SWR2 GLAUBEN Eine mutige Frau - DIE ORDENSSCHWESTER LEA ACKERMANN

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SWR2 GLAUBEN
Eine mutige Frau
DIE ORDENSSCHWESTER LEA ACKERMANN
Von Doris Weber

SENDUNG 30.01.2011 /// 12.05 UHR

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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

O-Ton:
Ja, es war immer so ein bisschen der Ausruf des Entsetzens, wenn ich eine gute Idee hatte .Und
dann hat es mich immer gewundert, dass die anderen gesagt haben: Um Gottes Willen, Lea! …
Das hat mich dann doppelt motiviert mich einzusetzen, also ein Stück Widerspruchsgeist und
auch Wut haben mich immer sehr beflügelt.

Autorin:
Es gibt ein vergilbtes schwarz-weiß-Foto, auf dem die kleine Lea etwa drei oder vier Jahre alt ist.
Überall hat sie Schrammen, im Gesicht, an Armen und Beinen. Sie trägt ein verdrecktes
Sommerkleidchen und schaut zornig in die Kamera. Die älteren Jungs aus der Nachbarschaft, mit
denen sie lieber spielte als mit ihren Puppen, wollten sie mal wieder nicht mit in das Baumhaus
nehmen. Sie hatten einfach die Strickleiter hochgezogen und die kleine Lea versuchte vergebens,
den Baum hochzuklettern. Deshalb guckt sie so wütend – das Hexen-Bärbel, wie die Eltern und
auch die Leute im Dorf sie nannten:

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O-Ton:
Ich weiß nur, dass ich schnell wütend wurde, wenn etwas nach meinen Vorstellungen nicht ging.
Und dann konnte ich sehr beleidigend sein. Das hat mir unendlich Leid getan, ich wollte die
Leute nicht verletzen, da muss ich sehr frech gewesen sein. Ich war in Worten wütend und frech
und dann hab ich alles Mögliche in die Wege geleitet, um das wieder gut zu machen. Auf jeden
Fall hatte ich den Namen wegen meiner schnellen Wutausbrüche.

Autorin:
Geboren wird das freche Mädchen 1937 in Völklingen im Saarland. Lea Ackerman, so heißt das
Hexen-Bärbel mit richtigem Namen, wächst auf in Klarenthal und geht dort auch zur Schule. In
Saarbrücken absolviert sie eine Lehre als Bankkauffrau, bevor sie 1960 in den Orden der
Missionsschwestern Unserer Lieben Frau von Afrika eintritt. Sie studiert Sprachen, Theologie,
Pädagogik und Psychologie und promoviert. Als Lehrerin in den schwarzafrikanischen Ländern
Ruanda und Kenia erlebt sie, wie Frauen in die Verelendung getrieben und Opfer von sexueller
Ausbeutung und Menschenhandel werden. Diese bedrückenden Erfahrungen veranlassen sie 1985
in Mombasa in Kenia zur Gründung des Frauenprojekts SOLWODI (Solidarity with women in
distress – Solidarität mit Frauen in Not). Heute ist Solwodi in Afrika, Deutschland und auch in
Osteuropa zu einem lebensrettenden Hilfswerk für Frauen in Not geworden. Lea Ackermann
erhielt dafür zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Doch der Reihe nach. Zurück nach
Klarenthal in das Jahr 1947, wo das Hexen-Bärbel schon wieder eine Stinkwut hatte und eine
Meuterei organisierte - da war sie zehn Jahre alt, es muss unmittelbar nach ihrer Erstkommunion
gewesen sein:

O-Ton:
Als die Gemeindemission bei uns war, mich hat das sehr aufgeregt, dass nur die Erwachsenen in
die Kirche konnten. Es hätte mich gar nicht so interessiert, wenn man nicht ausdrücklich gewollt
hätte, dass die Kinder nicht in die Kirche kommen sollten. Und Jesus sagt ja, lasset die Kindlein
zu mir kommen, und die wollten uns ausschließen, und dann habe ich so eine kleine Meute
organisiert und wir sind um die Kirche rumgerannt und wir haben laut geschrien, dass wir das
ungerecht fanden.

