Abstraktion. Natur. Körper - Ebene -2 - museum moderner kunst stiftung ludwig wien - Mumok

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Abstraktion. Natur. Körper - Ebene -2 - museum moderner kunst stiftung ludwig wien - Mumok
Abstraktion. Natur. Körper
                                             Ebene –2

museum moderner kunst stiftung ludwig wien
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Abstraktion. Natur. Körper

Die in den 1960er- und 1970er-Jahren vorherrschenden neoavantgardistischen
Kunstrichtungen der Minimal, Concept, Performance und Body Art, der Land Art
und der Arte povera bilden auf Ebene -2 den historischen Rahmen mit Hauptwerken
aus der Sammlung. Sie sind in einen Dialog mit Arbeiten jüngerer Künstler*innen
gestellt, die sich erneut mit den in der Neoavantgarde zentralen Themen der
Abstraktion, der Natur und des Körpers auseinandersetzen.

Geometrie, nüchterne Formen, Serialität und industrielle Fertigung bestimmen
weitgehend die objekt- und raumbezogenen Arbeiten der Minimal Art, die auch auf
eine Sensibilisierung der Betrachter*innen für den eigenen Wahrnehmungsprozess
ausgerichtet sind. Die Überwindung minimalistischer Programmatik in den nach­
folgenden konzeptuellen, medienbasierten und performativen Kunstrichtungen ist
von einer zunehmenden Gesellschafts- und Medienreflexion gekennzeichnet. Auch
die geometrische Abstraktion scheint in immer neuen, zeitbezogenen Kontexten
auf. Ausgehend von der Land Art und der Arte povera, die in den 1960er- und
1970er-Jahren der Kunst mit ihren Landschafts- und Naturbezügen neues Terrain
erschlossen, lassen sich Entwicklungslinien der Naturdarstellung verfolgen, die
bis in aktuelle Diskurse reichen, in denen die Sensibilität gegenüber der Natur- und
Umweltzerstörung der Kunst neue zeitanalytische und -kritische Perspektiven
eröffnet. In der Performance und Body Art werden die Arbeiten vielfach zu Spiegel-
und Gegenbildern verdrängter gesellschaftlicher Konflikte. Soziale Repressionen
ebenso wie Formen des Widerstands und alternative Lebensentwürfe zeigen sich
im Umgang der Künstler*innen mit dem Bild des Körpers bis heute.

Abstraktion

Donald Judds Alubox Untitled, 1987–1988, (1) ist einer Reihe ähnlicher Arbeiten
verwandt, die unterschiedliche Raumteilungen durchspielen und den Hang der
Minimal Art zur Serialität und Modularität verraten. Die eigene Bewegung um das
Objekt und die Blickführung bestimmen das Erscheinungsbild der Konstruktion
entscheidend mit. In der Gegenüberstellung mit Stanislav Kolíbals geometrischem
Raumkonstrukt Bau II, 1988, (2) aus Sperrholz mit seiner sinnlichen Materialität
und dynamischen Form tritt Judds nüchterner Formalismus noch deutlicher
hervor. Geometrisierung und nüchterne Serialität stellt Robert Smithson in einen
Land­schafts- und Naturkontext, der zugleich auf ökonomische Ausbeutung
verweist – ein auch unter dem Aspekt heutiger Katastrophenszenarien höchst
aktueller Ansatz.

Die Programmatik der Minimal und Concept Art wird von Künstlern wie John
Baldessari oder Ernst Caramelle (3) auf ironische Weise unterlaufen. Baldessari
singt Sol LeWitts „Paragraphs on Conceptual Art“ wie eine volksliedartige
Litanei herunter und macht sich damit über den programmatischen Anspruch
seines Künstlerkollegen lustig. Den Versuch, künstlerische Praxis durch Theorie
festzuschreiben, unterläuft Caramelle in einer Arbeit, die vorgibt, wie Werke von ihm
in den unterschiedlichen neoavantgardistischen Kunstrichtungen aussehen würden.
Der Hang zur Systematisierung kennzeichnet Heinz Gappmayrs sprach- und
raumbezogenes Werk sowie Jiří Valochs konkrete Poesie. Beide Künstler beziehen
Raum und Sprache aufeinander, um deren jeweilige Bedeutung im Wechsel­-
bezug zu erhellen. Die Arbeiten von Jo Baer und Kenneth Noland (4) zeigen die
Auseinandersetzung mit konstruktivistischen und reduktivistischen Prinzipien,
um die Malerei ins Objekthafte zu erweitern.

