Der Schutz technischer Produktmerkmale im Design-, Marken- und Lauterkeitsrecht - GRUR Vortrag am 31.01.2019 in München Rechtsanwalt Prof ...

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Der Schutz technischer Produktmerkmale
im Design-, Marken- und Lauterkeitsrecht

GRUR Vortrag am 31.01.2019 in München
Rechtsanwalt Prof. Christian Klawitter, Hamburg
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Der Schutz technischer Lösungen bzw. Formgestaltungen ist
bekanntlich den technischen Schutzrechten zugewiesen,
insbesondere also dem Patentschutz.

Im Designrecht ist dies in § 3 Abs. 1 Nr. 1 DesignG bzw. Art. 8
Abs. 1 GGV festgelegt:

Für Erscheinungsmerkmale von Erzeugnissen, die
ausschließlich durch deren technische Funktion bedingt
sind, besteht kein Geschmacksmusterschutz.
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Schutzausschluss im Designrecht

Die Vorschriften enthalten nicht nur einen Schutzausschlussgrund,
sondern auch einen Schutzerschwernisgrund in dem Sinn, dass
einzelne Merkmale des Erzeugnisses, die funktional oder technisch
bedingt sind, bei der Prüfung der Neuheit und Eigenart ausgeblendet
werden müssen (OLG Frankfurt a.M., GRUR-RS 2016, 07605; s.
dazu auch Klawitter, GRUR-Prax 2016, 221). Diese Schutz-
erschwernis setzt sich fort bei der Prüfung des Schutzumfanges und
damit der Verletzungshandlung: auch beim Vergleich zwischen dem
geschützten und dem angegriffenen Muster bleiben nach § 3
ausschließlich technisch bedingte Erscheinungsmerkmale außer
Betracht.
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Schutzausschluss im Markenrecht
Im Markenrecht ist dies in § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG bzw. Art. 7
Abs. 1 lit. e), Ziffer ii UMVO geregelt:

Dem Schutz als Marke nicht zugänglich sind Zeichen, die
ausschließlich aus einer Form [oder einem anderen
charakteristischen Merkmal] bestehen, die zur Erreichung
einer technischen Wirkung erforderlich ist.
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Schutzausschluss im öffentlichen Interesse

Übergreifend sowohl für das Designrecht als auch für das
Markenrecht gilt, dass der Schutz technischer Lösungen allein den
technischen Schutzrechten vorbehalten sein soll (BGH GRUR 2012,
58, 60, Rn. 21 – Seilzirkus):

  „Dem Inhaber eines Marken- oder Designschutzrechts ist es im
  öffentlichen Interesse verwehrt, technische Lösungen für sich zu
  monopolisieren.“
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Schutzausschluss im Designrecht
Wann ein Merkmal ausschließlich technisch bedingt ist bzw. war, ist
umstritten. Die wohl überwiegende Meinung geht davon aus, dass
ein Merkmal dann nicht ausschließlich durch eine technische
Funktion bedingt ist, wenn eine gangbare Designalternative zu ihm
besteht, mit der das Erzeugnis seine technische Funktion in gleicher
Weise erfüllen kann. Nach anderer Auffassung soll es entscheidend
darauf ankommen, ob allein funktionale, nicht aber ästhetische
Erwägungen ausschlaggebend für die Designentscheidung waren,
sog. „No-aesthetic-consideration-test“ (s. zum Meinungsstand das
diesbezügliche Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf,
GRUR Int. 2016, 1083 – Zentrierstifte). Der Generalanwalt spricht in
seinen Schlussanträgen zur „Zentrierstifte“-Entscheidung vom
19.10.2017     von     „Kausalitätstheorie“ im    Gegensatz      zur
„Formenvielfaltslehre“, s. BeckRS 2017, 128452 = GRUR-Prax
2017,535 [Hackbarth].
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EuGH GRUR 2018, 612 mit Anm. Hackbarth –
DOCERAM/CeramTec (Zentrierstifte) = GRUR-Prax 2018, 174
[Klawitter]