Autorin:
Sie war ein wildes Mädchen. Auf ihren Knien klebte immer ein Pflaster. „Ich wollte die Welt
erkunden, dabei bin ich viel gestolpert und oft gefallen“, schreibt sie in ihrer Biografie mit dem
Titel Um Gottes Willen, Lea! Sie hatte immer Fernweh, nie Heimweh, erzählt sie. „Wie kommt
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es, dass eine wie du Nonne geworden ist?“ Wird Lea Ackermann bis heute immer wieder gefragt.
Warum nicht? Eine wie ich. Fragt sie dann zurück: Ja, ich war ein aufmüpfiges und
abenteuerlustiges Mädchen. Aber fromm war ich auch.

O-Ton:
Ich weiß, wenn irgendwas war in der Schule, die Schule stand neben der Kirche, und wenn es
eine schwierige Aufgabe gab, dann weiß ich, dass ich sehr oft in die Kirche gelaufen bin und
meine Sorgen da gesagt hab. Ich hab mich da in der Kirche wohlgefühlt, beheimatet gefühlt.

Autorin:
Da war kein Ruf, dem sie unweigerlich gefolgt wäre, kein unergründliches Geheimnis, das sie im
tiefsten Inneren bewahrte, „mit solcher Mystik kann ich nicht dienen“, sagt Lea Ackermann. Ihre
Gründe sind ganz einfach: Eine bodenständige Frömmigkeit, eine Heimat im Glauben, das
Gefühl von Geborgenheit in der Kirche. Und – da ist sie wieder - eine gehörige Portion Wut. Ihre
schlechten Kindheitserfahrungen mit diesen „Pseudo-Christen“, wie sie später schrieb, bestärkten
sie in ihrem Entschluss, ins Kloster zu gehen: „Ich wollte es anders machen: Ich würde das
Christentum leben! Wie der heilige Franziskus. Ein Revolutionär, wenn auch kein roter.“ Dass sie
Nonne werden würde, wusste sie schon, als sie noch ein Kind war. Allerdings sprach sie nicht
darüber, um sich zu Hause Ärger zu ersparen. Nur einmal wagte sie es, sich ihrer Mutter
anzuvertrauen:

O-Ton:
Ich bin mit meiner Mutter ´ne Tante besuchen gegangen …und da bin ich mit meiner Mutter
gegangen und dann weiß ich, dass ich ihr gesagt habe: Mutti, ich geh ins Kloster. Und dann hat
sie gesagt: du hör mal, wenn man so in deinem Alter ist, dann kommen solche Gedanken. Das
geht wieder vorbei, das ist so, wie wenn jemand ne Grippe hat,.. ..

Autorin:
Aber die Grippe hielt sich hartnäckig – und kurze Zeit später machte Lea Nägel mit Köpfen. Das
war am 2. Februar 1949, an ihrem zwölften Geburtstag. Zahlreiche Erwachsene und Kinder saßen
an der langen Tafel, auf der unzählige Torten standen und mittendrin eine Flasche Likör. Und in
diese Behaglichkeit hinein, in das Schwelgen und Schlemmen verkündete sie: Ich habe mich
entschlossen, ins Kloster zu gehen. – Babba, schlug mit der Faust auf den Tisch, `um Gottes
Willen Lea!` Was ist denn das für ein Hirngespinst? Das kommt überhaupt nicht in Frage. Ich

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will kein Wort mehr darüber hören. Nie wieder!“ – Und so legte sich das zwölfjährige Kind
selbst ein Schweigegelübde auf, von dem es sich etliche Jahre später entband, als die Dinge
bereits ihren Lauf genommen hatten. Doch bis dahin war Lea Ackermann zur Beruhigung ihrer
Eltern ein ganz normales Mädchen:

