Abstraktion. Natur. Körper - Ebene -2 - museum moderner kunst stiftung ludwig wien - Mumok
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Ebene -2 11 7 1 3 5 9 2 12 6 4 8 10 25 18 28 17 30 19 29 27 22 15 24 13 23 26 14 16 21 20
Abstraktion. Natur. Körper Die in den 1960er- und 1970er-Jahren vorherrschenden neoavantgardistischen Kunstrichtungen der Minimal, Concept, Performance und Body Art, der Land Art und der Arte povera bilden auf Ebene -2 den historischen Rahmen mit Hauptwerken aus der Sammlung. Sie sind in einen Dialog mit Arbeiten jüngerer Künstler*innen gestellt, die sich erneut mit den in der Neoavantgarde zentralen Themen der Abstraktion, der Natur und des Körpers auseinandersetzen. Geometrie, nüchterne Formen, Serialität und industrielle Fertigung bestimmen weitgehend die objekt- und raumbezogenen Arbeiten der Minimal Art, die auch auf eine Sensibilisierung der Betrachter*innen für den eigenen Wahrnehmungsprozess ausgerichtet sind. Die Überwindung minimalistischer Programmatik in den nach folgenden konzeptuellen, medienbasierten und performativen Kunstrichtungen ist von einer zunehmenden Gesellschafts- und Medienreflexion gekennzeichnet. Auch die geometrische Abstraktion scheint in immer neuen, zeitbezogenen Kontexten auf. Ausgehend von der Land Art und der Arte povera, die in den 1960er- und 1970er-Jahren der Kunst mit ihren Landschafts- und Naturbezügen neues Terrain erschlossen, lassen sich Entwicklungslinien der Naturdarstellung verfolgen, die bis in aktuelle Diskurse reichen, in denen die Sensibilität gegenüber der Natur- und Umweltzerstörung der Kunst neue zeitanalytische und -kritische Perspektiven eröffnet. In der Performance und Body Art werden die Arbeiten vielfach zu Spiegel- und Gegenbildern verdrängter gesellschaftlicher Konflikte. Soziale Repressionen ebenso wie Formen des Widerstands und alternative Lebensentwürfe zeigen sich im Umgang der Künstler*innen mit dem Bild des Körpers bis heute. Abstraktion Donald Judds Alubox Untitled, 1987–1988, (1) ist einer Reihe ähnlicher Arbeiten verwandt, die unterschiedliche Raumteilungen durchspielen und den Hang der Minimal Art zur Serialität und Modularität verraten. Die eigene Bewegung um das Objekt und die Blickführung bestimmen das Erscheinungsbild der Konstruktion entscheidend mit. In der Gegenüberstellung mit Stanislav Kolíbals geometrischem Raumkonstrukt Bau II, 1988, (2) aus Sperrholz mit seiner sinnlichen Materialität und dynamischen Form tritt Judds nüchterner Formalismus noch deutlicher hervor. Geometrisierung und nüchterne Serialität stellt Robert Smithson in einen Landschafts- und Naturkontext, der zugleich auf ökonomische Ausbeutung verweist – ein auch unter dem Aspekt heutiger Katastrophenszenarien höchst aktueller Ansatz. Die Programmatik der Minimal und Concept Art wird von Künstlern wie John Baldessari oder Ernst Caramelle (3) auf ironische Weise unterlaufen. Baldessari singt Sol LeWitts „Paragraphs on Conceptual Art“ wie eine volksliedartige Litanei herunter und macht sich damit über den programmatischen Anspruch
seines Künstlerkollegen lustig. Den Versuch, künstlerische Praxis durch Theorie festzuschreiben, unterläuft Caramelle in einer Arbeit, die vorgibt, wie Werke von ihm in den unterschiedlichen neoavantgardistischen Kunstrichtungen aussehen würden. Der Hang zur Systematisierung kennzeichnet Heinz Gappmayrs sprach- und raumbezogenes Werk sowie Jiří Valochs konkrete Poesie. Beide Künstler beziehen Raum und Sprache aufeinander, um deren jeweilige Bedeutung im Wechsel- bezug zu erhellen. Die Arbeiten von Jo Baer und Kenneth Noland (4) zeigen die Auseinandersetzung