Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)

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Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)
Forschungsberichte der ANISA für das Internet. 11, 2019, 19. Jg.
                (ANISA FB 11, 2019) www.anisa.at

Rainer Hochhold

     Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des
             Hallstätter Gletschers

        (Dachstein Oberösterreich Österreich)

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Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)
Broschüre

                      zum Projekt
 Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers
                     am Dachstein
              (Oberösterreich, Österreich)

                              BRG Zell am See
                               BORG Mittersill
                             Mag. Rainer Hochhold

  Erstellung und Übergabe von Schautafeln (Marktgemeinde Hallstatt,
                    Simonyhütte) im Jahr 1989/90

       Broschüre: Überarbeitung, Aktualisierung und Ergänzungen
                       Rainer Hochhold 2018/19

           Coverabbildung: © Rainer Hochhold (25. Sept. 2016)

               Forschungsberichte der ANISA für das Internet
                      11, 2019 (ANISA FB 11, 2019)

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                       am 15. 04. 2019 ins Netz gestellt

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Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)
DER GLETSCHERSCHAUPFAD IM VORFELD
       DES HALLSTÄTTER GLETSCHERS
 ERSTELLUNG EINER BROSCHÜRE UND ÜBERGABE VON FÜNF SCHAUTAFELN IN
                     DEN JAHREN 1989 UND 1990
                    ÜBERARBEITUNG UND ERGÄNZUNGEN 2019

Im Schuljahr 1989/90 erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler Daniela Geiger, Norbert
Haiden, Nadja Lipovec, Hubert Kellerer-Pirklbauer, Andreas Schöpp, Niki Steffelbauer,
Karoline Weber, Tanja Wiesmann (BRG Zell am See) sowie Robert Schwarzenbacher und
Fritz Zobel (BORG Mittersill) am BRG Zell am See unter Leitung von Prof. Mag. Rainer
Hochhold Schautafeln für einen Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers,
die im Juni 1990 an die Marktgemeinde Hallstatt und die Pächter der Simonyhütte, Toni
und Monika Rosifka, übergeben wurden. Unter Verwendung der Schautafeln des
Gletscherkursteams erarbeitete die Universität Salzburg (Fachbereich Geographie und
Geologie) 2006 einen Lehrweg mit Begleitbuch. Da dieser Weg in der virtuellen
Darstellung (Link siehe Literaturverzeichnis) eher auf botanische Merkmale ausgerichtet
ist, wurde die 1990 parallel zu den Schautafeln entstandene und gletscherkundlicher
orientierte Broschüre von Mag. Rainer Hochhold für ANISA, Verein für alpine Forschung,
inhaltlich überarbeitet, aktualisiert und ergänzt.

Der Weg zur Simonyhütte (2203 m) über das Plateau „Am Stein” bietet herrliche
Ansichten zur Gipfel- und Gletscherregion des Dachsteins, die Schönheiten und
Charakteristika eines Kalkgebirges vereinigen sich im Dachsteinstock mit denen
der Gletscherwelt. Im Grenzgebiet von Oberösterreich, Salzburg und der
Steiermark gelegen, erreicht das Gebirge im HOHEN DACHSTEIN mit 2995 m
seine größte Höhe und trägt aufgrund seiner alpinen Randlage im
Nordstaubereich die nördlichsten und östlichsten Gletscher der Alpen.
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Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)
Schautafeln 1990 (Marktgemeinde Hallstatt und Simonyhütte); Beispiele Tafeln 2 und 5

 Das Gletscherkursteam der Gymnasien
       Zell am See und Mittersill im
Arbeitsgebiet im September 1989 (rechts)
         und Juni 1990 (unten).

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Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)
DER DACHSTEIN

  Der Hallstätter Gletscher mit seiner Umrahmung (v.l.n.r.) Hoher Gjaidstein (2792 m), Dirndln
 (2829 m), Eissteine (2682 m), HOHER DACHSTEIN (2995 m), Niederer Dachstein (2934 m) und
  Hohes Kreuz (2837 m) am 25. September 2016 vom 2301m hohen Taubenkogel aus gesehen.

                           Der Gletscherschaupfad
Wegbeschreibung:

Um möglichst viele der beschriebenen und abgebildeten Geländepunkte „vor Ort‟
besichtigen zu können, sei folgender Weg empfohlen: Von der Simonyhütte mit
kurzem Abstecher zu dem Felsblock mit der Markierung Simonys „FS 1883‟
entlang der 1850er Moränen auf bezeichnetem Weg Nr. 655 in das heutige
Vorfeld zum Gletschertor. Von dort zurück und vorbei an dem Oberen Eissee zum
Südfuß des Taubenriedels, wo man auf einen Pfad (Trägerweg) trifft, der nördlich
des Eisjochs zu den 1850er Moränen am Ostabhang des Taubenriedels führt.
Entlang dieser Moränen gelangt man zur Taubenkarschwelle und vom Trägerweg
abzweigend weglos über eine steilere Passage ins Untere Taubenkar. Von hier
kurz und leicht über gitterförmige Frostböden zum bezeichneten Weg Nr. 650
(Steinmann). Die Länge des Schaupfades beträgt bis hierher ca. 4 km. Nun
zurück zur Hütte oder über das Plateau zur Gjaidalm.

