Deutsche Nationalbibliothek: Wichtiger Knotenpunkt im Netzwerk von Gedächtnisinstitutionen
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INTERVIEW 187 Deutsche Nationalbibliothek: Wichtiger Knotenpunkt im Netzwerk von Gedächtnisinstitutionen Interview mit Frank Scholze, seit 1. Januar 2020 Generaldirektor der DNB Frank Scholze hat am 1. Januar 2020 die Nachfolge von Frau Dr. Elisabeth Niggemann als Generaldirektor der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) angetreten. Bei seiner Amtseinführung am 13. Dezember 2019 zeigte sich die Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters überzeugt, „dass es Frank Scholze gelingen wird, die Deutsche Nationalbibliothek im digitalen Zeitalter erfolgreich zu positionieren und den Trans- formationsprozess ideenreich fortzuführen.“ Nach rund 100 Tagen im Amt sprach b.i.t.online mit ihm über erste Erfahrungen, geplante Aktivitäten und Ziele. Das Gespräch führte Dr. Rafael Ball, Direktor der ETH-Bibliothek Zürich und Chefredakteur von b.i.t.online. Herr Scholze, Sie sind seit dem 1. Januar 2020 als Generaldirektor der DNB im Amt, also knapp 100 Tage. Das ist die Zeit, in der Politiker nach ihren ersten Erfolgen gefragt werden. Wie geht es Ihnen heute? ❱ Frank Scholze ❰ Mir geht es trotz Corona-Krise und der Tatsache, dass wir täglich Krisenstab-Sitzung ab- halten, sehr gut. Ich bin in der DNB gut angekommen © Deutsche Nationalbibliothek, Stephan Jockel CC-BY 4.0 und gut aufgenommen worden. In der gegenwärtigen Situation bewährt sich, dass wir ein sehr kollegiales, sehr offenes Miteinander haben. Wir können all die schwierigen Fragen, die sich uns derzeit stellen, sehr offen, manchmal auch kontrovers besprechen und kommen immer zu guten Lösungen. Ist die aktuelle Krise eher eine Chance, ganz schnell unter harten Bedingungen Kollegialität zu leben oder erschwert Ihre erst kurze Bekanntheit in einer so großen Institution das Krisenmanagement? ❱ Frank Scholze ❰ Die Institution ist so gut einge- Frank Scholze schwungen, dass ich als Neuer das Krisenmanage- ment nicht gefährde. Ich bin in der DNB auf gute Per- sonen und gute Strukturen gestoßen; das bewährt Die DNB hat viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich in der gegenwärtigen Situation. Allerdings bin ich Arbeitsgruppen und Teams an ihren Standorten. Wis- froh, dass die Krise nicht gleich zu Beginn meiner Tä- sen Sie schon, was in Ihrem Haus passiert? tigkeit auftrat. So konnte ich mir im Januar und Feb- Frank Scholze: Es wäre vermessen zu sagen, ich ruar Zeit nehmen, fast alle Mitarbeiterinnen und Mit- wüsste alles, was an den zwei Standorten in Leipzig arbeiter kennen zu lernen. Das heißt nicht, dass ich und Frankfurt am Main passiert. Aber wie gesagt, ich von jedem Einzelnen, träfe ich ihn auf der Straße, den konnte viele Gespräche führen und habe in der sehr Namen wüsste, aber ich habe sehr viele intensive und kurzen Zeit viele Personen vergleichsweise gut ken- interessante Gespräche geführt. Das erweist sich in nengelernt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der gegenwärtigen Situation als äußerst hilfreich und man in vielen Gesprächen relativ schnell auf eine tie- wird ausgebaut. fe Ebene kommt – das ist nicht selbstverständlich www.b-i-t-online.de 23 (2020) Nr. 2 online Bibliothek. Information. Technologie.