mit konstruktivistischen und reduktivistischen Prinzipien, um die Malerei ins Objekthafte zu erweitern. Das Spiel zwischen geometrischer Abstraktion und Scheinfunktionalität bei Anita Leisz (5), die Thematisierung des Sockels als Werk bei Heimo Zobernig, die metallene Schwere der Hula-Hoops von Marzena Nowak oder die in Balance verharrenden gestängeartigen Geometrien von Roland Kollnitz sind Beispiele aktueller Verknüpfungen formaler Reduktion mit je unterschiedlichen inhaltsreichen Bezügen. In seiner Auseinandersetzung mit zeitgeschichtlichen Konflikten in der Ukraine bezieht sich Nikita Kadan auf die politischen Dimensionen des historischen Konstruktivismus. Natur Als die Künstler*innen der Land Art (7), darunter Richard Long, Hamish Fulton und Hannsjörg Voth, ihre natur- und landschaftsbezogenen Arbeiten schufen, bedeutete dies auch, die institutionellen Grenzen des Kunstbetriebs zu überschreiten und der Kunst buchstäblich neues Terrain zu erschließen. Fulton und Long sind für ihre in abgelegenen Landschaften errichteten „Skulpturen“ bekannt beziehungsweise gestalten ihre Indoor-Arbeiten als Referenzen an ihre Erfahrungen im Naturraum. Fulton thematisiert das Wandern in bestimmten Gegenden und die dabei durchlebte Zeit auch in seinen Fotoarbeiten. Naturerleben und präzise Struktur bestimmen auch die Arbeiten von Richard Long, in denen das Naturhafte und das streng Kalkulierte einander in Spannung versetzen. So gelten für seinen Steinkreis zwar grundlegende Vorgaben für das Auflegen der Steine, dennoch lassen diese einen unendlichen Variantenreichtum der endgültigen Form zu. In Hannsjörg Voths Außenprojekten, Entwürfen und Modellen zu monumentalen architektonischen Landschaftsskulpturen verbindet sich das Symmetrisch-Mathematische mit dem Archaischen sowie das Erhabene mit dem Vergänglichen, wenn beispielsweise die in der marokkanischen Wüste realisierten Arbeiten der Verwitterung preisgegeben sind. Naturhaftes in Gestalt eines Strohballens und Technoides in Form einer Neonröhre verbindet Mario Merz in seiner Arbeit Il fulmine colpisce il campo (Der Blitz schlägt ins Feld ein), 1968 (8). Der poetische Titel sowie die in der Arbeit angezeigte Synthese von Natur und Technologie, von Geschichte und Gegenwart sind für die Arte povera charakteristisch. Joseph Beuys’ verkohlte Tür mit Vogelschädel ist als
Relikt eines Atelierbrands zugleich eine Metapher für Vergänglichkeit und Verfall. Abseits der westlichen Kunstzentren haben sich in den 1970er-Jahren im rumänisch en Temeswar Ştefan Bertalan, Constantin Flondor und Doru Tulcan als Mitglieder der Künstlergruppe Sigma (9) einer wissenschaftsaffinen Kunst in ländlicher Umgebung verschrieben. Unter Einbeziehung von Naturwissenschaftler*innen, Mathematiker*innen, Architekt*innen und Philosoph*innen wurde Kunst zu einer interdisziplinären Praxis, die der staatlichen Propagandakunst einen differenzierten Kunst- und Gesellschaftsbegriff entgegenstellte. Ingeborg Strobl und Lois Weinberger eint die Beachtung des Randständigen, Marginalisierten sowie die geschichtsbewusste Sicht auf die Natur und deren gesellschaftliche Wertigkeit. Als Ethnograf und Archäologe übersetzt Weinberger (10) in anonymisierten Selbstporträts Stereotype der christlichen Ikonografie in eine biografische und buchstäblich irdische Sphäre. Auch das Symbol der Dornenkrone transformiert er ins Profane, in seiner begradigten Version wird sie zu einer ironischen Paraphrase auf Piet Mondrians Verdrängung des Naturhaften und dessen Vergötterung reiner Geometrie. Natürlicher Verfall wird in Ingeborg Strobls Diaprojektion Zeit, 2003, (11) zum Verweis