O-Ton:
Ich habe ja auch zwischendurch für Jungs geschwärmt, so ist es ja nicht. Und ich bin in die
Tanzstunde gegangen und habe wahnsinnig gern getanzt und hab mich über meinen Tänzer
aufgeregt, weil er nicht richtig tanzen konnte, aber vielleicht ist das nie so zusammengefallen,
dass die Jungen, die mir gefallen haben, dass ich denen nicht gefallen habe, und dass die, denen
ich gefallen habe, dass die mir nicht gefallen haben.

Autorin:
Das nennt sie Pech, aber keine Tragödie. Hatte Babba, wie sie ihren Vater liebevoll nannte, ihr
nicht selbst gesagt: Auf Männer ist kein Verlass. Du musst unabhängig sein und dein eigenes
Geld verdienen. Unabhängig war sie. Sie verdiente viel Geld – damals in Paris in der Filiale ihrer
Bank mitten auf den Champs-Élysées. „Ach, wie habe ich Paris genossen“, schwärmt sie:
Theater, Museen Konzerte. Modellkleider aus schicken Geschäften. Schlemmen in feinen
Restaurants. Das alles konnte sie sich leisten, sie verdiente mehr als ihr Onkel, ein Arzt. - Nein,
heiraten wollte Lea Ackermann nicht – schon gar nicht einen von den Klarenthaler Jungs, die sich
in sie verliebten. Ein ganzes Leben mit ihnen verbringen – was für eine langweilige Perspektive.

O-Ton:
Ein anderer Punkt war, dass ich plötzlich mal gedacht habe, vielleicht bist du nur arrogant und
dir ist niemand gut genug und du bist gar nicht fähig dich zu verlieben, das war auch schon mal
ein Gedanke…

Autorin:
„Waren sie schon einmal leidenschaftlich verliebt, Schwester Lea…“, bis heute wird ihr diese
Frage immer wieder gestellt. Sie redet nicht gerne über dieses Thema, nicht, weil sie prüde ist,
sondern weil es sie nervt. Manchmal hegt sie den Verdacht, dass sich hinter dem Interesse für ihr
Liebesleben hässliche Vorurteile verstecken, wie: die hat keinen abgekriegt, die ist verklemmt
und - noch schlimmer - eine Männerhasserin? - „Ja, ich war verliebt“, gesteht sie dann, damit
endlich Schluss ist mit diesen nervenden Fragen. Ein einziges Mal hat es sie erwischt:

O-Ton:

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Als junges Mädchen habe ich oft Exerzitien gemacht… so acht tage, und da hatte ich die
Gelegenheit, nach Lourdes mitzufahren…und da hab ich gedacht, das wäre die gute Gelegenheit,
mir wirklich klar zu werden, was ich will. Und dann bin ich nach Lourdes mitgefahren und der
Reiseveranstalter, Wilhelm Weiler war ein sehr attraktiver Mann, damals so um die Vierzig. Und
der hat gefragt, ist jemand da, der Französisch kann zum Übersetzen. Und dann hab ich mich
gemeldet. Und da war ich wirklich in den verknallt und ich fand das toll. Der hat mich überall
hin eingeladen und wir haben uns eine ganze Weile auch nachmittags , auch mittags getroffen
und zum Kaffeetrinken. Aber ich hab mir gedacht, ich hab die Wallfahrt gemacht um zu wissen,
ob ich überhaupt fähig wäre, mich zu verlieben, und jetzt habe ich mich verliebt und jetzt kann
ich auch ins Kloster gehen. So war meine Argumentation.