188 INTERVIEW und das schätze ich sehr. Es werden auch Dinge an- gen, in verschiedenen Ministerien aber auch bei der gesprochen, die unvollständig oder unvollkommen Rektorin bzw. Präsidentin der Universitäten in Leipzig sind, und das macht, glaube ich, die Stärke aus. In- und Frankfurt. Es war mir wichtig, das Umfeld, in dem tern herrscht eine extrem gute Offenheit. sich die DNB befindet und bewegt, kennenzulernen. Die DNB hat mehrere Standorte, das Musikarchiv ge- Dann stelle ich die Frage in anderer Form: Es ist hört auch dazu… kein Geheimnis, dass die DNB im Spannungsfeld ❱ Frank Scholze ❰ Ja, das Deutsche Musikarchiv ist zwischen dem Börsenverein des deutschen Buch- im Jahr 2010 aus Berlin an den Standort Leipzig um- handels und den Bibliotheken in Deutschland steht. gezogen. Die DNB hat daher heute nur noch die zwei Die DNB verkauft Dienste und erbringt Dienste für Standorte Leipzig und Frankfurt am Main. die Bibliotheken, sie ist aber auch als Bibliothek des Börsenvereins im frühen 20. Jahrhundert gegründet Formal nur zwei Standorte mit drei inhaltlichen worden. Wie gehen Sie mit diesem Spannungsfeld Schwerpunkten... um? ❱ Frank Scholze ❰ Inhaltliche Schwerpunkte haben ❱ Frank Scholze ❰ Vorgestern habe ich mit Karin wir deutlich mehr. Ich bezeichne sie gern als Unter- Schmidt-Friderichs, der Vorsteherin des Börsenver- marken einer Dachmarke. Wir haben außer der Bib- eins, telefoniert. Das war unser zweites Gespräch. liothek selbst und dem Deutschen Musikarchiv das Wir sind schnell zu dem Schluss gekommen, dass es Deutsche Buch- und Schriftmuseum, das Deutsche sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen Buchhandel, Exilarchiv 1933–1945 sowie verschiedene andere Verlagen und Bibliotheken gibt, aber auch Felder, in Schwerpunktsammlungen, die alle unter der Dach- denen wir nicht übereinstimmen. Es ist auch völlig in marke DNB laufen. Ordnung, gemäß dem Grundsatz „we agree to disag- ree“, bestimmte Bereiche noch nicht als übereinstim- Wir kommen später noch auf die Gretchenfrage zu- mend zu definieren. Die grundsätzliche Bereitschaft rück, ob die DNB eine Bibliothek, ein Archiv oder ein von Frau Schmidt-Friderichs, offen und vertrauensvoll Museum ist. Sehr wahrscheinlich ist sie alles zusam- in einen Dialog einzutreten, fand ich wunderbar und men. Die konkrete Frage: Zwei Standorte, an wel- insofern würde ich nicht von einem Spannungsver- chem Standort verbringen Sie die meiste Zeit? hältnis sprechen, sondern eher von einem Modera- ❱ Frank Scholze ❰ Der per Gesetz festgelegte Sitz tionsfeld. Wir kommen in ein gemeinsames Diskussi- des Generaldirektors ist Frankfurt am Main und da- onsverhältnis mit so unterschiedlichen Partnern wie her verbringe ich auch mehr Zeit dort. Allerdings habe den Verlagen, der Politik, den Archiven, den Museen, ich beim Kennenlernen versucht, fast so viel Zeit in verschiedenen Kultureinrichtungen z. B. der Stiftung Leipzig zu verbringen und ich werde auch in Zukunft Preußischer Kulturbesitz und anderen. Das ist immer regelmäßig dort sein. eine Frage der Perspektive. Ich finde es sehr schön, dass die DNB als eine wichtige Institution von all die- Herr Scholze, Sie haben gesagt, dass Sie fast alle sen Partnern wahrgenommen wird, die Diskurse initi- Teams und Abteilungen an den beiden Standorten iert, verschiedene Akteure zusammenbringt und viel- besucht haben. Ich drehe die Frage um: Wer hat Sie