Der große Gatsby F. Scott Fitzgerald / Lothar Kittstein - F 1507 nach F. Scott Fitzgerald übersetzt und dramatisiert von Lothar Kittstein

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F. Scott Fitzgerald / Lothar Kittstein

Der große Gatsby
nach F. Scott Fitzgerald
übersetzt und dramatisiert von Lothar Kittstein

F 1507
Bestimmungen über das Aufführungsrecht des Stückes

                            Der große Gatsby (F 1507)

Dieses Bühnenwerk ist als Manuskript gedruckt und nur für den Vertrieb an
Nichtberufsbühnen für deren Aufführungszwecke bestimmt. Nichtberufsbühnen
erwerben das Aufführungsrecht aufgrund eines schriftlichen Aufführungsvertrages mit
dem Deutschen Theaterverlag, Grabengasse 5, 69469 Weinheim, und durch den Kauf
der vom Verlag vorgeschriebenen Rollenbücher sowie die Zahlung einer Gebühr bzw.
einer Tantieme.
Diese Bestimmungen gelten auch für Wohltätigkeitsveranstaltungen und Aufführungen
in geschlossenen Kreisen ohne Einnahmen.
Unerlaubtes Aufführen, Abschreiben, Vervielfältigen, Fotokopieren oder Verleihen der
Rollen ist verboten. Eine Verletzung dieser Bestimmungen verstößt gegen das
Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich.
Über die Aufführungsrechte für Berufsbühnen sowie über alle sonstigen Urheberrechte
verfügt der S. Fischer Verlag, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt/Main
Die für die Bonner Inszenierung vorgesehenen Doppelrollen sind
   in den jeweiligen Szenen in eckigen Klammern angegeben.

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Eins. Bei Tom und Daisy

Tom
(zu Nick) Ich hab hier ein schönes Plätzchen. Das hat in den 20er Jahren irgendnem
Ölproduzenten gehört.

Daisy
Ich bin – Ich bin wie g-gelähmt vor Glück!

Tom
Wir waren ein Jahr lang in Frankreich.

Daisy
Einfach nur so!

Tom
Mal hier, mal da.

Daisy
Hauptsache, die Leute haben Polo gespielt und waren zusammen reich. Jetzt bleiben wir
hier. Tom hat einen Stall, Pferde mit rübergebracht. (flüstert, mit Blick auf Jordan) Sie
heißt mit Nachnamen Baker!

Nick
(zu Jordan, die ihn betrachtet) Hallo.

Pause.

Nick
Ich war auf Geschäftsreise. Auch bei dir zu Hause. Ich soll dich von jeder Menge Leute
grüßen.

Daisy
Vermissen die mich?

Nick
Die ganze Stadt ist untröstlich. An jedem Auto ist das linke Hinterrad schwarz angemalt,
als Trauerbinde, und die ganze Nacht durch hört man Jammern und Wehklagen.

Daisy
Das ist so süß! Komm, wir ziehen zurück, Tom. Morgen! Du müsstest das Baby sehen.

Nick
Würd ich gern.
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Daisy
Sie schläft jetzt. Sie ist drei. Du hast sie noch nie gesehen, oder? Sie ist -

Tom
Nick, was machst du?

Nick
Investmentbanking.

Tom
Bei wem?

Nick
Bei Edison & Cott.

Tom
Nie von gehört.

Nick
Das wirst du noch, wenn du dich ein bisschen um dein Geld kümmern willst.

Tom
Oh, ich kümmere mich um mein Geld, mach dir mal keine Sorgen. Ich wär ziemlich blöd,
wenn ich das heutzutage irgendwelchen Bankfritzen überlasse.

Pause.

Daisy
In zwei Wochen ist der längste Tag im Jahr. Wartet Ihr auch immer auf den längsten Tag,
und dann verpasst ihr ihn? Ich warte jedes Jahr auf den längsten Tag und verpasse ihn.

Jordan
Wir sollten irgendwas machen.

Daisy
Guck mich nicht an, ich hab den ganzen Nachmittag gesagt, komm, wir fahren in die Stadt
rein. – Na gut! Was machen wir? (Zu Nick) Was machen Leute? (Mit Blick auf ihren
kleinen Finger) Guck mal! Habe ich mir wehgetan. - Das hast du gemacht, Tom. Es war
keine Absicht, aber du HAST es gemacht. Das hab ich davon, dass ich so ein Tier geheiratet
habe, so ein großes, riesiges, brutales ——

Tom
Ich mag das nicht, wenn du so was sagst. Brutal. Auch nicht als Witz.
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Daisy
Brutal.

Tom
Die Zivilisation geht vor die Hunde. Ich befürchte inzwischen wirklich das Schlimmste.
Hast Du dieses Buch gelesen, „Aufstieg des asiatischen Weltreichs“?

Nick
Nein, hab ich nicht.

Tom
Tja, es ist ein ziemlich gutes Buch, das sollten alle lesen. Es geht darum, dass wenn wir
nicht aufpassen, dass dann der Westen bald – dann wird er völlig überschwemmt. Es ist
alles wissenschaftlich, es ist bewiesen.

Daisy
Tom ist in letzter Zeit sehr tiefsinnig. Er liest schwierige Bücher, mit langen Wörtern drin.
Wie war das Wort, das wir ——

Tom
Da wird die ganze Sache genau erklärt. Wir, im Westen, sind die vorherrschende Kultur,
aber wenn wir nicht aufpassen, kontrollieren die Asiaten bald alles.

Daisy
(flüstert) Wir müssen sie niederschlagen!

Tom
Es geht darum, dass wir aufgeklärt sind. Ich bin's, du auch, du auch, und —— (zögert,
dann nickt er zu Daisy) ja. Und wir haben alles hervorgebracht, woraus man eine
Zivilisation macht — also, Wissenschaft und Kunst, und so weiter. Verstehst du? (bekommt
einen Anruf, am Telefon) Ja, hallo.

Tom entfernt sich.

Jordan
Du wohnst auf der anderen Seite der Bucht. Da kenn ich jemand.

Nick
Ich kenn da niemand.