Autorin:
Diese Begegnung war kein Zufall. Das war Fügung –eine Prüfung, so sieht es Lea Ackermann
rückwirkend. Den Beschluss, von Wilhelm Weiler abzulassen, habe sie nicht bewusst getroffen.
Sie weiß es bis heute nicht: lag es an Babba, der sich erzürnte: Komm mir bloß nicht mit so
einem alten Onkel und noch dazu geschieden – oder lag es an ihrem Wunsch, ins Kloster zu
gehen. Lea Ackermann und Wilhelm Weiler blieben immer beim Sie. Aber er machte ihr
Komplimente: „Leo, sagte er, wie hübsch und klug sie sind.“ – „Sie übertreiben, Herr Weiler“,
entgegnete Lea Ackermann:

O-Ton:
Ich hab in der Schweiz Urlaub gemacht mit einer Freundin und kam braun gebrannt zurück…und
war noch beim Friseur, und da geh ich am Reisebüro vorbei, ich bin zum Bus gegangen, und
dann sehe ich, der Wilhelm Weiler war noch im Büro, allein. Da bin ich mindestens fünfmal um
diesen Bau rumgelaufen und irgendwie hab ich gewusst: wenn ich jetzt da reingehe, dann bin ich
verloren. Und dann bin ich auf den Bus und bin nach Hause gefahren.

Autorin:
Gleich nach ihrer Rückkehr aus der Schweiz hatte sie sich ein Büchlein über den Missionsorden
gekauft. Die Weißen Schwestern faszinierten sie, vor allem ihr Motto: „Die Liebe Gottes spürbar
machen durch den Dienst an den Menschen Afrikas“. Das passte zu ihr, der frommen und
abenteuerlustigen jungen Frau. Die Missionsschwestern luden Lea Ackermann zum
Vorstellungsgespräch nach Trier ein. Wieder Zufall oder Fügung? Denn einen Tag zuvor reiste
sie mit der gesamten Belegschaft zum Betriebsfest, ebenfalls nach Trier. Lea trug schwarze

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Stöckelschuhe und ein betörend schönes Pariser Modellkleid, grüne Rosen auf dunklem Grund,
sie hat es bis heute in ihrem Kleiderschrank aufbewahrt.

O-Ton:
Wir haben die Nacht durchgetanzt, … und morgens bin ich zu den Schwestern rauf, so, wie ich
war, im schönen Kleid mit Stöckeln, und dann hab ich dort noch gefragt: haben Sie noch eine
Messe? Und dann haben die gesagt: Um sieben Uhr. Da hab ich geantwortet, och nee, das hab
ich verschlafen. …Die haben schon gedacht, dass ich ein komischer Vogel bin. …Und am
Montag drauf bin ich normal zur Arbeit gegangen, die ging bis fünf, um zehn vor fünf ging ich
zum Personalchef und hab gekündigt. Und dann bin ich nach Hause. Ich erinnere mich, meine
Eltern waren grad zusammen in der Küche und ich hab gesagt: so, ich will euch was sagen, ich
geh ins Kloster, und ich habe auch schon gekündigt, um den langen Diskussionen aus dem Weg
zu gehen. Und mein Vater hat getobt und meine Mutter hat geweint, also es war schrecklich.

Autorin:
Im August 1967 erfüllte sich ihr sehnlichster Wunsch. „Endlich Afrika“ – dachte sie, als das
Flugzeug aus Brüssel über der ruandischen Hauptstadt Kigali zum Landeanflug ansetzte. Auf
diesen Augenblick hatte sie sieben Jahre seit ihrem Eintritt in das Kloster in Trier gewartet. Sie
sollte als Lehrerin in einer Internatsschule für Mädchen unterrichten. Auf Französisch, in der
Sprache der belgischen Kolonialherren. Das gefiel ihr nicht, sie wollte Kinyarwanda, die
Landessprache ihrer Schülerinnen erlernen, bevor sie mit dem Unterricht begann. „Um Gottes
Willen, Lea“ ereiferte sich ihre künftige Direktorin über diese eigenwillige Schwester aus
Deutschland. Und Lea, das stets abenteuerlustige und fromme Mädchen schickte ein Stoßgebet
zum Himmel: Lieber Gott, bitte lass es ein gutes Abenteuer werden!“ Der liebe Gott erhörte sie:

O-Ton:
Ich kam nach Afrika, ich fand mich so aufgenommen, so angenommen, es war einfach schön, mit
den Mädchen zusammen zu sein, …wir haben ja ganz einfach gelebt, … einmal in der Woche
konnten sie eine Dusche haben.. Normalerweise am Abend hat jeder Wasser geschöpft. Wir
hatten Zisternen, …und dann sind wir im Stillschweigen in die Schlafsäle, wir hatten 200
Schülerinnen in zwei großen Schlafsälen je hundert, … ich hatte ein wirklich tolles Verhältnis mit
den Schülerinnen …

Autorin:
Sie brachte diesen Mädchen viel bei. Nicht nur Schulwissen – sondern auch Lebenswissen – und
eine Haltung, die sie als Frau zu stolzen selbstbewussten Afrikanerinnen machen sollte. Das war
immer ihr Thema. Sie las ihnen aus der Bibel vor, erzählte, wie Jesus mit den Frauen lebte:
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gleichberechtigt, gleichwertig, auf Augenhöhe. Die afrikanischen Frauen sind stark, sagt Lea
Ackermann, gäbe es diese Frauen nicht, wäre der afrikanische Kontinent längst ausgestorben.
Und es war ein tiefer Schmerz, als sie mit ansehen musste, wie diese starken Frauen sexuell
ausgebeutet, misshandelt und wie billiger Rohstoff missbraucht wurden. Ein Schmerz, der sich
1985 in Wut verwandelte, als sie in Mombasa in Kenia Frauen begegnete, die ihre Kinder nur
durchbringen konnten, weil sie ihren Körper verkauften.

O-Ton:
Ich bin zu den Frauen, ich habe die Frauen auf der Straße angesprochen, als mir das so richtig
auffiel und bin dann auch in die Bordelle, also Kontakthöfe und Cafes, dann hab ich halt gesagt,
ich bin da für Frauen, die Probleme haben, aber sie sind ja jung und hübsch, sie haben ja keine
Probleme. Und dann haben die Frauen gesagt: was, wir hätten keine Probleme? Meinen Sie,
dass es Spaß macht, mit jedem Deppen abzuziehen, sich Krankheiten zu holen, mal Geld zu
haben, mal keins. Das war der Auslöser, und da hab ich zu denen gesagt, wenn ihr das so
empfindet, warum setzen wir uns nicht zusammen und machen was anderes.
Und da kam ich sehr schnell an meine Grenzen, …wie sollte ich ihnen denn helfen, ich hatte ja
nix, ich hatte keinen Pfennig und mich hat es wirklich auf die Palme getrieben…

Autorin:
1985 ist HIV in Mombasa noch kein Thema. 1987 hört Lea Ackermann von den ersten Aids-
Kranken, sie kommen ins Krankenhaus auf Isolierstationen oder ins Gefängnis. Wo sie sterben
und hilflose, hungernde Kinder hinterlassen. Offen über Aids gesprochen wurde nicht, erinnert
sich Schwester Lea, allerdings hatte die Behauptung der amerikanischen Presse, das Virus
stamme aus Afrika, in Kenia Verärgerung ausgelöst, weil gerade die Amerikaner überall in der
Dritten Welt Bordelle für ihre Soldaten einrichteten und damit maßgeblich zur Verbreitung der
tödlichen Krankheit beitrugen. Lea Ackermann lässt sich den Mund nicht verbieten. Es liegt ihr
daran, über die Grenzen Afrikas hinaus den tödlichen Zusammenhang zwischen Militär und
Prostitution öffentlich zu machen:

O-Ton:
Das beschreibe ich ja in meinem allerersten Rundbrief, wie das ist, wenn die amerikanischen
Soldaten, die ein halbes Jahr mit einem Riesenschiff von sechs-sieben Etagen mit über 1000
Soldaten, nur Männer auf den Meeren, um Feinde zu suchen, die Amerikaner suchen ja immer
die Feinde. Die kamen wie bescheuert an Land, die mussten mit kleinen Flugzeugen an Land
geflogen werden, weil der Flugzeugträger im Hafen gar nicht einlaufen konnte… das war wie ein
Überfall auf eine Stadt, die haben überall rumgeschrien, „we are Americans“, es war einfach
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widerlich. Und dann haben die Frauen natürlich ihr Geschäft gewittert. Alle Läden waren voll
von scheußlichsten Andenken, und die Frauen waren auch da, um zur Verfügung zu stehen. Ich
fand das ganz schlimm

Autorin:
Einhundert mal verschickt sie diesen ersten wortgewaltigen Rundbrief über Prostitution in
Mombasa und sie bittet jeweils um eine Spende von zehn Mark. Es kommt ein Vielfaches zurück.
Schwester Lea ist nun als Streetworkerin unterwegs. Hilfe zur Selbsthilfe ist ihr Programm.
Wenn die Frauen sich selbst ernähren können, müssen sie sich nicht mehr sexuell ausbeuten
lassen. Sie organisiert ein altes Lagerhaus mit Lehmböden und durchlöchertem Dach, nach und
nach wird darin gebacken, genäht, Schmuck hergestellt. Es gibt kleine Verkaufserlöse. Sie führt
eine Krankenversicherung für die Frauen ein – und sie selbst besitzt, anders als heute, noch nicht
einmal Taschengeld. Ihre Mutter unterstützt sie finanziell. 1985 gründet sie in Mombasa/Kenia
das erste Frauenprojekt SOLWODI – Solidarität mit Frauen in Not- weitere werden folgen. In
einem Brief an ihre Mutter schreibt sie: Liebe Mutti, an meinem Namen hat dich auch fasziniert,
sagst Du, dass „Lea“ auf Latein „Löwin“ heißt. Ich danke dir dafür, dass du mir die Kraft, den
Stolz und den Mut einer Löwin zutraust“. Begeistert berichtet sie ihrer Mutter im selben Brief
auch von einem Besuch auf der UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi, wo sie durch einen Vortrag
über feministische Theologie einen ganz neuen Blick auf die Bibel gewinnt. Heute empfindet es
Lea Ackermann als Auszeichnung, eine Feministin genannt zu werden, auch innerhalb der
Kirche. Und den Umgang der Amtskirche mit den Frauen bezeichnet sie als Sünde gegen den
Heiligen Geist. Das sagt sie auch öffentlich:

O-Ton:
Es gibt ja jetzt schon Gott sei Dank viele Frauen in der Kirche, denen das bewusst ist, dass die
Frauen, gerade in der katholischen Kirche eine schwache Position haben. Und ich finde das, das
sage ich auch öffentlich, eine Sünde gegen den heiligen Geist. … dass die Frau in die Kirche ihre
Fähigkeiten nicht einbringen kann, finde ich einen ungeheuren Schaden für die Kirche selber,
aber auch ein großes Unrecht für die Frauen, also das ärgert mich sehr, weil ich finde, dass die
Frauen Charismen und Fähigkeiten haben, die sie in die Kirche einbringen könnten, sehr zum
Wohle der Botschaft Jesus. Es tut mir weh an vielen Punkten, wie sich Kirche heute gibt und
gestaltet, Ich finde das ist oftmals Verrat, wenn ich das Evangelium sehe, das die Menschen
brauchen. Die Botschaft ist für Menschen Not-wendend, aber sie müssen Zugang dazu finden,
und da ist es für viele Menschen nicht hilfreich in der Kirche.