Das Spiel zwischen geometrischer Abstraktion und Scheinfunktionalität bei
Anita Leisz (5), die Thematisierung des Sockels als Werk bei Heimo Zobernig,
die metallene Schwere der Hula-Hoops von Marzena Nowak oder die in Balance
verharrenden gestängeartigen Geometrien von Roland Kollnitz sind Beispiele
aktueller Verknüpfungen formaler Reduktion mit je unterschiedlichen inhaltsreichen
Bezügen. In seiner Auseinandersetzung mit zeitgeschichtlichen Konflikten in der
Ukraine bezieht sich Nikita Kadan auf die politischen Dimensionen des historischen
Konstruktivismus.

Natur

Als die Künstler*innen der Land Art (7), darunter Richard Long, Hamish Fulton und
Hannsjörg Voth, ihre natur- und landschaftsbezogenen Arbeiten schufen, bedeutete
dies auch, die institutionellen Grenzen des Kunstbetriebs zu überschreiten und
der Kunst buchstäblich neues Terrain zu erschließen. Fulton und Long sind für ihre
in abgelegenen Landschaften errichteten „Skulpturen“ bekannt beziehungsweise
gestalten ihre Indoor-Arbeiten als Referenzen an ihre Erfahrungen im Naturraum.
Fulton thematisiert das Wandern in bestimmten Gegenden und die dabei durchlebte
Zeit auch in seinen Fotoarbeiten. Naturerleben und präzise Struktur bestimmen
auch die Arbeiten von Richard Long, in denen das Naturhafte und das streng
Kalkulierte einander in Spannung versetzen. So gelten für seinen Steinkreis zwar
grundlegende Vorgaben für das Auflegen der Steine, dennoch lassen diese einen
unendlichen Variantenreichtum der endgültigen Form zu. In Hannsjörg Voths
Außenprojekten, Entwürfen und Modellen zu monumentalen architektonischen
Landschaftsskulpturen verbindet sich das Symmetrisch-Mathematische mit dem
Archaischen sowie das Erhabene mit dem Vergänglichen, wenn beispielsweise die
in der marokkanischen Wüste realisierten Arbeiten der Verwitterung preisgegeben
sind.

Naturhaftes in Gestalt eines Strohballens und Technoides in Form einer Neonröhre
verbindet Mario Merz in seiner Arbeit Il fulmine colpisce il campo (Der Blitz schlägt
ins Feld ein), 1968 (8). Der poetische Titel sowie die in der Arbeit angezeigte
Synthese von Natur und Technologie, von Geschichte und Gegenwart sind für die
Arte povera charakteristisch. Joseph Beuys’ verkohlte Tür mit Vogelschädel ist als
Relikt eines Atelierbrands zugleich eine Metapher für Vergänglichkeit und Verfall.
Abseits der westlichen Kunstzentren haben sich in den 1970er-Jahren im rumän­isch­
en Temeswar Ştefan Bertalan, Constantin Flondor und Doru Tulcan als Mitglieder
der Künstlergruppe Sigma (9) einer wissenschaftsaffinen Kunst in ländlicher
Umgeb­­ung verschrieben. Unter Einbeziehung von Naturwissenschaftler*innen,
Mathematiker*innen, Architekt*innen und Philosoph*innen wurde Kunst zu einer
interdisziplinären Praxis, die der staatlichen Propagandakunst einen differenzierten
Kunst- und Gesellschaftsbegriff entgegenstellte.

Ingeborg Strobl und Lois Weinberger eint die Beachtung des Randständigen,
Marginalisierten sowie die geschichtsbewusste Sicht auf die Natur und deren
gesellschaftliche Wertigkeit. Als Ethnograf und Archäologe übersetzt Weinberger
(10) in anonymisierten Selbstporträts Stereotype der christlichen Ikonografie
in eine biografische und buchstäblich irdische Sphäre. Auch das Symbol der
Dornenkrone transformiert er ins Profane, in seiner begradigten Version wird sie zu
einer ironischen Paraphrase auf Piet Mondrians Verdrängung des Naturhaften und
dessen Vergötterung reiner Geometrie. Natürlicher Verfall wird in Ingeborg Strobls
Diaprojektion Zeit, 2003, (11) zum Verweis auf realgeschichtliche Prozesse. Ihre
Aufnahmen von einst bedeutsamen Orten in Polen, wie etwa der Danziger Werft,
vermitteln im Verfall und in der Rückeroberung der Werftanlage durch die Natur ein
Sittenbild gegenwärtiger Geschichtsverdrängung.

