Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich)
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Forschungsberichte der ANISA für das Internet. 11, 2019, 19. Jg. (ANISA FB 11, 2019) www.anisa.at Rainer Hochhold Der Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers (Dachstein Oberösterreich Österreich) 1
Broschüre zum Projekt Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers am Dachstein (Oberösterreich, Österreich) BRG Zell am See BORG Mittersill Mag. Rainer Hochhold Erstellung und Übergabe von Schautafeln (Marktgemeinde Hallstatt, Simonyhütte) im Jahr 1989/90 Broschüre: Überarbeitung, Aktualisierung und Ergänzungen Rainer Hochhold 2018/19 Coverabbildung: © Rainer Hochhold (25. Sept. 2016) Forschungsberichte der ANISA für das Internet 11, 2019 (ANISA FB 11, 2019) www.anisa.at am 15. 04. 2019 ins Netz gestellt © ANISA, Verein für alpine Forschung. Haus, Austria www.anisa.at Alle Rechte vorbehalten! Falls trotz genauer Überprüfung Bildrechte verletzt worden sein sollten, bitten wir um Bekanntgabe an: anisa@anisa.at 2
DER GLETSCHERSCHAUPFAD IM VORFELD DES HALLSTÄTTER GLETSCHERS ERSTELLUNG EINER BROSCHÜRE UND ÜBERGABE VON FÜNF SCHAUTAFELN IN DEN JAHREN 1989 UND 1990 ÜBERARBEITUNG UND ERGÄNZUNGEN 2019 Im Schuljahr 1989/90 erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler Daniela Geiger, Norbert Haiden, Nadja Lipovec, Hubert Kellerer-Pirklbauer, Andreas Schöpp, Niki Steffelbauer, Karoline Weber, Tanja Wiesmann (BRG Zell am See) sowie Robert Schwarzenbacher und Fritz Zobel (BORG Mittersill) am BRG Zell am See unter Leitung von Prof. Mag. Rainer Hochhold Schautafeln für einen Gletscherschaupfad im Vorfeld des Hallstätter Gletschers, die im Juni 1990 an die Marktgemeinde Hallstatt und die Pächter der Simonyhütte, Toni und Monika Rosifka, übergeben wurden. Unter Verwendung der Schautafeln des Gletscherkursteams erarbeitete die Universität Salzburg (Fachbereich Geographie und Geologie) 2006 einen Lehrweg mit Begleitbuch. Da dieser Weg in der virtuellen Darstellung (Link siehe Literaturverzeichnis) eher auf botanische Merkmale ausgerichtet ist, wurde die 1990 parallel zu den Schautafeln entstandene und gletscherkundlicher orientierte Broschüre von Mag. Rainer Hochhold für ANISA, Verein für alpine Forschung, inhaltlich überarbeitet, aktualisiert und ergänzt. Der Weg zur Simonyhütte (2203 m) über das Plateau „Am Stein” bietet herrliche Ansichten zur Gipfel- und Gletscherregion des Dachsteins, die Schönheiten und Charakteristika eines Kalkgebirges vereinigen sich im Dachsteinstock mit denen der Gletscherwelt. Im Grenzgebiet von Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark gelegen, erreicht das Gebirge im HOHEN DACHSTEIN mit 2995 m seine größte Höhe und trägt aufgrund seiner alpinen Randlage im Nordstaubereich die nördlichsten und östlichsten Gletscher der Alpen. 3
Schautafeln 1990 (Marktgemeinde Hallstatt und Simonyhütte); Beispiele Tafeln 2 und 5 Das Gletscherkursteam der Gymnasien Zell am See und Mittersill im Arbeitsgebiet im September 1989 (rechts) und Juni 1990 (unten). 4
DER DACHSTEIN Der Hallstätter Gletscher mit seiner Umrahmung (v.l.n.r.) Hoher Gjaidstein (2792 m), Dirndln (2829 m), Eissteine (2682 m), HOHER DACHSTEIN (2995 m), Niederer Dachstein (2934 m) und Hohes Kreuz (2837 m) am 25. September 2016 vom 2301m hohen Taubenkogel aus gesehen. Der Gletscherschaupfad Wegbeschreibung: Um möglichst viele der beschriebenen und abgebildeten Geländepunkte „vor Ort‟ besichtigen zu können, sei folgender Weg empfohlen: Von der Simonyhütte mit kurzem Abstecher zu dem Felsblock mit der Markierung Simonys „FS 1883‟ entlang der 1850er Moränen auf bezeichnetem Weg Nr. 655 in das heutige Vorfeld zum Gletschertor. Von dort zurück und vorbei an dem Oberen Eissee zum Südfuß des Taubenriedels, wo man auf einen Pfad (Trägerweg) trifft, der nördlich des Eisjochs zu den 1850er Moränen am Ostabhang des Taubenriedels führt. Entlang dieser Moränen gelangt man zur Taubenkarschwelle und vom Trägerweg abzweigend weglos über eine steilere Passage ins Untere Taubenkar. Von hier kurz und leicht über gitterförmige Frostböden zum bezeichneten Weg Nr. 650 (Steinmann). Die Länge des Schaupfades beträgt bis hierher ca. 4 km. Nun zurück zur Hütte oder über das Plateau zur Gjaidalm. Zeitaufwand: Von der Simonyhütte über das Gletschervorfeld und den Trägerweg ins Taubenkar mit Pausen rund zwei Stunden, zurück zur Hütte über Weg Nr. 650 rund eineinhalb Stunden (380 Höhenmeter), ab dem Unteren Taubenkar zur Gjaidalm und zum Krippenegg (Seilbahn) gute zwei Stunden. 5