leicht den Weg zu neuen Entwicklungen bereitet. denn als erstes in Frankfurt besucht? Waren es Bib- liothekarinnen und Bibliothekare von deutschen Bib- Sie sprachen von „agree to disagree“. Können Sie liotheken oder waren es die Vertreter des Börsenver- schon sachliche Andeutungen machen, wo denn das eins des deutschen Buchhandels? agreement bzw. disagreement liegt? ❱ Frank Scholze ❰ Ich war so viel unterwegs und ha- ❱ Frank Scholze ❰ Ich bin der Meinung, das sollte be so viele Besuche gemacht, dass es praktisch un- erst einmal gemeinsam abgesteckt werden, das ha- möglich war, mich zu besuchen. Ich wollte nicht nur ben wir nicht abschließend getan. Deswegen wäre es die Mitarbeitenden an beiden Standorten kennenler- jetzt verfrüht, in einem öffentlichen Interview dazu et- nen, für mich war es auch wichtig, das Umfeld der was zu sagen. DNB besser zu erkunden. Ich möchte keine Reihenfol- ge weder zeitlich, qualitativ, noch quantitativ aufma- Herr Scholze, die Debatte um die Namensgebung chen. Das betrifft Bereiche, in denen ich bei meiner der DNB, die ja bis 2006 „Die Deutsche Bibliothek“ bisherigen beruflichen Tätigkeit noch nicht so stark hieß, ist längst ad acta gelegt. Es redet kaum mehr involviert war, wie der Kulturbereich oder die Politik. jemand über dieses Thema. Dennoch fußt das Kon- D. h. ich habe sehr viele Besuche gemacht bei Verla- strukt DNB auf der Idee, einer „verteilten nationa- online 23 (2020) Nr. 2 Bibliothek. Information. Technologie. www.b-i-t-online.de
INTERVIEW 189 len Bibliothek“, so haben es zumindest die etwas er- fahreneren Kolleginnen und Kollegen gelernt. Insbe- sondere spielen die Staatsbibliotheken in Deutsch- land mit ihren sehr großen historischen Beständen, aber auch die ehemaligen Sondersammelgebiete und zentralen Fachbibliotheken eine Rolle. Ist dieses Konstrukt heute noch relevant? ❱ Frank Scholze ❰ Meiner Meinung nach stellt sich die Frage der Relevanz gar nicht. Das Konstrukt ist IHR PARTNER FÜR TECHNISCH- einfach eine historische Tatsache. Die DNB wurde 1912 gegründet und hat damit nicht die historischen WISSENSCHAFTLICHE FACHINFORMATIONEN Bestände, die andere Nationalbibliotheken auf der Welt haben. Die DNB ist eine der jüngeren National bibliotheken der Geschichte und damit ist es eine historische Verfasstheit, dass sie den Titel Deutsche Nationalbibliothek trägt. Funktional von den Samm- lungen und den Dienstleistungen her kann sie immer nur Teil eines Netzwerkes sein, in dem natürlich die Staatsbibliotheken in Berlin (Preußischer Kulturbe- sitz) und München eine wichtige Rolle spielen, aber daneben gibt es noch weitere Akteure. Gibt es für diese virtuell verteilte Nationalbibliothek eine Art institutionalisiertes Gremium, eine Zusam- menarbeit oder ist es einfach nur Fakt, dass die his- torisch wertvollen Bücher aus Deutschland an ver- schiedenen Orten aufgestellt sind? ❱ Frank Scholze ❰ Damit sprechen Sie einen Punkt an, der auf meiner Agenda steht. Wir sollten hier zu neuen Strukturen und Absprachen kommen. Histo- risch ist es so, dass die Nationalbibliothek und die Staatsbibliotheken nebeneinander bestehen und es keine übergreifenden institutionalisierten Struktu- ren gibt, sondern nur punktuelle Zusammenarbeiten wie z. B. bei der Deutschen Digitalen Bibliothek oder der Zeitschriftendatenbank. Solche übergreifenden Strukturen unter Einbeziehung zusätzlicher Akteure z. B. aus dem Feld der Sammlung