auf realgeschichtliche Prozesse. Ihre Aufnahmen von einst bedeutsamen Orten in Polen, wie etwa der Danziger Werft, vermitteln im Verfall und in der Rückeroberung der Werftanlage durch die Natur ein Sittenbild gegenwärtiger Geschichtsverdrängung. Nikita Kadans Limits of Responsibility, 2014, (12) handelt von der Revolution 2013/2014 in Kiew gegen den Machthaber Viktor Janukowitsch. Das pflanzen bestückte Tableau bezieht sich sowohl auf die Gemüsegärten, die von den Demonstrant*innen zur eigenen Verpflegung auf dem Maidan angelegt wurden, um den Ort ihres Protestes nicht verlassen zu müssen, als auch auf die Fünfjahrespläne unter kommunistischer Herrschaft, die einen Fortschritt in der Landwirtschaft propagierten, den es de facto nicht gab. Die leeren Versprechen der Vergangenheit werden hier mit einer neuen Form staatlicher Bevormundung konfrontiert. Anti-Art und Gesten der Reduktion Die Ablehnung traditioneller künstlerischer Gestaltungsweisen und Gattungs grenzen ist ein zentrales Erbe der Moderne, das die Neoavantgarde mitbestimmte und sich seither in unterschiedlichen Spielformen von Antikunst mit ihren Gesten der Reduktion oder Auslöschung niederschlägt. Um Kunst, die keine Kunst im konventionellen Sinn sein sollte, zu schaffen, verlegte sich Daniel Buren (13) in seiner Arbeit auf die alleinige Verwendung eines Streifenmusters von 8,7 cm Breite auf unterschiedliche Bildträger. Angeregt dazu wurde er von einem gestreiften Markisenstoff, den er 1965 auf dem Marché Saint-Pierre in Paris entdeckte. Ernst hafte Kritik an konventioneller Kunst verband John Baldessari mit Humor, etwa wenn er in einem Video schriftlich versichert, keine langweilige Kunst mehr machen
zu wollen. Auch in Arnulf Rainers Übermalung violett, 1961, (14) in der fast die gesamte Bildfläche dunkel übermalt ist, wird das Auslöschen und Verbergen zum sinnstiftenden Prinzip. Die Verbindung von Weiß als Nicht- oder Antifarbe mit der Erweiterung der Malerei ins Skulptural-Dingliche und Objekthafte oder ins Performative lässt sich ab den 1960er-Jahren verstärkt beobachten. Angeregt von den monochrom blauen Bildern Yves Kleins schuf Piero Manzoni zwischen 1957 und 1963 die Werkserie der Achromes (15). Sie sollten als „inhaltsfreie“ und farblose Form keinerlei Anlass zu symbolischer Überhöhung des Werks und seines Autors liefern. Günter Brus’ Wiener Spaziergang, 1965, (16) zählt als eine Geste provokativer Selbstbemalung zu den zentralen Erweiterungen der Malerei des Wiener Aktionismus ins Performative, um der geistigen Verengung nach dem Zweiten Weltkrieg hierzulande den Spiegel vorzuhalten. Das Spiel von Weiß und Grau, von zeichnerisch-skripturalen Akzenten und Spuren in Cy Twomblys Malereien und Skulpturen haben Dan Flavin dazu bewogen, seinem Künstlerfreund in Gestalt unterschiedlich weißer Leuchtstoffröhren ein Porträt zu widmen (17). Das industrielle Motiv der Röhren entsprach der minima listischen Absicht, bewusst nüchterne, kunstfremde und präfabrizierte Materialien einzusetzen. Diese liefern hier einen Verweis auf die meditative und reduktive Kunst Twomblys. Oswald Oberhuber gestaltete bereits Anfang der 1950er Jahre ein „malerisch“ zerfetztes Lampenobjekt, eine skulpturale Übersetzung des Informel, in der auch der existenzialistische Aufschrei der Nachkriegszeit nachhallt. In Mladen Stilinovićs White Absence, 1990–1995, (18) erscheint das Weiß als Farbe des Schweigens, der Leere, der Abwesenheit, der Armut und des Schmerzes angesichts der Gräuel der Jugoslawienkriege. Kosmos Der Aufbruch in der Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre war mit gesellschaftlichen Utopien