Wichtiger Hinweis: Der Wegverlauf vom Taubenriedel ins Untere Taubenkar wurde 1990 vom Gletscherkursteam der Gymnasien Zell am See und Mittersill mit blauen Punktmarkierungen gekennzeichnet, auch einzelne „Steinmandln‟ können der Orientierung dienen. Im Juli 2008 wurden diese Markierungen von Studenten der Universität Salzburg unter Leitung von Univ. Prof. Dr. Herbert Weingartner erneuert. Der aber meist nicht wahrnehmbare Pfad ist dem Gelände nachempfunden und kein markierter und gesicherter Weg! Denken Sie daher bitte immer an die alpinen Gefahren und begehen Sie den Pfad nur bei zuverlässiger Wetterlage und guter Sicht! Fotostandpunkt Hoher Gjaidstein (2792 m); Repro Rainer Hochhold 6
Gletscherkundliche Einführung [nach Univ. Prof. Dr. Gernot Patzelt; ÖAV; Gletscherweg Pasterze. Naturkundlicher Führer zum Nationalpark Hohe Tauern] Gletscher gibt es überall dort, wo die Sonnenwärme nicht ausreicht, um den als Schnee gefallenen Niederschlag zu schmelzen. In den Polargebieten ist das schon auf Meeresniveau der Fall, in den Alpen in Regionen über ca. 2500 m. Das Gebiet, in dem der Schnee nur mehr teilweise oder gar nicht abschmilzt, wird als NÄHRGEBIET eines Gletschers bezeichnet. Hier wird der gefallene, von den umliegenden Graten und Kämmen eingewehte oder in Form von Lawinen angesammelte Schnee in Firn umgewandelt, der dann in 15 bis 20 Jahren allmählich zu Gletschereis wird. Dieses Eis fließt wie eine sehr zähe, plastisch verformbare Masse der Schwerkraft folgend in tiefere Lagen ab, wo es aufgrund der zunehmenden Temperaturen abschmilzt. Das Gebiet, das regelmäßig ausapert, in dem somit die Schmelzung den Schneeauftrag überwiegt, nennt man ZEHRGEBIET. Die Grenze zwischen Nähr- und Zehrgebiet wird als GLEICHGEWICHTSLINIE (Schneegrenze) bezeichnet. Ihre mittlere Höhenlage ist für die Ernährung eines Gletschers von ausschlaggebender Bedeutung. Große Schneemengen, die im Winterhalbjahr fallen, können in wenigen heißen Julitagen abschmelzen. Daraus wird klar, dass der Ablauf der Witterung in der Abschmelzperiode, die in den Alpen in der Regel von Mai bis September dauert, für die Erhaltung der Gletscher entscheidend ist. Tiefe Wintertemperaturen haben auf die Nährungssituation bzw. das langfristige Verhalten eines Gletschers keinen Einfluss. Ein kennzeichnendes Merkmal der Gletscher ist die Fließbewegung. Wenn die Zugkräfte die Festigkeit des Eises überschreiten, zerreißt es, es entstehen Klüfte, Spalten und Eisabbrüche. Wenn eine Gletscherzunge vorrückt, schiebt sie oftmals mit steil gewölbter Stirn den lockeren Schutt und das Bodenmaterial zu MORÄNENWÄLLEN zusammen. Es entstehen vor der Gletscherfront die Stirn- und an den Rändern die Ufer- oder Seitenmoränen. Wenn das Eis in einer Rückzugsphase wieder abschmilzt, markieren die zurückgebliebenen Wälle die Stellen, an denen der Vorstoß zum Stillstand gekommen ist. An den Wallmoränen lässt sich dann die ehemalige Ausdehnung der Gletscher gut nachvollziehen. In den tiefsten Eisschichten am Gletschergrund sind meist größere Mengen von Gesteinsmaterial eingeschlossen, das, sobald es vom Gletschereis unter hohem Druck über den Felsuntergrund geschoben wird, diesen abschleift, rundet, abträgt oder auch zu „Absätzen‟ führt. An Gletscherschliffen und Rundhöckern sieht man diese Wirkung sehr deutlich. GEOLOGIE Das meist verbreitete Gestein ist der Dachsteinkalk, ein hellgrau-weißliches oft in Schichten abgelagertes Meeressediment aus dem Trias-Erdzeitalter vor 225 bis 190 Millionen Jahren, zu einer Zeit, als das Thetys-Meer den Urkontinent Pangäa zu trennen begann und die ersten Riesenreptilien (Saurier) die Erde bewohnten. 7