Jordan
Gatsby kennst du doch.

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Nick
Gatsby?

Daisy
Welchen Gatsby?

Nick
Das ist mein Nachbar. Ich wohne–

Jordan
Seid mal ruhig! Ich will hören, was los ist.

Sie lauschen, wegen Tom.

Nick
Ist was los?

Jordan
Das wusstest du nicht? Ich dachte, das wüsste jeder. Tom hat eine Geliebte, in der Stadt.

Nick
Eine Geliebte?

Jordan
Sie könnte so viel Anstand haben, ihn nicht beim Abendessen anzurufen. Oder?

Daisy
Nick, wir kennen uns nicht sehr gut. Obwohl wir Cousin und Cousine sind. Du warst nicht
bei meiner Hochzeit.

Nick
Ich war noch im Irak.

Daisy
Stimmt. Tja, mir ging es ziemlich schlecht. Willst Du gern wissen, was ich gesagt habe, als
meine Tochter geboren wurde? Willst du das hören?

Nick
Sehr gern.

Daisy
Sie war nicht mal eine Stunde alt, und Tom war was weiß ich wo. Ich bin aus der Narkose
aufgewacht und fühlte mich einfach mutterseelenallein. Ich habe die Schwester gefragt, ob
es ein Junge oder ein Mädchen ist. Sie hat gesagt, Mädchen, und ich habe mich weggedreht
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und geweint. Ich hab gesagt, gut, ich bin froh, wenn's ein Mädchen ist. Ich hoffe nur, sie ist
dumm im Kopf — das ist das Beste, was einem Mädchen heute passieren kann, ein
hübscher, kleiner Dummkopf. Du merkst schon, ich finde, dass diese ganze Welt einfach
schrecklich ist. Ich WEISS es. Ich war überall, ich habe alles gesehen und alles gemacht.
Ich habe Lebenserfahrung — Gott, ich hab Lebenserfahrung!

Tom
(kommt zurück, noch am Telefon) Ja, gut. (legt auf)

Jordan
(unterbricht) Und so weiter. Zehn Uhr. Zeit, dass dieses brave Mädchen ins Bett kommt!

Daisy
Jordan spielt morgen das Golfturnier, drüben auf der anderen Seite.

Nick
Du bist Jordan BAKER!

Jordan
Gute Nacht, Nick. Auf bald.

Daisy
Natürlich auf bald! Ich glaube sogar, dass ich euch verkupple. Komm oft vorbei, Nick, dann
schmeiße ich euch irgendwie — ich schmeiße euch zusammen. Ich schließe euch aus
Versehen in Schränke ein oder schiebe euch in einem Boot raus aufs Meer, lauter so
Sachen ——

Jordan
Gute Nacht. (Ab.)

Tom
Sie ist nett. Die sollten sie nicht so in der Gegend rumlaufen lassen.

Daisy
Wer?

Tom
Ihre Familie.

Daisy
Nick kümmert sich um sie, oder, Nick? Sie ist jetzt im Sommer viel bei uns. Sie kommt aus
derselben Kleinstadt. Da haben wir unsere weißen Mädchenjahre verbracht. Unsere
wunderschönen, weißen ——

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Tom
(plötzlich) Hast du dich hier gerade bei Nick ein bisschen ausgeweint?

Daisy
Ich?

Nick
Ich erinner mich nicht mehr genau. Ich glaube, wir hatten über die westliche Kultur
gesprochen. Doch, ich bin sicher. Irgendwie hat sich das Thema an uns rangeschlichen,
und —

Tom
Glaub nicht alles, was du hörst, ja? Nick.

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Zwei. Bei Wilson/bei Myrtle

Nick
(liest eine Visitenkarte) George B. Wilson – Gebrauchtwagen?

Tom
Ich stell dir jetzt meine Freundin vor! (Wilson kommt) Wilson! Wie läuft's?

Wilson
Ganz gut. Wann kann ich den Wagen kaufen?

Tom
Nächste Woche; ich hab noch jemand, der was dran macht.

Wilson
Macht ziemlich langsam, oder?

Tom
Nein, macht er nicht. Und wenn Sie der Ansicht sind, dann verkaufe ich ihn vielleicht doch
lieber irgendwo anders.

Wilson
Das meine ich nicht! Ich wollte nur sagen ——

Myrtle kommt dazu.

Myrtle
Bring doch mal was zu trinken, ja, wir haben Gäste.

Wilson
Ja, stimmt. (entfernt sich)

Tom
Ich will dich treffen. Nimm den nächsten Zug in die Stadt.

Myrtle
Okay.

Tom
Wir treffen uns an dem Kiosk im Bahnhof. (zu Nick) Die Gegend ist grauenhaft, oder?

Nick
Direkt an der Mülldeponie? Furchtbar.

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Tom
Es tut ihr gut, wenn sie wegkommt.

Nick
Hat ihr Mann nichts dagegen?

Tom
Wilson?

Myrtle
Der denkt, ich fahr meine Schwester besuchen!

Tom
Der ist so dämlich, der merkt nicht mal, dass er lebt.

Pause.

Myrtle
Also fahren wir in die Stadt! Ich kaufe mir Zeitschriften. Und im Bahnhof kaufe ich mir
Creme und ein bisschen Parfüm. Und ich will eins von den neuen Taxis nehmen, die jetzt
die anderen Farben haben und graue Sitzbezüge. Ich will mir einen Hund kaufen. Für die
Wohnung. Einen Hund zu haben, ist schön. Ein Hund macht so viel Freude!

Tom
Ein Hund macht Dreck.

Nick
Ich geh schon mal zum Zug. Ich muss ins Büro.

Tom
Nein, musst du nicht. Myrtle ist traurig, wenn du nicht mit zur Wohnung kommst. Oder,
Myrtle?

Myrtle
Kommen Sie mit! Ich ruf meine Schwester an. Sie ist sehr hübsch – und das sagen Leute,
die was davon verstehen.

Nick
Ich würd ja gern, aber ——

Myrtle
Ich lasse die McKees raufkommen!