verbunden, die den Kosmos und die Raumfahrt als zentrale Motive nutzten. Bei Július Koller, der sich selbst als Ufonaut bezeichnete, steht der Kosmos für eine alternative Welt zu jener des real existierenden Sozialismus mit seinen Repressalien. Die Weite des Alls wird dabei zu einem metaphorischen Gegenbild zur tristen Wirklichkeit und zu einem utopischen Entwurf der Befreiung. Stano Filkos Antwort auf den staatlich verordneten Materialismus bestand in einer obsessiven Hinwendung zu parawissenschaftlicher Symbolik und einer systematisch entwickelten Psycho-Philosophie, wobei kosmologische Visionen im Vordergrund standen (19). Das Interesse an der Raumfahrt als Katalysator visionärer Utopien spiegelt sich auch in Tamás Henczes abstrakter, aber zugleich illusionistischer Malerei, die der Space-Age-Ästhetik verbunden ist. Friedrich Kieslers interdisziplinäre Kunst (20), die Architektur, Design und bildende Kunst in
einem System des Korrealismus miteinander verknüpfte, fand unter anderem in den sich verzweigenden Bildorganismen, die er in Anspielung auf den Kosmos als einem ganzheitlichen System aus unendlicher Vielheit Galaxies nannte, ihren Ausdruck. Haus-Rucker-Co. (Laurids Ortner, Klaus Pinter, Günter Zamp Kelp) nehmen mit ihrem Mind Expander II, 1969, als Teil ihres „Mind Expanding Program“ die Faszination der Weltraumforschung auf und spielen ironisch auf eine Bewusstseinserweiterung unter den Bedingungen von eingeschränkter Bewegungsfreiheit und Automatisierung an. Gerhard Rühm bearbeitet in Lehrsätze über das Weltall, 1968, (21) den gleich namigen Text des Physikers Robert Büchler, der als offener Brief an Albert Einstein gerichtet war. Rühm bedeckt die Seiten mit schwarzer Farbe und lässt nur einzelne Sätze oder gar Wörter sichtbar, die wie Sterne am Nachthimmel herausleuchten. Die Brücke zwischen Kunst und Wissenschaft schlägt Richard Kriesche, indem er den ersten Ausflug eines Österreichers ins All zum Anlass nahm, sich unmittelbar in die Fernsehübertragung einzuklinken, mit dem Astronauten live zu kommunizieren und zugleich ein medial-skulpturales Werk zu schaffen. Die kosmologischen Utopien der Neoavantgarde der 1960er- und 1970er-Jahre haben in Arbeiten der Gegenwart der Ernüchterung Platz gemacht. Sonia Leimers Space Junk-Objekte verweisen auf die Vermüllung des Weltraumes und die Zerstörung der natürlichen Biosphäre der Erde. Der Traum vom Aufbruch in ferne Welten weicht hier dem Alptraum technologiegestützter Selbstzerstörung. Gesellschafts-Körper In den 1960er-Jahren zeigen sich die gesellschaftspolitischen Umbrüche auch in einer verstärkten Politisierung der Kunst. Damit einher ging eine Aufwertung medienbasierter, aktionistischer und performativer Kunstrichtungen, die der Rolle des*der Einzelnen im gesellschaftlichen Gefüge insbesondere in Bezug auf Körperthematik nachspürten. VALIE EXPORT setzt sich in ihrer auf Video aufgezeichneten Performance Hyperbulie, 1973, (22) einer schmerzhaften Tortur durch Stromschläge aus, während sie mit nacktem Körper in geduckter Haltung einen engen Parcours durchquert. Ihre Körperaktion repräsentiert Unterdrückung und Widerstand zugleich, sie bildet metaphorisch gesellschaftliche Zwänge und Torturen ab und arbeitet beharrlich gegen deren Verdrängung an. Die Auswirkungen öffentlicher Hierarchien und Machtstrukturen auf das Private und Persönliche stehen auch im Zentrum der Arbeiten von Sanja Iveković. In einer Reihe früher Fotocollagen mit dem bezeichnenden Titel Bitter Life, 1975/76, konfrontiert sie Klischees und Verklärungen des Weiblichen in der Medienindustrie mit den realen Existenzbedingungen und dem leidvollen Schicksal von Frauen. Die polare Sicht von männlich und weiblich stellt der rumänische Künstler Ion Grigorescu in Delivery/Birth, 1977/2014, (23) ebenso in Frage wie die Trennung zwischen privater Existenz und politischer Macht. Denn der Mann als Gebärer verweist auch auf den despotischen Nicolae Ceaușescu als „Gebärer der Nation“, konterkariert allerdings