Zahlreiche Versteinerungen belegen den Meeresursprung des Dachsteinkalks, als Leitfossil ist die Dachstein-Bivalve, im Volksmund „Kuhtrittmuschel‟ genannt, weit verbreitet. Bedingt durch die Gesteinsstruktur des Kalkes gibt es auf dem Plateau keine oberflächliche Entwässerung. Der gesamte Stock ist von einem zusammen- hängenden wasserführenden Kluft- und Höhlennetz durchzogen. Das Ober- flächenwasser (auch das der Gletscher) versickert in Dolinen, Kluftkarren und Karstschloten und tritt in Karstquellen wie z. B. dem Waldbachursprung zu Tage. Auf dem Weg vom Echerntal auf das Plateau lohnt sich ein Abstecher zum Waldbachursprung, einer im Sommer mächtigen Karstquelle. Dies ist gleichsam das „zweite Gletschertor‟ des Hallstätter Gletschers, das Schmelzwasser tritt hier mit zeitlicher Verzögerung zu Tage. 8
Erschließungs- und Erforschungsgeschichte Erste Belege für eine Begehung des Gebietes stammen aus der Bronze- und Römerzeit, eine intensivere almwirtschaftliche Nutzung ist zumindest ab dem 15. Jahrhundert nachgewiesen. Der Name „DACHSTEIN‟ tauchte erstmals gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf, zuvor war der Name „Schneeberg‟ üblich. Auch unterschied man bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch nicht zwischen Dachstein und Torstein, der lange Zeit als die höchste Erhebung galt. Erst mit dem Jahre 1832 ist die Erstbesteigung des Dachsteins offiziell belegt. Ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts begann dann die wissen- schaftliche Erforschung des Gebirgsstockes und seiner Gletscher. Allen voran steht Dr. Friedrich Simony, erster Univer- sitätsprofessor der geo- graphischen Lehrkanzel in Wien und Gründungs- mitglied des Österreich- ischen Alpenvereins. Fr. Simony war ab 1840 durch ein halbes Jahr- hundert hin immer Die Simonyhütte im Wildkar; Foto von Friedrich Simony 1885 wieder am Dachstein tätig, ihm gelang auch die erste Winterbesteigung sowie eine Nächtigung auf dem Gipfel. Seine zahlreichen Berichte, Skizzen und auch Fotos sind heute von unschätzbarem Wert. An ihn erinnert die am 18. August 1877 feierlich eröffnete - damals noch in unmittelbarer Gletschernähe gelegene - Hütte. Wissenschaftlich tätig waren in der Folge bekannte Alpenforscher wie Norbert Krebs, Eduard Brückner, Norbert Lichtenecker, Erik Arnberger und Hans Kinzl. Als einer der Pioniere und Protagonisten der Forschung im Salzkammergut darf auch Friedrich Morton nicht unerwähnt bleiben. Kartographische Meisterwerke waren die photogrammetrische Aufnahme von Arthur v. Hübl (1899) und die Alpenvereinskarte von 1915. Dieser frühen Karte von Aegerter folgte 1958 eine weiterentwickelte und aktualisierte Ausgabe des ÖAV von E. Schneider u. F. Ebster. Roman Moser schrieb 1954 eine Dissertation bei Univ. Prof. Hans Kinzl über die Geologie und Glaziologie des Dachsteinmassivs. Von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien wurden 1967 der Untergrund und die Eisdicke des Hallstätter Gletschers seismisch untersucht. 1969 wurden im Rahmen des Projektes „Österreichischer Gletscherflug‟ genaue Daten über Lage und Fläche der Gletscher gewonnen und die Ergebnisse in einer Katasterkarte dargestellt. Schließlich konnten 1978 im Rahmen einer gletscherkundlichen Hausarbeit am Geographischen Institut der Universität Innsbruck von Rainer Hochhold neue Erkenntnisse über historische Gletscherstände des Hallstätter Gletschers gewonnen werden. 9
DER HALLSTÄTTER GLETSCHER Gletscherstände - Glazialerscheinungen – Eismächtigkeit Kartengrundlage: Katasterkarte im Maßstab 1:10.000, Österreichischer Gletscherflug 1969. Abstand der Höhenschichtlinien 20 m. Repro: Rainer Hochhold Um 1900 wäre der Fotostandpunkt (Juli 2003) noch unmittelbar am Eisrand gelegen! 10
Die im Juli 2006 großteils ausgeaperten Zungen, gesehen vom Hohen Gjaidstein aus. An heißen Sommertagen können bis zu 15.000 m3 Eis, das sind knapp 15 Mio. Liter Wasser, abschmelzen. Der Hallstätter Gletscher, mit knapp 2,835 km² (2014 ) das flächengrößte Eisfeld der nördlichen Kalkalpen [Quelle: https://www.gletscherwandel.net], wird im Westen vom Hohen Kreuz (2808 m), im Süden vom Hohen Dachstein (2995 m) und den Dirndln (2829 m) und im Osten vom Hohen Gjaidstein (2792 m) begrenzt. Der Gletscher erreicht seine größte Höhe am Fuße des Hohen Dachsteins bei rund 2910 m und endet mit seiner mittleren Zunge bei rund 2200 m, woraus sich eine Gesamtlänge von nur mehr knapp 2 km ergibt (2016). Nähr- und Zehrgebiet sind