Zeitaufwand: Von der Simonyhütte über das Gletschervorfeld und den Trägerweg
ins Taubenkar mit Pausen rund zwei Stunden, zurück zur Hütte über Weg Nr.
650 rund eineinhalb Stunden (380 Höhenmeter), ab dem Unteren Taubenkar zur
Gjaidalm und zum Krippenegg (Seilbahn) gute zwei Stunden.
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Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)
Wichtiger Hinweis: Der Wegverlauf vom Taubenriedel ins Untere Taubenkar
wurde 1990 vom Gletscherkursteam der Gymnasien Zell am See und Mittersill
mit blauen Punktmarkierungen gekennzeichnet, auch einzelne „Steinmandln‟
können der Orientierung dienen. Im Juli 2008 wurden diese Markierungen von
Studenten der Universität Salzburg unter Leitung von Univ. Prof. Dr. Herbert
Weingartner erneuert. Der aber meist nicht wahrnehmbare Pfad ist dem Gelände
nachempfunden und kein markierter und gesicherter Weg! Denken Sie daher
bitte immer an die alpinen Gefahren und begehen Sie den Pfad nur bei
zuverlässiger Wetterlage und guter Sicht!

            Fotostandpunkt Hoher Gjaidstein (2792 m); Repro Rainer Hochhold

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Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)
Gletscherkundliche Einführung
   [nach Univ. Prof. Dr. Gernot Patzelt; ÖAV; Gletscherweg Pasterze. Naturkundlicher
                         Führer zum Nationalpark Hohe Tauern]

Gletscher gibt es überall dort, wo die Sonnenwärme nicht ausreicht, um den als
Schnee gefallenen Niederschlag zu schmelzen. In den Polargebieten ist das schon
auf Meeresniveau der Fall, in den Alpen in Regionen über ca. 2500 m. Das
Gebiet, in dem der Schnee nur mehr teilweise oder gar nicht abschmilzt, wird als
NÄHRGEBIET eines Gletschers bezeichnet.

Hier wird der gefallene, von den umliegenden Graten und Kämmen eingewehte
oder in Form von Lawinen angesammelte Schnee in Firn umgewandelt, der dann
in 15 bis 20 Jahren allmählich zu Gletschereis wird. Dieses Eis fließt wie eine sehr
zähe, plastisch verformbare Masse der Schwerkraft folgend in tiefere Lagen ab,
wo es aufgrund der zunehmenden Temperaturen abschmilzt. Das Gebiet, das
regelmäßig ausapert, in dem somit die Schmelzung den Schneeauftrag
überwiegt, nennt man ZEHRGEBIET.

Die Grenze zwischen Nähr- und Zehrgebiet wird als GLEICHGEWICHTSLINIE
(Schneegrenze) bezeichnet. Ihre mittlere Höhenlage ist für die Ernährung eines
Gletschers von ausschlaggebender Bedeutung. Große Schneemengen, die im
Winterhalbjahr fallen, können in wenigen heißen Julitagen abschmelzen. Daraus
wird klar, dass der Ablauf der Witterung in der Abschmelzperiode, die in den
Alpen in der Regel von Mai bis September dauert, für die Erhaltung der Gletscher
entscheidend ist. Tiefe Wintertemperaturen haben auf die Nährungssituation
bzw. das langfristige Verhalten eines Gletschers keinen Einfluss.

Ein kennzeichnendes Merkmal der Gletscher ist die Fließbewegung. Wenn die
Zugkräfte die Festigkeit des Eises überschreiten, zerreißt es, es entstehen Klüfte,
Spalten und Eisabbrüche. Wenn eine Gletscherzunge vorrückt, schiebt sie
oftmals mit steil gewölbter Stirn den lockeren Schutt und das Bodenmaterial zu
MORÄNENWÄLLEN zusammen. Es entstehen vor der Gletscherfront die Stirn- und
an den Rändern die Ufer- oder Seitenmoränen. Wenn das Eis in einer
Rückzugsphase wieder abschmilzt, markieren die zurückgebliebenen Wälle die
Stellen, an denen der Vorstoß zum Stillstand gekommen ist. An den
Wallmoränen lässt sich dann die ehemalige Ausdehnung der Gletscher gut
nachvollziehen.

In den tiefsten Eisschichten am Gletschergrund sind meist größere Mengen von
Gesteinsmaterial eingeschlossen, das, sobald es vom Gletschereis unter hohem
Druck über den Felsuntergrund geschoben wird, diesen abschleift, rundet,
abträgt oder auch zu „Absätzen‟ führt. An Gletscherschliffen und Rundhöckern
sieht man diese Wirkung sehr deutlich.

                                   GEOLOGIE
Das meist verbreitete Gestein ist der Dachsteinkalk, ein hellgrau-weißliches oft in
Schichten abgelagertes Meeressediment aus dem Trias-Erdzeitalter vor 225 bis
190 Millionen Jahren, zu einer Zeit, als das Thetys-Meer den Urkontinent Pangäa
zu trennen begann und die ersten Riesenreptilien (Saurier) die Erde bewohnten.

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Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)
Zahlreiche Versteinerungen belegen den Meeresursprung des Dachsteinkalks, als Leitfossil ist die
           Dachstein-Bivalve, im Volksmund „Kuhtrittmuschel‟ genannt, weit verbreitet.

Bedingt durch die Gesteinsstruktur des Kalkes gibt es auf dem Plateau keine
oberflächliche Entwässerung. Der gesamte Stock ist von einem zusammen-
hängenden wasserführenden Kluft- und Höhlennetz durchzogen. Das Ober-
flächenwasser (auch das der Gletscher) versickert in Dolinen, Kluftkarren und
Karstschloten und tritt in Karstquellen wie z. B. dem Waldbachursprung zu Tage.

Auf dem Weg vom Echerntal auf das Plateau lohnt sich ein Abstecher zum Waldbachursprung, einer
  im Sommer mächtigen Karstquelle. Dies ist gleichsam das „zweite Gletschertor‟ des Hallstätter
          Gletschers, das Schmelzwasser tritt hier mit zeitlicher Verzögerung zu Tage.