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Drei. In der Stadt

Myrtle
(zu ihrer Schwester, die plötzlich da ist) Liebste, die Leute hauen einen einfach dauernd
übers Ohr. Die denken nur ans Geld! Ich hatte letzte Woche ne Frau hier oben, die mir die
Füße gemacht hat, und dann kam eine Rechnung, da hast du gedacht, die hat mir ne
Blinddarmentzündung rausoperiert.

Mrs. McKee [Daisy]
Ich mag Ihr Kleid. Ich finde es wunderschön.

Myrtle
Das ist nur ein komisches altes Teil! Ich zieh's nur an, wenn's mir egal ist, wie ich aussehe.

Mrs. McKee [Daisy]
Aber an Ihnen sieht’s toll aus! Wenn Chester Sie bloß in der Haltung knipsen könnte, dann
könnte er bestimmt was draus machen.

Mr. McKee [Wilson]
Ich würde das Licht ändern. Ich würde die Konturen betonen, und ich würde versuchen,
das ganze Haar draufzukriegen.

Myrtle
(zu Nick) Er ist Fotograf.

Mrs. McKee [Daisy]
Mein Mann hat mich hundertsiebenundzwanzigmal fotografiert, seit wir verheiratet sind.

Mr. McKee [Wilson]
Ich hab auch ein paar schöne Sachen am Meer gemacht, da wo die großen Villen stehen.

Myrtle
Unten haben sie zwei hängen.

Tom
Zwei was?

Mr. McKee [Wilson]
Zwei Studien.

Myrtle
(zu Tom) Ja.

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Mr. McKee [Wilson]
Eine heißt KÜSTE — DIE MOEWEN, die andere heißt KÜSTE — DAS MEER.

Catherine [Jordan]
Da draußen war ich auf einer Party, vor einem Monat. Der Mann hieß Gatsby. Kennen Sie
den?

Nick
Wir sind Nachbarn.

Catherine [Jordan]
Man sagt ja, er wäre der Enkel von irgendnem deutschen Nazi, der mit 'nem Haufen Gold
geflüchtet ist. Und dass da sein ganzes Geld her wäre.

Nick
Wirklich?

Myrtle
(belustigt über Catherine) Meine Schwester hat Angst vor ihm. Sie möchte auf gar keinen
Fall, dass er rausfindet, wo sie wohnt.

Mr. McKee [Wilson]
(zu Tom) Ich würd gerne mehr bei Ihnen da draußen arbeiten, wenn ich in die Kreise
reinkäme. Ich wünsche mir ja nur, dass mir jemand 'ne Chance gibt.

Tom
Fragen Sie Myrtle. Sie gibt ihnen ein Empfehlungsschreiben, oder Myrtle?

Myrtle
Was soll ich machen?

Tom
Du gibst den McKees ein Empfehlungsschreiben an deinen Mann, dann kann er ein paar
Studien von ihm machen. GEORGE B. WILSON AN DER BENZINPUMPE oder so was.

Catherine [Jordan]
(zu Nick) Beide können ihren Ehepartner nicht ausstehen.

Nick
Ach, nicht?

Catherine [Jordan]
Wieso bleibt man bei jemandem, den man nicht ausstehen kann? Wenn ich sie wäre,
würde ich mich einfach scheiden lassen und sofort den anderen heiraten.
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Nick
Mag sie Wilson auch nicht?

Myrtle
(die das mitgehört hat, plötzlich laut) Ich hasse ihn! Ich hasse die Sau, die Drecksau, ich
will, dass er tot ist! Dass er stirbt, stirbt, stirbt!

Mrs. McKee [Daisy]
(weiter zu Nick) Eigentlich steht seine Frau dazwischen. Die ist katholisch, und die
glauben nicht an Scheidung.

Nick
Aber Daisy ist doch gar nicht -

Catherine [Jordan]
(ohne ihm zuzuhören) Wenn sie endlich heiraten, ziehen sie zusammen hier weg, bis Gras
über die Sache gewachsen ist.

Mrs. McKee [Jordan]
Ich hätte ja mal fast einen Drecksaraber geheiratet. Der war jahrelang hinter mir her und
ich wusste, dass er nicht gut für mich ist, und ständig haben mir alle gesagt: ‘Lucille, der
Mann ist nicht gut für dich!’ Aber trotzdem, wenn ich Chester nicht getroffen hätte, hätte
der mich irgendwann rumgekriegt.

Myrtle
Ja, aber hör zu, du hast ihn wenigstens nicht geheiratet.

Mrs. McKee [Jordan]
Stimmt, hab ich nicht.

Myrtle
Tja, ich schon. Und das ist der kleine Unterschied zwischen dir und mir.

Catherine [Daisy]
Warum hast du's gemacht, Myrtle?

Myrtle
Weil ich dachte, er wäre ein richtiger Mann und wüsste, wie man sich benimmt! Aber er ist
nicht wert, mir die Schuhe zu lecken.

Catherine [Daisy]
Eine Weile warst du verrückt nach ihm.

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Myrtle
Wer sagt, dass ich verrückt nach ihm war? Ich war nie verrückter nach ihm als nach dem
da. (meint Nick) VERRÜCKT war ich einmal, als ich ihn geheiratet hab. Den Anzug für die
Hochzeit hat er von jemand anders ausgeliehen und mir nicht mal was davon gesagt, nicht
mal hinterher. Irgendwann kam der den holen, als er gerade weg war. ‘Ach, das ist Ihrer?’
sage ich. ‘Wusste ich gar nicht.’ Aber ich hab ihm den Anzug zurückgegeben, und dann
habe ich mich hingelegt und den ganzen Nachmittag geheult wie ein Schlosshund.

Catherine [Jordan]
(wieder zu Nick) Elf Jahre lang wohnen sie jetzt über Wilsons Werkstatt. Und Tom ist ihre
allererste Affäre.