nordostorientiert, letzteres ist in einen westlichen und einen östlichen Lappen sowie eine mittlere Zunge geteilt. Geschützt durch die Felsumrahmung des Hohen Kreuzes (Beschattung, Schneezufuhr durch Lawinen) apert der westliche Lappen geringer aus. Die im untersten Teil oft stark schuttbedeckte mittlere Zunge (Mittelmoräne) ist wie der gesamte östliche Lappen stark dem Verfall preisgegeben. Die Gleichgewichtslinie (= mittlere Schneegrenze über mehrere Jahre) liegt am Hallstätter Gletscher inzwischen in einer Höhenlage deutlich über 2500 m. Das Schmelzwasser des Gletschers versickert rasch in Dolinen, Kluftkarren und Karstschloten. Nur dort, wo Moränenmaterial diese „verstopft‟, kommt es zur Ausbildung von Seen unterschiedlicher Größe (Eisseen). Am Gletscher selbst können viele Glazialerscheinungen wie Gletschertische oder kleine Gletscher- mühlen beobachtet werden. Geländebedingt durch Wannen und Schwellen entstehen in Zusammenhang mit der Fließbewegung des Eises Gletscherspalten, die auch auf dem Hallstätter Gletscher keinesfalls unterschätzt werden dürfen. Auch hier gilt die alte Bergsteigerweisheit, dass ein Gletscher nie ohne Seil begangen werden darf! 11
Das unruhige Karstrelief findet auch unter dem Eis des Gletschers seine Fortsetzung, dementsprechend schwankt die Eismächtigkeit. Weitere Perioden des Gletscherrückganges hätten eine gänzliche Loslösung des östlichen Lappens unterhalb der Eissteine zur Folge, die Eisdicke beträgt in diesem Bereich nur mehr rund 10 bis 30 m. Untergrundkarte und Eismächtigkeit des Hallstätter Gletschers 1967/68 [Aus: Brückl, E., Gangl, G. u. Steinhauser, P.; Repro Rainer Hochhold] Durch Oberflächenverdunstung verlieren die Gletscher an Masse, an Tagen mit Südwind ist über den Gipfeln eine „Föhnmauer‟ charakteristisch. (Foto 1978) 12
Durch auf dem Eis liegende Felsblöcke wird die Oberflächenabschmelzung verhindert. Unter dem Deckstein bildet sich ein Eissockel, es entsteht ein sogenannter Gletschertisch. Das an der Gletscher- oberfläche rinnende Schmelz- wasser verschwindet in Eislöchern. Durch den Strudel entstehen runde Hohlformen, die sich in den Fels fortsetzen können. Dieses Phänomen wird als Gletschermühle oder Gletschertopf bezeichnet. Vorsicht Spalten! Diese Aufnahme aus dem Jahr 1977 (R. Hochhold) stammt vom westlichen Gletscherlappen in ca. 2600 m Höhe, nach Brückl, E, Gangl, G. und Steinhauser, P. (1971) betrug die Eismächtigkeit an dieser Stelle rund 80, nach neueren Messungen [K. Helfricht 2009] sogar bis zu 130 Meter. 13
DAS GLETSCHERVORFELD Historischer Rückzug und Stände im 20. Jahrhundert Die Zeit seit 1850 ist geprägt durch einen stetigen Rückgang der Alpengletscher, unterbrochen nur durch kurze Halte bzw. einen kleineren Vorstoß um 1920. Dabei wurden auch im Vorfeld des Hallstätter Gletschers mehr oder weniger deutliche Moränen im Bereich nördlich des seit der Wende zum 19. Jahrhundert eisfreien Eisjochs bzw. am Ost- und Südabhang des Taubenriedels abgelagert. Im 19. Jahrhundert stauten sich die anwachsenden Eismassen am Südabhang des Taubenriedels und flossen rechts über das Eisjoch ins Obere Taubenkar ab. Der Höchststand von 1850 ist an der Grenze von Schutt und anstehendem Fels noch heute gut zu erkennen. Nur wenige Minuten vom Eisrand entfernt wurde 1877 die Simonyhütte (links oben) eröffnet. Roman Moser ordnete die Moränenzüge am Taubenriedel den Rückzugshalten bzw. der kurzen Vorstoßphase um 1920 zu. Die aus dem Jahr 1952 stammende Abbildung zeigt auch, dass sich vor der damaligen Gletscherzunge ein See von beträchtlicher Größe befand. Rot: Gletscherstand: 1855/56 / Orange: 1876 – 80 / Schwarz: 1896 - 99 / Blau: 1919/20 14
Kartographische Meisterwerke im Maßstab 1:25.000 mit den jeweils aktualisierten Gletscherständen (gelb hervorgehoben; Repro Rainer Hochhold) sind die Alpenvereinskarten 1915 (oben links; Gletscherstand 1913) und 1958 (Neuauflage 1975, oben rechts; Gletscherstand 1958) bzw. die überarbeiteten Ausgaben 1977, 1980, 1985, 1992 (unten links, Gletscherstand 1991), 2000 und 2005 (unten rechts; Gletscherstand 2002 mit Eisrandbereinigung; Kombikarte mit Weg- und Skiroutennetz): 15