deutscher Drucke halte ich für erforderlich, um eine gemeinsame strate- gische Planung oder strategisches Handeln auf brei- ter Front zu ermöglichen, aber das benötigt Zeit. Welche interessanten Themen haben Sie schon in der kurzen Zeit für Ihre Arbeit an und in der DNB identifiziert? Eines haben Sie eben angesprochen, gibt es weitere? ❱ Frank Scholze ❰ Für meine Arbeit gibt es letzt endlich zwei große Linien. Die eine haben wir gerade kurz und schlaglichtartig beleuchtet: Kooperationen und Netzwerke. Hier sind sicher außer den Gesprä- chen mit den Staatsbibliotheken in Berlin und Mün- ........................................ chen auch andere Akteure wichtig. Ich will einen Punkt www.standardsandmore.com herausgreifen, ohne daraus eine Priorisierung oder www.b-i-t-online.de 23 (2020) Nr. 2 online Bibliothek. Information. Technologie. SAM_Anzeige_87x257mm_4c_02.2020.indd 1 07.02.20 13:46
190 INTERVIEW Qualität abzuleiten, weil er die Verbindung zu dem türlich der Bereich des Förderns. Das bedeutet, wie zweiten großen Bereich herstellt. Neben der Koope- entwickeln wir uns als Organisation weiter – Kommu- ration ist die zweite große Linie die Automatisierung. nikation, Organisationsentwicklung, Prozessentwick- Hier haben wir eine intensive Diskussion zum Thema lung – aber auch wie wirken wir nach außen als at- Inhaltserschließung mit den Bibliotheken der TU9, traktiver Arbeitgeber. Das ist eine Herausforderung dem Verbund der führenden technischen Universi- für alle Institutionen, ob Privatwirtschaft oder Öffent- täten in Deutschland, begonnen. Es ist unbestritten, licher Dienst. Hier ist in den nächsten Jahren ein gro- dass wir mehr Automatisierung benötigen, da die Zahl ßer Bedarf an qualifiziertem Personal. Auch die DNB der verfügbaren Informationen und Informationsquel- steht hier vor einem Generationswechsel und wir ge- len immer weiter steigt, aber die manuellen Ressour- hen davon aus, dass wir in den nächsten Jahren viel cen nicht entsprechen steigen. Wir müssen auto- mehr Personen benötigen, die nicht mit der klassi- matisierte Verfahren ausbauen. Das kann auch eine schen bibliothekarischen oder informationswissen- leistungsfähige Einrichtung wie die DNB nicht allein schaftlichen Ausbildung zu uns kommen. Aber wir stemmen. Wir sprechen mit den Bibliotheken der TU9 begrüßen das, denn es erweitert Perspektiven und über Kooperationen bezogen auf die Inhaltserschlie- Diversität. Gleichzeitig ist es eine Herausforderung, ßung und die Automatisierung der Erschließung. Aber diese verschiedenen Perspektiven in der DNB zu qua- bevor Sie Detailfragen stellen, auch hier sind wir am lifizieren und zu integrieren. Wir sind zuversichtlich, Beginn des Prozesses. Ich kann sagen, dass es diesen dass wir das erfolgreich und gut tun können. Prozess gibt, aber ich kann noch keine Details nen- nen. Wer neue Dienstleistungen aufbauen will, wer neue Pläne hat, wer sich dann auch nationale Aufgaben zu Auf Details im Laufe der nächsten Jahre sind wir ge- eigen macht, denken wir zum Beispiel an das nati- spannt. Gibt es weitere Themen, gerne auch schlag- onale Forschungsdatenmanagement, der wird nicht lichtartig, die auf Ihrer to-do-Liste stehen und die Sie nur mit zusätzlichen Mitteln Personal aufbauen, son- in den nächsten Monaten oder vielleicht auch Jahren dern der wird auch verzichten müssen, devestie- abarbeiten wollen? ren in Bereichen, die vielleicht