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Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)
Erschließungs- und Erforschungsgeschichte
Erste Belege für eine Begehung des Gebietes stammen aus der Bronze- und
Römerzeit, eine intensivere almwirtschaftliche Nutzung ist zumindest ab dem 15.
Jahrhundert nachgewiesen. Der Name „DACHSTEIN‟ tauchte erstmals gegen
Ende des 18. Jahrhunderts auf, zuvor war der Name „Schneeberg‟ üblich. Auch
unterschied man bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch nicht zwischen
Dachstein und Torstein, der lange Zeit als die höchste Erhebung galt. Erst mit
dem Jahre 1832 ist die Erstbesteigung des Dachsteins offiziell belegt.

                                                            Ab der Mitte des vorigen
                                                            Jahrhunderts        begann
                                                            dann       die     wissen-
                                                            schaftliche    Erforschung
                                                            des Gebirgsstockes und
                                                            seiner Gletscher. Allen
                                                            voran steht Dr. Friedrich
                                                            Simony, erster Univer-
                                                            sitätsprofessor der geo-
                                                            graphischen Lehrkanzel
                                                            in Wien und Gründungs-
                                                            mitglied des Österreich-
                                                            ischen Alpenvereins. Fr.
                                                            Simony war ab 1840
                                                            durch ein halbes Jahr-
                                                            hundert      hin     immer
 Die Simonyhütte im Wildkar; Foto von Friedrich Simony 1885 wieder    am     Dachstein
                                                            tätig, ihm gelang auch
die erste Winterbesteigung sowie eine Nächtigung auf dem Gipfel.                  Seine
zahlreichen Berichte, Skizzen und auch Fotos sind heute von unschätzbarem
Wert. An ihn erinnert die am 18. August 1877 feierlich eröffnete - damals noch in
unmittelbarer Gletschernähe gelegene - Hütte.

Wissenschaftlich tätig waren in der Folge bekannte Alpenforscher wie Norbert
Krebs, Eduard Brückner, Norbert Lichtenecker, Erik Arnberger und Hans Kinzl.
Als einer der Pioniere und Protagonisten der Forschung im Salzkammergut darf
auch Friedrich Morton nicht unerwähnt bleiben.

Kartographische Meisterwerke waren die photogrammetrische Aufnahme von
Arthur v. Hübl (1899) und die Alpenvereinskarte von 1915. Dieser frühen Karte
von Aegerter folgte 1958 eine weiterentwickelte und aktualisierte Ausgabe des
ÖAV von E. Schneider u. F. Ebster. Roman Moser schrieb 1954 eine Dissertation
bei Univ. Prof. Hans Kinzl über die Geologie und Glaziologie des
Dachsteinmassivs. Von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in
Wien wurden 1967 der Untergrund und die Eisdicke des Hallstätter Gletschers
seismisch untersucht. 1969 wurden im Rahmen des Projektes „Österreichischer
Gletscherflug‟ genaue Daten über Lage und Fläche der Gletscher gewonnen und
die Ergebnisse in einer Katasterkarte dargestellt.

Schließlich konnten 1978 im Rahmen einer gletscherkundlichen Hausarbeit am
Geographischen Institut der Universität Innsbruck von Rainer Hochhold neue
Erkenntnisse über historische Gletscherstände des Hallstätter Gletschers
gewonnen werden.

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Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)
DER HALLSTÄTTER GLETSCHER
   Gletscherstände - Glazialerscheinungen – Eismächtigkeit

Kartengrundlage: Katasterkarte im Maßstab 1:10.000, Österreichischer Gletscherflug 1969.
            Abstand der Höhenschichtlinien 20 m. Repro: Rainer Hochhold

   Um 1900 wäre der Fotostandpunkt (Juli 2003) noch unmittelbar am Eisrand gelegen!

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Die im Juli 2006 großteils ausgeaperten Zungen, gesehen vom Hohen Gjaidstein aus. An heißen
 Sommertagen können bis zu 15.000 m3 Eis, das sind knapp 15 Mio. Liter Wasser, abschmelzen.

Der Hallstätter Gletscher, mit knapp 2,835 km² (2014 ) das flächengrößte Eisfeld
der nördlichen Kalkalpen [Quelle: https://www.gletscherwandel.net], wird im
Westen vom Hohen Kreuz (2808 m), im Süden vom Hohen Dachstein (2995 m)
und den Dirndln (2829 m) und im Osten vom Hohen Gjaidstein (2792 m)
begrenzt. Der Gletscher erreicht seine größte Höhe am Fuße des Hohen
Dachsteins bei rund 2910 m und endet mit seiner mittleren Zunge bei rund 2200
m, woraus sich eine Gesamtlänge von nur mehr knapp 2 km ergibt (2016).

Nähr- und Zehrgebiet sind nordostorientiert, letzteres ist in einen westlichen und
einen östlichen Lappen sowie eine mittlere Zunge geteilt. Geschützt durch die
Felsumrahmung des Hohen Kreuzes (Beschattung, Schneezufuhr durch Lawinen)
apert der westliche Lappen geringer aus. Die im untersten Teil oft stark
schuttbedeckte mittlere Zunge (Mittelmoräne) ist wie der gesamte östliche Lappen
stark dem Verfall preisgegeben. Die Gleichgewichtslinie (= mittlere Schneegrenze
über mehrere Jahre) liegt am Hallstätter Gletscher inzwischen in einer Höhenlage
deutlich über 2500 m.

Das Schmelzwasser des Gletschers versickert rasch in Dolinen, Kluftkarren und
Karstschloten. Nur dort, wo Moränenmaterial diese „verstopft‟, kommt es zur
Ausbildung von Seen unterschiedlicher Größe (Eisseen). Am Gletscher selbst
können viele Glazialerscheinungen wie Gletschertische oder kleine Gletscher-
mühlen beobachtet werden. Geländebedingt durch Wannen und Schwellen
entstehen in Zusammenhang mit der Fließbewegung des Eises Gletscherspalten,
die auch auf dem Hallstätter Gletscher keinesfalls unterschätzt werden dürfen.
Auch hier gilt die alte Bergsteigerweisheit, dass ein Gletscher nie ohne Seil
begangen werden darf!