Mit der Vorschrift in Art. 8 I GGV soll verhindert werden, dass
technologische Innovationen dadurch behindert werden, dass
Erscheinungsmerkmale geschützt werden, die ausschließlich durch
die technische Funktion des betreffenden Erzeugnisses bedingt sind.
Genügte bereits die Existenz alternativer Muster, mit denen die
Funktion des Erzeugnisses in gleicher Weise erfüllt würde, um die
Anwendung von Art. 8 I GGV auszuschließen, würde dies die
Monopolisierung technischer Lösungen begünstigen und der
Vorschrift damit ihre praktische Wirksamkeit nehmen.
8

Schutzausschluss im Designrecht

In der Tat:

Wenn technisch oder funktional bedingte Lösungen vom
Geschmacksmusterschutz ausgeschlossen sein sollen, muss dies für
jede dieser Lösungen gelten, gleichgültig, ob es zu der gewählten
technischen Lösung Designalternativen gibt oder nicht. Das
Freihaltebedürfnis für technische Lösungen besteht unabhängig
davon, ob dieselbe Wirkung auch durch andere Gestaltungsformen
erzielt werden kann (Eichmann/von Falckenstein/Kühne § 3 Rn. 8; s.
auch Generalanwalt in der Rs. C-395/16 – Zentrierstifte, BeckRS
2017, 128452, Tz. 37, 46 f.).
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EuGH GRUR 2018, 612 mit Anm. Hackbarth –
DOCERAM/CeramTec (Zentrierstifte) = GRUR-Prax 2018, 174
[Klawitter]

Folglich     ist        der      Geschmacksmusterschutz       für
Erscheiunungsmerkmale       eines   Erzeugnisses  schon     dann
ausgeschlossen, wenn andere als technische Erwägungen bei der
Entscheidung für diese Merkmale keine Rollen gespielt haben, und
zwar auch dann, wenn es andere Muster gibt, mit denen diesselbe
Funktion gewährleistet ist.
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EuGH GRUR 2018, 612 mit Anm. Hackbarth –
DOCERAM/CeramTec (Zentrierstifte) = GRUR-Prax 2018, 174
[Klawitter]

Wann eine Gestaltungslösung ausschließlich technisch bedingt ist,
richtet sich nach den objektiven Umständen, aus denen die Motive für
die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses
deutlich werden, nach der Verwendung der Erzeugnisses oder auch
nach dem Bestehen alternativer Geschmacksmuster, mit denen sich
dieselbe technische Funktion erfüllen lässt, soweit für diese
Umstände, Informationen oder Alternativen tragfähige Beweise
vorliegen. Auf die (theoretische) Sicht eines objektiven Beobachters
kommt es insoweit nicht an.
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EuGH GRUR 2018, 612 mit Anm. Hackbarth –
DOCERAM/CeramTec (Zentrierstifte) = GRUR-Prax 2018, 174
[Klawitter]

Für die Beurteilung, ob Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses
iSd Art. 8 I GGV ausschließlich durch dessen technische Funktion
bedingt sind, ist also nach Maßgabe aller Einzelfallumstände zu
ermitteln, ob diese Funktion der einzige die Erscheinung der
Merkmale bestimmende Faktor war und gestalterische Erwägungen
dabei keine Rolle gespielt haben. Das Bestehen alternativer
Gestaltungsmöglichkeiten ist nicht ausschlaggebend.
12

EuGH GRUR 2018, 612 mit Anm. Hackbarth –
DOCERAM/CeramTec (Zentrierstifte) = GRUR-Prax 2018, 174
[Klawitter]

Danach ist klar, dass ausschließlich technisch bedingte Merkmale
künftig weder allein objektiv nach Maßgabe möglicher
Gestaltungsalternativen noch subjektiv allein nach Maßgabe der
Motive des Entwerfers für die Wahl der betreffenden Merkmale zu
bestimmen sind, sondern im Wege einer Gesamtschau unter
Würdigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls. Die
Bestimmungsfaktoren der Formenvielfaltslehre und des No-Aesthtic-
Consideration-Tests werden so vereint, was indessen nicht
ausschließt, ggf. vorhandene Gestaltungsalternativen in die
Gesamtbetrachtung einzubeziehen.
13