Myrtle
(zu Nick) Das war im Zug in die Stadt. Ich wollte bei meiner Schwester übernachten. Er
hatte einen Abendanzug und Lackschuhe an, und ich konnte mich nicht an ihm sattsehen,
aber immer, wenn er mich anschaute, musste ich so tun, als ob ich die Werbung hinter ihm
meine. Kurz vor dem Bahnhof stand er plötzlich neben mir, und seine Brust hat mir auf
den Arm gedrückt, da hab ich ihm gesagt: „Ich rufe jetzt gleich die Polizei“, aber er wusste,
dass es gelogen war. Wir sind in ein Taxi gestiegen, und ich war so aufgeregt, dass ich fast
nicht bemerkt hab, dass ich nicht in der U-Bahn sitze. Das einzige, was ich die ganze Zeit
über dachte, war: „Dein Leben ist kurz, Myrtle; dein Leben ist kurz!’ (lachend, zu Mrs.
McKee) Mein Liebes, ich gebe dir das Kleid hier, wenn ich's nicht mehr brauche! Ich muss
mir morgen ein neues kaufen. Ich muss eine Liste mit allen Sachen machen, die ich
brauche. Eine Massage und eine Dauerwelle, und eine Leine für den Hund, den ich mir
kaufe, und einen Kranz mit einer Schleife für das Grab meiner Mutter, der den ganzen
Sommer hält. Ich muss mir eine Liste machen, sonst vergesse ich alles.

Mr. McKee ist fast eingeschlafen. Alle sind sehr betrunken-schläfrig-verwirrt.

Myrtle
Daisy.

Tom
Ich möchte nicht, dass du ihren Namen erwähnst.

Myrtle
Ich kann doch ihren Namen erwähnen.

Tom
Du sprichst nicht von ihr.

Myrtle
Doch. Daisy.

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Tom
Du sprichst nicht von ihr.

Myrtle
Daisy! Daisy! Das sage ich, so oft ich will! Daisy! Daisy! —

Tom schlägt ihr ins Gesicht, bricht ihr die Nase.

Mr. McKee [Wilson]
(rappelt sich auf, zu Nick) Kommen Sie doch mal zum Essen.

Nick
Wohin?

Mr. McKee [Wilson]
Egal, irgendwohin. Ich zeig Ihnen meine Mappe. Die Schöne und das Biest . . . Altes
Lastpferd … Einsamkeit . . .

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Vier. Bei Gatsby

Jordan
Nick!

Nick
Jordan. Hallo!

Jordan
Ich habe mir gedacht, dass du hier bist.

Nick
Ich habe sogar eine Einladung.

Jordan
Zu Gatsby wird man nicht eingeladen. Man kommt einfach her. Man steigt in irgendwelche
Limousinen, die raus an die Küste fahren, und landet irgendwie vor seiner Tür.

Frau [Daisy]
Ich bin gern hier! Mir ist egal, was ich mache, darum finde ich's immer gut.

Lucille [Myrtle]
Letztens hatte ich hier ein ziemlich teures Kleid an einem Stuhl eingerissen, da hat er nach
meiner Adresse gefragt, und eine Woche später kriege ich tatsächlich mit der Post ein
neues!

Mann [Wilson]
Haben Sie's behalten?

Lucille [Myrtle]
Na klar! Ich wollte es heute eigentlich tragen, aber es war mir obenrum zu groß, ich muss
es ändern lassen. Siebenhundertfünfundsechzig Dollar.

Frau [Daisy]
Einer, der so was macht, ist komisch. Er will mit NIEmandem Ärger.

Nick
Wer?

Mann [Wilson]
Na, Gatsby.

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Lucille [Myrtle]
Mir hat einer gesagt —— also, Leute haben mir gesagt, sie glauben, er hat einen
umgebracht.

Mann [Wilson]
Das hab ich auch gehört. Von jemand, der mit ihm aufgewachsen ist. In Deutschland.

Frau [Daisy]
Ich glaub, es ist mehr, weil er mal bei der CIA war oder so.

Lucille [Myrtle]
Guck ihn mal an, wenn er glaubt, keiner sieht hin. Ich wette, der hat einen umgebracht.

Jordan
(zu Nick) Du bist nervös, weil du ihn nie gesehen hast. Komm mit, wir gehen ihn suchen.
Wir fangen in der Bibliothek an! (flüstert) Die ist wahrscheinlich komplett aus Europa
importiert.

Eulenäugiger
Wie findet ihr das?

Jordan
Was?

Eulenäugiger
Die Bücher! Ich hab reingeguckt. Die sind echt!

Jordan
Die Bücher?

Eulenäugiger
Mit Seiten, und allem. Ich dachte, das wären gute, haltbare Plastikhüllen. Hier! (zeigt ein
Buch) Das ist ein solides Stück Buchdruckerei. Der Mann hat Sinn für Details. Was für eine
Gründlichkeit! Naturalismus! Er wusste auch, wann's gut ist. Die Preisschilder sind alle
noch dran. Wir stellen’s mal wieder zurück. Ein Steinchen, das fehlt, und die ganze
Bibliothek könnte zusammenbrechen. Wer hat euch mitgebracht? Oder seid ihr einfach
gekommen? Mich haben sie gebracht. Die meisten werden gebracht. Eine Frau, die
Roosevelt heißt. Ich bin jetzt eine Woche betrunken und dachte, in der Bibliothek werde
ich nüchtern.

Jordan
Und?

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Eulenäugiger
Weiß nicht. Ich bin erst eine Stunde hier drin. Habe ich das mit den Büchern gesagt?

Jordan
Haben Sie.

Eulenäugiger
Die sind echt! Die ganzen Bücher sind -

Gatsby
(zu Nick) Kenne ich Sie irgendwoher? Waren Sie im Irak?

Nick
Ja, war ich.

Gatsby
Ich auch! Ich war dort. Ich hab's Ihnen angesehen! - Der Sand überall.

Nick
Ja.

Gatsby
Und diese kleinen Dörfer. Aus Lehmhäusern.

Nick
In der flimmernden Hitze.

Gatsby
Ich hab mir ein Wasserflugzeug gekauft! Morgen früh probier ich’s aus. Sind Sie dabei,
Sportsfreund? Wann’s Ihnen passt.