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Das unruhige Karstrelief findet auch unter dem Eis des Gletschers seine
Fortsetzung, dementsprechend schwankt die Eismächtigkeit. Weitere Perioden des
Gletscherrückganges hätten eine gänzliche Loslösung des östlichen Lappens
unterhalb der Eissteine zur Folge, die Eisdicke beträgt in diesem Bereich nur mehr
rund 10 bis 30 m.

             Untergrundkarte und Eismächtigkeit des Hallstätter Gletschers 1967/68
            [Aus: Brückl, E., Gangl, G. u. Steinhauser, P.; Repro Rainer Hochhold]

 Durch Oberflächenverdunstung verlieren die Gletscher an Masse, an Tagen mit Südwind ist über
                  den Gipfeln eine „Föhnmauer‟ charakteristisch. (Foto 1978)

                                              12
Durch auf dem Eis liegende
                                         Felsblöcke wird die
                                         Oberflächenabschmelzung
                                         verhindert. Unter dem
                                         Deckstein bildet sich ein
                                         Eissockel, es entsteht ein
                                         sogenannter Gletschertisch.

Das     an    der    Gletscher-
oberfläche rinnende Schmelz-
wasser      verschwindet      in
Eislöchern. Durch den Strudel
entstehen runde Hohlformen,
die sich in den Fels fortsetzen
können. Dieses Phänomen
wird als Gletschermühle oder
Gletschertopf bezeichnet.

                                        Vorsicht Spalten!

                                        Diese Aufnahme aus dem Jahr
                                        1977 (R. Hochhold) stammt
                                        vom westlichen Gletscherlappen
                                        in ca. 2600 m Höhe, nach
                                        Brückl, E, Gangl, G. und
                                        Steinhauser, P. (1971) betrug
                                        die Eismächtigkeit an dieser
                                        Stelle rund 80, nach neueren
                                        Messungen [K. Helfricht 2009]
                                        sogar bis zu 130 Meter.

                                   13
DAS GLETSCHERVORFELD
          Historischer Rückzug und Stände im 20. Jahrhundert

Die Zeit seit 1850 ist geprägt durch einen stetigen Rückgang der Alpengletscher,
unterbrochen nur durch kurze Halte bzw. einen kleineren Vorstoß um 1920.
Dabei wurden auch im Vorfeld des Hallstätter Gletschers mehr oder weniger
deutliche Moränen im Bereich nördlich des seit der Wende zum 19. Jahrhundert
eisfreien Eisjochs bzw. am Ost- und Südabhang des Taubenriedels abgelagert.

Im 19. Jahrhundert stauten sich die anwachsenden Eismassen am Südabhang des Taubenriedels
und flossen rechts über das Eisjoch ins Obere Taubenkar ab. Der Höchststand von 1850 ist an der
Grenze von Schutt und anstehendem Fels noch heute gut zu erkennen. Nur wenige Minuten vom
Eisrand entfernt wurde 1877 die Simonyhütte (links oben) eröffnet.

                                                       Roman Moser ordnete die Moränenzüge
                                                       am Taubenriedel den Rückzugshalten
                                                       bzw. der kurzen Vorstoßphase um 1920
                                                       zu. Die aus dem Jahr 1952 stammende
                                                       Abbildung zeigt auch, dass sich vor der
                                                       damaligen Gletscherzunge ein See von
                                                       beträchtlicher Größe befand.

                                                       Rot: Gletscherstand: 1855/56 / Orange:
                                                       1876 – 80 / Schwarz: 1896 - 99 / Blau:
                                                       1919/20

                                               14
Kartographische Meisterwerke im Maßstab 1:25.000 mit den jeweils aktualisierten
Gletscherständen    (gelb   hervorgehoben;    Repro    Rainer  Hochhold)   sind   die
Alpenvereinskarten 1915 (oben links; Gletscherstand 1913) und 1958 (Neuauflage 1975,
oben rechts; Gletscherstand 1958) bzw. die überarbeiteten Ausgaben 1977, 1980, 1985,
1992 (unten links, Gletscherstand 1991), 2000 und 2005 (unten rechts; Gletscherstand
2002 mit Eisrandbereinigung; Kombikarte mit Weg- und Skiroutennetz):

                                         15
Wichtige Belege für die frühere Größe des Hallstätter Gletschers stellen auch die
von Friedrich Simony im Jahr 1883 an zwei Felsbrocken in unmittelbarer Nähe
der Simonyhütte angebrachten und seither immer wieder aufgefrischten
Messmarken dar. Die historischen Gletscherstände können auch durch karto-
graphische Aufnahmen und ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch durch Fotos
belegt werden.

                  Das „Karls-Eisfeld‟,
  photogrammetrisch aufgenommen
 im August 1899 von Arthur Freiherr
            von Hübl. Die kunstvolle
       Photolithographie im Maßstab
  1:10.000 mit einem Schichthöhen-
    abstand von 25 Metern stellt ein
   historisches Dokument und einen
            wertvollen Behelf für die
                 Gletscherkunde dar.