nicht mehr so wich- ❱ Frank Scholze ❰ Wir beginnen gerade einen neu- tig sind. Können Sie jetzt schon erkennen, welche en Strategie-Zyklus. Die DNB hat einen sogenannten Felder vielleicht verzichtbar sind, die bisher von der strategischen Kompass, der letztlich den Rahmen bis DNB geleistet worden sind? 2025 vorgibt und jeweils strategische Prioritäten, um ❱ Frank Scholze ❰ Auch in Bezug darauf wäre es zu diesen zu konkretisieren. Diesen Rahmen werden wir früh, an dieser Stelle eine konkrete Aussage zu ma- jetzt für den Zeitraum 2021 bis 2025 wieder genauer chen, aber es ist klar, dass es Teil einer strategischen ausführen. Wir werden das im Lauf des Jahres in ver- Planung sein muss, zu entscheiden, welche Bereiche schiedenen Formaten, in verschiedenen Gruppen in nicht mehr so stark wachsen bzw. welche Bereiche der DNB, aber auch mit Partnern vorantreiben. Wir auf Linie gefahren werden oder abwachsen. Aber das werden sicherlich die Welt nicht neu erfinden, aber ist Teil des Prozesses, den wir dieses Jahr vor uns ha- den Rahmen, den der strategische Kompass liefert, ben. Da möchte ich nicht vorgreifen. für uns handhabbar machen. Das betrifft die Bereiche Sammeln, Verzeichnen, Vermitteln, Integrieren und Die Gründung der DNB fiel in eine Zeit, in der alles Fördern. Lassen Sie mich ein oder zwei Schlagworte noch gedruckt war, in der es keine elektronischen herausgreifen: Im Bereich Integrieren haben wir z. B. Medien gab, vielleicht gab es 1912 schon einige Mi- die Deutsche Digitale Bibliothek. Da wird es sehr in- krofiches oder Mikrofilme, mehr aber nicht. Heute teressant sein, wie wir den Prozess vorantreiben kön- ist ein Großteil der Literatur in elektronischer Form nen, auch in Bezug auf die Entwicklungen der Natio- vorhanden. Wir haben dynamische Dokumente, wir nalen Forschungsdateninfrastruktur. Aber die Begut- überlegen, wie eine Publikation eigentlich zu defi- achtung der NFDI läuft noch und die Konsortien sind nieren ist. Sind diese elektronischen Informationen, noch nicht genehmigt. Wichtig in diesem Zusammen- Medieninhalte, bei denen die Struktur und das For- hang ist auch die Gemeinsame Normdatei (GND) mit mat ineinander übergehen, wo man keine klar defi- Ansätzen des Semantic Web, Linked Open Data, auch nierten Gebinde mehr hat, die man ins Regal stellt, die Kooperation mit Wikimedia gehört dazu. Den Be- überhaupt für eine Sammlung noch geeignet? Oder reich Verzeichnen hatte ich mit der TU9-Kooperation sollte man sie nicht dem flüchtigen Geschehen im bereits angesprochen. Ein ganz wichtiger Bereich, um Web überlassen? die Basis für all diese Kooperationen zu legen, ist na- ❱ Frank Scholze ❰ Das ist eine weitere Herausforde- online 23 (2020) Nr. 2 Bibliothek. Information. Technologie. www.b-i-t-online.de
INTERVIEW 191 rung. Seit 2006 haben wir den gesetzlichen Auftrag, kationen aufnehmen. Wir nehmen derzeit pro Tag ca. sogenannte Netzpublikationen zu sammeln. Es ist al- 2.000 analoge Publikationen auf und ca. 7.000 Netz- lerdings nicht abschließend definiert, was alles dar- publikationen. unterfällt. Das bedeutet, dass wir die Konkretisierung in der Pflichtablieferungsverordnung und den Sam- Wir haben heute das Sprichwort „das Netz vergisst melrichtlinien vornehmen. Das bedeutet aber auch, nichts“. Da könnte man doch ganz schnell die Fra- dass wir uns fortlaufend selbst vergewissern, was ge ableiten, ob eine Sammlung von