Nick
Diese Party ist seltsam für mich: Ich hab noch nicht mal den Gastgeber gesehen.
(belustigt) Dieser Gatsby hat seinen Fahrer mit einer Einladung zu mir rübergeschickt. Der
kam durch meinen Vorgarten mit einem Zettel, da stand drauf: Mr. Gatsby freut sich,
wenn Sie heute Abend zu seiner „kleinen Party“ kommen. Der trug eine türkisene
Uniform!

Gatsby
Ich bin Gatsby.

Pause.

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Nick
Was! Oh, Entschuldigung.

Gatsby
Ich dachte, das wüssten Sie, Sportsfreund. Wahrscheinlich bin ich kein besonders guter
Gastgeber. (Gatsbys Handy klingelt) Ja?

Gatsby geht weg, am Telefon.

Nick
Wer ist er?

Jordan
Gatsby.

Nick
Wo kommt er her? Was macht er?

Jordan
Mir hat er gesagt, er hätte in Oxford studiert. Aber ich glaube ihm nicht.

Nick
Warum nicht?

Jordan
Ich hab einfach das Gefühl, dass er nicht da war. Na, jedenfalls gibt er große Partys. Und
große Partys finde ich gut. Die sind so privat. Auf kleinen Partys hat man keine
Privatsphäre.

Nick
Aber Männer tauchen nicht einfach so aus dem Nichts auf und kaufen sich in einer
Gegend, wo fast nur die Superreichen wohnen, ein Schloss. Oder bin ich jetzt zu
provinziell?

Butler [Wilson oder Eulenäugiger]
Ms. Baker? Mr. Gatsby würde Sie gerne unter vier Augen sprechen.

Bandleader [Eulenäugiger oder Wilson]
(ruft) Meine Damen und Herren, das nächste Stück, das wir spielen, ist ein alter Klassiker,
ein Hit aus den 20er Jahren – es ist Vladimir Tostoff’s JAZZ HISTORY OF THE WORLD!

Jordan
(zu Nick) Ruf mich an, Nick. Ja? Ich stehe im Telefonbuch. Bitte. Ruf an.

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Jazz-Musik. Jordan geht weg. Nick allein.

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Fünf. Restaurant in der Stadt

Jazzmusik im Hintergrund.

Wolfsheim [Eulenäugiger]
Das ist ein schönes Restaurant. Aber gegenüber bin ich lieber.

Gatsby
Da ist es zu heiß.

Wolfsheim
Aber voll mit Erinnerungen. Da haben sie damals, in den 20ern, Rosy Rosenthal
erschossen. Der gehörte zu unserer Familie. Hatte die Nacht durch ne Menge getrunken.
Und gegen Morgen kommt der Kellner mit einem komischen Gesicht und meint, draußen
will ihn jemand sprechen. Rosy steht auf, und einer sagt zu ihm: „Die Schweine sollen doch
reinkommen, wenn sie dich haben wollen, Rosy.“

Nick
Ging er raus?

Wolfsheim
Klar ging er raus. In der Tür hat er gesagt: “Der Kellner da soll meinen Kaffee
stehenlassen!“ Dann haben sie ihn dreimal in seinen vollen Bauch geschossen. Ich habe
gehört, Sie wollen ins Geschäft einsteigen?

Gatsby
Nein, das ist jemand anders! Das ist nur ein Freund von mir. Ich habe doch gesagt,
darüber reden wir ein anderes Mal. Das ist mein Freund, Wolfsheim.

Wolfsheim
Tschuldigung. Hab Sie verwechselt.

Gatsby
(kriegt einen Anruf auf Handy, am Telefon) Ja.

Gatsby geht weg. Pause - Wolfsheim und Nick allein.

Wolfsheim
Sie interessieren sich für meine Manschettenknöpfe. Das sind menschliche Backenzähne.
Prachtexemplare, was?

Nick
Interessant!

                                                                                       22
Pause.

Wolfsheim
(über Gatsby) Toller Kerl, oder? In Oxford studiert. Kennen Sie Oxford? In England.

Nick
Habe ich von gehört.

Wolfsheim
In Wirklichkeit heißt er Gatz.

Nick
Gatz.

Wolfsheim
James Gatz.

Pause.

Wolfsheim
Er war 19 und arbeitslos. Er lungerte in einem alten grünen Trainingsanzug an
irgendeinem Strand herum, als plötzlich die Jacht von Dan Cody in Sicht kam. Der
Fertighausmilliardär. Aber der Mann, der sich ein Ruderboot auslieh und zu der Jacht
rausfuhr, um Cody zu warnen, weil es da Winde gab, die ein Schiff plötzlich an den Felsen
zerschmettern können, der Mann war schon nicht mehr James Gatz. Das war Jay Gatsby.
Seine Eltern lebten von Sozialhilfe. Er hat sie nie wirklich als Eltern akzeptiert. Für ihn war
die Wirklichkeit nicht real. Für ihn lag das Universum in der Hand einer wunderschönen
Fee. Er war der Sohn Gottes.

Nick
Sohn Gottes?

Wolfsheim
Cody merkte, dass er schnell von Begriff und ehrgeizig war. Er kaufte ihm was anzuziehen,
und als die Jacht ein paar Tage später in Richtung Südsee ablegte, kam er mit. Er war
Steward, Matrose, Freund, Sekretär und manchmal Gefängniswärter, weil der Cody, wenn
er nüchtern war, wusste, zu was für Aktionen er neigte, wenn er betrunken war. Das ging
fünf Jahre. Dann starb Cody unfreundlicherweise. Unser Freund hier erbte ein paar
hunderttausend Dollar. Das Geld bekam er nie. Er hat gar nicht begriffen, welche
juristischen Mittel Codys Familie gegen ihn eingesetzt hatte. Alles, was ihm blieb, war
diese Person, die fünf Jahre vorher ein Schatten gewesen war und sich jetzt mit Fleisch
und Blut gefüllt hatte: Jay Gatsby.

Gatsby kommt zurück.
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Wolfsheim
So, das Essen war schön. Jetzt lasse ich Euch junge Männer allein.

Gatsby
Mach nicht so schnell, Wolfsheim.