dessen nationalistischen und machistischen Pathos. In dem von Ion Grigorescu aufgenommenen Video The Studio, 1978, (24) benutzt Geta Brătescu in einer Sequenz ihren Körper wie einen Zirkel, um sich in das Atelier als ihren Arbeits- und Existenzraum einzuschreiben. Sie agiert dabei wie auf einer Bühne, die sie zugleich konstruiert. Selbstbewusst bestimmt sie das Zeichnen als performativen körperlichen Akt, der ihr Atelier als künstlerischen Freiraum innerhalb einer totalitären kommunistischen Gesellschaftsordnung zu behaupten sucht. Die Künstler*innengruppe DIE DAMEN (Ona B., Evelyne Egerer, Birgit Jürgenssen, Ingeborg Strobl, Lawrence Weiner) (25) legte seit den späten 1980er-Jahren in ihren Performances, parodistischen Events und installativen Arbeiten traditionelle Rollenbilder aus feministischer Perspektive bloß. Dazu zählt auch ihr ironischer Kommentar zur Theorie der Postmoderne in Form einer Performance über das praktische Postwesen. In einer Art Umspringästhetik verknüpft Renate Bertlmann in ihrer Arbeit Exhibitionismus behaart, 1973, (26) sexuelle Symbolik mit comicartigem Esprit. Der Fetischisierung männlicher Macht kontert sie mit ihren sexuell konnotierten Fetischobjekten und -installationen, die auf spielerische Weise dominante gesellschaftliche und geschlecht liche Rollenbilder konterkarieren. Bei Yayoi Kusama lässt der malerisch und skulptural bedingte Funktionsverlust von Kleidern deren grundsätzlich fetischartigen Charakter erst so recht aufblitzen. Maria Hahnenkamp verweist auf die politischen und ideologischen Dimensionen des vorgeblich inhaltsfreien Ornaments und dessen Verstrickungen in patriarchale Weiblichkeitsklischees. Ihr Runde Formen Album, 1988/89, zeigt Aufnahmen der Hände ihrer Mutter bei der Küchenarbeit, überlagert und akzentuiert von den feinlinigen Ornamenten auf den semitransparenten Zwischenblättern. Hybride Körper Der Einfluss performativer Kunst macht sich seit den 1960er-Jahren auch in unter schiedlichen Formen erweiterter Malerei und Skulptur bemerkbar, in deren Gefolge das Bild des Körpers hybride und amorphe Züge annimmt. Otto Muehl übersetzt die Malerei ins Filmische und Aktionistische, um sie zusammen mit dem Bild des Körpers faktisch und metaphorisch aufzuweichen, während die Körpergefühlsmalerei von Maria Lassnig (27) die physischen und psychischen Befindlichkeiten des Körpers im Akt des Malens zur Darstellungsgrundlage erhebt. Bei Franz West mündet die Skulptur in Gestalt der Passstücke in körperbezogene Objekte, deren Form und Bedeutung sich durch körperlichen Umgang erschließt. Skulptur erscheint hier als buchstäblich handhabbare Angelegenheit, in der sich körperliche Physiognomie und Funktionalität widerspiegeln und das Gegenüber von Kunst und Betrachter*in in ein Ineinander und Miteinander überführt wird. Erfahrungen aus anderen Medien in das Eigene der Fotografie zu übersetzen, ist ein grundlegender Ansatz in Friedl Kubelkas Arbeit, wie ihre Fotoserie mit dem Bikini von Franz West zeigt. Robert Morris geht in seinen Anti-Form-Werken wie Untitled, 1974, (28) mit ihren weich fließenden, zum Teil textilen Materialien und deren anthropomorphen Bezügen gegen die von ihm einst selbst aufgestellten Regeln minimalistischer Abstraktion vor.