physischen, aber das kulturelle Gedächtnis Deutschlands im Internet auch von digitalen Inhalten oder Objekten an einem zeitalter eigentlich ist. Gehören alle, wie Sie sagen, Ort wie der DNB heute noch zeitgemäß ist. Sollten dynamischen Dokumente dazu, gehören alle sozia- wir nicht einfach das Archivieren dem Netz überlas- len Plattformen dazu, gehört Twitter vollständig dazu? sen? Klar ist auch, dass wir das derzeit in der Vollständig- ❱ Frank Scholze ❰ Als Bibliothekar ist die Antwort keit nicht tun können. Wir haben etliche Kooperatio- klar: Das Netz ist kein kuratierter Ort, es ist nicht klar, nen z. B. mit dem internet archive unternommen. Wir ob hier eine Gedächtnisfunktion über die nächsten befinden uns augenblicklich in einem Prozess, einer- 10, 20, 50, 100 Jahre erfüllt wird. Deswegen ist es seits Erfahrungen zu machen, andererseits Diskussi- gut, dass es weiterhin Gedächtnisinstitutionen gibt. onen zu führen, was eigentlich der digitale Anteil des Wir sehen uns, wie vorher schon gesagt, als Teil ei- kulturellen Gedächtnisses in Deutschland ist. Weni- nes Netzwerks von Gedächtnisinstitutionen, als wich- ger dramatisch ist es im Bereich der digitalen Publi- tiger Knotenpunkt und werden mit anderen gemein- kationen. Was hier von Verlagen kommt, wird in auto- sam definieren, was das kulturelle Gedächtnis ist. Wir matisierten Ingest-Prozessen jetzt schon für die Nut- werden immer so gut sammeln, erschließen und ver- zung in den Lesesälen bereitgestellt und gleichzeitig fügbar machen, wie wir das können. Wie wir das tun, auch für die Langzeitarchivierung aufbereitet. Das ist ändert sich über die Zeit. Vielleicht gibt es in Zukunft heute schon mehr als das, was wir an analogen Publi- eine Metawissenschaft, die sich mit der Entwicklung DABIS_A5_quer_cl_ohne_Termin.pdf 1 27.11.2019 15:22:40 BIS-C 2020 DABIS. eu Gesellschaft für Datenbank-InformationsSysteme Archiv- und Bibliotheks-InformationsSystem DABIS.eu - alle Aufgaben - ein Team Archiv Bibliothek Dokumentation Archiv / Bibliothek Synergien: WB-Qualität und ÖB-Kompetenz singleUser System multiUser Modell: FRBR . FRAD . RDA Szenario 1 + 2 Lokalsystem und Verbund Regelkonform RDA. RAK.RSWK.Marc21.MAB multiDatenbank multiServer C Web . SSL . Integration & Benutzeraccount multiProcessing multiThreading Verbundaufbau.Cloud/Outsourcing-Betrieb skalierbar performance stufenlos M Unicode DSGVO-konform multiLingual Y Normdaten GND RVK redundanzfrei multiMedia eMedia Integration CM Software - State of the art - flexible MY CY 31 Jahre Erfahrung Wissen Kompetenz Portale mit weit über 17 Mio Beständen CMY Leistung Sicherheit Datenschutz K Standards Offenheit Individualität https://Landesbibliothek.eu https://bmnt.at Stabilität Partner Verläßlichkeit https://OeNDV.org https://VThK.eu Service Erfahrenheit Support https://VolksLiedWerk.org https://bmdw.at Generierung Customizing Selfservice https://Behoerdenweb.net https://wkweb.at Outsourcing Cloudbetrieb SaaS Dienstleistung Zufriedenheit DABIS GmbH GUI.Web.XML.Z39.50/SRU.OAI-METS Heiligenstädter Straße 213, 1190 Wien, Austria Tel. +43-1-318 9777-10 Fax +43-1-318 9777-15 eMail: support@dabis.eu https://www.dabis.eu Zweigstellen: 61350 - Bad Homburg vdH, Germany / 1147 - Budapest, Hungary / 39042 - Brixen, Italy Ihr Partner für Archiv-, Bibliotheks- und DokumentationsSysteme www.b-i-t-online.de 23 (2020) Nr. 2 online Bibliothek. Information. Technologie.