Nikita Kadans Limits of Responsibility, 2014, (12) handelt von der Revolution
2013/2014 in Kiew gegen den Machthaber Viktor Janukowitsch. Das pflanzen­
bestückte Tableau bezieht sich sowohl auf die Gemüsegärten, die von den
Demonstrant*innen zur eigenen Verpflegung auf dem Maidan angelegt wurden, um
den Ort ihres Protestes nicht verlassen zu müssen, als auch auf die Fünfjahrespläne
unter kommunistischer Herrschaft, die einen Fortschritt in der Landwirtschaft
propagierten, den es de facto nicht gab. Die leeren Versprechen der Vergangenheit
werden hier mit einer neuen Form staatlicher Bevormundung konfrontiert.

Anti-Art und Gesten der Reduktion

Die Ablehnung traditioneller künstlerischer Gestaltungsweisen und Gattungs­
grenzen ist ein zentrales Erbe der Moderne, das die Neoavantgarde mitbestimmte
und sich seither in unterschiedlichen Spielformen von Antikunst mit ihren Gesten
der Reduktion oder Auslöschung niederschlägt. Um Kunst, die keine Kunst im
konventionellen Sinn sein sollte, zu schaffen, verlegte sich Daniel Buren (13) in
seiner Arbeit auf die alleinige Verwendung eines Streifenmusters von 8,7 cm Breite
auf unterschiedliche Bildträger. Angeregt dazu wurde er von einem gestreiften
Markisenstoff, den er 1965 auf dem Marché Saint-Pierre in Paris entdeckte. Ernst­
hafte Kritik an konventioneller Kunst verband John Baldessari mit Humor, etwa
wenn er in einem Video schriftlich versichert, keine langweilige Kunst mehr machen
zu wollen. Auch in Arnulf Rainers Übermalung violett, 1961, (14) in der fast die
gesamte Bildfläche dunkel übermalt ist, wird das Auslöschen und Verbergen zum
sinnstiftenden Prinzip.

Die Verbindung von Weiß als Nicht- oder Antifarbe mit der Erweiterung der Malerei
ins Skulptural-Dingliche und Objekthafte oder ins Performative lässt sich ab
den 1960er-Jahren verstärkt beobachten. Angeregt von den monochrom blauen
Bildern Yves Kleins schuf Piero Manzoni zwischen 1957 und 1963 die Werkserie
der Achromes (15). Sie sollten als „inhaltsfreie“ und farblose Form keinerlei Anlass
zu symbolischer Überhöhung des Werks und seines Autors liefern. Günter Brus’
Wiener Spaziergang, 1965, (16) zählt als eine Geste provokativer Selbstbemalung zu
den zentralen Erweiterungen der Malerei des Wiener Aktionismus ins Performative,
um der geistigen Verengung nach dem Zweiten Weltkrieg hierzulande den Spiegel
vorzuhalten.

Das Spiel von Weiß und Grau, von zeichnerisch-skripturalen Akzenten und Spuren
in Cy Twomblys Malereien und Skulpturen haben Dan Flavin dazu bewogen,
seinem Künstlerfreund in Gestalt unterschiedlich weißer Leuchtstoffröhren ein
Porträt zu widmen (17). Das industrielle Motiv der Röhren entsprach der minima­
listischen Absicht, bewusst nüchterne, kunstfremde und präfabrizierte Materialien
einzusetzen. Diese liefern hier einen Verweis auf die meditative und reduktive
Kunst Twomblys. Oswald Oberhuber gestaltete bereits Anfang der 1950er Jahre ein
„malerisch“ zerfetztes Lampenobjekt, eine skulpturale Übersetzung des Informel, in
der auch der existenzialistische Aufschrei der Nachkriegszeit nachhallt. In Mladen
Stilinovićs White Absence, 1990–1995, (18) erscheint das Weiß als Farbe des
Schweigens, der Leere, der Abwesenheit, der Armut und des Schmerzes angesichts
der Gräuel der Jugoslawienkriege.