Schutzausschluss im Designrecht

[Allein] das Bestehen alternativer Gestaltungsmöglichkeiten
ist also nicht entscheidend, ist aber nach Auffassung des
EuGH offensichtlich auch nicht irrelevant, sondern bei der
Gesamtbetrachtung aller Umstände zu berücksichtigen.
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Szenenwechsel I:
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Schutzausschluss im Markenrecht
EuGH GRUR Int. 2017, 623 – Yoshido Metal Industry/EUIPO

Nach der markenrechtlichen Rechtsprechung des EuGH greift das
Schutzhindernis der technischen Bedingtheit (insbesondere von
Formmarken) schon dann, wenn alle wesentlichen Merkmale des
Zeichens technisch bedingt sind. Demgemäß kommt es nicht darauf
an, ob es andere Formen gibt, mit denen die gleiche technische
Wirkung erzielt werden kann oder ob das Zeichen über funktionelle
Merkmale hinaus auch weitere, unwesentliche gestalterische
Merkmale aufweist (EuGH, GRUR Int. 2017, 623, 625, Tz. 30 –
Yoshido Metal Industry/EUIPO; so auch schon EuGH GRUR 2002,
804 – Philips/Remington sowie EuGH GRUR 2010, 1008 – Lego, s.
auch EuGH GRUR Int. 2017, 140 – Rubik´s Cube).
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Schutzausschluss im Markenrecht
EuGH GRUR 2010, 1008 - Lego

Art. 7 I lit. e ii der Verordnung (EG) Nr. 40/94 ist dahingehend
auszulegen, dass diese Bestimmung einer Eintragung entgegensteht,
die in ihren wesentlichen Merkmalen ausschließlich aus der Form der
Ware besteht, die für das Erreichen der fraglichen technischen
Wirkung technisch kausal und hinreichend ist, selbst wenn diese
Wirkung auch durch andere Formen erreicht werden kann, die die
gleiche oder eine andere technische Lösung nutzen.
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Schutzausschluss im Markenrecht
EuGH GRUR Int. 2017, 140 – Rubik´s Cube

Worauf ist entscheidend abzustellen?

Bei der Beurteilung der Funktionalität der wesentlichen Merkmale
eines angemeldeten dreidimensionalen Zeichens, das aus der Form
der konkreten Ware besteht (hier: dreidimensionale Marke in Form
eines Würfels mit seitlicher Gitterstruktur), ist es nicht ausreichend,
diese Prüfung ausschließlich anhand der grafischen Darstellung
vorzunehmen. Vielmehr muss auf zusätzliche Informationen über die
tatsächliche Ware zurückgegriffen und etwa die technische Funktion
der betreffenden Ware (hier: Drehbarkeit von Einzelteilen des
Würfels) berücksichtigt werden.
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Schutzausschluss im Markenrecht
EuGH GRUR Int. 2016, 1008 – Lego

Auch im Markenrecht gilt:

Das Eintragungshindernis des Art. 7 I lit. e ii der Verordnung (EG) Nr.
40/94 soll sicherstellen, dass Unternehmen nicht das Markenrecht in
Anspruch nehmen können, um ausschließliche Rechte ohne zeitliche
Begrenzung festzuschreiben, insbesondere über die Schutzgrenze
technischer Schutzrechte hinaus.
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Schutzausschluss im Markenrecht
EuGH GRUR 2010, 1008, 110, dort Tz. 46 – Lego

Besteht nämlich die Form einer Ware nur darin, dass sie die von deren
Hersteller entwickelte und auf dessen Antrag patentierte technische
Lösung verkörpert, würde ein Schutz dieser Form als Marke nach Ablauf
des Patents die Möglichkeit der anderen Unternehmen, diese technische
Lösung zu verwenden, auf Dauer erheblich beschränken. Im System der
Rechte des geistigen Eigentums sind aber technische Lösungen nur für
eine begrenzte Dauer schutzfähig, so dass sie danach von allen
Wirtschaftsteilnehmern frei verwendet werden können. Diese Erwägung
liegt nicht nur der Richtlinie 89/104 /EWG und der Verordnung (EG) Nr.
40794 zum Markenrecht, sondern auch der Verordnung Nr. 6/2002 über
Geschmacksmuster zu Grunde. [Siehe dazu aber auch EuGH GRUR
2002, 804, 808, Tz. 65 – Philips/Remington (abweichend?) zu EuGH
GRUR 2010, 1008, 1009, Tz. 47 – Lego].
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Schutzausschluss im Markenrecht

Zwischenruf: Gilt die Ratio der „Rubik‘s Cube“-Entscheidung auch im
Designrecht? Dort gilt der Grundsatz: What you see is what you get.