Der Gletscherrückgang im heutigen Vorfeld vollzog sich seit dem Höchststand
von 1855/56 folgendermaßen: Geländebedingt sank das am Taubenriedel
aufgestaute Eis stark vertikal ab und erst später, als die Gletscherzunge in den
flachen Bereich der Oberen Eisseen zu liegen kam, überwogen die horizontalen
Werte. Norbert Lichtenecker beobachtete 1927 bereits einen kleinen See im
unmittelbaren Vorfeld der Zunge, 1930 hatte dessen Größe beachtlich zu-
genommen. Nach einem kurzen Vorstoß um 1920 zog sich die Gletscherstirn bald
wieder hinter diese Moränen zurück, ab dieser Zeit begann auch die Auflösung
des Gletschers in drei Teilzungen. Da die seitlichen Lappen aufgrund einer im
unteren Teil geringeren Eismächtigkeit schneller abschmolzen, wies die mittlere
Zunge bald eine eigenständige Länge von rund einem Kilometer auf. Um 1950
betrug die Gesamtlänge des Hallstätter Gletschers aber nur mehr 2500 Meter.

Über die Veränderungen seit dem 2. Weltkrieg geben die jährlichen Messberichte
des Österreichischen Alpenvereins Auskunft. Vierzig Jahre (bis 1986) lebte und
litt „Gletscherknecht‟ Dr. Roland Wannenmacher mit „seinen‟ Dachstein-
gletschern, von ihm stammen auch vielseitige Beobachtungen, ausführliche
Berichte und unzählige Bilder. Markante Veränderungen in dieser Zeit waren die
vollständige Loslösung des westlichen Lappens von der mittleren Zunge in den
60er Jahren und eine weitere deutliche Verkleinerung derselben durch seitliches
und horizontales Abschmelzen. Die in 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Teil
stationären oder sogar leicht vorstoßenden Tendenzen gaben glaziologisch nur zu
kurzer Hoffnung Anlass, in den letzten Jahrzehnten überwogen Messungen mit
teils dramatischen jährlichen Rückzugswerten, der Verfall der mittleren Zunge
scheint bei anhaltender Tendenz nur mehr eine Frage der Zeit zu sein.

                                         16
1885 fotografierte Friedrich
     Simony das „Obere
     Karlseisfeld‟. Das Eisjoch
     war noch vom Eis
     überflossen.
     Bildtext: „Aussicht vom
     Felsriegel nächst der
     Simonyhütte auf das
     Karlseisfeld im August
     1885”.

     Ansicht aus den 1960er
     Jahren. Der Gletscher
     besaß im Vergleich zu
     heute noch eine mächtige
     Zunge.

     Der Hallstätter
     Gletscher im Juni
     1977. Das stark
     schuttbedeckte
     Zungenende lag
     auf einer Felsstufe
     bei ca. 2100 m, die
     Verbindung zum
     östlichen Lappen
     ging verloren.

17
Blick von der
      Simonyhütte auf
      den Hallstätter
      Gletscher im Juli
      2003

      Gletscherstand im Juli 2008.

     Aufnahme am 25. September
     2016: Das Zungenende liegt
     bei rund 2200 m, auffallend
     der kontinuierliche Rückgang
     der beiden Lappen und die
     allgemeine Abnahme der
     Eismächtigkeit.

18
DER HÖCHSTSTAND 1855/56

    Gletscherstände in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Nach kartographischen Aufnahmen und Berichten von Besuchern des Gebietes in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts befand sich die Zunge des Hallstätter
Gletschers im Bereich des Oberen Taubenkars. Man beobachtete, dass sich davor
ein See befunden habe, „in dem ein Salzschiff bequem hätte umdrehen können‟.
Ab 1823 sei der Gletscher aber wieder stark zurückgewichen.

 Auf dieser alten Mappierung (vermutlich 1821) erfüllte das »Carlseisfeld« das Obere Taubenkar,
                   hatte aber noch nicht den Höchststand von 1855/56 erreicht.

Als Friedrich Simony im Oktober 1840 das Karlseisfeld (so wurde damals der
Gletscher vorwiegend im unteren Teil bezeichnet, nachdem am 27. August 1812
Erzherzog Karl die damalige Alm im Unteren Taubenkar aufgesucht und den
Gletscherrand erreicht hatte) erstmals betrat, besaß dieses eine 6 bis 9 m hohe
Stirn, viele Radialspalten am Rand bzw. Längs- und Querspalten in der Mitte. Das
heutige Eisjoch war eine wildzerklüftete Gletscherkaskade. 1842 erreichten die
Eismassen der mittleren Stufe am Taubenriedel die größte Mächtigkeit, der
Obere Eisstein war zu dieser Zeit völlig unter Schnee und Eis begraben.

Den Maximalstand im Oberen Taubenkar setzte Simony mit den Jahren 1855/56
fest, die Vegetation im unmittelbaren Terrain vor der Gletscherstirn sei völlig
intakt gewesen, der Gletscher habe zahlreiche Rasenwülste und grünende
Pflanzenbüschel aufgewühlt. Einheimische wussten vom größten Vorstoß „seit
Menschengedenken” zu berichten.

                                               19
Friedrich Simony zeichnete auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1884 den Gletscherhöchststand von
     1855/56 ein, die Darstellung ist heute ein wertvolles gletscherkundliches Dokument. Die
      Gletscherflächen wurde zur Verstärkung blau hervorgehoben (Repro Rainer Hochhold).

Die damals aufgeschütteten Moränen lassen sich auch heute immer noch gut im
Vorgelände des Hallstätter Gletschers ausmachen. Die Wälle setzen bei ca. 2400
m am Fuß des Niederen Kreuzes an und
ziehen südlich des Schöberl meist in einzelne
Wallstücke aufgelöst zum Taubenriedel hin.

Von dort verlaufen sehr deutliche Wälle bis
zum Nordende des Unteren Eissees, wo sie
bei 1960 m die äußerste (tiefste) Stelle
erreichen. Dieser zum Eissee gekrümmte
etwa 15 m lange Endmoränenwall hebt sich
nicht mehr von seiner Umgebung ab.