Kosmos

Der Aufbruch in der Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre war mit gesellschaftlichen
Utopien verbunden, die den Kosmos und die Raumfahrt als zentrale Motive
nutzten. Bei Július Koller, der sich selbst als Ufonaut bezeichnete, steht der
Kosmos für eine alternative Welt zu jener des real existierenden Sozialismus mit
seinen Repressalien. Die Weite des Alls wird dabei zu einem metaphorischen
Gegenbild zur tristen Wirklichkeit und zu einem utopischen Entwurf der Befreiung.
Stano Filkos Antwort auf den staatlich verordneten Materialismus bestand in
einer obsessiven Hinwendung zu parawissenschaftlicher Symbolik und einer
systematisch entwickelten Psycho-Philosophie, wobei kosmologische Visionen
im Vordergrund standen (19). Das Interesse an der Raumfahrt als Katalysator
visionärer Utopien spiegelt sich auch in Tamás Henczes abstrakter, aber zugleich
illusionistischer Malerei, die der Space-Age-Ästhetik verbunden ist. Friedrich
Kieslers interdisziplinäre Kunst (20), die Architektur, Design und bildende Kunst in
einem System des Korrealismus miteinander verknü­pfte, fand unter anderem in den
sich verzweigenden Bildorganismen, die er in Anspielung auf den Kosmos als einem
ganzheitlichen System aus unend­licher Vielheit Galaxies nannte, ihren Ausdruck.
Haus-Rucker-Co. (Laurids Ortner, Klaus Pinter, Günter Zamp Kelp) nehmen mit ihrem
Mind Expander II, 1969, als Teil ihres „Mind Expanding Program“ die Faszination der
Weltraumforschung auf und spielen ironisch auf eine Bewusstseinserweiterung unter
den Bedingungen von eingeschränkter Bewegungsfreiheit und Automat­isierung an.

Gerhard Rühm bearbeitet in Lehrsätze über das Weltall, 1968, (21) den gleich­
namigen Text des Physikers Robert Büchler, der als offener Brief an Albert Einstein
gerichtet war. Rühm bedeckt die Seiten mit schwarzer Farbe und lässt nur einzelne
Sätze oder gar Wörter sichtbar, die wie Sterne am Nachthimmel herausleuchten. Die
Brücke zwischen Kunst und Wissenschaft schlägt Richard Kriesche, indem er den
ersten Ausflug eines Österreichers ins All zum Anlass nahm, sich unmittelbar in die
Fernsehübertragung einzuklinken, mit dem Astronauten live zu kommunizieren und
zugleich ein medial-skulpturales Werk zu schaffen. Die kosmologischen Utopien
der Neoavantgarde der 1960er- und 1970er-Jahre haben in Arbeiten der Gegenwart
der Ernüchterung Platz gemacht. Sonia Leimers Space Junk-Objekte verweisen
auf die Vermüllung des Weltraumes und die Zerstörung der natürlichen Biosphäre
der Erde. Der Traum vom Aufbruch in ferne Welten weicht hier dem Alptraum
technologiegestützter Selbstzerstörung.

Gesellschafts-Körper

In den 1960er-Jahren zeigen sich die gesellschaftspolitischen Umbrüche auch
in einer verstärkten Politisierung der Kunst. Damit einher ging eine Aufwertung
medienbasierter, aktionistischer und performativer Kunstrichtungen, die der
Rolle des*der Einzelnen im gesellschaftlichen Gefüge insbesondere in Bezug
auf Körperthematik nachspürten. VALIE EXPORT setzt sich in ihrer auf Video
aufgezeichneten Performance Hyperbulie, 1973, (22) einer schmerzhaften Tortur
durch Stromschläge aus, während sie mit nacktem Körper in geduckter Haltung
einen engen Parcours durchquert. Ihre Körperaktion repräsentiert Unterdrückung
und Widerstand zugleich, sie bildet metaphorisch gesellschaftliche Zwänge und
Torturen ab und arbeitet beharrlich gegen deren Verdrängung an.

