exkursionsflora. – 6. Aufl., Eugen Ulmer Verlag: 1050 S. schung online 39: 14 S. Weidemann, H.-J. (1995): Tagfalter – beobachten, Ebert, G. & Rennwald, E. (1991): Die Schmetterlinge bestimmen. – 2. Aufl., Naturbuch-Verlag, Augsburg: Baden-Württembergs. – Band 1 u. 2 (Tagfalter), 659 S. Ulmer-Verlag. Werth, H. & Kraft, B. (2015): Untersuchungen am Birk- Geyer, A. & Dolek, M. (1998): Erfolgskontrolle von Land- huhn (Tetrao tetrix) im Gebiet des Riedberger Horns. schaftspflegemaßnahmen an Fels- und Mager- Berichte zum Vogelschutz, Band 52: 84 S. standorten mit Vorkommen vom Aussterben be- drohter Arten in den Bezirken Oberbayern und Oberfranken. – Schlussber. für Bayer. LfU: 83 S. Geyer, A. & Dolek, M. (1995): Ökologie und Schutz des Apollofalters (Parnassius apollo) in der Frankenalb. – Mitteilungen der deutschen Gesellschaft für allge- meine und angewandte Entomologie, Bd. 10 (1–6): 333–336. Geyer, A. & Dolek, M. (1999): Erfolgskontrolle an einer Population des Apollofalters in der Frankenalb. – Schriftenr. Bayer. LfU, Beiträge zum Artenschutz, Heft 150 (Effizienzkontrollen im Naturschutz): 193–202. Autor Adi Geyer, Jahrgang 1959. Studium der Biologie in Erlangen (1982–84) und (von 1985–1989) in Bayreuth am Lehrstuhl für Tier- ökologie. Anschließend wissenschaftlicher Mitar- beiter am Lehrstuhl der Universität Bayreuth bis 1994. Danach freiberufliche Tätigkeit mit Schwer- punkt Ausarbeitung und Umsetzung von Arten- hilfsprogrammen. Seit 2009 Gebietsbetreuer für naturverträglichen Steinabbau im Naturpark Alt- Zitiervorschlag mühltal. Geyer, A. (2019): Der Apollofalter im Kleinziegen- felder Tal – Erhaltung und Sicherung der Gebietsbetreuer Altmühljura letzten Population in der Fränkischen Schweiz. +49 951-18519048 (AB) – ANLiegen Natur 41(1): 113–122, Laufen; adigeyer@yahoo.de www.anl.bayern.de/publikationen 122 ANLIEGEN NATUR 41(1), 2019
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