192 INTERVIEW des kulturellen Gedächtnisses befasst, mit der Ent- DNB, aber in einzelnen Bereichen. Es gibt eine ganze wicklung des menschlichen Gedächtnisses befassen Reihe von Bibliotheken, mit denen wir sehr intensiv sich ja bereits mehrere Disziplinen. über Entwicklungen sprechen. Sie merken schon, ich könnte jetzt entweder ganz viele oder gar keine auf- Herr Scholze, Sie haben diese Frage beantwortet zählen, insofern tue ich Zweiteres. mit den Worten „…als Bibliothekar...“. Das führt zu meiner nächsten Frage. Wie sehen Sie sich als Ge- Darf ich diese Frage stellen? Wird unter Ihrer Lei- neraldirektor der DNB? Ist die DNB Bibliothek, Archiv tung, Herr Scholze, die DNB die „Deutsche British oder Museum? Oder ist sie die gelebte Konvergenz Library“? von diesen Dreien? ❱ Frank Scholze ❰ Das habe ich eigentlich schon vor- ❱ Frank Scholze ❰ Genau, ich habe gesagt als Biblio- hin mit beantwortet. Von der historischen Entwick- thekar, weil ich mich als gelernter Bibliothekar emp- lung ist das eigentlich unmöglich. Meiner Überzeu- finde. Sie haben letztendlich die Antwort schon selbst gung nach sind die politischen, kulturellen und sons- gegeben. Die DNB ist eine vielschichtige Institution tigen Rahmenbedingungen in Großbritannien anders mit großen musealen und archivischen Beständen. In- als in Deutschland. Aber natürlich ist die British Lib- teressanterweise hat mich die Journalistin bei einem rary genau einer dieser Partner, mit denen wir zusam- Interview, das ich vor zwei Wochen dem MDR gege- menarbeiten und die auch durchaus Vorbildcharakter ben habe, automatisch als Archivar bezeichnet. Sie in einigen Bereichen hat. hat empfunden, dass wir als Nationalbibliothek ein- fach eine Archivfunktion haben. Sie hat sozusagen Herr Scholze, kommen wir zu einem dramatischen diese Funktion des Gedächtnisses automatisch als Thema, das uns aktuell auch im Bibliothekswesen Archiv ausgedrückt. Ich denke, es ist eher eine be- beschäftigt. Welche Auswirkungen hat die Corona- rufsethische Frage, ob man sich hier als Bibliothekar Krise aktuell auf Ihr Haus und Ihren Leistungsauf- oder als Archivar bezeichnet. Die DNB ist ein Knoten- trag? punkt in einem Netzwerk von Gedächtnisinstitutio- ❱ Frank Scholze ❰ Die DNB ist seit dem 16. März für nen, aber sie ist natürlich auch Bibliothek und Muse- den Publikumsverkehr gesperrt. Das ist bei unserer um. Aber mit dem Titel „Nationalbibliothek“ können Sammlung und unserem Auftrag besonders drama- wir gut leben. tisch, weil wir große Teile unserer Bestände, auch der digitalen Bestände nicht frei im Netz und auch nicht Sie sind in den erlauchten exklusiven Club der Na- für einen abgegrenzten Nutzerkreis im Netz bereit- tionalbibliothekare, der Generaldirektoren der Nati- stellen können. Trotzdem haben auch wir Bestände, onalbibliotheken aufgestiegen, ein kleiner Kreis von die frei sind oder für die wir entsprechende Lizenzen wenigen Einrichtungen weltweit. Gibt es Einrichtun- haben. Wir haben virtuelle Ausstellungen, die wir jetzt gen, die Sie als Beispiel sehen, wo Sie sagen, das stärker bewerben. Aber ich muss ganz klar sagen, ist für mich eigentlich das Ziel, dahin möchte ich die in der gegenwärtigen Situation können wir unserem DNB entwickeln? Auftrag eines aktiven kulturellen Gedächtnisses nicht ❱ Frank Scholze ❰ Auch das ist für mich ein neuer wie sonst entsprechen. Ich bin zuversichtlich, dass in Bereich. Ich komme aus dem wissenschaftlichen Bi- dieser Krise aber auch die Chance zur Entwicklung bliothekswesen und war bisher nicht so im Kreis der von Zugängen zu den Wissensspeichern in Deutsch- Nationalbibliotheken verortet. Eine ganze Reihe von lands Bibliotheks- und Verlagswelt liegt. Nationalbibliotheken neben der DNB leisten hervor- ragende Arbeiten. Wir stehen über die Konferenz der europäischen Nationalbibliotheken CENL und über die Konferenz der Internationalen Nationalbiblio- Herzlichen Dank für dieses Interview. Ich wünsche theken CDNL in einem intensiven Austausch. Wenn Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Sie nach Vorbildern fragen, würde ich sagen, nicht in der aktuellen Krise alles Gute und für Ihre weitere in der Gänze als sogenanntes Rollenmodell für die Amtszeit die Verwirklichung vieler Ihrer Ideen! online 23 (2020) Nr. 2 Bibliothek. Information. Technologie. www.b-i-t-online.de
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