Wolfsheim
Du bist sehr nett, aber ich bin zu alt. Sitzt Ihr mal hier und redet über Sport und Frauen.

Wolfsheim geht weg.

Nick
Ist er Schauspieler?

Gatsby
Nein.

Nick
Zahnarzt?

Gatsby
Er ist ein Spieler. Er war das, der vor ein paar Jahren die Sportwetten manipuliert hat.

Nick
Wie hat er's gemacht?

Gatsby
Er hat einfach gemerkt, dass es ging.

Nick
Warum sitzt er nicht im Gefängnis?

Gatsby
Sie kriegen ihn nicht, Sportsfreund. Er ist clever. Ich erzähle Ihnen mal was über mich. Ich
will nicht, dass Sie einen falschen Eindruck bekommen. Ich sage die reine Wahrheit. Meine
Familie war reich — inzwischen sind alle außer mir tot. Ich habe in Oxford studiert, weil
meine Vorfahren immer da studiert haben. Familientradition.

Nick
Verstehe.

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Gatsby
Ich habe viel Geld geerbt. Dann habe ich in Paris, Venedig, Rom gelebt wie ein Fürst, ich
habe ein bisschen gemalt und habe versucht, etwas sehr Trauriges zu vergessen, das mir
vor langer Zeit passiert ist. Dann kam Irak, Sportsfreund. Ich war froh. Ich habe mir Mühe
gegeben zu sterben, aber es war, als hätte ich Superkräfte. Ich habe zwei Einheiten so weit
nach vorne geführt, dass rechts und links eine Lücke von zwanzig Meilen war, zwei Tage
und zwei Nächte lang. Wir waren hundertdreißig Mann, und als Verstärkung nachkam,
lagen auf den Bergen von Toten die Abzeichen von drei irakischen Divisionen. Ich habe
Orden von allen Koalitionsregierungen bekommen, sogar von dem kleinen Kuwait! Hier.
(zeigt einen Orden, den Nick betrachtet) Das ist der von Kuwait.

Nick
(liest) Jay Gatsby. Außerordentliche Tapferkeit.

Gatsby
Ich möchte Sie um etwas bitten.

Nick
Jetzt?

Gatsby
Heute Nachmittag. Ich weiß, dass Sie Jordan Baker zum Kaffee treffen.

Nick
Sind Sie in Jordan verliebt?

Gatsby
Nein, Sportsfreund. Aber sie wird freundlicherweise etwas mit Ihnen besprechen. (wegen
Nicks Reaktion) Sind Sie wütend?

Nick
Ich habe Jordan nicht eingeladen, weil ich so gerne mit ihr über Jay Gatsby rede. Ich mag
diese ganzen Geheimnisse nicht! Ich verstehe nicht, warum Sie nicht ehrlich sind. Was
wollen Sie?

Gatsby
Jordan Baker ist eine große Sportlerin. Sie würde niemals etwas tun, was nicht in Ordnung
ist.

Jordan
(wir sind plötzlich im Hotel, wo sie sich mit Nick zum Tee trifft) Es war im Oktober. Ich
trug meinen neuen Karorock. Auf den Rasenflächen vor den Häusern flatterten die rot-
weiß-blauen Flaggen im Wind. Die größte Fahne war vor Daisy Fay’s Haus. Daisy war

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achtzehn, zwei Jahre älter als ich und mit Abstand das begehrteste Mädchen der Stadt. Alle
Offiziere von der Militärakademie wollten sie treffen.

Offizier [Wilson]
Nur zum Abendessen!

Offizier [Tom]
Nur für eine Stunde!

Offizier [Eulenäugiger]
Eine halbe Stunde!

Jordan
An diesem Morgen stand ihr weißer Sportwagen vor dem Haus. Darin saß sie mit einem
einfachen Soldaten, den ich vorher nie gesehen hatte.

Daisy
Jordan! Komm her.

Jordan
Ich fand es toll, dass sie mit mir sprechen wollte, weil ich sie wahnsinnig bewunderte.

Daisy
Gehst du zur Schule?

Jordan
Ja.

Daisy
Kannst du sagen, dass ich krank bin und nicht kommen kann?

Jordan
Die ganze Zeit sah er nur Daisy an. Das habe ich nie vergessen. Es war so romantisch.
Dann fing ich mit Turnieren an und sah Daisy nicht oft. Es gab wilde Gerüchte — ihre
Mutter hätte sie nachts erwischt, wie sie versuchte, mit einem Soldaten abzuhauen, der an
den Golf sollte. Sie hätte wochenlang nicht mit ihren Eltern gesprochen. Dann war sie
wieder in Partylaune, ging aus, war kurz mit jemand verlobt, und im Juni heiratete sie
Tom. Der kam mit dreihundert Gästen in Luxuskarossen und mietete ein ganzes Hotel. Am
Tag vor der Hochzeit bekam sie ein Perlencollier für dreihunderttausend Dollar.
Ich war Brautjungfer. Eine Stunde vor der Hochzeit. Ich komme in ihr Zimmer. Sie liegt
auf dem Bett, so wunderschön wie der Sommer in ihrem Kleid – und sturzbetrunken. In
einer Hand eine Flasche Wein, in der anderen ein Brief.

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Daisy
Kanns' mir gratulier'n. Hab nie viel getrunken, aber's macht so Spaß!

Jordan
Was ist, Daisy?

Daisy
Hier, Süße.

Jordan
Sie kramt in einem Papierkorb neben dem Bett. Zieht das Collier raus.

Daisy
Nimms mit, gibs dem, von dems kommt. Sag, Daisy hats anders überlegt. Sag: “Daisy hats
anders überlegt!”

Jordan
Ich habe sie kalt abgeduscht. Den Brief hielt sie fest in der Hand, bis er in Stückchen
zerfiel, wie Schneeflocken. Dann war es vorbei. Sie hat geheiratet, ohne mit der Wimper zu
zucken, und ging auf Hochzeitsreise. Danach sah es aus, als wäre sie völlig verrückt nach
ihm. Sie wurde nervös, wenn er kurz aus dem Zimmer ging:

Daisy
Wo ist Tom?