Die Auswirkungen öffentlicher Hierarchien und Machtstrukturen auf das Private und
Persönliche stehen auch im Zentrum der Arbeiten von Sanja Iveković. In einer Reihe
früher Fotocollagen mit dem bezeichnenden Titel Bitter Life, 1975/76, konfrontiert
sie Klischees und Verklärungen des Weiblichen in der Medienindustrie mit den
real­en Existenzbedingungen und dem leidvollen Schicksal von Frauen. Die polare
Sicht von männlich und weiblich stellt der rumänische Künstler Ion Grigorescu in
Delivery/Birth, 1977/2014, (23) ebenso in Frage wie die Trennung zwischen privater
Existenz und politischer Macht. Denn der Mann als Gebärer verweist auch auf den
despotischen Nicolae Ceaușescu als „Gebärer der Nation“, konterkariert allerdings
dessen nationalistischen und machistischen Pathos. In dem von Ion Grigorescu
aufgenommenen Video The Studio, 1978, (24) benutzt Geta Brătescu in einer Sequenz
ihren Körper wie einen Zirkel, um sich in das Atelier als ihren Arbeits- und Existenzraum
einzuschreiben. Sie agiert dabei wie auf einer Bühne, die sie zugleich konstruiert.
Selbstbewusst bestimmt sie das Zeichnen als performativen körperlichen Akt, der
ihr Atelier als künstlerischen Freiraum innerhalb einer totalitären kommunistischen
Gesellschaftsordnung zu behaupten sucht.

Die Künstler*innengruppe DIE DAMEN (Ona B., Evelyne Egerer, Birgit Jürgenssen,
Ingeborg Strobl, Lawrence Weiner) (25) legte seit den späten 1980er-Jahren in ihren
Performances, parodistischen Events und installativen Arbeiten traditionelle Rollenbilder
aus feministischer Perspektive bloß. Dazu zählt auch ihr ironischer Kommentar zur
Theorie der Postmoderne in Form einer Performance über das praktische Postwesen. In
einer Art Umspringästhetik verknüpft Renate Bertlmann in ihrer Arbeit Exhibitionismus
behaart, 1973, (26) sexuelle Symbolik mit comicartigem Esprit. Der Fetischisierung
männlicher Macht kontert sie mit ihren sexuell konnotierten Fetischobjekten und
-installationen, die auf spielerische Weise dominante gesellschaftliche und geschlecht­
liche Rollenbilder konterkarieren. Bei Yayoi Kusama lässt der malerisch und skulptural
bedingte Funktions­verlust von Kleidern deren grundsätzlich fetischartigen Charakter erst
so recht aufblitzen. Maria Hahnenkamp verweist auf die politischen und ideologischen
Dimensionen des vorgeblich inhaltsfreien Ornaments und dessen Verstrickungen in
patriarchale Weiblichkeitsklischees. Ihr Runde Formen Album, 1988/89, zeigt Aufnahmen
der Hände ihrer Mutter bei der Küchenarbeit, überlagert und akzentuiert von den
feinlinigen Ornamenten auf den semitransparenten Zwischenblättern.

Hybride Körper

Der Einfluss performativer Kunst macht sich seit den 1960er-Jahren auch in unter­
schiedlichen Formen erweiterter Malerei und Skulptur bemerkbar, in deren Gefolge
das Bild des Körpers hybride und amorphe Züge annimmt. Otto Muehl übersetzt die
Malerei ins Filmische und Aktionistische, um sie zusammen mit dem Bild des Körpers
faktisch und metaphorisch aufzuweichen, während die Körpergefühlsmalerei von Maria
Lassnig (27) die physischen und psychischen Befindlichkeiten des Körpers im Akt des
Malens zur Darstellungsgrundlage erhebt. Bei Franz West mündet die Skulptur in Gestalt
der Passstücke in körperbezogene Objekte, deren Form und Bedeutung sich durch
körperlichen Umgang erschließt. Skulptur erscheint hier als buchstäblich handhabbare
Angelegenheit, in der sich körperliche Physiognomie und Funktionalität widerspiegeln
und das Gegenüber von Kunst und Betrachter*in in ein Ineinander und Miteinander
überführt wird. Erfahrungen aus anderen Medien in das Eigene der Fotografie zu
übersetzen, ist ein grundlegender Ansatz in Friedl Kubelkas Arbeit, wie ihre Fotoserie
mit dem Bikini von Franz West zeigt. Robert Morris geht in seinen Anti-Form-Werken
wie Untitled, 1974, (28) mit ihren weich fließenden, zum Teil textilen Materialien und
deren anthropomorphen Bezügen gegen die von ihm einst selbst aufgestellten Regeln
minimalistischer Abstraktion vor.
Die Künstler*innen einer jüngeren Generation sehen sich einer Situation gegenüber,
in der die Verschmelzung von Realität und Virtualität, von Fakten und Fiktion post­
humane Züge trägt. In der Auseinandersetzung mit den Konsequenzen eines
anthropozentrischen Weltbildes, das mit seiner Fortschrittseuphorie zugleich auch
Katastrophen- und Untergangsszenarien hervorruft, gewinnen Strategien und
Formen des Fluiden und Hybriden neue und zeitbezogene Aktualität. Auf die Haut
als Voraussetzung allen Lebens wie auch als Motiv für dessen Verletzlich­keit und
Hinfälligkeit spielt Hannah Black mit ihrer Latexmembran an (29). Wie Cyberwesen aus
einer anderen Welt erscheinen manche Motive in den auf Schwarz, Weiß und deren
Schattierungen konzentrierten Malereien von Tobias Pils. Barbara Kapustas Empathic
Creatures, 2018, (30) sind filmisch animierte und fragmentierte Körperwesen, die
sich ständig transformieren und die Frage nach möglichen Existenzbedingungen
in einem postapokalyptischen Szenario aufwerfen. Angesichts einer aus den
Fugen geratenen, sich selbst zerstörenden Welt scheinen diese Wesen trotz ihrer
Entstellung einen unbändigen Überlebenswillen zu zeigen und neue Utopien und
sozialen Gemeinschaften einzufordern. Auch die organisch-künstlichen Gebilde des
Künstler*innenduos Pakui Hardware (Neringa Černiauskaitė, Ugnius Gelguda) sind
in einer Welt angesiedelt, in der die zunehmende Verflechtung von Technologie und
Ökonomie zu hybriden, technologiebestimmten Lebensformen führt.
Impressum                            Ausstellung                                Begleitheft