Dessen ungeachtet ist nach der Rechtsprechung bei der Bestimmung
der Eigenart eines Musters bekanntlich auch auf die Benutzungssituation
abzustellen, und daraus könnte durchaus der Schluss zulässig sein,
dass dann also auch konkrete Erscheinungsmerkmale des nach dem
Muster hergestellten Erzeugnis bei der Bestimmung der Eigenart
relevant sein könnten. Andererseits widerspräche dies dem Grundsatz,
dass bei der Bestimmung der Eigenart eines Musters ausschließlich auf
die hinterlegten Abbildungen abzustellen ist (s. dazu Klawitter, in:
Erdmann u.a. (Hrsg.) Handbuch des Fachanwalts Gewerblicher
Rechtsschutz, 3. Auflage, 2018, Kapitel 8, Designrecht, Rn. 206 am
Ende).
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Szenenwechsel II:
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Technische Produktmerkmale im Lauterkeitsrecht

Rechte des geistigen Eigentums sind „Inseln im Meer der
Nachahmungsfreiheit“ (Ohly, Anm. zu BGH GRUR 2017, 79 (91) –
Segmentstruktur). Nach ständiger Rechtsprechung reicht die bloße
Nachahmung fremder Leistungen für sich allein nicht aus, um diese
als unlauter zu brandmarken. Voraussetzung dafür ist vielmehr, dass
das fremde Leistungsergebnis wettbewerbliche Eigenart aufweist und
besondere Umstände hinzukommen, die die Leistungsübernahme
(erst) unlauter machen, z.B. die Herkunftstäuschung oder
Rufausbeutung       (BGH GRUR 2017, 79, 89, Tz. 94 –
Segmentstruktur).
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Technische Produktmerkmale im Lauterkeitsrecht

Dies führt zu der Frage, ob technische Produktmerkmale die nach
Maßgabe des Lauterkeitsrechts festzustellende wettbewerbliche
Eigenart begründen können, ggf. also geeignet sind, eine
Herkunftsvorstellung zu vermitteln? Die Frage stellt sich
insbesondere in Bezug auf solche Produktmerkmale, die (zuvor)
patentgeschützt waren.

Der Bundesgerichtshof sagt ja:
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Technische Produktmerkmale im Lauterkeitsrecht
BGH GRUR 2017, 734 – Bodendübel

Auch     einem   (zuvor)     patentgeschützten     Erzeugnis    kann
wettbewerbliche Eigenart zukommen. Dabei können nicht nur solche
Merkmale eines derartigen Erzeugnisses wettbewerbliche Eigenart
begründen, die von der patentierten technischen Lösung unabhängig
sind. Einem Erzeugnis ist im Hinblick auf den (früheren) Patentschutz
seiner Merkmale die wettbewerbliche Eigenart nicht von vornherein
zu versagen und es dadurch schlechter zu stellen als andere
technische Erzeugnisse, die nicht unter Patentschutz standen
(Festhaltung BGH GRUR 2015, 909 – Exzenterzähne).
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Technische Produktmerkmale im Lauterkeitsrecht
BGH GRUR 2017, 734 - Bodendübel
Zur Begründung führt der BGH aus:

Der sog. ergänzende wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz sieht
keinen allgemeinen Nachahmungsschutz einer technisch bedingten
Produktgestaltung vor, sondern dient der Absicherung eines
konkreten Leistungsergebnisses vor Nachahmungen, die im
Einzelfall aufgrund eines unlauteren Verhaltens des Mitbewerbers zu
missbilligen sind. Damit können die formgebenden technischen
Merkmale eines Erzeugnisses als Herkunftshinweis dienen, auch
wenn sie für den Schutz (in den Entscheidungsgründen heißt es
wörtlich     „…zur     Monopolisierung“)    der   Warenform     als
dreidimensionale Marke [bzw. als Geschmacksmuster] ungeeignet
sind.
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Technische Produktmerkmale im Lauterkeitsrecht
BGH GRUR 2017, 734 - Bodendübel