Jordan
Das war im August. Dann hatte Tom einen Autounfall. Das Mädchen, das mit im Auto war,
stand in der Zeitung, weil ihr Arm gebrochen war — ein Zimmermädchen vom Hotel. Dann
kriegte Daisy ihre Tochter. Sie gingen nach Frankreich. Tja, und als du vor ein paar
Wochen da warst, hörte sie zum ersten Mal den Namen Gatsby wieder. Nachher kam sie zu
mir und fragte:

Daisy
(vor kurzem) Welcher Gatsby?

Jordan
Ich war im Halbschlaf, ich sagte, wie er aussieht, und -

Daisy
(vor kurzem) Das muss er sein. Das ist er.

Jordan
Dann erst dachte ich: Der Soldat! Aus ihrem weißen Auto.

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Pause.

Nick
Was für ein Zufall.

Jordan
Das war kein Zufall. Gatsby hat sein Haus gekauft, um bei Daisy zu sein. Ich glaube, er hat
gehofft, dass sie zu seinen Partys kommt. Dann fing er an, nach Leuten zu suchen, die sie
kennen. Ich war die erste. Er will, dass du Daisy zu dir einlädst und ihn vorbeikommen
lässt.

Nick
Warum arrangierst du kein Treffen?

Jordan
Das habe ich auch gesagt.

Gatsby
(erregt) Ich will nichts Ungewöhnliches! Ich will sie nebenan treffen!

Jordan
Ich dachte, er dreht durch! Er will, dass sie zu ihm kommt. Du wohnst nebenan.

Nick
Musste ich das alles vorher erfahren?

Jordan
Er hat so lange gewartet. Er hat Angst. Er dachte, du wärst vielleicht beleidigt.

Nick
Will sie Gatsby sehen?

Jordan
Sie soll nichts davon wissen. Lad' sie nur ein. Wie geht’s dir sonst?

Nick
Ganz gut. Manchmal gehe ich auf die Straße und suche mir eine schöne Frau raus und
stelle mir vor, ich würde gleich in ihr Leben treten, und niemand erfährt davon. Manchmal
stelle ich mir vor, dass ich ihr um Ecken verborgener Straßen nach Hause folge, und sie
dreht sich um und lächelt mich an, und dann verschwindet sie durch die Tür in warme
Dunkelheit.

Jordan
Keine Freundin?
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Nick
Eine kurze Affäre mit einer Frau aus der Buchhaltung. Aber ihr Exfreund fing an, mich
schief anzusehen, und als sie jetzt in Urlaub fuhr, hab ich es stillschweigend auslaufen
lassen.

Jordan
Bist du in mich verliebt?

Nick
Ich spüre so was wie Neugier. Du fährst grauenhaft Auto.

Jordan
Wirklich?

Nick
Du solltest vorsichtiger sein. Oder nicht fahren.

Jordan
Ich bin vorsichtig.

Nick
Bist du nicht.

Jordan
Andere sind es.

Nick
Was hat das damit zu tun?

Jordan
Zu einem Unfall gehören zwei.

Nick
Aber wenn du jemand triffst, der so unvorsichtig ist wie du?

Jordan
Ich hoffe, das passiert nie. Ich hasse unvorsichtige Leute. Darum mag ich dich.

Sie küssen sich.

Kinder [Myrtle und Daisy]
(singen) I’m the Sheik of Araby.
Your love belongs to me.

                                                                                     29
At night when you’re are asleep
Into your tent I’ll creep ——”

                                  30
Sechs. Bei Nick und in Gatsbys Haus

Gatsby
Sie verdienen nicht besonders gut, Sportsfreund, oder?

Nick
Nicht besonders gut.

Gatsby
Das dachte ich schon, entschuldigen Sie, dass — na ja. Ich hab da ein Geschäft laufen, so
was wie ein Nebenverdienst, Sie wissen schon. Und ich dachte, wenn Sie nicht besonders
gut verdienen — Sie managen Aktienfonds, Sportsfreund, oder?

Nick
Ich versuch’s.

Gatsby
Tja, diese Sache würde wenig Zeit kosten, und für Sie springt dabei eine nette Summe Geld
raus. Das Ganze ist ziemlich vertraulich.

Nick
Danke, ich habe keine Zeit.

Gatsby
Sie müssten keine Geschäfte mit Wolfsheim machen!

Nick
Darum geht’s nicht.

Pause.

Gatsby
Dann gehen wir zum Strand, Sportsfreund. Wir fahren in meinem Auto hin!

Nick
Es ist zu spät.

Gatsby
Dann gehen wir zu mir, wir springen in den Pool, ich hab ihn den ganzen Sommer nicht
benutzt!

Nick
Ich muss ins Bett.

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Pause.

Nick
Morgen rufe ich Daisy an. Wann wollen Sie's machen?

Gatsby
Wann wollen SIE? Ich richte mich ganz nach Ihnen!

Nick
Übermorgen?

Gatsby
Ich wollte vorher noch den Rasen mähen lassen.

Nick
Meinen Rasen?

Pause. Beide sehen „Nicks Rasen an“, Gatsby nickt. Nick ruft an.

Nick
(am Telefon mit Daisy) Ich würde dich gerne zum Kaffee einladen. Bei mir. Und komm
ohne Tom.

Daisy
Wie bitte?

Nick
Komm ohne Tom.

Daisy
Wer ist “Tom”?

Legt auf. Plötzlich sind zwei Tage vergangen.

Gatsby
Alles in Ordnung?

Nick
Der Rasen sieht gut aus, wenn Sie das meinen.

Gatsby
Rasen? Ach so, Ihr Rasen.

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Nick
Um elf kam jemand mit Rasenmäher und sagte, Mr. Gatsby hätte ihn geschickt, um Rasen
zu mähen.

Gatsby
Sieht gut aus. Um vier soll der Regen aufhören. Haben Sie alles, was Sie brauchen? So
wegen — Kaffeetrinken?

Nick
Ich hab zwölf Zitronentörtchen aus dem Feinkostladen. Reicht das?

Gatsby
Sicher, sicher! Die sind gut! . . . Sportsfreund.