mumok                                Enjoy                                      Abstraktion. Natur. Körper
Museum moderner Kunst                Die mumok Sammlung im Wandel
Stiftung Ludwig Wien                                                            Herausgegeben von Jörg Wolfert
                                     Abstraktion. Natur. Körper                 für die Kunstvermittlung mumok
MuseumsQuartier                      Kurator: Rainer Fuchs                      Text: Rainer Fuchs
Museumsplatz 1                                                                  Redaktion: Jörg Wolfert
A-1070 Wien                          19. Juni 2021 bis 18. April 2022           Lektorat: Eva Luise Kühn
www.mumok.at                                                                    Grafische Gestaltung: Olaf Osten

Generaldirektorin: Karola Kraus      Gefördert durch die Peter und Irene        Umschlag: Sanja Iveković, Tito’s dress,
Wirtschaftliche Geschäftsführerin:   Ludwig Stiftung                            1981 – 1982, © Sanja Iveković
Cornelia Lamprechter
                                     Kurator*innen: Manuela Ammer,              © mumok 2021
                                     Heike Eipeldauer, Rainer Fuchs,
                                     Naoko Kaltschmidt, Matthias Michalka
                                     Ausstellungsorganisation: Claudia Dohr,
                                     Lisa Schwarz, Dagmar Steyrer
                                     Sammlung: Franklin Castanien, Sophie
                                     Haaser, Simone Moser, Holger Reetz
                                     Restauratorische Betreuung: Christina
                                     Hierl, Kathrine Ruppen, Karin Steiner
                                     Ausstellungsaufbau: Tina Fabijanic,
                                     Wolfgang Moser, Valerian Moucka,
                                     Gregor Neuwirth, Andreas Petz, Helmut
                                     Raidl, Lovis Zimmer, museum standards
                                     Audiovisuelle Technik: Wolfgang Konrad,
                                     Michael Krupica, museum standards
                                     Presse: Marie-Claire Gagnon, Katja
                                     Kulidzhanova, Katharina Murschetz
                                     Marketing: Maria Fillafer, Anna Weiss
                                     Sponsoring, Fundraising und
                                     Veranstaltungen: Katharina Grünbichler,
                                     Karin Kirste, Cornelia Stellwag-Carion,
                                     Kunstvermittlung: Mercede Ameri,
                                     Stefanie Fischer, Astrid Frieser,
                                     Stefanie Gersch, Helene Heiß, Benedikt
                                     Hochwartner, Maria Huber, Ivan Jurica,
                                     Ümit Mares-Altinok, Mikki Muhr, Stefan
                                     Müller, Patrick Puls, Christine Schelle,
                                     Jörg Wolfert
Die mumok Sammlung im Wandel
                  19. Juni 2021 bis 18. April 2022

          Ebene 4 Revue Moderne
               3 Gegenwart der Geschichte
               2 Figur und Skulptur
               0 (Anti-)Pop
              –2 Abstraktion. Natur. Körper
              –2 Re/Aktionen
              –4 Die Grenzen unserer Welt
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