Die Künstler*innen einer jüngeren Generation sehen sich einer Situation gegenüber, in der die Verschmelzung von Realität und Virtualität, von Fakten und Fiktion post humane Züge trägt. In der Auseinandersetzung mit den Konsequenzen eines anthropozentrischen Weltbildes, das mit seiner Fortschrittseuphorie zugleich auch Katastrophen- und Untergangsszenarien hervorruft, gewinnen Strategien und Formen des Fluiden und Hybriden neue und zeitbezogene Aktualität. Auf die Haut als Voraussetzung allen Lebens wie auch als Motiv für dessen Verletzlichkeit und Hinfälligkeit spielt Hannah Black mit ihrer Latexmembran an (29). Wie Cyberwesen aus einer anderen Welt erscheinen manche Motive in den auf Schwarz, Weiß und deren Schattierungen konzentrierten Malereien von Tobias Pils. Barbara Kapustas Empathic Creatures, 2018, (30) sind filmisch animierte und fragmentierte Körperwesen, die sich ständig transformieren und die Frage nach möglichen Existenzbedingungen in einem postapokalyptischen Szenario aufwerfen. Angesichts einer aus den Fugen geratenen, sich selbst zerstörenden Welt scheinen diese Wesen trotz ihrer Entstellung einen unbändigen Überlebenswillen zu zeigen und neue Utopien und sozialen Gemeinschaften einzufordern. Auch die organisch-künstlichen Gebilde des Künstler*innenduos Pakui Hardware (Neringa Černiauskaitė, Ugnius Gelguda) sind in einer Welt angesiedelt, in der die zunehmende Verflechtung von Technologie und Ökonomie zu hybriden, technologiebestimmten Lebensformen führt.
Impressum Ausstellung Begleitheft mumok Enjoy Abstraktion. Natur. Körper Museum moderner Kunst Die mumok Sammlung im Wandel Stiftung Ludwig Wien Herausgegeben von Jörg Wolfert Abstraktion. Natur. Körper für die Kunstvermittlung mumok MuseumsQuartier Kurator: Rainer Fuchs Text: Rainer Fuchs Museumsplatz 1 Redaktion: Jörg Wolfert A-1070 Wien 19. Juni 2021 bis 18. April 2022 Lektorat: Eva Luise Kühn www.mumok.at Grafische Gestaltung: Olaf Osten Generaldirektorin: Karola Kraus Gefördert durch die Peter und Irene Umschlag: Sanja Iveković, Tito’s dress, Wirtschaftliche Geschäftsführerin: Ludwig Stiftung 1981 – 1982, © Sanja Iveković Cornelia Lamprechter Kurator*innen: Manuela Ammer, © mumok 2021 Heike Eipeldauer, Rainer Fuchs, Naoko Kaltschmidt, Matthias Michalka Ausstellungsorganisation: Claudia Dohr, Lisa Schwarz, Dagmar Steyrer Sammlung: Franklin Castanien, Sophie Haaser, Simone Moser, Holger Reetz Restauratorische Betreuung: Christina Hierl, Kathrine Ruppen, Karin Steiner Ausstellungsaufbau: Tina Fabijanic, Wolfgang Moser, Valerian Moucka, Gregor Neuwirth, Andreas Petz, Helmut Raidl, Lovis Zimmer, museum standards Audiovisuelle Technik: Wolfgang Konrad, Michael Krupica, museum standards Presse: Marie-Claire Gagnon, Katja Kulidzhanova, Katharina Murschetz Marketing: Maria Fillafer, Anna Weiss Sponsoring, Fundraising und Veranstaltungen: Katharina Grünbichler, Karin Kirste, Cornelia Stellwag-Carion, Kunstvermittlung: Mercede Ameri, Stefanie Fischer, Astrid Frieser, Stefanie Gersch, Helene Heiß, Benedikt Hochwartner, Maria Huber, Ivan Jurica, Ümit Mares-Altinok, Mikki Muhr, Stefan Müller, Patrick Puls, Christine Schelle, Jörg Wolfert
Die mumok Sammlung im Wandel 19. Juni 2021 bis 18. April 2022 Ebene 4 Revue Moderne 3 Gegenwart der Geschichte 2 Figur und Skulptur 0 (Anti-)Pop –2 Abstraktion. Natur. Körper –2 Re/Aktionen –4 Die Grenzen unserer Welt
Sie können auch lesen