Sie warten und warten.

Gatsby
Ich gehe nach Hause.

Nick
Warum?

Gatsby
Es kommt niemand. Es ist zu spät, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!

Nick
Jetzt reden Sie keinen Unsinn; es ist zwei vor vier!

Daisy kommt, Nick begrüßt sie.

Daisy
(zu Nick) Hier lebst du also, mein Liebling! Bist du in mich verknallt? Oder warum muss
ich alleine kommen? Du hast sogar den Rasen gemäht.

Nick
Heute um elf.

Sie sieht Gatsby. Langer Blick.

Gatsby
(zu Nick) Wir kennen uns von früher.

Daisy
Wir haben uns sehr lange nicht gesehen.
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Pause. Niemand weiß, was er sagen soll.

Gatsby
(als Nick sich zurückziehen will) Wo gehen Sie hin?

Nick
Ich mache Kaffee. Ich komme noch mal.

Gatsby
(folgt ihm abseits) Oh Gott!

Nick
Was denn?

Gatsby
Das ist ein furchtbarer Fehler, ein furchtbarer Fehler!

Nick
Sie sind nur verlegen, das ist alles! Daisy ist auch verlegen. Genau wie Sie.

Gatsby
Nicht so laut!

Nick
Sie führen sich auf wie ein kleiner Junge. Sie sind unhöflich. Sie sitzt ganz alleine da
drüben.

Gatsby
Ich will, dass wir zu mir rübergehen. Ich will ihr alles zeigen.

Nick
Ich auch?

Gatsby
Unbedingt, Sportsfreund. Mein Haus sieht gut aus, oder? (schaut hin) Wie die ganze
Vorderfront das Licht einfängt.

Nick
Es ist toll.

Gatsby
Ich habe nur drei Jahre gebraucht, um das Geld dafür zu verdienen.

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Nick
Ich dachte, Sie haben Ihr Geld geerbt.

Gatsby
Habe ich, Sportsfreund, aber ich habe fast alles verloren — nach der Jahrtausendwende,
als die große Blase geplatzt ist.

Nick
Was arbeiten Sie?

Gatsby
Das ist meine Sache. (bemerkt seine Unhöflichkeit) Dies und das. Ich war im Einzelhandel,
dann im Ölgeschäft. Jetzt mache ich was anderes. Haben Sie sich das, was ich gesagt habe,
noch mal überlegt?

Daisy kommt zu ihnen.

Nick
(laut) Der Regen hat aufgehört.

Gatsby
(zu Daisy) Was sagst du dazu? Der Regen hat aufgehört!

Daisy
Ich bin froh, Jay.

Gatsby
(zeigt) Mein Haus.

Daisy
DAS Riesending?

Gatsby
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Daisy
(bewundert) Die Silhouette vor dem Himmel! Die Gärten! Ich rieche – Ich rieche
Narzissen!

Gatsby
(zeigt) Weißdorn.

Daisy
Pflaumenblüten!
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Gatsby
Und Vergissmeinnicht.

Daisy
Die Marmorstufen!

Gatsby
(weiter zeigend) Das Musikzimmer. Salon. Bibliothek. Schlafzimmer. Ankleidezimmer.
Billardzimmer. Badezimmer mit in den Boden eingelassener Wanne. Meine Privaträume.

Daisy
Die einfachsten von allen! Und du lebst ganz alleine hier?

Gatsby
Es sind immer interessante Leute da. In England habe ich jemand, der mir die Kleidung
besorgt, jede Saison. (zeigt) Hemden mit Streifen und Schnecken und Karomuster. Koralle
und Apfel und Veilchen und Blassorange, mit Monogrammen in Indigo.

Daisy
Die Hemden sind so schön! Das macht mich traurig, weil ich – Weil ich noch nie so – so
wunderschöne Hemden gesehen habe!

Gatsby
Ohne den Nebel könnten wir auf die andere Seite der Bucht sehen, wo du wohnst. Nachts
brennt an deiner Anlegestelle immer ein grünes Licht.

Pause.

Gatsby
Ich weiß, was wir machen! Wir lassen Klipspringer Klavier spielen. (ruft) Ewing!

Nick
(zu Daisy) Klipspringer ist so oft hier, dass alle ihn “den Untermieter” nennen.

Klipspringer [Wilson]
(kommt) Ich hab geschlafen. Ich HATTE geschlafen.

Gatsby
Klipspringer spielt Klavier. Oder, Ewing, Sportsfreund?

Klipsringer [Wilson]
Ich spiele nicht gut. Ich spiele fast nie. Ich bin aus der ——

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Gatsby
Red' nicht drumrum, Sportsfreund! Spiel!

Klipspringer [Wilson]
(singt) IN THE MORNING,
IN THE EVENING,
AIN’T WE GOT FUN——
ONE THING’S SURE AND NOTHING’S SURER
THE RICH GET RICHER AND THE POOR GET— CHILDREN.
IN THE MEANTIME,
IN BETWEEN TIME——

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Sieben. Bei Gatsby

Tom ist da. Ein Partygast, Frau Baedeker [Myrtle] schreit laut.

Gatsby
Ich freue mich, dass Sie da sind! Ich freue mich, dass Sie mal kommen! Ich hole was zu
trinken – was wollen Sie haben, einen Cocktail? Wein?

Tom
Danke.

Gatsby
Champagner?

Tom
Gar nichts, danke.

Gatsby
Ich kenne Ihre Frau.

Tom
Ach ja?

Daisy
(flüstert Nick zu) Ich finde das alles so aufregend! Wenn du mich heute Abend irgendwann
küssen willst, Nick, dann sag’s mir nur, ich arrangiere das für dich. Flüster' einfach nur
meinen Namen. Oder zeig eine grüne Karte vor! Ich verteile heute Abend an alle hier grüne
——

Tom
(zu Nick) Wohnst du hier in der Gegend, Nick?

Nick
Gleich nebenan.

Tom
Ach ja?

Pause.

Gatsby
Schaut euch einfach um. Ihr seht bestimmt eine Menge Leute, die Ihr aus dem Fernsehen
kennt.

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