Wichtige Belege für die frühere Größe des Hallstätter Gletschers stellen auch die von Friedrich Simony im Jahr 1883 an zwei Felsbrocken in unmittelbarer Nähe der Simonyhütte angebrachten und seither immer wieder aufgefrischten Messmarken dar. Die historischen Gletscherstände können auch durch karto- graphische Aufnahmen und ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch durch Fotos belegt werden. Das „Karls-Eisfeld‟, photogrammetrisch aufgenommen im August 1899 von Arthur Freiherr von Hübl. Die kunstvolle Photolithographie im Maßstab 1:10.000 mit einem Schichthöhen- abstand von 25 Metern stellt ein historisches Dokument und einen wertvollen Behelf für die Gletscherkunde dar. Der Gletscherrückgang im heutigen Vorfeld vollzog sich seit dem Höchststand von 1855/56 folgendermaßen: Geländebedingt sank das am Taubenriedel aufgestaute Eis stark vertikal ab und erst später, als die Gletscherzunge in den flachen Bereich der Oberen Eisseen zu liegen kam, überwogen die horizontalen Werte. Norbert Lichtenecker beobachtete 1927 bereits einen kleinen See im unmittelbaren Vorfeld der Zunge, 1930 hatte dessen Größe beachtlich zu- genommen. Nach einem kurzen Vorstoß um 1920 zog sich die Gletscherstirn bald wieder hinter diese Moränen zurück, ab dieser Zeit begann auch die Auflösung des Gletschers in drei Teilzungen. Da die seitlichen Lappen aufgrund einer im unteren Teil geringeren Eismächtigkeit schneller abschmolzen, wies die mittlere Zunge bald eine eigenständige Länge von rund einem Kilometer auf. Um 1950 betrug die Gesamtlänge des Hallstätter Gletschers aber nur mehr 2500 Meter. Über die Veränderungen seit dem 2. Weltkrieg geben die jährlichen Messberichte des Österreichischen Alpenvereins Auskunft. Vierzig Jahre (bis 1986) lebte und litt „Gletscherknecht‟ Dr. Roland Wannenmacher mit „seinen‟ Dachstein- gletschern, von ihm stammen auch vielseitige Beobachtungen, ausführliche Berichte und unzählige Bilder. Markante Veränderungen in dieser Zeit waren die vollständige Loslösung des westlichen Lappens von der mittleren Zunge in den 60er Jahren und eine weitere deutliche Verkleinerung derselben durch seitliches und horizontales Abschmelzen. Die in 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Teil stationären oder sogar leicht vorstoßenden Tendenzen gaben glaziologisch nur zu kurzer Hoffnung Anlass, in den letzten Jahrzehnten überwogen Messungen mit teils dramatischen jährlichen Rückzugswerten, der Verfall der mittleren Zunge scheint bei anhaltender Tendenz nur mehr eine Frage der Zeit zu sein. 16
1885 fotografierte Friedrich Simony das „Obere Karlseisfeld‟. Das Eisjoch war noch vom Eis überflossen. Bildtext: „Aussicht vom Felsriegel nächst der Simonyhütte auf das Karlseisfeld im August 1885”. Ansicht aus den 1960er Jahren. Der Gletscher besaß im Vergleich zu heute noch eine mächtige Zunge. Der Hallstätter Gletscher im Juni 1977. Das stark schuttbedeckte Zungenende lag auf einer Felsstufe bei ca. 2100 m, die Verbindung zum östlichen Lappen ging verloren. 17
Blick von der Simonyhütte auf den Hallstätter Gletscher im Juli 2003 Gletscherstand im Juli 2008. Aufnahme am 25. September 2016: Das Zungenende liegt bei rund 2200 m, auffallend der kontinuierliche Rückgang der beiden Lappen und die allgemeine Abnahme der Eismächtigkeit. 18
DER HÖCHSTSTAND 1855/56 Gletscherstände in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Nach kartographischen Aufnahmen und Berichten von Besuchern des Gebietes in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts befand sich die Zunge des Hallstätter Gletschers im Bereich des Oberen Taubenkars. Man beobachtete, dass sich davor ein See befunden habe, „in dem ein Salzschiff bequem hätte umdrehen können‟. Ab 1823 sei der Gletscher aber wieder stark zurückgewichen. Auf dieser alten Mappierung (vermutlich 1821) erfüllte das »Carlseisfeld« das Obere Taubenkar, hatte aber noch nicht den Höchststand von 1855/56 erreicht. Als Friedrich Simony im Oktober 1840 das Karlseisfeld (so wurde damals der Gletscher vorwiegend im unteren Teil bezeichnet, nachdem am 27. August 1812 Erzherzog Karl die damalige Alm im Unteren Taubenkar aufgesucht und den Gletscherrand erreicht hatte) erstmals betrat, besaß dieses eine 6 bis 9 m hohe Stirn, viele Radialspalten am Rand bzw. Längs- und Querspalten in der Mitte. Das heutige Eisjoch war eine wildzerklüftete Gletscherkaskade. 1842 erreichten die Eismassen der mittleren Stufe am Taubenriedel die größte Mächtigkeit, der Obere Eisstein war zu dieser Zeit völlig unter Schnee und Eis begraben. Den Maximalstand im Oberen Taubenkar setzte Simony mit den Jahren 1855/56 fest, die Vegetation im unmittelbaren Terrain vor der Gletscherstirn sei völlig intakt gewesen, der Gletscher habe zahlreiche Rasenwülste und grünende Pflanzenbüschel aufgewühlt. Einheimische wussten vom größten Vorstoß „seit Menschengedenken” zu berichten. 19