Über den seit 1856 einsetzenden Rückgang
des Gletschers sind wir durch Friedrich
                                                 Der „Simony-Stein” knapp unterhalb
Simony sehr gut informiert. So zeigen seine      der Taubenkarschwelle weist auf den
Aufnahmen und Fotos, dass die Gletscher-              Gletscherhöchststand hin.
zunge sowohl horizontal (1856 bis 1883 um
98 Meter, das sind 3,8 m/Jahr) als auch vertikal (im gleichen Zeitraum 61 Meter,
das sind 2,1 m/Jahr) stark zurückging bzw. einsank. Vor der damaligen
Gletscherstirn bildete sich im Oberen Taubenkar nun wiederum ein See, der
zeitweise sogar die niedrigen Teile der Zunge bedeckte und in den kleinere
Eisbrocken gleichsam kalbten (vgl. Abbildung auf S. 22 oben).

                                             20
Auch die Fotographen begannen sich bald für das Hochgebirge zu interessieren. Die Aufnahme des
 Eisbruchs am Eisjoch stammt von Alois Elsenwenger aus den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts.

                                           Besonders auffällig vollzog sich nun der
                                           Rückgang      des   Eises   am     Steilabfall
                                           zwischen mittlerer und unterer Stufe, dem
                                           heutigen Eisjoch, das noch während des
                                           Höchststandes von einer 40 bis 45 m
                                           mächtigen Eismasse überflossen war. 1875
                                           erschien der Gletscher bereits unzerklüftet,
                                           die Querspalten waren verschwunden. Drei
                                           Jahre danach trat erstmals eine Felspartie
                                           zu Tage, die sich in den folgenden Jahren
                                           rasch ausdehnte. Da aus dem Nährgebiet
                                           kaum Nachschub erfolgte, war bereits zur
                                           Jahrhundertwende die frühere Gletscher-
                                           zunge als „Toteis‟ völlig vom eigentlichen
                                           Gletscher isoliert. Auch in der Firnregion
                                           beobachtete      Simony    auffällige    Ver-
                                           änderungen: So war um 1847 der Obere
                                           Eisstein noch nicht zu sehen, Anfang der
                                           1860er Jahre tauchte in ca. 2690 m ein
                                           „Felsriff‟ auf, im Jahre 1875 ließ sich der
                                           Obere Eisstein von der Simonyhütte schon
     Univ. Prof. Dr. Friedrich Simony      deutlich erkennen.

                                              21
„Nach der Natur aufgenommen von Fr. Simony‟ im Jahr 1887. Damals befand sich der Eissee
unmittelbar vor der Gletscherstirn. Die abgeflachte Zunge und das Felsfenster beim Eisjoch weisen
            aber deutlich darauf hin, dass es sich um eine Zeit des Rückzugs handelt.

       In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts war das Eisjoch noch eine wild zerklüftete
 Gletscherkaskade (vgl. Bild von A. Elsenwenger auf S. 21), das Obere Taubenkar war von einem
   über 100 m mächtigen Eiskuchen (nach Erzherzog Karl „Karls-Eisfeld‟ genannt, siehe S. 19)
bedeckt. 50 Jahre später hatte sich der Gletscher zur Gänze über das Eisjoch zurückgezogen, wies
 im oberen Karboden aber immer noch eine ansehnliche Größe auf. Das historisch wertvolle Foto
    von Karl Wurm entstand Ende August 1915, der Aufnahmestandort ist augenscheinlich der
                        Taubenkogel (vgl. Bild von R. Hochhold auf S. 5).

                                               22
Flächenveränderungen und Massenverluste

Von 1850 bis 1970 verlor der Hallstätter Gletscher rund 250 ha Fläche, das
entspricht der Fläche von rund 500 Fußballfeldern. Pro Jahr ergab sich somit ein
durchschnittlicher Verlust von rund 10.000 bis 15.000 m2.

Noch imposantere Zahlen ergeben sich bei einer Schätzung des Massenverlustes:
Demnach schmolzen in rund 150 Jahren über 200 Millionen Kubikmeter Eis auf
dem Dachsteinplateau ab. Dies hätte (in Anlehnung an eine Berechnung von
Roman Moser) ausgereicht, um eine einen Meter dicke und mehr als fünf Meter
hohe Mauer rund um den Erdball zu errichten. Kay Helfricht (2009) gibt seit dem
Höchststand von 1855/56 bis 2007 eine Längenänderung (direkte Distanz vom
höchsten zum niedrigsten Punkt) von 1940 m, einen Flächenverlust von 2,23
km2 (- 42,3%) und einen Massenverlust von 103 m3 (- 63 %) an. Am 24.
September 2007 wurde vom Team Helfricht eine Wetterstation in Nähe der
Kapelle der Simonyhütte aufgestellt, die online wertvolle Rückschlüsse auf
Gletscher- und Klimadaten liefert und auch die jahresaktuelle spezifische
Massenbilanz ausweist > http://www.dachsteingletscher.info/ergebnisse/.

Während bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Gletscher oft als nutzloses
Ödland betrachtet wurden, sind sie heute in vielen Gebieten der Alpen in den
Wirtschaftsraum (Trinkwasserreserven, touristische Nutzung, Energiewirtschaft,
…) einbezogen. Mehr denn je gelten sie aber auch als untrüglicher Zeiger des
Klimawandels. Gerade im Kalkgebirge des Dachsteins müssen wir uns dieser
natürlichen Ressourcen bewusst sein und noch bedachtsamer und
verantwortlicher mit dem Klima und den Folgen für die Hochgebirgsregionen
umgehen lernen.