Die      fehlende     Schutzfähigkeit       technisch    bedingter
Gestaltungsmerkmale im Design- bzw. Markenrecht hindert nach
Auffassung     des   BGH      also    nicht     den   ergänzenden
wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz.
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht
BGH GRUR 2017, 734, 739, Tz. 21 – Bodendübel
Anders gewendet:

Der Umstand, dass der nach Ablauf des Patentschutzes freie Stand
der Technik für den Wettbewerb offenzuhalten ist, gebietet es nach
Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht, den vom abgelaufenen
Patentschutz erfassten technischen Merkmalen eines Erzeugnisses
aus Rechtsgründen von vornherein die Eignung abzusprechen, auf
die betriebliche Herkunft oder die Besonderheit des Erzeugnisses
hinzuweisen.
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht
BGH GRUR 2015, 909 – Exzenterzähne

Dabei unterscheidet der BGH zwischen technisch notwendigen
Merkmalen und solchen Merkmalen, die zwar technisch bedingt sind,
aber nicht zwingend verwendet werden müssen, sondern
austauschbar sind, ohne dass damit Qualitätseinbußen einhergehen
müssten.
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 Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht
 BGH GRUR 2015, 909 – Exzenterzähne
Wörtlich heißt es in der Entscheidung „Exzenterzähne“, dort Tz. 18:

   „Technisch notwendige Merkmale – also solche, die bei
   gleichartigen Erzeugnissen aus technischen Gründen zwingend
   verwendet werden müssen – können aus Rechtsgründen keine
   wettbewerbliche Eigenart begründen. Die Übernahme solcher –
   nicht oder nicht mehr unter Sonderrechtsschutz stehender –
   Gestaltungsmerkmale ist mit Rücksicht auf den Grundsatz des
   freien Stands der Technik wettbewerbsrechtlich nicht zu
   beanstanden.“
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 Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht
 BGH GRUR 2015, 909 – Exzenterzähne
Und weiter (Tz. 19):

   „Handelt es sich dagegen nicht um technisch notwendige Merkmale,
   sondern nur um solche, die zwar technisch bedingt, aber frei
   austauschbar sind, ohne dass damit Qualitätseinbußen verbunden
   sind, können sie eine wettbewerbliche Eigenart (mit)begründen,
   sofern der Verkehr wegen dieser Merkmale auf die Herkunft der
   Erzeugnisse aus einem bestimmten Unternehmen Wert legt oder mit
   ihnen gewisse Qualitätserwartungen verbindet.“
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht

Dies     begründet    der    BGH      mit    der   unterschiedlichen
Zweckbestimmung des Patentschutzes im Vergleich zum
ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz. Für den
wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz reiche die Nachahmung als
solche gerade nicht aus, hinzutreten müssten vielmehr besondere
Umstände unter Abwägung aller betroffenen Interessen. Dazu gehöre
auch das Interesse der Mitbewerber, sich einer zum freien Stand der
Technik gehörigen technischen Lösung zu bedienen, weshalb kein
sachlicher Grund bestehe, einem Erzeugnis im Hinblick auf den
früheren     Patentschutz    der    betreffenden    Merkmale      die
wettbewerbliche Eigenart von vornherein abzusprechen und es
dadurch schlechter zu stellen als andere technische Erzeugnisse, die
nicht unter Patentschutz standen (BGH GRUR 2017 734, 739, Tz. 22
– Bodendübel).
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht (Kritik)