Friedrich Simony zeichnete auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1884 den Gletscherhöchststand von 1855/56 ein, die Darstellung ist heute ein wertvolles gletscherkundliches Dokument. Die Gletscherflächen wurde zur Verstärkung blau hervorgehoben (Repro Rainer Hochhold). Die damals aufgeschütteten Moränen lassen sich auch heute immer noch gut im Vorgelände des Hallstätter Gletschers ausmachen. Die Wälle setzen bei ca. 2400 m am Fuß des Niederen Kreuzes an und ziehen südlich des Schöberl meist in einzelne Wallstücke aufgelöst zum Taubenriedel hin. Von dort verlaufen sehr deutliche Wälle bis zum Nordende des Unteren Eissees, wo sie bei 1960 m die äußerste (tiefste) Stelle erreichen. Dieser zum Eissee gekrümmte etwa 15 m lange Endmoränenwall hebt sich nicht mehr von seiner Umgebung ab. Über den seit 1856 einsetzenden Rückgang des Gletschers sind wir durch Friedrich Der „Simony-Stein” knapp unterhalb Simony sehr gut informiert. So zeigen seine der Taubenkarschwelle weist auf den Aufnahmen und Fotos, dass die Gletscher- Gletscherhöchststand hin. zunge sowohl horizontal (1856 bis 1883 um 98 Meter, das sind 3,8 m/Jahr) als auch vertikal (im gleichen Zeitraum 61 Meter, das sind 2,1 m/Jahr) stark zurückging bzw. einsank. Vor der damaligen Gletscherstirn bildete sich im Oberen Taubenkar nun wiederum ein See, der zeitweise sogar die niedrigen Teile der Zunge bedeckte und in den kleinere Eisbrocken gleichsam kalbten (vgl. Abbildung auf S. 22 oben). 20
Auch die Fotographen begannen sich bald für das Hochgebirge zu interessieren. Die Aufnahme des Eisbruchs am Eisjoch stammt von Alois Elsenwenger aus den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. Besonders auffällig vollzog sich nun der Rückgang des Eises am Steilabfall zwischen mittlerer und unterer Stufe, dem heutigen Eisjoch, das noch während des Höchststandes von einer 40 bis 45 m mächtigen Eismasse überflossen war. 1875 erschien der Gletscher bereits unzerklüftet, die Querspalten waren verschwunden. Drei Jahre danach trat erstmals eine Felspartie zu Tage, die sich in den folgenden Jahren rasch ausdehnte. Da aus dem Nährgebiet kaum Nachschub erfolgte, war bereits zur Jahrhundertwende die frühere Gletscher- zunge als „Toteis‟ völlig vom eigentlichen Gletscher isoliert. Auch in der Firnregion beobachtete Simony auffällige Ver- änderungen: So war um 1847 der Obere Eisstein noch nicht zu sehen, Anfang der 1860er Jahre tauchte in ca. 2690 m ein „Felsriff‟ auf, im Jahre 1875 ließ sich der Obere Eisstein von der Simonyhütte schon Univ. Prof. Dr. Friedrich Simony deutlich erkennen. 21
„Nach der Natur aufgenommen von Fr. Simony‟ im Jahr 1887. Damals befand sich der Eissee unmittelbar vor der Gletscherstirn. Die abgeflachte Zunge und das Felsfenster beim Eisjoch weisen aber deutlich darauf hin, dass es sich um eine Zeit des Rückzugs handelt. In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts war das Eisjoch noch eine wild zerklüftete Gletscherkaskade (vgl. Bild von A. Elsenwenger auf S. 21), das Obere Taubenkar war von einem über 100 m mächtigen Eiskuchen (nach Erzherzog Karl „Karls-Eisfeld‟ genannt, siehe S. 19) bedeckt. 50 Jahre später hatte sich der Gletscher zur Gänze über das Eisjoch zurückgezogen, wies im oberen Karboden aber immer noch eine ansehnliche Größe auf. Das historisch wertvolle Foto von Karl Wurm entstand Ende August 1915, der Aufnahmestandort ist augenscheinlich der Taubenkogel (vgl. Bild von R. Hochhold auf S. 5). 22