Autorin:
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Am 2. Februar 2011 wird Schwester Lea Ackermann 74 Jahre alt. Ein Zuhause hat sie in
Deutschland in der barocken Propstei in Hirzenach bei Boppard gefunden. Dort lebt sie in einer
zölibatären Wohngemeinschaft mit dem streitbaren, charismatischen Pallotinerpater und
Universitätsprofessor Fritz Köster, mit dem Lea Ackermann über Gott und die Welt Gespräche
am Küchentisch führt, so auch der Titel eines ihrer Bücher. Gespräche auch über ihre Kinder,
denn im Laufe der Jahre haben sie vier Pflegetöchter – und söhne in ihr Haus aufgenommen und
dafür die Hauskapelle kurzerhand in ein Kinderzimmer verwandelt. Dennoch: Frauen sind und
bleiben Thema und Lebensaufgabe für Lea Ackermann. Mittlerweile gibt es in Deutschland 15
Solwodi Beratungsstellen – und eine in Rumänien. Das ist bitternötig, sagt sie. Allein im Jahre
2010 haben 1464 Frauen und Mädchen aus 96 Ländern dieser Erde, darunter sehr viele aus
Osteuropa und Russland, Hilfe bei Solwodi in Deutschland gesucht. Es sind Frauen ohne Pass,
ohne Geld, ohne Rechte, ohne Lebenschancen. Und schon wieder packt Schwester Lea der Zorn:

O-Ton:
Das bringt mich wirklich auf die Palme, dass junge Frauen hier angeboten werden im Flatrate
Bordellen zu Getränke, essen und Frauen, alles zum Einheitspreis von siebzig Euro am Tag und
100 in der Nacht. Oder ein anderes Bordell zu 8.99 Euro, ist das nicht ungeheuerlich, da werden
Frauen zur Ware gemacht, fressen, saufen und huren, die Frauen werden so abgewertet. Ich find
es ungeheuerlich von einer Gesellschaft, die immer noch meint, mit Frauen sei der Sklavenhandel
notwendig.

Autorin:
„Gewalt macht betroffen. Betroffenheit lässt manche verstummen. Mich nicht. Mich macht
Gewalt wütend“, schreibt Lea Ackermann, die Löwin und das Hexen-Bärbel,in ihrer
Autobiografie. Als sie damals, mit 18, ihrer Oma, die im Sterben lag, ins Ohr flüsterte, dass sie
ins Kloster gehen will, richtete sich Oma mit letzter Kraft auf und sagte: „Um Gottes Willen, Lea,
mach das nicht. Du tanzt doch so gerne, das darfst du dann nimmer“.
Lea Ackermann geht in ihr Zimmer in der Propstei in Boppard-Hirzenach und holt ihr Pariser
Modellkleid. Grüne Rosen auf schwarzem Untergrund. Ein Traum, den sie überall hin mit
genommen hat. Und dann verrät sie:

O-Ton:
Ich gehe auch in die Küche und mache simple, einfache Arbeiten, und dann mach ich das Radio
an, und wenn das Radio ne schöne Tanzmusik hat, dann leg ich alles hin und dann tanze ich.

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…In meinem Schlafzimmer …da habe ich auch so alte Schlager, langsame Walzer, Foxtrott auch
Boogie Woogie und Walzer, ja und dann tanze ich.

Buchhinweise:
Um Gottes Willen,Lea!
Mein Einsatz für Frauen in Not
Lea Ackermann mit Cornelia Filter
Herder-Verlag 2005, Preis: 9.95 Euro

Solidarität mit Frauen in Not
Hr. von Lea Ackermann und Reiner Engelmann
Horlemann-Verlag 2005, Preis: 12.90 Euro

Verkauft, versklavt, zum Sex gezwungen
Lea Ackermann, Inge Bell, Barbara Koelges
Kösel-Verlag 2005, Preis: 14,95 Euro

Über Gott und die Welt. Gespräche am Küchentisch
Lea Ackermann, Fritz Köster, unter Mitarbeit von Cornelia Filter
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Kösel-Verlag 2007, Preis 14.95 Euro

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