Dies rechtfertigt indessen nicht, die wettbewerbliche Eigenart gerade
an zuvor patentgeschützten technischen Merkmalen festzumachen,
denn natürlich dürfen an ausschließlich technisch bedingte Merkmale
auch dann keine lauterkeitsrechtlichen Ansprüche anknüpfen, wenn
diese    zuvor      nicht  dem      Patentschutz    unterlagen.   Der
Schutzausschluss beruht nicht auf dem vorangegangenen
Patentschutz, sondern auf der technischen Bedingtheit der
betreffenden Merkmale, die durch das Patentrecht ebenso wie nach
Maßgabe des Lauterkeitsrechts nur so lange geschützt sein können,
wie der Patentschutz fortbesteht (Klawitter, in: Erdmann u.a. (Hrsg.)
Handbuch des Fachanwalts Gewerblicher Rechtsschutz, 3. Auflage.
2018, Kapitel 8, Designrecht, Rn. 38).
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht (Kritik)

Mit anderen Worten:

  Wenn die betreffenden Merkmale patentbegründend waren (oder
  hätten     sein    können),     sind   diese Merkmale  auch
  lauterkeitsrechtlich gleichsam „verbraucht“.
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht (Kritik)

Das Argument der Schlechterstellung zuvor patentgeschützter
Erzeugnisse im Vergleich zu nicht patentgeschützten Erzeugnissen
ist ein Scheinargument: es geht nicht um die Schlechter- oder
Besserstellung, sondern um die Gleichstellung technisch bedingter
Produktmerkmale. Was im Markenrecht bzw. Designrecht aus
übergeordneten       systematisch-dogmatischen         Gründen     nicht
schutzfähig ist, kann auch nicht lauterkeitsrechtlich geschützt sein.
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht (Kritik)

In dem Fall, in dem die betreffenden Merkmale die patentgeschützte
Lösung      selbst     verkörpern,     kommt    ein    ergänzender
wettbewerbsrechtlicher      Leistungsschutz   nach    Ablauf     des
Patentschutzes folglich nur dann in Betracht, wenn die Herkunfts-
oder Gütevorstellungen, die der Verkehr mit bestimmten Merkmalen
ggf. weiterhin verbindet, an solche Merkmale anknüpfen, die sich von
der zuvor patentierten technischen Lösung und deren
Erscheinungsmerkmalen unterscheiden. Die betreffenden Merkmale
dürfen also nicht identisch mit denjenigen Merkmalen sein, die zuvor
patentbegründend waren (Klawitter, ebenda).
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht (Kritik)

Zu Recht stellt der EuGH dazu fest:

   „Dass die angesprochenen Verkehrskreise die Ware als von
   einem bestimmten Unternehmen stammend erkennen [d.h. die
   betreffenden technischen Merkmale eine Herkunftsvorstellung
   hervorrufen, Anm. des Referenten], muss auf der Benutzung der
   Marke als Marke und somit auf ihrer Natur und Wirkung beruhen,
   die sie geeignet machen, die betroffene Ware von den Waren
   anderer Unternehmen zu unterscheiden.“ (EuGH GRUR 2002,
   804, 808, Tz. 64 und 65 am Ende – Philips/Remington)
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht (Kritik)
Und weiter (EuGH GRUR 2010, 1008, 1009, Tz. 46 – Lego):
   „Besteht nämlich die Form einer Ware nur darin, dass sie die von
   deren Hersteller entwickelte und auf dessen Antrag patentierte
   technische Lösung verkörpert, würde ein Schutz dieser Form als
   Marke nach Ablauf des Patents die Möglichkeit der anderen
   Unternehmen, diese technische Lösung zu verwenden, auf Dauer
   erheblich beschränken. Im System der Rechte des geistigen
   Eigentums, wie es in der Union entwickelt worden ist, sind aber
   technische Lösungen nur für eine begrenzte Dauer schutzfähig,
   so dass sie danach von allen Wirtschaftsteilnehmern frei
   verwendet werden können.“
D.h. begründen gerade die technischen Produktmerkmale die
Herkunftsvorstellung des Verbrauchers, können diese nicht
gleichermaßen die wettbewerbliche Eigenart begründen, an die
wettbewerbsrechtliche Ansprüche zu knüpfen wären.
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht (Kritik)