Flächenveränderungen und Massenverluste Von 1850 bis 1970 verlor der Hallstätter Gletscher rund 250 ha Fläche, das entspricht der Fläche von rund 500 Fußballfeldern. Pro Jahr ergab sich somit ein durchschnittlicher Verlust von rund 10.000 bis 15.000 m2. Noch imposantere Zahlen ergeben sich bei einer Schätzung des Massenverlustes: Demnach schmolzen in rund 150 Jahren über 200 Millionen Kubikmeter Eis auf dem Dachsteinplateau ab. Dies hätte (in Anlehnung an eine Berechnung von Roman Moser) ausgereicht, um eine einen Meter dicke und mehr als fünf Meter hohe Mauer rund um den Erdball zu errichten. Kay Helfricht (2009) gibt seit dem Höchststand von 1855/56 bis 2007 eine Längenänderung (direkte Distanz vom höchsten zum niedrigsten Punkt) von 1940 m, einen Flächenverlust von 2,23 km2 (- 42,3%) und einen Massenverlust von 103 m3 (- 63 %) an. Am 24. September 2007 wurde vom Team Helfricht eine Wetterstation in Nähe der Kapelle der Simonyhütte aufgestellt, die online wertvolle Rückschlüsse auf Gletscher- und Klimadaten liefert und auch die jahresaktuelle spezifische Massenbilanz ausweist > http://www.dachsteingletscher.info/ergebnisse/. Während bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Gletscher oft als nutzloses Ödland betrachtet wurden, sind sie heute in vielen Gebieten der Alpen in den Wirtschaftsraum (Trinkwasserreserven, touristische Nutzung, Energiewirtschaft, …) einbezogen. Mehr denn je gelten sie aber auch als untrüglicher Zeiger des Klimawandels. Gerade im Kalkgebirge des Dachsteins müssen wir uns dieser natürlichen Ressourcen bewusst sein und noch bedachtsamer und verantwortlicher mit dem Klima und den Folgen für die Hochgebirgsregionen umgehen lernen. Änderung der Eisdicke von 1856 bis 2007 auf Grundlage der Gletscherausdehnung von 1856, die schwarze Linie kennzeichnet den Gletscherstand von 2007 [aus: Helfricht, Kay (2009) S. 66] 23
GLETSCHERSTÄNDE VOR 1850 Egesenstand – [Taubenkarstand] – Taubenriedelstand Ausgehend vom Maximalstand 1855/56 sind die Gletscherstände am Taubenriedel und - mit Vorbehalt eines eigenständigen Gletscherstandes - im Taubenkar ausgewiesen. Die mögliche Dimension des Egesenstandes wurde mittels Annahme einer Schneegrenz- depression von 200 m gegenüber Bezugsniveau 1850 (2400 m) im Flächenteilungs- verfahren (Verhältnis Nähr- zu Zehrgebiet im Karst- und Plateaugelände des Dachsteins 1,5:1) rechnerisch ermittelt und ins Gelände übertragen [aus: Rainer Hochhold (1978); siehe auch Repro auf folgender Seite]. 24
Vor rund 18.000 Jahren hatte die große Würm-Kaltzeit (Eiszeit) ihren letzten Höchststand. Das gesamte südliche Salzkammergut wurde von einem Eisstromnetz durchzogen. Die Endmoränen dieser Kaltzeit bilden einen nahezu geschlossenen Zug von Traunkirchen bis Gmunden. Im Jahresmittel war es damals um rund 7 Grad kälter als heute. In der Folge kam es zu einem Temperaturanstieg und zum Abschmelzen der Eisströme, in der Zungenwanne bildeten sich Gletscherendseen wie der heutige Traunsee aus. Mehrere Male kam es im Spätglazial noch zu Klimaverschlechterungen, der Zerfall des Eisstromnetzes wurde von kurzen Vorstößen aber nur unterbrochen. Gletscherverhalten und Vegetationsentwicklung in den Alpen zeigen an, dass die klimatischen Verhältnisse vor rund 10.000 Jahren (Ende des Spätglazials / Beginn des Postglazials) erstmals zeitgeschichtliche Werte erreicht haben. Seither schwankten die für einen Gletscher entscheidenden Sommer- temperaturen langfristig nur mehr mit einer Amplitude von rund 1,5 Grad. Um 10.000 vor heute hatten sich auch die Dachsteingletscher auf das Plateau „Am Stein‟ zurückgezogen. Eine nochmalige Unterbrechung des Abschmelz- vorganges mit aktivem Gletscherverhalten wird in den Alpen als „Egesenstand‟ bezeichnet. Da am Dachstein – wohl in erster Linie geländebedingt - keine eindeutigen Moränen dieses Vorstoßes vorhanden sind, wurde dieser Gletscher- stand rekonstruiert. Bei einem Schneegrenzniveau von rund 2200 m hatte demnach der damalige Hallstätter-Plateaugletscher eine Gesamtfläche von rund 1370 ha, davon 820 ha im Nähr- und 550 ha im Zehrgebiet. Berechnete und visualisierte vergletscherte Fläche (Foto und Repro Rainer Hochhold 1978) zu Ende des Spätglazials vor rund 10.000 Jahren (Egesenstand). Die Gjaid-Alm und das Oberfeld (links unten) wurden demnach von der Vergletscherung nicht mehr berührt, ein Teil des Eises könnte noch über die Wiesalm in die Herrengasse (rechts) abgeflossen sein. 25