 Änderung der Eisdicke von 1856 bis 2007 auf Grundlage der Gletscherausdehnung von 1856, die
   schwarze Linie kennzeichnet den Gletscherstand von 2007 [aus: Helfricht, Kay (2009) S. 66]

                                              23
GLETSCHERSTÄNDE VOR 1850
        Egesenstand – [Taubenkarstand] – Taubenriedelstand

Ausgehend vom Maximalstand 1855/56 sind die Gletscherstände am Taubenriedel und -
mit Vorbehalt eines eigenständigen Gletscherstandes - im Taubenkar ausgewiesen. Die
mögliche Dimension des Egesenstandes wurde mittels Annahme einer Schneegrenz-
depression von 200 m gegenüber Bezugsniveau 1850 (2400 m) im Flächenteilungs-
verfahren (Verhältnis Nähr- zu Zehrgebiet im Karst- und Plateaugelände des Dachsteins
1,5:1) rechnerisch ermittelt und ins Gelände übertragen [aus: Rainer Hochhold (1978);
siehe auch Repro auf folgender Seite].

                                         24
Vor rund 18.000 Jahren hatte die große Würm-Kaltzeit (Eiszeit) ihren letzten
Höchststand. Das gesamte südliche Salzkammergut wurde von einem
Eisstromnetz durchzogen. Die Endmoränen dieser Kaltzeit bilden einen nahezu
geschlossenen Zug von Traunkirchen bis Gmunden. Im Jahresmittel war es
damals um rund 7 Grad kälter als heute. In der Folge kam es zu einem
Temperaturanstieg und zum Abschmelzen der Eisströme, in der Zungenwanne
bildeten sich Gletscherendseen wie der heutige Traunsee aus.

Mehrere Male kam es im Spätglazial noch zu Klimaverschlechterungen, der
Zerfall des Eisstromnetzes wurde von kurzen Vorstößen aber nur unterbrochen.
Gletscherverhalten und Vegetationsentwicklung in den Alpen zeigen an, dass die
klimatischen Verhältnisse vor rund 10.000 Jahren (Ende des Spätglazials /
Beginn des Postglazials) erstmals zeitgeschichtliche Werte erreicht haben.
Seither schwankten die für einen Gletscher entscheidenden Sommer-
temperaturen langfristig nur mehr mit einer Amplitude von rund 1,5 Grad.

Um 10.000 vor heute hatten sich auch die Dachsteingletscher auf das Plateau
„Am Stein‟ zurückgezogen. Eine nochmalige Unterbrechung des Abschmelz-
vorganges mit aktivem Gletscherverhalten wird in den Alpen als „Egesenstand‟
bezeichnet. Da am Dachstein – wohl in erster Linie geländebedingt - keine
eindeutigen Moränen dieses Vorstoßes vorhanden sind, wurde dieser Gletscher-
stand rekonstruiert.

Bei einem Schneegrenzniveau von rund 2200 m hatte demnach der damalige
Hallstätter-Plateaugletscher eine Gesamtfläche von rund 1370 ha, davon 820 ha
im Nähr- und 550 ha im Zehrgebiet.

Berechnete und visualisierte vergletscherte Fläche (Foto und Repro Rainer Hochhold 1978) zu Ende
  des Spätglazials vor rund 10.000 Jahren (Egesenstand). Die Gjaid-Alm und das Oberfeld (links
  unten) wurden demnach von der Vergletscherung nicht mehr berührt, ein Teil des Eises könnte
              noch über die Wiesalm in die Herrengasse (rechts) abgeflossen sein.

                                               25
Die ganze am Bild sichtbare Fläche am Plateau war vor 10.000 Jahren noch vom Eis bedeckt. Der
Taubenriedel war überflossen, das Schöberl (Bildmitte) und der tiefer liegende Wildkar-Kogel (2159 m) –
im Bild Mitte rechts - ragten gleichsam als »Eissteine« aus dem abschmelzenden Plateaugletscher heraus
                                            (Foto August 2008).

Vermutlich nur einige hundert Jahre später hatte sich der Hallstätter Gletscher in das
Taubenkar zurückgezogen, in den großen Dolinen wie der Zirmgrube lagerten
wahrscheinlich noch Toteiskörper, die beim endgültigen Abschmelzen „Pseudomoränen”
hinterließen. Ob insofern die im Süden des Taubenkars liegenden Moränenwälle
tatsächlich einem eigenständigen Vorstoß bzw. Halt zugeordnet werden können
(Taubenkarstand), ist nicht abgesichert.

Moränen, die durchschnittlich 30
Meter     außerhalb    der   1856er
Moränen      am    Ostabhang    des
Taubenriedels      einsetzen    und
parallel zu diesen ins Obere
Taubenkar ziehen, wurden in der
Literatur meist dem „Fernaustand”
(Klimaverschlechterung beginnend
in der 2. Hälfte des 16. Jahr-
hunderts) zugeordnet. Aufgrund
von zwischen den Moränenzügen
befindlichen    Karsttischen    mit
Sockelhöhen zumeist um 5 bis 7
cm, wurde von Rainer Hochhold                  Zeichnung von Monika Neuhauser nach einem Foto von
[1978; Kap. 5.9.] der Terminus                 Roman Moser aus dem Toten Gebirge, die Sockelhöhe
„Taubenriedelstand” eingeführt.                                beträgt rund 10 cm.

                                                  26
Diese auf vegetationsfreien Kalkschliffböden entstandenen Karsttische stellen eine
Besonderheit dar. Dabei „schützen” gleichsam Felsblöcke den Untergrund vor
mechanischer und chemischer Abtragung (Erosion), ein Sockel entsteht. Dieses
Phänomen, das vielfach auf Gletscheroberflächen auftritt und dort als Gletschertisch
(vgl. auch Bild auf Seite 11) bezeichnet wird, kann auch in Kalkgebirgen beobachtet
werden. Hier benötigt die Sockelbildung natürlich eine ungleich längere Zeitperiode. Je
nach Kalkbeschaffenheit, Lage und Exposition kann aber als Grobwert eine
Sockelbildung von rund 1 cm in 1000 Jahren angegeben werden.