Zwar kann ein über viele Jahre mit Erfolg vertriebenes
patentgeschütztes Erzeugnis naturgemäß beim angesprochenen
Verkehr Herkunftsvorstellungen hervorrufen, die auch nach Ablauf
des Patentschutzes fortbestehen. Das darf aber nicht dazu führen,
dass     nunmehr      ein     ergänzender     wettbewerbsrechtlicher
Leistungsschutz allein deswegen eingreift, weil der Verkehr das
Erzeugnis bzw. die betreffenden technischen Merkmale wegen der
über Jahre patentgeschützten technischen Lösung einem bestimmten
Hersteller zuordnet (so schon BGH GRUR 1968, 425 – feuerfest II).
Ansonsten würde dies eine Verlängerung des Patentschutzes über
das Wettbewerbsrecht bedeuten, die auch nicht aufgrund der
vorangegangenen        Vertriebsaktivitäten   des    Patentinhabers
gerechtfertigt sein kann (Klawitter, ebenda; a.A. Nemeczek, GRUR
2015, 909, 915 Anm. zur Entscheidung „Exzenterzähne“).
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht (Kritik)

Dazu jüngst Josepha Koch, in: GRUR Newsletter 2/2018, S. 11, 13:

„Anders als nach der Schutzrichtung des § 4 Nr. 3 UWG gefordert, ist
die so entstandene Bekanntheit (auch) gerade kein Ausdruck einer
wettbewerblich herausragenden Leistung des Originalherstellers.
Vielmehr wurde sie dadurch begründet, dass kein Mitbewerber diese
Lehre und somit dieses Merkmal nutzen konnte um zu verhindern,
dass das Merkmal als Herkunftshinweis gesehen werden kann.“
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Technische Merkmale im Lauterkeitsrecht (Kritik)
Dem steht auch nicht entgegen, dass der EuGH in dem Zusammenhang
festgestellt hat, dass dieser Befund ggf. im Licht der Regeln des lauteren
Wettbewerbs überprüft werden könne, worauf der BGH zur Begründung
seiner Auffassung hinweist. Dies rechtfertigt allein, die vermeidbare
Herkunftstäuschung oder die unangemessene Rufausbeutung am
Lauterkeitsrecht zu messen, nicht aber ausschließlich technisch bedingte
Merkmale zum Anknüpfungspunkt und damit de facto (Zur Kritik siehe
schon Sambuc, Der UWG-Nachahmungsschutz, 1996) zum
Schutzgegenstand lauterkeitsrechtlicher Ansprüche zu machen, die
außerhalb des Patentrechts nicht geschützt sind oder waren und schon
gar nicht nach Ablauf des betreffenden Patents geschützt bleiben dürfen
(EuGH GRUR 2017, 66, 68, Tz. 39 – Rubik´s Cube). Dies hindert nicht,
lauterkeitsrechtliche      Ansprüche        an       nicht      technische
Gestaltungsmerkmale anzuknüpfen (s. z.B. BGH GRUR 2008, 793 –
Rillenkoffer), worauf der EuGH GRUR 2010, 1008, 1010, Tz. 61 – Lego
zutreffend       hingewiesen      hat.     Der      Schutz     technischer
Gestaltungsmerkmale sollte, soweit ersichtlich, von diesem Vorbehalt
aber gerade nicht erfasst werden.
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Technische Produktmerkmale im Lauterkeitsrecht
OLG Frankfurt a. M. GRUR-RR 2013, 394 – Steckdübel
Richtig ist deshalb die Wertung des OLG Frankfurt a.M.:

Ein ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz für ein
technisches Erzeugnis (hier: Befestigungselemente mit Steckdübel),
das hinsichtlich eines bestimmten Teils (hier: Ausführung des
Steckdübels als geteilter Schaft mit als Exzenterzähnen
ausgestalteten Spreizkörpern) patentgeschützt war, kommt nach
Ablauf des Patentschutzes also nur dann in Betracht, wenn die
Herkunfts- oder Gütevorstellungen, die der angesprochene Verkehr
mit dem Erzeugnis – weiterhin – verbindet, an solchen Merkmalen
anknüpfen, die von der früher patentierten technischen Lösung
unabhängig sind.
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Prof. Christian Klawitter

KNPZ Rechtsanwälte
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