Die ganze am Bild sichtbare Fläche am Plateau war vor 10.000 Jahren noch vom Eis bedeckt. Der Taubenriedel war überflossen, das Schöberl (Bildmitte) und der tiefer liegende Wildkar-Kogel (2159 m) – im Bild Mitte rechts - ragten gleichsam als »Eissteine« aus dem abschmelzenden Plateaugletscher heraus (Foto August 2008). Vermutlich nur einige hundert Jahre später hatte sich der Hallstätter Gletscher in das Taubenkar zurückgezogen, in den großen Dolinen wie der Zirmgrube lagerten wahrscheinlich noch Toteiskörper, die beim endgültigen Abschmelzen „Pseudomoränen” hinterließen. Ob insofern die im Süden des Taubenkars liegenden Moränenwälle tatsächlich einem eigenständigen Vorstoß bzw. Halt zugeordnet werden können (Taubenkarstand), ist nicht abgesichert. Moränen, die durchschnittlich 30 Meter außerhalb der 1856er Moränen am Ostabhang des Taubenriedels einsetzen und parallel zu diesen ins Obere Taubenkar ziehen, wurden in der Literatur meist dem „Fernaustand” (Klimaverschlechterung beginnend in der 2. Hälfte des 16. Jahr- hunderts) zugeordnet. Aufgrund von zwischen den Moränenzügen befindlichen Karsttischen mit Sockelhöhen zumeist um 5 bis 7 cm, wurde von Rainer Hochhold Zeichnung von Monika Neuhauser nach einem Foto von [1978; Kap. 5.9.] der Terminus Roman Moser aus dem Toten Gebirge, die Sockelhöhe „Taubenriedelstand” eingeführt. beträgt rund 10 cm. 26
Diese auf vegetationsfreien Kalkschliffböden entstandenen Karsttische stellen eine Besonderheit dar. Dabei „schützen” gleichsam Felsblöcke den Untergrund vor mechanischer und chemischer Abtragung (Erosion), ein Sockel entsteht. Dieses Phänomen, das vielfach auf Gletscheroberflächen auftritt und dort als Gletschertisch (vgl. auch Bild auf Seite 11) bezeichnet wird, kann auch in Kalkgebirgen beobachtet werden. Hier benötigt die Sockelbildung natürlich eine ungleich längere Zeitperiode. Je nach Kalkbeschaffenheit, Lage und Exposition kann aber als Grobwert eine Sockelbildung von rund 1 cm in 1000 Jahren angegeben werden. Durch die Auffindung und Beschreibung von Karsttischen im Bereich zwischen den 1856er Moränen und den Moränen des „Taubenriedelstandes” wurde klar, dass dieses Gelände seit mehreren Jahrtausenden eisfrei gewesen sein muss. Dies wurde in der Folge durch die Entnahme eines Humusprofils von Univ. Prof. Dr. Gernot Patzelt (Univ. Innsbruck) im Jahr 2001 knapp außerhalb der 1856er Moräne am Taubenriedel bestätigt, da die Datierung der Probe an der Basis der Humusauflage ein Alter von 4900 Jahren ergab. „Mindestens seit dieser Zeit hat der Gletscher die Stelle nicht bedeckt und die Ausdehnung von 1856 nicht überschritten” [Patzelt, G. 2003; S. 185]. In Frage kommende Äquivalente zum Taubenriedelstand wären somit die „Rotmoosschwankung‟ (5300 bis 5500 vor heute) oder die „Frosnitzschwankung‟ (6600 bis 6000 vor heute). Im Bild unten die am Ostabhang des Taubenriedels liegenden, sehr gut ausgebildeten Moränenwälle des Höchststandes von 1855/56 und rund 30 m außerhalb (im Bild links) die deutlich älteren Moränen des Taubenriedelstandes. Dazwischen befinden sich an mehreren Stellen schön ausgebildete Karsttische mit Sockelhöhen von zumeist 5 bis 7 cm, einzeln auch bis zu 10 cm. Links (grün-gelbe Pfeile): Lage der Moränen des Taubenriedelstandes / Rechts (rot-schwarze Pfeile): Lage der Moränen des Höchststandes von 1855/56 (Foto Sept. 2016; Repro Rainer Hochhold) 27
Karsttisch am Taubenriedel; Höhenlage: 2037 m; N 47 29 52,8 E 13 38 03,8 (Sept. 2016) Karsttisch am Taubenriedel mit Altmoräne im Hintergrund; Höhenlage: 2004 m; N 47 29 52,7 E 13 37 55,0 (Sept. 2016) 28
Karsttische am Taubenriedel; Höhenlage: 2004 m; N 47 29 55,2 E 13 38 11,7 (Sept. 2016) 29
Moränen im Unteren Taubenkar, der Fragenkreis rund um einen eigenständigen „Taubenkarstand‟ und die zeitliche Stellung der Ablagerungen bedarf weiterer Forschungen (Foto Sept. 2016). Auf dieser Aufnahme von Roman Moser (1952) sind noch die Überreste der um 1830 wohl auch wegen der damaligen Klimaverschlechterung aufgegebenen und in der Folge verfallenen Almhütten im Unteren Taubenkar zu sehen. Text und Layout: © Mag. Rainer Hochhold 1990 / 2019 30
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