Durch die Auffindung und Beschreibung von Karsttischen im Bereich zwischen den
1856er Moränen und den Moränen des „Taubenriedelstandes” wurde klar, dass dieses
Gelände seit mehreren Jahrtausenden eisfrei gewesen sein muss. Dies wurde in der
Folge durch die Entnahme eines Humusprofils von Univ. Prof. Dr. Gernot Patzelt (Univ.
Innsbruck) im Jahr 2001 knapp außerhalb der 1856er Moräne am Taubenriedel
bestätigt, da die Datierung der Probe an der Basis der Humusauflage ein Alter von 4900
Jahren ergab. „Mindestens seit dieser Zeit hat der Gletscher die Stelle nicht bedeckt
und die Ausdehnung von 1856 nicht überschritten” [Patzelt, G. 2003; S. 185]. In Frage
kommende Äquivalente zum Taubenriedelstand wären somit die „Rotmoosschwankung‟
(5300 bis 5500 vor heute) oder die „Frosnitzschwankung‟ (6600 bis 6000 vor heute).

Im Bild unten die am Ostabhang des Taubenriedels liegenden, sehr gut ausgebildeten
Moränenwälle des Höchststandes von 1855/56 und rund 30 m außerhalb (im Bild links) die
deutlich älteren Moränen des Taubenriedelstandes. Dazwischen befinden sich an mehreren
Stellen schön ausgebildete Karsttische mit Sockelhöhen von zumeist 5 bis 7 cm, einzeln auch bis
zu 10 cm.

Links (grün-gelbe Pfeile): Lage der Moränen des Taubenriedelstandes / Rechts (rot-schwarze Pfeile): Lage
         der Moränen des Höchststandes von 1855/56 (Foto Sept. 2016; Repro Rainer Hochhold)

                                                   27
Karsttisch am Taubenriedel; Höhenlage: 2037 m; N 47 29 52,8 E 13 38 03,8 (Sept. 2016)

     Karsttisch am Taubenriedel mit Altmoräne im Hintergrund; Höhenlage: 2004 m;
                       N 47 29 52,7 E 13 37 55,0 (Sept. 2016)

                                         28
Karsttische am Taubenriedel; Höhenlage: 2004 m; N 47 29 55,2 E 13 38 11,7 (Sept. 2016)

                                          29
Moränen im Unteren Taubenkar, der Fragenkreis rund um einen eigenständigen „Taubenkarstand‟ und die
          zeitliche Stellung der Ablagerungen bedarf weiterer Forschungen (Foto Sept. 2016).

Auf dieser Aufnahme von Roman Moser (1952) sind noch die Überreste der um 1830 wohl auch wegen der
   damaligen Klimaverschlechterung aufgegebenen und in der Folge verfallenen Almhütten im Unteren
                                        Taubenkar zu sehen.

                                    Text und Layout: © Mag. Rainer Hochhold 1990 / 2019

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Literaturverzeichnis

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Sammelberichte über die Gletschermessungen des ÖAV: In: „Mitteilungen des ÖAV‟ bzw.
Zeitschrift „Bergauf”; zuletzt Ausgabe Februar 2019.
Gletscherdatenbank im Internet: https://www.gletscherwandel.net/
Projekt Gletschermassenbilanz: http://www.dachsteingletscher.info/

Fotonachweis

Austria-Nachrichten (1977): S. 9 (Foto von Fr. Simony), 21.
Els(s)enwenger Alois (Buchbinder und Photograph in Bad Goisern): S. 21 [Aus: Frank, H. 1977].
Hochhold, Rainer (1978 - 2016): Cover, S. 3, 4 (alle), 5, 7 (beide), 11, 12, 13 (alle), 14 (oben),
     17 (unten), 18 (alle), 20 (Repro u. Foto), 25, 26, 27, 28 (beide), 29 (beide), 30 (oben).
Moser, Roman: S. 14 (1954), 30 (1952).
Ö.A.V. Sektion „Austria‟ (1969): Hallstätter Gletscher mit Gjaidstein und Dirndln; S. 17.
Simony, Friedrich (1884 - 87): S. 17, 20 (oben), 22.
Wurm, Karl (1915): S. 22 [Aus: Krebs, N. 1915]       /   Unbekannt: S. 19.

Karten

Das Karls-Eisfeld. Photogrammetrisch aufgenommen im August 1899. Von Frhr. Arthur v. Hübl.
     Maßstab 1:10.000; In: Abhandlungen der K.K. Geographischen Gesellschaft. Wien III,
     1901; Beilage Nr.1.
Alpenvereinskarte Dachsteingruppe. Aufnahme von L. Aegerter, 1:25.000; Hrsg. vom D. u. Ö.
     Alpenverein. Kartographische Anstalt G. Freytag & Berndt A.G.; Wien, 1915.
Alpenvereinskarte Dachsteingruppe. Aufnahme: E. Schneider, 1:25.000; Beilage zum Jahrbuch
     des österreichischen Alpenvereines Bd. 83; Innsbruck, 1958. Neuauflage mit
     Wegmarkierungen und zusätzlichem Farbdruck 1975.
Alpenvereinskarte Dachsteingruppe. Maßstab 1:25.000; Auflage 1975, Neubearbeitungen 1985,
     1992 (Gletschergrenze 1991), 2001, 2005 (Gletscherstand 2002) und 2012;
     Kombiausgabe mit Wegmarkierungen und Schirouten
Katasterkarte Dachstein im Maßstab 1:10.000. Österreichischer Gletscherflug Herbst 1969.
     Hrsg. von der Österreichischen Elektrizitätswirtschafts-AG Vermessungsabteilung.
     Auswertung: Brückl, E., Gangl, G. und Steinhauser, P. (1969)

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